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PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT DER EBERHARD-KARLS-UNIVERSITÄT TÜBINGEN

Wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen des Proseminars


„Inhaltliches Seminar zu einem Bereich des Bildungsplans:
Lebensaufgaben und Selbstbestimmung“
von apl. Prof. Dr. Philipp Thomas
Sommersemester 2019
Abgabedatum: 30.09.2019

Verfasst von David Casal Lluria


Matrikelnummer: 4107721
E-Mail-Adresse: david.casal@student.uni-tuebingen.de
1

Inhaltsverzeichnis

1. VORBEMERKUNG ...................................................................................................... 2

2. EINLEITUNG ................................................................................................................ 3

3. DARSTELLUNG DER THEORIE: DER BILDUNGSTHEORETISCH-


IDENTITÄTSTHEORETISCHE ANSATZ VON WULFF D. REHFUS..................... 4

4. MÖGLICHKEIT UND GRENZEN DER THEORIE VON REHFUS, IN BEZUG


AUF DAS SEMINARTHEMA DIE PUBERTÄT ALS EXISTENZKRISE UND DEN
BEREICH IDENTITÄT, INDIVIDUALITÄT UND ROLLE DES
BILDUNGSPLANS ....................................................................................................... 9

5. SCHLUSSBEMERKUNG ........................................................................................... 14

6. LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................................... 15

7. EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG .................................................................... 16
2

1. Vorbemerkung

Diese Hausarbeit ist im Rahmen des Proseminars „Inhaltliches Seminar zu einem Bereich des
Bildungsplans: Lebensaufgaben und Selbstbestimmung“ des fachdidaktischen Moduls
entstanden, welches unter der Leitung von apl. Prof. Dr. Philipp Thomas an der Eberhard-Karls-
Universität Tübingen im Sommersemester 2019 gehalten wurde. Aus Gründen der Lesbarkeit
wird in dieser Hausarbeit bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt, es ist
jedoch selbstverständlich immer die weibliche Form
mitgemeint.
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2. Einleitung
Der von Wulff D. Rehfus verfasste Ansatz bildete neben Ekkehard Martens dialogisch-
pragmatischen Philosophiedidaktik lange Zeit die einzige philosophiedidaktische Position. Die
Debatte um die beiden Ansätze könnte man als moderne Fortsetzung derselben Fragestellung
von Immanuel Kant und Friedrich Hegel danach betrachten, ob man philosophieren Lernen 1
oder die Philosophie lernen2 müsse.

Während Rehfus die Wissensorientierung in Bezug auf die philosophischen Traditionen in den
Vordergrund seines Ansatzes und demnach seiner damit enthaltenen Forderung stellt, ist für
Martens das philosophieren als Akt von zentraler Bedeutung.

In der vorliegenden Hausarbeit werde ich den bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz


von Wulff D. Rehfus zunächst in seinen wichtigsten Punkten darstellen. Anschließend werde
ich, die sich aus seiner Theorie ergebenden Möglichkeiten für den Philosophieunterricht, in
Bezug auf das Seminarthema Die Pubertät als Existenzkrise und den Kompetenzbereich des
Bildungsplans Identität, Individualität und Rolle, herausarbeiten und auch die Grenzen seiner
Theorie für die Unterrichtbarkeit der eben erwähnten Themenfelder darstellen und kritisch
beleuchten. (vgl. Seelhorst 2015; S 44 – 53)

1
Nach Ansicht von Kant und Martens
2
Nach Ansicht von Hegel und Rehfus
4

3. Darstellung der Theorie: Der bildungstheoretisch-


identitätstheoretische Ansatz von Wulff D. Rehfus
Über die Didaktik sagt Rehfus, sie „[…] macht den Unterricht nicht möglich, sie macht ihn
denkbar”. (Rehfus 2019: S.37)
Dabei ist die Rolle der Philosophiedidaktik so zu verstehen, dass diese dem
Philosophieunterricht ihre Begründung verleiht und die Philosophie an sich als Grundlage
hierfür dienen soll. (vgl. Rehfus 2019: S.37)

