Sie sind auf Seite 1von 6

pnd|online I|2017

ein Magazin
mit Texten und Diskussionen zur
www.planung-neu-denken.de Entwicklung von Stadt und Region

Die Mauer muss weg?


– Demenzdörfer und die Dialektik von
Integration und Exklusion oder eine der vielen
falsch gestellten Fragen der Versorgung?

Die grundsätzliche Kritik an »Demenzdörfern« hebt deren exkludierenden Charakter hervor Manuela Lautenschläger
und unterstellt, dass es das Ziel dieser Art von Einrichtung sei, die Gesellschaft vor dem »Be- (MA) und Otto Inhester (Dip.
unruhigungspotential« von Menschen mit Demenz und deren Anspruch auf Zuwendung und Päd) sind wissenschaftliche
Begleitung zu schützen. Wie bei anderen Formen der Behinderung und mangelnder sozialer Mitarbeiter bei Prof. Dr.
Anpassung – etwa bei Strafffälligkeit – stellten Demenzdörfer analog zu Gefängnissen eine Ulrike Höhmann; Lehrstuhl
»totale Institution« dar, durch die eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit unliebsamen, für multiprofessionelle
fremden und verstörenden Lebensweisen als eine notwendige Bedingung von Integration bzw. Versorgung chronisch kranker
Inklusion erspart werde. Die Kritik bezeichnet dies als »Wegschließen« und bezieht sich dabei Menschen.
auf die äußerliche Gestalt des Settings: Mauern oder Zäune als Begrenzungen eines Aufent-
haltsraumes, der nur durch einen kontrollierten Durchgang betreten und verlassen werden
kann.
Zweites speist sich die Kritik an »Demenzdörfern« aus der Behauptung, dass dort kein wirk-
liches »normales« sondern nur ein simuliert dörfliches Leben vorgetäuscht werde und diese
Art der »Lebenslüge« den Bewohnern gegenüber ethisch nicht vertretbar sei (Schmieder 2016).

Die zwei Seiten einer Mauer. mus verbunden hat und eine gesellschaftliche
Teilhabe erst gar nicht angestrebt wird und
Im ersten Fall greift die Kritik im Anschluss deren Typus noch heute in vielen Bereichen
an die Diskurse von Goffmann (2014) bis das Denken und Handeln in der Altenhilfe als
Foucault (1973) die Geschichte von Großkli- einem im Grunde gesellschaftlich »aufgege-
niken, Heilanstalten, Psychiatrien und ande- benem Sektor« (vgl. Roth 2002) prägen.
ren Einrichtungen der Medizin im Zuge der Doch alle Mauern und Zäune haben zwei
Modernisierung auf. Hier gelten zu Recht ins- Seiten. Sie dienen nicht ausschließlich der
besondere die großen psychiatrischen ›Irren- kontrollierenden Eingrenzung der Bewe-
anstalten‹ als inhumane Verwahranstalten, in gungsfreiheit und sind nicht nur Ausdruck
denen sich die Exklusion der Patienten mit einer totalen Institution: Betrachtet man be-
einem therapeutischen pflegerischen Nihilis- stimmte Wohnformen wie mittelalterliche

www.planung-neu-denken.de ISSN 1868 - 5196


2| 6 Manuela Lautenschläger, Otto Inhester: Die Mauer muss weg?

gangen, der seit 2012 an der Universität Wit-


ten / Herdecke angeboten wird. Es zeigt sich,
dass eine a priori normativ geführte Diskussi-
on den vielfältigen Wünschen und Bedarfen
der Menschen und ihrer Angehörigen keines-
wegs gerecht wird. Jede Diskussion muss an
der Versorgungswirklichkeit ansetzen (siehe
Keil/Knopp 2016) und Entwicklung im ge-
schichtlichen, der nicht zugleich auch ein his-
torischer Kontext ist, sehen.

