1. Vorlesung am 17.09.2021
WS 21 Valerie Boswell 1
Aufgaben der Entwicklungspsychologie und Begrifflichkeiten:
Ad.: Ätiologie
Das Wissen über den ursächlichen Zusammenhang ist wichtig für eine angemessene Intervention bei
möglichen Fehlentwicklungen (auch Ressourcen!)
- Anamnese
- Explorative Gespräche
- Einholen von Informationen
- Beobachtungen
- Verstehen des Familiensystems
Bsp.: Kind 12 Jahre leidet an Depression – hat durchgehend Abwertung durch die Mutter erlebt – geringer
Selbstwert/negatives Selbstbild
Ursachenforschung ist in der Praxis ein ganz wichtiger Punkt!
WS 21 Valerie Boswell 2
Einflussfaktoren und Kontexte von Veränderung
- Die individuelle Entwicklung ist in ihrem Verlauf fluide bzw. nicht festgelegt
- In Abhängigkeit von internen und externen Einflussfaktoren
- +) Resilienz (=Widerstandsfähigkeit) dh. Die erfolgreiche Lebensbewältigung trotz negativer
Entwicklungsbedingungen
- -) Vulnerabilität (=Verletzbarkeit) Individuelle Bereitschaft unter Risikobedingungen einen negativen
Entwicklungsverlauf einzuschlagen
- Welche Internen/externen Einflussfaktoren gibt es?
Extern: Freundeskreis, Finanzielles, Familie,
Intern: eigenen Erwartungen und Ziele, persönliche Einstellung: bin ich ein optimistischer/
positiver Mensch oder pessimistischer/negativer Mensch, Persönlichkeitsfaktoren
Motorische Entwicklung
Frage: was ist an diesem Beispiel quantitativ? Das körperliche Wachstum des Kindes in Zentimetern; wie
lange die verschiedenen Phasen dauern; wie häufig das Kind welche Aktionen ausübt; vor allem: das Alter,
Kilo, … alles was man in Zahlen erfassen kann
WS 21 Valerie Boswell 3
PRÜFUNGSFRAGE: Merkmale von Veränderungen – TEMPO
Akzeleration: beschleunigt Entwicklung verfrühtes Auftreten von Merkmalen
Retardation: verzögerte Entwicklung verspätetes Auftreten von Merkmalen
• Der Rückstand wird bis zu einem bestimmten Alter aufgeholt
Progression: Überspringen eines Stadiums
• In eine Entwicklungsphase kommen, die dem Alter noch nicht entspricht, kann eine Überforderung
mit nachhaltigen Störungen bedeuten
Regression: Zurückfallen auf ein früheres Stadium
• Eine häufige Form zur Verarbeitung emotionaler Belastung
• Hängt oft mit Main Events zusammen
Eselsbrücke: Alles was Stadium ist hat Endung -gression – alles andere ist ein Merkmal also Akzeleration und
Retardation – wenn es verzögert ist dann Retardation (re für Rückwärts)- wenn beschleunigt Akzeleration.
Das Neugeborene
Reflexe des Neugeborenen:
- Tonische Reflexe überwachen die Lage des Körpers im Raum, bestimmen die Stellung der
Körperteile zueinander und regulieren die Tonusverteilung der gesamten quergestreiften
Muskulatur:
o Handgreifreflex: Bei Berühren der Innenhand erfolgt Faustschluss mit eingeschlagenem
Daumen (bis zum Handstütz etwa 4-6. Monat)
o Schreitreaktion: Bei Berührung der Fußsohlen mit der Unterlage wird eine
„Schreitbewegung“ mit Spitzfuß ausgelöst (bis etwa 3. Monat)
- Reflexe, die dem Ernährungsvorgang dienen (als tonische Mundreaktionen) und in der Regel im 3.
