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1/ 2022 JANUAR
16
4
Florence Kupferschmid
Vera Howard
Neil Dodd
Robin Hübscher
36 24
pro natura magazin von der Zewo als gemeinnützig anerkannt.
Mitgliederzeitschrift von Pro Natura – Schweizerischer Bund für Naturschutz
Impressum: Pro Natura Magazin 1 / 2022. Das Pro Natura Magazin erscheint fünfmal jährlich (plus Pro Natura Magazin Spezial) und wird allen Pro Natura Mitgliedern zugestellt. ISSN 1422-6235
Redaktion: Raphael Weber (raw), Chefredaktor; Bettina Epper (epp), stellvertretende Chefredaktorin; Nicolas Gattlen (nig), Redaktor; Florence Kupferschmid-Enderlin (fk), Redaktion französische Ausgabe;
Sarah Huwiler, pro natura aktiv
Layout: Vera Howard, Bettina Epper, Raphael Weber. Titelbild: Illustration Vera Howard.
Mitarbeit an dieser Ausgabe: Peter Bader (pb), Rahel Boss (rbo), Stefan Boss, Lesly Helbling, Robin Hübscher, Stella Jeger (sj), Andreas Kälin, Rico Kessler (rke), Sabine Mari,
Lorenz Mohler (Übersetzungen), Muriel Raemy, Franziska Scheuber, Alena Wehrli (Übersetzungen), Sara Wehrli, Friedrich Wulf.
Redaktionsschluss Nr. 2/2022: 01.02.2022
Druck: Vogt-Schild Druck AG, 4552 Derendingen. Auflage: 170 000 (125 000 Deutsch, 45 000 Französisch). Gedruckt auf FSC-Recyclingpapier.
Anschrift: Pro Natura Magazin, Postfach, 4018 Basel; Tel. 061 317 91 91 (9 — 12 und 14 — 17 Uhr), E-Mail: magazin@pronatura.ch; www.pronatura.ch; PK‑40-331-0
Inserate: CEBECO GmbH, Webereistr. 66, 8134 Adliswil, Tel. 044 709 19 20, Fax 044 709 19 25, cebeco@bluewin.ch Inserateschluss 2/2022: 11.02.2022
Pro Natura ist Gründungsmitglied der Internationalen Naturschutzunion IUCN und Schweizer Mitglied von Friends of the Earth International. www.pronatura.ch
Pro Natura Magazin 1 / 2022
4 thema
4 W
ie die künstliche Beschneiung
Natur und Umwelt belastet.
6 F
ür die Schneeproduktion werden enorme
Wassermengen benötigt.
8 Schätzungsweise den Stromverbrauch von Basel-Stadt Die linke, die rechte oder doch lieber
verschlingt die künstliche Beschneiung unserer Alpen.
die mittlere Abfahrtspiste?
10 D
as Ökosystem gerät durcheinander: Pflanzen
verschwinden, Tiere flüchten. Falls auch Sie leidenschaftlich gerne Ski fahren, haben Sie be-
12 N
ur mit staatlicher Unterstützung halten sich stimmt ein Lieblingsgebiet. Meines liegt in Les Genevez. Das muss
viele Skigebiete über Wasser. Ihnen kein Begriff sein, denn diese Destination in den jurassischen
13 Eine Tourismusforscherin, ein Klimatologe und ein Franches Montagnes besteht gerade mal aus einem einzigen Bügel-
Biologe äussern sich zur Zukunft des Wintersports. lift. Keine drei Minuten dauert die Bergfahrt, und dann stellt sich
die Frage, ob man die linke, die rechte oder doch lieber die mittle-
16 köpfe re Abfahrtspiste nimmt.
Dem Luchs auf der Spur: Laurent Geslin hat einen Das mag unspektakulär tönen, doch gerade darin liegt die Fas-
bewegenden Spielfilm über die Grosskatze gedreht. zination. Hier gibts keine Hektik, keine gigantischen Parkplätze,
kein Gedränge am Lift, keine Highspeed-Gondeln, keine Pistenbars
18 in kürze mit Alpenschlagerbeschallung, keine XXL-Werbeflächen, keinen
Jahrmarkt der Eitelkeiten. Stattdessen kann man mit dem Bügel
20 brennpunkt geber noch einen herzhaften Schwatz halten, wunderbare Kurven
20 Biodiversitätskonferenz: Wie die Aichi-Ziele doch in der Stille dieser Märchenlandschaft ziehen und sich zwischen-
noch erreicht werden sollen. durch am Kaminfeuer der Skihütte aufwärmen. Kurzum: eine
22 Klimarat: Eine Forderung der Klimajugend Rückbesinnung aufs Wesentliche. Oder die Wiederentdeckung der
kommt in der Politik an. Langsamkeit.
