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Die grundsätzliche Kritik an »Demenzdörfern« hebt deren exkludierenden Charakter hervor Manuela Lautenschläger
und unterstellt, dass es das Ziel dieser Art von Einrichtung sei, die Gesellschaft vor dem »Be- (MA) und Otto Inhester (Dip.
unruhigungspotential« von Menschen mit Demenz und deren Anspruch auf Zuwendung und Päd) sind wissenschaftliche
Begleitung zu schützen. Wie bei anderen Formen der Behinderung und mangelnder sozialer Mitarbeiter bei Prof. Dr.
Anpassung – etwa bei Strafffälligkeit – stellten Demenzdörfer analog zu Gefängnissen eine Ulrike Höhmann; Lehrstuhl
»totale Institution« dar, durch die eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit unliebsamen, für multiprofessionelle
fremden und verstörenden Lebensweisen als eine notwendige Bedingung von Integration bzw. Versorgung chronisch kranker
Inklusion erspart werde. Die Kritik bezeichnet dies als »Wegschließen« und bezieht sich dabei Menschen.
auf die äußerliche Gestalt des Settings: Mauern oder Zäune als Begrenzungen eines Aufent-
haltsraumes, der nur durch einen kontrollierten Durchgang betreten und verlassen werden
kann.
Zweites speist sich die Kritik an »Demenzdörfern« aus der Behauptung, dass dort kein wirk-
liches »normales« sondern nur ein simuliert dörfliches Leben vorgetäuscht werde und diese
Art der »Lebenslüge« den Bewohnern gegenüber ethisch nicht vertretbar sei (Schmieder 2016).
Die zwei Seiten einer Mauer. mus verbunden hat und eine gesellschaftliche
Teilhabe erst gar nicht angestrebt wird und
Im ersten Fall greift die Kritik im Anschluss deren Typus noch heute in vielen Bereichen
an die Diskurse von Goffmann (2014) bis das Denken und Handeln in der Altenhilfe als
Foucault (1973) die Geschichte von Großkli- einem im Grunde gesellschaftlich »aufgege-
niken, Heilanstalten, Psychiatrien und ande- benem Sektor« (vgl. Roth 2002) prägen.
ren Einrichtungen der Medizin im Zuge der Doch alle Mauern und Zäune haben zwei
Modernisierung auf. Hier gelten zu Recht ins- Seiten. Sie dienen nicht ausschließlich der
besondere die großen psychiatrischen ›Irren- kontrollierenden Eingrenzung der Bewe-
anstalten‹ als inhumane Verwahranstalten, in gungsfreiheit und sind nicht nur Ausdruck
denen sich die Exklusion der Patienten mit einer totalen Institution: Betrachtet man be-
einem therapeutischen pflegerischen Nihilis- stimmte Wohnformen wie mittelalterliche
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Literatur
Asche, Frederike (2016): Leben im Quartier. Zur Goffman, Erving (2014): Asyle – Über die soziale Situa-
Übertragbarkeit des Modells »De Hogeweyk« auf ein tion psychiatrischer Patienten und anderer Insassen.
bestehendes urbanes Quartier. Master-Arbeit an der Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 20. Aufl.
Universität Witten/Herdecke; Fakultät für Gesundheit Keil, Britt; Knopp, Stefan (2016): »Konzeption und Ent-
– Department für Pflegewissenschaft im Multiprofessi- wicklung eines Leitfadens zur nutzerorientierten Be-
oneller Masterstudiengang »Versorgung von Men- wertung innovativer Wohnformen für Menschen mit
schen mit Demenz (M.A.)« Witten Demenz«. Master-Arbeit an der Universität Witten/
Brücher, Munja (2015): Aufgabenverständnis von Mit- Herdecke; Fakultät für Gesundheit – Department für
arbeitern in der Alltagsgestaltung einer Wohngemein- Pflegewissenschaft im Multiprofessioneller Master-
schaft von Menschen mit Demenz – eine explorative studiengang »Versorgung von Menschen mit Demenz
Untersuchung. Master-Arbeit an der Universität (M.A.)« Witten
Witten/Herdecke; Fakultät für Gesundheit – Depart- Kertscher, Susanne; Borngräber, Kati (2016): Ausge-
ment für Pflegewissenschaft im Multiprofessioneller wählte Maßnahmen zur Erhöhung der kulturellen
Masterstudiengang »Versorgung von Menschen mit Teilhabe von Menschen mit Demenz in Privathaushal-
Demenz (M.A.)« Witten ten am Beispiel eines Klassikkonzertes der Initiative
Foucault, Michel (1973): Die Geburt der Klinik: Eine dementia+art in Köln. Interdisziplinäres Praxisent-
Archäologie des ärztlichen Blicks. München: Hanser wicklungsprojekt im Multiprofessioneller Masterstu-
diengang Versorgung von Menschen mit Demenz.
Witten
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