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Anaesthesist
https://doi.org/10.1007/s00101-018-0437-2

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Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Frankfurt,
Zertifizierung Frankfurt, Deutschland
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Diese Fortbildungseinheit ist zertifiziert Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Universität München, München, Deutschland
von der Ärztekammer Nordrhein gemäß 3
Zentrum für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt,
Kategorie D und damit auch für andere
Deutschland
Ärztekammern anerkennungsfähig. Es 4
werden 3 Punkte vergeben. Abteilung für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Notfallmedizin, Asklepios Klinik
Wandsbek, Hamburg, Deutschland
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der Schweiz
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Physiologische Veränderungen in
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der Schwangerschaft
(§26(3) DFP Richtlinie).
Die Schweizerische Gesellschaft für
Anästhesiologie und Reanimation vergibt
1 Credit für die Zertifizierte Fortbildung in Zusammenfassung
Der Anaesthesist. Während einer Schwangerschaft kommt es zu vielfältigen physiologischen Veränderungen
im Körper der Schwangeren. Diese Veränderungen können von besonderer Bedeutung bei
Kontakt
Springer Medizin Kundenservice der medizinischen Betreuung von schwangeren Patientinnen sein. Der vorliegende Bei-
Tel. 0800 77 80 777 trag beleuchtet die physiologischen Entwicklungen in verschiedenen Organsystemen einer
E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Schwangeren. Inhaltliche Schwerpunkte liegen auf der Endokrinologie, dem Herz-Kreis-
lauf-System, der Hämatologie, dem respiratorischen System und dem Flüssigkeitshaushalt.
Schlüsselwörter
Hormone · Herz-Kreislauf-System · Hämostase · Atmungssystem · Wasserhaushalt

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Lernziele
Nach der Lektüre dieses Beitrags ...
4 kennen Sie den Konzentrationsverlauf sowie die Funktion wichtiger mütterlicher und
plazentarer Hormone.
4 wissen Sie, welche hämatologischen und hämostaseologischen Veränderungen im
Rahmen einer Schwangerschaft auftreten.
4 sind Ihnen die relevanten Änderungen im Herz-Kreislauf-System einer Schwangeren
bekannt.
4 überblicken Sie die Besonderheiten des respiratorischen Systems einer Schwangeren.
4 kennen Sie die Physiologie des Flüssigkeitshaushaltes während der Schwangerschaft.

Einleitung
Circa 2 % aller Schwangeren müssen sich während der Schwangerschaft einem nichtgeburts-
hilflichen Eingriff unterziehen [1]. Circa ein Drittel der 761.777 im Jahr 2016 in Deutschland
geborenen Kinder kam per Kaiserschnitt auf die Welt. Ein Drittel aller Schwangeren erhält zur
Analgesie während der Entbindungsphase geburtshilfliche Regionalanästhesie [2]. Diese Zahlen
verdeutlichen eindrucksvoll, dass Eingriffe an Schwangeren bei Weitem keine Seltenheit, sondern
vielmehr klinische Routine darstellen. Um die periprozedurale Gefährdung von Mutter und Kind
Bei der Betreuung von Schwan- weitestmöglich zu reduzieren, müssen bei der Betreuung von Schwangeren die vielfältigen phy-
geren müssen die vielfältigen siologischen Besonderheiten berücksichtigt werden, die sich im Rahmen der Schwangerschaft bei
physiologischen Besonderheiten nahezu jedem Organsystem einstellen. Die vorliegende Arbeit beschreibt, nach Organsystemen
berücksichtigt werden getrennt, die aus anästhesiologischer Perspektive besonders relevanten physiologischen Verände-
rungen. Inhaltliche Schwerpunkte dieser Übersicht liegen auf dem Herz-Kreislauf-System, den
hämatologischen/hämostaseologischen Veränderungen sowie Atmung und Wasserhaushalt.

Endokrinologie
Die physiologischen Veränderungen der Schwangeren sind hormonell bedingt. Die dafür ver-
antwortlichen Schwangerschaftshormone entstammen hauptsächlich:
4 den mütterlichen Ovarien und
4 der fetoplazentaren Einheit.

Im Folgenden wird auf die aus Autorensicht wichtigsten Hormone eingegangen. Deren Konzen-
trationsverlauf während einer Schwangerschaft ist in . Abb. 1 dargestellt.

Humanes Choriongonadotropin
Humanes Choriongonadotropin (hCG) ist „das“ Schwangerschaftshormon. Es wird von Synzy-
tiotrophoblasten gebildet und ist bereits 8 Tage nach der Befruchtung und damit noch vor der
Implantation im mütterlichen Serum nachweisbar. Seine Konzentration nimmt bis zur 10. Schwan-

Physiological changes during pregnancy


Abstract
The physiological state of a woman experiences multiple changes in the body during pregnan-
cy. These alterations could be of particular importance in the medical care of pregnant women.
This review article highlights the physiological developments of various organ systems throughout
gestation with a focus on endocrinology, the cardiovascular system, hematology, the respiratory
system and water balance.

Keywords
Hormones · Cardiovascular system · Hemostasis · Respiratory system · Fluid balance

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Abb. 1 9 Konzentrationen der


Schwangerschaftshormone im
Schwangerschaftsverlauf. hCG hu-
manes Choriongonadotropin. (Mod.
nach Cheung und Lafayette [3])

gerschaftswoche (SSW) kontinuierlich zu, danach fällt sie steil ab. Da hCG fast nur während der
Schwangerschaft gebildet wird, eignet es sich hervorragend als laborchemisches Diagnostikum
zum Schwangerschaftsnachweis. Humanes Choriongonadotropin stimuliert in der Frühphase Humanes Choriongonadotropin
der Schwangerschaft das Corpus luteum zur Bildung ausreichender Mengen an Progesteron, bevor stimuliert in der Frühphase der
die Plazenta diese Aufgabe übernehmen kann. Darüber hinaus spielt es eine große Rolle während Schwangerschaft das Corpus lute-
der Implantation – so fördert es u. a. die Angiogenese und die Trophoblasteninvasion. Auch um zur Bildung von Progesteron
werden dem hCG immunmodulierende und wehenhemmende Effekte zugeschrieben, sodass die
Schwangerschaft erfolgreich beginnen kann [4].

