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Trendbericht

Anorganische Chemie 2002


In der anorganischen Molekülchemie sind Mehrfachbindungssysteme, Kationen und

„stabile“ Radikale wieder stärker ins Rampenlicht gerückt. Aktivierung kleiner Moleküle

und Sensorik mit Metallkomplexen sind zwei Forschungsschwerpunkte der Koordinations-

chemie. Die Suche nach biomimetischen Modellverbindungen geht weiter; Taktgeber des

Fortschritts in der Bioanorganischen Chemie ist weiterhin die Proteinkristallographie.

1. und 2. Hauptgruppe (E = Si, Ge). Strukturell ist (1) eng


Hauptgruppen- mit der Heterodimetall-Verbindung
elemente  Ein Schwerpunkt auch in diesem [(LiSiiPr2)2Hg] verwandt;3) in dieser
Jahr sind synthetisch wertvolle und liegen aber zwei Typen von Silicium-
 Die Chemie molekularer Verbin- strukturell interessante mehrfach Metall-Bindungen vor, die sich in ih-
dungen der Hauptgruppenelemente metallierte Spezies. Bei den Homodi- rer Reaktivität deutlich voneinander
ist auch in diesem Jahr geprägt von der metall-Derivaten sind das Dilithium- unterscheiden. So geht die Li-Si-Bin-
Synthese oder zumindest der Erzeu- germandiid (tBu2MeSi)2GeLi2 (1)1) dung für Silanide typische Metathese-
gung und dem Nachweis von Verbin- sowie eine Reihe von a,x-Dikalium- reaktionen ein, während die Hg-Si-
dungen, in denen die Elemente in un- oligosilaniden2) vor allem zu erwäh- Bindung sehr leicht homolytisch ge-
gewöhnlichen Bindungssituationen nen. Letztere sind leicht und in ho- spalten wird. Mulvey et al. konnten
vorliegen. Während es um Clusterver- her Ausbeute durch Metallierung in den vergangenen Jahren zeigen,
bindungen ruhiger geworden ist, sind aus a,x-Bis(trimethylsilyl)-substitu- dass Mischungen von Organoalkali-
Mehrfachbindungssysteme, Kationen ierten Vorstufen mit KOtBu zu ge- und -erdalkalimetallverbindungen
und „stabile“ Radikale wieder mehr winnen; sie wurden zur Synthese mit Aminen eine mehrfache regiose-
ins Rampenlicht gerückt. Erkennbar von Metallacyclen eingesetzt. Ver- lektive Deprotonierung von Arenen
ist eine immer stärkere Rückkopplung bindung (1) entsteht durch Metallie- und sogar Ferrocen ermöglichen.
zwischen Experiment und Theorie. rung eines Germacyclopropens und Das entstehende Polyanion des Koh-
Immer aufwendigere Rechnungen eröffnet über die Metathese mit Di- lenwasserstoffs wird dabei in einem
und Experimente helfen uns zu ver- halogeniden einen Zugang zu un- „inversen Kronenether“ stabilisiert.
stehen, wie Reaktionen ablaufen und symmetrisch substituierten Hetero- In diesem Jahr gelang ihnen mit ei-
wie Substanzen aufgebaut sind. alkenen des Typs (tBu2MeSi)2Ge=ER2 nem ähnlichen Reagenz die Dehy-

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Anorganische Chemie Magazin 259