Teilhabe als Versorgungsziel

Inklusion und Exklusion beschreiben nicht


in erster Linie Wohnformen, sondern die in-
stitutionell gegebene Unterstützung der Re-
alisierung menschenrechtlich und grundge-
setzlich gesicherter Teilhabechancen. Durch
Demenz eingeschränkte Menschen bedürfen
Abbildung 1: Irrenanstalt Gutshöfe, Burganlagen, Runddörfer, aber dazu je nach Einschränkungsgrad der Hilfe
Basel-Friedmatt, 1884- 1886. auch klassische Arbeiter- und Bergbausied- anderer und es ist kritisch zu hinterfragen,
Abb. 13 in: Jetter, Dieter lungen, wie etwa die Margarethenhöhe in ob beispielsweise pflegeabhängige Menschen
(1981). Grundzüge der Essen oder die typische Blockrandbebauung in der Häuslichkeit per se bessere Teilhabe
Geschichte des Irrenhauses. in urbanen Stadtvierteln, wird deutlich, dass realisieren können als Menschen in statio-
Wissenschaftliche die Bedeutung der Abgeschlossenheit eines nären Settings der Altenhilfe. Kati Borngrä-
Buchgesellschaft, Darmstadt. Settings entschieden von den inneren »Pro- ber und Susan Kertscher (2016) konnten in
Bildquelle online unter: grammen« abhängt, d.h. von der Art und Wei- einem Projekt zur kulturellen Teilhabe z.B.
https://c1.staticflickr. se wie soziales Leben im Inneren organisiert zeigen, dass Konzerte des WDR in Köln für
com/9/8579/16613478071_ und normiert wird. Menschen mit Demenz ganz überwiegend
efbc07ce0e_b.jpg Aus der Innensicht treten positive – auch von Betroffenen aus stationären Settings be-
von wohlhabenden und Gesunden gern ge- sucht werden, während Betroffene aus Pri-
nutzte – Aspekte von Mauern und Zäunen vathaushalten weniger als 10% der Besucher
hervor: Stiftung von Gemeinschaft (vertrau- ausmachten. Auch nach einer intensiven
ter öffentlicher Raum), Ruhe und Sicher- Werbekampagne, die sich speziell an diese
heit (Schutz vor ungewollten Interaktionen), Zielgruppe richtete, konnte zwar deren Anteil
Übersichtlichkeit (vertraute Anforderungen verdoppelt werden, dennoch blieben sie wei-
bei der Nutzung des Territoriums) und Re- terhin in der verschwindenden Minderheit.
duktion von anstrengenden Sozialbeziehun- Ein Befund, der angesichts der Tatsache, dass
gen (z.B. Aufpassen auf Autofahrer). Der 70% der Pflegebedürftigen zuhause versorgt
bauliche Abschluss von Settings durch Mau- werden, erst seine volle Bedeutung entfaltet.
ern und Zäune ist ein Konzept, dass bei neu- Bezogen auf institutionelles Wohnen für
en hofförmig angeordneten »alternativen« Menschen mit Demenz und einem Unter-
Wohnmodellen oder Urlaubsanlagen (z.B. bringungsbeschluss nach §1906 BGB macht
Centerparks, Clubs) und Campingplätzen äu- Katja Petrilos (2015) in ihrer Untersuchung
ßerst populär ist und von »gesunden«, inter- zum WTG-NRW (2014) deutlich, dass der
aktionsgestressten »überkommunizierten« Gesetzgeber primär beabsichtigt, die Gesell-
Bürgern gern aufgesucht wird. Das Ausmaß schaft so zu »formen«, dass sie Menschen
der Exklusivität bestimmt sich hier in Relati- mit Behinderung und Menschen mit De-
on zum politischen und soziökonomischen menz trägt und ihnen das Leben im Quar-
Umfeld der Anlage, aus dem unerwünschte tier ermöglicht. Allerdings ist der ordnungs-
Besucher und Einflüsse möglichst ferngehal- rechtliche Rahmen zur näheren Bestimmung
ten werden sollen. von »Teilhabe« weitgehend unscharf und
In den folgenden Ausführungen wird der beinhaltet einen tendenziellen Widerspruch.
Ambivalenz der Diskussion um Demenzdör- Während die Realisation des Inklusionsge-
fer anhand verschiedener Arbeiten aus dem dankens im Quartier auf Laien und alle damit
Multiprofessionellen Masterstudiengang Ver- verbundenen Unwägbarkeiten setzt, werden
sorgung von Menschen mit Demenz nachge- Pflegeeinrichtungen Standards und Fach-