Progesteron
Das Steroidhormon Progesteron ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft.
Die Plasmakonzentration von Progesteron nimmt während der Schwangerschaft kontinuierlich
zu. Neben seinem katabolen Einfluss auf den Stoffwechsel stimuliert es das Wachstum der Brust-
drüsen. Die Hauptaufgabe des Progesterons liegt jedoch darin, vorzeitige Uteruskontraktionen Die Hauptaufgabe des Progeste-
zu unterbinden. Es reguliert die Gene herunter, die für die Kontraktion der glatten Muskulatur rons liegt in der Unterbindung
des Uterus zuständig sind. Es wird diskutiert, dass dies ursächlich für den vasodilatierenden vorzeitiger Uteruskontraktionen
Effekt des Progesterons sei [4]. Im letzten Schwangerschaftsmonat wird die plazentare Produktion
des Progesterons durch Induktion der 17α-Hydroxylase vermindert zugunsten einer vermehrten
Produktion von Estradiol.

Östrogene
Es gibt 4 verschiedene Steroidhormone der Östrogenfamilie (Estron, Estradiol, Estriol, Estetrol).
Das Estradiol erreicht die höchste Plasmakonzentration. Die Konzentration aller Östrogene steigt Die Konzentration aller Östrogene
während der gesamten Schwangerschaft kontinuierlich an und gipfelt zum Geburtstermin. Sowohl gipfelt zum Geburtstermin
über Genexpression als auch membranständige Rezeptoren spielen die Östrogene eine wichtige
Rolle in der Angiogenese, sorgen für eine Vasodilatation mit Erhöhung des uteroplazentaren
Blutflusses und gelten als Vorbereiter der Kontraktion des Uterus. Darüber hinaus fördern sie
das Wachstum der Brustdrüsen und einen katabolen Stoffwechsel [4].

Relaxin
Relaxin ist ein Peptidhormon, das im Corpus luteum und später auch in Plazenta und Decidua
gebildet wird. Es erreicht seine höchste Konzentration bereits im ersten Trimester und bleibt
bis zum Ende der Schwangerschaft nachweisbar. Relaxin rückte in letzter Zeit im Zusammen-
hang mit den physiologischen Veränderungen der Schwangeren immer mehr in den Fokus.
Es ist ein starker Vasodilatator. Diese Eigenschaft soll auf einer endothelinvermittelten Stick-
stoffmonooxidfreisetzung beruhen. Indem es den systemischen Gefäßwiderstand senkt und die

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Abb. 2 8 Oxytozinrezeptor(OTR)-Kaskade (zur weiteren Erläuterung s. Text). Ca2+-CaM Kalzium-Calmodulin,


COX-2 Zyklooxygenase 2, DAG Diacylglycerin, ERK Serin/Threonin-Kinasen, IP3 Inositoltriphosphat, MAPK mito-
genaktivierte Proteinkinasekaskade, MLCK Myosin-leichte-Ketten-Kinase, PIP2 Phosphatidylinositoldiphosphat,
PKC Proteinkinase C, PLA2 Phospholipase A2, PLC Phospholipase C. (Mod. nach Arrowsmith und Wray [7])

Relaxin beeinflusst die Hämodyna- arterielle Compliance erhöht, nimmt es großen Einfluss auf die Hämodynamik. Auch soll Relaxin
mik zur Nierenfunktionssteigerung beitragen [5].

Oxytozin
Bildung und Wirkung
Oxytozin (OX) ist ein zyklisches Nonapeptid, das im paraventrikularen und im supraoptischen
Kern des Hypothalamus gebildet sowie im Hypophysenhinterlappen freigesetzt wird. Zudem wird
Als eines der stärksten Uterotonika es lokal in Teilen der Plazenta und des Fetus (Decidua, Chorion, Amnion) gebildet. Als eines
nimmt OX eine zentrale Rolle im der stärksten Uterotonika nimmt es eine zentrale Rolle im Rahmen der Entbindung, konkret
Rahmen der Austreibungsperiode insbesondere der Austreibungsperiode, ein. Oxytozin ist in der geburtshilflichen Anästhesie ein
ein häufig gebrauchter Wirkstoff mit dem Risiko einer iatrogenen Oxytozinrezeptor(OTR)-Down-
Regulation und daraus resultierenden postpartalen Atonien. Darüber hinaus beeinflusst OX die
Laktation, das Mutter-Kind-Verhalten sowie soziale Interaktionen und spielt eine wichtige Rolle
beim Geschlechtsakt.

Rezeptorkaskade
Bis heute ist für das OX lediglich ein OTR identifiziert. Der OTR ist ein Gq-Protein-gekoppelter
Rezeptor, der, über Phospholipase C vermittelt, den intrazellulären Ca2+-Gehalt erhöht. Es kommt
Der gebildete Ca2+-Calmodulin- zur Bildung des Ca2+-Calmodulin-Komplexes, der wiederum die Myosin-leichte-Ketten-Kinase
Komplex aktiviert die Myosin-leich- aktiviert. Diese phosphoryliert das Myosin, was letztendlich in der Kontraktion der glatten Mus-
te-Ketten-Kinase kelzelle des Uterus resultiert. Durch eine Desensitisierung der Myosin-leichte-Ketten-Phosphatase
wird die Kontraktion zusätzlich verstärkt. Über weitere „second messenger“, wie Phospholipase A2
und Zyklooxygenase 2, fördert OX auch die Bildung lokal wirkender Prostaglandine, die ebenso
zur Kontraktion des Uterus beitragen (. Abb. 2; [6]).