drierung von Diethylamin. Der ent-


stehende inverse Kronenether
[Mg2Na2(NiPr2)4]2+ beherbergt nun
aber kein Carbanion, sondern zwei
Hydrid-Ionen ((2)).4)
Tripeldecker-Sandwichkomplexe
von Übergangsmetallen sind relativ
häufig, entsprechende Derivate der Singulett-Diradikal handelt. Die di- Dieses zeigt die für schwache doppelte
Hauptgruppenmetalle selten. Sitz- radikalische Form (5a) ist gegen- Donor-Acceptor-Bindungen typische
mann et al. gelang nun erstmals die über der bicyclischen Form (5b) mit trans-abgewinkelte Anordnung der
Synthese eines derartigen Erdalkali- transannularer B-B-Bindung durch Substituenten. Die Ga-Ga-Bindungs-
metallderivates, des Tripeldeckers ihr spezielles Substituentenmuster länge in (6a), das als Digallan(2)
[Cp'Ba(cot)BaCp'] (Cp' = C5HiPr4; stabilisiert. K[B(CF3)4] reagiert mit (Digallen) aufgefasst werden kann,
cot = Cyclooctatetraen).5) konzentrierter Schwefelsäure über- ist mit 263 pm deutlich länger als die
raschenderweise zum leicht flüchti- Ga-Ga-Bindung in Digallanen(4). Die
gen, bei Raumtemperatur flüssigen Stammverbindung HGaGaH (6b) so-
3. Hauptgruppe (Triele) Borancarbonyl (F3C)3B-CO. Die CO- wie das homologe HInInH (6c)
 Auch in diesem Jahr wartet die Streckschwingung ist wegen der gro- konnten Himmel et al. in einer Ar-
elementorganische Chemie der Triele ßen Lewis-Acidität von B(CF3)3 mit Matrix durch photochemische Iso-
und Tetrele mit Molekülen auf, die m = 2252 cm–1 energiereicher als bei
ungewöhnliche Bindungssituationen allen anderen Borancarbonylen.9)
zeigen: Heteroaromatische Systeme, Mehrfachbindungen – wenn auch
Mehrfachbindungen und Radikale; häufig solche, die nicht mit klassi-
einige besonders interessante seien schen Modellen beschrieben werden
genannt. Berndt et al. erhielten eine können – findet man auch bei den
Reihe von 2p-Aromaten wie (3) mit Homologen des Bors. So konnten
vierfach planar koordinierten Bor- Power et al. mit dem sehr sperrigen
atomen und den kürzesten kristallo- m-Terphenylsubstituenten Ar* =
graphisch bestimmten B-B-Bindun- 2,6-Dipp2C6H3 (Dipp = 2,6-iPr2C6H3)
gen (B2-B3 148 pm).6) Eine etwa erstmals ein metastabiles Gallylen-
gleich kurze B-B-Bindung (146 pm Dimer, (Ar*Ga)2 (6a), synthetisieren.10) merisierung aus dem stabileren dop-
(CCSD(T))) errechnet sich für das pelt H-verbrückten Reaktionspro-
Addukt OC-BB-CO (4),7) das über dukt von E2 (E = Ga, In) mit H2 er-
monomeres BCO aus atomarem Bor zeugen und IR-spektroskopisch cha-
und CO in einer Argon-Matrix ent- rakterisieren. Dichtefunktionaltheo-
steht und IR-pektroskopisch identi- rie(DFT)-Rechnungen sagen auch
fiziert werden konnte. Anders als für (6b) und (6c) eine trans-abge-
H-BB-H weist (4) einen Singulett- winkelte Struktur mit ähnlichen
Grundzustand und eine B-B-Drei- Strukturparametern wie in (6a) vo-
fachbindung auf. In einem cycli- raus.11) Eine klassische, mit dem
schen Diboran, dem planaren Diphos- r/p-Formalismus beschreibbare Ga-
phinoderivat (5a), sind die beiden As-Doppelbindung (d(Ga=As) 232
Boratome – obwohl zwischen ihnen pm) liegt hingegen in dem von von
eine Bindung erwartet wird, mit ei- Hänisch et al. durch Metathesere-
nem Abstand von 257 pm extrem aktion dargestellten Anion des Salzes
weit voneinander entfernt.8) Da (5a) [Li(thf)3]2[(iPr3Si)4As4Ga2] (7) vor.12)
ESR-inaktiv ist, gehen Bertrand et al. Wird [Ph3C][CB11H6Hal6] mit
davon aus, dass es sich hier um ein AlEt3 umgesetzt, so entsteht kristal-