Lebensmonat verschwinden:
o Saugreflex: Saugbewegung bei Berühren der Lippen/ des Gaumens
o Schluckrefelx: Beim Trinken auslösbar
o Suchrefelx: Bei Wangenberührung wendet sich der Kopf zum Reiz und der Mund wird
geöffnet
WS 21 Valerie Boswell 4
- Kopfdrehpräferenz
o Zwischen 1.-4. Lebensmonat möglich
o Reizpräsentation (Olfaktorisch/auditiv)
- Hörpräferenz und Saugpräferenz
o Differenzieren Mutter und andere Frauen
Entwicklung der Wahrnehmung
WS 21 Valerie Boswell 5
Die vier unterschiedlichen Bindungstypen
WS 21 Valerie Boswell 6
Der Erwerb der Theory of Mind (ToM)
- ToM: Fähigkeit, sich selbst und anderen mentale Zustände (Handlungsabsichten, Denken, Wissen)
zuzuschreiben und diese zu verstehen
- Das Wissen das es mehrere Mentale Zustände gibt und das Menschen anders denken
- Handlungsabsichten, Emotionen und Wünsche anderer werden ab dem 2. Lj verstanden
- Handlungsabsichten bereits ab dem 1. Lj verstanden
- Erkennen, dass andere nicht die gleiche Weltsicht haben müssen und daher so handeln, wie es ihrem
Wissensstand entspricht
- Welche, Werte, Ansichten, Wissenstands hat eine andere Person und wie weicht das von meinen
eigenen Handlungen ab
WS 21 Valerie Boswell 7
Die Maxi-Geschichte (nach Wimmer und Perner, 1983)
- Kein standardisiertes Testverfahren sondern eine Möglichkeit zu prüfen wo sich das Kind in der
Theory of Mind gerade befindet
- Ein Kind, welches über Tom verfügt also „der Mensch hat ein anderes Wissen als ich“ wird sagen,
dass Maxi im grünen Schrank nach der Schokolade suchen wird, weil sie für Maxi denken können
und Maxi ja schließlich nicht wissen kann, dass die Mutter die Schokolade weggeräumt hat sondern
nur das beobachtende Kind
- Ergebnis:
o Kinder unter 3 ½ Jahren antworten falsch
o Kinder ab 4 Jahren geben meist die richtige Antwort (emotionale Empathie)
False-Belief Problem: Smartie Task
- Die Einsicht das eine Person eine falsche Meinung bzgl. Eines Sachverhaltes hat
o Sie können nicht auf die Falschaussage zurückgreifen
- Ergebnis:
o 3 Jährige Bleistift (auf beide Fragen bezogen)
o 4 Jährige konnten ihre falsche Antwort in Bezug nehmen (Smarties)
WS 21 Valerie Boswell 8
o Es gibt also eine gewisse Zeit/ Phase, indem das Kind einen reifezustand erlangt, wo Sachen
besser oder schlechter gelernt werden können
o Bsp.: Erwerb der Blasenkontrolle des Kindes ohne viel Aufwand der Eltern -> zu früher Versuch
-> langwierig oder scheitern
- Sensible Perioden/ Phasen
o Entwicklungsabschnitte, in denen spezifische Erfahrungen maximale positive/negative
Wirkungen haben -> erhöhte Plastizität unter dem Einfluss spezifischer Bedingungsfaktoren
o Spezifische Erfahrungen haben maximale Wirkung
o Zeitfenster in der kindlichen Entwicklung (Bsp.: Sprache) mühelos erlernt werden kann
- Montessori Konzept – zB zeichnen eines Kindes wird stark gefördert
- Prägung
o Experiment mit Graugänsen (Konrad Lorenz)
o Prägungsbegriff:
Prägung wird als einmaliger, irreversibler Vorgang definiert, der nur während einer
kurzen Zeitspanne – bald nach der Geburt stattfinden kann
Ausdehnung des Prägungskonzepts von Gänsen auf die Humanentwicklung
Soziale Bindung (Bonding nach der Geburt)
- Kritische Lebensereignisse
o Trennung der Eltern, Tod eines nahestehenden Menschen, Eintritt in den Kindergarten/
Schule, Geburt des Geschwisterchens, Arbeitslosigkeit
o Führen zu: Problemen; Verlusten; Sozialen Konflikten; Belastenden Emotionen; Möglichen
Gewinn, wenn KL bewältigt wurde. Nur möglich durch den Aufbau neuer Kompetenzen/
Ereignissen; Können zu psychischen Störungen aber auch Entwicklungsgewinn führen (wenn
sie „erfolgreich“ bewältigt wurden!)