Pharmakodynamik
Die uterotone Wirkung des zirkulierenden OX ist einerseits von seiner Konzentration und
andererseits von der Expression des OTR sowie dessen Sensitivität gegenüber OX abhängig. Die
Oxytozin wird schnell verstoffwech- Plasmakonzentration des frei zirkulierenden OX ist nicht statisch, sondern variiert erheblich.
selt Oxytozin hat eine kurze Halbwertszeit, wird pulsatil freigesetzt und schnell verstoffwechselt. Es
wird zudem auch von Teilen der Plazenta gebildet und wirkt parakrin auf die uterine Muskulatur.

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Oxytozin kann über den bei Uterusdehnung ausgelösten Ferguson-Reflex im Sinne einer positiven
Rückkopplung seine eigene Freisetzung fördern.
Die Expression des OTR wird über Progesteron und die Östrogene gesteuert. Östrogene fördern Die Expression des OTR wird über
die Expression des OTR; Progesteron hingegen hemmt sie [8]. Dies wird als ursächlich für die Progesteron und die Östrogene
starke Varianz der Konzentration des OTR im Myometrium im Verlauf der Schwangerschaft gesteuert
angesehen. Zu Beginn der Schwangerschaft ist die OTR-Expression relativ niedrig, zwischen der
37. und 41. SSW verzwölffacht sie sich, um bei Geburt ein Maximum zu erreichen [9]. Dies
lässt vermuten, dass OX erst in der Spätphase der Schwangerschaft wirklich als Uterotonikum
wirksam ist.
Nicht nur zeitlich, sondern auch örtlich lassen sich Unterschiede in der Expression des OTR Es bestehen lokale Unterschiede
feststellen. So fand sich eine höhere Dichte der OTR im Bereich des Fundus, verglichen mit den der OTR-Expression
unteren Uterusanteilen. Es wird vermutet, dass diese ungleiche Verteilung stärkere Kontraktionen
am apikalen Uterus zulassen, um dadurch bei noch „relaxierten“ unteren Segmenten den Abstieg
des Fetus in Richtung Geburtskanal zu erleichtern [7].

Hämatologie

Hämostaseologische Veränderungen
Ab der 6. SSW steigt das Plasmavolumen kontinuierlich an. Obwohl die Erythrozytenzahl um
10–20 % zunimmt, führt dies zu einer Hämodilution, wodurch der Hämatokritwert und die
Hämoglobin(Hb)-Konzentration sinken. Man spricht von einer physiologischen Schwanger-
schaftsanämie, bei der das mittlere korpuskuläre Volumen (MCV) und die mittlere korpuskuläre
Hb-Konzentration (MCHC) überwiegend konstant bleiben. Eine echte Anämie liegt deshalb erst Eine echte Anämie liegt ab Hb-Wer-
ab Hb-Werten <11 g/dl vor. Die Eisenmangelanämie ist am häufigsten, da der Gesamteisenbedarf ten <11 g/dl vor
Schwangerer um das Zwei- bis Dreifache erhöht ist.
Insbesondere im 3. Trimester sinkt auch die Thrombozytenkonzentration. Man spricht von
einer Gestationsthrombozytopenie; ihre Prävalenz beträgt >11 % [10]. Die Thrombozytenzahl
bleibt gewöhnlich über 100.000/μl. Da die Thrombozytenfunktion nicht betroffen ist, ist deren
Anzahl nicht niedrig genug, um klinisch relevant zu werden.
Die Schwangerschaftshormone führen zu einer vermehrten Synthese von Gerinnungsfaktoren. Die Schwangerschaftshormone
Besonders die Konzentrationen der Faktoren I, II, VII, VIII und X steigen an. Gleichzeitig ist die bewirken die vermehrte Synthese
fibrinolytische Aktivität vermindert, und die Konzentrationen der endogenen Antikoagulanzien von Gerinnungsfaktoren
Protein S und Antithrombin sinken. Die Parameter der konventionellen Gerinnungsdiagnostik
bilden das Ausmaß der hämostaseologischen Veränderung nur unspezifisch ab: Die aPTT sinkt
auf Werte um 25–30 s, während der Quick-Wert üblicherweise >100 % beträgt. Die Fibrinogen-
konzentration erreicht Werte von 350–500 mg/dl.
Die erwähnten hämostaseologischen Veränderungen resultieren insgesamt in einem proko-
agulatorischen Status, der die werdende Mutter vor peripartaler Koagulopathie und Blutverlust
schützt. Die postpartale Normalisierung des prokoagulatorischen Status nimmt bis zu 12 Wochen
in Anspruch; gerade in dieser Phase ist das Risiko für die Entwicklung venöser Thrombosen und
Thromboembolien signifikant erhöht.

Bedeutung für die rückenmarknahe Anästhesie


Aufgrund der oben beschriebenen hämostaseologischen Veränderungen sind laut der Deut-
schen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) bei unauffälliger Schwan-
gerschafts- und negativer Blutungsanamnese keine Laboruntersuchungen vor Durchführung einer
rückenmarknahen Anästhesie (RMNA; Spinalanästhesie, Periduralanästhesie) bei Schwangeren
erforderlich [11].
Weniger die absolute Thrombozytenzahl, sondern vielmehr die Dynamik der kurzfristigen Die Dynamik der kurzfristigen Ver-
Veränderung der Thrombozytenzahl vor der Punktion ist maßgeblich für das Risiko eines spina- änderung der Thrombozytenzahl
len/epiduralen Hämatoms. Es existieren keine klar definierten absoluten Grenzwerte, ab deren vor der Punktion ist maßgeblich für
Unterschreiten eine RMNA nicht mehr durchgeführt werden darf – vielmehr muss eine indi- das Hämatomrisiko bei RMNA
viduelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen [12]. In einer kürzlich publizierten retrospektiven
Kohortenstudie eines Kollektivs thrombozytopener Schwangerer mit RMNA war in keinem der