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lines [Et2Al][CB11H6Hal6] (Hal = Cl , ten Änderung der magnetischen


Br (8)).13) Während die Struktur- Suszeptibilität zum Ausdruck
parameter des Carbaboran-Anions kommt.15)
durch die Koordination des Kations Fluorameisensäureanhydrid, das
nahezu unverändert bleiben, ist das Difluorid der Dikohlensäure, konnte
C-Al-C-Gerüst des Et2Al-Kations in Zusammenarbeit der Arbeitsgrup-
mit 136,6 ° deutlich abgewinkelt. Als pen von Willner und Argüello durch
Feststoff ist (8) erstaunlich stabil, Zerfall des schon lange bekannten
reagiert aber in benzolischer Lösung Bis(fluorformyl)peroxids in Gegen-
als starkes Elektrophil und poly- wart von CO in immerhin 30 % Aus-
merisiert – anders als Et2AlCl – Ethen. beute synthetisiert und nach fraktio-
Die an Bor gebundenen H-Atome in nierender Kondensation als weißer
derartigen Carbaboran-Anionen kön- Feststoff (bei – 95 °C) erhalten wer-
nen mit Methyltriflat gegen Methyl- den.16) Selbst bei Raumtemperatur
gruppen ausgetauscht werden; die ist die dann gasförmige Substanz ta-
entstehenden [HCB11Me5Hal6]-Ionen gelang haltbar. Zwei eher der organi-
sind noch schwächere Nukleophile schen Chemie zuzuordnende Ver-
und weisen ein Oxidationspotential bindungen sollen hier wegen ihrer
gegen Ferrocen von größer 2 V auf. prinzipiellen Bedeutung für die me-
Entsprechend protoniert die kon- tallorganische Chemie Erwähnung
jugierte Supersäure H[HCB11Me5Br6] finden. Kristallographische Unter-
Benzol glatt zu einem thermisch sta- suchungen von Harder machen klar,
bilen Salz mit isolierten C6H7-Kat- dass Wilhelm Schlenk bereits vor ei-
ionen (H···Br > 300 pm).14) Die nem Jahrhundert ein Salz mit „freien“
Struktur des ebenfalls beständigen, Carbanionen in Händen hatte. Er be-
stark methylierend wirkenden Sal- schrieb die dunkelrote Verbindung
zes des Methylkations ist unbe- [Me4N][CPh3] damals noch als ein
kannt. Derivat des fünfbindigen Stickstoffs:
„Me4≡N-C≡Ph3“.17) Die positive La-
dung des Kations ist, wie Rechnun-
4. Hauptgruppe (Tetrele) gen zeigen, vorwiegend auf den
 Die molekularen Modifikatio- Wasserstoffatomen lokalisiert, wo-
nen des Kohlenstoffs, die Fullere- durch sich die vergleichsweise star-
ne, lassen sich zu Fulleriden redu- ken C-H···C-Wasserstoffbrücken und
zieren. Kristalline Fulleride ent- die geringe thermische Stabilität er-
halten entweder isolierte Anionen, klären. Das schon lange gesuchte
dimere oder gar polymere An- Ion [Me5C5]+ (Cp*-Kation) glaubten
ionen. Im kristallinen Fullerid Lambert et al. aus Pentamethylcy-
[Cp*2Cr]+[C60]– (Cp* = C5Me5) lie- clopentadien und dem Tritylsalz
gen bei Raumtemperatur ebenfalls [Ph3C][B(C6F5)4] erzeugt zu haben.18)
isolierte [C60]–- Ionen vor. Diese di- Das kristallographisch und spektro-
merisieren jedoch beim Abkühlen skopisch charakterisierte vermeintli-
unter 220 K reversibel unter che Salz [Me5C5][B(C6F5)4] wurde
C-C-Bindungsbildung, was nicht jedoch, nicht zuletzt aufgrund zu
nur kristallographisch nachgewie- großer Diskrepanzen zwischen ge-
sen wurde (100 K: C-C 160 pm), messener und berechneter Struktur,
sondern auch in einer sprunghaf- im Laufe des Jahres schließlich als