Diese Aussage bildet gleichzeitig Rehfus ersten didaktischen Grundsatz, dass selbst die
Didaktik der Philosophie philosophisch sein muss. Konkret bedeutet das für ihn, dass die
Philosophiedidaktik nicht nur Mittel und Wege anbieten soll, um philosophische Ergebnisse für
Schüler verständlich zu machen, sondern sie sollte eigenständig das Konzept des
Philosophieunterrichts sein, was deren lern- und pädagogischen Ziele, ihre Substanz,
Vorgehensweise und Überprüfbarkeit des Gelernten angeht.
Die Philosophie benötigt laut Rehfus lediglich ein methodisch fortschreitendes und
schlussfolgerndes Denken und nicht unbedingt den klassischen Dialog. Denn das von ihm
geforderte Denkvermögen, stellt als solches schon eine Argumentation dar, welche unter der
Beachtung von bestimmten Regeln auch in einem Monolog möglich ist und somit nicht
zwangsläufig einen Gesprächspartner benötigt. Das führt ihn zu der Aussage, dass das Denken
weder an eine konkrete Handlung noch an einer Kommunikation der dadurch entstehenden
Gedanken gebunden ist. (vgl. Rehfus 2019: S.37)

Aus seinem ersten Grundsatz resultieren in seiner Theorie zwei Folgen für die Praxis des
Philosophieunterrichts, welche sich auf dessen Inhalt und Kommunikation beziehen.
Die Inhalte müssen sich mit den zentralen Fragen und Problemen der Philosophie befassen und
um die Brauchbarkeit dieser Inhalte zu überprüfen schlägt Rehfus vier Säulen vor, an denen
sich die Lehrkraft orientieren soll. Diese bestehen aus der Zielvorstellung des Unterrichts, der
Geschichte der Philosophie und dem Interesse der Lehrkraft, sowie den Interessen seiner
Schüler.
Es muss die Aufgabe der Lehrperson sein, diese vier Säulen in einem Gleichgewicht zu halten
und den Schülern die Philosophie so zu vermitteln, dass vergangene sowie aktuelle
philosophische Probleme und deren Lösungsversuche für sie interessant werden. Dadurch
sollen sie dazu animiert und dabei geführt werden, Texte der Philosophie auf eine
philosophische Art und Weise zu betrachten und zu verstehen. (vgl. Rehfus 2019: S.38 - 39)
5

Nun führt Rehfus in seiner Theorie seine zweite Folge für den Philosophieunterricht an, diese
betrifft die Kommunikationspraxis im Unterricht, hierbei hält er den Dialog für nicht unbedingt
notwendig und sieht ihn als eine von vielen Arten der Unterrichtsgestaltung. Dies wird durch
den folgenden Satz aus seinem Ansatz sehr gut beschrieben: „Nicht überall, wo Dialog ist, ist
Philosophie, und nicht überall wo Philosophie ist, ist Dialog." (Rehfus 2019: S.39) Des
Weiteren hält er den Dialog auch deshalb für problematisch, da er zum einen zu einem Zwang
führt, seine Gedanken äußern zu müssen und zum anderen zu Missverständnissen führen kann.
Außerdem geht er davon aus, dass die Inhalte, welche die Schüler im Unterricht wirklich
verstehen und lernen oder gar über sich selbst lernen, jene sind, die sie nicht verbal zum
Ausdruck bringen. Er geht noch weiter und behauptet, dass es sogar ein wichtiger Bestandteil
dessen ist, was die Lehrperson den Schülern vermitteln soll, nämlich das Schweigen manchmal
auch angebracht sein kann, um gewissen Problemsituationen zu vermeiden. (vgl. Rehfus 2019:
S.39 - 40)

Der zweite didaktische Grundsatz von Wulff D. Rehfus lautet: Didaktik der Philosophie ist
reflexionsbezogen, damit meint er, dass der Philosophieunterricht nicht zum Handeln, sondern
zum Reflektieren animieren muss. (vgl. Rehfus 2019: S.39 - 40)

Daraus resultieren für Rehfus wieder zwei praxisbezogene Folgen für den Unterricht, nämlich
dass es im Philosophieunterricht weniger um das konkrete Handeln, sondern vielmehr und das
reflektierte Denken geht. Die erste Folge ergibt sich daraus, dass Rehfus aussagt, man könne
weder der Philosophie noch dem Philosophieunterricht zumuten, die Lernenden zum aktiven
Handeln zu motivieren. Stattdessen solle man vielmehr versuchen den Schülern dabei zu helfen,
die Wirklichkeit durch ihre eigenen Denkvorgänge zu verstehen.
Demnach, darf laut Rehfus das Denken nicht durch einen Handlungszwang begrenzt,
abgebrochen oder durch Handlung beurteilt werden. Diesen Anspruch hat nur das Denken
selbst inne, sich selbst zu überprüfen. Demnach liegt der Anspruch des Philosophieunterrichts
darin, dass es zu denken und nicht zu handeln gilt. (vgl. Rehfus 2019: S.41)