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Schwangerschaft
Relaxin n
Progesteron n
Östrogene n

Refraktärität auf Vasodilatation n NO n


Vasokonstriktion n

nn
Peripherer und systemischer Gefäßwiderstand

Arterielle Unterfüllung n Renaler Blutfluss n

RAAS n ADH n
Salzhunger n Wasserretention n
Durst n Natriumretention n

Schlagvolumen n Zirkulierendes Blutvolumen n Herzfrequenz n

Herzzeitvolumen n

Systemische O2-Versorgung n

O2-Versorgung der fetoplazentaren Einheit n

Abb. 3 8 Regulation des Herzzeitvolumens während der Schwangerschaft. ADH antidiuretisches Hormon, NO
Stickstoffmonoxid, RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. (Mod. nach Conrad [15])

Fälle eine chirurgische Dekompression eines epiduralen Hämatoms notwendig. Das Risiko für
ein epidurales Hämatom bei einer Thrombozytenzahl >70.000/μl wurde mit 0,2 % angegeben
(oberer Grenzwert des 95 %-Konfidenzintervalls; [13]).
Verglichen mit nichtschwangeren Verglichen mit nichtschwangeren Patienten tritt das Phänomen „blutige“ Punktion bei RMNA
Patienten tritt das Phänomen bei Schwangeren häufiger auf. Ursächlich hierfür ist am ehesten eine Erweiterung des epiduralen
„blutige“ Punktion bei RMNA bei Venenplexus bei erhöhtem intraabdominellen Druck und Abflussbehinderungen im Bereich der
Schwangeren häufiger auf V. cava inferior.

Herz-Kreislauf-System
Während der Schwangerschaft kommt es zu umfangreichen Modifikationen des Herz-Kreislauf-
Systems der werdenden Mutter. Das Herzzeitvolumen (HZV) steigt unmittelbar nach der Konzep-
tion an, um dem Sauerstoff- und Nährstoffbedarf der uteroplazentaren Einheit gerecht zu werden.
Schon nach der 8. SSW lässt sich ein Anstieg des HZV um 20 % in Relation zum Ausgangswert
messen. Dieser erhöht sich bis zur 24. SSW weiter auf 45 %. Dieses Niveau wird bis zur Geburt
gehalten [14].
Primärer Auslöser für den Anstieg des HZV ist ein Verlust des peripheren Gefäßwiderstands
Bereits unmittelbar nach der durch Vasodilatation (. Abb. 3). Bereits unmittelbar nach der Konzeption führen die Hormone
Konzeption sinkt der Gefäßtonus Östrogen und Relaxin zu einer endothelseitig gesteigerten Stickstoffmonoxid(NO)-Synthese und
somit zu einer Senkung des Gefäßtonus. Der Verlust des peripheren Gefäßwiderstands senkt
seinerseits den systemischen Gefäßwiderstand um 25–30 %. Dies bewirkt eine deutliche Redu-
zierung der kardialen Nachlast [14] – kompensatorisch steigt das HZV über eine Aktivierung
des Sympathikus.

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Der Anstieg der kardialen Auswurfleistung erfolgt durch ventrikuläres Remodeling: Zunahme
der Ventrikelwandmuskelmasse, Steigerung der myokardialen Kontraktilität und Erhöhung des
enddiastolischen Volumens resultieren in einer bis zu 40 %igen Steigerung des kardialen Schlag-
volumens. Parallel dazu nimmt die globale arterielle Compliance zu, sodass der enddiastolische
kardiale Druck stabil bleibt. Die mütterliche Herzfrequenz steigt während der Schwangerschaft Die mütterliche Herzfrequenz steigt
um 10–20 Schläge/min an. Der arterielle Blutdruck ist während der ersten 2 Trimester zum während der Schwangerschaft um
Ausgangswert erniedrigt und steigt im letzten Trimester wieder auf Ausgangswerte an. 10–20 Schläge/min an
Im 3. Trimenon kann es in Rückenlage der Mutter zum Vena-cava-Kompressionssyndrom
kommen. Hierbei komprimiert der gravide Uterus die V. cava inferior und die Beckenvenen, sodass
der venöse Rückstrom und damit das HZV um bis zu 25 % vermindert werden können. Symptome
sind Hypotonie, Tachykardie, Schwindel und Übelkeit. Da die Perfusion der uteroplazentaren
Einheit keiner Autoregulation unterliegt und vollkommen vom mütterlichen HZV abhängt,
droht aufgrund der Hypotension die fetale Minderversorgung. Eine entsprechende Positionierung Aufgrund der Hypotension droht
(Linksseitenlage oder Beinhochlagerung) verbessert den venösen Rückstrom und kann dadurch die fetale Minderversorgung
helfen, das Ausmaß der Hypotension zu verringern. Sollte die Patientin eine RMNA erhalten, wird
dies besonders relevant, denn die RMNA-assoziierte Sympathikolyse aggraviert die Hypotension.
Eine Optimierung der Lagerung (s. oben, [16, 17]) sowie Volumengabe und der Einsatz
von Vasokonstriktoren (z. B. 10 μg Noradrenalin nach Wirkung titriert) sind therapeutische
Optionen zur Behandlung hypotensiver Zustände. Es gibt zudem Hinweise aus Metaanalysen
mehrerer Studien an kleinen Patientenkollektiven darauf, dass der prophylaktische Einsatz von
Serotoninantagonisten vor Durchführung einer geburtshilflichen Spinalanästhesie das Ausmaß
der damit assoziierten Hypotension reduzieren kann. Es wird in diesem Zusammenhang vermutet,
dass die Gabe vonSerotoninantagonisten(z. B. 3 mg Granisetron i. v.) denu. a. serotoninvermittelten
Bezold-Jarisch-Reflex unterbinden könne (Reflexhypotonie und -bradykardie; [18]).
Unter der Geburt steigt das HZV während der Eröffnungsperiode um zunächst 15 %, um
sich dann in der Austreibungsperiode zu verdoppeln. Einerseits kommt es während der Wehen In der Austreibungsperiode
zu erhöhter Vorlast durch Autotransfusion nach Uteruskontraktionen (300–500 ml), andererseits verdoppelt sich das HZV
erhöhen Geburtsschmerz und -angst Herzfrequenz und Blutdruck. Unmittelbar nach der Geburt
steigt das HZV nochmals an, da nach Uterusentlastung der venöse Rückfluss verbessert wird.
Doch schon in der ersten Stunde nach Geburt fällt das HZV rapide auf Werte des 2. Trimenons
ab. Innerhalb von 2 Wochen postpartum sinkt das HZV wieder auf Vorschwangerschaftswerte.
Die massive Steigerung des HZV während Schwangerschaft und Geburt stellt hohe Anfor- Die massive Steigerung des HZV
derungen an die Herzleistung. Insbesondere im Rahmen einer peripartalen Kardiomyopathie während Schwangerschaft und
(PPCM) hämodynamisch kompromittierte Schwangere haben besonders in der Austreibungs- Geburt stellt hohe Anforderungen
phase sowie kurz nach der Entbindung aufgrund der erhöhten Vorlast ein erhöhtes Risiko für die an die Herzleistung
Entwicklung eines Lungenödems. Für die PPCM in Deutschland liegen keine aktuellen Zahlen
vor; in den USA beträgt ihre Inzidenz 1:2289 bzw. 1:4000 bei einer Einjahresmortalität von 6–10 %
[19].