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[Me5H2C5][B(C6F5)4], als Cyclopen-
tylsalz, entlarvt.
Riesensubstituenten waren auch
in diesem Jahr wieder der Schlüssel
zu einer Reihe spektakulärer Erfolge
bei der Synthese ungesättigter Ver-
bindungen der schwereren Tetrele.
So konnten Power et al. durch Ein-
satz eines m-Terphenylsubstituenten
die Reihe der Alkinhomologen um
das Digermin Dipp2Ge219) und das
Distannin Dipp2Sn220) erweitern. Die
C-E-E-C-Gerüste zeigen im Kristall
die vorausgesagte Abweichung von
der Linearität und weisen Ge-Ge-
bzw. Sn-Sn-Abstände auf, die deut-
lich kürzer als Einfachbindungen
sind, aber deutlich länger, als für
klassische Dreifachbindungen er-
wartet wird. Viele weitere neuartige
Mehrfachbindungssysteme wie das
Germabenzol (9)21) oder das Silatria-
fulven tBu2C3Si(SiMe2tBu)2 (10)22)
konnten mit der gleichen Strategie
synthetisiert werden. Besondere Er-
wähnung verdient jedoch ein rever-
sibles Redoxsystem bestehend aus
dem Silaallyl-Anion (11a), dem Ra-
dikal (11b) und dem Anion (11c).23)
Die Strukturdaten von (11a) legen
eine weitgehende Lokalisierung der
negativen Ladung auf einem Si-
Atom neben einer intakten Si-Si-

Doppelbindung nahe. Erste isolier-


bare Silyl- und Germylradikale des
Typs E(SiMetBu2)3 (E = Si (12a), Ge
(12b)) entstehen bei der Oxidation
der Anionen [E(SiMetBu2)3]– mit
GeCl2·Dioxan.24) Die Radikale ent-
halten überraschenderweise trigonal-
planar koordinierte Zentralatome
und sehr lange E-Si-Bindungen. Die
kleinen Hyperfein-Kopplungskon-
stanten zum Zentralatom von 5,8
und 2,0 mT in den ESR-Spektren

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Diazastannolen nur schwach aus-