Die zweite Folge besteht aus der Wechselbeziehung zwischen der Reflexion des Denkens und
dem Denker. Während der Denkende seine Umwelt begreift, begreift er sich im Umkehrschluss
auch selbst durch einen Perspektivenwechsel, der sich zuerst von innen nach außen und dann
von außen nach innen vollzieht. Somit wechselt er von einer subjektiven Ansicht auf sich und
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die Welt zu einer objektiven Perspektive, von der aus er nun sich und seine Realität wahrnimmt.
Diese Reflexivität nennt Rehfus in Anlehnung an Platon, Paideia3. Die philosophische Paideia
ist eine Bezeichnung für den von ihm genannten Vorgang der Reflexivität, in dem man das
normale und alltägliche fortan nicht mehr als solches betrachtet, sondern versucht es aus einem
differenzierten und objektivierten Blickwinkel wieder neu zu betrachten. Dieser
Perspektivenwechsel schafft jedoch keine Klarheit über das alltägliche, sondern zeigt dessen
Komplexität und Problematik auf und nimmt dem philosophierenden die Selbstverständlichkeit
des Alltags. (vgl. Rehfus 2019: S.42 - 43)

Rehfus ist der Auffassung, dass das Lesen und Verstehen der traditionellen Schriften für
philosophierende von essenzieller Bedeutung ist. Sie müssen durch das Wissen, welches sie
durch die philosophischen Traditionen, sprich den traditionellen Texten, erhalten ihr Denken
und Handeln begründen. Denn man könne sich bekanntermaßen nicht von den Traditionen
abspalten, weshalb man sich mit ihnen auseinandersetzen und sie kennen sollte, da sie
außerdem auch das Fundament unseres modernen philosophischen Wissensstandes bilden. (vgl.
Rehfus 2019: S.43)

Die Forderung nach einer philosophischen Lehre, die auch das Handeln der Schüler
beeinflussen soll, fällt für Rehfus nicht in den Zuständigkeitsbereich der Philosophie und er
empfindet diese Forderung als eine Art Korsett, in welches der Philosophieunterricht von der
Didaktik eingespannt wird. Durch diese Vorgabe wird die Philosophie zweckentfremdet und
Rehfus deutet dies als Unverständnis dafür, dass die Praxis der Philosophen ihre Überlegungen
und Ansätze darstellen. Laut ihm haben alle Handlungen, die sich von der Denkpraxis entfernen
nichts mehr mit der Philosophie zutun. Philosophie ist Selbstzweckhaft und für Rehfus in der
nutzenorientierten Welt gerade deswegen heutzutage von noch größerer Bedeutung.
Seine Darstellungen untermauert er mit dem Verweis auf Platons Höhlengleichnis, in welchem
der zur Erkenntnis gelangter Philosoph auch wieder zur Höhle zurückkehren muss. (vgl. Rehfus
2019: S.45 – 46)

Sein dritter didaktischer Grundsatz lautet: Didaktik der Philosophie hat einen Zeitkern. Das
bedeutet, der Unterricht muss sich seiner Gegenwärtigkeit in der jeweiligen Zeit, in der er

3
) Paideia ist das griechische Wort für Kindaufzucht,- erziehung oder Bildung. Es bezieht sich auf den Prozess
und das Ergebnis der Erziehung bzw. Entwicklung und Erreichung des besten persönlichen Zustandes, welcher
im alt geriechischen auch Arete genannt wird.
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passiert bewusst sein und sich auch dieser thematisch anpassen, sowie diese Zeit auch
aufklärerisch mit den Schülern aufarbeiten. Die Didaktik muss also am Zeitgeist dranbleiben
und sowohl eine Theorie der Gegenwart aufstellen als auch diese Gegenwart als eine sich
entwickelnde Aufklärungsbewegung begreifen. (vgl. Rehfus 2019: S.45 – 46)