Und: Es werden nicht im November die Schneekanonen ange-
24 infogalerie worfen, um weisse Bänder in braune Landschaften zu ziehen. Hier
W
arum auf unseren Strassen jedes Jahr wird Ski gefahren, wenn es noch Schnee hat. Und dann herrscht
Tausende von Wildtieren sterben. schon fast Dorffeststimmung.
Meine persönlichen Skifreuden schildere ich nicht, um das tou-
30 news ristische Rad 50 Jahre zurückdrehen zu wollen. Aber doch auch,
30 Muota-Delta: Könnte dank einer Beschwerde von um das derzeitige Wettrüsten in den Alpen kritisch zu hinterfragen.
Pro Natura wiederhergestellt werden. Fast alle Skigebiete verfolgen eine Vorwärtsstrategie, noch grössere
31 Gartenschläfer: Unser neues Tier des Jahres wirbt und schnellere Gondeln zu installieren, noch mehr Gäste aus im-
für wilde Wälder. mer entfernteren Ländern anzulocken. Oft verschulden sie sich da-
32 Specht & Co.: Weitere Botschafter für mehr mit über den Hals und können nur mit staatlicher Unterstützung
Biodiversität in unseren Wäldern. überleben.
34 Jagdbanngebiet Kärpf: Schauplatz eines vorbildlichen Bettina Epper, die neue stellvertrende Chefredaktorin, hat sich
Kompromisses zum Schutz der Wildtiere. ins Thema künstliche Beschneiung reingekniet und recherchiert,
36 Fotowettbewerb: Wie sich die Wildnis wie die Natur unter dieser unnatürlichen Entwicklung leidet. Sen-
in verschiedensten Facetten zeigt. sible Lebensräume werden zerstört, Wildtiere verdrängt, wertvolle
Landschaften beeinträchtigt und Unmengen an Ressourcen ver-
38 beobachtet schleudert, wie Sie dies auf den nachfolgenden Seiten lesen kön-
nen. Damit befeuert der Wintertourismus genau jene Klima
40 service erwärmung, unter deren Folgen er selber leidet.
Pro Natura kann auf diese Entwicklung höchstens Einfluss neh-
41 pro natura aktiv men, falls neue Anlagen in geschützten Lebensräumen errichtet
werden sollen. Wirklichen Wandel würde, wie bei fast allen Um-
49 shop weltproblemen, nur eine Abkehr vom wirtschaftlichen Wachstums-
zwang bringen. Und die Erkenntnis, dass weniger eben oft mehr
51 cartoon sein kann. Wie ein wunderbar entspannter Skitag auf den drei Pis-
ten von Les Genevez.
52 engagement RAPHAEL WEBER, Chefredaktor Pro Natura Magazin
Schneefallgrenze
selbstgemacht
Künstlich produzierter Schnee verbraucht viel
Energie und Wasser. Ausserdem verändert er die
Pflanzenwelt, stört Tiere, und die Produktionsanlagen
verschandeln die Landschaft. Und es werden
laufend mehr, denn Wintersportgebiete können ohne
künstliche Beschneiung gar nicht mehr überleben.
Die Wintersportnation Schweiz hat ein Problem: Der Schnee wird finanziell unterstützt werden (siehe auch Seite 12). Dank künst-
rar – und rarer. Seit 1970 ist die Anzahl Schneetage in Orten un- lich produziertem Schnee (umgangssprachlich Kunstschnee, in
ter 800 Meter um satte 50 Prozent gesunken, und selbst auf Fachkreisen technischer Schnee genannt), kann die Saison sehr
2000 Metern waren es immer noch minus 20 Prozent. Das zeigt früh starten und spät enden, mehr Skifahrerinnen und Skifahrer
ein aktueller Bericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zum flitzen die Pisten hinab, das bringt Einnahmen. Für die Ski-
Klimawandel in der Schweiz. Und das Schneesterben geht weiter. gebiete ist Beschneiung also eine gute Lösung. Kein Wunder,
Die Nullgradgrenze wird «pro 1 °C Erwärmung um rund 150 bis werden immer mehr Anlagen gebaut.
