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HSK 2.3
2. Auflage
≥
Handbücher zur
Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft
Handbooks of Linguistics
and Communication Science
Manuels de linguistique et
des sciences de communication
Band 2.3
2. Auflage
Herausgegeben von
Werner Besch · Anne Betten
Oskar Reichmann · Stefan Sonderegger
3. Teilband
ISBN 3-11-015883-3
쑔 Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das
gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
Satz: META-Systems GmbH, Wustermark
Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg
Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Einbandgestaltung und Schutzumschlag: Rudolf Hübler, Berlin
Inhalt
Dritter Teilband
XVII. Regionalsprachgeschichte
178. Heinz Eickmans, Aspekte einer niederrheinischen Sprachgeschichte . . . . . 2629
179. Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Westfälischen . . . . . . 2640
180. Robert Peters, Aspekte einer Sprachgeschichte des Sassischen . . . . . . . . 2651
181. Ulrich Scheuermann, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostfälischen . . . 2663
182. Joachim Gessinger, Aspekte einer Sprachgeschichte des Brandenburgischen 2674
183. Irmtraud Rösler, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostniederdeutschen 2699
184. Klaus J. Mattheier, Aspekte einer rheinischen Sprachgeschichte . . . . . . . 2712
185. Hans Ramge, Aspekte einer Sprachgeschichte des Hessischen . . . . . . . . 2729
186. Gotthard Lerchner, Aspekte einer Sprachgeschichte des Ostmitteldeutschen 2744
187. Alfred Klepsch/Helmut Weinacht, Aspekte einer fränkischen Sprachge-
schichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2767
188. Frédéric Hartweg, Die Entwicklung des Verhältnisses von Mundart, deut-
scher und französischer Standardsprache im Elsaß seit dem 16. Jahrhundert 2778
189. Konrad Kunze, Aspekte einer Sprachgeschichte des Oberrheingebietes bis
zum 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2810
190. Stefan Sonderegger, Aspekte einer Sprachgeschichte der deutschen Schweiz 2825
191. Ingo Reiffenstein, Aspekte einer Sprachgeschichte des Bayerisch-Österrei-
chischen bis zum Beginn der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2889
192. Ingo Reiffenstein, Aspekte einer bayerischen Sprachgeschichte seit der be-
ginnenden Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2942
193. Peter Wiesinger, Aspekte einer österreichischen Sprachgeschichte der Neu-
zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2971
Erster Teilband
Verzeichnis der Siglen für wissenschaftliche Zeitschriften, Reihen und Sammelwerke XVI
Verzeichnis textlicher Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Geleitwort / Foreword / Avant-propos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
Vorwort zur 2., vollständig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage . . . . . . . . . XXIX
Vorwort zur ersten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLI
Inhalt VII
26. Alan Kirkness, Das Phänomen des Purismus in der Geschichte des Deut-
schen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
49. Gerd Fritz, Ansätze zu einer Theorie des Sprachwandels auf lexikalischer
Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 860
50. Walter Hoffmann, Probleme der Korpusbildung in der Sprachgeschichts-
schreibung und Dokumentation vorhandener Korpora . . . . . . . . . . . . . 875
51. Wolfgang Kleiber, Möglichkeiten historischer Sprachgeographie I: Der
hochdeutsche Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 889
52. Jan Goossens, Möglichkeiten historischer Sprachgeographie II: Der nieder-
deutsche und niederfränkische Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900
53. Werner Schröder, Editionsprinzipien für deutsche Texte des Früh- und
Hochmittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914
54. Thomas Bein, Editionsprinzipien für deutsche Texte des späten Mittelalters
und der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923
55. Rolf Tarot, Editionsprinzipien für deutsche Texte der Neuzeit I: literarische
Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 931
56. Winfried Woesler, Editionsprinzipien für deutsche Texte der Neuzeit II:
nichtliterarische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 941
57. Ulrich Krewitt, Probleme des Verstehens altdeutscher Texte und die Mög-
lichkeiten ihrer Übersetzung ins Neuhochdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . 948
Zweiter Teilband
121. Frédéric Hartweg, Die Rolle des Buchdrucks für die frühneuhochdeutsche
Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1682
122. Norbert Richard Wolf, Handschrift und Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . 1705
123. Werner Besch, Die Rolle Luthers für die deutsche Sprachgeschichte . . . . 1713
Vierter Teilband
XXII. Register
226. Anja Lobenstein-Reichmann, Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3553
227. Anja Lobenstein-Reichmann, Verfasserregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3641
XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung im
Gesamtüberblick I: Pragmatische und soziologische
Aspekte
disca lingua harisliz (‘Heerschliß, Fahnen- Weise theodiscus außer für das Frk. auch für das
flucht’) dicitur; 801 läßt Karl d. Gr. diesen Got. (Smaragd, Walahfrid) et ceterae nationes
Begriff in ähnlicher Formulierung in das Ca- Theotiscae (Frechulf von Lisieux) anwenden. Auch
pitulare Italicum aufnehmen: quod nos teu- Hraban schreibt (De inventione linguarum), von den
Markomannen (quos nos Nordmannos vocamus)
disca lingua dicimus herisliz. Insgesamt gibt es stammten jene ab, qui Theodiscam loquntur lin-
für unser Wort aus dem 9.⫺11. Jh. etwa 50 guam. Hinter solchen Äußerungen eines „Germa-
Belege in „amtlichen“ Texten der karolingi- nenbewußtseins“ hat man wohl zu Recht einen
schen Könige (Kaiser), in literarischen Texten Schulzusammenhang vermutet, der auf Alcuin ver-
vor allem von Autoren aus dem Umkreis des weist (Brinkmann 1941, 201ff.; Baesecke 1943,
Hofes (von Smaragd von St. Mihiel und Hra- 329ff.). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der auf
banus Maurus über die Heliand-Praefatio bis die germ. Sprachen und Stämme erweiterte Ge-
zu Otfried) und in Glossen (Beleg-Zusam- brauch von theodiscus durch die Rezeption der
menstellungen bei Krogmann 1936, 15⫺35; Germania des Tacitus ermöglicht und angeregt
wurde. Er blieb indes lediglich Episode.
Eggers 1970, 406; Brühl 1990, 186⫺205;
Wells 1990, 783; Reiffenstein 1997). Bezog Seit dem späten 9. Jh. tritt Teutonicus (s. u.
sich theodisce des Erstbelegs offensichtlich 3.) in Konkurrenz zu theodiscus, das nun nur
auf das Aengl., so die theodisca lingua 788 mehr selten und seit der Mitte des 11. Jhs.
und 801 auf die Sprache der in Karls Heer- gar nicht mehr verwendet wird (lediglich in
bann versammelten rechtsprechenden Fran- Glossen-Hss. begegnet es noch bis ins 12./13.
ken, Baiern, Langobarden, Sachsen vel ex Jh., Reiffenstein 1997, 78).
omnibus provinciis, qui […] congregati fuerint Bis fast zum Ende seines Vorkommens
(788). Die gemeinsame Bedeutung aller Be- ist theodiscus ausschließlich appellativisches
lege ist ‘volkssprachlich’ mit der Einschrän- Sprachadj. (anders Eggers 1961, 380f.). Es
kung auf germ. Sprachen. Im offiziellen bezieht sich auf Varietäten des Ahd. und
Sprachgebrauch karolingischer Urkunden Asächs. oder auf ihre Gesamtheit (in gelehr-
und Rechtstexte ist die Sprache der germ.- ten Texten gelegentlich erweitert auf histori-
vordt. Stämme in Karls Reich, ab der Mitte sche germ. Sprachen) und stellt die Volks-
des 9. Jhs. im Ostfrankenreich gemeint. Im sprache vor allem dem Lat. (‘nicht-lat.’) ge-
Vordergrund steht der Gegensatz der Volks- genüber, auf der Ebene der Volkssprachen
sprache zum Lat. (in dessen Kontext die daneben der lingua Romana (s. o., so auch im
Markierung meist überhaupt erst Sinn ge- Letztbeleg von ca. 1050, Miracula S. Trudo-
winnt), so in allen Glossenbelegen (z. B. Unio nis [St. Truiden, Limburg], Krogmann 1936,
[…] et dicitur thuitisce perula; Calces […] in 35), der lingua Sclavanisca (970, Schenkung
theotisca lingua dicitur chalc; Larum mêh in Ottos I. an Salzburg, Thomas 1990 b, 33) und
diutisco dicitur Gl. I 654, 47; IV 226, 13; I seit 845 dem Langob. (s. o.). Auch die weni-
801, 20). Daneben dient theodiscus in Kanz- gen Belege eines erweiterten Gebrauchs stel-
leitexten auch zur Abgrenzung von den rom. len das Adj. gleichzeitig in einen engen Bezug
Volkssprachen: Mehrere Synoden des Jahres zur Sprache, so nationes Theotiscae bei Frech-
813 forderten die Predigt in der Volkssprache ulf, gens teudisca bei Godescalc (Thomas
(Mainz: in sua lingua, Reims: secundum pro- 1976, 26), Theutisci bei Walahfrid. Am ehe-
prietatem linguae praedicare), jene von Tours sten ist dieser Bezug gelockert bei einigen
konkret: in rusticam Romanam linguam aut auffallend frühen Belegen des subst. Adj. aus
Theotiscam. Ähnlich werden in Nithards Be- Italien (816 Bergamo teotischis, Brühl 1990,
richt über die Straßburger Eide (842) und in 201f.; Jarnut 1996; 845 Trient s. o.; vgl. auch
der Koblenzer Vereinbarung von 860 zwi- 933 comites Teutiski, Ehlers 1989, 307, A. 19).
schen Ludwig, Karl und Lothar II. die Teu- Eine Entwicklung des Appellativs zum Na-
disca lingua und die Romana l. gegenüberge- men (‘dt.’) ist jedenfalls den nordalpinen Be-
stellt. Die Langobardi, 788 noch zur theodisca legen bis zum Ende des 10. Jhs. nicht abzuge-
lingua gezählt, werden in einer Trienter Ur- winnen. „Erst im 11. Jh. finden sich Stellen,
kunde von 845 den Teutisci gegenübergestellt, die nun in der Tat einen erweiterten Sinn des
waren also romanisiert; allerdings weiß noch Wortes erkennen lassen“ (Brühl 1990, 204),
978 das Chronicon Salernitanum: lingua to- wenn die Viten der Hildesheimer Bischöfe
desca (der älteste Beleg für die italienische Bernward und Godehard (ca. 1025 bzw.
Lautform), quod olim Langobardi loquebantur 1035) Theotiscos episcopos u. ä. nennen, wenn
(Krogmann 1936, 33). die erstere Otto III. in Rom meos Saxones et
Im literarischen Sprachgebrauch des 9. Jhs. fällt cunctos Theotiscos apostrophieren läßt und
auf, daß einige Autoren in fast programmatischer wenn etwa gleichzeitig Ademar von Chaban-
156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 2193
nes von der Gründung Bambergs in terra tiutiscae St. Gallen 882; thiutisce Gl. II 73,
Teodisca berichtet (Krogmann 1936, 34). Die 29.61, Salzburg 11. Jh.). All diese Schreibfor-
semantischen Grenzen eines Sprachadj. sind men sind nicht allein aus mlat. Schreibge-
damit überschritten; theodiscus konnte am brauch erklärbar, sondern erweisen mittelbar
Ende seiner Geschichte (auch) die Funktio- die Existenz eines ahd. *diutisk, th-, asächs.
nen eines (geographischen, politischen?) Na- *thiudisk.
mens wahrnehmen. Th. Frings (1941, 213) hatte, zur Stützung von L.
Weisgerbers Hypothese von der Entstehung von
2.2. Theodiscus ist ein mlat. Wort germ. Ur- *theudisk, *theodisk im Westfrk., nachzuweisen
sprungs. Die Erklärung der Übernahme oder versucht, daß der Vokalismus von theodiscus
Bildung des Wortes hat man auf zwei grund- westfrk. („merowing.“) Lautstand wiederspiegele.
sätzlich verschiedenen Wegen (mit Differen- I. Strassner (1984, 18ff.) hat dagegen zeigen kön-
nen, daß sich der Wechsel eo/eu hinreichend aus
zierungen im einzelnen) gesucht:
mlat. Schreibgewohnheiten erklären läßt und daher
a) Entlehnung eines vorhandenen germ. Wortes als Argument für eine dialektgeographische Lokali-
*theudisk, z. B. aus dem Frk. (wie andere mlat. sierung der Bildung von theodiscus entfällt.
Rechtsbegriffe auch, z. B. allodium, feum/feudum,
treuga); 2.2.2. Tatsächlich besteht zwischen lat. genti-
b) Neubildung durch Lehnübersetzungen (*theod- lis oder vulgaris und germ. *peudisk genaue
isk nach lat. vulg-aris oder gent-ilis), die jedoch so- Bildungsgleichheit. Je einmalige got. piudisko
gleich latinisiert (theodiscus) und ausschließlich lat. (Adv.) ‘heidnisch’ und aengl. peodisce ‘Hei-
gebraucht worden sei. Spätahd. diutisk sei durch
den’ sind denn wohl auch ad hoc gebildete
Eindeutschung von theodiscus entstanden.
Lehnübersetzungen von griech. ethnikōs bzw.
lat. gentiles (zuletzt Lühr 1994, 28). Da ahd.
2.2.1. Daß theodiscus die latinisierte Form ei- asächs. diutisk/thiudisk spät und nur verein-
nes bereits existierenden germ. *theudisk zelt belegt ist (Notker; Vergilglosse 11. Jh.,
‘volkssprachlich’ sei, war seit J. Grimm Straßburger Gl.) und erst seit dem Annolied
(1840, 7) immer die mehrheitlich vertretene (ca. 1080) häufiger verwendet wird, hat man
Auffassung. Freilich ist dieses Wort (in dieser seit Behaghel (1921, 28ff.; zuvor schon in ei-
Bedeutung) in keiner älteren germ. Sprache ner Bemerkung R. Hildebrands ca. 1880
belegt. Dennoch „ist an der Existenz eines DWB 4, 1, 2, 2963) immer wieder versucht,
vorahd.-germ. *piudisk nicht zu zweifeln“ auch die Basis von theodiscus als Lehnüber-
(Klein 1994, 22; im einzelnen s. u. 4.). Das setzung zu erweisen (Lerch 1942, 274; Bae-
wichtigste Argument dafür liefern die secke 1943, 327; Betz 1965, 402; Lühr 1990;
Schreibformen des mlat. Wortes. Der für das 1994), die freilich „von vornherein mit Blick
Lat. ungewöhnliche Variantenreichtum der auf das Lat. kreiert worden sei“ (Thomas
Schreibungen (th-, t-, d-; -eo-, eu-, -e-, -iu-; -d-, 1988, 299; anders Lühr 1990, 99). Zur Unter-
-t-) ist nur durch die Interferenz gesprochener stützung hat Lerch (1942, 307ff.; zustimmend
volkssprachlicher Sprachformen (germ. p ⬎ Lühr 1990, 97; 1994, 29f.) darzutun versucht,
ahd. th, d; germ. d ⬎ ahd. d, t; germ. eu ⬎ daß im Ahd. appellativische Ableitungen auf
ahd. iu) verständlich (so auch Lühr 1994, 27). -isk gelehrten Ursprungs seien (Lehnüberset-
Insbesondere ist -iu- zweifellos Reflex der zungen). Eine fundierte Analyse (Klein
ahd. und asächs. Aussprache. Bair. Glossen 1994b) hat diese Annahme als unbegründet
des 9. Jhs. (diutisco sermone appellatur Gl. II erwiesen. Ist schon die Vorstellung schwer
368, 27; diutisce Reiffenstein 1971, 251) spie- nachvollziehbar und durch keine Parallele zu
geln genau jene Lautform wider, die obd. zu stützen, man hätte ein germ. Wort nur zu
erwarten und mit Notkers in diutiskun ⫺ frei- dem Zweck gebildet, es als Grundlage für die
lich erst gut 100 Jahre später ⫺ belegt ist; lat. „Entlehnung“ ins Lat. verwenden zu können,
sind die Glossenwörter nur durch ihre En- so erheben sich gegen diese Hypothese wei-
dungen. Ebenso paßt der wahrscheinlich tere wichtige Bedenken.
älteste originale -iu-Beleg thiutisce aus dem
„bonifatianischen Raum“ (Hofmann 1963, Eine Übersetzung von lat. vulgaris (Betz 1965;
129f.; Worstbrock 1978, 208; Fulda?, Mitte 9. 1974) hätte wahrscheinlich *folkisk ergeben, was
aengl. tatsächlich einmal belegt ist (für lat. vulgo;
Jh.) genau zu ofrk. Lautstand, und gleiches Krogmann 1936, 95). Ahd. diot(a) entspricht vor
gilt für die Belege aus dem nd. Sprachgebiet allem lat. gens, daneben natio, plebs, nie aber vulgus
(Hüpper 1987, 1077ff.; gegen Lühr 1994, 27). (Reiffenstein 1988, 12f.; Thomas 1988, 318f.).
Natürlich wirkt daneben auch auf -iu-Belege Warum hätte man zudem ein (noch dazu „barbari-
die Schreibung von theodiscus, -t- ein (z. B. sches“) Ersatzwort für das oft verwendete gut lat.
2194 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
vulgariter (Thomas 1988, 317, Anm. 59) bilden sol- Die Frühgeschichte von *theudisk wie von
len? Hingegen sind lat. gentilis und germ. *piudisk theodiscus hat mit der Entstehung eines Na-
wortbildungsmäßig und etymologisch parallele Bil- tionsbewußtseins im Frankenreich (frühe-
dungen. Die Schwierigkeit liegt hier jedoch in der stens im 11. Jh.) gar nichts zu tun. Die Be-
Semantik: konnte gentilis bis ins 6. Jh. auch in der
Bedeutung ‘landessprachlich, umgangssprachlich’
deutung von theodiscus ist bis ins 10. Jh.
verwendet werden, so setzt sich danach die kir- ‘germ.-volkssprachlich’, etwas enger ‘frk.’ im
chensprachliche Bedeutung ‘heidnisch’ völlig durch staatlichen Sinn (s. o. 2.1.). Die amtlichen
(Braune 1921, 31), aber gerade davon findet sich und literarischen Belege konzentrieren sich
im Gebrauch von theodiscus oder später ahd. diu- bis Ende des 8. Jhs. im Westen, oft im nähe-
tisk keine Spur, nicht einmal als Konnotation. Da- ren Umkreis des karolingischen Hofes. Es
mit fällt auch jede Wahrscheinlichkeit für ein vor- liegt daher nahe, den Ursprung des mlat.
ahd. *thiudisk ‘heidnisch’ (so Lühr 1990, 99; ähn- Wortes in der Kanzlei Karls d. Gr. zu suchen.
lich Zöllner 1986). Geht man mit der Entstehung Das sprachliche Argument für die Entste-
von *thiudisk bis in die späte Völkerwanderungs-
zeit zurück (Klein 1994 a, 22), so wäre immerhin
hung im Westen (eo für *iu; Frings 1941, 2/3,
eine Lehnübersetzung von gentilis denkbar. Aller- s. o. 2.2.1.) ist allerdings hinfällig, theoretisch
dings vollzog sich zu dieser Zeit der westgerm.-lat. konnte die Entlehnung überall erfolgen; und
Sprachkontakt durch direkte Entlehnungen aus tatsächlich bezeugen vor allem Glossenbelege
dem Bereich der Sachkultur, nicht durch Lehn- das Wort schon im 9. Jh. auch in Baiern und
übertragungen, und für die Bildung des lat. theo- im Norden (in stark schwankender Orthogra-
discus im 8. Jh. käme erst recht nur die Entlehnung phie, meist mit -iu-). H. Thomas (1988, 326;
des längst eingebürgerten volkssprachlichen Wor- 1990 b, 24) hat nachdrücklich den Blick auf
tes in Betracht (Hypothese a). Italien gelenkt: Wenn Georg von Ostia 786
Das entscheidende Hindernis für eine Bil- in seinem Bericht an Papst Hadrian theodisce
dung von *thiudisk erst in der 2. Hälfte des verwendete, mußte er voraussetzen oder wis-
8. Jhs. liegt in der Phonologie. Damals war sen, daß das Wort in Rom bekannt sei (so
die Phonemenspaltung von germ. eu in iu/eo schon Fichtenau 1985, 342); das gleiche gilt
längst fest geworden (Klein 1994a, 13ff.). Eine hinsichtlich des Capitulare Italicum von 801.
Adj.-Ableitung von *theodo/diota hätte not- Thomas nimmt an, daß das Wort anläßlich
wendig *theodisk/*diotisk und heute *dietsch des Rombesuchs Karls 774 geprägt worden
anstelle von thiudisk/diutisk/deutsch ergeben sei. Ist es denkbar, daß umgekehrt Karls
müssen. Das Bestehen auf diesem lauthistori- Kanzleibeamte das Wort in Italien in vulgär-
schen Argument mag den Historikern pedan- lat. Sprachgebrauch vorfanden und übernah-
tisch erscheinen, aber es führt kein Weg men? Die Existenz des vorausliegenden
daran vorbei. volkssprachlichen Wortes ist im Langob. so
gut möglich wie nördlich der Alpen. Immer-
hin ist theodiscus in Italien besonders früh
2.3. Mlat. theodiscus bleibt natürlich eine ge-
volkssprachlich geworden (978 lingua to-
lehrte Neubildung karolingischer Litterati,
desca) und früh als Subst. belegt (816 teo-
auch wenn Erklärungsversuche des Typs b)
tischis, 845 Teutisci, s. o. 2.1. und u. 6.2.; Jar-
verworfen werden müssen. Wie es zu dieser
nut 1996; Wolfram 1998; Reiffenstein 2000).