Diese Bewegung nahm den Europäern der Moderne ihr Ich-Bewusstsein. Demnach sind wir
laut Rehfus nicht mehr dazu in der Lage unser selbst zu erkennen, was er Identitätsnot nennt.
Deshalb ist es die Aufgabe des Philosophieunterrichts, weil nur die Philosophie dazu in der
Lage ist diese prekäre Not überhaupt zu erkennen, den Schülern die nötige Wachsamkeit
beizubringen, diese Not ebenfalls wahrzunehmen und bestmöglich mit dieser umzugehen. Das
soll durch die methodische Ataraxie4 geschafft werden. Durch diese Methodik sollen die
Schüler eine psychische Standfestigkeit entwickeln, sodass sie durch ihre neu gewonnene
philosophische Haltung ihr Leben nicht als besorgniserregend wahrnehmen. Diese neue
Haltung beinhaltet das Erkennen der eigenen Freiheit in seinem Denken, denn laut Rehfus ist
man nur dort wirklich frei. Die einzige Voraussetzung, die der Mensch dafür erfüllen muss, um
sich selbst zu gewinnen, ist sich aus seiner Subjektivität heraus zu entwickeln in ein sich seiner-
selbst-bewusstes Individuum, welches sich an der Wirklichkeit überprüft. Daraus schlussfolgert
Rehfus die katalysatorische Funktion der Philosophie für ihre Schüler, denn sie macht diese
„[…] überhaupt erst empfänglich für das Leben.“ (Rehfus 2019: S.47)
Die aus diesem dritten Grundsatz entstehende didaktische Folge erwartet also, dass der
moderne Philosophieunterricht es sich zur Aufgabe macht, die Schüler aus der von ihm
beschriebenen Identitätsnot zu befreien und ihnen hilft, sich selbst zu finden. (vgl. Rehfus 2019:
S.47– 48)

Der vierte Grundsatz von Rehfus' Didaktik besagt, Didaktik der Philosophie muss ihr
erkenntnistheoretisches Paradigma ausweisen. Zu dieser Aussage kommt er, da bereits von
verschiedenen Philosophen festgestellt wurde, dass die Philosophie sich auch im Bereich des
Bewusstseins bzw. Ich-Bewusstseins wieder findet und es verschiedene Modelle des Ichs und
seiner Auseinandersetzung, sowie Stellung mit seiner Umwelt und Realität gibt. Da diese
Modelle aber bereits zu korrigieren versucht worden, dabei jedoch wichtige Problemherde nicht
ausreichend beschrieben haben, fordert Rehfus von der Philosophie diese Ansätze besser
auszubauen und eine konkrete Lösung und Positionierung der Philosophie zu der Thematik des

4
Ataraxie ist griechisch und steht in der Philosophie für eine emotionale Unerschütterlichkeit.
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Ichs zu entwerfen, um eine Legitimierung der philosophischen Lehre zu gewährleisten. (vgl.


Rehfus 2019: S.48– 49)

Rehfus' Didaktik beginnt so gesehen mit der Kritisierung der Lernzieltheorie, da sie „[…] die
Individualität von Lehrer und Schüler in Eigenschaften […]“ (Rehfus 2019: S.50) und
Fähigkeiten aufteilt und von der Philosophie eine Ausrichtung in die praktische Umsetzung
verlangt, was für Rehfus wie bereits in seiner zweiten Folge für den Philosophieunterricht
erwähnt, die Philosophie an sich zweckentfremdet. (vgl. Rehfus 2019: S.49)
Er fordert deshalb die Philosophiedidaktik dazu auf, sich entweder in Richtung der
Bewusstseinsphilosophie oder der Handlungstheorie zu orientieren. Dem allgemeinen
Verständnis der Philosophiedidaktik lag das Konzept von Schüler, Lehrer und Unterrichtsinhalt
zugrunde, welches noch tiefgreifender aus einem Subjekt und einem Objekt bestand. Dieses
Subjekt verstand sich demnach „[…] als erkenntnistheoretisch (nicht empirisch) autonomes, als
denkendes, vorstellendes, handelndes und empfindendes.“ (Rehfus 1986: S.43) Dieses Konzept
wurde jedoch dahingehend erweitert, dass man diesem eine dritte Komponente zukommen ließ,
die Kommunikation, welche sich zwischen Subjekt und Objekt positioniert. Diese Erweiterung
hat jedoch laut Rehfus zur Folge, dass das Subjekt nun von der Interaktion abhängig ist und
ohne diese nicht mehr eigenständig zur Erkenntnis gelangen kann. Außerdem hat dieser
Paradigmenwechsel, indem er die Kommunikation der Erkenntnis vorzieht, eine Verschiebung
des eigentlichen Ziels des Philosophieunterrichts zur Folge. Wenn der Philosophieunterricht
dieser didaktischen Neuausrichtung folgt, hätte dieser gleichzeitig seine Daseinsberechtigung
verloren und müsste durch ein Unterrichtsfach, welches sich auf die Vermittlung geforderten
Werte fokussiert, ersetzt werden. (Rehfus 2019: S.49– 50)
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4. Möglichkeit und Grenzen der Theorie von Rehfus, in Bezug auf


das Seminarthema Die Pubertät als Existenzkrise und den
Bereich Identität, Individualität und Rolle des Bildungsplans