200 m» ansteigen, schreibt das Bafu. Und ohne Schnee fährt es Der Klimawandel verschärft die Situation jetzt zusehends.
sich schlecht Ski. Alleiniger Auslöser für diese Entwicklung war er allerdings nicht,
wie Klimatologe Christoph Marty vom Institut für Schnee- und
Wer braucht schon Naturschnee? Lawinenforschung SLF in Davos sagt (Interview auf Seite 13):
Die Skigebiete haben die Lösung aber längst gefunden: Sie «Ursprünglich war das Ziel der Beschneiungsanlagen, dass die
machen ihren Schnee einfach selbst. Zumindest die grossen, die Skigebiete an Weihnachten offen haben konnten. Dazu fingen
es sich leisten können – oder die von der öffentlichen Hand sie schon im November an, Schnee zu produzieren. Aber wenn
die Pisten schon präpariert sind, warum sollte man dann noch beschneit wird und indirekt durch Wasserentnahme aus Ge-
warten bis Weihnachten? Also öffneten sie schon Mitte, Ende wässern sowie Lärm- und Lichtimmissionen auch auf die
November.» Und die Gäste kommen, denn Skifahrerinnen und Umgebung. Besonders problematisch ist das etwa in Karst-
Skifahrer sind gegenüber Kunstschnee durchaus positiv ein- gebieten, in denen es wenig Wasser gibt und natürlich in
gestellt, wie Befragungen zeigen. Demnach ist Schneesicherheit Mooren, in denen man eigentlich gar nicht beschneien dürfte.»
bei der Wahl einer Feriendestination ein wichtiger Faktor. Das Problem beginnt ausserdem schon, bevor überhaupt
künstlicher Schnee vom Himmel rieseln kann. Zuerst müssen
Auswirkungen auf die Natur die dafür nötigen Anlagen in den Bergen erstellt werden. Mit
Was für die Kasse gut ist, ist es für die Natur nicht, ökologisch schweren Baumaschinen werden Wasser- und Stromleitungen
betrachtet hat Kunstschnee gar keine weisse Weste, wie Geograf in tiefen, frostfreien Gräben verlegt und die Maschinen zur
Dominik Siegrist, Professor im Studiengang Landschaftsarchitek- Schneeherstellung montiert. Weil Gebirgsökosysteme aus-
tur an der OST Ostschweizer Fachhochschule in R
apperswil gesprochen empfindlich sind, kann es Jahrzehnte dauern, bis
(SG), sagt: «Künstliche Beschneiung beeinträchtigt Fauna, Flora sich Boden und Vegetation von solchen Eingriffen erholen.
und Landschaft stark. Direkt auf jenen Pistenflächen, auf denen BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.
Riesiger
Wasserverbrauch
Künstlich produzierter Schnee besteht wie
Naturschnee aus Wasser. Nur: In den Bergen ist
dieses rar, vor allem im Winter.
Um einen einzigen Kubikmeter Schnee herzustellen, benötigt sie auf befriedigende Weise zu integrieren», sagt Siegrist. Das
eine B
eschneiungsanlage 0,5 Kubikmeter Wasser, das sind Wasser für die Speicherseen stammt ausserdem aus natürlichen
500 Liter oder fast vier randvolle Badewannen. Dieser enorme Quellen wie Bächen, Flüssen und Seen, die im Laufe des
Wasserbedarf ist ein Problem, wie Geograf Dominik Siegrist, Winters immer wieder angezapft werden, da die Seen während
Professor im Studiengang Landschaftsarchitektur an der OST der Skisaison je nach Intensität der Beschneiung mehrmals
Ostschweizer Fachhochschule in R
apperswil (SG), betont. nachgefüllt werden müssen. Genau dann allerdings haben Seen
«Problematisch ist dieser grosse Verbrauch vor allem in jenen und Bäche sowieso ihr Niedrigstwasser. Wird in dieser Zeit
Gebieten, in denen Wasserknappheit besteht.» trotzdem Wasser entnommen, hat das teilweise negative Aus-
Die Betreiber von Beschneiungsanlagen betonen immer wirkungen auf die Wasserfauna.
wieder, dass das Wasser eigentlich gar nicht verbraucht werde, «Trotzdem müsste die Strategie Speicherseen überdacht
da es nach der Schneeschmelze wieder in den Kreislauf zurück- werden», betont Hansueli Rhyner, technischer Mitarbeiter am
fliesse. Das stimmt. Teilweise. Nicht alles Wasser, das aus der WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos.