Neubildung kam, kann nur mit der Hilfe der
Obwohl theodiscus in der Umgebung Karls
Historiker geklärt werden (Wenskus 1965,
öfter verwendet wird, so ist doch sehr auffal-
206ff.; Müller-Mertens 1970; Eggert 1973;
lend, daß Einhard, der Karls Bemühungen
Fichtenau 1985; Thomas 1988; 1990 a.b; Eh-
um die Volkssprache eingehend würdigt, von
lers 1989).
dessen patrius sermo, von barbara carmina
Vor 30 Jahren konnte „bis auf Einzelfragen das und propriis appellationibus spricht (c. 29),
Problem des Wortes Deutsch […] als gelöst gelten“ nie aber von der lingua theodisca (Fichtenau
(Eggers 1970, VIII im Vorwort seiner Sammlung 1985, 340; Thomas 1990 a, 70f.). Auch in der
wichtiger Aufsätze von Grimm 1840 bis Betz 1965). Admonitio generalis von 789 mit ihren vielen
L. Weisgerbers Auffassung, *theudisk/theodiscus sei Predigtanweisungen kommt theodiscus nicht
ein Wort der Sprachgrenze im Westen, „Heimatruf vor. Ein Programmwort in Karls Sprachen-
der in dem Schicksal der Romanisierung stehenden
politik war es offenkundig nicht. Ob die in-
Franken“ gewesen (Sammlung der Aufsätze von
1936⫺1949 in Weisgerber 1953, einige auch bei Eg- teressante Hypothese, theodiscus sei (auch)
gers 1970, Zitat dort 148), fand, auch bei Histori- Rechtsterminus mit der Bedeutung „in der
kern, breite, wenn auch nicht einhellige (z. B. Betz Sprache der (fränkischen, d. h. supragentilen)
1965; 1974) Zustimmung. Davon kann heute keine Heeresversammlung“ gewesen (Rosenstock
Rede mehr sein. 1928; weiterführend Jakobs 1968; 1998; vgl.
156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 2195
3.2. Das neue Wort erwies sich dem älteren (Thomas 1976 u. ö.) bezeugen Belege aus Italien
Konkurrenten aus mehreren Gründen als seit dem frühen 11. Jh. ihre dortige Üblichkeit.
überlegen: Es war kein Neuwort, noch dazu Diesen Sprachgebrauch griff im Investiturstreit der
auf „barbarischer“ Basis, sondern es war 70er-Jahre Gregor VII. gezielt auf, um dieses reg-
num Teutonicum „als einen Staat unter anderen,
durch die antike Tradition legitimiert, es ver- ohne jeden Vorrang, hinzustellen und Heinrich IV.,
lieh dem Sprachvolk eine gentile Basis (die es dessen Herrscher, allein auf dieses Reich zu verwei-
nicht besaß) und ermöglichte ein „normales“ sen“ (Eggert 1992, 269). Diese neue Terminologie
Verhältnis zwischen Volks- und Sprachna- wurde nicht nur von Heinrichs Gegenspielern im
men. Bedeutungsmäßig schließt teutonicus Reich aufgenommen, sondern konnte auch positiv
allerdings unmittelbar an theodiscus des spä- gewendet (Lampert von Hersfeld) und Ausdruck
ten 9. Jhs. an: ‘volkssprachlich’, bezogen auf eines „politischen Deutschbewußtseins“ (Müller-
Varietäten des Ahd. und Asäschs. (der erwei- Mertens 1970, 389) werden (vgl. auch Thomas
terte Germanenbezug ist für teutonicus nicht 1994, 139ff.). Die offizielle salische Terminologie
bezeugt). In England wird im 12./13. Jh. gele- blieb davon freilich unberührt und hielt am impe-
rium Romanum fest.
gentlich teutonice, Theuthonica für die engl.
Volkssprache (im Gegensatz zum Anglo-
Norm. [Frz.] oder zum Schott.) verwendet 3.3. Teutonicus gilt als lat. Bezeichnung des
(Richter 1979, 52, 122). Weiterhin bleibt der Dt. im ganzen Mittelalter fast uneinge-
Sprachbezug dominant. Von den frühen Bele- schränkt. Erst die Humanisten ersetzten Teu-
gen (ca. 886/888) sind lediglich Notkers I. mi- tonici/Teutonia durch das wiederum zu Glanz
liaria Teutonica ‘dt. Meilen’ und Teutonica gelangte Germani/Germania, zögernder auch
(erg. terra) ‘Germania’ im „Rhythmus in Teutonicus durch Germanicus (Müller 1925,
Odonem regem“ aus Westfranken (Brühl 282). Im 18. Jh. wird Teutonicus gelegentlich
1990, 208f.) in geographischem Sinn zu ver- für ‘altdeutsch’ verwendet (J. Schilter 1726/
stehen. Obwohl teutonicus eindeutig ein 28, K. J. Michaeler 1776; von Raumer 1870,
Namensadj. ist, überwiegt, in Übereinstim- 177; 252). Im Namen des Ordo Teutonicus
mung mit theodiscus, doch bis weit ins 10. Jh. ‘Deutscher Orden’ lebt das Wort in vielen
die appellativische Bedeutung. Der Übergang Sprachen bis heute weiter. Auf die lautliche
des Sprachadj. zum Sprach- und Volksnamen Entwicklung der volkssprachlichen Bezeich-
(Teutonici, Teutones) erfolgte seit der 2. nung für ‘dt.’ hat teutonicus nur geringen
Hälfte des 10. Jhs., zuerst belegt in einer Ur- Einfluß gehabt (s. u. 4.3.). Daß teutonicus,
kunde Ottos I. für Magdeburg 961, wo mehr- obwohl das herrschende Wort im Lat., nicht
fach von Theutunici vel Sclavi die Rede ist ins Dt. entlehnt wurde, beweist die feste Ver-
(Vigener 1901, 27f.; Brühl 1990, 211f.). Die ankerung von diutisk/diutsch usw., aber auch
Mehrzahl der Belege bis zum Jahr 1000 das Widerstreben, die gelehrte Konstruktion
stammt allerdings aus Italien oder hat Ita- des Volks- und Sprachnamens außerhalb der
lien-Bezug (spiegelt Sprachgebrauch in Ita- gelehrten Kreise zu akzeptieren. Erst als auch
lien wider), nach Thomas auch die Urkunde diese Kreise zum Dt. übergingen, konnte es
von 961 (vgl. auch 999 nullus Italicus nullus- gelegentlich auch dt. verwendet werden (teu-
que Teutonicus; Thomas 1990 b, 29ff.; „zuge- tonisch bei Jahn: Kainz 1974, 421). Heute
spitzt“ 1994, 136; Liste ital. Belege bis 1026 wird die Wortsippe Teutonen/teutonisch für
bei Ehlers 1989, 306, A. 19). Im Verlauf des ‘dt.’ höchstens noch pejorativ gebraucht (Du-
11. Jhs. festigt sich der Gebrauch von Teuton- den GDW 7, 3380; im DWB nicht gebucht).
icus (Adj. und Subst.), Teutones als Sprach-
und Volksname für ‘deutsch’ und ‘die Deut-
schen’, und zwar als Außen- wie als Eigenbe- 4. *peudisk ⫺ diutisk ⫺ deutsch
zeichnung (z. B. im Brief Notkers d. Dt. an
Bischof Hugo von Sitten: verba teutonica ‘dt. 4.1. Volkssprachliches *diutisk ist im 9. Jh.
Wörter’ dürften nicht ohne Akzent geschrie- zwar nur mittelbar über die Schreibungen
ben werden). Später (12./13. Jh.) und zögern- thiutiscus, diutisce u. ä. greifbar, an seiner
der kommt auch die geographische Bezeich- Existenz kann aber nicht gezweifelt werden
nung Teutonia in Gebrauch (Brühl 1990, (s. o. 2.2.1). Über das Alter des Wortes beste-
234ff.). hen unterschiedliche Meinungen: gemein-
germ. (Grimm 1840; Krogmann 1936), west-
Eine eigene Geschichte haben die politischen Ter-
mini regnum und rex Teutonicum, -us oder Teuto- germ. (mit Einschluß des Nordgerm.? Dove
nicorum, Teutonum (Müller-Mertens 1970; Brühl 1916; Specht 1941; Reiffenstein 1988; Klein
1990, 218ff.; Eggert 1992, 269ff.). Nach einem ver- 1994a) oder vorahd. (Lühr 1990; 1994). Lühr
einzelten und sehr fragwürdigen Irrläufer zu 919 (1994, 31ff.) hat in einer breit dokumentier-
156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 2197
ten Analyse zu beweisen versucht, daß vor- Erörterungsbedürftig ist das Fehlen von *thiutisg
ahd. *piudisk ‘volkssprachlich’ „allein aus bei Otfrid. Im lat. Brief an Liutbert geht es um die
germ. oder ahd. sprachlichen Mitteln“ nicht Verschriftung der Volkssprache; dem entspricht die
Verwendung von theodisce. Einmaliges francisce
gebildet worden sein konnte. M. E. machen
konkretisiert die Volkssprache (scripsi … evangelio-
ihre Belege aus dem Aengl. und Ahd. aber im rum partem francisce compositam), wie das dann
Gegenteil deutlich, daß für Ableitungen von akzentuiert in dem programmatischen Kapitel I 1
germ. *peudō der Bezug zu ‘(Volks-)Sprache’ (Cur scriptor hunc librum theotisce dictaverit) mit
einwandfrei zu sichern ist (aengl. péod, ge- frenkisg erfolgt: das volkssprachige Evangelien-
péode ‘Sprache’, ahd. in githiuti [Otfrid], zi buch (in frenkisgon 46.126; in frenkisga zungun
diuta [Gl. II 167, 55, 9. Jh.] ‘volkssprachlich’, 114.122) will sein Teil dazu beitragen, um Ludwig
uncadiuti [Abrogans] ‘barbarus, fremdspra- und seinem ostfrk. Reich, Frankono kuning und
Frankono lant (Ad Lud. 2f., Frankono thiete 90),
chig’). Aengl. peȯdisc ‘volkssprachlich’ (Ael-
ihren Platz in der Heilsgeschichte zu sichern.
fred) kann, muß aber nicht durch mlat. theo- *Thiutisg ‘volkssprachlich’ hätte dies nicht ange-
discus beeinflußt sein (Lühr 1994, 29). Daß messen ausdrücken können. Offenbar war Otfrid
aengl. péod ‘Sprache’ keine ahd. Entspre- der „reichsfrk.“ Akzent auch bei einigen anderen
chung hat, beweist nicht, daß ein entspre- Stellen wichtig, wo ‘volkssprachlich’ (im Gegen-
chendes westgerm. Wort nicht existiert hat. satz zu ‘lat.’) auch genügt hätte: III 7, 13 theist in
Viele Wörter, die ihre Lautform als alt er- frenkisgon; V 8, 7f. thaz heizent […] in githiuti
weist, sind erst spät bezeugt, viele sind nur frenkisge liuti (vgl. noch I 3, 45; V 14, 3; Strasser
durch Rekonstruktion erschließbar. Specht 1984, 47ff.; Morciniec 1986; Haubrichs 1993, 26,
A. 25; Klein 1994, 20f.).
(1941, 255ff.) hat ahd. diuten (aengl. gepéo-
dan, anord. pýda) als Ableitung von *peudis- Die späte Bezeugung von ahd. diutisk und
ka- (mit Suffixtilgung) verstanden. Lühr sein Fehlen bei Otfrid ist jenen Forschern, die
(1994, 37ff.) ist in ihrer Erörterung von deu- *theudisk für eine westfrk. Bildung (Weisger-
ten darauf nicht eingegangen (so auch Kluge- ber, Frings, Eggers) oder für eine Lehnüber-
Seebold 1989, 138; zuletzt Lloyd 1998, 669: setzung (Lerch, Betz, Thomas; anders Lühr:
„unwahrscheinlich“). semantische Umdeutung) halten, ein wichti-
ges Indiz dafür, daß diutisk erst spät nach
4.2. Die Überlieferung von ahd. asächs. diu- Osten „gewandert“ bzw. durch Eindeut-
schung von lat. theodiscus entstanden sei.
tisk, thiudisc setzt erst zwei Jh. nach der von
Diutiscus u. ä. im 9. Jh. in Baiern und Sach-
mlat. theodiscus ein, etwa gleichzeitig im Nor-
sen belegen hingegen, daß es einer „Ostwan-
den wie im Süden: in einer (verbrannten)
derung“ nicht bedurfte (s. o. 2.2.1.; Reiffen-
asächs. Isidorglosse aus Straßburg (Germania
stein 1971; Strasser 1984). Eine Eindeut-
thiudisca liudi, 10. Jh.?), bei Notker d. Dt.
schung von lat. theodiscus im 9./10. Jh. hätte
(mehrfach in diutiskun neben vereinzeltem
nur *tietsch ergeben können, nicht aber diu-
teutonice) und in Vergilglossen des 11. Jhs.
tisk/diutsch/deutsch. Nicht haltbar ist aller-
aus Tegernsee und Echternach (diutischemo,
dings auch die Auffassung einer getrennten
tutisscomo, mit älterer obd. Vorlage; Weisger-
Entwicklung von westlichem *theudisk/theo-
ber 1936, 28). Während die asächs. Glosse
discus und östlichem diutisk ⬎ deutsch (Stras-
eindeutig geographisch-ethnisch zu verstehen ser 1984); theodiscus und diutiscus stimmen
ist (ebenso die Trierer Glosse Thetonica thiu- semantisch völlig überein (Thomas 1987,
disca 11./12. Jh.), bleiben die übrigen frühen 295). Das Fehlen von ahd. diutisk bis um
Belege in ihrer Bedeutung offen. Notker kon- 1000 erklärt sich hinreichend aus den Text-
frontiert den Sprachgebrauch in diutiskun ‘in sorten des Ahd., in denen für den Begriff
der (freilich: dt.) Volkssprache’ (424, 30 ‘volkssprachlich’, praktisch kein Bedarf be-
subst. dero diutiskun) mit jenem apud grecos, stand (Klein 1994, 19f.). Daß das ahd. Wort
apud latinos, latine, völlig synonym mit teu- aber ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt die
tonice (425, 27), und schließt damit bruchlos Namensbedeutung des mlat. theodiscus über-
an die Verwendung von theotisce, teutonice in nahm, als dieses zugunsten des neu aufgegrif-
den Glossaren an (den Volksnamen konnte fenen teutonicus allmählich wieder fallen ge-
er offenbar nur lat. ausdrücken: uuir teutones lassen wurde, ist m. E. nur verständlich, wenn
423, 8). Die Vergilglosse diutischemo/tutis- diutisk schon vorher als Sprachadj. (noch
scomo übersetzt Teutonico (ritu), vielleicht in nicht als Sprachname) einen festen Platz im
bewußter Korrektur der lat. Glosse Gallia ahd. Wortschatz besessen hatte. Die Bedeu-
bzw. Gallico more (vgl. den vollständigen Ab- tungsentwicklung vom Sprachadj. ‘volks-
druck bei Weisgerber 1936, 21). sprachig’ zum Sprach- und später zum Volks-
2198 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
namen ‘dt.’ erfolgte hingegen zweifellos unter wiegt tiutsch u. ä., im Nd. herrscht aus-
dem Einfluß der mlat. Entsprechungen theo- schließlich dudesch u. ä., die restlichen Ge-
discus/teutonicus (anders Strasser 1984, 31ff., biete schwanken (md. und bair.-österr. über-
54) und mit zeitlicher Verzögerung. wiegend d-; WMU 1, 391). Regulär entwik-
kelt ist allein d-. Die t-Formen sind wahr-
4.3. Nach dem formelhaften Gebrauch durch scheinlich an teutonicus angelehnt. Dies war
Notker ist diutisch erst seit dem ausgehenden sicher bei der Form teutsch im 18. und noch
11. Jh. in zunehmend breiterer Verwendung im 19. Jh. (Arndt, Jahn) der Fall. Das Be-
belegt: diutischin sprechin, diut(i)schi, -e lant, dürfnis nach einer mythisch legitimierten
liuti, man im Annolied (um 1080), nach Tho- Origo der Dt. führte schon im Spätmittelalter
mas dem ersten Versuch einer Origo gentis in etymologischer Spekulation über den Teu-
Teutonicorum (Thomas 1991, 251ff., 259f.; tonennamen zur Erfindung des Heros epony-
1994, 140f.), 70 Jahre später begegnen dane- mos Theuton (Kästner 1991, 81ff.) und später
ben in der Kaiserchronik zuerst die Dutiscen, (noch bei Arndt), in Anlehnung an den taci-
in der Pilatuslegende (um 1200?) tutisch volk. teischen Tuisto, zu Urvater Teut. Gottsched,
Mit beträchtlicher Verzögerung gegenüber Adelung und vor allem J. Grimm gaben den
dem mlat. Sprachgebrauch hat damit auch Ausschlag für deutsch, Goethe und noch
das dt. Sprachadj. die Beschränkung auf den Nietzsche haben den Streit über die richtige
Sprachbezug überwunden. Aber noch im 13. Schreibung verspottet (Sonderegger 1979, 44;
Jh. verwendet man als Volksbezeichnung an 1988, 453f.; Haubrichs 1993, 37; zu Heine
Stelle des subst. Adj. lieber attr. Fügungen vgl. Wülfing 1994, 117).
wie d. liute, man o. ä. (Thomas 1994, 143ff.).
Bis heute ist der Volksname der Deutschen 4.4. Die Bedeutung des Sprachnamens mhd.
im Dt. im Gegensatz zu allen anderen Volks- diutsch, mnd. dudesch und ebenso von mnl.
und Stammesnamen (Italiener, Franzosen, dietsch, duutsch umfaßte im Mittelalter noch
Schweizer, Tiroler usw.) subst. Adj.; lediglich die gesamte Sprachen- und Dialektvielfalt
die ebenfalls von Sprachadj. abgeleiteten und von Flandern bis zur Südgrenze des dt.
semantisch vagen Namen der Welschen (vgl. Sprachgebietes (Breuer 1973, 328ff., 346).
Notker 707, 27 in uualascun ‘latine’; daneben Erst seit dem 16. Jh. differenzieren und festi-
aber das Subst. uualha Romani Kasseler Gl.) gen sich die heutigen Bedeutungen ‘dt.’ und
und der Windischen (Gl. III 429, 27 windi- ‘nl.’ (unter dem neuen Namen nederlands;
scher Slauicus, daneben III 132, 21 winida de Smet 1973, 319ff.; vgl. auch Art. 223).
Sclavi) fungieren in gleicher Weise. Die Bedeutungsgeschichte des Volksnamens
deutsch und sein Gebrauch (Kombinierbar-
Wie der zusammenfassende Volksname, so setzt keit, Ableitungen, Komposita) spiegeln hin-
sich auch der Landesname nur sehr langsam durch. gegen in Denotation und mehr noch in den
Vom 11. Jh. (Annolied) bis ins 15. Jh. gelten aus- Konnotationen die Geschichte der Nation
schließlich attr. Fügungen, überwiegend im Pl.:
diutschiu lant, deutsche l.; Sg.-Formen kommen fast
und der nationalen Befindlichkeiten der
nur in Präp.-Phrasen vor (in, ze, von diutscheme Deutschen bis heute recht genau wider. Peri-
lande, zum Ausdruck der Pluralität? Smits 1977, oden gesteigerten nationalen Bewußtseins
70ff.). In Fügungen mit endungslosem Nom. Akk. verliehen auch der eigenen Sprache nicht nur
(diutsch lant), die den Numerus nicht mehr klar er- stärkere Gefühlswerte, sondern z. T. auch er-
kennen lassen, konnte der Pl.-Ausdruck zum Sg. weiterte Bedeutung. 1474 wurde das Reich
umgedeutet werden. Daraus erwuchs seit dem 15. erstmals als Hl. Römisches Reich deutscher
Jh. allmählich das neue Subst. Deutschland. Der Nation bezeichnet (Rosenfeld 1974, 464;
zugrunde liegende Pl. spiegelt „die Vielzahl seiner Schnell 1989, 293; Haubrichs 1993, 31).
regna (‘Lande’)“, die „föderative Grundstruktur“
Wenn humanistische Spekulationen über die
wider (Smits 1977; Schnell 1989, 275ff.; Werner
1994, 77 [von dort die Zitate]; DWB 2, 1052f. Geneaologie der Deutschen (beflügelt durch
[2DWB 6 fehlt das Lemma]). die Wiederentdeckung der Germania) zu dem
Schluß gelangten, das Dt. habe zeitlichen
Als Sprachsubst. wird mhd. überwiegend das Vorrang noch vor dem Griech., und wenn gar
F. diu diutsche (zunge, sprache) verwendet, der oberrheinische Revolutionär (um 1510)
wie auch diu latine; allerdings steht daneben sich zu der Behauptung verstieg, „Adam ist
auch das später allein übliche N. ⫺ Seit dem ein tusch man gewesen“, seine Sprache all
12. Jh. zeigen die Schreibungen ein merkwür- Manns, d. h. Alemannisch, dann schloß dt.
diges Schwanken zwischen Formen mit d- notwendig auch das Germ. mit ein (Schnell
und t-. Im Südwesten mit der Schweiz über- 1989, 305f.). Galt zunächst allein die relatio-
156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 2199
nale Bedeutung des Adj. (Bezug auf Sprache, Ambivalenzen (z. B. im Ausdruck deutsche
Volk, Land), so konnte es jetzt auch qualita- Literatur) werden allerdings zunehmend
tive Bedeutungsfunktionen („deutsch als Sit- durch die Verwendung von deutschsprachig
tenbezeichnung“ Sonderegger 1988, 454) vermieden.
wahrnehmen. Ein vereinzelter Vorläufer war
schon Walthers tiutschiu zuht. Seit dem 15./
16. Jh. kann Treue, Gemüt, Mut, Glaube, 5. Germanicus (Germanus)
Herz mit deutsch verbunden werden (Hau-
brichs 1993, 32). Der Gefährdung der dt. Na- Die Römer kannten die Namen Germani und
tion und der dt. Sprache antworteten die Germania als Bezeichnung für Leute und
Sprachgesellschaften des. 17. Jhs. mit einer Land östlich des Rheins und für einige links-
emotional positiven Wertung von deutsch. In rheinische Stämme am Niederrhein seit Cae-
ihren Texten sind das Adj.-Abstr. Deutschheit sar; wahrscheinlich geht die Generalisierung
(1639) und Komposita wie deutschgesinnt, t- des Namens eines Stammes auf die Gesamt-
(1644), deutschliebend (1647), teutschherzig heit überhaupt erst auf ihn zurück. Jedenfalls
(1623) erstmals belegt. Die Befreiungskriege war Germani keine Selbstbezeichnung der so
1813⫺15 beförderten den Umschlag der Benannten. Die Namen blieben in der anti-
Deutschgesinntheit in einen deutschthümeln- ken Literatur geläufig und wurden vom Mit-
den (1813 Rahel Varnhagen) Nationalismus, telalter ⫺ vor allem von der Kirche ⫺ über-
der in gerader Linie zu den Katastrophen des nommen. Allerdings stand immer die geogra-
20. Jhs. führte. phische Bedeutung im Vordergrund; im eth-
nischen oder politischen Sinn für das Fran-
Nun können nicht nur Treue und Redlichkeit kenreich oder seine Stämme ist Germani(cus)
deutsch sein, sondern auch der Wald (die Eiche!) bis um 1500 selten belegt (Vigener 1901, 2ff.;
und die Quellen (Dehmel), Wein und Sang (Hoff- 119ff.; 193f.; Müller 1925, 276ff.; Haubrichs
mann von Fallersleben) usw. Neubildungen des 19. 1966, 424ff.; zu Germania Brühl 1990,
Jhs. sind z. B. Deutschtum, Deutschkunde, deutsch-
national, und auch unheilvolle Bildungen wie
134ff.). Als Sprachadj. für ‘dt.’ begegnet Ger-
deutschvölkisch, -blütig, -stämmig gab es schon vor manicus im Mittelalter nur ganz vereinzelt.