www.planung-neu-denken.de
pnd|online I|2017 3| 6

kraftquoten auferlegt, die notwendig den ins-


titutionellen und angebotsorientierten Cha-
rakter der Sondereinrichtungen forcieren.
Was also Teilhabe konkret in jedem Einzelfall
bedeutet, hat der Gesetzgeber offen gelassen,
um es Leistungserbringern zu ermöglichen,
für Menschen mit Demenz, die aus beson-
deren Schutzgründen nicht mehr zu Hause
oder in anderen Wohnformen leben können,
ein individuelles Angebot zu entwickeln. Teil-
habe ist nicht nur eine strukturelle, sondern
vorrangig eine soziale Kategorie, die weder
verortet noch verordnet, sondern jeweils nur
konkret hergestellt werden kann.

Teilhabe und Selbstbestimmung Legende:


müssen individuell unterschiedlich R= Räumlich
ausgestaltet werden Zur Erkennung der räumlichen Spezifika, die Raum produzieren und
der verallgemeinerbaren Verhältnisse, können Räume der gleichen, oder
Wie alle Menschen, so favorisieren auch Men- verschiedener Maßstabsebenen verglichen werden.
schen mit Demenz unterschiedliche Lebens- Z= Zeitlich
stile: Was für den einen Einsamkeit darstellt, Hierunter können unterschiedliche Zeitpunkte der Erhebung wie auch die
ist für den anderen ein Wunschambiente. Betrachtung der historischen Entwicklung und so Transformationen und
Die Frage der Freiwilligkeit und der Ermitt- Verstetigung verstanden werden, zudem parallele Prozesse identifiziert werden.
lung von lebensgeschichtlichen Passungen S= Sozial-gelebt
bekommt bei der Bestimmung von Teilhabe Gesellschaftliche Verhältnisse werden von unterschiedlichen Individuen und
und Selbstbestimmung einen bedeuteten Gruppen sowie Institutionen auf verschiedene Weise produziert und auf
Stellenwert. Menschen mit fortgeschrittener verschiedene Weise wahrgenommen. Soziale Differenzierung entlang z.B.
Demenz – und nur für diesen Personenkreis Status, Geschlecht, Lebensstil führen zu anderen Betroffenheitsgraden und
soll die weitere Debatte geführt werden – sind Beurteilungen.
besonders schutzbedürftig. Und die Umgren- K=Konzeptionell-normativ:
zung eines Wohnensembles ist durchaus in Situationen und Prozesse werden, oftmals implizit, mit gewohnten oder
der Lage, zusammen mit den passenden Pro- erwünschten Situationen und Prozessen verglichen.
grammen der Nutzung, diesen Schutz zu er-
möglichen und gleichzeitig die gewünschte
und zu fördernde Bewegungsfreiheit zu si- Von der physischen Struktur her gleichen sich Abb. 2: Die Bildung der area
chern. Z.B. weil sich eingeschränkt verkehrs- beide Ensembles durch die Blockrandbebau- of homogeneity. Quelle: Asche
tüchtige Menschen gefahrloser frei bewegen ung. In historischer Sicht weist der Althoff- 2016: 45
können. blocks viel Transformation und Verstetigung
Fredericke Asche (2016) hat in ihrer Mas- im gesellschaftlich historischen Zusammen-
terarbeit »Zur Übertragbarkeit des Modells hang auf, die in De Hogeweyk erst noch an-
›De Hogeweyk‹ auf ein bestehendes urbanes stehen. In dieser zeitlichen Hinsicht sind und
Quartier«, den Althoffblock in Dortmund bleiben Demenzdörfer »Sonderwelten«, da
herausgestellt: »Der öffentliche Raum kann wesentliche Entwicklungsprozesse erst noch
inklusiv für Menschen mit Demenz gestaltet bevorstehen. Inklusion ist eben auch ein
werden, indem er in altersrelevanten Um- historischer Prozess. Dass Demenzdörfer –
weltdimensionen für Menschen mit Demenz wohlbemerkt nur für fortgeschritten erkrank-
im Quartier, den übergeordneten »Dachkri- te Menschen – errichtet werden, kann daher
terien« für universelles Design unterstellt, durchaus als Innovationswillen zur Über-
in Rückkoppelung mit der Nutzergruppe ge- windung traditioneller, am klinischen Modell
staltet wird.« Die Übertragbarkeit von Nut- orientierten Setting der Altenhilfe gesehen
zungs- und Gestaltungskonzepten wird durch werden. Dass sie räumlich außerhalb beste-
verschiedene Analyseschritte ermöglicht, de- hender städtischer/dörflicher Strukturen an-
nen generalisierbare und damit vergleichbare gesiedelt werden, ist nicht auf Versorgungs-
Raumprozesse zugrunde liegen und deren erfordernisse oder pflegerisch-therapeutisch
Überschneidung sich als »area of homogenei- Konzepte zurückzuführen, sondern auf die
ty« darstellen lässt. ökonomischen Verwertungsinteressen des