Der bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz von Wulff D. Rehfus, bietet in Bezug auf


das Seminarthema die Pubertät als Existenzkrise und den Kompetenzbereich des Bildungsplans
Identität, Individualität und Rolle, welche sich beide mit der Thematik des Erwachsenwerdens,
der Suche nach der eigenen Identität und seinem Platz im Weltganzen beschäftigen,
verschiedene Möglichkeiten ein Thema wie dieses im Unterricht erfolgreich mit den Schülern
zu behandeln. Gleichzeitig stößt diese Theorie aber bei bestimmten Punkten, auf welche ich in
diesem Abschnitt näher eingehen werde, an gewisse Grenzen, da Wulff D. Rehfus sehr auf
seiner Vorstellung der Philosophie als Unterrichtsfach beharrt und dadurch den Weitblick für
weitere Möglichkeiten und positive Konsequenzen verliert.

Wir Menschen befinden uns Zeit unseres Lebens auf der Suche nach uns selbst. Teilweise
suchen wir uns in den Tiefen unserer Gedankenwelt, um Selbsterkenntnis zu erlangen,
manchmal benötigen wir jedoch ein Spiegelbild von uns, um das was wir erkannt zu haben
meinen auf seine Wahrhaftigkeit zu überprüfen. Dieser Spiegel, in dem wir uns selbst erkennen
möchten, wird uns von der Gesellschaft und dem Umfeld in welchem wir uns befinden
vorgehalten. Es kommt vor, dass uns gefällt, was wir in diesem Spiegel sehen. Es kann aber
auch passieren, dass wir darin etwas entdecken, das sich nicht mit unserer eigenen
Wahrnehmung von uns deckt und so versuchen wir, die eigene und die Fremdwahrnehmung in
Einklang zu bringen. Doch nicht immer schaffen oder wollen wir unser selbst nach den eigenen
Vorstellungen kreieren und werden auch von äußeren Einflüssen manchmal mehr manchmal
weniger stark geformt, oder wir passen uns diesen freiwillig an.

Das alles hängt damit zusammen, dass wir natürlich nicht allein in dieser Welt sind und da der
Mensch ein Rudeltier ist, benötigt er stets eine Gruppe, zu der er sich zugehörig fühlen kann.
Selbstverständlich birgt dieser Zwang, sich einer Gemeinschaft anschließen zu wollen, auch
gefahren. Denn auf der Suche nach der eigenen Identität, gepaart mit dem Verlangen nach
Zugehörigkeit kann es passieren, dass der Mensch sich einer Gruppierung anschließt, die seine
Entwicklung in eine falsche Richtung lenkt. Falsch ist hier in dem Sinne gemeint, dass man vor
allem in der Pubertät weder wirklich etwas von seinen persönlichen Interessen, der Einstellung
oder Meinung weiß und sich dann in ein Umfeld begibt, welches (worüber man sich bis dato
noch gar nicht im Klaren ist) völlig andere Interessen vertritt und auch eine ganz andere Haltung
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besitzt. Doch der innere Drang, zu etwas dazu zugehören und dem unbewussten Wunsch nach
Identifizierung verleiten uns kurzerhand etwas anzuschließen, um beide Triebe so schnell wie
möglich zu stillen und um unseren Platz bzw. unsere Rolle in der Gesellschaft zu finden.

Dieser prekäre Umstand ist der ungenügenden Auseinandersetzung von uns mit uns selbst
geschuldet, denn im Alltag wird man kaum damit konfrontiert, sich selbst zu suchen. Im
Gegenteil sogar, denn in unserer immer schneller werdenden Welt, für die ein unausgereiftes
Selbstportrait in jeder Hinsicht von Vorteil ist, geht es gar nicht mehr darum sich für sich
persönlich existentielle Fragen zu stellen und nach deren Antworten zu suchen. Genau hier kann
der Philosophieunterricht eine Anlaufstelle für die Schüler sein, die zum gegenwärtigen
Zeitpunkt mit der angesprochenen Problematik zu kämpfen haben. Die nötigen Informationen,
Fragen und auch die ein oder anderen Antworten zu dieser Thematik besitzt die Philosophie.
Jetzt gilt es nur noch über eine optimale Möglichkeit zu verfügen, all das den Schülern nahe zu
bringen und ihnen zu zeigen, dass der Philosophieunterricht der Ort für sie sein kann, an dem
sie die eben angesprochenen Fragen der Identitäts- und Rollensuche stellen, über sie diskutieren
und nachdenken können.