1933 (alle Belege 2DWB 6, 812ff., 819ff.). Seit Niederschlag der fuldischen Tacitus-Rezep-
Klopstock ist deutsch auch steigerungsfähig (deut- tion im 9. Jh. ist offenkundig der Gebrauch
scher, Haubrichs 1993, 34), ähnliches leisten Bil- von Germanica lingua, Germanice durch Lu-
dungen wie echt-, rein-, urdeutsch (letzteres schon pus von Ferrières (Krogmann 1948, 50f.);
bei Goethe; Kainz 1974, 419ff.; 281). Freilich blieb und nach Fulda, sei es auf Hraban oder auf
auch die Kritik an Deutschtümlichkeit (Goethe) Lupus, weist auch das einmalige Vorkommen
und Deutschtümelei (Heine) nicht aus. ⫺ Im ro- von in Germanicam linguam in der Heliand-
mantischen Rückblick auf die eigenen Ursprünge
verwischte sich auch wieder die Grenze zwischen
Praefatio (in der Bedeutung ‘asächs.’, neben
dt. und germanisch; Jacob Grimm hat diese erwei- Theodisca [lingua, poëmata] ‘volkssprachlich,
terte Bedeutung in die junge Germanistik einge- dt.’? Haubrichs 1966, 425; Krogmann 1948,
bracht, wenn er seine historische Darstellung der 47ff.). Erst die Germanen-Renaissance der
germ. Sprachen Deutsche Grammatik (1819) nannte deutschen Humanisten ⫺ entscheidend be-
(vgl. auch seine Deutschen Rechtsaltertümer 1828, einflußt durch die Wiederentdeckung der
VIIf.). Sie wirkte ⫺ etwa in der Einbeziehung des Germania (Brühl 1990, 34ff.) ⫺ brachte den
Got. in die Geschichte der dt. Sprache (vgl. auch antiken Namen mit einem Schlag in die vor-
Sonderegger 1979, 67) ⫺ bis ins 20. Jh. herein derste Linie, und auch als Sprachadj. setzte
(Haubrichs 1993, 36f.). sich Germanicus nun über Teutonicus durch
Die politischen und gesellschaftlichen Verän- (Müller 1925, 281f.).
derungen nach 1945 haben die Anwendungs- Die Ablösung läßt sich gut an den Grammatiken
möglichkeiten von deutsch als qualitatives und Wörterbüchern des 16. Jhs. beobachten (Mül-
Adj. stark eingeschränkt. Die nationale Be- ler 1882, 17ff.). Die Vokabularien des ausgehenden
deutung des Adj. und des Volksnamens ist 15. Jhs., die Grammatiken von J. Cochläus (1511)
enger geworden und genauer begrenzt auf und J. Aventin (1512) verwenden noch ausschließ-
den Bezug auf Deutschland (bis 1991 auf die lich teutonicus. 1508 erschienen die Proverbia Ger-
manica von H. Bebel, lingua germanica begegnet
beiden deutschen Staaten) und auf deutsche bei J. Tritheim (1518), F. Irenicus (1518), S. Gele-
Institutionen; bis 1938 hatte sich auch die 1. nius (1537), bei den Grammatikern A. Oelinger
Republik Österreich als einen deutschen Staat (1573), L. Albertus (1573) und J. Clajus (1578) usw.
verstanden. Hingegen hat deutsch als Sprach- bis ins 19. Jh. Beide Bezeichnungen verwendet J.
adj. seine weite Bedeutung bewahrt; mögliche Maaler im Titel seines Dt. Wörterbuches (1516):
2200 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
Dictionarium Germanico-latinum […] Hoc est, Lin- gezogen (lebt noch in wallonischen Mundar-
guae Teutonicae […] thesaurus; ein vereinzelter ten; Weisgerber 1940, 123f.). Der Lautent-
Spätbeleg ist J. Bellins Syntaxis Praepositionum wicklung liegt frk. thiudisk zugrunde (FEW
Teutonicarum (1660; Jellinek 1913, 191). Wie 17, 394, Anm. 3; Strasser 1984, 9ff.; unent-
teutsch verwenden die Humanisten auch germani-
cus gelegentlich für ‘germ.’ (B. Rhenanus 1531;
schieden Heim 1984, 65ff.). Die Bedeutung
Müller 1882, 309). des Sprachadj. ist ähnlich weit wie die von
mnl. dietsch/duutsch und mhd. diutsch, jene
Im Dt. ist germanisch seit dem späten 18. Jh. des Volksnamens meist eingeengt auf den
zu belegen (Adelung; DWB 4, I/2, 3717f.). Nordwesten (Nfrk.; Heim 1984, 99ff.; Frings
Selbst wo es in nationaler Euphorie übertra- 1941, 228f.). ⫺ Im Afries. begegnet der
gen für ‘dt.’ verwendet werden kann (Her- Sprach- und Volksname tyoesch ‘dt., holl.’
der), ist es doch nie Sprachbezeichnung für seit ca. 1400 und steht immer im Gegensatz
‘dt.’. Es bleibt ⫺ wie teutonicus ⫺ ein gelehr- zu ‘Fries.’ (Meijering 1983, 185ff.). ⫺ Frühe
tes (gelegentlich ein pathetisches) Wort. volkssprachliche Entwicklung von theodiscus
(oder langob./frk. thiudisk?) in Italien (Pisani
1962) spiegelt schon der Beleg lingua todesca
6. Bezeichnungen des Deutschen des Chronicon Salernitanum von 978 wider
in den Nachbarsprachen (s. o. 1.2.). Er entspricht genau dem neapoli-
tan. todisco ‘Zechbruder’ und dialektalen
6.1. Die Nachbarsprachen kennen eine unge- Formen aus Oberitalien (todesc; Bruckner
wöhnliche Vielfalt an Bezeichnungen des/der 1900, 68f.; Krogmann 1936, 36). Die alpen-
Deutschen. Die Ursache dafür dürfte einmal rom. Dialekte haben durchwegs Formen mit
darin liegen, daß sich die frühe Bildung theo- -u- (engadin. tudestg, tudaisch, friaul. to-
discus im Lat. nicht durchsetzen konnte, zum desc). Das Schwanken zwischen e und o für
andern, daß dem Deutschen eine eindeutige germ. iu hat Parallelen in langob. Namen des
gentile Grundlage fehlt. Die Folge davon 10. Jhs., seine Ursache ist offenbar ungeklärt
war, daß die Deutschen teils nach den je be- (Bruckner 1900, 68). Jedenfalls muß germ.
nachbarten Stämmen (Alemannen, Sachsen), *thiudisk- (Cortelazzo/Zolli 1988, 1320) oder
teils mit gelehrten Namen (Theodisci, Ger- das in Italien früh als Name für ‘dt.’ ge-
mani) benannt wurden. Ohne solche An- brauchte theodiscus zugrunde liegen (Entleh-
knüpfung blieben die slaw. Bezeichnungen nung aus dem Langob.? Grünenthal 1943,
(němci). Bemerkenswert ist einerseits die 355; Reiffenstein 2000; langob. ist *thiudisk
Nachwirkung von *thiudisk-/theodiscus in der anzusetzen). Aus dem Ital. ist frz. tudesque
südlichen Romania bis heute, andererseits die (seit dem 16. Jh.) entlehnt, von dort weiter zu
„Folgenlosigkeit“ von teutonicus. ⫺ Überna- span. port. tudesco; es bedeutet ‘altdt.’ oder
men der Dt. (in der Regel pejorativ, z. B. frz. pejorativ ‘dt.; grob’.
boche, engl. Hun, poln. Szwab) beziehen sich Engl. Dutch ‘Nl.’ (Carr 1962, 203) hat die
nie auf die Sprache und bleiben hier weg. Bedeutungsverengung erst seit dem 17./18.
Jh. erfahren. Als Sprachname seit Wiclyf
6.2. *Theudisk/theodiscus/deutsch (1380) und Chaucer belegt, bezeichnet es bis
Zu unterscheiden ist das heutige Weiterleben ins 18. Jh. das Dt. mit Einschluß des Nl.
von germ. thiudisk im Nordostfrz. und im (High D. ⫺ Low D.; Low Dutch für die Spra-
Fries., von *thiudisk-/theodiscus im Ital. (mit che der Sachsen noch 1871; bis heute erhalten
Ausstrahlungen) und in den alpenrom. Spra- in Pennsylvania Dutch). Erst seit 1568 kommt
chen und die Entlehnung von duutsch, thiu- es zur Einschränkung auf ‘Nl.’ (1647 noch
disk ins Engl. und in die skand. Sprachen. ⫺ Netherduytch), etwa parallel zum Aufkom-
Der älteste Beleg des afrz. tieis, tiois steht im men von German für ‘dt.’. Die Lautform ist
Rolandslied (3795): Die Tiedeis werden dort dem mnl. duutsch entlehnt, jenem „Deut-
neben den Bavier et Saisnes […] Franceis […] schen“, mit dem die Engländer den engsten
Alemans genannt; aus der Reihung ergibt sich Kontakt pflegten. ⫺ Dem Nd. sind schon
als Bedeutung ‘die linksrheinischen [?] unver- etwa im 11. oder 12. Jh. die skand. Bezeich-
wälschten Franken’ (Rosenstock 1928, 94; nungen des Dt. entlehnt: awestnord. pý(d)-
bestätigend Frings 1941, 238 und von Wart- verskr, pýdiskr, pýzkr, aschwed. pydisker, thys-
burg, FEW 17 [1966], 394). Das Wort ist bis ker, dän. norw. schwed. tysk aus asächs. thiu-
ins 15. Jh. in ganz Nordfrankreich gut belegt disk. Im Nl. wurde duitsch erst im 20. Jh. auf
(tiois; tiesche langue, terre; t(h)ies) und hat die Bedeutung ‘dt.’ eingeschränkt (Breuer
sich erst danach auf den Nordosten zurück- 1973, 345).
156. Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache 2201
Rolf Bergmann [u. a.] (Hrsg.), Althochdeutsch. Lühr, Rosemarie, Johann Kaspar Zeuß: „Die
Heidelberg 1987, 1059⫺1081. Deutschen und ihre Nachbarstämme“ (1837). Zu-
Gl. ⫽ Steinmeyer, Elias/Eduard Sievers, Die alt- gleich ein Beitrag zur Diskussion über die Entste-
hung des Wortes deutsch. In: Bernhard Forssmann
hochdeutschen Glossen. 5 Bde. Berlin 1879⫺1922.
(Hrsg.), Erlanger Gedenkfeier für Johann Kaspar
Jakobs, Hermann, Der Volksbegriff in den histori- Zeuß. Erlangen 1990, 75⫺116. (Erlanger For-
schen Deutungen des Namens deutsch. In: RVj. 32, schungen, A. 49).
1968, 86⫺104.
Dies., Das Wort ‘deutsch’ in seinen einheimischen
Ders., Theodisk im Frankenreich. Heidelberg 1998. sprachlichen Bezügen. In: Haubrichs 1994, 26⫺46.
(Schriften HeidelbA, phil.-hist. Kl. 6). Meijering, H. D., „Deutsch“ in Friesland. In:
Jarnut, Jörg, Teotischis homines (a. 816). Studien AbäG 20, 1983, 183⫺200.
und Reflexionen über den ältesten (urkundlichen) Morciniec, Norbert, Theodiscus⫺diutisk bei Otfrid
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157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2205
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larien Karls d. Gr. und Synodalbeschlüsse Wahrheit sei es eine res mira (Z. 193f.), daß
von 813 u. ö. enthalten vielzitierte ausdrück- bedeutende Köpfe zum Ruhm einer fremden
liche Gebote für den Gebrauch der eigenen Sprache (des Lat.!) tätig seien, in der eigenen
Sprache in Mission und Seelsorge, die lat. aber überhaupt nicht schreiben könnten! Aus
aufgezeichneten Volksrechte beziehen syste- der Struktur des Dt. leitet Otfrid auch die
matisch die heimische Rechtsterminologie Notwendigkeit des Endreimes (omoeoteleu-
mit ein, und Einhard berichtet, Karl habe so- ton, Z. 78⫺87) ab. Besonders bemerkenswert
gar mit einer Grammatik (einer Orthogra- und bis ins 12. Jh. einzigartig ist, daß Otfrid
phieregelung?) seiner Muttersprache (patrii metasprachliche Äußerungen nicht nur in der
sermonis) begonnen. Explizite Äußerungen Sprache der Gelehrten formuliert, sondern
über die eigene Sprache, über charakteristi- auch in der Volkssprache selbst: das pro-
sche Abweichungen vom Lat. oder auch nur grammatische Kapitel I, 1 ‘Cur scriptor hunc
solche der Wertung fehlen jedoch aus dieser librum theotisce dictaverit’ wiederholt einige
Zeit. allgemeine Gedanken des Briefes an Liud-
Wenn etwa seit der Mitte des 9. Jhs. einige bert, verstärkt durch ein ausgesprochen
einschlägige Zeugnisse überliefert sind, wird reichsfränkisches (ostfrk.) Pathos (V. 35f.;
es mehr als Zufall sein, daß sie alle von Schü- 41⫺50; 113f. [vgl. V, 25, 9ff.]; 119ff.). Otfrids
lern des großen Fuldaer Abtes Hrabanus Freude darüber, thaz wir Kriste sungun in un-
Maurus stammen. Emotionale Motive für die sera zungun (V. 125), ist gleichzeitig die erste
Beschäftigung mit der Volkssprache bezeugt deutschsprachige Rechtfertigung der Lingua
indirekt der in Fulda ausgebildete Westfranke quarta, der Volkssprache neben den drei heili-
Lupus von Ferrieres, wenn er gereizt die gen Sprachen Hebr., Griech. und Lat. Karl
Unterstellung zurückweist, er sei Germanicae d. Gr. hatte ausdrücklich gefordert, niemand
linguae captum amore (Rexroth 1978, 283; solle glauben, quod nonnisi in tribus linguis
Hellgardt 1996, 31ff.) ⫺ wie Walahfrid und Deus orandus sit, quia in omni lingua Deus
Otfrid fürchtete er offenbar den Spott der adoratur et homo exauditur (Richter 1982,
gelehrten Kollegen. Walahfrid aber wies die- 413).
sen Spott indirekt zurück, indem er die en- Etwa 150 Jahre nach Otfrid, um 1015, hält
gen Lehnzusammenhänge zwischen Hebr., Notker der Deutsche in einem Brief an Bi-
Griech., Lat. und den germ. Sprachen im schof Hugo von Sitten (Notker 1882, 860f.;
kirchlichen Wortschatz aufzeigte (Socin 1888, Sonderegger 1970, 81ff.) es für etwas bis da-
39ff.). Der Sachse Gottschalk erkennt der hin fast Unerhörtes (rem paene inusitatam),
Sprache der gens teudisca hohen Eigenwert daß er es gewagt habe, lat. Texte ins Dt. zu
zu, wenn er aus der Beobachtung, sie stimme übersetzen (ut latine scripta in nostram cona-
im Gebrauch des Genitivs (anstelle des lat. tus sim vertere). Obwohl die Gebildeten da-
Ablativs) mit dem Griech. überein, die durch vor wie vor etwas Ungewohntem zurück-
Gott verliehene Würde auch der lingua bar- schrecken werden (abhorrebitis quasi ab insue-
bara ableitet (Rexroth 1978, 290; Thomas tis), ist Notker davon überzeugt, daß man in
1976, 23ff.). Das bedeutendste Zeugnis über der eigenen Sprache rasch begreife, was man
die eigene Sprache stammt von Otfrid von in einer fremden kaum oder nicht vollständig
Weißenburg (vgl. auch Gasser 1970, 49ff.; erfassen kann (cito capiuntur per patriam lin-
Günther 1985). In dem seinem Evangelien- guam quae aut vix aut non integre capienda
buch vorangestellten Approbationsschreiben forent in lingua non propria). Und noch ein-
Ad Liudbertum (Otfrid 1962, 4ff.) wird zwar mal gut eineinhalb Jhe. später, an der
eingeräumt, huius […] linguae barbaries sei in- Schwelle zur mhd. Klassik, beschwört Her-
culta und des grammatischen Regelwerkes bort von Fritzlar im Prolog der Pilatusle-
ungewöhnt (Z. 58f.). Auf das Beibringen von gende (Weinhold 1877, 272ff.; 2VL 7, 676f.)
Beispielen für die besprochenen Fälle ver- die Sprödigkeit der dt. Sprache:
zichte er aus Angst vor dem Hohnlachen (ca-
chinnus, Z. 104) der Leser. Aber Otfrid sieht Man sagit uon dutischer zungen / siv si unbetwun-
doch genau, daß das, was aus der Sicht der gen / ze uogene herte / swer si dicke berte / si wrde
wol zehe / als dem stale ir geschee (V. 1ff.; vgl. auch
(lat.!) ars grammatica Mängel sind (phonolo- Gasser 1970, 10f.; zum Wortgebrauch von betwin-
gisch-orthographische Abweichungen; Meta- gen vgl. Kartschoke 1989, 206f.).
plasmus und Synalöphe; doppelte Negation;
Abweichungen in Genus und Numerus eini- Sein sicherer Umgang mit einer kräftigen, bil-
ger Substantiva), einfach zur Eigenart (pro- derreichen Sprache straft seinen Bescheiden-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2207
heitstopos (ih wil spannin minen sin / zo einer tigen, je nach Temperament entschuldigend
rede an der ih bin / ane ghedenet uil cranc oder polemisch (z. B. Albrecht von Halber-
V. 11ff.) freilich Lügen. Jedenfalls bezeugt stadt, Ebernand von Erfurt, Nikolaus von Je-
aber der Pilatus-Prolog noch das Bewußtsein roschin; Socin 1888, 106ff.; Wiesinger 1989,
(oder den Topos) von der schwierigen Hand- 332ff.). Das Gegensatzpaar Oberland-Nie-
habung einer ungeglätteten, des literarischen derland begegnet zuerst in der 18. Predigt
Gebrauchs ungewohnten Sprache. Folgerich- Bertholds von Regensburg (1862, I, 249ff.),
tig fehlen denn auch in den folgenden Jahr- sowohl geographisch für den Oberrhein (Zü-
zehnten höchster Sprachbeherrschung ver- rich, Bodensee) und für Sachsen (so bereits
gleichbare Klagen ⫺ im Gegenteil: Gottfrid seit dem Nibelungenlied für das Niederrhein-
von Straßburg (1962) kann sagen, die kunst- gebiet, die Niederlande) wie übertragen für
volle Beschreibung ritterlicher Pracht sei be- Himmel und Hölle (so auch bei Frauenlob,
reits so perfektioniert (mit rede also zetriben, Oswald von Wolkenstein, Murner u. a.; Le-
Tristan V. 4618), daß er so etwas seinem Pu- xer 2, 72f., 135; DWB. 7, 771, 1095); daß
blikum nicht mehr zumuten wolle. Wie eng Berthold die Begriffe übertragen verwenden
gattungsbeschränkt die Verfügbarkeit über konnte, setzt voraus, daß sie längst geläufig
die Volkssprache allerdings noch war, zeigt waren. In Entsprechung zur moraltheologi-
der Sachsenspiegel: do duchte in (Eike von schen Interpretation wird verurteilt, daz ma-
Repgow) daz zu swere / daz herz an dutz nic niderlender ist, der sich der oberlender
wante (1974, Reimvorrede V. 276f.); was für sprache an nimet (I, 251, 26f.). In gleichem
die Dichtung bereits selbstverständlich war, Sinn nennt auch der Thüringer Ebernand von
erforderte für die Sachprosa noch einen be- Erfurt (ca. 1220) den Versuch, eine fremde
sonderen Anstoß (vgl. auch Kloss 1978, Sprache (der er nicht gefuogen kan) zu über-
28ff.). Wie im Rolandslied erfolgte der nehmen, effenlich:
Schritt zum Dt. überdies über eine lat. Zwi-
Ich bin ein Durenc von art geborn: / het ich die spra-
schenstufe (Kartschoke 1989, 196ff., 202). che nu verkorn / unt hete mine zungen / an ander
Wie im Pilatus (s. o.) wird das Tun durch das wort getwungen, / warzuo were mir daz guot? (Hein-
Verb genenden „wagen, sich erkühnen“ aus- rich und Kunigunde V. 4467ff.).
gedrückt (Reimvorrede V. 278; Pilatus V. 16).