Schneemaschine in die Luft hinausdüst, rieselt jedoch am «Im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels, der zu
Schluss tatsächlich als künstlicher Schnee auf den Boden. Ein mehr Starkniederschlägen, aber auch zu längeren Trocken-
Teil wird im wahrsten Sinne des Wortes vom Wind verweht, ein perioden führt, könnte es unumgänglich werden, zusätzliche
Teil verdunstet oder sublimiert, wie Untersuchungen des Wasserspeicher zu erstellen.» Besonders eindrücklich zeigte sich
WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF in D
avos diese Entwicklung durch den Klimawandel im Hitzesommer
zeigen. Demnach bewegt sich der Wasserverlust bei der künst- 2018. «Damals musste bei uns im Glarnerland tonnenweise
lichen Beschneiung durch Verdunsten bei ca. zehn Prozent. Wasser auf die Alpen geflogen werden. Das war ein Wink mit
dem Zaunpfahl und alles andere als ökologisch.» Darum plädiert
Die Speicherseeproblematik Rhyner dafür, die Speicherseen auch noch anders zu nutzen als
Ein weiterer Knackpunkt ist die Herkunft des Wassers für die nur ein paar Wochen im Winter für die Beschneiung. «Man
künstliche Beschneiung. Entweder wird es durch lange unter- könnte sie als Trink- und Löschwasserspeicher brauchen, sie
irdische Leitungen hoch auf den Berg gepumpt oder es lagert in wenn möglich touristisch vermarkten und vielleicht auch noch
Speicherseen. Diese meist künstlichen Seen können zum einen zu kleinen Kraftwerken umrüsten.»
das Landschaftsbild massiv stören: «Meistens gelingt es nicht, BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin
Bau und Betrieb von Beschneiungsanlagen sind ökologisch verzichtet wird. Zudem wird der Projektant die Leitungen und
problematisch, rechtlich sind sie jedoch meistens zulässig. Aber Schächte ausserhalb des Flachmoors von regionaler Bedeutung
nicht immer. Rechtlich kritisch sind vor allem Beschneiungs- platzieren.
projekte, bei denen die Anlagen in Biotopen von nationaler Im anderen Fall ging es um das im eidgenössischen Jagd-
Bedeutung wie Hoch- und Flachmooren sowie Trockenwiesen banngebiet Kärpf gelegene Skigebiet Elm (GL). Geplant war dort
und -weiden oder in einem eidgenössischen Jagdbanngebiet zu eine Erweiterung der bestehenden Beschneiungsanlagen von
stehen kommen sollen. Biotope von nationaler Bedeutung 14 Schneekanonen und 9 -lanzen auf 120 bis 130 Schneeerzeuger.
müssen gemäss Bundesrecht grundsätzlich ungeschmälert Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde gut und hob die
erhalten bleiben. Da Beschneiungsanlagen aber fast immer zu Baubewilligung auf. Das Vorhaben sei nicht zonenkonform und
erheblichen Beeinträchtigungen (siehe auch Seite 10) führen, benötige eine projektbezogene Sondernutzungsplanung, in der
sind sie mit den Schutzzielen dieser Biotope nicht vereinbar. alle aus dem Bauprojekt resultierenden Auswirkungen zu erfas-
Rechtlich anders präsentiert sich die Situation bei Biotopen sen seien und gegeneinander abgewogen werden müssten. Das
von regionaler oder lokaler Bedeutung. Hier sind die Schwellen Gericht hielt zudem fest, dass der Ausbau aufgrund der damit
für einen Eingriff niedriger. Kann der Projektant darlegen, dass verbundenen Intensivierung des Skibetriebs dazu führen würde,
Beeinträchtigungen des Biotops nicht vermieden werden können dass die im Jagdbanngebiet lebenden Wildtiere auf unbestimm-
und dass das Interesse an den Anlagen gegenüber dem Interesse te Zeit in ihren Lebensräumen gestört w
ürden. Dies stehe dem
am Schutz des Biotops überwiegt, dann ist dieser Eingriff zu- Schutzgedanken des eidgenössischen Jagdbanngebiets Kärpf dia-
lässig – und die Anforderungen hierfür sind nicht allzu hoch. metral entgegen. Der Kanton Glarus versucht nun im Austausch
Streitig können in diesen Fällen noch die Ausgestaltung und der mit dem Bund, eine Jagdbanngebiet-Ersatzfläche zu bestimmen,
Umfang der als Kompensation für den Eingriff zu leistenden um das Skigebiet Elm aus dem Jagdbanngebiet Kärpf entlassen
ökologischen Ersatzmassnahmen sein. zu können.
