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Mit freundlicher Genehmigung von Mushin - www.mushin.de

Der Preis der Sicherheit


Vortrag von Mushin während des Winterseminars 2003/2004 (30.12.2003)

Jede Sicherheit hat einen Preis.


Sei es die Sicherheit, was dich selbst betrifft; die Sicherheit, was dein Leben und deine Zukunft betrifft
und die Sicherheit, die all deine Beziehungen betrifft: zu deinen Liebsten, deiner Familie, deinen
Kindern.
Sicherheit hat einen sehr hohen Preis. Du musst die Gegenwart unter Kontrolle halten und das hat
einen hohen Preis. Der Preis ist deine Lebendigkeit, du zahlst mit deiner Freiheit; der Preis ist deine
Gegenwärtigkeit, deine Präsenz. Und du zahlst auch den höchsten Preis: Mit deiner Offenheit.

Vor 18 Jahren hatte ich zum ersten Mal die konkrete Erfahrung, dass alles eins ist. Das war während
einer Gruppe von Michael Barnett in Kopenhagen. Plötzlich spürte, fühlte, empfand ich: Alles ist eins.
Ein anderes Mal hatte die Empfindung, die Welt aus dem Zentrum des Universums zu betrachten.
Und ich hatte die Erfahrung, in den Ursprung aller Dinge zu fallen. Und noch viele andere tiefe und
weniger tiefe Erfahrungen, die den Kern unserer Existenz zu enthüllen schienen.
Warum habe ich ab jenem Moment kein erleuchtetes Leben geführt?
Ich wollte Sicherheit.
Ich wollte die Sicherheit, dass das was ich erfahren und erlebt hatte, auch tatsächlich so ist. Ich wollte
mir meiner selbst sicher sein. Und ich habe den Preis bezahlt, viele, viele Jahre lang, ich zahlte mit
meinem Leiden an der Unsicherheit und mit dem kontinuierlichen Kampf um Sicherheit.
Ich zahlte mit der Sehnsucht danach, dass mein Lehrer mir sagt: „Ja, Mushin, du hast es.“ Ich wollte
die Sicherheit der Bestätigung meines Lehrers, die Sicherheit, dass ich jetzt gut bin, die Sicherheit,
dass ich richtig bin, die Sicherheit, dass ich jetzt erleuchtet bin.
Also habe ich den Preis bezahlt.
Und der Preis war Leiden.

Ich wollte meinen Zustand unter Kontrolle haben. Ich dachte, ich hätte endlich Sicherheit, wenn ich
kontinuierlich im selben Zustand wäre. Wenn ich kontinuierlich im Zustand der Alleinheit, des
Erfahrens der Quelle aller Phänomene wäre. Und ich habe den Preis bezahlt, mit meiner
Lebendigkeit, mit Abhängigkeit und mit Misstrauen meiner Wahrnehmung, dem Leben und allen
Menschen gegenüber.
Wenn etwas wirklich weh tut, dann ist das Misstrauen: Nichts schmerzt die Seele mehr.
Als ich zum ersten Mal mein Misstrauen dem Leben, der Welt, der Erfahrung gegenüber, die ich
tatsächlich mache, wahrgenommen habe, musste ich stundenlang weinen. Es hat mir unendlich
wehgetan. Der Preis von Sicherheit ist Misstrauen.

Du vertraust deiner Erfahrung nicht. Du vertraust nicht dem, was dir ins Gesicht sieht. Du vertraust
deinem Körper nicht. Du vertraust dem nicht, was das Leben dir bringt. Du vertraust den Besuchern im
Gasthaus deiner Wahrnehmung, deines Gewahrseins nicht. Alles was geschieht, alles was mit dir
passiert, muss unter Kontrolle gebracht werden, denn du vertraust dem Leben und Geschehen nicht.
Du musst es einpacken, musst es ungefährlich machen. Denn alles was geschieht, könnte dich
umwerfen. Du könntest auseinander fallen. Du könntest das Universum ganz nackt sehen, so wie es
ist.
Also flüchtest du in irgendwelche Gewissheiten, irgendwelche Ideen, irgendwelche Gedanken, in die
Sicherheit, die dir das Wissen geben soll: Das ist das und jenes ist so. Und dein Bedürfnis an
Sicherheit verstellt dir den Blick für das, was in diesem Moment wirkt, weil du davon nicht umgeworfen
werden möchtest. Denn das könnte womöglich geschehen.
Nur unter der Vorbedingung, zu wissen was jetzt geschieht, lässt du dich überhaupt darauf ein. Wenn
du weißt, wenn du denkst, wenn du hoffst, dass dieser Moment dir eine wundervolle Erfahrung
beschert, dann lässt du dich – vielleicht – darauf ein. Aber wenn du offen wärst fürs Unsichre, könnte
es dich umwerfen und in eine Dimension versetzen, von der du keine Ahnung hast – nicht mal die
Idee, dass sie existiert. Von der noch kein Lehrer, kein Meister, noch nicht einmal der Buddha
persönlich gesprochen hat. Dass du nicht in diese Dimension eintauchst oder dich ihr überlässt, auch
das ist der Preis, den du für deine Sicherheit bezahlst.