Ober- und Niderland / -lendisch bleibt bis ins
16. Jh. üblich, in weiter wie in engerer Bedeu-
3. Regionale Subsysteme bis zum tung: Niderland, -lendisch hat von Anfang an
16. Jahrhundert teils die heutige Bedeutung (z. B. in Aventins
‘Bayerischer Chronik’ [1526⫺1533] Niderlen-
3.1. Gesprochene Sprache (Dialekte) der und Saxen [Turmair 1883, 20]), kann aber
3.1.1. In der Frühzeit des Dt. bis ins 11. Jh. auch für den ganzen nd. Norden stehen: Fa-
steht hinsichtlich der Volkssprache der Ge- bian Frangk z. B. teilt in seiner Orthographia
gensatz zum Lat. im Vordergrund. Dem ent- (1531; Müller 1882, 94) das Dt. in Ober vnd
spricht auch die Bedeutung des ahd. diutisk Niderlendisch, wobei sein Buch nur von ober-
(vgl. Art. 156). Ob auch ein Bewußtsein von lendischer (⫽ hd.) Sprache handelt. Oberland
den in der geschriebenen Überlieferung deut- kennt Sebastian Helber (‘Teutsches Syllabier-
lich greifbaren regionalen Verschiedenheiten büchlein’ 1593) noch für das Oberrheingebiet
bestand, läßt sich nicht sagen; Äußerungen wie schon Berthold (s. o.), ersetzt es aber
gibt es dazu jedenfalls nicht. Lediglich der durch Höchst Reinisch, dan das Wort Ober-
Unterschied zum Nd. ist so gravierend, daß land nicht meer breuchig ist (S. 24). Als Ober-
er mehrfach registriert wird, z. B. an den begriff verwendet er die Ober oder Hoch Teut-
Sachsenkaisern Otto I. in Regensburg (ore sche.
iucundo saxonizans) und Otto II. in St. Gallen Der Sprach- (und besonders der Reim-)
(Socin 1888, 56; Schnell 1989, 297). Dieser gebrauch der höfischen Literatur um 1200
Gegensatz zwischen Norden und Süden und gute Literaturhandschriften des 13. Jhs.
bleibt auch künftig im Vordergrund, seit dem lassen durchaus das Bemühen um eine Koine
13. Jh. zudem z. T. mit einer Wertung verbun- auf sdt. Grundlage erkennen. Ein Blick auf
den. Das Prestige der mhd. höfischen Dich- die deutschsprachigen Urkunden des 13. Jhs.
tung bewirkte, daß md. und nd. Autoren sich macht aber deutlich, daß es sich dabei um
gedrängt fühlten, den schriftlichen Gebrauch gattungsbedingte Bestrebungen handelte: die
ihrer eigenen, von der höfischen Literatur- Regionalismen, die in der Literatursprache
Koine (?) abweichenden Sprache zu rechtfer- einigermaßen unterdrückt sind, prägen das
2208 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
Bild des sonstigen Schreibgebrauches. Litera- Analyse hat ergeben, daß Konrads Lexikon
tur und Handschriften des 14. und 15. Jhs. überwiegend bair. ist (entsprechend dem Wir-
lassen das ohnehin eher intuitiv wirkende kungsort Regensburg) und daß die vermerk-
Ideal einer Literatursprache über den Regio- ten Abweichungen der (nordbair.-obfrk.)
nalsprachen wieder völlig fallen. Dazu Sprache seiner Heimat Megenberg (heute
kommt, daß sich ein Gutteil der Kennmerk- Mäbenberg südl. von Nürnberg) angehören
male der heutigen dt. Dialekte gerade in jener (Steger 1963, 65ff.). Wie zur Bestätigung
Zeit vom 12. bis zum 14. Jh. ausgebildet ha- heißt es bei der Besprechung des Iuniperus
ben dürfte. Es hat also gute Gründe, wenn (BdN 325, 23f.): der kranwitpaum (das bairi-
man sich seit dem 14. Jh. nun regionaler Un- sche Kennwort!) haizt in meiner müeterleichen
terschiede ⫺ weit über den Nord-Süd-Gegen- däutsch ain wechalter (325, 23f.). Müeterlei-
satz hinaus ⫺ deutlicher bewußt wurde. Der che däutsch ist gleichzeitig die älteste dt. Wie-
locus classicus hierfür ist die farbige (und dergabe von lingua materna. Wenig früher be-
schnurrige!) Charakterisierung dt. Regional- teuert auch Nikolaus von Jeroschin (want
sprachen durch den Bamberger Schulrektor ich) lutzil dutschis kan / ot als die mich larte /
Hugo von Trimberg (1908⫺1911; Renner V. der spune mich e narte „weil ich nur soviel
22 253ff., um 1300): Deutsch kann, wie mich meine Mutter
lehrte“ (Deutschordenschronik 12, V. 304ff.;
Swer tiutsch wil ebene tihten, /der muoz sin herze
rihten / uf mangerleie sprache […] An sprache, an
weitere Belege für regionalsprachliches Be-
maze und an gewande (vgl. Berthold von Regens- wußtsein im 14. Jh. bei Socin 1888, 129; über
burg I 250, 38ff.) / ist underscheiden lant zu lande. dialektbedingte Verstehensprobleme vgl.
Schnell 1989, 297f. und Anm. 246).
Es folgt eine Liste von Artikulationsgewohn- Phonetisch brauchbare Informationen
heiten der verschiedenen „Stämme“, von den über lautliche Unterschiede nicht nur zwi-
Schwaben, Franken, Baiern über die Thürin- schen regionalen Dialekten, sondern auch
ger, Sachsen, Rheinleute, Wetterauer und zwischen Soziolekten (Stadt ⫺ Land) gibt als
Meissner bis ins Egerland, Österreich, Steier- erster der Baier Aventin (der gemain Baier auf
land und Kärnten. Die je durch ein Verb aus- dem land sprichts grob auß […] die in steten
gedrückten Eigentümlichkeiten (Swâben ir […] Turmair 1883, 30.33; weitere Hinweise
wörter spaltent, die Franken ein teil si valtent, s. u. 3.2.2.).
[…] zezerrent, […] uf sperrent, […] wür-
gent, […] schürgent usw.) lassen sich freilich 3.1.2. Die genannten Äußerungen und solche
nicht in phonetische Terminologie übertragen zur regionalen Verschiedenheit der Schreib-
(und werden z. T. auch reimbedingt sein); le- sprachen (s. u. 3.2.) bezeugen nicht nur das
diglich zum Frk. bringt Hugo etwas konkre- völlige Fehlen einer überdachenden Gemein-
tere Angaben (Schwächungen im Wortaus- sprache auch nur in Ansätzen, sondern selbst
laut, Unterschiede zwischen der Sprache der des Bedürfnisses danach. Ein ieglich mensche
Schwanfelder und Bamberger, V. 22 299ff.). sprichet gern / die sprache, bi der ez ist erzogen
Die Stelle mündet, wie schon bei Ebernand (Hugo von Trimberg, Renner V. 22 306f.) ⫺
(s. o.), in den Rechtfertigungstopos: Keiner und davon soll niemand abgehalten werden.
solle ihm wegen seiner frk. Sprache zürnen, Andererseits bestand durchaus ein Bewußt-
wan ich von Franken bin geborn (V. 22 310). sein eines übergeordneten Systems „Deutsch“,
Schon Berthold von Regensburg hatte zu dem das Nd. (Sächs.) und das Nl. gehör-
wortgeographische Verschiedenheiten regi- ten, nicht jedoch die angrenzenden germ.
striert (eine hohe tugent […] heizet gedinge Volkssprachen (Schnell 1989, 298). Dieses
eteswa und eteswa heizet ez hoffenunge, Dt. existierte aber nur in einer Anzahl von
eteswa heizet es zuoversicht I 546, 15ff.). Eine regionalen Varianten, denen nun grundsätz-
weitere, wertvolle Quelle dafür ist Konrads lich (anders als im 13. Jh.) gleicher Rang zu-
von Megenberg Buch der Natur (1349/50). gebilligt wurde. Hugo von Trimberg bezeich-
Gegenstandsbedingt verbucht Konrad eine nete diese von ihm charakterisierten regiona-
Fülle von Bezeichnungen für Sachbegriffe len Varianten als lantsprache (V. 22 287).
(Tier-, Pflanzen-, Krankheitsnamen u. dgl.)
Man hat, wohl auf Grund dieser Stelle, darin einen
mit meistens reicher Synonymik. Tatsächlich mhd. Terminus für ‘Dialekt’ gesehen (seit Socin
stellt er in mehreren Fällen zwei Synonyme 1888, 119; zuletzt Eggers 1986, 31; Löffler 1982,
nebeneinander, das zweite in anderr (oder et- 443). Die sonstigen ⫺ nicht zahlreichen ⫺ Belege
leicher) däutsch (vgl. BdN, Glossar 589f.; So- widersprechen dem jedoch eindeutig (Reiffenstein
cin 1888, 120, Anm. 3). Wortgeographische 1989, 348ff.). Die von Anfang an zutreffende Be-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2209
deutung gibt vielmehr Josua Maaler (1561, 262r) wunder, daß zunächst Reflexionen zur Or-
e
unter dem Stichwort Landspraach: Muterliche thographie überwiegen (wie schon im 9. Jh.!,
spraach, Vernacula lingua, Patrius sermo; das Wort s. o. 2.). In mehrfacher Hinsicht sind dafür
wird im 17. Jh. durch Landessprache abgelöst (Ge- Äußerungen Niclas von Wyles (1478) beson-
org Neumark 1668, zit. bei Josten 1976, 101; vgl.
auch DWB. 6, 111: 2 Belege von Herder; DWB. 6,
ders aufschlußreich. Er legte nicht nur fun-
142). Die mhd. Belege betreffen das Ir. (Gottfried, dierte Überlegungen zur Theorie des Über-
Tristan 8701. 10874), das Griech. (Konrad von setzens vor (s. u. 4.3.), sondern erörterte auch
Würzburg, Trojanerkrieg 22616: Helena beklagt in materialreich technische und stilistische Pro-
Troja die lantsprache, / in der min künne wart ge- bleme des Kanzleischreib- und Sprachge-
born (!) / die muoz ich leider han verlorn / und brauchs.
fremde zungen üeben), das Lat.-Ital. (Wackernagel
1876, 256, 8 [Basler Hs. des 14. Jhs.]: der legendäre Hinsichtlich der regionalen Varianten ist Wyle ein
indische Priester Johannes bedient sich bei einer entschiedener Vertreter des gleichen Rechts aller
Predigt in Rom eines betiuters, […] der die lant- Schreibsprachen. Veränderungen, die auf einen
sprach [sc. von Rom] vnd och die sinen [d. h. das Ausgleich orthographischer und sprachlicher Dif-
Indische] wol kvnde). Wenn Hugo von Trimberg die ferenzen zielten, lehnte er als unbegründete modi-
regionalen Varianten des Dt. (die wir heute als Dia- sche Neuerungen (vnnütze endrung […] vnsers ge-
lekte verstehen würden) als lantsprache bezeichnet, züngs, dar mit wir loblich gesündert waren von den
dann bestätigt er damit ihre (normative) Gleich- gezüngen aller vmbgelegnen landen. Wyle 1861, 351,
rangigkeit untereinander: er versteht sie als Lan- 19ff.) vehement ab. Aus seiner schwäb. Position
dessprachen. Auch der Beleg des Teichners läßt wehrte er sich gleichermaßen gegen öst. (zwüschen
sich zwanglos anschließen (swaebisch machen nach mit Gen. statt mit Dat.), fläm. (üwer liebde, be-
der lantsprach auf und ab, Heinrich der Teichner quemlich statt üwer lieb, bekemlich) oder rheinische
1953, Nr. 183, 28f.). (geet, steet, rachtung, gescheen statt gat, stat, rich-
tung, geschechen) Einflüsse. Ein besonders interes-
Für regionale Subsysteme unterhalb des Ran- santer (in der Literatur der Zeit auch sonst öfter
ges von Sprachen stand bis ins 17. Jh. nur besprochener) Fall ist ai für ei (in burgermaister,
der griech.-lat. Terminus zur Verfügung, z. B. nain, flaisch usw.): der gebürtige Aargauer hatte ei-
Luther: Deutschland hat mancherley Dialec- nige Mühe darauf verwendet, sich die schwäb.
Graphie ai anzueignen; jetzt sollte er sich womög-
tos, Art zu reden, also, daß die Leute in 30
lich wieder umgewöhnen, um mit anderen Schrei-
Meilen Weges einander nicht wol können ver- bern Schritt zu halten ⫺ das ich aber nit tuon wil
stehen (Tischreden 5, 511f., 6146), seit dem (351, 26)! Als núwes gogelspiel verurteilte Wyle (wie
17. Jh. auch eingedeutscht Dialekt (2DWB. 6, andere nach ihm auch) funktionslose Konsonan-
852). Erst seit der Mitte des 17. Jhs. (Zesen, tendoppelungen (insbesondere -nn- in vnnser, vnnd,
Schottelius) tritt daneben auch Mundart (vgl. liebenn usw.); ästhetische Begründungen (es syge
auch Leser 1914, 6f.; s. u. 6.2.). also hüpscher vnd stande bas, 352, 10f.) läßt er nicht
gelten. Für phonologisch relevante Unterscheidun-
3.2. Schreib- und Druckersprachen gen von Simplex und Geminate gibt er gute Bei-
spiele (Minimalpaare wie hof : hoff, sin : sinn usw.;
3.2.1. Im 14. und besonders im 15. Jh. er-
351, 33f.).
folgte ein erster Schritt zu einer Überwin-
dung der regionalen Zersplitterung durch die Niclas von Wyle war ein parteiischer Vertre-
Ausbildung großregionaler Schreibsprachen, ter der regionalistischen Position; die sprach-
die in der 2. Hälfte des 15. Jhs. in den Druck- lichen Verschiedenheiten bewertete er positiv
sprachen ihre Fortsetzung fanden. Da der als lobliche Sonderungen. Diese wurden
Zugang zur Schriftlichkeit sprunghaft an- sonst ⫺ ohne Wertung ⫺ bloß konstatierend
stieg, wuchs in gleichem Maße das Bedürfnis registriert. Die Tatsache der Aufsplitterung
nach Unterweisung und nach Reflexion über des Dt. in Regionalsprachen wurde bis ins
die Bedingungen und Normen des Schreibens 17. Jh. als Gegebenheit akzeptiert, ähnlich
in der Volkssprache. Seit dem Anfang des 16. wie von den Autoren des 14. Jhs. (Hugo von
Jhs. nimmt daher die Zahl der für unsere Fra- Trimberg, Konrad von Megenberg) auch. ⫺
gestellung relevanten Zeugnisse erheblich zu, Der älteste Hinweis auf regionale Besonder-
und diese selbst werden systematischer. Man heiten im Sprachgebrauch der Kanzleien fin-
kann in dieser Zeit von den Anfängen einer det sich in einer öst. Urkunde von 1363 (w-
dt. Grammatik sprechen. Da das Problem re- b-Vertauschung nach der gewonheit dez land
gionaler Verschiedenheit nach wie vor im ze Payrn; Jellinek 1913, 39).
Vordergrund steht und da sich diese Verschie- Die gewonheit jedes „Landes“ blieb letztlich einzige
denheiten am ohren- und augenfälligsten in Richtschnur für den Schreibgebrauch. Der Kölner
den phonologischen bzw. orthographischen anonyme ‘Schryfftspiegel’ (1527: Müller 1882,
Systemen konkretisieren, nimmt es nicht 382ff.) drückte dies am bündigsten aus: dat halt wie
2210 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
dyr gheliefft (S. 385). Von einem berömden schriuer Augen hat (s. u. 5.3.). Zum ersten Mal ist
wird ausdrücklich die Kenntnis der wichtigsten Va- auch ein Normenkanon aufgestellt, der ⫺ un-
rianten des Dt. (ouch ander duitsch, dan als man in terschiedlich gewichtet ⫺ rund 250 Jahre
synk land singet) verlangt, da ihm mencher leye wichtig blieb: öffentliche (Kanzlei-) Sprache,
volck zo hant komme (S. 383). Genannt werden
Frk., Schwäb., Bair., Rhein. etc. (zusammengefaßt
Lutherdeutsch (was immer man darunter ver-
als hochduytzsch), Sächs., Märk. etc. Auch der Bas- stand) und Druckersprache (später: die Spra-
ler Johannes Kolroß (Enchiridion 1530; Müller che vorbildlicher, Tradition bildender Auto-
1882, 64ff.) kann dem Lehrer, der sein Buch benüt- ren).
zen will, nur empfehlen, es ye nach gelegenheyt des
lands vnnd der sprach (S. 65) anzupassen. Für den Freilich klaffen Zielvorstellungen und Realität
Gebrauch von y/ey, ey/ai stellt er es eim yeden heim noch weit auseinander. Das Dilemma zeigt sich
[…], sie syner spraach nach (ir vßsprechen vß dem z. B. bei dem Schwaben Joh. El. Meichßner (1538;
mund!) zu setzen. Auch Johann Fabritius (1532; Müller 1882, 160), der zwar Frangks Forderung
Socin 1888, 258; Jellinek 1913, 51f.) weiß aus dem übernahm, das man guter exemplare warneme, wie
Dilemma, wo unser drey oder vier Deutsche schrei- man deren yetzo vil im truck findt, der aber gleich-
bers zusammenkoment, hat yeder ein sonderlichen zeitig einräumen muß, daß für die Vokale nach eins
gebrauch, keinen anderen Ausweg als einen Stoß- yeden lands art kein entliche maß zusetzen sei. Hier-
seufzer zu Gott. Und noch Anfang des 17. Jhs. onymus Wolf behauptete gar, daß, obwohl es bei
äußert sich Henricus Caninius (Orthographia Ger- uns weit mehr Dialekte gebe als bei den Griechen,
manica, Köln 1604; Burdach 1925, 25) ähnlich re- una tamen quaedam communis lingua est Germano-
signiert. rum (1578; Socin 1888, 282). Wenn er sich dann bei
der Erörterung konkreter Fragen nur mit regiona-
Daß die Autoren der Orthographiebüchlein len Sprach- und Schreibformen herumschlagen
und frühen Grammatiken als gegeben hin- muß, erweist sich freilich, daß sein Ist-Befund le-
nehmen, daß das Deutsche nur in seinen un- diglich Postulat ist. Noch Anfang des 17. Jhs. stellt
sich die Situation ⫺ jedenfalls aus der Sicht des
terschiedlichen „Landsprachen“ existiert, Südens ⫺ nicht anders dar. Der Baseler Notar Jo-
schließt keinesfalls die Billigung mit ein, daß hann Rud. Sattler (Teutsche Orthographey und
eynn ytlicher wulde ader sülde syngen als ym Phraseologey, 1607, 5 Auflagen bis 1658; Jellinek
der snauel gewassen were (‘Schryfftspiegel’; 1913, 16. 47) empfiehlt zwar, sich am Vorbild guter
Müller 1882, 383). Es besteht durchaus ein Kanzleien (kaiserlich, [kur-]fürstlich, städtisch, von
Bewußtsein regionaler Schreibnormen, die Niederösterreich und Baden bis Brandenburg, von
von dialektalem Sprechen abgesetzt sind (vgl. Augsburg bis Frankfurt und Straßburg), der
z. B. Valentin Ickelsamer, ‘Teutsche Gram- Reichsabschiede, Kammergerichtsordnungen und
guter Bücher (in Rechten, Formulare, etliche Ge-
matica’ ca. 1534; Müller 1882, 131f.: beim
schichtsschreiber) zu orientieren ⫺ aber: es wirdt
Schreiben die bedeütung vnnd Etymologia der aber hierzu niemandt verbunden; sondern es stehet
Teütschen worter beachten). zu eines jeden freyen willen, im reden und schreiben
Teutscher Sprach zu folgen, wem er will (Socin
3.2.2. Erst der Schlesier Fabian Frangk aber 1888, 313f.).
fordert für rechtförmig deutsch schreiben oder Da die Grammatiker vor Schottel überwie-
reden ausdrücklich, daß man deutscher spra- gend ⫺ wenn auch meist unausgesprochen ⫺
chenn auf eins lands art vnd brauch […] dem Prinzip einer phonetischen Orthogra-
nicht nachfolgen dürfe (‘Orthographia’ 1531; phie anhingen (ausdrücklich formuliert von
Müller 1882, 92ff., Zitat 94). Wie der H. Wolf 1578: Scriptura enim pronunciatio-
‘Schryfftspiegel’ hält es auch Frangk für nem elegantem debet imitari; Socin 1888,
nützlich, vieler Landsprachen mit jren mis- 282), enthalten ihre Erörterungen viele De-
breuchen zuwissen ⫺ jedoch nicht, um allen tailinformationen über regionales Sprechen
Ansprüchen gerecht werden zu können, son- und über Dialekte (meist als Mißbräuche ge-
e
dern da mit man das vnrecht moge meiden! tadelt).
Entscheidungshilfe dabei leistet, das man gut-
ter exemplar warnehme, das ist gutter deut- Besonders materialreich sind unter diesem Ge-
scher bucher vnnd verbrieffungen; und zwar sichtspunkt der ‘Mithridates’ Konrad Gesners (Zü-
konkret des tewern (hochloblicher gedechtnis) rich 1555), Wolfgang Lazius’ ‘De gentium aliquot
migrationibus […] ac dialectis’ (Basel 1557 [auch
Keiser Maximilianus Cantzelej vnd dieser zeit
über österreichisch-schwäbische Wortschatzver-
D. Luthers schreiben neben des Johan Schons- schiedenheiten]; Socin 1888, 290ff., 267ff.), Aven-
bergers von Augsburg druck. Damit ist zum tins ‘Bayerische Chronik’ (Turmair 1883, 16⫺32)
ersten Mal das Ziel einer überregionalen Ein- oder Sebastian Helbers ‘Syllabierbüchlein’ (Frei-
heitssprache aufgestellt, wie es sehr ähnlich burg i. Ü. 1593; Socin 1888, 294ff.), im 17. Jh. die
gut 100 Jahre später auch Schottelius vor ‘Consultatio de prudentiae et eloquentiae parandae
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2211
modis’ des Oberpfälzers Caspar Scioppius (1626, Verae Germanicae linguae’ ⫺ aber S. 200 ist
321ff.; Socin 1888, 325ff.). zu lesen, daß diese vera Germanica lingua
[…] commune est omnibus superioris Germa-
3.2.3. Für die Bezeichnung der Regionalspra- niae populis, was freilich der Grammatik des
chen werden meistens die Stammesnamen Laurentius Albertus (1573, 39) entnommen
(Bair., Schwäb., Frk. usw.) verwendet; für die ist.