geprägt. Dafür gehen sie Reaktionen
ein, die eine Formulierung als „che-
latisiertes Zinnatom“ nahe legen. So
konnte die Arbeitsgruppe von Gudat
nicht nur den cheletropen Zerfall
zum entsprechenden Diazadien und
Zinn, sondern auch die Übertragung
des Zinnatoms vom 1,3,2k2-Diaza-
stannol (14) auf andere Diazadiene schub eines PX2+-Fragments in eine
beobachten.27) Bindung von P4 30) sowie mit der Er-
zeugung des strukturanalytisch gesi-
cherten Addukts (16), dass bei der
5. Hauptgruppe
 Stickstoffreiche Moleküle faszi-
nieren seit jeher, und in diesem Jahr
gab es Neues von zwei zwar wenig sta-
bilen, aber interessanten Molekülen.
Nach der Entdeckung von O4 bewies
von (12a) bzw. (12b) deuten auf das die Gruppe um Cacace nun auch die
Vorliegen von p-Radikalen hin. Mit Existenz von Tetrastickstoff.28) Meta-
182 pm sehr kurze Si-C-Bindungen stabiles N4 (Lebensdauer > 1 µs bei
findet man hingegen im Kation des 298 K) wurde im Massenspektrome-
Salzes [Mes3Si][H-CB11Me5Br6].25) ter durch Neutralisation von N4+ er-
Dass hier erstmals wirklich ein „freies“ zeugt und durch Reionisation nach- Reaktion von P4O6 mit 2 Mol BH3·
Silylium-Kation vorliegt, konnte gewiesen. Erste Ergebnisse theoreti- SMe2 entsteht.31) Zwar zerfällt das
durch die Übereinstimmung der scher Studien und Markierungs- durch Verknüpfung zweier adaman-
29
Si-NMR-Signale für Feststoff und experimente legen eine offenkettige toider P4O6-Käfige unter Öffnung
Lösung, die dem für das freie Kation Molekülstruktur mit zwei N2-Unter- je einer PO-Bindung entstandene
berechneten Wert entsprechen, einheiten und einem 3A''-Grund- P8O12-Gerüst in Lösung in Monome-
nachgewiesen werden. Ein trishomo- zustand nahe. Das zu C5H5– isoelek- re P4O6·BH3, doch finden sich spek-
aromatisches Germylkation (13) tronische Pentazolat-Anion, cyclo- troskopische Hinweise darauf, dass
liegt nach NBO-Analysen im Salz N5–, wurde erstmals von Christe und molekulare Phosphoroxide P8O12
[(tBu3Si)6Ge10I][B(C6F4H)4] vor, das Mitarbeitern in einem Tandem-Mas- und P8O14 auch in der Gasphase
Sekiguchi et al. einfach bei längerem senspektrometer durch kollisions- existieren könnten.31)
Erhitzen des 3-Iodcyclotrigermens induzierte Dissoziation aus p-Hydroxy- Neben N5– ist cyclo-P5– ein be-
(tBu3Si)3Ge3I mit KI/K[B(C6F4H)4] phenylpentazol erzeugt und identifi- kanntes C5H5–-Analogon. Jetzt diente
erhielten.26) In Einklang mit dieser ziert. Nach Maßgabe der für den es zum Aufbau des ersten kohlen-
Formulierung stehen die mit 326 Zerfall in N2 und N3– berechneten stofffreien Sandwichkomplexes . Der
pm relativ kurzen Ge-Ge-Abstände Aktivierungsbarriere von 116 kJ· in bis zu 77 % Ausbeute erhältliche
zwischen den annähernd trigonal- mol–1 könnte N5– hinreichend stabil Komplex [(P5)2Ti]2– (17) ist bemer-
planar koordinierten Ge-Atomen im für die Erzeugung eines Salzes
„Gürtel“ des Ge10-Käfigs. N5+N5– sein.29)
Während Arduengo-Carbene und Unerwartete Erweiterungen be-
entsprechende Si- und Ge-homologe kannter Käfigstrukturen gelangen
Derivate typischerweise Lewis-Basen mit der Synthese des P5X2+-Kations
sind, ist diese Eigenschaft bei 1,3,2k2- (X = Br (15), I ) durch formalen Ein-

kenswert thermo- und oxidations-


stabil und unterscheidet sich von
metallorganischen Sandwichkom-
plexen durch die niedrige Oxidati-
onsstufe des Metalls, die maßgeblich
durch das hohe p-Acceptorvermögen
von P5– stabilisiert wird.32) Interes-

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Anorganische Chemie Magazin 263