Der Philosophieunterricht sollte deshalb seine Chance und gleichzeitig auch seine Aufgabe,
welche er als einziges Schulfach hat solche persönlichen Themen, mit denen sich jeder Mensch
zu einem gewissen Zeitpunkt seines Lebens beschäftigt, mit den Schülern erarbeiten zu können
unbedingt wahrnehmen und vor allem aber ernst nehmen.

Denn der Bildungsplan sieht vor dieses Thema genau zu der Zeit zu unterrichten, in der die
pubertierenden Schüler sich selbst auch das erste Mal persönlich mit dieser Thematik
beschäftigen und sich auch davon betroffen fühlen. Denn es greift einen Umbruch in ihrer
eigenen Persönlichkeit auf, durch welchen sie plötzlich aus der Selbstverständlichkeit ihrer
Umwelt und sich selbst gegenüber aufwachen und alles um sie herum differenziert betrachten.
Sogar die Person im Spiegel die sie vielleicht gestern noch, ohne groß darüber nachzudenken
sofort identifizieren konnten, sehen sie nun und fragen sich zum ersten Mal selbst, wen sie da
eigentlich vor sich stehen haben.

Wulff D. Rehfus hat die Problematik unserer modernen Zeit der Identifizierung ebenfalls
erkannt und nannte sie Identitätsnot. Er erachtet es als die Aufgabe des Philosophieunterrichts
den Schülern diese Not bewusst zu machen und sie und entwickelte ein Konzept, welches er
methodische Ataraxie nannte. Diese Methode soll die Schüler vor der Erschütterung ihrer Welt-
und Selbstwahrnehmung bewahren, welche ihnen eventuell durch ihren neu gewonnenen
philosophischen Blickwinkel bevorstehen könnte. Diese Methode sieht vor, dass sich der
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Schüler von seiner Subjektivität befreit und den Perspektivenwechsel in eine Objektivität
durchführt. Dieser Wechsel soll ihm dabei helfen, sich selbst und seine Umwelt von einem
weitsichtigeren Standpunkt aus zu betrachten, um besser über all das reflektieren zu können.
(vgl. Rehfus 2019: S.47)

Deshalb sollten die Schüler von den philosophischen Gedanken und Erkenntnissen der
Philosophen, die sich intensiv und über lange Zeitspannen hinweg mit ein und derselben
Thematik beschäftigt haben, profitieren können indem die Lehrkraft ihnen durch den Unterricht
und die Aufarbeitung der philosophisch traditionellen Schriften beim Erforschen, Hinterfragen
und vor allem beim Reflektieren eine Hilfestellung bietet. Daraus ergibt sich, dass Rehfus´
Anspruch die Schüler wissensorientierter durch die Konfrontation mit den alten Schriften zu
Unterrichten durchaus seine Berechtigung hat. Denn das gesammelte Wissen dieser, Bilden den
Grundstein der Philosophie, welche die Basis der heutigen philosophischen Erkenntnisse bilden
und deshalb ein essenzieller Bestandteil dieser ausmachen und darum unbedingt im Unterricht
behandelt werden sollten. Selbstverständlich sind die Lehrpersonen dazu angehalten, diese
möglichst aufschlüsselnd mit den Schülern zu bearbeiten und die Schüler beim Verständnis der
Texte hilfeleistend zu begleiten, da logischerweise nicht von ihnen erwartet werden kann dies
selbstständig zu können, denn der hohe Schwierigkeitsgrad dieser Texte darf hierbei nicht
übersehen werden.

Um wieder auf das Lehr- und Hilfsangebot der Lehrkräfte zurück zu kommen, komplizierte
und allen voran die Schüler akut betreffende Themen wie eben die Identitätsfindung, kann diese
beispielsweise durch den ein oder anderen Denkanstoß passieren, welcher die Schüler
möglicherweise näher an das Geheimnis ihrer selbst bringen könnte. Oder ihnen gar nur zeigen
welche Fragen sie sich selbst stellen müssen, um auf den Pfad zu gelangen, der sie zu den
Antworten in sich selbst führen kann. Worauf es aber beim Philosophieunterricht prinzipiell
ankommt ist die Schüler dahingehend zu ermutigen, ihre durch die Philosophie neu
gewonnenen Erkenntnisse an sich zu überprüfen. Um dies zutun müssen sie sich aktiv an der
Wirklichkeit ausprobieren, da ihre theoretische Vorstellung hier an ihre eigene Grenze gerät,
sich nicht alles vorstellen zu können.