Großgliederung dient nieder- und oberlän- Eine Verschiebung zum Normativen, zur
disch (s. o. 3.1.1.), für letzteres auch hoch- Bedeutung „deutsche Hochsprache” (je nach
deutsch (s. u.). Im ‘Exercitium puerorum Einstellung auf das Obersächsisch-Meißni-
grammaticale’ eines unbekannten Niederlän- sche, die Sprache Luthers, oder auf eine
ders (Amsterdam 1485; Müller 1882, 17ff.) Sprache über den Dialekten [Schottelius, Bö-
begegnen wir zuerst der Dreiteilung des dt. diker] bezogen), setzt sich im 17. Jh. vor
Sprachgebietes: teutonicum […] diuersificatur allem bei mittel- und norddt. Autoren durch.
per altum bassum et medium (18). Wenn S. Opitz und Schottelius dürften die neue Be-
Helber (1593, 24) deutung allgemein gemacht haben. Wenn Bö-
viererley Teütsche Sprachen unterscheidet, in denen diker (1690) die teutsche Sprache […] 1. in
man Büecher druckt (die Colnische oder Gülichi- die Niederteutsche, 2. Oberteutsche, und 3.
sche, die Sachsische, die Flammisch oder Brabanti- Hochteutsche dreiteilt, so hat diese Gliede-
sche vnd die Ober oder Hoch Teütsche. Vnsere Ge- rung jedenfalls eine andere Qualität als im
meine Hoch Teütsche wirdt auf drei weisen gedruckt: ‘Exercitium’ (1485) oder bei S. Helber (1593);
[…] die Mitter Teütsche, […] die Donawische, die die hochteutsche Sprache ist keine Mundart ei-
e
[…] Hochst Reinische),
nes einige[n] volks oder einer Nation der Teut-
dann liegt dieser Einteilung ⫺ mit weiterer schen, sondern aus allen durch Fleis der Ge-
Differenzierung ⫺ im Grunde die gleiche lehrten zu solcher Zierde erwachsen (zit. nach
Dreiteilung zugrunde wie der des ‘Exerci- Bödiker 1746, 350f.; Diedrichs 1983, 112ff.).
tium’. Für mitter- (später mittel-)deutsch In dieser Bedeutung lebt hochdeutsch in
bringt Helber den ältesten volkssprachlichen nicht-technischem Sprachgebrauch bis heute
Beleg (daz mittelste dûtsch [1343] ist stilistisch (Duden GDW 4, 1613).
zu verstehen, s. u. 4.4.). Bemerkenswert ist,
Anmerkung: Gelegentlich wird hohes (höfisches)
daß er dem Mitterteutschen auch Würzburg, teutsch, hochteutsch für ‘stilus altus’ verwendet.
Nürnberg und Straßburg zurechnet und daß Leo Jud lehnt für seine Erasmus-Übersetzung (Ba-
das Donawische neben dem Bair.-Öst. auch sel 1523) mit Rücksicht auf den einfaltigen leyen
das Schwäb. umfaßt (mindestens im Hinblick […] das hohe vnd hofische tüsch zugunsten des ge-
auf die dort behandelten Diphthonge durch- meinen lantlichen ab (Werbow 1963, 51; s. u. 4.4.).
aus zurecht). Auch Fabian Frangk handelt nicht von Rein höflich
Hochdeutsch (DWB. 4/2, 1610f.; Trübner deutsch mit geschmückten verblümbten worten […]
3, 454f.; Sonderegger 1979, 48ff.) ist zuerst der redmas vnd Rethoriken zustendig, […] da wirs
nl. bezeugt, als Gegensatz zum Nd. (gheto- auch bleiben lassen; Müller 1882, 95). Ähnlich heißt
es in der ‘Rhetorica’ des Alexander Hug (Basel
ghen van den hoghen duutsche int neder duut- 1528; Socin 1888, 284): Mutatio leert jegklichen ar-
sche 1457, in einer Lesart der 1. Hälfte des tickel durch synonyma […] verwächseln, das, die
15. Jh.s ouerlantsch; van Wyk 1910, 239f.; zum hohen hoflichem teutsch dannocht ein meinung
ähnlich ca. 1470: DWB. 4/2, 1610); wenig bedeuten, verkert werden. Schon 1493 erschien in
später, noch im 15. Jh., folgen Belege aus Straßburg eine New practicirt rethoric und brieffor-
dem Süden (Socin 1888, 20, A. 1; 173ff.; 188; mulary des adels, stetten und ländern des hochteut-
215; 219 usw.). Das Wort hat zunächst rein schen yetzlauffenden stylums und gebruchs (Socin
geographische Bedeutung und wird oft syn- 1888, 174). Vgl. auch eine Äußerung von Adam
onym zu (anfangs noch häufigerem) oberlän- Puschmann (Josten 1976, 108, 153) und hocher red-
ner ‘alti loquus’ im Vocabularius incip. teut.
disch verwendet; gelegentlich dürfte es wie (DWB. 4/2, 1596).
dieses (besonders im Gebrauch von Schwei-
zern) bloß auf das Oberrheinische bezogen Oberdeutsch begegnet zuerst bei S. Helber
sein (z. B. Adam Petri, Basel 1523: auff unser (Ober oder Hoch Teütsch, s. o. 3.2.3.; außer
hoch teutsch), überwiegend ist es aber durch an dieser Stelle bei ihm sonst nur hoch-
den Gegensatz zu niederdeutsch bestimmt teutsch), noch synonym mit hochteutsch.
(so z. B. auch bei F. Frangk). Dies gilt auch Erstbeleg für den modernen Gebrauch ist Bö-
für den ‘Vnderricht der Hoch Teutschen dikers Grammatik (s. o., allerdings noch in-
Spraach’ von Albert Oelinger (Straßburg sofern synonym mit älterem oberländisch
1574); der Untertitel lautet zwar ‘Institutio oder hochdeutsch, als es das Md. mit ein-
2212 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
Er werde sein Dt. zwar nicht reimen, es aber be- durch rechte mazze, ordenung und durch seinen
sliezzen […] mit der chunste slozzen, die da haiz- Reichtum (4, 31.5, 5.10).
zent rethorica, indem er bei der schrifte worten be-
leibe und die selbe mazze behalte, die in latein ge- Die genannten Zeugnisse stammen von Auto-
schriben ist (Buijssen 1966, 4, 23ff.); man möge da- ren der Wiener Schule, einem Kreis von
her verstehen, daß er etwann an dem ersten secze Theologen, die in enger Verbindung mit dem
ain wort oder ainen sinn, der in gemainem teusche herzoglichen Hof und der Universität um re-
an daz leste gehoret oder umgekehrt: daz tun ich ligiöse Unterweisung, Laienbildung und Po-
nach der ordenung der schrifte des lat. Textes. Da- pularisierung katechetisch-exegetischer und
her habe er auch ettleiche dinch […] nicht aygen- „höfischer“ lat. Werke durch Übersetzung ins
leich genennet […] als si in disem lannde gewonleich
werdent genant (4, 28⫺5, 3). Den sinn und auch di
Dt. bemüht waren (Hohmann 1977, 257ff.).
mazze, die in latein geschriben seint, kann keine Als einen Vorläufer kann man die Valerius-
Sprache widerwegen, am wenigsten die Teusche Maximus-Auslegung verstehen, die Heinrich
zunge, die von alter her di mynniste und gegen latein von Mügeln 1369 für Hertnit von Pettau,
e
die wildiste […] (barbara) ist, und darumb muzzen Landmarschall der Steiermark, verfaßt hat.
wir ofte wort fur worte nennen, so wir latein bedeut- Die Vorrede beruft sich auf Ieronimus und an-
schen wellen (5, 10⫺14). der ausleger der schrift, […] das die auslegung
Leitworte der beiden gegensätzlichen Stilrich- pesser sey, wo sin zu sin gefugt wirt wann die
tungen sind gemaine(z) deutsch, umbred, sin, auslegung, in der man sunderleichen ysleichem
verstentlich einerseits, aigne deutsch, aigen- wort nach get (Schönbach 1898, 10; Wenzlau
liche Übertragung des Lat., wort für wort an- 1906, 16f.). Weitere Aussagen bestätigen, daß
dererseits. Es geht also um die alte Streit- wir zurecht von einer in diesem Kreis geführ-
frage, ob eine Übersetzung sinngemäß oder ten Diskussion über text- und funktionsge-
wörtlich sein solle. Als die Begründung für mäße Übersetzungsweisen sprechen dürfen.
das (die) gemeine Dt. wird die Verständlich- Der Fürstenspiegel ‘De regimine principum’ wurde
keit für Laien genannt, als unerläßliche Be- für einen lateinkundigen Auftraggeber (vor steund
dingung für Paränese und Didaxe. Der Ehr- lateynischew czungen; vor 1412, für Hzg. Albrecht
geiz der übersetzenden Gelehrten galt freilich III. oder IV.; Hohmann 1977,e
260) ins Dt. übertra-
der eigenlichen Verdeutschung. gen also aygenleich, daz ir ganczen sin da von ne-
mund seyt, als es latein geschriben stet, und sew pay-
Auch Ulrich betont, daß er sein Buch vil paz hette e e a
dew pucher lesen mugt, latein und tewschcz; die
mügen czu ainer aygen dewtsch pringen (Unger Übersetzung will zum Original, mindestens zu ei-
1969, 246), und Leopold von Wien (2VL 5, 716ff.) ner zweisprachigen Lektüre, hinführen. Die von
rechtfertigt durch die fürstleichen wegier des Her- Hohmann herausgegebene Übersetzung von Lan-
zogs, daß er die Übersetzung von Cassiodors ‘Hi- gensteins ‘De discretione spiritum’ ist teutzsch gent-
storia tripartita’ ainvoltichleich wedewt hab ⫺ die zichleich gemacht […] nach der latein, vnd darumb
e
gelertenn sollten nicht meinen, daz es vor vnwizzen ist die teutschz etwas seltzam (⫽ pretiosus; Hoh-
sey geschehen, daz ich nicht yedaz wart nach seiner mann 1966, 53, Vorrede Z. 6f.). Auch der Anony-
art hab wedewt (1385; Hohmann 1977, 259f.; Heilig mus einer Kremsmünsterer Hs., der aus mitleiden
1933, 281f.). Dagegen erhielt Johann von Neu- […] mit gueten chindern Anfang des 15. Jhs. den
markt schon um 1360 von Karl IV. den Auftrag, Donatus übersetzt (glossiert) hat, stellt fest, daß
daß er das buch der lipkozung von wort czu worte dicz buech nach allen warten nicht enmag aygenleich
czu deutscher czung bringen vnd keren sold (Johann auzgelegt werden, so ist doch mit vmbred vnd mit
v. Neumarkt 1930, 8, 12ff.). Das Motiv für die e
auzzaigung dez sins vberbracht vnd bedäwt von gots
Nachahmung der lat. Vorlage ist die Hoffnung, da- hilf (Ising 1970, 36ff.; Müller 1882, 1ff.; 2VL 8,
durch am ehesten Dignität und rhetorische Quali- 1062 [B. Schnell über Joh. Seld]).
tät des Originals ins inferiore Dt. hinüberzuret-
ten ⫺ in anderer Weise, aber mit vergleichbarer 4.3. Der Schwäbische Frühhumanismus
Zielsetzung, wie der Ackermanndichter zur glei-
chen Zeit aus dem Dt. ⫺ hoc ydeomata indeclina- Etwa ein halbes Jh. später wurde die Diskus-
bili ⫺ das Beste dadurch herauszuholen versuchte, sion im Kreise der schwäb. Frühhumanisten
daß er spica […] ex agro rhetoricalis iocunditatis (vgl. auch Art. 120) wieder aufgenommen,
zusammenlas (Widmungsbrief an Peter Rothirsch; und wieder begegnen wir den beiden Positio-
Heilig 1968, 137ff.; Blaschka 1968, 346ff.). Der nen: verbum e verbo oder sensum exprimere de
Rationale-Übersetzer leitet zwar die Würde der sensu (Hieronymus 508; Schwarz 1944, 371,
Schrift direkt von Gott her (der erste schreiber Ex. A. 3).
31, 18; Buijssen 1966, 3f.), und die drei Sprachen,
in denen die hl. Messe gefeiert werden darf Niclas von Wyle vertritt nachdrücklich die Position
(Griech., Lat., Kslaw.), „bezeichnen“ die Dreifal- der strengen imitatio. Sie ist ausführlich dargelegt
tigkeit (6,9ff.); die Normativität des Lat. wird aber und begründet in seiner Widmungsvorrede an Jörg
nicht durch seine Heiligkeit begründet, sondern von Absberg von 1478 (Wyle 1861, 7⫺12). Wyle
2214 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
räumt seinen Kritikern ein, daß seine Translatio- auch (1429⫺36) in Wien studiert hatte, beruft
nen an vil enden wol verstentlicher möchten worden sich für seine Auffassung auf Horaz (Ars
gesetzet sein (7, 21); er weiß auch, daß er sich für poet. 133f., zitiert allerdings nach der etwas
eine freiere Übertragung (wyt vßlouffe 8, 6) auf Ho- erweiterten Fassung [sed sensum […] de
raz (in siner alten poetrye 8, 7) hätte berufen kön-
nen. Daß er nicht darauf geachtet habe, ob dem
sensu] des Hieronymus 508; Schwarz 1944,
gemainen vnd vnvernieten man das vnuerstentlich sin 370f. Mügeln nennt richtig ‘Hieronymus’,
werd oder nit, rechtfertigen ihm Leonardo Bruni s. o. 4.2.). In mehreren Vorreden (zum ‘Spe-
und Enea Silvio; man müsse seinen Stil durch em- culum’, zum ‘Aesop’ und zu ‘De claris mulie-
sig lesung (9, 1) guter Literatur schulen. Daher ribus’) fordert er sinngemäße, verständliche
habe er so nah wie möglich beim Lat. bleiben müs- Übersetzung, wenn nötig auch um merer lüt-
sen, vmb daz nützit der latinischen subtilitet durch rung wegen des textes oft mit wenig zugelegten
grobe tütschung wurd gelöschett (10, 16f.). Sein oder abgebrochnen worten (Aesop 4; ähnlich
Hauptgewährsmann aber ist der bedeutende Nürn- Aesop 276; Spec. vitae hum. 145; Hänsch
berger Jurist Gregor Heimburg (2VL 3, 629ff.).
Ihm wird in den Mund gelegt, daz ain yetklich
1981, 51⫺90 u. passim). Wyles Vorrede zu
o
tütsch, daz usz gutem zierlichen vnd wol gesatzten seinen Translationen (1478) kann als Ausein-
o
latine gezogen […] wer, ouch gut zierlich tütsche andersetzung mit Steinhöwel (‘Speculum vi-
vnd lobes wirdig haissen vnd sin müste, vnd nit wol tae humanae’ ca. 1475) verstanden werden;
verbessert werden möcht (9, 10ff.), daz er in der lati- auch er bringt das gleiche (falsche) Horaz-Zi-
o
nischen rethorick wenig ützit fund zu zierung vnd tat (Schwarz 1944, 370ff.). Es verwundert
hofflichkait loblichs gedichtes dienende, daz nit in nicht, daß freie Übersetzungen auch künftig
dem Tütsche ouch statt haben vnd zu zierung sölicher weit überwiegen. Das Horaz-Zitat (meist
tütscher gedichten als wol gebrucht werden möcht als ohne Namensnennung und durch Sinn-für-
in dem latine (10, 25ff.). Auch der zum Dalberg-
kreis gehörige Johann Gottfried ist in seinen
Sinn erweitert) wird zum festen Topos, z. B.
Antike-Übersetzungen bestrebt, die eigenschafft auch bei Albrecht von Eyb (‘Sittenspiegel’;
der latinischen wort zu erhalten (Worstbrock 1970, Herrmann 1890, 2, XVII; Liste einschlägiger
76). Im Grundsätzlichen stimmen Heimburg und Stellen bei Stammler 1954, 24, ergänzt von
Wyle völlig mit dem Rationale-Übersetzer überein; Schwarz 1944, 372, A. 3).
hinzugekommen ist lediglich die Vorbildkraft der Das sinngemäße Übersetzen wurde von
Literatur und der pädagogische Impetus. Da den Frühhumanisten zwar in eine ehrwürdige
Heimburg 1413 und Wyle 1430⫺33 in Wien imma- antike Tradition gestellt, aber es war auch im
trikuliert waren (2VL 3, 631; Schwenk 1978, 41ff.), 15. Jh. der Sache nach so wenig (oder noch
spricht alles dafür, daß ihre übersetzungstheoreti-
schen Auffassungen durch die Wiener Erfahrungen
weniger) neu wie das wörtliche Übersetzen.
nachhaltig bestimmt wurden (Reiffenstein 1984 a, Auch hier kann auf die Wiener Schule ver-
200ff.). wiesen werden, die mit ihrem „volkstümli-
chen“ Übersetzungsstil ihrerseits in der Tra-
„Wyle suchte nicht und fand nicht den Beifall dition der seit dem 12./13. Jh. ausgebildeten
des breiten Publikums“ (Worstbrock 1970, Predigt- und Erbauungssprache steht. In die
51). Seiner Methode haftet die Luft der gleiche Tradition stellt sich auch das ‘Ma-
Schule an, aus der sie kommt; die ersten nuale curatorum predicandi prebens modum’
Translationen entstanden als Lehrbehelfe für von Joh. Ulrich Surgant (Basel 1503, 1514;
seine Koststudenten (Wyle 1861, 9, 14ff.). Schwarz 1944, 372, A. 3; Hohmann 1977,
Natürlich wußte auch Wyle, daß in vielen 262, A. 20):
Fällen gebruchh (Mangel) ist aigenlicher tüt-
Non oportet praedicatorem in modo vulgarisando se
scher worten vnd darumbe man die vmbreden constringere ad istam difficultatem, quod velit trans-
o
muß (8, 18f.; vgl. o. 4.1. Berthold von Re- ferre verba ita proprie (aigen!) et eodom ordine sicut
gensburg, 4.2. Johann Seld). Aber auch dar- in latino ponuntur; sed aliquando sensum ex sensu
über hinaus legten die teútschen der latine accipere (1514, f. 37r).
vnkúnne(n)d (Steinhöwel, ‘Speculum vitae
humanae’ 145) ⫺ und für sie wurden ja in 4.4. Seit der Übersetzung des Rationale
erster Linie die Übersetzungen gemacht ⫺ of- (1384; s. o. 4.2.) ist für die Sprache der volks-
o
fenbar Wert auf einen verständlichen Text czu tümlichen Stilart u. a. die Bezeichnung ge-
e
merer verstantnusz den lesenden menschen disz meine(z) teutsch belegt. Werbow (1963, 47ff.)
o
buches; die geeignete Methode dafür sei nit hat klargestellt, daß damit nicht eine noch
[…] eyn wort gegen wort transferieren, sonder ferne Gemeinsprache obd. Prägung antizi-
[…] ausz eynem synne eynen andern synne, piert ist (so noch Bauer 1966, 7; 78f.), son-
doch gelaicher mainung zesetzen (Steinhöwel dern daß damit ein einfaches, volkstümliches,
ebda. 145). Heinrich Steinhöwel, der übrigens „landläufiges“ Dt. gemeint ist (lingua vulga-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2215
ris). Besonders deutlich wird dies aus Vorre- den ⫺ und tatsächlich ist die Sprache der Überset-
den zu Erasmus-Übersetzungen von Leo Jud zung md.!). Etwa 350 Jahre später bucht Stieler
(Werbow 1963, 51): meer des gemeinen lant- (1691, 2277) Mittelteutsch ‘stylus mediocris linguae
e
lichen, dann das hohen vnd hofischen tüsches in Teutonicae’ (im Gegensatz zu Teutschteutsch sive
o Meisterteutsch).
miner tranßlation geflissen (Basel 1523); klug
(s. o. 4.2. seltzsam!) tütsch könnte Laien 4.5. Die häufigste Begründung für sinnge-
vnverstendig vnd verdrützig sein, daher mäße Übersetzung ist die Rücksichtnahme
schreibt er verstendig vnd gemein tütsch (Basel auf das Laienpublikum (dem dise […] arbeit
1521; allerdings hat Jud den Schwierigkeiten e
fürnamlich gschehen ist, Leo Jud; Werbow
von Erasmus’ Stil gegenüber auch einfach re- 1963, 51), auf die immer wieder zitierte Ver-
o o
signiert: us gutem zierlichen latin gut zierlich ständlichkeit. Neu in der Praxis und Theorie
o
tütsch zu machen [s. o. 4.3. Wyle/Heimburg], des 15. Jhs. ist die Einsicht in die Eigenart
was arbeit das bruche, könne nur beurteilen, (proprietas) der dt. Sprache und in ihr daraus
wer es versucht habe [1523]). erwachsendes Eigenrecht (Schwarz 1945,
Für die weiteren Belege, bis hin zu Rudolf Heüßlin, 295ff.); Gelehrte des 9. Jhs. hatten davon
der 1582 Konrad Gesners Vogelbuch übersetzte freilich auch eine z. T. schon recht konkrete
und aus sachlichen Gründen ein gmain und versten- Ahnung (s. o. 2. zu Walahfrid, Gottschalk
e
dig Teutsch statt vil schöner, geblumter vnd wolge- und besonders zu Otfrid). Die bessere Ver-
zierter worten verwendete, kann auf Werbow (1963, trautheit mit anderen Sprachen, besonders
45⫺58) verwiesen werden (vgl. auch Josten 1976, mit dem Griech., mag dazu beigetragen ha-
91ff.). Hervorgehoben sei noch, daß auch Luthers
berühmter Tischreden-Ausspruch über seine Spra-
ben (so wohl auch schon im 9. Jh.).
che (WA 1, 524f.) den Gegensatz zwischen der ge- Ein (erstes?) Zeugnis des vertieften Sprachver-
wissen, sonderlichen, eigenen und der gemeinen ständnisses findet sich im dt. ‘Belial’ (zit. nach dem
deutschen Sprache, die alle Ober- und Niederländer Druck bei Baemler, Augsburg ca. 1472, Schwarz
verstehen können, thematisiert (vgl. auch Stolt 1944, 272, A. 1; ähnlich Schönbach 1898, 28f.