Respirationstrakt

Atemphysiologie
Während der Schwangerschaft steigt der Sauerstoff(O2)-Verbrauch des Körpers um bis zu 20 % an.
Zwei Drittel davon sind auf den erhöhten Bedarf von Fetus, Plazenta und Uterus zurückzuführen,
ein Drittel auf Myokard, Nieren und Atemmuskulatur der Schwangeren.
Der Körper kompensiert den erhöhten O2-Verbrauch mit einer Steigerung des Atemminuten-
volumens um bis zu 40–50 %. Dies wird v. a. über ein größeres Atemzugvolumen (AZV) erreicht,
weniger über eine Steigerung der Atemfrequenz. Verantwortlich für diese Steigerung ist die erhöh-
te Progesteronkonzentration, die im Atemzentrum die Sensibilität gegenüber Kohlenstoffdioxid
(CO2) erhöht und zusätzlich zu einer Bronchodilatation führt.
Um bei gesteigertem O2-Verbrauch mit gleichzeitiger Verdünnungsanämie einer Hypoxie
des Gewebes entgegenzuwirken, kommt es zu einer Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve. Zur Vermeidung einer Hypoxie
Hierdurch wird die O2-Abgabe ans Gewebe erleichtert. Wichtig für die O2-Versorgung des Fetus kommt es zu einer Rechtsverschie-
ist das fetale Hämoglobin (HbF). Da es über eine höhere O2-Affinität als das mütterliche Hb bung der O2-Bindungskurve
verfügt, ist sichergestellt, dass das fetale Blut in der Plazenta ausreichend oxygeniert wird.

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Abb. 4 8 Veränderungen der Lungenvolumina und -kapazitäten während der Schwangerschaft. Orange im Ver-
lauf abnehmend; grün im Verlauf zunehmend; grau gleichbleibend. AZV Atemzugvolumen, ERV exspiratorisches
Reservevolumen, FRC funktionelle Residualkapazität, ILC inspiratorische Lungenkapazität, IRV inspiratorisches Re-
servevolumen, RV Residualvolumen, VC Vitalkapazität

Im Laufe der Schwangerschaft kommt das Zwerchfell bis zu 5 cm weiter kranial zu liegen als
zuvor, sodass sich das Residualvolumen verringert (. Abb. 4). Die Erhöhung des AZV führt zu
Die funktionelle Residualkapazität einer Reduktion des exspiratorischen Reservevolumens. Beides zusammen senkt die funktionelle
sinkt um insgesamt 15–20 % Residualkapazität (FRC) um insgesamt 15–20 % [20]. Dies ist von besonderer Relevanz bei der
Einleitung einer Allgemeinanästhesie: Die Gefahr einer mütterlichen Hypoxie und damit einer
fetalen Asphyxie ist deutlich erhöht, da die O2-Reserven bei einem erhöhten O2-Verbrauch und
gleichzeitig verringerter FRC schneller aufgebraucht sind.
Die Einsekundenkapazität (FEV1) und die forcierte Vitalkapazität (FVC) bleiben während der
Der paCO2 der Schwangeren fällt Schwangerschaft unverändert. Durch die Hyperventilation fällt der Kohlendioxidpartialdruck
von anfänglich 40 mmHg auf (paCO2) bei der Schwangeren von anfänglich 40 mmHg auf ca. 32 mmHg ab. Um einer respira-
ca. 32 mmHg ab torischen Alkalose entgegenzuwirken, wird Bikarbonat vermehrt renal eliminiert, sodass der pH
unverändert bleibt. Der Sauerstoffpartialdruck (paO2) steigt hingegen auf ungefähr 106 mmHg
an.