Je nach Ausgestaltung kann sich zudem die Frage stellen, ob ANDREAS KÄLIN betreut bei Pro Natura Rechtsfälle.
ein Beschneiungsprojekt den Vorschriften des Landschafts-
schutzes (z. B. bei einem Speichersee in einer Landschaft von
nationaler Bedeutung), des Wildtierschutzes (z. B. in einem
eidgenössischen Jagdbanngebiet) oder des Gewässerschutzes
(vor allem eine Frage der Mindestrestwassermenge bei Wasser-
entnahmen aus Fliessgewässern) standhält.
Die gute Nachricht: In den letzten Jahren ist der Energie- «Wie hoch die Einsparungen sind, zeigen Erfahrungen aus dem
verbrauch von Beschneiungsanlagen stark gesunken. Die Skigebiet Mayrhofen in Österreich», sagt Rhyner. «Dort sank der
schlechte: Da es immer mehr Anlagen gibt, ist der Gesamt- Verbrauch an Wasser und Energie dank der konsequenten Um-
energieverbauch stark gestiegen. Genaue aktuelle Zahlen zu setzung des Schneehöhenmesssystems um 30 bis 35 Prozent.»
nennen, ist allerdings sehr schwierig. Auch Geograf Dominik Und die Österreicher haben noch eine weitere Beobachtung
Siegrist, Professor im Studiengang Landschaftsarchitektur an der gemacht: «Dank der Schneehöhenmessung hat die Ausaperung
OST Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil (SG), hat keine früher stattgefunden als auf herkömmlich beschneiten Pisten» –
konkreten Angaben: «Unbestritten ist, dass der Stromverbrauch und das ist wiederum gut für die Flora (siehe auch Seite 10).
aller Schneekanonen in den gesamten Alpen erheblich ist, auch BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.
gemessen am Gesamtverbrauch der Bergbahnen. Schätzungen
sprechen von einem Stromverbrauch in der Grössenordnung des
Verbrauchs der Stadt Basel.» Das waren im Jahr 2018 satte
4273 Gigawattstunden, wie die aktuellen Zahlen des statistischen
Amtes des Kantons Basel-Stadt zeigen.
Der Verbrauch der Beschneiungsanlagen schwankt allerdings
und hängt stark von Standort, Höhe, Besonnung, von der Art Ein riesiger künstlicher
des Systems sowie von Aussentemperatur und Luftfeuchtigkeit Schneeberg
ab; und selbstverständlich von der Anzahl Anlagen und den
Betriebsstunden. Daneben gibt es in Wintersportgebieten auch Schweizweit gab es im Jahr 2019 rund 22 500 Hektaren
noch andere Anlagen, die zum Teil sehr viel Energie ver- Skipisten. Davon können etwa 11 975 Hektaren künstlich
brauchen wie die Seilbahnen oder andere Freizeiteinrichtungen beschneit werden (53 %) . Im Vergleich zu den anderen
wie Kunsteisflächen oder Hallenbäder. Auf dem ökologischen Alpenländern liegt die Schweiz auf Platz drei. Spitzenreiter
Konto negativ zu Buche schlagen daneben auch der sehr hohe ist Italien, wo rund 90 % der Pisten künstlich beschneit
Verbrauch fossiler Treibstoffe für die An- und Abreise der Ski- werden können, gefolgt von Österreich mit 70 %.
fahrenden sowie für die Pistenpräparierung.
Belastung für
Pflanzen und Tiere
Künstliche Beschneiung wirkt auf das Ökosystem
Alpen. Manche Pflanzen verschwinden deswegen,
neue tauchen auf, Tiere flüchten aus ihren Revieren.