Also habe ich 16 Jahre nach der ersten Erfahrung, die mir bereits alles Wesentliche und Notwendige
gezeigt hatte, weiter gesucht. Eigentlich brauchte ich nicht mehr zu überprüfen, ob alles eins ist, denn

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ich hatte das ja bereits erfahren. Aber mein Misstrauen war stärker. So könnte man sagen, dass ich in
all diesen Jahren nichts anderes getan habe, als zu lernen zu vertrauen. Zu lernen, offen zu sein für
das, was kommt und mich vom Geschehen umwerfen, schmelzen, umkehren zu lassen – mich
zerreißen zu lassen.
Mein Bedürfnis nach Sicherheit war enorm. Meine ganze Suche nach Erleuchtung war nichts anderes
als die Suche nach Sicherheit, nach endgültiger Sicherheit. Und nur, weil ich irgendwann angefangen
habe, dem zu vertrauen, was ich sehe, was ich höre, was ich spüre und empfinde, war es überhaupt
möglich, dass das Leben, das Tao, der ursprüngliche Geist oder wie du es auch immer nennen willst,
mich vollkommen desillusioniert hat. Wenn ich an der Vorstellung, der Sicherheit festgehalten hätte,
dass Erleuchtung so und so sein muss, wäre es nicht möglich gewesen, dass ich vollkommen
desillusioniert wurde. Und auch das, was mir nach dieser Desillusionierung geschehen ist, wäre nicht
möglich gewesen.

Die Desillusionierung, die ich „umfassende Ernüchterung“ nenne, war der Anfang einer extrem
unsicheren Reise, auf der ich mich seither befinde. Im Gegensatz zu anderen, weiß ich die Antworten
nicht. Alles was ich wissen muss, zeigt sich mir im Augenblick, nicht an irgendeinem anderen Tag
oder zu einer anderen Stunde. Ich muss nichts anderes wissen als das, was ich in diesem Moment
und unter diesen Umständen brauche. Man könnte sagen, dass sich auf dieser Reise meine
Kapazität, Unsicherheit zu ertragen, stetig erweitert. In dieser Unsicherheit gilt es, nicht die Augen zu
verschließen und zu sagen: „Nein, es ist eigentlich gar nicht dunkel,“ sondern es gilt, die Augen
aufzumachen und zu sagen: „Ja, es ist dunkel: Ich weiß nicht… aber ich sehe dem ins Gesicht.“
Wir zahlen alle einen hohen Preis für Sicherheit, aber kann man wirklich mit Unsicherheit leben?
Wenn wir Kinder sind, brauchen wir Sicherheit. Dazu sind Papa und Mama da, um uns Sicherheit zu
geben. Aber wenn wir erwachsen sind, sollte das eigentlich nicht mehr so sein müssen. Und ich
verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es keinen Papa-Gott oder eine Mama-Göttin gibt. Es gibt
keinen Papa-Mama-Gott, der einem Sicherheit verschaffen kann. Ja ich glaube und habe Erfahrungen
gemacht, die darauf hindeuten, dass es Gott gibt. Aber das hat nichts mit Papa oder Mama zu tun…

Dieser Papa-Mama-Gott ist eine Vorstellung dessen, was gemeinhin Ego genannt wird, jener Stimme
in dir, die fortwährend versucht, Sinn und Sicherheit zu erzeugen. Das ist seine Aufgabe – sein Ziel.
Es liest die Muster, die sich ihm zeigen und ordnet sie anhand von Erinnerungen, Begriffen und
Überzeugungen ein… und versucht diese dadurch abzusichern, dass es alles auf sich selbst als
Mittelpunkt allen Geschehens bezieht und entsprechend einordnet. Und das ist gut so, denn auf diese
Weise wird unser menschliches Zusammenleben in geordnete Bahnen gelenkt: eine gewisse
Vorhersehbarkeit im Alltag ist notwendig für das zivilisierte Überleben in der hochkomplexen
Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts.