www.planung-neu-denken.de
4| 6 Manuela Lautenschläger, Otto Inhester: Die Mauer muss weg?

Abb. 2: vorhandenen Wohnungsbestandes und der chen Möglichkeiten anderer Nutzergruppen


links: Grundrisse: potentiellen Bebauungsflächen vor allem in nur schwer in Einklang zu bringen sind.
Althoffblock Spar- und Bau urbanen Zentren. Unbestreitbar unterstützt oder erschwert
e.G. Dortmund (2014a): die baulich-materielle Umwelt die Ausgestal-
Hundert Jahre Althoffblock, tungsmöglichkeiten des Lebens im privaten
(Internetquelle: http://www. Gesellschaftliche Verantwortung erfordert wie im institutionalisierten und öffentlichen
sparbau-dortmund.de/aktuell/ einen multiprofessionellen Diskurs Raum. Doch die Effekte hängen zu allererst
newsdetail/ S.1; 13.03.2015). von sozial ermöglichten, geförderten oder un-
rechts: De Hogeweyk: DETAIL Die bisherige Diskussion im multiprofessio- terbundenen intramuralen Interaktionen ab.
- Zeitschrift für Architektur + nellen Masterstudiengang »Versorgung von Chancen und Defizite der häuslichen Versor-
Baudetail. 9/2012 Institut für Menschen mit Demenz«, in der der klinische- gung müssen daher ebenso unter den beste-
internationale Architektur- therapeutische-pflegerische Blick nur einer henden Rahmenbedingungen diskutiert und
Dokumentation GmbH & Co. unter vielen darstellt, kristallisiert sich heraus, hinsichtlich Inklusion und Teilhabe bewertet
KG Hackerbrücke 6 80335 dass Demenzdörfer ein mögliches Wohn- und werden wie im institutionalisierten Raum. Ob
München (Internetquelle Lebenskonzept sein können, dessen pauscha- ein Demenzdorf daher eher einen integrati-
http://www.detail.de/ le Ablehnung sowohl an den Wünschen und ven oder exklusiven Charakter hat, ob die dor-
fileadmin/_migrated/pics/ Bedarfen möglicher Bewohner und auch an tige Scheinwelt moralisch zu rechtfertigen,
De_Hogeweyk_Demenzdorf_ den nicht immer und überall verfügbaren In- als personale Entwertung oder professionelle
Weesp_08.JPG tegrationskapazitäten des normalen Bürgers Bankrotterklärung zu verstehen ist, kann da-
vorbei geht. Die notwendigen strukturellen her nicht a priori entschieden werden. Allein
Veränderungen der Versorgungslandschaft die äußerliche Form gibt nicht hinreichend
sind aber nicht allein aus dem Sozial-/und Ge- Auskunft darüber, wie sich das Leben gestal-
sundheitssektor hervorzubringen. Tatsächlich tet und wie es gestaltet werden kann.
verhindern an zentralen Innenstadtstandor- Angesichts der komplexen demographi-
ten Eigentumsverhältnisse und Bodenpreise schen Herausforderungen benötigen wir
sowie die damit verbundenen kommerziellen dringend Betreuungs- und Unterstützungs-
Interessen entsprechende Entwicklungen im angebote, die der Vielfalt der Wünsche, kultu-
Bestand. Die unter Integrationsperspektive rellen Gewohnheiten und Fähigkeiten gerecht
favorisierten Quartiersentwicklungen schei- werden, die Ausnahme- und Regelversor-
tern oft an Gentrifizierungseffekten, so dass gung, kurzfristige Notfälle und wechselnde
über Miet- und Eigentumspreise exklusive Hilfeabhängigkeiten mit hoher Durchläs-
Wohnoasen entstehen, die lediglich äußerlich sigkeit und Kontinuität bereitstellen. Mehr
integriert sind. Ein Blick auf die Aufwertung Bedarfs- und weniger Gewinnorientierung
von Zechensiedlungen als heute begehrte könnte zum Trigger- und Flexibilisierungs-
Wohngebiete mag als ein Beleg genügen. faktor werden. Sozialrechtliche Regelungen
Hinzu kommt, dass Menschen mit De- dürften nicht primär als starre Grenzen kons-
menz mit ihrer Bewegungsfreude besondere truiert und gelebt werden, sondern als lebens-
Anforderungen, z.B. an den Autoverkehr, stel- dienliche Ermöglichungsstrukturen. Gebiets-
len, die mit den Interessen und alltagsweltli- körperschaften müssten ihre regulatorische