Tracheale Intubation
Die veränderte Physiologie des respiratorischen Systems erschwert auch die Rahmenbedingungen
der trachealen Intubation. Der rasche Verbrauch der Sauerstoffreserven führt zunächst dazu, dass
Dem Anästhesisten steht für die dem Anästhesisten für eine erfolgreiche Intubation deutlich weniger Zeit zur Verfügung steht.
erfolgreiche Intubation deutlich Darüber hinaus bewirken die gesteigerte Durchblutung und die Zunahme des interstitiellen Ödems
weniger Zeit zur Verfügung als bei einAnschwellenderSchleimhäute deroberenAtemwege, was die direkte Laryngoskopie erschweren
Nichtschwangeren kann. Ferner kann es schneller zu Verletzungen und Blutungen im Bereich der oberen Atemwege
kommen. So ist die Schwangerschaft in der aktuellen S1-Leitlinie zum Atemwegsmanagement
als ein typischer Prädiktor einer schwierigen Intubation gelistet [21].
Die Inzidenz gescheiterter Intubationen bei Schwangeren im Rahmen einer Sectio beträgt seit
1970 unverändert 2,3:1000 und die Mortalität 2,3:100.000 (ein Todesfall/90 gescheiterte Intubatio-
Auf die optimale Lage des Kopfes nen; [22]). Deshalb ist insbesondere bei einer nichtgeplanten Intubation auf die optimale Lage des
der Schwangeren bei der Intubation Kopfes zu achten. Auch sollten im Kreißsaal immer die entsprechenden Materialien und Geräte
ist zu achten für eine mögliche erschwerte Intubation (Videolaryngoskopie, Larynxmaske etc.) bereitgehalten
werden. Dem Anästhesisten sollte eine ggf. vorhandene „standard operating procedure“ (SOP)
zum Atemwegsmanagement oder auch die aktuelle S1-Leitlinie bekannt sein. Gut geschultes
Bei der trachealen Intubation ist Pflegepersonal und eine Rückfallebene (erfahrener Kollege, Oberarzt) sollten verfügbar bzw. im
die erhöhte Aspirationsgefahr bei Kreißsaal/Sectio-OP anwesend sein.
Schwangeren zu beachten Ganz entscheidend im Hinblick auf die tracheale Intubation ist die erhöhte Aspirationsgefahr
bei Schwangeren. Diese ergibt sich aus der von vertikal auf horizontal gedrehten Magenachse und

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einem erhöhten Mageninnendruck – beides dem nach kranial verlagerten Uterus geschuldet. Da
der Tonus des unteren Ösophagussphinkters nicht kompensatorisch ansteigt, leiden schwangere
Frauen zudem häufig unter einem gastralen Reflux. Zusätzlich kann die Magenentleerung durch
Schmerzen oder ein verabreichtes Opiat verzögert sein. Somit ist die Gefahr einer Regurgitation
bei einer trachealen Intubation deutlich erhöht, mindestens um das Zwei- bis Dreifache im
Vergleich zu nichtschwangeren Patienten [23, 24].
Um das Risiko einer Aspirationspneumonie zu minimieren, sollten Schwangere vor einer Schwangere sollten vor einer
Intubation Antacida (z. B. Natriumbikarbonat) und Medikamente wie H2-Rezeptor-Antagonisten Intubation magensäurehemmende
(z. B. 50 mg Ranitidin i. v. 1 h vor Narkoseeinleitung) oder Protonenpumpeninhibitoren (z. B. 40 mg oder -neutralisierende Präparate
Pantoprazol i. v. 1 h vor Narkoseeinleitung) erhalten [25]. Dies gilt für tracheale Intubationen von erhalten
Schwangeren ab der 12. SSW, da diese ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als nüchtern zu betrachten
sind.

Wasserhaushalt

Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
Der Verlust des systemischen Gefäßwiderstands verursacht eine relative Hypovolämie auf der
arteriellen Seite des Herz-Kreislauf-Systems. Dieser Zustand ist als pathologische Veränderung
bei Leberzirrhose oder Sepsis bekannt, während er bei der Schwangerschaft aber physiologisch
und essenziell ist. Die arterielle Hypovolämie ist der Stimulus, der zur Aktivierung des Renin- Die arterielle Hypovolämie stimu-
Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS; . Abb. 3) führt. Über renale Barorezeptoren und/oder liert das Renin-Angiotensin-Aldos-
eine vermehrte sympathische Aktivität kommt es zur reflexartigen Reninfreisetzung. teron-System
Die Aktivität des RAAS ist abhängig von der Menge des zirkulierenden Renins und seines
Substrats, dem Angiotensinogen (AGT). Östrogene stimulieren in der Leber die Bildung von AGT,
weshalb die Konzentrationen an AGT, seiner aktiven Spaltprodukte sowie die des Aldosterons
kontinuierlich während der Schwangerschaft steigen [26]. Gleichzeitig wird zentral relaxinver-
mittelt die Durstschwelle gesenkt und es kommt zu einer früheren Freisetzung von Vasopressin
(antidiuretisches Hormon, ADH). Diese beiden Vorgänge münden in einer vermehrten Natrium- Es kommt zur vermehrten Natrium-
und Wasserretention mit konsekutiver Plasmavolumenexpansion. Es resultiert eine hypoosmo- und Wasserretention mit konseku-
lare Hypervolämie im Gesamtkreislauf [27]. Durch die vermehrte Wasserretention nimmt das tiver Plasmavolumenexpansion
Gesamtkörperwasser um bis zu 8 l zu [28].
Jedoch zeigt sich, dass in der Schwangerschaft die mütterlichen Gefäße nur vermindert auf
Vasokonstriktoren wie Angiotensin II (ANG II), ADH oder Noradrenalin reagieren und dadurch
die arterielle Vasodilatation unterhalten [29]. Dieser relativen Angiotensin-II-Resistenz könnte eine
durch Östrogene vermittelte verminderte Rezeptorexpression zugrunde liegen; ursächlich könnte
auch ein Überwiegen der Effekte anderer von Plazenta und Decidua freigesetzter Vasodilatatoren
wie Progesteron, Relaxin und Prostazykline sein [26].
Bereits Mitte der Schwangerschaft beginnt der mütterliche Körper mit der Gegenregulation. Bereits Mitte der Schwangerschaft
So produziert die Plazenta das Enzym Vasopressinase, das ADH inaktiviert und somit der Vo- beginnt der mütterliche Körper
lumenzunahme entgegenwirkt. Die Enzymmenge der hepatisch eliminierten Vasopressinase ist mit der Gegenregulation der
proportional zum Plazentagewicht, sodass es bei Mehrfachschwangerschaften oder Leberdysfunk- Hypervolämie
tion (akute Schwangerschaftsfettleber, HELLP-Syndrom [„hemolysis“, „elevated liver enzymes“,
„low platelet count“]) zu erhöhten Konzentrationen kommen kann. Dies kann sich klinisch als
Diabetes insipidus manifestieren [30].