Das ist ein Widerspruch in sich: Das Ego, das Ich erzeugt fortwährend Sinn und dadurch eine gewisse
Sicherheit und zugleich ist es eine Wunde, denn wenn wir sehen, wie viel Misstrauen gegenüber
unserem Körper, unseren tatsächlichen Empfindungen und Erfahrungen dahinter steckt, spüren wir
Schmerz – einen tiefen Schmerz: das Leiden, das eine in der eigenen Sicherheit gefangene Existenz
hervorruft. Denn die tiefste aller Unsicherheiten findet in der Frage Ausdruck: „Bin ich?“ Es ist die
Furcht vor dem Nichts, vor der Auslöschung der eigenen Existenz. Das kann einem sogar schlimmer
vorkommen als der Tod: Alles könnte sich jederzeit spurlos auflösen, so als hätte es nie existiert.
Das Ich ist sich seiner selbst und der Welt sehr, sehr unsicher.

Wenn wir also unsere Sicherheit auf einem Ich aufbauen, ist sie auf Sand gebaut. Und tief in unserem
Innersten ahnen wir das. Diese Ahnung ist eine Quelle des Schmerzes und das Ich versucht ihn zu
kurieren, indem es überall nach einer Quelle endgültiger Sicherheit sucht. Frieden mit dieser
Unsicherheit findet das Ich erst, wenn es nicht mehr versucht, diese zu leugnen. Frieden entsteht erst,
wenn du angesichts dieser Unsicherheit keine Festung vermeintlicher Sicherheiten mehr baust, kein
künstliches Gebäude des Wissens, der Erkenntnis, der Erinnerung, in dem du dich verschanzt.
Und das Ich misstraut seiner Wahrnehmung, seinen Gefühlen, seinen Empfindungen, denn wie alles
andere sind sie vergänglich und bieten keine bleibende Sicherheit. Und widersprüchlich, wie es ist,
haftet es zugleich auch an allerlei Wissen, Erkenntnissen und Erinnerungen, die es sich angeeignet
hat und die es, zeitweise zumindest, für wahr nimmt. Wenn dann einer dieser Festungsbausteine, auf
dem seine vermeintliche Sicherheit beruht, zerbröselt, ersetzt es sie schnellstens mit einem neuen
Stein. Das Ich ist wie eine Baustelle, die andauernde Arbeit und Aufmerksamkeit erfordert, damit das
ganze, vermeintlich sichere Gebäude seiner Existenz nicht kollabiert.

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Wenn ein Kind die Sprache lernt, spricht es zunächst von sich in der dritten Person. Aus dem Strom
des Gewahrseins, in dem es an sich weder Subjekt noch Objekt gibt, mendeln sich die Erste Person
Singular und sein Umfeld heraus. Und ab diesem Moment bestückt sich das Ich nach und nach mit
bestimmten Charaktereigenschaften, Talenten und Problemen, mit Wissen, Erkenntnissen und
Erinnerungen, in dessen Zentrum es steht und als dessen Ursprung es sich imaginiert.
Diese Bewegung, das Entstehen eines Ich aus dem Strom des Gewahrseins ist ein natürlicher
Prozess und die Eltern unterstützen diesen Prozess mehr oder weniger gut. Geht alles gut und
verschaffen sie dem Kind genügend Festigkeit und Sicherheit, dann entwickelt es ein mehr oder
weniger gesundes Selbstgefühl und Ich. Nach und nach verlegt es Papa und Mama in die eigene
Psyche und erzeugt selber – im so vorgegebenen Rahmen – Sicherheit, Selbstwert und ein robustes
Ego, mit dem es in der Welt, wie sie sich ihm nun bietet, zurecht kommt.
Aber – und in seinen Tiefen ahnen viele Menschen das auch – das Ganze ist ein Konstrukt, ein
wirksames, natürlich, aber dennoch keines, das wirklich sicher ist.
Sicherheit, vermeintlich oder nicht, hat ihren Preis. Der Preis ist Offenheit, Lebendigkeit und Freiheit.
Das Ich, dass eine Sicherheit aufrecht zu erhalten sucht – das Ganze muss ja schließlich einen Sinn
haben, nicht wahr? – trennt alle Wahrnehmungen und Erfahrungen fein säuberlich in solche, die es
stützen und solche, die es aushebeln könnten. Es hat an die Pforten der Wahrnehmung einen
Wächter geschickt, der sagt: „Das nehme ich wahr und das keinesfalls… es würde nur Unsicherheit
schaffen.“