1964, 21; Eggers 1986, 152ff.; hingegen hält Besch [nach Grazer Hss.]; vgl. auch Weinmayer 1982,
1983, 974 an der Bedeutung „geographisch allge- 55ff., dort auch zu weiteren einschlägigen Vorre-
mein“ fest; differenziert Mattheier 1991, 42ff.). den; Ott 1984, 35ff.; 2VL 4, 441ff.). Der Übersetzer
Erst seit dem ausgehenden 16. Jh. (s. z. B. 3.2.3. S. erklärt, warum er nicht wörtlich übersetzt: er will
Helber) wird gemein als Sprachadj. auch in geo- yeglichen syn also […] schreiben, als man den sel-
graphischem Sinn (communis) verwendet. ben syn gewonlich in teutsch redt. Als geschriben ist
daz man die hl. geschrifft in yeglicher sprach reden
Andere Adj. zur Bezeichnung eines unpreti- sol nach der sprach eygner gewonheyt (proprietas!),
ösen, einfachen Dt. sind schlecht (mehrfach wan es mag ein syn in einer rede gewonlich geredt
e
bei Steinhöwel), gewonlich, verstentlich. Das werden, in einer andernn sprach war das vngewonlich
Register der Liedhs. Cgm 715 enthält zu einer […]. Auch der verstärkte Grammatikunterricht
dem Mönch von Salzburg zugeschriebenen nötigt dazu, auf die Sprachverschiedenheit zu ach-
Übersetzung den Hinweis ringer deütsch ten. Im Anschluß an die Warnung vor Germanis-
(Reiffenstein 1984, 180f.; Wachinger 1989, men in lat. Wortfolge sagt Jakob Wimpfeling (‘Isi-
doneus’ 1497; Müller 1882, 273; Schwarz 1945,
16f.), so auch Steinhöwel: in ringem verstent- 296) latinum enim ydeoma non potest per omnia se-
lichem tüsch (Aesop 276; das Gegenwort qui vernaculum nostrum neque e diuerso. Die Haupt-
schwer bei mehreren Liedern des Mönchs ursache für die Schwierigkeit des Übersetzens sieht
[Reiffenstein 1984, 180] und bei Wyle: costlich der Livius-Übersetzer Nikolaus Carbach (1523;
schwer vnd wol geziert latine 364, 24f., ähn- Stammler 1954, 32) darin, das eyn ytliche sprach
lich 7, 9f.). ein besundere eygenschafft an ihr hat, die der andern
etwan gar nit oder seer wenig gemeß und gleich ist.
Singulär ist daz mittelste dutsch für „stilus medio- Ausführlich und einsichtig äußert sich Aventin in
cris“ (briefl. Hinweis von Sonderegger) im Evange- der Übersetzung seiner eigenen Bayerischen Chro-
lienbuch für Matthias von Beheim von 1343: uz der nik (1526, gedr. 1566; Turmair 1883, 5f.; Schwarz
byblien ist dise ubirtragunge in daz mittelste dutsch 1945, 298f.) zum Sprachproblem und über die von
e
mit einualdigen slechtin worten uz gedruckit zu glic- ihm verwendete Sprache (Stilart) des alten lautern
heit des einualdigen textes […] der ouch mit einual- gewönlichen iederman verstendigen teutsches. Er po-
digen worten […] (Bechstein 1867, XVIII; Pfeiffer lemisiert gegen unser redner und schreiber, die die
1862, 228f.). Der ganze Kontext (u. a. Polemik ge- Sprache biegen, krümpen […], vermengens, fel-
gen orekutzelere […] mit flojrenden gespitzetin sin- schens mit zerbrochen lateinischen worten, […] zie-
nen) macht deutlich, daß von der Stilart und nicht hens gar von irer auf die lateinisch art, aber: ein iet-
von der regionalen Zuordnung der Übersetzung liche sprach hat ir aigne breuch und besunder aigen-
gesprochen wird (seit Pfeiffer wird die Stelle als schaft; so übel das kuchenlatein ist (so man latein
ältester Beleg für mitteldeutsch [s. o. 3.2.3.] verstan- redt nach ausweisung der teutschen zungen), ebenso
2216 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
laut’s übel […], wo man das teutsch vermischt mit ten, zu weilen allein den sinn gegeben (Summarien
frembden worten, verändert’s auf eine frembde 139, 32f.) ⫺, dann unterscheidet sich seine Position
sprach. Er selbst befleißige sich des alten, natürli- nicht grundsätzlich von der Aventins. Wenn er wei-
chen […] teutsches, so im gemainen brauch ist, in ter verlangt, man müsse, um rechtes Dt. zu erfah-
den alten sprüchen […] und ie dannocht nit zue weit ren, die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen,
als vil müglich ist und die art der sprachen erleiden den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen
mügen (so auch Dietrich von Plieningen; Schwarz vnd den selbigen auff das maul sehen (Sendbrief 16,
1945, 295), vom latein. Wer seinen lat. und dt. Text 28ff.), so hat das zwar keiner vor ihm so einpräg-
zam lesen wil, mag ein sprach aus der andern wol sam formuliert und auch so konsequent befolgt
versten. Der alte Streit ist damit aufgehoben: unter (und schon gar bei der Bibelübersetzung); daß man
Wahrung der dt. aigenschaft so originalnah wie aber auf diese Weise, d. h. für jedermann verständ-
möglich (vgl. auch Erasmus von Rotterdam; lich, die lere predigen schülle vor dem volkche (Pot-
Schwarz 1945, 291ff.). Der Boden für Luther war tenstein, s. o. 4.2.), war allen guten Predigern, von
bereitet. Berthold bis zu Abraham a Sancta Clara, bewußt.
Wo Luther frei übersetzt und wo er hat ehe wollen
4.6. Von Luther bis ins 18. Jahrhundert der deutschen sprache abbrechen, denn von dem wort
Ausdruckskraft, sprachliche Sensibilität und weichen (Sendbrief 22, 23f.), hängt von dem theo-
Einfühlungsvermögen in das Original wie in logischen Gewicht der jeweiligen Stelle ab (der text
die eigene Sprache heben Martin Luther als vnd die meinung 24, 5; die sache […] selbs 28, 9),
nicht von innersprachlichen Gründen. Die Verant-
Übersetzer über seine „Kollegen“ vor und wortung des Übersetzers ist damit zugleich eine
nach ihm weit hinaus und verleihen seiner Bi- philologische und theologische.
bel ihren einzigartigen Rang (vgl. Art. 15).
Wenn er sich neben den hl. Hieronymus Die folgenden Jahrhunderte bringen zu unse-
stellt, so ist das eine zwar unbescheidene, rem Thema keine neuen Aspekte (vgl. auch
aber zutreffende Einordnung seiner Leistung, Apel 1983, 41ff.). Opitz (1624, 49) sah im
auch unter Einrechnung der Tradition, in der Übersetzen der antiken Poeten eine gute
natürlich auch er steht. Luthers glühendes Möglichkeit zur Einübung der formalen Mit-
Verhältnis zur Sprache ist gleichermaßen ein tel: die eigenschafft vnd glantz der wörter, die
humanistisches (Übersetzung muß vom Ur- menge der figuren, vnd das vermögen auch der-
text ausgehen) und ein religiöses. Weil Gottes gleichen zue erfinden. Was Schottelius vom
Wort aus den heiligen Sprachen Hebräisch Übersetzen zu sagen weiß, ist durchaus von
und Griechisch als aus eim brunnen in andere Luther übernommen, ergänzt durch nützliche
sprach durchs dolmetschen geflossen ist, sind Zusammenstellungen von Wortentsprechun-
auch diese geheiligt. Wir werden das Euange- gen u. dgl. (1663, 1218⫺1268). Das 18. Jh.
lion nicht wol […] erhallten on die sprachen. forderte von einer Übersetzung, daß so wohl
Die sprachen sind die scheyden, darynn dis Unwissende, als auch in der Grundsprache ei-
e
messer des geysts stickt (An die Radherren ner Schrift Ungeubte eben die Sachen in einer
1524, WA I, 15, 38). Luther hat sich vor ihnen bekannteren Sprache mit grösserem Nut-
e
allem im Sendbrief vom Dolmetschen (1530; zen und Vergnugen lesen können; verwandelt
e
Luther 1951, 6ff.) und in den Summarien über eine Übersetzung eine verdrußliche, dunkele
die Psalmen (1532, Luther 1955, 128ff.) aus- oder verworrene Schreibart in eine angeneh-
führlich und in heftiger Polemik gegen seine e
mere und deutlichere […]: So ubertrift sie das
Kritiker zum Übersetzungsproblem geäußert Original selbst (Georg Venzky in den ‘Beyträ-
(vgl. auch Kolb 1972, 15ff.; 33ff.). An vielen gen zur Critischen Historie’ 1734, 63.64) ⫺
instruktiven Beispielen hat er seine Methode ein bloß auf den Inhalt ausgerichteter Über-
und die jeweiligen Beweggründe für seine setzungstyp, den auch Goethe zur Unterrich-
Entscheidungen erläutert. tung der Jugend und breiter Leserkreise
Was Luther indes zur Theorie des Übersetzens (eben der Unwissenden!) etwa am Beispiel
sagt, ist nicht neu; seine Unterstellung, die Überset- von Luthers Bibelübersetzung positiv bewer-
zer vor ihm hätten von solcher regel nie nichts ge- tete (‘Dichtung und Wahrheit’ III, 11; ‘Noten
wust (Summarien 140, 2), ist ungerechtfertigt. […] zum westöstlichen Divan’ s. v. Überset-
Wenn er einerseits sorgfältiges Hinhören auf die art zungen; Hamburger Ausg. 9, 493f.; 2, 255f.;
unser deutschen sprache fordert (Sendbrief 16, Versuche, die Eigentümlichkeiten des Origi-
11ff. ⫺ denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch
e
kriegisch reden wollen 16.10), andererseits aber be-
nals verschiedener biblischer Bücher nachzu-
tont, wo etwa an einem ort gelegenn ist, hab ichs bilden, dienen eigentlich nur zur Unterhaltung
nach den buchstaben behalten (Sendbrief 22, 28) ⫺ der Gelehrten untereinander, 9, 494). Erst das
oder in einer der für Luther charakteristischen ausgehende 18. Jh. gewinnt mit bedeutenden
prägnanten Formeln: zu weilen die wort steiff behal- Übersetzungsleistungen (Voss, A. W. Schle-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2217
gel) ein neues Verhältnis zum Begriff des Die Hochteutsche Sprache aber, davon wir handelen
auch in seiner sprachlichen Qualität je unver- und worauff dieses Buch zielet, ist nicht ein Dialec-
wechselbaren Originals; dem entsprechen tus eigentlich, sondern Lingua ipsa Germanica, sicut
vertiefte theoretische Einsichten (Schleierma- viri docti, sapientes et periti eam tandem receperunt
et usurpant […]. Omnibus dialectis aliquid vitiosi
cher; Goethe u. a.; vgl. Störig 1973; Schade- inest, quod locum regulae in Lingua ipsa habere ne-
waldt 1973; Apel 1982; Apel 1983, 43ff.; vgl. quit (174).
Art. 14).
Daß freilich dieses Ziel auch jetzt noch nicht
erreicht war, zeigt der tatsächliche Sprachge-
5. „Hochdeutsch“: Das Ringen um die brauch; daß man auch über den Weg dorthin
Hochsprache (16.⫺18. Jahrhundert) nicht einer Meinung war, ist aus der Diskus-
5.1. Fabian Frangk entwickelte 1531 als er- sion der folgenden 150 Jahre abzulesen (Jo-
ster die Zielvorstellung einer dt. Gemein- sten 1976; v. Polenz 1994, 135ff.).
sprache. Sie sollte sich nicht an den Land-
5.2. Normenkanon
sprachen, sondern an guten dt. Büchern orien-
tieren. Freilich war es noch unumgänglich, Frangk hat nicht nur als erster die Notwen-
daß bei der Erstellung des Normenkanons digkeit einer über den Dialekten stehenden
(Kaiserliche Kanzlei ⫺ Luther ⫺ Augsburger Gemeinsprache (für die er noch keinen Ter-
Drucker) die regionale Variation doch wieder minus hatte) ausgesprochen, von ihm stammt
hereingenommen werden mußte. Wichtig war auch ⫺ nicht weniger zukunftweisend ⫺ der
aber, daß ein Ziel benannt war, das über erste Kanon gutter exemplar.
das ⫺ von vielen als unbefriedigend empfun-
dene ⫺ Stadium regionaler Diversifikation 5.2.1. An der Spitze steht Keiser Maximilia-
hinauswies. Und als wichtig sollte sich er- nus Cantzelej. Die Berufung auf die Kanzlei-
weisen, daß mit der Sprache Luthers ein Leit- sprache (Moser 1977, 1ff.; 283ff.; Josten
bild aufgestellt war, das, wenn auch regional 1976, 144ff.; vgl. Art. 119) lag aus mehreren
(⫽ konfessionell!) begrenzt, für gut zwei Gründen nahe: besonders den großen, über-
Jahrhunderte außerordentliche Strahlkraft regionalen Kanzleien mußte an einer mög-
entfalten sollte. Daß es für die Erreichung des lichst strengen, rationalen Regelung ihres
Ziels hoch von noten weer, das ein gantze Schreibgebrauchs gelegen sein, und tatsäch-
Grammatica hierinn beschrieben wurd, sah lich vollziehen sich dort gewisse regionale
Frangk deutlich (Müller 1882, 93). 1578 Ausgleichsbewegungen. Hinzu kommt das
schickte sich der Sachse Johannes Clajus an, Prestige, das die kaiserliche und die fürst-
dem Ziel in seiner ‘Grammatica Germanicae lichen Kanzleien notwendig genossen. Und
Linguae’ dadurch näherzukommen, daß er schließlich kommen mehrere der in Betracht
sich rigoros auf eine Autorität bezog: ex Bi- kommenden Autoren und Texte unmittelbar
bliis Lutheri Germanicis et aliis eius libris col- aus der Kanzleipraxis und sind z. T. auch da-
lecta. Tatsächlich steht die zugrunde gelegte für bestimmt (z. B. Wyle, Schryfftspiegel,
Sprache jener Luthers ⫺ schematisiert und Meichßner, Frangk, Sattler, Helber).
vereinfacht (Jellinek 1913, 76f.) ⫺ recht
nahe. Die regionale Variation überwand Cla- Aber auch außerhalb der Kanzleien genießt minde-
stens die formale Seite ihrer Sprache hohes Anse-
jus, indem er sie ⫺ anders als die Grammati-
hen, man denke an die berühmten Urteile Luthers
ken von L. Albertus und A. Oelinger (ich rede nach der sächsischen Canzeley, welcher
(1574) ⫺ weitgehend unterschlug (Jellinek nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland
1913, 74). Der Erfolg schien Clajus recht zu […] die gemeinste deutsche Sprache. Kaiser Maxi-
geben: bis 1720 erschienen 11 Auflagen seiner milian, und Kurfürst Friedrich […] haben die deut-
Grammatik. Ein Jh. nach Frangk schien das schen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezo-
von ihm antizipierte Ideal Realität zu sein. gen. WA, Tischreden 1, 524f.) und seines Gegen-
M. Opitz (‘Buch von der deutschen Poeterey’ spielers Johann Eck (wie […] Niclas Ziegler / bei
1624, 24) kann von denen, die reine reden mö- […] Kaiser Maximilian / das teütsch nach rechter
gen, fordern, sich zu befleissen deme welches art und regulierter ortographi herfür bracht hat, bei
Moser 1977, 2). Bis ins 17. Jh. werden die Reichs-
wir Hochdeutsch nennen, besten vermögens
abschiede, zumal solche des Reichskammergerich-
nach zue kommen, vnd nicht derer örter spra- tes zu Speyer (Josten 1976, 165ff.), als Muster ge-
che, wo falsch geredet wird. 1663 heißt es nannt, auch aus dem Kreis um die ‘Fruchtbrin-
dann in der ‘Ausführlichen Arbeit Von der gende Gesellschaft’ (Chr. Gueintz/J. G. Schottelius
Teutschen Haubt Sprache’ von J. G. Schotte- [mit hinterlassung der [d. h. ohne] Landrede] 1663,
lius in aller Deutlichkeit: 1741, Zesen), ferner von J. B. Schupp/J. Girbert
2218 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
u. a. (Socin 1888, 333⫺336; Josten 1976, 148ff.). dern zur alleinigen Autorität gemacht hatte
In stilistischer Hinsicht erfuhr die Kanzleisprache (s. o. 5.1.). Wie der Heilige Geist durch die
wegen ihrer Formelhaftigkeit und vielen Latinis- Propheten hebr. und durch die Apostel
men freilich immer auch Tadel, so von Luther griech. gesprochen habe, so durch Luther dt.
(Vorrede zum Alten Testament 1523, Luther 1951,
36) oder von den Geschichtsschreibern Ägidius
(4); daher disci potest ex ijsdem libris etiam
Tschudi (1538; Socin 1888, 290; Wackernagel perfecta et absoluta linguae Germanicae cogni-
1876a, 386) und Aventin (Turmair 1883, 5f.; s. o. tio (3). Zwar steht seit der 2. Auflage (1587)
4.5.); im 17. Jh. verstärkt sich diese Kritik noch Luthers Name nicht mehr auf dem Titelblatt
(Josten 1976, 158ff.). Sdt. Autoren wie Gelasius (dafür: ex optimis quibusque Autoribus col-
Hieber im ‘Parnassus Boicus’ (2, 1624, 193) und lecta) und seit 1617 wurde auch die Widmung
mit besonderem Nachdruck Augustin Dornblüth weggelassen. Dennoch bleibt Luthers Autori-
(1755) sahen in der Kanzleisprache des späten 17. tät in sprachlichen Dingen im protestanti-
Jhs. jedoch den Höhepunkt dt. Sprachentwicklung schen Raum bis weit ins 17. Jh. unangetastet.