www.planung-neu-denken.de
pnd|online I|2017 5| 6

Gestaltungsmacht und Gestaltungshoheit erhebliche Vorteile generieren, wenn Sie von


zurückgewinnen. Vermutlich würden solche einer Vielzahl unterschiedlicher Berufsgrup-
Experimente wie Demenzdörfer dann mit an- pen, unterstützt von Laien, belebt würden.
deren Augen einer lebensqualitätssichernden Nicht nur, dass sie dann zugleich auch »nor-
Zweckmäßigkeit betrachtet werden. male Bevölkerung« repräsentieren würden.
In der Regel sind sie nicht umfassend ge-
schult, mit abweichendem und herausfor-
Demenzdörfer: eine zu kleine Gemeinschaft derndem Verhalten umzugehen: Anderseits
fällt es ihnen oft leichter, genau aus diesem
Dann würde deutlich, dass unter Normalisie- Grund eine Alltagsorientierung im Sinne von
rungsgesichtspunkten die wenigen Demenz- Normalisierung zu realisieren (Feddersen/
dörfer daran leiden, dass sie deutlich zu klein Lüdtke 2014 zitiert nach WTG-NRW).
sind (weniger als 500 Einwohner). Die damit Vor diesem Hintergrund lautet unserer
verbundene relativ geringe räumliche Aus- Fazit, dass ein zu striktes Integrations- und
dehnung forciert das Erleben von Begrenzung Deinstitutionalisierungsgebot weder der All-
und die idealiter angestrebte alltagssimultane tagswelt vieler Betroffenen noch der realen
Vielfalt von Angeboten durch unterschied- relativ unflexiblen ambulanten Versorgungs-
liche Nutzer kann sich so nicht naturwüch- kapazität Rechnung trägt. Wir plädieren eher
sig einstellen. Dann würde vermutlich auch für den Aus- und Aufbau ganz unterschied-
sichtbar, dass Betroffene in Demenzdörfern, licher, bedarfsgetriebener Flexibilisierungen
die in der Regel ja erst in fortgeschrittenen mit Vorrang in der ambulanten Versorgung,
Krankheitstadien dort aufgenommen wer- ohne den stationären Sektor ideologisch zu
den, in der Regel weitaus mehr öffentlichen beschneiden. Eine aus dem Elfenbeinturm
und teil-öffentlichen Raum zur Verfügung der Wissenschaft herausgeholte öffentlich
haben, den sie risikoarm nutzen können, als kritische Auseinandersetzung mit unter-
Menschen in privaten oder anderen Altenhil- schiedlichen Lebens- und Wohnmöglichkei-
feeinrichtungen oder in Quartieren, die sich ten könnte einen hilfreichen Beitrag dazu
aufgrund fehlender baulicher Voraussetzung liefern, solange sie gleich in welcher Form,
erst gar nicht entwickeln lassen. darauf ausgerichtet ist, weitest mögliche Nor-
Die Frage des integrativen Charakters ei- malität der Lebenswelten – auch bei stärkeren
ner Wohnform entscheidet sich an den geleb- Einschränkungen zu realisieren.
ten Konzepten. Hier könnten Demenzdörfer