- Resilienz und Vulnerabilität (rein internale Faktoren) können helfen, kritische
Lebensereignisse zu überstehen
o Kritische Lebensereignisse Differenzierung:
1. Normativ kritische Lebensereignisse
Mehr oder weniger eng an ein Lebensalter gebunden, meist vorhersehbar (Eintritt in die
Schule)
2. Nicht normativ kritische Lebensereignisse
Auftreten in jeder Lebensphase möglich, keine präventiven Maßnahmen vorhanden
(plötzliche Scheidung der Eltern)
3. Historisch kritische Lebensereignisse Situationen
Sozial und historisch von großer Bedeutung sind (Covid)
WS 21 Valerie Boswell 9
Entwicklungsaufgaben-Konzept
- Das Konzept Entwicklungsaufgabe (EA) wurde ursprünglich von R.J. Havighurst in
den 40er Jahren konzipiert.
- EA stellen im Grunde Lernaufgaben dar, die sich über die gesamte Lebensspanne
erstrecken und zum Erwerb von Fertigkeiten und Kompetenzen führen
- EA beschreiben, welche Themen für ein bestimmtes Alter eine besondere
Wichtigkeit haben
- Die zeitliche begrenzten EA -> wen sie nicht bewältigt werden -> nachhaltige
Auswirkungen
- Die Bewältigung der EA ist essenziell für die erfolgreiche Entwicklung
- Die EA entstehen durch gesellschaftliche Anforderungen und Erwartungen
(Bsp.: Auszug aus dem Elternhaus in einem bestimmten Alter)
- Je nach Altersklasse kommt also eine andere Entwicklungsaufgabe
WS 21 Valerie Boswell 10
Womit setzt sich das Individuum auseinander und was sind die Quellen:
PRÜFUNGSFRAGE: Skizzieren Sie in Kürze Havighurst Konzept von Entwicklungsaufgaben wodurch sind sie
determeniert, wer setzt sich damit auseinander und worum geht es / was sind die Effekte?
Entwicklungsaufgaben – Altersbereiche
- Havinghurst strukturiert den Lebenslauf in Altersbereiche
- Er definiert 6 Etappen – in. Denen jeweils spezifische Entwicklungsaufgaben bewältigt sind
o Frühe Kindheit (bis 6 Jahre)
1. Gehen lernen
2. Lernen, feste Nahrung aufzunehmen
3. Sprechen lernen
4. Kontrolle der Körperausscheidungen
5. Geschlechtsunterschiede und sexuelles Schamgefühl erlernen
6. Begriffsbildung zur Beschreibung sozialer und physikalischer Realität
7. Bereitwerden für das Lesen lernen
8. Zwischen „richtig“ und „falsch“ unterscheiden (Gewissensenwicklung)
Das alles muss bewältigt werden damit es zu Kompetenzerweiterung kommt
o Mittlere Kindheit (6-12Jahre)
1. Erlernen körperlicher Geschicklichkeit (für gewöhnlich Spiele)
2. Aufbau einer positiven Einstellung zu sich als einem wachsenden Organismus
3. Lernen, mit Altersgenossen zurechtzukommen
WS 21 Valerie Boswell 11
4. Erlernen eines „angemessenen“ sozialen Rollenverhaltens
5. Entwicklung grundlegender schulischer Fertigkeiten
6. Entwicklung von Konzepten und Denkschemata
7. Entwicklung von Gewissen und Moral und einer Wertskala
8. Entwicklung von Einstellungen gegenüber sozialen Gruppen und Institutionen
WS 21 Valerie Boswell 12
- Das Kind setzt sich also aktiv mit seiner Umwelt auseinander
- Es gibt sowohl Vererbung als auch Umwelt
Kognitive Denkaufgaben-Definitionen:
WS 21 Valerie Boswell 13
Konservationsaufgaben nach J.P.
