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30.

März 2021, 17:06 Uhr Sars-CoV-2

Von Wuhan in die Welt


Tiere, Tiefkühlprodukte oder ein Laborunfall? Ein von der WHO entsandtes
Team hat in China den Ursprung der Corona-Pandemie erkundet. Die
Untersuchung fand in politisch aufgeheiztem Klima statt.
Von Berit Uhlmann

Am 8. Dezember 2019 erkrankte im chinesischen Wuhan ein Mensch an einer


Lungenentzündung. Als Ursache wurde später ein Virus ausgemacht, das damals
noch unbekannt, heute aber Milliarden Menschen vertrauter ist, als ihnen lieb ist:
Sars-CoV-2. Der Patient ist der erste bestätigte Fall dessen, was ein von
der WHO entsandtes Expertenteam als "explosiven Ausbruch" bezeichnete. Doch
war dies wirklich der erste Patient? Der erste Ausbruch? Was war in jenen
Spätherbstwochen im Osten Chinas geschehen? Das waren die Fragen, mit denen
der Trupp im Januar in das Ausbruchsgebiet gereist war.
34 Wissenschaftler - die Hälfte von ihnen Chinesen - hatten sich auf die lange
vorbereite, zäh verhandelte und zeitweilig verschobene Tour begeben. Zugleich
hatten sie umfangreiche Daten und Studien gesichtet, die ihnen erlauben,
verschiedene Hypothesen zumindest abzuwägen. Nun liegt ihr Abschlussbericht vor.
Am wahrscheinlichsten ist demnach, dass Sars-CoV-2 aus dem Tierreich stammt.
Fledermäuse und Pangolins gelten als die hauptverdächtigen Wirte. Bislang aber
wurden in diesen Säugern jedoch keine Viren gefunden, die Sars-CoV-2 so sehr
ähneln, dass sie als dessen direkte Vorgänger gelten könnten, heißt es in dem
Report. Damit wird die These wahrscheinlicher, dass ein Zwischenwirt den Erreger
auf den Menschen übertragen hat. Nerze, Hasen, Waschbären, Katzen oder
Zibetkatzen kommen unter anderen infrage.
Wann es zu dem Sprung gekommen ist, lässt sich nur eingrenzen. Genom-
Analysen des Erregers deuten auf einen Zeitraum zwischen Ende September und
Anfang Dezember hin, wobei Mitte bis Ende November als etwas wahrscheinlicher
gilt. Diese Schätzung wird von epidemiologischen Untersuchungen gestützt. In den
Routinedaten, die Forscher prüften, konnten sie vor Dezember 2019 keine
Auffälligkeiten entdecken. Sterbe- und Krankenhausstatistiken, Erfassung von
Atemwegserkrankungen, Auswertungen von verkauften Fieber- und
Erkältungsmitteln deuten dem Bericht zufolge nicht auf ein ungewöhnliches
Infektionsgeschehen im Sommer oder Herbst hin. In Proben, die im zweiten Halbjahr
2019 von chinesischen Patienten mit Atemwegserkrankungen genommen worden
waren, fand sich bei einer erneuten Untersuchung kein Sars-CoV-2. Wenn der
Erreger schon im Herbst zirkulierte, dann wahrscheinlich nur auf niedrigem Niveau,
so die Schlussfolgerung.
Die These des Laborunfalls wurde weitgehend verworfen
Der Ort des Übersprungs bleibt bislang offen. Lange wurde ein Tiermarkt in
Wuhan verdächtigt, auch der erste dokumentierte Patient hatte sich dort aufgehalten,
ebenso wie die Hälfte der 174 Covid-Erkrankten aus dem Dezember. Eine
Verbindung zwischen diesen Menschen und bestimmten Tieren oder Produkten des
Marktes konnte jedoch nicht gefunden werden. Proben von Tieren des Marktes
waren negativ. Damit ist auch möglich, dass der viel besuchte Platz nicht Ursprung
der Pandemie, sondern Ort eines frühen Superspreading-Events war.
Als möglich, aber nicht wahrscheinlich wird die vor allem in China verbreitete
These bewertet, dass das Virus mit Tiefkühlprodukten in das Land eingeschleppt
wurde. Prinzipiell kann Sars-CoV-2 zwar in oder auf tiefgekühlten Lebensmitteln
überdauern; derartige Ware wurde auch auf dem Markt in Wuhan verkauft. Doch
noch immer gibt es keinen Beweis, dass sich Menschen auch anstecken, wenn sie
diese Produkte essen oder mit ihnen hantieren.
Als "extrem unwahrscheinlich" wiesen die Autoren dagegen die Hypothese zurück,
dass die Pandemie durch einen Laborunfall verursacht wurde. Zwar hatten drei
Labore in Wuhan an Coronaviren geforscht. Doch unmittelbar vor dem Ausbruch
habe es den Erkenntnissen zufolge keine Forschung an Viren gegeben, die Sars-
CoV-2 stark ähneln.
Zudem arbeiteten die Labore auf der höchsten oder zweithöchsten
Sicherheitsstufe, waren dem Report zufolge "gut geführt" und überwachten die
Gesundheit ihrer Angestellten regelmäßig. Bei keinem Mitarbeiter waren früh
Symptome einer Covid-Erkrankung aufgefallen. Auch spätere Antikörpertests hätten
keine Infektionen unter Labormitarbeitern feststellen können.
Gar nicht erst untersucht wurde die Möglichkeit, dass das Virus absichtlich in
Umlauf gebracht wurde. Diese Idee sei bereits durch andere Wissenschaftler auf der
Basis von Genomanalysen ausgeschlossen worden, schreiben die Autoren in ihrem
Bericht. Forscher hatten zudem darauf hingewiesen, dass andere Erreger als
Biowaffe wohl wirkungsvoller seien.
Die Untersuchung fand in politisch aufgeheiztem Klima statt. Kritiker argwöhnen,
dass China den Experten nicht jeden gewünschten Zugang gewährte und bei der
Erstellung des Berichts Druck ausübte. Teilnehmer wiesen dies allerdings zurück.
Die niederländische Virologin Marion Koopmans, die dem Team angehörte, sagte,
sie hätte die Atmosphäre nicht so empfunden. "Es ging nun einmal um eine sehr
komplexe Untersuchung", sagte sie, die brauche Zeit. Teamleiter Peter Ben Embarek
räumte allerdings in der Zeitschrift Science ein: "Die Politik stand immer im Raum."
Nach Erscheinen des Reports kritisierten die USA und 13 weitere Länder in einer
gemeinsamen Erklärung, dass sich die Untersuchung so lange verzögert hatte und
die Teilnehmer nicht zu sämtlichen Daten Zugang gehabt hätten. Zu den
Unterzeichnern gehören unter anderem Australien, Kanada, Dänemark und
Großbritannien.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kündigte derweil weitere
Untersuchungen aller, selbst der weniger wahrscheinlichen Hypothesen an. Keine
einzelne Forschungsreise könne alle Antworten liefern, sagte er: "Der Bericht ist ein
sehr wichtiger Anfang, aber nicht das Ende".

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