Literatur

Asche, Frederike (2016): Leben im Quartier. Zur Goffman, Erving (2014): Asyle – Über die soziale Situa-
Übertragbarkeit des Modells »De Hogeweyk« auf ein tion psychiatrischer Patienten und anderer Insassen.
bestehendes urbanes Quartier. Master-Arbeit an der Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 20. Aufl.
Universität Witten/Herdecke; Fakultät für Gesundheit Keil, Britt; Knopp, Stefan (2016): »Konzeption und Ent-
– Department für Pflegewissenschaft im Multiprofessi- wicklung eines Leitfadens zur nutzerorientierten Be-
oneller Masterstudiengang »Versorgung von Men- wertung innovativer Wohnformen für Menschen mit
schen mit Demenz (M.A.)« Witten Demenz«. Master-Arbeit an der Universität Witten/
Brücher, Munja (2015): Aufgabenverständnis von Mit- Herdecke; Fakultät für Gesundheit – Department für
arbeitern in der Alltagsgestaltung einer Wohngemein- Pflegewissenschaft im Multiprofessioneller Master-
schaft von Menschen mit Demenz – eine explorative studiengang »Versorgung von Menschen mit Demenz
Untersuchung. Master-Arbeit an der Universität (M.A.)« Witten
Witten/Herdecke; Fakultät für Gesundheit – Depart- Kertscher, Susanne; Borngräber, Kati (2016): Ausge-
ment für Pflegewissenschaft im Multiprofessioneller wählte Maßnahmen zur Erhöhung der kulturellen
Masterstudiengang »Versorgung von Menschen mit Teilhabe von Menschen mit Demenz in Privathaushal-
Demenz (M.A.)« Witten ten am Beispiel eines Klassikkonzertes der Initiative
Foucault, Michel (1973): Die Geburt der Klinik: Eine dementia+art in Köln. Interdisziplinäres Praxisent-
Archäologie des ärztlichen Blicks. München: Hanser wicklungsprojekt im Multiprofessioneller Masterstu-
diengang Versorgung von Menschen mit Demenz.
Witten

www.planung-neu-denken.de
6| 6 Manuela Lautenschläger, Otto Inhester: Die Mauer muss weg?

Petrilos, Katja (2015): Teilhabe am Leben in der Ge-


sellschaft – Begründung für eine Rahmenkonzeption
auf Grundlage des WTGs für Menschen mit Demenz
in geschlossenen vollstationären Einrichtungen mit
Unterbringungsbeschluss nach §1906 BGB. Master-
Arbeit an der Universität Witten/Herdecke; Fakultät
für Gesundheit – Department für Pflegewissenschaft
im Multiprofessioneller Masterstudiengang »Versor-
gung von Menschen mit Demenz (M.A.)« Witten
Roth, Günter (2002): Qualität in Pflegeheimen. Institut
für Gerontologie an der Universität Dortmund. Exper-
tise im Auftrag des BMFSFJ; Dortmund
Schmieder, Michael (2016): Demenzkranke: Recht auf
Ehrlichkeit. »Aufgrund einer Diagnose in eine Schein-
welt gesetzt zu werden, ist eine Sauerei!« In MMW -
Fortschritte der Medizin, Volume 158, Issue 5, pp 12-14
WTG-NRW (2014): Wohn- und Teilhabegesetz NRW)
vom 2. Oktober 2014

www.planung-neu-denken.de

Das könnte Ihnen auch gefallen