Strukturgenetischer Ansatz
- J.P. ist Interaktionist: sowohl Vererbung als auch Umwelt spielen eine Rolle
- Kind ist ständig bemüht neue Problemlösestrategien zu entwickeln, um sich mit seiner Umwelt
auseinanderzusetzen und Aufgaben zu bewältigen
- Motor dafür ist die Äquilibration -> Streben nach Gleichgewicht zw. Organismus und der Welt
- Entwickelt
o Stadienunabhängige Theorie
PRÜFUNGSFRAGE: Ein Kind sagt XY mit dem und dem Wissen hat es bereits Assimiliert oder
ist das schon die Akkommodation?
o Stadienabhängige Theorie
WS 21 Valerie Boswell 14
Ad.: Piagets Entwicklungsstufen:
1.)
WS 21 Valerie Boswell 15
Bsp.: Rouge-Test (18-24Mon.)
- Im Gesicht des Kindes wird ein roter Tupfen appliziert, anschließend führt man es vor einen Spiegel
und beobachtet seine Reaktion
- Nimmt das Kind sich selbst „als sich selbst“ im Spiegel wahr?
- Kriterium für das Selbsterkennen: Das Kind bezieht den Punkt, den es im Spiegel sieht, auf sich. Es
zeigt, dass es sich selbst im Spiegel entdeckt hat, zB durch den Versuch, den Punkt im eigenen
Gesicht wegzuwischen, oder durch verbale oder mimische Reaktionen.
2.)
WS 21 Valerie Boswell 16
3.)
4.)
WS 21 Valerie Boswell 17
Schlussfolgerung zur Stufentheorie:
- Piagets Grundidee ist von zentraler Bedeutung in der Entwicklungspsychologie und Pädagogischen
Psychologie
- Das Kind wird nicht als passiver Empfänger und Speicher von Information gesehen, sondern als
aktives Individuum
- Das Weltbild des Kindes unterscheidet sich grundlegend von dem Erwachsener
- Das jeweilige Entwicklungsniveau setzt dem Verständnis und den Lernmöglichkeiten klare Grenzen
- Man kann dem Kind nur dann etwas Neues beibringen, wenn es von seinem Entwicklungsstand her
dazu bereit ist
WS 21 Valerie Boswell 18
Urvertrauen vs. Urmisstrauen (1. LJ)
- Urvertrauen ist etwas Basales und muss im 1. LJ aufgebaut werden
- Es entsteht aus der Erfahrung der überwiegenden Übereinstimmung zwischen der Welt und den
persönlichen Bedürfnissen
o Bsp.: Kind weint -> bekommt Aufmerksamkeit
- Die Schädigung des Urvertrauens kann zu nachhaltigen Problemen führen -> Rückzug auf sich
selbst, Entfremdung, Depression -> ersten Anzeichen in der Adoleszenz erste Anzeichen im
Erwachsenenalter
WS 21 Valerie Boswell 19
- Unbefriedigende Identitätsfindungen zeigt sich später in -> „ewiger Pubertät“ und voreiliger
Begeisterungsfähigkeiten für Veränderungen
- Marcia (1966) postuliert vier Teilphasen der Identitätssucher (später)
WS 21 Valerie Boswell 20
3. Kritische Identität
- Die Jugendlichen sind in einer Krise; sie bemühen sich – bisher ohne Erfolg – um einen eigenen
Standpunkt
- Der Einfluss der elterlichen Einstellungen ist noch spürbar, doch sind die Jugendlichen relativ
unabhängig von ihren Eltern
- Austesten von Rollen -> Austesten verschiedener Arten eines Selbst
- Nonkonformes „wildes“ Aussehen gilt als Zeichen für den Kampf um die eigene Identität
4. Erarbeitete Identität
- Nach intensiver Auseinandersetzung (Krise) haben Jugendliche Eigene Standpunkte
- Differenzierte Vorstellungen über Familie und Beruf
- Überzeugungen hinsichtlich politischer und ideologischer Orientierung
- Verantwortungsvolles Verhalten
WS 21 Valerie Boswell 21
WS 21 Valerie Boswell 22