Nieren
Aufgrund der verstärkten Durchblutung, vermehrter interstitieller Flüssigkeit und einer Dila-
tation der Harnwege nimmt die Gesamtgröße der Nieren um ca. 30 % zu; sie hat dabei einen
Längenzuwachs von 1–1,5 cm. Aufgrund der mechanischen Kompression der Ureteren dilatierten
die Harnwege (Nierenkelche, Nierenbecken), und im Rahmen der Schwangerschaft entwickelt
sich häufig eine physiologische Hydronephrose. Da im Gegensatz zum linken Ureter, der parallel Bis zu 300 ml Urin können sich in
zur V. ovarica verläuft, der rechte Ureter die ovariellen und iliakalen Gefäße in einem steilen den oberen ableitenden Harnwe-
Winkel kreuzt, ist die Hydronephrose meist rechtsseitig. Dabei können sich bis zu 300 ml Urin in gen ansammeln

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den oberen ableitenden Harnwegen ansammeln. Diese Urostase kann bei Schwangeren zu einer
Pyelonephritis führen [3].
Durch den erhöhten renalen Blut- bzw. Plasmafluss in Kombination mit einem erniedrigten
Verglichen mit Nichtschwangeren onkotischen Druck steigt die glomerulären Filtrationsrate (GFR). Verglichen mit Nichtschwan-
ist die GFR bereits im ersten geren ist sie bereits im ersten Trimenon um bis zu 50 % erhöht. Die erhöhte GFR ist nötig,
Trimenon um bis zu 50 % erhöht um dem vermehrten Anfall an Abbauprodukten von Plazenta und Fetus gerecht zu werden.
Physiologischerweise kann selbst bei Schwangeren mit einer Normoglykämie eine Glukosurie
auftreten, da aufgrund der erhöhten GFR die Resorption der Glucose nicht so effektiv stattfinden
kann. Auch werden während der Schwangerschaft vermehrt Proteine filtriert. So kommt es zu
einer Proteinurie, die normalerweise 200 mg in 24 h nicht übersteigt [3].

Endotheliale Glykokalyx
An der luminalen Seite von Blutgefäßen liegt dem Endothel eine mehr als 1 μm dicke Molekül-
schicht auf. Die sog. endotheliale Glykokalyx ist negativ geladen, nimmt eine Gesamtoberfläche bis
Die Glykokalyx ist von besonderer zu 350 m2 ein und besitzt eine Gesamtmasse über 100 g [31, 32]. Die Glykokalyx ist von besonderer
Bedeutung für die Barrierefunktion Bedeutung für die vaskuläre Integrität und damit für die Barrierefunktion von Blutgefäßen. Ge-
der Blutgefäße meinsam mit dem Endothel schränkt sie die Extravasation von Flüssigkeit und Makromolekülen
ein. Die Struktur der endothelialen Glykokalyx besteht aus Syndecan-1, einem Proteoglykan,
das für die Anheftung der Glykokalyx an der endothelialen Zelloberfläche verantwortlich ist.
Die „Seitenketten“ der Glykokalyx bestehen aus Glykosaminoglykanen wie etwa Heparansulfat
und Hyaluronsäure. In der Glykokalyx werden Proteine eingelagert (durch deren Ladungseigen-
schaften), sodass die Glykokalyx eine onkotisch kompetente Barriere gegen die Extravasation von
Flüssigkeit aus dem Blutgefäßsystem darstellt. Es ist bekannt, dass inflammatorische Prozesse
die Glykokalyx ablösen bzw. zerstören und dadurch u. a. die interstitielle Ödembildung fördern
können [31].
Kürzlich publizierte Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass es während des Mens-
Während der Schwangerschaft truationszyklus und in einem deutlich ausgeprägteren Maß auch während der Schwangerschaft
kommt es vermutlich durch ein zum Abscheren der Glykokalyx und damit zu einer Einschränkung der vaskulären Barriere kommt
Abscheren der Glykokalyx zur [33, 34]. Hofmann-Kiefer et al. zeigten, dass sich im Verlauf einer Schwangerschaft die Plas-
Einschränkung der vaskulären makonzentration des Glykokalyxelements Syndecan-1 bis zu 159-fach erhöhte. Bei Patientinnen
Barriere mit HELLP-Syndrom fanden sich außerdem erhöhte Plasmakonzentrationen von Heparansulftat
und Hyaluronsäure und damit Hinweise auf noch ausgeprägtere Schädigung der Glykokalyx bei
diesem Patientenkollektiv [33].
Einer entwicklungsbiologischen These nach sei die Regulation der vaskulären Barrierefunktion
während einer Schwangerschaft Element eines physiologischen Schutzmechanismus vor den
Folgen peripartaler Blutungen. Das Interstitium fungiere demnach als Speicher von nach extravasal
„ausgelagerter“ Flüssigkeit und Proteinen (z. B. Albumin), auf den im Bedarfsfall zurückgegriffen
werden könne [34]. Diese Hypothese kann gut erklären, warum während der Schwangerschaft
physiologischerweise Ödeme entstehen, eben über eine durch Progesteron vermittelte Veränderung
Nach der Geburt können über bzw. Zerstörung der endothelialen Glykokalyx. Nach der Geburt, wenn ein starker Blutverlust
die „undichte“ Blutgefäßbarriere einsetzen sollte, mit entsprechendem Blutdruckabfall (damit fällt auch der hydrostatische Druck
Protein und Flüssigkeit aus dem im Intravasalraum), kann über die nun „undichte“ Blutgefäßbarriere Protein und Flüssigkeit
Interstitium rekrutiert werden aus dem Interstitium rückresorbiert bzw. rekrutiert werden. Dieser Mechanismus kann in der
Entwicklungsgeschichte zu einem Überlebensvorteil geführt haben.