sant ist auch die Reaktion des Zr-


Komplexes (18) mit SnCl2 zum SnII-
Komplex (19), in dem das zum Cyclo-
butadienyl-Dianion isoelektronische
[P2(CR)2]2– erstmals außerhalb der
Koordinationssphäre eines Über-
gangsmetalls stabilisiert wurde.33)
Neuartige Polymere mit bemer-
kenswerten Gerüststrukturen sind
das Polyphosphaalken (20)34) und
das Poly(vinylen)arsan (21),35) die
durch Polykondensation difunktio-
neller Vorstufen bzw. durch eine ra-
dikalische alternierende Copoly-
merisation von Cycloarsanen (RAs)n
(n = 5, 6) und Tolan erhalten wur-
den. Auch wenn die Molmassen
(bisher maximal 1 – 5 × 104 Dalton)
noch steigerungsfähig sind, zeichnen
sich hier Möglichkeiten für die Syn-
these weiterer Heteroatom-haltiger
Polymere ab, auf deren Materialeigen-
schaften man gespannt sein darf.
Die Frage „Fakt oder Fiktion?“,
die bislang dem schwersten Hydrid
eines Elements der 5. Hauptgruppe,
BiH3, galt, wurde endlich beantwor-
tet. Bürger et al. bewiesen durch
hochauflösende IR- und Mikrowel-
len-Spektroskopie nicht nur eindeu-
tig dessen Existenz, sondern be- dination wohl auf den inerten Cha- zung von (Me3SiO)2SO2 mit XF/SbF5
stimmten auch seine Molekülstruk- rakter der freien Elektronenpaare unterdrücken und erstmals Salze
tur. Erwartungsgemäß klein ist mit am Bi zurück zu führen ist.38) [X3SO4][SbF6] (X = H, D) rein dar-
90,5° der H-Bi-H-Winkel.36) Trotz stellen.39) Eine Kristallstrukturana-
der Gewöhnung an stabile Doppel- lyse des Deuterium-Derivats zeigt,
bindungssysteme mit schweren 6. Hauptgruppe dass die drei gleich lange S-O-Ein-
Hauptgruppenelementen erregen  Die Autoprotolyse von Schwefel- fachbindungen enthaltenden Kat-
solche mit Elementen der 6. Periode säure gemäß 2 H2SO4 r H3SO4+ + ionen mit den SbF6-Anionen über
noch immer Aufsehen. Neu sind das HSO4– ist lange bekannt. Es gelang D···F-Wasserstoffbrückennetze zu
Phosphabismuten (22)37) als erste bisher aber noch nicht, Salze des Tri- gewellten Bändern verknüpft sind.
Verbindung mit einer Doppelbin- hydroxysulfonium-Ions zu isolieren, Die Auseinandersetzung über
dung zwischen Elementen der 3. da als Nebenreaktion stets die Dehy- „Pauling-Verbot“ und Hypervalenz,
und 6. Periode und der cis-Dibismu- dratisierung 2 H2SO4 r H3O+ + HS2O7– die seit langer Zeit die Diskussion
ten-Komplex (23), dessen unge- abläuft. Diese Reaktion konnten der Bindungsverhältnisse in Schwe-
wöhnliche verbrückende g2(p)-Koor- Minkwitz et al. jetzt durch Umset- felsäure sowie in verwandten Mole-

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264 Magazin Anorganische Chemie

7. und 8. Hauptgruppe

 Trotz ausgiebiger Aktivitäten in


der Chemie der Elemente der 7. und
8. Hauptgruppe war Bahnbrechendes
in diesem stark „abgegrasten“ Gebiet
rar. Mit C4I4 (28) konnte erstmals