Anfang der 2000er-Jahre sind verschiedene wissenschaftliche oder Bächen hat eine andere Nährstoffzusammensetzung als
Untersuchungen d
arüber angestellt worden, welche Auswirkun- Niederschlagswasser», sagt Christian Rixen. «Technischer Schnee
gen künstlich b
eschneite Pisten auf die Umwelt haben. Seither enthält darum auch mehr Mineralstoffe als natürlicher.» Lang-
sind zwar keine neuen Studien dazu gekommen, doch die fristig kann das die Balance einer Vegetation stören. Gerade in
Ergebnisse von d
amals sind vermutlich noch immer gültig, wie nährstoffarmen Gebieten wie etwa Moore in den Alpen können
Christian Rixen vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinen- Pflanzenarten, die sonst dort gar nicht überleben würden,
forschung SLF in Davos bestätigt. So zeigte beispielsweise die heimische Spezies verdrängen: Arten mit höherem Nährstoff-
frühere Studie, dass auf präparierten Skipisten grundsätzlich, und Wasserbedarf nehmen zu, die ans Hochgebirge angepassten
egal ob Kunst- oder Naturschnee lag, elf Prozent weniger Pflan- Arten mit wenig Nährstoffbedarf kommen auf der anderen Seite
zenarten vorkommen als auf angrenzenden Wiesen. mehr und mehr in B
edrängnis.
Kunstschnee ist ausserdem sehr dicht, isoliert aber auf
Artenvielfalt nimmt ab Skipisten wegen der grösseren Schneemenge deutlich besser als
Schnee aus Beschneiungsanlagen beeinflusst die Pflanzenwelt Naturschnee. In den Böden von Naturschneepisten kann es
auf verschiedenste Arten. Zum einen wird er aus Wasser her- daher zu strengen Bodenfrösten und zu starken Temperatur-
gestellt, das aus tieferen Lagen stammt. «Dieses Wasser aus Seen schwankungen kommen, wenn wenig Naturschnee liegt. Auf
Skipisten mit Kunstschnee sind die Temperaturen dagegen relativ leiden. Schon bei den Bauarbeiten für die Pisten und
ausgeglichen und die Böden bleiben im Frühjahr länger kalt, da Beschneiungsanlagen werden ihre Lebensräume gestört durch
die (zu) grosse Menge an Schnee zwei bis drei Wochen länger den Lärm der Baumaschinen sowie durch die vorgenommenen
liegen bleibt. Diese verspätete Ausaperung verzögert das Wachs- Veränderungen der Landschaft.
tum der Pflanzen. Das wiederum führt dazu, dass Frühblüher Doch auch nach den Bauarbeiten geht die Beeinträchtigung
seltener werden und Arten, die typischerweise an Orten mit sehr weiter. Denn ausgerechnet im Winter, wenn die Tiere eigent-
später Ausaperung wachsen, viel häufiger vorkommen. lich besonders viel Ruhe brauchen, um ihre Energiereserven zu
«Aber es gibt auch positive Punkte», sagt Christian Rixen. erhalten, herrscht auf den Skipisten Hochbetrieb, sogar nachts
«So schützt die dickere Schneeschicht beispielsweise Sträucher wird an manchen Orten talwärts g ebrettert. Solche anhaltende
oder Alpenrosen, die bei wenig beschneiten Pisten durch Pisten- Lärm- und Lichtbelästigung stresst Wildtiere. Sie fühlen sich
raupen beschädigt werden können.» gestört und verlassen darum ihre angestammten Reviere in
Pistennähe. So verkleinern sich die Lebensräume von Vögeln,
Lärm + Licht = Stress Hasen, Gämsen oder auch R
otwild mehr und mehr.
Kunstschnee und vor allem der Betrieb der dafür nötigen
Anlagen stört aber nicht nur die Pflanzenwelt, auch die Tiere BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.
Schnee ist teuer, zumindest der künstliche: Ein Kubikmeter Und die Skigebiete profitieren ausserdem von Bundes- und
kostet etwa fünf Franken; für einen Kilometer Beschneiungs- Kantonsgeldern: Im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP)
anlage müssen Skigebiete rund eine Million Franken investieren. fördert der Bund zusammen mit den Kantonen unter anderem
Das zeigen Zahlen des Verbandes Seilbahnen Schweiz. Hinzu Berggebiete. Zwischen 2008 und 2021 wurden in diesem Rahmen
kommen die jährlichen Unterhalts- und Betriebskosten, die pro Millionen an Darlehen für Beschneiungsanlagen gesprochen, wie
Kilometer Piste und pro Saison mit 20 000 bis 30 000 Franken zu Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen. So
Buche schlagen. Pro Tag kostet die künstliche Beschneiung ein flossen in den letzten zwölf Jahren rund 70 Millionen Franken
grosses Skigebiet insgesamt rund 43 000 Franken. Damit ist der an Finanzhilfen und Darlehen von Bund und Kantonen in
künstliche Schnee nach dem Betrieb der Anlagen, der mit Beschneiungsanlagen.