Das führt zu einer der Problempunkte in der Theorie von Wulff D. Rehfus, der den Schritt raus
aus dem Kosmos des theoretischen Unterrichts, rein in die praktische Umsetzung partout
ablehnt und als nicht philosophisch stigmatisiert. Das stellt in dem Sinne eine Problematik dar,
weil dadurch die Früchte, welche die Lernenden aus dem Unterricht für ihr Leben ernten sollen,
im Unterricht konserviert werden würden.
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Zwischen dieser Problematik und seiner gut begründeten Forderung der Auseinandersetzung
mit den von der Philosophie gegebenen Werkzeugen der traditionellen Schriften, lässt sich ein
Bezug herstellen. Neben der kritischen Reflektion der eigenen Gedanken, sollen die Lernenden
durch die antiken Texte auch ihr Handeln begründen lernen, was in gewisser Weise einen
Wiederspruch darstellt. Denn hier entsteht die Frage, wieso „[…] das eigene Denken und
Handeln zu begründen […]“ (Rehfus 2019: S. 43) nun doch von philosophischem Interesse ist,
wenn Handeln doch prinzipiell außerhalb des Aufgabenbereichs der Philosophie angesiedelt
ist? Doch dieses konträre Bild wird von Rehfus selbst, so scheint es, nicht erkannt und dem
wird deshalb im weiteren Verlauf seiner Theorie auch keine Beachtung mehr geschenkt.
Da Rehfus es verpasst, den Zusammenhang zwischen Praxis und Theorie in der Philosophie zu
erkennen und um seine Behauptung dennoch zu bekräftigen, einen Vergleich mit der Physik
anstellt (Rehfus 1986: S. 36-37), welche sich ja auch nicht mit nicht physikalischem beschäftigt,
kann dieses von ihm gewählte Beispiel gegen ihn verwendet werden. Denn in der Physik gibt
es sehr wohl eine Praxis, die zur Aufgabe hat, die Theorien der Physik an der Realität zu
überprüfen, nämlich das Experiment. Die Experimente stellen in diesem Vergleich das
Äquivalent zur Philosophiepraxis, also der praktischen Umsetzung des im Unterricht erlernten
philosophischen Wissens dar, was eine weitere Widerlegung seiner Behauptung darstellt.

Aus philosophischer Perspektive hat Rehfus hier natürlich recht, dass die Praxis der Philosophie
aus der Theorie besteht, jedoch ist diese Ansicht aus einer pädagogischen Sichtweise, für
welche der Wille den Schülern im Unterricht etwas Sinnvolles für ihn Leben mitzugeben von
hoher Bedeutung ist, als zweifelhaft zu betrachten. Denn hier muss man diesem übergeordneten
Ziel, den fest gefahrenen Vorstellungen von Philosophie, definitiv den Vorrang gewähren, da
der gesamte Unterricht an sich ziellos wäre, wenn von den Schülern nicht verlangt werden
würde, ihr gelerntes auch in ihrem Leben und Alltag umzusetzen. Daher lässt sich beanstanden,
dass er die Aufgaben der Philosophie, im Kontext des damit verbundenen
Philosophieunterrichts, zu passiv betrachtet.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bildet ein berechtigter Einwand von Wulff D. Rehfus der eine
gute Möglichkeit der Umgestaltung des Philosophieunterrichts darstellt, welche sich aus dem
bildungstheoretisch-identitätstheoretischen Ansatz ergibt, ist Rehfus´ Gegenargument dazu,
dass der Philosophieunterricht nicht so sehr an einen Dialog gebunden sein sollte. Wie bereits
in seiner Theorie dargestellt, bietet der verbale Austausch innerhalb des Unterrichts eine
Möglichkeit der Unterrichtsgestaltung, außerdem kann sich dadurch die Klasse gemeinsam als
Gruppe ein Thema erschließen, was die Bindung der einzelnen Schüler zu der Gruppe verstärkt
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und somit sicher auch eine soziologisch bzw. psychologisch positive Auswirkung auf die
Klasse als Gemeinschaft hat.

