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Corona-Politik: „Mich befällt als Wissenschaftler großes Unbehagen“ 22.11.

21, 10'17

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Gastbeitrag

Corona-Politik: „Mich
befällt als Wissenschaftler
großes Unbehagen“

Der Astrophysiker Bernhard Müller sagt:


Viele Corona-Entscheidungen beruhen auf
Halbwissen. Bayern und Österreich
könnten mit ihrem harten Kurs falsch
liegen.
imago/Jens Schicke

Bernhard Müller, 21.11.2021 - 23:43 Uhr Noch ist nicht klar, ob und wann in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht
eingeführt wird.
Artikel anhören

Deutschland diskutiert über 2G und eine Impfpflicht; in Österreich


wurde gar schon eine generelle Impfpflicht beschlossen. Widerspruch
gegen einen harten Kurs wird immer schärfer abgebügelt. Frank
Plasberg fragte jüngst: „Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik beim
Impfen zu feige?“ Die Wissenschaft bestätigt doch, dass es mehr
Druck braucht, so in Person des Präsidenten der Leopoldina, Gerald
Haug, der einem schärferen Kurs im Vorwort der 9. Ad-Hoc
Stellungnahme seiner Akademie das Wort redete.

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Corona-Politik: „Mich befällt als Wissenschaftler großes Unbehagen“ 22.11.21, 10'17

Angesichts der derzeitigen Rhetorik befällt mich als Wissenschaftler


großes Unbehagen. Um Missverständnissen vorzubeugen:
Zweifelsohne ist der kommende Winter eine Herausforderung für
Deutschland, und es wäre zu ho!en, dass der Schutz vulnerabler
Gruppen mithilfe der Impfungen besser gelingt als im letzten Jahr.
Beratung in Sachen Impfung ist nicht mein Thema; das gehört vor
allem in die Arztpraxen. Aber mich beunruhigt, wie Politik, Teile der
Medien und leider auch manche Kollegen kommunizieren und sich
Entscheidungsfindungsprozesse vorstellen. Vieles, was „im Namen
der Wissenschaft“ als unumstößlich verkündet wird, hält einer
näheren Betrachtung nämlich keineswegs stand.

In einer Streitschrift habe ich beispielsweise jüngst beleuchtet, dass


beim Einsatz mathematischer Modelle für Vorhersagen des
Infektionsgeschehens erhebliche Defizite bestanden und die Realität
weit komplexer ist, als es gemeinhin verbreitet wird. Ich habe darauf
hingewiesen, dass es natürliche Mechanismen gibt, die exponentielles
Wachstum von Epidemien brechen können, und viele Modelle
verzerrte Vorhersagen liefern, weil sie der Komplexität der
Infektionsausbreitung nicht gerecht werden.

Argumente gegen Joshua Kimmich entpuppen sich als


vorschnell

Ebenso habe ich herausgearbeitet, dass auch sehr detaillierte


Simulationen des Infektionsgeschehens ihre Tücken haben. Die
Berliner Zeitung hat mein recht technisches Papier dankenswerter
aufgegri!en, und dabei einen Aspekt meiner Kritik im Grunde noch
unterschätzt. Denn es ging mir weniger um bessere Rezepte für
Pandemie-Simulationen, sondern vor allem darum, dass im Eifer des
Gefechts oft naiv gearbeitet und sogar Lehrbuchwissen aus der
mathematischen Epidemiologie ignoriert wurde. Politiker und weite
Teile der Medien fällen dann auf der Basis von Halbwissen sehr
selbstbewusst Urteile und Entscheidungen.

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Corona-Politik: „Mich befällt als Wissenschaftler großes Unbehagen“ 22.11.21, 10'17

In der Frage des Impfzwangs scheinen mir ähnliche Mechanismen im


Spiel zu sein. Es befremdet beispielsweise sehr, dass der Präsident der
Leopoldina seine Vorschläge zur Ausweitung der 2G-Regel und einer
berufsbezogenen Impfpflicht in das Vorwort einer Stellungnahme
packt, welche für diese Maßnahmen gar keine wissenschaftliche
Begründung zu liefern sucht. Ihr Thema waren eigentlich antivirale
Medikamente. Und die Argumente, mit denen ein 26-jähriger Joshua
Kimmich zum „Sozialschädling“ abgestempelt wird, entpuppen sich
bei näherer Betrachtung, gelinde gesagt, als vorschnell. Kaum einer
seiner Kritiker dürfte an der Tafel bestehen, wenn er abschätzen
müsste, ob die freie Entscheidung junger Männer in Kimmichs Alter
über drei, vier Jahre tatsächlich die Krankheitslast durch COVID-19
nennenswert beeinflussen.