Fazit für die Praxis


4 Ovarien und fetoplazentare Einheit produzieren Hormone, die die Schwangerschaft aufrecht-
erhalten und die physiologischen Veränderungen an den Organsystemen der Schwangeren
induzieren.
4 Zwischen der 37. SSW und 41. SSW kommt es zu einem deutlichen Anstieg der Expression
uteriner Oxytozinrezeptoren; dies lässt vermuten, dass die uterotone Wirkung von Oxytozin in
der Spätphase einer Schwangerschaft besonders ausgeprägt ist.
4 Bedingt durch einen Anstieg des Plasmavolumens entwickelt sich eine Gestationsanämie und
-thrombozytopenie.

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4 In der Endphase einer Schwangerschaft liegt oftmals eine hypoosmolare Hypervolämie vor.
4 Bei der Durchführung rückenmarknaher Regionalanästhesie hat die Gerinnungsanamnese den
gleichen, wenn nicht sogar einen höheren Stellenwert als die Ergebnisse der konventionellen
Gerinnungsdiagnostik.
4 Während einer Allgemeinanästhesie ist bei schwangeren Patientinnen das Risiko für Aspirati-
on, Intubationsschwierigkeiten, mütterliche Hypoxie und fetale Asphyxie deutlich erhöht.

Korrespondenzadresse
L. M. Kohlhepp
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt, Deutschland
LukasMartin.Kohlhepp@kgu.de

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. L.M. Kohlhepp, G. Hollerich, L. Vo, K. Hofmann-Kiefer, M. Rehm, F. Louwen, K. Zacharowski und C. F. Weber
geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.

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- Fragen und Antworten werden in zufälliger Reihenfolge zusammengestellt.
- Pro Frage ist jeweils nur eine Antwort zutreffend.
- Für eine erfolgreiche Teilnahme müssen 70 % der Fragen richtig beantwortet werden.

? Welches der Schwangerschaftshormo- ? Wie ist der Wasserhaushalt einer ? Welche physiologische Verände-
ne ist das stärkste Uterotonikum? Schwangeren charakterisiert? rung findet im Wasserhaushalt einer
◯ hCG ◯ Hyperosmolare Hypervolämie Schwangeren statt?
◯ Progesteron ◯ Hyperosmolare Hypovolämie ◯ Relaxin erhöht die Durstschwelle.
◯ Estradiol ◯ Isotone Hyperhydratation ◯ Das RAAS ist nur zu Beginn der Schwan-
◯ Oxytozin ◯ Hypertone Hyperhydratation gerschaft verstärkt aktiv.
◯ Relaxin ◯ Hypoosmolare Hypervolämie ◯ Angiotensinogen wird in der Leber ver-
stärkt gebildet.
? Welches Hormon eignet sich beson- ? Welche Besonderheit trifft auf OX zu? ◯ Progesteron aktiviert das RAAS.
ders gut als laborchemisches Diagnos- ◯ Es besitzt eine lange Halbwertszeit. ◯ Die Aldosteronwerte sinken im Laufe der
tikum zum Nachweis einer Schwanger- ◯ Seine Konzentration steigt linear wäh- Schwangerschaft.
schaft? rend der Schwangerschaft.
◯ hCG ◯ Über den Gi-Rezeptors senkt es die intra- ? Während der Schwangerschaft steigt
◯ Progesteron zelluläre Ca2+-Konzentration. welcher der folgenden Kreislaufpara-
◯ Estradiol ◯ Es kann über einen Reflexbogen seine meter nicht?
◯ Oxytozin eigene Freisetzung fördern. ◯ Der renale Blutfluss
◯ Relaxin ◯ Progesteron verstärkt seine Wirkung. ◯ Das Gesamtblutvolumen
◯ Der systemische Gefäßwiderstand
? Welcher der folgenden Parameter ? Was ist bei der endotrachealen Intu- ◯ Das kardiale Schlagvolumen
nimmt im Laufe einer Schwangerschaft bation schwangerer Patientinnen zu ◯ Die mütterliche Herzfrequenz
zu? beachten?
◯ Hämatokritwert ◯ Es kommt seltener zu Intubationsverlet- ? Warum sinkt im Laufe der Schwanger-
◯ Hämoglobinkonzentration zungen als bei Nichtschwangeren. schaft die FRC?
◯ MCHC ◯ Nach 6 h Nahrungs- und Flüssigkeitska- ◯ Abnahme des ERV und Abnahme des RV
◯ Erythrozytenzahl renz gelten Schwangere als nüchtern. ◯ Zunahme des AZV und Zunahme des
◯ MCV ◯ Bei Schwangeren ist ein schwieriger ERV
Atemweg unwahrscheinlich ◯ Abnahme der FVC und Abnahme des IRV
? Wann kann auf eine Laboruntersu- ◯ Aufgrund der Expansion des Blutvolu- ◯ Zunahme der ILC und Abnahme des AZV
chung vor Anlage eines Periduralka- mens tolerieren Schwangere längere ◯ Zunahme des IRV und Zunahme des RV
theters bei einer Schwangeren verzich- Apnoephasen.
tet werden? ◯ Die Gefahr einer Aspiration ist deutlich
◯ Immer erhöht.
◯ Präeklampsie
◯ Negative Blutungsanamnese
◯ HELLP-Syndrom
◯ Faktor-V-Leiden-Mutation

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