Dennoch sind Rehfus´ Bedenken, den Kommunikationszwang, der auf die Schüler dadurch
ausgeübt wird als kritisch zu betrachten, berechtigt. Denn gerade bei Themen wie der Pubertät,
Identitätsfindung und Rolle in der Gesellschaft, welche die Schüler auf einer so persönlichen
und direkten Ebene betreffen, sollten diese, die gerade dabei sind all das für sich selbst
herauszufinden, sich nicht dazu verpflichtet fühlen, einen mündlichen Beitrag leisten zu
müssen. Denn wie Rehfus in seiner Theorie richtig anmerkt, sprechen die Schüler viele
Erkenntnisse, die sie im Unterricht gewinnen gar nicht erst aus, was viele verschiedene Gründe
haben kann. Ein Schüler könnte etwas, erst viel später als seine Mitschüler verstanden haben
und sich aus Angst vor sozialer Ausgrenzung, weil sie ihn dadurch für weniger Intelligent halten
könnten, nicht mehr zur Thematik äußern wollen. Oder er hat eine so private Erkenntnis über
sich oder einen seiner Mitmenschen erlangt, die er aus persönlichen Gründen nicht mit allen
Mitgliedern des Unterrichts oder gar überhaupt keinem anderen Menschen teilen möchte.

Der Anspruch der Philosophie ist es unter anderem, die Schüler kritisches und reflexives
Denken zu lehren und es ist allseits bekannt, dass die Lehrkraft in unserem veralteten
Schulsystem dazu gezwungen wird, seine Schüler nach vorgegebenen Kriterien zu bewerten
und deren Fähigkeiten einzuordnen. Hierfür sucht die Lehrkraft natürlich nach Mitteln und
Wegen, um letzten Endes seine Arbeit zu machen, weshalb es verständlich ist, dass die
Lehrkraft versucht die Schüler dazu zu bringen, sich mündlich am Unterrichtsgeschehen zu
beteiligen und diesen dadurch voran zu bringen. Dieses Denken sollte aber nicht an ein
zwanghaftes Aussprechen seiner Gedanken gekoppelt sein.

Deshalb muss man hier fairerweise auch die Schuld beim Schulsystem suchen, das dieses die
Lehrer beinahe dazu zwingt, die Schüler zum Aussprechen ihrer Gedanken aufzufordern, um
diese dann nach vorgegebenen Normen und Vorschriften beurteilen, bewerten und einordnen
zu können.
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5. Schlussbemerkung
Abschließend lässt sich sagen, dass Rehfus Ansatz einige auch heute noch wichtige Ideen
beinhaltet, die obwohl seine Theorie bei weitem nicht mehr, neben dem von Ekkehard
Martens, der Einzige und Aktuellste ist, noch in den Philosophieunterricht eingebaut und falls
sie entfernt wurden, wieder integriert gehören. Aber es lässt sich auch Kritik an seiner
Hypothese ausüben, wobei man anmerken muss, dass sie in dieser Hausarbeit nur auf eines
von vielen möglichen Themen Anwendung fand. Generell lässt sich jedoch sagen, dass
höchstwahrscheinlich keine fachdidaktische Theorie auf allen Ebenen des Bildungsplans eine
maßgeschneiderte Anwendung finden wird. Es wird immer eine Mischung aus mehreren
Ansätzen gebraucht werden, um den Philosophieunterricht so fachlich und pädagogisch gut
wie möglichst durchführen zu können.
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6. Literaturverzeichnis

D. Rehfus, Wulff (2019): Der bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz, in: Martina


und Jörg Peters, Moderne Philosophiedidaktik (Hrsg.), Hamburg, Deutschland : Felix Meiner
Verlag, S. 37 – 51.

D. Rehfus, Wulff (1986) Der Philosophieunterricht: Kritik der Kommunikationsdidaktik und


unterrichtspraktischer Leitfaden, Stuttgart, Deutschland: Friedrich Frommann Verlag

Online Artikel: Paideia. (o.D.), unter: https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/paideia/1514


(abgerufen am 30.09.2019)

Online-Artikel: Seelhorst, Bernhard: Herausforderung der Philosophie- und Ethikdidaktik.


Hinweis aus Sicht der Unterrichtspraxis, in: Information Philosophie, 2015, unter:
http://www.information-philosophie.de/?a=1&t=8294&n=2&y=1&c=66 (abgerufen am
29.09.2019)
16

7. Eigenständigkeitserklärung

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