ein Iod-substituiertes Cumulen syn-


thetisiert und strukturell charakteri-
siert werden.44) Die überraschend
einfach durch Iodierung von C4I2
zugängliche Verbindung ist im Fest-
körper stabil, zersetzt sich in Lösung
jedoch rasch zu Hexaiodbutadien. In
külen beherrscht, wurde jetzt zumin- sind, nicht durch -Bindungsanteile, Gegenwart von Pyridin wird der Zer-
dest für den Fall der Methandi(trii- sondern durch die Orientierung der fall von (28) unterdrückt, was viel-
mido)sulfonsäure (24) zuungunsten freien Elektronenpaare an den Stick- leicht zur Darstellung stabiler Koor-
der „gewohnten“ Schreibweise mit stoffatomen hin zum positiv gelade- dinationspolymere genutzt werden
S-N-Doppelbindungen (Grenzformel nen Schwefelatom zu erklären. kann.
(24a)) entschieden. Stalke et al.40) berich- Während Selenosulfensäuren Ein Beispiel aus der Edelgaschemie
teten über die experimentelle Bestim- RSSeH als Zwischenstufen in enzy- – die Isolierung der Xenonkomplexe
mung der Elektronendichte dieses Mo- matischen Reaktionen von Cystein cis- und trans-[Au(Xe)2(SbF6)2] mit
leküls. Die Daten legen – übrigens in und Selenocystein diskutiert wer- einem ansonsten selten beobachte-
Einklang mit Analysen berechneter den, waren thioselenige Säuren ten AuII-Zentralatom45) – unter-
Elektronendichteverteilungen und des RSeSH in reiner Form bislang unbe- streicht, dass Edelgasverbindungen
negativen Laplace-Operators 2q(r) kannt. Mit dem Triptycen-Derivat nach wie vor für Entdeckungen gut
nahe, dass die Bindungssituation besser (25) wurde nun die erste stabile Ver- sind.
durch die mesomere Grenzformel (24b) bindung dieses Typs isoliert und Karl Klinkhammer
als durch (24a) beschrieben wird. Dabei charakterisiert.41) Ein weiteres inte- Institut für Anorganische Chemie
sind die S-N-Bindungselliptizitäten, die ressantes Ergebnis aus der Selenche- Universität Mainz
ein Maß für die Abweichung von einer mie ist die Entdeckung, dass Dietrich Gudat
rotationssymmmetrischen Elektronen- K[(MeO)SeO2] mit Imidazolium- Institut für Anorganische Chemie
dichteverteilung in der S-N-Bindung chloriden und Alkoholen glatt zu se- Universität Stuttgart
lenithaltigen ionischen Flüssigkei-
ten (26) reagiert, die sich als immo-
1) A. Sekiguchi,R. Izumi, S. Ihara, M. Ichinohe, V.
bile Katalysatoren zur oxidativen
Y. Lee, Angew. Chem. 2002, 114, 1668.
Carbonylierung von Anilin einset- 2) C. Kayer, G. Kickelbick, C. Marschner,
zen lassen.42) Angew. Chem. 2002, 114, 1031.
Porphyrinkomplexe der Haupt- 3) D. Bravo-Zhivotovskii, M. Yuzefovich,
gruppenelemente waren bisher auf N. Sigal, G. Korogodsky, K. Klinkhammer, B.
Zentralatome aus der 3. – 5. Haupt- Tumanskii, A. Shames, Y. Apeloig,
Angew. Chem. 2002, 114, 671.
gruppe beschränkt. Der Einbau ei-
4) D. J. Gallagher, K. W. Henderson, A. R. Kenne-
nes Elements der 6. Hauptgruppe dy, C. T. O’Hara, R. E. Mulvey, R. B. Rowlings,
gelang nun erstmals in (27). 43) Das Chem. Commun. 2002, 376.
TeIV-Zentralatom dieses Derivats 5) H. Sitzmann, M. D. Walter, G. Wolmershäu-
weist eine für Porphyrine unübliche ser, , Angew. Chem. 2002, 114, 2421.
6) C. Präsang, M. Hofmann, G. Geiseler, W.
quadratisch pyramidale Koordination
Massa, A. Berndt, Angew. Chem. 2002, 114,
an drei N- und zwei Cl-Atome auf. 1597; C. Präsang, A. Mlodzianowska, Y. Sa-
hin, M. Hofmann, G. Geiseler, W. Massa, A.
Berndt, Angew. Chem. 2002, 114, 3529.