Noch immer spukt außerdem in vielen Köpfen die Idee herum, Impfen
könne die Pandemie bei dauerhaft niedrigen Infektionszahlen
beenden, o!enkundig selbst bei Lothar Wieler, dem Präsidenten des
RKI. Angesichts der bekannten Parameter der Impfung ist das aus
Sicht der mathematischen Epidemiologie so absurd, wie der Glaube,
ein Glas würde nach dem Loslassen nicht auf den Boden fallen, wenn
man es vorher lang genug festhält. Doch aus dem Bauch heraus
gefällte Urteile sind nun einmal bequemer.

Pandemie
Falsche Prognosen: Astrophysiker übt scharfe Kritik
an Corona-Modellierern

Die Realität könnte kaum weiter von dem Ideal entfernt sein, das
Wieler im Frühjahr 2020 vorschwebte - der glücklichen Rettung der
Crew von Apollo 13. Gene Kranz, Flight Director während der
Explosion des Sauersto!tanks, hatte seinen Leuten damals
bekanntermaßen eingeschärft: „Lasst uns die Sache nicht durch
Herumraten schlimmer machen.“ Es waren nicht Pathos und
übereifriges Herumexperimentieren, dass die Crew von Apollo 13
sicher zurück auf den Boden brachte. Es war abgeklärte, unaufgeregte

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Corona-Politik: „Mich befällt als Wissenschaftler großes Unbehagen“ 22.11.21, 10'17

Professionalität. Jeder kannte die notwendigen Handbücher und


Checklisten, jeder wusste um die Wichtigkeit transparenten
Zusammenwirkens, jeder wusste, dass er in seinem
Zuständigkeitsbereich hundertprozentig zuverlässig funktionieren
musste. Die Führungskräfte verstanden, dass Sie sich nicht mit
oberflächlichen Visionen und Überredungskunst durchwursteln
konnten.

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Stattdessen konnten sie dank Detailkenntnis und Betrachtung der


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Politik & Gesellschaft Mensch & Metropole Wirtschaft & Verantwortung Sport & Leidenschaft Kultur & Vergnügen Stil & Individualität Lernen & Arbeiten Zukunft & Technolo
lernen. Man hatte die Lektion aus Apollo 1 gelernt, wo drei
Astronauten bei einem Brand der Landekapsel während einer Übung
ums Leben gekommen waren. - Anzeige -

Autoritätsanspruch ohne Kompetenz?

Angesichts des Beispiels anderer Länder sollten wir uns fragen, ob


man mit einem solchen Führungsverständnis und mit realistischen
Zielen mehr erreicht als mit einem überbordenden
Autoritätsanspruch. Hätte man sich gleich auf Booster für vulnerable
Gruppen konzentriert, anstatt mit fragwürdiger Begründung
unbedingt die Impfung an die Schulen zu bringen, wären wir vielleicht
besser aufgestellt. Wer aus Maßlosigkeit alles will, macht am Ende
alles schlecht. Es ist gut möglich, dass ausgerechnet Bayern und
Österreich als Bannerträger der harten Linie nach der Winterwelle
schlechter dastehen lässt als das viel gescholtene Schweden, das ja
auch noch den Nachteil eines höheren Urbanisierungsgrads hat. Zu
denken geben werden ihnen unerwartete Wendungen im Winter aber
wohl kaum.

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/corona-politik-mich-befaellt-als-wissenschaftler-grosses-unbehagen-li.196263 Seite 4 von 7


Corona-Politik: „Mich befällt als Wissenschaftler großes Unbehagen“ 22.11.21, 10'17

Ganz unabhängig von der Frage der richtigen Impfstrategie, sollten


wir aber im Auge behalten, welchen permanenten Schaden man
anrichtet, wenn Autoritätsanspruch und Kompetenz des
Führungspersonals sich nicht die Waage halten. Wenn sich die
derzeitige Entscheidungskultur verfestigt, ist ein großer Knall
irgendwann programmiert.

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Bernhard Müller wurde 2009 an der TUM mit einer am Max-Planck-


Institut für Astrophysik (MPA) angefertigten Arbeit über Neutrino-
Strahlungstransport in Sternexplosionen promoviert. Seit 2021 ist er
Associate Professor an der Monash University in Australien. Seine
Forschung zu Supernova-Explosionen und den Endstadien
massereicher Sternen stützt sich wesentlich auf komplexe
Simulationen auf Höchstleistungsrechnern. Hier fließen
Strömungsmechanik, Strahlungstransport, Kernphysik,
Neutrinophysik und Relativitätstheorie ein.

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