(Jellinek 1913, 227, 264f.), in Abwehr des moder-
nen sächs. Konversationsstils. Besonders in der
Opitz, selbst normsetzender Autor, schrieb
Auseinandersetzung mit Dornblüth lehnte Gott- 1628 an B. Venator, so wie er das Schles., so
sched diesen „altfränkischen“ Stil scharf ab (Black- dürfe auch dieser sein Els. nicht verwenden:
all 1959, 180⫺187 u. ö.). ⫺ Hand in Hand mit Be- Est quoddam quasi Atticum apud Graecos, ge-
rufungen auf die Sprache der Kanzleien geht seit nus quod Lutheranum vocitare per me potes,
H. Wolf (s. o. 3.2.2.) jene auf die vorbildhafte Spra- hoc nisi sequaris, erres necesse est (Jellinek
che der Höfe, voran der vornehmsten (schon 1535 1913, 114). Wo man freilich die Berufung auf
bei Johann von Schwarzenberg Hoffteütsch, Socin Luther (und auf die Reichsabschiede, häufig
1888, 155; Josten 1976, 160ff.; vgl. auch o. 3.2.3.). gemeinsam) nicht nur als Parole weiter-
reichte, sondern ins Konkrete ging, ließen
5.2.2. Frangks Berufung auf die Augsburger sich die Unterschiede zwischen seiner und der
Druckersprache hat historisch das geringste eigenen Sprache nicht übersehen. Besonders
Gewicht. Augsburg war um 1500 nicht nur Luthers Wortschatz zeigte unverkennbar
eine der wirtschaftlich florierendsten dt. Alterungserscheinungen (die man an Ortho-
Städte, sondern auch Platz einer bedeutenden graphie und Morphologie wohl bloß deshalb
Handschriften- und Druckproduktion. Seine weniger wahrnahm, weil diese von den Druk-
Schreibsprache stimmt mit jener der maximi- kern ohnehin dem Zeitgebrauch angepaßt
lianischen Kanzlei dem Typus nach vollstän- wurden). Johann Bödiker stellt in seinen
dig überein (Moser 1977, 246). So ist es leicht ‘Grundsätzen der deutschen Sprache’ (1690)
verständlich, wenn man die Augspurger eine kleine Liste veralteter Luther-Wörter zu-
sprach, die da vnder andern teütschen zungen sammen, die in der Neubearbeitung durch
gemainiglich für die verstentlichste genommen Joh. Leonhard Frisch (1723) beträchtlich er-
vnd gehalten wirt, lobt ⫺ noch dazu, wenn weitert wurde (Bödiker 1746, 290ff.; Socin
dies ein Augsburger Buchdrucker (Hans Ot- 1888, 361f.; Kolb 1972, 79). Zu einem regel-
mar 1508; Erben 1970, 397, A. 37) selbst tut. rechten Streit, auch über den Stellenwert Lu-
Immerhin weiß auch der Züricher Konrad thers für die dt. Grammatik, kam es zwischen
Gesner (in der Vorrede zu Josua Maalers Mitgliedern der ‘Fruchtbringenden Gesell-
Wörterbuch 1561, 4v; Socin 1888, 294), daß schaft’ über die von Gueintz bearbeitete
einige der Augsburger Sprache den Preis ge- ‘Deutsche Rechtschreibung’ (1645). Die von
ben (andere freilich jener von Leipzig oder Gueintz (und dem Fürsten Ludwig) auch für
von Basel). Noch im 16. Jh. verlischt aber Rechtschreibfragen angezogene Autorität
dieser Glanz aus früheren Zeiten (Josten Luthers bestritt Gg. Phil. Harsdörffer: Lu-
1976, 68ff.). ther sei
5.2.3. Traditionsbildend wurde die von „der deutschen Sprache Cicero, aber nicht Varro,
ein Redner, aber kein Sprachlehrer gewesen. Seine
Frangk aufgestellte Norm der Luthersprache
wort sind unwidersprechlich für angenehm zu halten,
(Bergmann 1983; v. Polenz 1994, 147f.), vor aber derselben schreibung ist deswegen nicht richtig“
allem seit Johannes Clajus die Berufung dar- (Jellinek 1913, 160⫺184, Zitat 175).
auf ausdrücklich in den Titel und in die Wid-
mung seiner ‘Grammatica Germanicae lin- Im 18. Jh. setzte sich zunehmend eine histori-
guae’ (Leipzig 1578; Socin 1888, 259ff., Jelli- sche Bewertung der Sprache Luthers durch:
nek 1913, 73ff., bes. 75ff.; Kolb 1972, 67ff.; Vieles ist durch die Folge der Zeit […] veral-
Josten 1976, 104ff.) aufgenommen und Lu- tet: vieles aber ist bis auf diese Stunde gut,
ther nicht nur zu einer (neben anderen), son- brauchbar und nachahmungswürdig geblieben
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2219
e
J. J. Bodmer, der 1740 noch den Vorrang des sens Worten im mitteltupfel des gantzen hoch-
Meißnischen eingeräumt hatte, konnte 1746 deutschlandes (1649; ähnlich auch Gottsched
keinen Grund mehr dafür sehen, warum eben und Adelung; Eichler/Bergmann 1967,
der Meißner Dialekt die Herrschaft haben 11.21.29.39; Josten 1976, 25ff.). Wortführer
sollte; eine allgemeine Anpassung an die der meißnischen Sache im 17. Jh. war Philipp
sächsiche Mundart könne nur zu einem völli- von Zesen; er wurde nicht müde, di allerlihb-
gen Kauderwelsch führen (Socin 1888, 379, lichst’ und reineste sprache, das zierlichste
383). Was dem Meißnischen recht sei, müsse Hochdeutsch zu preisen: doch geht die Meiss-
auch allen anderen Dialekten billig sein. So- nische (Mundart) / welche die rechte Hoch-
wohl in ihren gegenwärtigen Merkmalen deutsche / allen andern vor; Obersachsen und
(Kürze, Reichtum) wie in ihrer historischen Meissen stehen in einer Reihe mit Atehn (At-
Kontinuität (der ursprünglichen Verfassung tisch!) und Rohm (Werke 11, 226f.; 9, 45;
der deutschen Sprache getreuer geblieben, Eichler/Bergmann 1967, 13f., 21).
ebda. 381) erkennt Bodmer Vorzüge, die die Daß die rechte Meißnische Ausrede […]
Sprache der Schweizer über jene der Sachsen lieblich und wollautend sei (Schottelius 1663,
erhebt. Im Blick auf die Niederländer for- 159), wurde, jedenfalls von den Protestanten,
dert er: fast uneingeschränkt anerkannt. Aber die
Hochteutsche Sprache ist kein Dialectus, […]
„Lasset uns dernwegen alle Furcht für den Sachsen sondern […] haben jhre Dialectos (Schotte-
bei Seite setzen und unseres Rechtes und Eigen-
lius 1663, 152; s. auch o. 5.1.). Das war die
thums uns mit der Freiheit und Geschicklichkeit
bedienen, daß unser Dialekt durch die Ausputzung
Gegenthese. Viele Dialekte haben Vorzüge
und Erweiterung seines glücklichen und von Alters (das hat vor allem Leibniz betont), alle aber
hergebrachten Schwunges zu einer für sich selbst haben auch Mängel. Kein Dialekt einer Pro-
bestehenden und für sich selbst zulänglichen Spra- vinz kann daher mit dem Hd. (im axiologi-
che werde“ (ebda. 385). schen Sinn) gleichgesetzt werden; Meißens
Anspruch, Richter und Schlichter zu seyn,
Allerdings ist Bodmer selbst in seiner eigenen weist Schottelius mit harten Worten zurück
Schreibpraxis dieser Forderung nicht nachge- (fast lächerlich; 1663, 158). Hd., Lingua ipsa
kommen. Germanica, ist jene Sprache, die die Gelehr-
„Meißnisch“ wurde zur Parole, wie „Lu- ten (viri docti […] s. o. 5.1.) entwickeln, re-
therdeutsch“ auch. Was war sein Inhalt? Im geln und gebrauchen. Richtschnur für die
Nd. ist missensch seit der Mitte des 15. Jhs. Spracharbeit der Gelehrten (unsere Teutsche
in der Bedeutung „hochdeutsch“ (im geogra- Sprache […] wird […] nicht schlumpsweise
phischen Sinn) belegt (Teuchert 1961, 260; aus dem gemeinen Winde erschnappet, sondern
Eichler/Bergmann 1967, 6) und hält sich dort durch viel Fleiß und Arbeit erlernet 1641, Jelli-
so bis ins 18. Jh.; Misnica lingua u. ä. bleibt nek 1913, 134) ist die natürliche Grundrich-
im lat. Gebrauch auch da noch üblich, wo tigkeit (ipsa analogica linguae natura, Jellinek
man auf dt. schon hochteutsch schreibt (Teu- 1913, 135), d. h. die der Sprache innewoh-
chert 1961, 256). Auch der Wortgebrauch nende Regelhaftigkeit; wo die durch den
Clajus’ ist hier anzuschließen (1578, 3: dia- Sprachgebrauch korrumpiert ist, muß der
lecto Misnica „auf hochdeutsch“ im Gegen- Grammatiker durch Regeln nachhelfen, die
satz zu Saxonum lingua). Das Wort lebt in mit Hilfe der Analogie gefunden werden.
leichter Bedeutungsverschiebung (und laut-
lich bewußt an Messing angelehnt?) in dem 5.4. Gebrauch und Grundrichtigkeit
Sprachadj. missingsch bis heute weiter (Erst- Die Antithese zwischen (meißnischem)
beleg 1724; Teuchert 1961, 247; 252ff.; v. Sprachgebrauch und einer durch die Gram-
Polenz 1994, 219f.). Als man begann, hoch- matiker geregelten und normierten (überre-
teutsch nicht mehr in topographischer, son- gionalen) Sprachrichtigkeit beherrschte die
dern in axiologischer Bedeutung zu verwen- Diskussion der folgenden 150 Jahre, bis
den (s. o. 3.2.3.), erhoben vor allem omd. Gottsched und Adelung. Verfechter eines Hd.
Theoretiker auch für das meißnische Deutsch über den Provinzen waren vor allem die Nie-
Anspruch auf diese Bedeutung (nach der derdeutschen (wichtig vor allem die vielbe-
Gleichung meißnisch ⫽ hochteutsch). Ein nützte Grammatik von Joh. Bödiker, 1690
stützendes Argument für den Vorrang Mei- u. ö.), im 18. Jh. auch obd. Autoren (z. B.
ßens war die geographische Lage im mittel auch G. Hieber im Parnassus Boicus 2, 1724,
e
zwischen den Oberländischen vnd Sachsischen 206; 297 in wörtlicher Übereinstimmung mit
e
Volckern (Petrus Albinus 1589), oder in Ze- Bödiker; Reiffenstein 1988, 31ff.). Die Dis-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2221
kussion ist teils durch innere Widersprüche, 17. Jh. auch nicht mehr viel mit der historischen
teils dadurch belastet, daß einige unerläßliche Sprache Luthers zu tun hatte. Der Endpunkt der
Unterscheidungen nicht getroffen wurden geographischen Ausweitung ist bei Gottsched er-
(Henne 1968, 109ff.). Zwar nahm Gottsched reicht. In der Polemik gegen Michaelis, der das
Obersächsisch-Meißnische richtig auf das Gebiet
eine maßvolle, vermittelnde Position ein. Da
zwischen Elbe und Saale einschränkt, nimmt Gott-
aber Adelung noch einmal prononciert (und sched (1762, 68) das ganze Omd. von Thüringen
stur) das Vorrecht des Meißnischen verfocht, und vom Vogtland bis nach Schlesien (und mit An-
kulminierte das wissenschaftliche Gespräch halt und Mansfeld auch noch z. T. nd. Gebiete) da-
zum regelrechten Streit und rief auch die Ver- für in Anspruch: überall dort werde in Städten, un-
treter der neuen Literatur (Wieland, Klop- ter vornehmen […] ein recht gutes Hochdeutsch ge-
stock, Voss) auf den Plan. Es ist aus Raum- sprochen, welches man […] das Obersächsische zu
gründen nicht möglich, den Gang der Aus- nennen pflegt. Die Ausweitung führte dazu, daß
einandersetzung im einzelnen darzustellen. dem Meißnischen auch positiv bewertete Merkmale
zugeschrieben wurden, die gar nicht meißnisch wa-
Von Anfang an wurde gesprochene und geschrie- ren, sondern nd. Zesen z. B. lobte die höflichen
bene Sprache vermengt. Tatsächlich bezogen sich Leute in Meissen, die nicht wie das bäurische Volk
alle Bemühungen weit überwiegend auf die ge- schtand ‘stand’ sagen, sondern st-, sp- […] gleich-
schriebene Sprache; wenn aber Mängel eines Pro- sam mit einem lieblichen lispeln aussprechen ⫺ er
vinzialdialektes, z. B. oft auch des Meißnischen, lobte damit aber nicht die meißnische, sondern
aufgerechnet wurden, dann waren es dialektale seine eigene anhaltische Aussprache (Werke 11,
Aussprachegewohnheiten, die aus dem Schreibge- 171; Eichler/Bergmann 1967, 13). Gottsched (1762,
brauch in der Regel längst ausgeschieden waren 34f.) wußte zwar, daß in Meißen schpalten, schte-
(z. B. Heebt pro Haubt, Zeeberer pro Zauberer, […] hen, schclaven gesprochen wird, aber er bewertete
Jottjeb euch een jutes naues Gar, Scioppius 1626, dies wohl als Fehler (statt sp-, st-, sk-; Penzl 1977,
321; Eichler/Bergmann 1967, 16). Weil Schottelius 89 versteht die Stelle anders); seine Norm ist in die-
bei usus nur an die gesprochene Sprache dachte, sem Punkt also nicht die meißnische, sondern auch
e
lehnte er es nachdrücklich ab, daß das rechte hochst- die nd. Aussprache; freilich vertrat Gottsched auch
e
lobliche Sprachwesen (so viel die Ausrede, Bildung nicht das streng meißnische, sondern ein
e
und Rechtschreibung der Worter betrift) auf ein lau- eklektisches Prinzip (1762, 2f.). Adelung tat sich da
ter ungewisses und Triebsand wolte gesetzet werden schwerer: seiner Meißen-Ideologie zuliebe mußte er
(1663, 158). Zesen weist gegen solche Vorwürfe darauf bestehen, daß nicht allen Obersachsen der
darauf hin, daß es in jedem Land eine hohe und Vorwurf gemacht werden könne, p und b, t und d
eine niedrige Sprache gebe, und daß man natürlich zu verwechseln: Personen, welche mit Aufmerk-
nur der letzteren folgen dürfe (Werke 11, 226; Eich- samkeit auf sich sprechen, unterscheiden ⫺ aber
ler/Bergmann 1967, 13f.). Erst E. Neumeister diese Personen werden Niederdeutsche gewesen
(1728) betont den Unterschied zwischen Reden und sein wie der Pommer Adelung oder der Königsber-
Schreiben: obwohl auch in Meissen corrupt genung ger Gottsched (Jellinek 1913, 383ff.); die obsächs.
geredet wird, […] bedienet man sich dennoch im
Gesprächspartner des Hamburgers Brockes oder
Schreiben des rechten Meisnischen Dialecti, wie sol-
Wielands, auch die gelehrten, unterschieden jeden-
cher eigentlich seyn, geredt und geschrieben werden
falls nicht (Eichler/Bergmann 1967, 26).
soll (Eichler/Bergmann 1967, 27). Für Schottelius
stand obenan die geschriebene Sprache. Daraus re-
sultierte implizit die für die dt. Hochlautung ent- 5.5. Das 18. Jahrhundert: Gottsched,
scheidende Maxime „Sprich, wie du schreibst“ (ex- Adelung und die Dichter
plizit so formuliert freilich erst von B. H. Brockes Der Streit zwischen den beiden Lagern war
1721; Jellinek 1913, 222). Ihre Tradition reicht bis im 18. Jh. offenbar ein bloß noch ideologi-
zur Lautiermethode V. Ickelsamers (1530; Penzl scher Streit um Begriffe oder gar nur um
1983, 223ff.), zu Luthers Schriftlautung (spelling
pronounciation) und zur protestantischen Prediger-
Worte geworden. Das überdialektale Hd.
ausbildung zurück (v. Polenz 1986, 188; 1990, konnte nicht am Gebrauch vorbei entwickelt
191ff.; Moser 1987, bes. 386ff.). Aber natürlich werden, und das gesprochene meißnische Dt.
konnten auch Schottelius und seine Nachfolger übernahm, wenn es hd. sein sollte, nd. Aus-
vom Gebrauch nicht völlig absehen (so strikt wa- sprachegewohnheiten und wurde „nach der
ren auch Schottelius’ theoretische Forderungen nie, Schrift“ gesprochen. In der Sache, d. h. in der
vgl. Jellinek 1913, 134ff.); was sie ablehnten, war Sprache, bestand, wenigstens im geschriebe-
„niedriger“ dialektaler Gebrauch (worin sie sich nen Gebrauch, kein Unterschied. Der Gegen-
von den „Meißnern“ natürlich nicht unterschieden)
und der Gebrauch nur einer Region, Obersachsens,
satz scheint bei Johann Christoph Gottsched
der allein über Sprachrichtigkeit entscheiden sollte. (‘Deutsche Sprachkunst’, 1748, 5. Aufl. 1762;
Weiter war der Begriff des „Meißnischen“ selbst BBHS 3, 281ff.) auch theoretisch einigerma-
allmählich zu einer Hohlform geworden; es erging ßen aufgehoben, oder richtiger verunklärt
ihm ähnlich wie dem „Lutherdeutschen“, das im dadurch, daß beide Standpunkte gewisserma-
2222 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
ßen kontaminiert sind; wichtige Begriffe wer- ten zu seinem Vorteil beeinflußt worden sei
den ambivalent verwendet: (1774, VI). Aber Adelung wollte das Hd. auf
feste Grundlagen stellen. Dies freilich konnte
„Mundart“ wird zuerst als regionale Sprechweise
definiert (1762, 2); dem widerspricht aber, wenn es
nach seiner Überzeugung nicht dadurch er-
weiter heißt: Doch ist noch zu merken, daß man reicht werden, daß man eine Sprache aus dem
auch eine gewisse eklektische, oder ausgesuchte und besten Sprachgebrauche aller Provinzen zu-
auserlesene Art zu reden, die in keiner Provinz völlig sammensetzt, und zu deren Berichtigung jede
im Schwange geht, die Mundart der Gelehrten, oder Provinz […] beytragen könnte (1782, LVIIf.).
e
auch wohl der Hofe zu nennen pflegt. Diese hat je- Allgemeine Regeln und Grundsätze, welche für
derzeit den rechten Kern einer Sprache ausgemachet. alle Mundarten einer Sprache gelten könnten,
[…] kann man sie das wahre Hochdeutsche nennen sind ein Hirngespinst. Denn: Ist das Hoch-
(1762, 2f.). Der letzte Satz widerspricht zudem der deutsche eine Mundart, so muß es doch ir-
eben vorher verwendeten geographischen Bedeu-
tung von „hochdeutsch“ (mit traditioneller Mund-
gendwo einheimisch seyn, und der Sprachge-
artengliederung, 1762, 2). Obwohl Gottsched in brauch derjenigen Provinz, wo es einheimisch
seinem Sprachgebrauch zweifellos ein Vertreter des ist, ist das einige Gesetz für dasselbe und sonst
„wahren Hochdeutschen“ war und wesentlich zu nichts (1782, LV) ⫺ einheimisch aber sollte
seiner Durchsetzung beitrug (vgl. Penzl 1977, 92), das Hd. in Obersachsen sein. Der Sprachge-
läßt er wenigstens verbal doch auch dem obsächs. brauch war für Adelung der höchste Gesetz-
Standpunkt sein Recht: Ganz Ober- und Nieder- geber in allen Sprachen (1782, 98). Wenn er
deutschland sei sich darin einig, daß das mittelländi- aber Richtschnur z. B. der Orthographie
sche, oder obersächsische Deutsch, die beste hoch- (Schreib, wie du sprichst!) sein sollte, dann
deutsche Mundart sey; indem es dasselbe überall
[…] auch im Schreiben nachzuahmen und zu errei-
mußte er homogen sein; um dies zu gewähr-
chen suchet (1762, 69). leisten, mußte seine Basis möglichst schmal
sein. Adelung erreichte dies durch eine rigo-
Johann Christoph Adelung (Jellinek 1913, rose soziale und geographische Beschrän-
329⫺385; Nerius 1967, 63ff.; Henne 1968, kung auf die gewöhnliche Gesellschafts-
116ff.; BBHS 1, 16ff.) führte Gottscheds Be- sprache Obersachsens in den obern Classen
mühungen um eine einheitliche dt. Hoch- (Magazin 1783, I/4, 83, zit. nach Henne 1968,
sprache im wesentlichen in dessen Sinn wei- 122, Anm. 41).
ter, stützte sie sprachwissenschaftlich ab und Kritiker aus Nord- wie aus Süddeutsch-
leistete durch Wörterbuch und Grammatiken land und vor allem Vertreter der neueren Li-
Entscheidendes für die Verbreitung und Po- teratur (nicht die von Adelung verachteten
pularisierung der nun im Schriftgebrauch Sturm- und Drang-Poeten, sondern angese-
formal weitgehend gefestigten „hochdeut- hene Dichter wie Wieland und Klopstock)
schen Mundart“, die in Wahrheit keine wiesen nicht nur die Anmaßung zurück, son-
Mundart, sondern die Hochsprache war. dern zeigten auch Fehler und Widersprüche
Adelung war neben Schottelius der bedeu- auf. Adelung verharrte uneinsichtig, starr-
tendste Grammatiker in der entscheidenden köpfig und zunehmend aggressiver auf seiner
Entwicklungsphase der dt. Gemeinsprache, Position, die durch Wiederholungen weder
in seiner Wirkung auf die Zeitgenossen jenem überzeugender noch widerspruchsfreier wurde
bei weitem überlegen ⫺ trotz dem Scheitern und ⫺ der er in seiner eigenen Praxis wider-
seiner theoretischen Position. Im praktischen sprach! Ueberhaupt ist er in der Ausübung
(schriftlichen) Sprachgebrauch und auch in richtig und fehlt nur ein wenig in der feinen
den Vorstellungen von der konkreten Gestalt Theorie, die auf jene nur selten Einfluß hat,
des Hd. bestehen zwischen Gottsched und sagte 1783 der hallische Sprachgelehrte J. C.
Adelung keine wesentlichen Unterschiede. C. Rüdiger (Henne 1968, 124). Jellinek (1913,
Auch theoretisch standen sich die beiden, zu- 383ff.) kam zu einem ganz ähnlichen Ergeb-
mindest zunächst, nahe: beide vertraten den nis. Auf die vielfachen Einwände, die ob-
Primat des Obersächs., aber wie Gottsched sächs. Oberschicht verwende im Wortschatz
stand auch Adelung der Aufnahme von wie gar in der Aussprache mitnichten eine
nichtobersächs. Ausdrücken und Wortfügun- von Provinzialismen freie Gesellschafts-
gen in das Hochdeutsche (anfangs) relativ to- sprache, reagierte Adelung mit der Behaup-
lerant gegenüber; in der Vorrede zu seinem tung, daß dies eben nicht für alle Personen
Wörterbuch rühmt er den Reichtum der obd. gelte, daß Provinzialismen in Obersachsen je-
Mundarten an unerkannten erhabenen Wör- denfalls weniger hervorträten als sonstwo,
tern (1774, XI) und räumt ein, daß das Meiß- daß man sie hier als Fehler empfinde und zu
nische durch die Schriftsteller aller Mundar- vermeiden suche usw. Gerade das letzte Ar-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2223
gument zeigt deutlich, daß Adelung in der das Verständnis von Sprache undifferenziert
Praxis vom gleichen Hd. sprach wie seine und mechanistisch. Zwei Äußerungen zum
Gegner: von dem in der Schrift nicht zum ge- Schluß mögen belegen, daß Dichter zu diffe-
ringsten durch Gottscheds und seine eigene renzierteren, sensibleren Einsichten in Funk-
Wirkung weitgehend vereinheitlichten, durch tionen von Sprache gelangen konnten als
Auswahl aus dem besten Sprachgebrauch Grammatiker. Wieland wies im Teutschen
aller Provinzen entwickelten („ausgehobe- Merkur (1782, 202ff.; Wieland 1826, 187ff.;
nen“) sprachlichen Ideal der Hochsprache in Socin 1888, 420ff.) zunächst Adelungs ob-
unvollkommener Verwirklichung. Für den sächs. Anspruch mit den bekannten Argu-
lautlich-orthographischen Bereich gilt die menten zurück. Weiterführend aber ist, was
alte Regel, die in ihrem ersten Teil unsere er über die Eigengesetzlichkeit verschiedener
Norm bis heute bestimmt: sprich, wie du Funktional- und Gattungsstile (Sprach-Di-
schreibst, damit du schreiben kannst, wie du strikte ⫺ wenn ich so sagen darf ) sagt; nur aus
sprichst! ihnen allen zusammengenommen (aus ihren
Den Primat der meißnischen Gesell- „Existenzformen“!) besteht die Schriftsprache
schaftssprache, die er ⫺ wenn möglich in der einer durch Künste und Wissenschaften gebil-
Gestalt ihres goldenen Zeitalters 1740⫺1760 deten Nation (Wieland 1826, 230f.). Und der
(vor dem Siebenjährigen Krieg) ⫺ zum Hd. alte Goethe sagte im Rückblick auf seine
schlechthin verabsolutiert und ohne künftige Leipziger Studentenzeit (1770):
Entwicklung erhalten sehen wollte (so auch Daneben hörte ich, man solle reden, wie man schreibt
schon Gottsched 1762, 19f.; eine bemerkens- und schreiben wie man spricht; da mir Reden und
wert unhistorische Vorstellung eines Sprach- Schreiben ein für allemal zweyerley Dinge schienen,
historikers), hat Adelung ad absurdum ge- von denen jedes wohl seine eignen Rechte behaupten
führt. Seit dem ausgehenden 18. Jh. sinkt der möchte (Hamburger Ausg. 9, 252).
