NETWORK NEWS NR.
113 / FEBURAR 2011 LIFESTYLE
Stil und Trend
Im Spannungsfeld von Ästhetik und Kreativität
Ob beim Kleiderkauf, dem Logo bzw. Corpo-
rate Design, der Wohnungseinrichtung, dem
Messeauftritt, dem Geschäftsbericht oder beim
Autokauf: Ästhetik und Kreativität sind all-
tägliche Phänomene, die oft zusammen auf-
treten, wenn auch nicht immer in Harmonie.
Denn das Primat der Kreativität ist die Ori-
ginalität, das der Ästhetik die Schönheit.
Zwischen dem einen und dem anderen muss
es keinen Gegensatz geben. Nur ist es oft nicht
einfach, diese Beurteilung vorzunehmen.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen
Ästhetik und Kreativität? Nach Yves Saint
Laurent gilt: «Les modes passent, le style est
éternel. La mode est futile, le style pas.» Yves
Saint Laurent betont damit die beiden Dimen-
sionen «Stil» und «Mode» des kreativen Schaf-
fens: die der gemeinsamen Tradition (der
ästhetischen beispielsweise), der gestalteri-
schen Regeln und des individuellen Stils als
langfristige und konstante Grösse sowie die
der aktuellen Mode, des herrschenden Trends
und des momentan Zeitgemässen als kurz-
fristige Grösse der Gestaltung und des Auf-
tretens. Beide Dimensionen sind gleichwertig:
Stil alleine führt zu einer veralteten Anmu-
tung, Mode alleine zu einer oberflächlichen,
keines von beiden zum ästhetischen Debakel.
Beide Dimensionen müssen ihren Ausdruck
in der Gestaltung finden und bilden die Leit-
NETWORK NEWS No 113 /FÉVRIER 2011
© Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent, Paris
planken für den kreativen Schöpfungsakt.
Daraus hervorgehende Schöpfungen und An-
wendungen sind zeitgemäss und ansprechend.
Durch die Komponente «Stil» werden sie dau-
erhaft und durch die Komponente «Trend»
dem jeweils Zeitgemässen anpassbar: konsis-
tent und flexibel – Coca Cola macht es vor,
aber auch Marken wie Hermès, Ricola, The
Times und Alfa Romeo. Andere, und es sind
nicht gerade wenige, scheinen wenig bis nichts
davon zu halten – ob bewusst, unbewusst oder
fehlgeleitet bleibe dahingestellt.
Stilvoll und zeitgemäss genügt nicht: der
Auftritt einer Person oder einer Marke muss
differenziert erfolgen, erfordert also eine In-
szenierung nach Mass, eine auf der Identität
und dem angestrebten Image basierende Po-
sitionierung. Nur so ist gewährleistet, dass
nicht nur generell ästhetisch gute, sondern
auch individuell zugeschnittene Kreationen
entstehen: stilvoll, zeitgemäss und passend.
Ästhetische Grundsätze und Regeln bilden
den Rahmen, in dem sich die Kreativität ent-
falten sollte. Keine Frage, die Kreativität wird
dadurch eingeschränkt. Zugleich wird sie aber
davon befreit, das Rad ständig von neuem
erfinden zu müssen. So kann mehr Energie
in die Schöpfung relevanter Lösungen fliessen.
Das Ergebnis sind Kreationen von hoher Qua-
lität: «limitations are not just restrictive, but
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they also are creative», um in den Worten des
renommierten Architekten György Doczi zu
sprechen – «the power of limits» eben. Rahmen
bedingen und Restriktionen beeinflussen den
Kreativitätsprozess seit jeher. Das Produkt-
design beispielsweise hat die gute und funk-
tionale Gestaltung von Massenprodukten, die
maschinell produziert werden können, zur
Aufgabe. Paradebeispiele sind der Citroën DS,
der Eames Lounge Chair, die Coca Cola-
Flasche, der Rex-Sparschäler oder die
Dyson-Staubsauger: Design-Ikonen als Er-
gebnis von Restriktionen. Negativbeispiele
gibt es natürlich auch – mehr als genug; ob
im Design, der Kommunikation, der Mode
oder der Architektur.
Zwischen Ästhetik und Kreativität besteht
eine Reibungsfläche, die zu Spannungen füh-
ren kann. Ob es zum Konflikt kommt, hängt
von der Bereitschaft ab, den Kreativitätspro-
zess im Sinne von «the power of limits» zu
durchlaufen und das ästhetische und kreative
Potential nach dem von Yves Saint Laurent
formulierten Prinzip anzuwenden, um im
Ergebnis als Person oder Marke stilvoll und
zeitgemäss aufzutreten. Gefordert sind die
Schöpfer und die Anwender. Sie müssen bereit
sein, die Grundsätze einer ästhetisch guten
Gestaltung und eines guten Auftritts zuzu-
lassen und anzuwenden. Patrick Beffa