120 000 Franken zu Buche schlägt, die teuerste Komponente Viel Geld, das an Tourismusregionen geht, die ohne künst-
eines Skigebietes. Diese hohen Investitionen generieren auf der liche B
eschneiung kaum Überlebenschancen hätten. Es stellt
anderen Seite selbstverständlich Einnahmen: Gemäss Seilbahnen sich die Frage, ob wirklich alle diese Skigebiete um jeden noch
Schweiz sichern sich die Unternehmen durch künstliche so hohen Preis überleben müssen, wie auch Hansueli Rhyner
Beschneiung rund 20 Prozent ihres Gesamtumsatzes. vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in
Davos sagt: «Grundsätzlich sollte man sich in jedem Fall fragen:
Geld von der öffentlichen Hand Kann ein Tal auch ohne W
intersport überleben? Wenn ja, dann
Nur: Die immens hohen Ausgaben stemmen die Betreiber nicht braucht es eher keine künstliche Beschneiung. Wenn das Tal
alle selbst. Lediglich ein Viertel der Bergbahnen in der Schweiz ohne Wintersport nicht überleben kann, braucht es auch künst-
kann Investitionen allein aus eigener Kraft finanzieren, wie eine liche Beschneiung. Allerdings sollte es dann richtig gemacht
Auswertung von Geschäftsberichten von Bergbahnen zeigt. Sehr werden, so ökologisch wie möglich.»
oft springen die Standortgemeinden ein, immer wieder kommen
Millionenkredite vors Volk. BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.
Ist Skifahren
Schnee von gestern?
Der Klimawandel schreitet voran, Schnee fällt immer seltener,
selbst in hohen Lagen. Skigebiete halten den Massentourismus mit
Beschneiungsanlagen künstlich am Leben statt auf nachhaltigen,
sanften Tourismus zu setzen. Doch wie sieht die Zukunft
des Skisports in der Schweiz aus? Antworten aus Sicht einer
Tourismusforscherin, eines Klimatologen und eines Biologen.
Pro Natura Magazin: Ist die der Schnee weg und besteht noch viel P
otenzial. Ausserdem
Zeit des Skifahrens in der sie werden wohl grös- muss man schon vertiefter diskutieren, ob
Schweiz vorbei? sere Beschneiungsan- es nicht schlauer ist, wenn die Schweize-
Monika Bandi: Die Anzahl lagen benötigen. Das rinnen und Schweizer im Winter in der
der Skitage der Schweizer wird teuer und kann Schweiz bleiben und hier Ski fahren. Sie
und Schweizerinnen ist stag- zu Rentabilitätspro- verbrauchen so zwar viel Energie, aber
nierend bis schrumpfend. In blemen führen. Ausser- wenn sie stattdessen beispielsweise auf
den Bergen schneit es immer dem brauchen sie zur die Malediven fliegen, würde das ungleich
später, in tiefen Lagen oft gar Monika Bandi, Co-Leiterin Beschneiung Frosttage, viel mehr Emissionen bedeuten. Und das
Forschungsstelle Tourismus
nicht mehr. Bei den Men- der Universität Bern die auch rarer werden. Bedürfnis nach Reisen ist nun mal einfach
schen stellt sich darum weni- Trotzdem werden sie in uns.
ger Winterfeeling ein. Genau das ist aber so lange wie möglich investieren, um dem
für den Wintertourismus entscheidend. Wintertourismus treu zu bleiben.
Die Menschen bekommen dadurch Lust,
Ski zu fahren. Ein zweiter Grund sind die Obwohl es nicht rentiert?
Jungen, die seltener Ski fahren lernen; die Ein Wechsel zum Sommertourismus ist Pro Natura Magazin:
älteren, die damit aufhören und M
enschen aufwendig. Auf den Wintertourismus sind Können Schnee-
mit Migrationshintergrund, die tendenziell sowohl die Bergbahnen als auch Touris- kanonen die Winter-
Marcel Giger
weniger Affinität zum Skifahren zeigen. musnetzwerke mit ganzen Gemeinden, sportgebiete vor dem
Regionen, ja, oft die ganze Bevölkerung Klimawandel retten?