Stern des Meißnischen rasch, und schon im
19. Jh. rangiert das Obersächs. in der Beliebt-
heitsskala dt. Mundarten ganz weit unten 6. Hochsprache und Mundarten
(Äußerungen bei Becker/Bergmann 1969, (16.⫺18. Jahrhundert)
174ff.).
6.1. „Von Volksmundarten kann nur da die
Was seit dem 17. Jh. alle an der dt. Spra-
Rede sein, wo sich eine Gemeinsprache gebil-
che Interessierten angestrebt hatten, die Süd-
det hat, die sich von den Mundarten des Vol-
deutschen und Schweizer nicht anders als die
kes, wie sie in den einzelnen Landschaften ge-
Mittel- und Norddeutschen, in ihren Wegen
sprochen werden, unterscheidet“ (Raumer
wie in ihren Zielvorstellungen durchaus ver-
1870, 242). Daß dieser Satz prinzipiell zu-
schieden, in der Sache aber gleich: die ein-
trifft, wird dadurch bestätigt, daß man sich
heitliche dt. Hochsprache, sie war in der 2.
der Mundarten dann bewußt wird und sich
Hälfte des 18. Jhs. Wirklichkeit geworden.
von ihnen pejorativ absetzt, wenn man das
Die Grammatiker durften sich an diesem Er-
Ziel einer gemeinsamen Hochsprache ins
folg einen bedeutenden Anteil zuschreiben.
Auge gefaßt hat. Omnibus dialectis aliquid vi-
Wenn Adelung (gest. 1806) zwar noch erleben
tiosi inest (Schottelius 1663, 174) ⫺ das ist
mußte, wie sein Traum eines obersächs. Hd.
der Grundtenor schon bei Fabian Frangk
von der Wirklichkeit völlig überholt wurde,
und einhellig seit den ersten Grammatikern
so durfte er doch auch erleben, daß dies dem
des Dt. (L. Albertus/J. Clajus). Auf dem Weg
Weiterwirken seiner Bücher bis weit ins 19.
zur Einheitssprache mußte die dialektale Zer-
Jh. hinein nichts anhaben konnte. Das letzte,
splitterung des Dt. als das Haupthindernis er-
Entscheidende haben die Dichter geleistet: sie
scheinen, und entsprechend entschieden ist
haben dem jungen Deutschen den Glanz ver-
die Ablehnung der Dialekte.
liehen, den man 50 Jahre früher noch nicht
hätte erahnen können (Blackall 1959). Der „Drang zum Absoluten“ (Kaiser 1930, 25ff.)
Die theoretische Diskussion über den rech- führte nicht nur zur national-pathetischen Überbe-
ten Weg zum Hd. mag zum besseren Ver- wertung des Dt. als eines direkten Abkömmlings
ständnis des Verhältnisses zwischen regiona- der Adamitischen Sprache und damit einer Schwe-
ster des Hebr., ursprünglicher noch als das Griech.
len und überregionalen Sprachformen, zur und Lat. (Zesen, Werke 11, 98ff.; Ursprung der eu-
Schärfung des Sprachbewußtseins beigetra- ropäischen Völker und Sprachen Leibniz [Unvor-
gen haben. Das Niveau der Diskussion aber greifliche Gedanken 1697] 1983, § 46), sondern
war nicht hoch, manche Positionen, beson- auch zu einer Verabsolutierung des Einheitsprin-
ders die der „Meißner“, ideologisch erstarrt, zips (Kaiser 1930, 26ff.; Knoop 1982, 3f.). Lingui-
2224 XV. Ergebnisse der Sprachgeschichtsforschung I: Pragmatische und soziologische Aspekte
stisch wird das Verdikt über die Dialekte dadurch ter des Pöbels und unvernehmliche veraltete
begründet, daß ihnen grammatische Regularität Worte aus, sondern auch die unzeitig ange-
abgesprochen wird. Schottelius (1663, 158) hält es brachten Verba provincialia oder Landworte
für unmöglich […] diese in den Dialectis sich auf (Leibniz 1983, § 80ff.). Richtschnur bleibt der
unsägliche Weise anfindende Ungewisheit und Ende-
rung zu einiger Gewisheit und Regulstande zu brin-
Geschmack guter Autoren. Selbst Bodmer
gen; die Untersuchung der in den Dialekten auftre- räumte noch 1740 ein, daß die Mundart an
tenden Variation bezeichnet er schlechtweg als när- manchem Orte sehr verderbt ist (Socin 1888,
risch und gantz unnötig […]; ist auch dem studio 379). Erst im späteren 18. Jh. gelangt man zu
lingue˛ Germanice˛ damit wenig gedient. Die soziale einer positiveren Beurteilung des „ursprüngli-
und moralische Deklassierung der „Bauern- und cheren“, „unverdorbenen“ Landlebens und
Pöbelsprache“ als „grob, abgeschmackt, unanstän- damit auch der Dialekte (Herder, Sturm und
dig“ machte den Dialekt vollends inakzeptabel, Drang, Romantik). Voraussetzung der libera-
auch wenn man ihn nicht generell mit der „Pöbel- leren Einstellung zum Verhältnis von Hoch-
sprache“ gleichsetzte (Knoop 1982, 4).
sprache und Mundart war der jetzt feste und
Die Verabsolutierung des Hochspracheprin- nicht mehr ernsthaft bedrohte Besitz der hd.
zips von Schottelius bis Adelung blieb aber Hochsprache.
nicht ohne Gegenreaktion. Die rigorose Aus-
schließung aller „Provinzialismen“ aus dem 6.2. Im Gelehrten- und Poetenkreis um die
Hd. führte besonders im Bereich des Lexi- Fruchtbringende Gesellschaft taucht um
kons unvermeidlich zu einer Verarmung; 1640 als neues Wort Mundart auf (Reiffen-
selbst Adelung konnte sich dieser Einsicht stein 1989, 350f.). Es ist kaum ein Zufall, daß
nicht verschließen (1774, Xf.). Vor allem die dies genau zu dem Zeitpunkt geschah, als
Dichter seit der Mitte des 18. Jhs. erhoben man konkretere Vorstellungen des „Hoch-
dagegen vehementen Protest (Henzen 1954, deutschen“ zu entwickeln begann.
137ff.). Der Erstbeleg steht bei Ph. v. Zesen (Helikon 1640;
Kein Geringerer als G. W. Leibniz hatte schon Werke 9, 45). Da das Wort aber fast gleichzeitig
Ende des 17. Jhs. in den Unvorgreiflichen Gedanken auch von Schottelius (1641), Gueintz (1641), Hars-
(1697) und in der Korrespondenz mit gelehrten dörfer (1643) gebraucht wird (Kluge/Mitzka 1960,
Freunden (Schulenburg 1937) nachdrücklich auf 493), ist die Annahme, Zesen habe es eingeführt (so
die Notwendigkeit hingewiesen, neben dem Wort- seit Bach 1950, 4), nicht zwingend. Als Antonym zu
gut der Fachsprachen auch Landworte des gemei- Schreibart bedeutet es zunächst ‘Aussprache’ (nach
nen Mannes (1983, § 34) zu sammeln. In den Mund- seiner [Opitz’] Sprache Mundart Zesen Werke 9, 45;
arten erkannte er das Reservoir, auf das gute Aussprache und Mundart Bodmer 1740; Socin 1888,
Schriftsteller sollten zurückgreifen können, um bei 377; Festsetzung einer reinen guten Pronunciation
Bedarf die Hochsprache zu bereichern. In erster Li- oder Mundart Antesperg 1747; Socin 1888, 432).
nie freilich waren ihm die Mundarten als histori- Die Grenze zu ‘landschaftliche Aussprache’ ist frei-
sche Quellen interessant. Zusammen mit Wörtern lich von Anfang an fließend; so wurde Mundart
(und Wortbelegen) aus der älteren Sprache sollten rasch dt. Fachwort für griech.-lat. dialectus,
Landworte in einem Glossarium Etymologicum idioma: Dialectus vel Idioma […] die Mundart oder
(§ 33) Aufnahme finden. Ähnliche sprachhisto- Eigenschaft der Ausrede; […] dialecti oder Mund-
risch-etymologische Interessen hatten den von arten (Schottelius 1663, 168; 152). Daneben wird
Leibniz lobend genannten J. L. Prasch aus Regens- Mundart, von Zesen bis Goethe, synonym mit ‘(ge-
burg schon 1689 dazu bewogen, ein Glossarium Ba- sprochener) Sprache’ verwendet, allerdings immer
varicum (gedruckt durch J. Heumann 1747; Dün- unter dem Aspekt der Sonderung in Einzelspra-
ninger 1954, 185ff.) zu verfassen. Leibnizens Anre- chen: wie die sprachen oder mund-ahrten der welt
gungen wirkten insbesondere im Wörterbuch von alle aus der ersten Adamischen geflossen; unsere
J. L. Frisch und in den seit der Mitte des 18. Jhs. sprache oder mundahrt; die Griechische und Lateini-
entstehenden Idiotika (Richey, Strodtmann, J. C. sche sprachen oder mundahrt (Zesen Werke 11,
Schmid, Popowitsch u. a.; Knoop 1982, 8f.) weiter. 96ff.; 128; 201; 237); die Hochteutsche Sprache oder
die rechte Hochteutsche Mundart für linguam no-
Freilich darf nicht übersehen werden, daß stram Germanicam sicut Attica Dialectus pro Lin-
Leibnizens positives Interesse für die Mund- gua Graeca; Schottelius 1663, 174; 175). Ähnlich ist
arten keineswegs einen Gegensatz zum Prin- der Wortgebrauch bei Gottsched, Adelung, Goethe
zip der Einheitssprache darstellte, sondern u. a. (Trübner 4, 698f.); vgl. auch noch Goethe in
den Regeln für Schauspieler (1824): sich von allen
höchstens einen solchen zu einem sterilen Pu- Fehlern des Dialekts befreie […]; (auf der Bühne)
rismus den alten und Landworten gegenüber herrsche nur die reine deutsche Mundart (Hambur-
(ähnlich auch seine Einstellung zum Fremd- ger Ausg. 12, 252f.). Wenn allerdings Adelung sein
wortgebrauch). Die Forderung nach der Rei- Wörterbuch (1774) eines der „Hochdeutschen
nigkeit schließt nicht nur unanständige Wör- Mundart“ nennt, dann ist dies auch im Zusammen-
157. Metasprachliche Äußerungen über das Deutsche und seine Subsysteme 2225
hang mit seiner meißnischen Position zu verste- Albrecht von Eyb, Deutsche Schriften. Hrsg. v.
hen. ⫺ Zu dialectus, Dialekt s. o. 3.1.2. Max Herrmann. 2 Bde. Berlin 1890 (Schriften zur
germ. Philologie 4.5).
Im 17. und 18. Jh. begegnet auch (seltener)
Apel, Friedmar, Sprachbewegung. Eine historisch-
Redart. Die Wörterbücher geben darüber nur
poetologische Untersuchung zum Problem des
dürftige Auskunft. Die brauchbarste Infor- Übersetzens. Heidelberg 1982. (Beiträge z. neueren
mation steht bei Adelung (Wb. 3, 21798, Literaturgesch., 3. Folge, 52).
1014f.):
Ders., Literarische Übersetzung. Stuttgart 1983.
„Man muß dieses Wort (sc. Redensart) mit Redeart (SM 206).
oder Redart nicht verwechseln, welches zuweilen Bach, Adolf, Deutsche Mundartforschung. 2. Aufl.
für Mundart, zuweilen aber auch so wie Sprechart Heidelberg 1950. (GB III).
und Schreibart von der Art und Weise sich in ver-
schiedenen Verhältnissen durch Worte auszu- Baptist-Hlawatsch, Gabriele, Das katechetische
drucken gebraucht wird. Die Redeart des gemeinen Werk Ulrichs von Pottenstein. Sprachliche und re-
Mannes. Im Oberdt. hingegen werden die Redens- zeptionsgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen
arten mehrmals Redarten genannt.“ 1980. (TuT 4).
Für die seit Bach (1950, 4) tradierte Meinung, Bauer, Erika, Paternoster-Auslegung zugeschrie-
Mundart sei an die Stelle des älteren, gleichbedeu- ben Jakob von Jüterbog, verdeutscht von Heinrich
tenden Redart getreten, finde ich keinen Anhalt. Haller. Lund/Kopenhagen 1966. (LGF 39).
Schottelius verwendet Redart zur Verdeutschung
BBHS ⫽ Brekle, Herbert E. [u. a.] (Hrsg.), Bio-bi-
von locutio, phrasis ‘Redensart’ (1663, 168; 1217,
bliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft
1221 u. ö.). In den sonstigen mir bekannten Bele-
des 18. Jhs. Bd. 1ff. Tübingen 1992ff.
gen ist Redart meistens mit Schreibart verbunden,
womit eine bestimmte mündliche und schriftliche Bechstein, Reinhold, Zur Geschichte der deutschen
Ausdrucksweise bezeichnet wird: Zur Erlernung ei- Schriftsprache. In: Germania 8, 1863, 462⫺465.
ner guten teutschen Rede- und Schreib-Art muß man Ders., Des Matthias von Beheim Evangelienbuch
gute teutsche Bücher lesen (Bödiker 1746, 479); in mitteldeutscher Sprache. 1343. Leipzig 1867.
ähnlich bei J. Beer 1681 (Josten 1976, 165) und im [Nachdr. Amsterdam 1966].
Parnassus Boicus (2, 1724, 199f., 207; 5, 1737,
69ff., z. B. Red- und Schreib-Art der Gelehrten [ab- Becker, Horst, Sächsische Mundartkunde. Neu be-
hängig von Bödiker, an den Hieber sich z. T. eng arb. und hrsg. v. Gunter Bergmann. Halle 1969.
anlehnt?]). Mit entsprechendem Zusatz wird im Bergmann, Rolf, Der rechte Teutsche Cicero oder
Parnassus Boicus Red-Art auch für ‘Dialekt, dia- Varro. Luther als Vorbild in den Grammatiken des
lektale Aussprache’ gebraucht: sein Dialectum, 16. bis 18. Jhs. In: Sprachwiss. 8, 1983, 265⫺276.
oder landliche Red-Art (2, 1724, 204, 207f.).
Berthold von Regensburg, Vollständige Ausg. sei-
Was wir heute als Hochsprache (Gemein-, ner Predigten. Hrsg. v. Franz Pfeiffer. 1. Bd. Wien
Einheits-, Standardsprache u. a.) bezeichnen, 1862. [Nachdr. Berlin 1965. (Deutsche Neudrucke.
wurde im 17. und 18. Jh. Hochdeutsch ge- Reihe Mittelalter)].
nannt (s. o. 3.2.3.). Daneben war Schreibart Besch, Werner, Dialekt, Schreibdialekt, Schrift-
als Verdeutschung für stilus sehr geläufig sprache, Standardsprache. Exemplarische Skizze
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Mhd., Frnhd. und Nhd.) bzw. Nd. (in Asächs. len und ebenso die Gesellschaftsschichten,
und Mnd.) beibehalten, mit den unscharf ge- die diese Textzeugnisse hervorbringen (vgl.
haltenen Angaben nach Jh. werden fließende Wolf 1981, 74f.; 179ff.). Hinzu kommt, daß
Übergänge im Zeitkontinuum wenigstens an- sich in der Varietätenarchitektur des Dt. das
gedeutet. Die Möglichkeiten und Grenzen Verhältnis zwischen sprachlicher Grund-
der Raumgliederung des dt. Dialektkontinu- schicht und den diversen Schreibsprachen
ums hat Wiesinger (1983, 807ff.) mit Blick von unterschiedlicher lokaler oder regionaler
auf die Wissenschaftsgeschichte der Dialekto- Geltung dadurch verschiebt, daß sich dar-
logie abgesteckt. Seine strukturell angelegte über im Lauf der Sprachgeschichte eine na-
Dialekteinteilung gründet auf einer diachro- tionale bzw. bereits übernationale Hoch-
nischen Bezugsbasis, die Dialekte als „syn- sprache herausbildet, die dann das zu Anfang
chronische Systemeinheiten auf Grund dia- alles überdachende Latein als Schrift- und
chronischer Entwicklungsprozesse“ (Wiesin- Kultursprache ablöst. Für die historische
ger 1983, 813) beschreibt. Sie läßt sich so- Sicht bedeutet dies, den Begriff Synchronie
wohl mit Vorstellungen vom Stammescha- sehr breit auszulegen, wenn nicht überhaupt
rakter der dt. Dialekte wie mit Erkenntnissen die Gesamtdauer einer Sprachperiode als
über spätere territorialgeschichtliche und ver- Profil für den synchronen Querschnitt her-
kehrsgeographische Einflüsse auf die Sprach- halten muß. Schließlich bestimmt die Dichte
raumbildung vereinbaren und ermöglicht es der Überlieferung den Auflösungsfaktor, mit
„ohne wesentlichen Traditionsbruch, die ein- dem das Kartenbild dargestellt werden kann.
gebürgerten stammeshistorisch, territorial Dabei wird angesichts der Erfahrungen des
oder geographisch motivierten Dialektbe- ‘Historischen Südwestdeutschen Sprachatlas’
zeichnungen, in allerdings teilweise neu defi- darauf verzichtet, Grenzen von Mundart-
nierter Weise, weiter zu verwenden“ (Wie- räumen moderner Sprachkarten auf frühere
singer 1983, 814). Wiesingers Gliederung in Verhältnisse zurückzuprojizieren: „bis in den
Dialektregionen, Dialektverbände und teil- Beginn der Neuzeit gelangt man in der Regel
weise auch noch großräumige Dialektgrup- zurück. Dann müssen ältere Sprachaufzeich-
pen dient als Grundlage für die Darstellung nungen einsetzen“ (Maurer 1979, 3).
der nhd. Verhältnisse der Gegenwart. Sie geht
von vier Voraussetzungen aus:
2. Germanische Grundlagen
1. lokal gebundener Basisdialekt als überall gül-
tige, areal vergleichbare Grundschicht innerhalb 2.1. Das Dt. ist Teil der germ. Sprachfamilie,
der sprachlichen Mehrschichtigkeit;
die historische Sicht auf seine sprachgeogra-
2. einheitlicher, statischer Sprachzustand;
3. möglichst enger Zeitrahmen;
phische Gliederung muß daher auch die
4. homogene Sprachdaten. germ. Grundlagen einbeziehen, aus denen es
sich entwickelt hat. Der Begriff ‘germanisch’
Doch schon für die Gegenwart müssen dabei ist hierbei primär sprachlich definiert, d. h.
Zugeständnisse gemacht werden, für die die Entstehung des Germ. ⫺ und damit auch
geschlossene Datenmasse der historischen die Ethnogenese der Germanen ⫺ wird mit
Sprachstufen sind solche Voraussetzungen der Entfaltung der sprachlichen Besonderhei-
nicht einzuhalten. Beruht das heutige Bild ten verknüpft, durch die sich diese Sprach-
der sprachgeographischen Gliederung des stufe aus dem vorangehenden idg. Sprach-
Dt. auf Erhebungen an gesprochener Mund- konglomerat ausgliedert, ein Vorgang, der
art in über 49 000 Orten vor der Jahrhundert- allerdings im Dunkel vorliterarischer Zeit ab-
wende, so stehen für frühere Zeiten auch nur läuft. Die ältesten Sprachzeugnisse, wenige
annähernd vergleichbare Materialien nicht Wörter und reichlicheres Namenmaterial,
zur Verfügung. Gesprochene Sprache der sind erst aus der Zeit um Christi Geburt
Vergangenheit wird bestenfalls in Reflexen überliefert und in ihrer sprachlichen Gestalt
sichtbar, die Differenzen zwischen mündli- durch den Vermittlungsprozeß über die anti-
cher und schriftlicher Sprachverwendung an- ken Autoren bereits überformt. Die ältesten
deuten und damit auch historisch sprachliche germ. Primärquellen, spärliche Runenzeug-
Mehrschichtigkeit belegen (vgl. Heinrichs nisse aus Dänemark und Südskandinavien,
1961, 97ff.). Zudem erweist sich das histori- sind frühestens in die Zeit um 200 n. Chr.
sche Datenmaterial keineswegs als homogen: (Seebold 1994, 61) zu datieren. (Die Meldor-
mit den Jahrhunderten verändern sich Dichte fer Fibel aus Dithmarschen, wohl noch dem
158. Die sprachgeographische Gliederung des Deutschen in historischer Sicht 2231
1. Jh. zuzuordnen, ist wegen zu großer Inter- nicht so bezeichneten. Ob sich diese Sicht mit
pretationsunsicherheiten über Leserichtung den tatsächlichen Verhältnissen deckt, bleibt
und graphischen Charakter ⫺ Ornament ungewiß. Historisch gesehen ist diese Einhei