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Anorganische Chemie Magazin 265

7) M. Zhou, N. Tsumori, Z. Li, K. Fan, L. Andrews, 28) F. Cacace, G. de Petris, A. Troiani, Science
Q. Xu, J. Am. Chem. Soc. 2001, 124, 12936. 2002, 295, 480.
8) D. Scheschkewitz, H. Amii, H. Gornitzka, W. 29) A. Vij, J. G. Pavlovich, W. W. Wilson, V. Vij, K. O.
W. Schoeller, D. Bourissou, G. Bertrand, Sci- Christe, Angew. Chem. 2002, 114, 3177.
ence 2002, 295, 1880. 30) I. Krossing, I. Raabe, Angew. Chem. 2001,
9) A. Terheiden, E. Bernhardt, H. Willner, F. Aub- 113, 4544.
ke, Angew. Chem. 2002, 114, 823. 31) A. Tellenbach, M. Jansen, Angew. Chem.
10) N. J. Hardman, R. J. Wright, A. D. Phillips, P. P. 2001, 113, 4838.
Power, Angew. Chem. 2002, 114, 2966. 32) E. Urnezius, W. W. Brennessel, C. J. Cramer, J.
11) H.-J. Himmel, L. Manceron, A. J. Downs, P. E. Ellis, P. von R. Schleyer, Science 2002, 295,
Pullumbi, Angew. Chem. 2002, 114, 829. 5556.
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2002, 114, 2198. mun. 2002, 86.
13) K. C. Kim, C. A. Reed, G. S. Long, A. Sen, J. Am. 34) V. A. Wright, D. P. Gates, Angew. Chem.
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2001, 124, 1148. Soc. 2002, 124, 6600.
15) D. V. Konarev, S. S. Khasanov, A. Otsuka, G. 36) W. Jerzembeck, H. Bürger, L. Constantin, L.
Saito, J. Am. Chem. Soc. 2001, 124, 8520. Margulès, J. Demaison, J. Breidung, W. Thiel,
16) H. Pernice, H. Willner, K. Bierbrauer, M. B. Pa- Angew. Chem. 2002, 114, 2659.
ci, G. A. Argüello, Angew. Chem. 2002, 114, 37) T. Sasamori, N. Takeda, M. Fujio, M. Rimura,
3987. S. Nagase, N. Tokitoh, Angew. Chem. 2002,
17) S. Harder, Chem. Eur. J. 2002, 14, 3229. 114, 147.
18) J. B. Lambert, L. Lin, V. Rassolov, Angew. 38) L. Balázs, H. J. Breunig, E. Lork, Angew.
Chem. 2002, 114, 1487. Chem. 2002, 114, 2411.
19) M. Stender, A. D. Phillips, R. J. Wright, P. P. 39) R. Minkwitz, R. Seelbinder, R. Schöbel,
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Karl W. Klinkhammer Dietrich Gudat (Jahr-


(Jahrgang 1958) stu- gang 1957) studierte
dierte an der RWTH Chemie in Düsseldorf
Aachen und am MPI und Bielefeld, wo er
für Festkörperfor- 1987 bei Edgar Niecke
schung in Stuttgart promovierte. Nach
Chemie. 1992 promo- Postdoc-Aufenthalten
vierte er an der Universität Stuttgart bei 1988/89 bei Edgar Niecke, John Nixon
Gerd Becker mit einer Arbeit über Tellane. (Sussex) und John Verkade (Ames) habili-
1998 habilitierte er sich dort nach For- tierte er sich 1995 am Institut für Anorga-
schungsaufenthalten bei Pekka Pyykkö in nische Chemie der Universität Bonn. Dort
Helsinki und Peter Schwerdtfeger in Auck- war er Hochschuldozent und seit 2001
land. 2002 nahm er einen Ruf auf eine Professor. 2002 erhielt er einen Ruf ans In-
C3-Professur für Anorganische Chemie an stitut für Anorganische Chemie der Uni-
der Universität Mainz an. Er interessiert versität Stuttgart. Er forscht über sub-
sich für Verbindungen der schweren valente Verbindungen von Gruppe-
Hauptgruppenelemente sowie Organo- 14/15-Elementen, Phosphorheterocyclen
elementderivate von Übergangsmetallen. sowie multinukleare NMR-Spektroskopie.

Nachrichten aus der Chemie | 51 | März 2003 | www.gdch.de

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