Und trotzdem setzen viele Regionen angewiesen. Ausserdem ist der Sommer Christoph Marty: Denkt
weiter auf Wintertourismus und inves- ökonomisch für Bergbahnen weniger inte- man langfristig wie ein
tieren in teure Beschneiungsanlagen? ressant als der Winter. Klimatologe oder wie
Die höchstgelegenen wie Zermatt und Co. eine besorgte Bürgerin, Christoph Marty, Klima-
forscher am WSL-Institut
haben höchstens unter den schlecht- Wenn der Wintertourismus in der dann sind Schneekano-
für Schnee- und Lawinen-
möglichsten Klimaszenarien längerfristig Schweiz schon künstlich am Leben ge- nen sicher keine Lösung. forschung SLF in Davos
ein Problem. Sie werden noch lange halten wird, wie könnte er sich denn Denkt man kurzfristig
Schnee und tiefe Temperaturen zur Kunst- zumindest klimafreundlich wie ein Manager, der nur seinen Jahres-
schneeherstellung haben. Dann gibt es die entwickeln? abschluss oder bestenfalls seine Karriere
kleinen wie das Selital im Gantrisch oder In Sachen Ökologie tut sich schon einiges. im Visier hat, also die nächsten fünf bis
der Gurten. Hier ist Beschneiung kaum Bei fast allen Bahnprojekten gibt es etwa zehn Jahre, dann schon. Anders gesagt:
Thema. Wenn sie Schnee haben, laufen Überlegungen, wie die Wassernutzung Wenn es um die Frage geht, ob mit künst-
dort ein, zwei Lifte – und irgendwann optimiert und auch zur Produktion von licher Beschneiung Arbeitsplätze erhalten
wird es dann damit vorbei sein. Grössere Energie genutzt werden kann. Dies nur werden können, dann muss man sagen:
Probleme haben mittlere Gebiete wie schon wegen der Kosten. Aber bei den Ge- Ja, es lohnt sich. Vor allem, wenn man da-
Sörenberg oder Hasliberg. Ihnen schmilzt bäudeemissionen und bei der Mobilität ran denkt, was alles daran hängt. Es sind
nicht nur die Skipiste und der Skilift. Energie, wenn wir in der Schweiz sowie- Und wie wird der Wintersport der Zu-
Auch der Bäcker im Dorf verkauft mehr so tendenziell zu wenig Strom haben, kunft aussehen?
Brot, wenn die Einheimischen im Tal blei- nämlich im November und Dezember. Es wird wohl nur noch einige grosse
ben, weil sie Arbeit haben und wenn Skigebiete geben, kleine und mittlere
mehr Touristen kommen. Welche Folgen wird der Klimawandel werden grösstenteils verschwinden. Sie
für den Wintersport in der Schweiz haben zwar den Vorteil, dass sie sich
Aber ökologisch ist das nicht. haben? auch für Tagesausflüge eignen, aber
Selbst wenn es volkswirtschaftlich ge- Andere, als die meisten wahrscheinlich damit macht man nicht das grosse Geld.
sehen sinnvoll sein kann, Schneekanonen denken. Das Problem ist nämlich nicht Und auch aus Sicht des Klimatologen
einzusetzen, dann sollten die Betreiber der fehlende Schnee in den Bergen. Den sind Tagestouristen problematischer als
sich zumindest darum bemühen, dass sie können die Skigebiete künstlich kompen- jene, die länger verreisen. Denn am
möglichst saubere Energie verbrauchen. sieren. Das Problem wird der fehlende meisten CO2 wird an einem typischen
Derzeit geht diesbezüglich viel zu wenig, Schnee im Mittelland sein. Die Kinder ver- Skitag bei der An- und Abreise
erst einzelne Skigebiete haben gemerkt, lieren den Bezug zum Schnee und lernen ausgestossen.
dass ökologische Energiegewinnung für nicht mehr Skifahren. Genauso wenig wie BETTINA EPPER, stellvertretende Chef
sie wichtig ist. Allerdings ist es nicht so Kinder mit Migrationshintergrund, bei redaktorin Pro Natura Magazin.
einfach, denn dummerweise braucht die denen der Bezug zum Skisport oft gar
künstliche Beschneiung genau dann viel nicht vorhanden ist.