Offensein heißt ja auch, all das auszuhalten, was da in dir und um dich herum geschieht, und nichts
zu beschönigen oder abzuwerten, sondern allem zu erlauben, sich seiner Natur gemäß zu entfalten.
Lebendigkeit ist auch ein Wort für Intensität, Unvorhersagbarkeit und somit Unsicherheit. Du erlaubst
den Phänomenen dich im Kern zu berühren, dich zu erheben, dich zu erschüttern, dir gleich gültig zu
sein, dich zu faszinieren usw. usf.. Und Freiheit bedeutet in diesem Zusammenhang, frei zu sein für
das Ungewisse, das Unbekannte, das was du noch nie erlebt, gesehen, gedacht, gespürt, empfunden
hast.

Wenn du bei deiner Suche nach Sicherheit nichts ungetan gelassen hast und dein Scheitern
schließlich ganzkörperlich hinnimmst, wenn du akzeptierst, dass es keine endgültige Sicherheit gibt,
dann findest du – Frieden. Du findest Vertrauen, Vertrauen in das unergründliche Mysterium, aus dem
du entsprungen bist und schon immer eingebettet warst. Wenn du schließlich vor der Wirklichkeit
kapitulierst und deine Lage anerkennst, siehst du, dass es keinen Sinn gibt, den irgend ein Gott oder
sonst wer diesem Universum eingeimpft hätte und das, wie Heraklit schon vor über zweitausend
Jahren sagte: „Alles fließt“; nicht irgendwo her und irgendwo hin, sondern seiner Natur gemäß.
Es kommt mir zwar so vor, als habe das Universum, wie es sich uns Menschen darstellt, eine Neigung
zu Wahrheit, Schönheit, Liebe und Seligkeit, aber das ist nicht sein Sinn. Nichts geschieht, damit
etwas anderes geschieht, sondern weil alle gegenwärtigen Bedingungen dem Fluss der Phänomene
seine derzeitige Richtung geben. Wie viel Sinn, Zweck und scheinbare Sicherheiten man auch
erzeugen mag, das Ganze, der Kosmos ist grundlos vorhanden.

Frieden inmitten der tiefsten Unsicherheit ist möglich, wenn man sich ihr nicht widersetzt. Sich dem
Mysterium jetzt – wann sonst? – zu überlassen und daraus zu schöpfen ist möglich, wenn man auf
jegliche künstliche Sicherheit verzichtet. Für das Grund- und Bodenlose, in dem alle Phänomene ihr
Dasein feiern, zu erwachen ist möglich, wenn du dir und deinem Bedürfnis nach einer letzten
Sicherheit und seine Unerfüllbarkeit ehrlich und vorbehaltlos ins Gesicht blickst.

Diese Unsicherheit ist der Wegbereiter für eine tiefere Sicht, in der das Ich nur noch eine
untergeordnete Rolle spielt und sich so etwas wie eine Intelligenz, Liebe und Schönheit jenseits allen
Begreifens enthüllt. Und so ergibt sich aus dieser voll und ganz akzeptierten, nein, umarmten
Unsicherheit eine heitere Gelassenheit, die nichts wissen muss und alles weiß, was notwendig ist, die
nichts erfahren muss und alles erfährt, was ihr gut tut, die nichts haben muss und alles hat, was sie
braucht.

Inmitten der existenziellen Unsicherheit erblüht die Blume des Vertrauens in das Leben, in das
Schicksal und alles, was uns zugefallen ist, was uns zufällt und noch zufallen wird.

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