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2 Der Lehrerberuf im Wandel

ISBN: 978-3-86872-277-2
1. Auflage
Copyright by Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Studienförderung
Redaktion: Marei John-Ohnesorg, Marion Stichler
Inhaltliche Mitarbeit: Valerie Lange
Layout & Umschlaggestaltung: minus Design, Berlin
Druck: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei
Printed in Germany 2010
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Vorwort
Die Tätigkeit des Lehrers, der Lehrerin, ge- sie auf der Universität eine nur appendixhaft
hört zu den anspruchsvollsten Berufen zu bezeichnende theoretische pädagogische
überhaupt. Sie verlangt nicht nur fachliche Ausbildung erhalten. Alle Versuche, eine in-
Kompetenz, zu der die Fachausbildung der tegrierte praktische und theoretische (fach-
zu unterrichtenden Schulfächer gehört, son- lich und pädagogisch) Ausbildung zu etablie-
dern auch eine angemessene Art im Umgang ren, wurden in der alten Bundesrepublik aus
mit Kindern und/oder Jugendlichen. Gelun- politischen Gründen abgebrochen (z.B. Ein-
gene pädagogische Arbeit mit Kindern und phasige Lehrerausbildung an der Universität
Jugendlichen zeigt sich nicht nur im Erwerb Oldenburg 1975-1981) oder mit dem deut-
fachlicher Kompetenz, sondern auch in der schen Einigungsvertrag vom September 1990
Reife der sich entwickelnden Persönlichkeit. untersagt.
Dies ist ein ungewöhnlich komplexer Vor-
gang, der sich bei jedem Individuum anders So sind heute alle Bemühungen, die Lehrer-
darstellt und sich mit dem steigenden Alter ausbildung zu optimieren, davon getragen, die
ständig ändert. Hinzu kommt, dass heute die Praxisanteile in den Studienseminaren enger
Konkurrenz der Miterzieher (Medien, Moden, mit den Hochschulen zu verknüpfen, während
Peer- Groups) viel prägender für jede pädago- die Straffung in BA- und MA- Studiengängen
gische Arbeit ist als früher. gerade in der Lehrerausbildung nicht immer
der Reflexion förderlich ist. Eine prinzipielle
Dementsprechend anspruchsvoll sind auch Neuorientierung ist trotz des Bemühens der
die Erwartungen der Eltern, der Abnehmer KMK nicht in Arbeit. Die auf Grundlage der
in Wirtschaft und Wissenschaft und der Ge- Arbeit von Jürgen Oelkers von der Friedrich-
sellschaft insgesamt. Die Lehrerinnen und Ebert-Stiftung veranstaltete Diskussion zur
Lehrer werden zu Hoffnungsträgern und Lehrerausbildung im Oktober 2009 gibt den
allumfassenden persönlichen Entwicklungs- aktuellen Stand der Debatte wider. Sie behebt
helfern, ohne dass die Gesellschaft dies mit nicht den Grundtatbestand, dass man für die
einem hohen Sozialprestige honoriert. Zu- pädagogische Arbeit nicht standardisiert ein-
dem glaubt jeder auf Grund der eigenen mal ausgebildet ist. Wer nicht ständig neue
Schulzeit, die notwendiger Weise immer Erkenntnisse verarbeiten gelernt hat, wird nie
Jahrzehnte zurückliegt, besonders sachkun- ein befriedigendes pädagogisches Berufsleben
dig über die Leistungen der gegenwärtigen führen können. Immanuel Kant hat immer
Schule urteilen zu können, wobei der indi- noch mit seiner Bemerkung von 1793 recht,
viduell verengte Blick der eigenen Schulzeit dass der „Gemeinspruch“ falsch ist, wenn man
umstandslos verallgemeinert wird. meine, dass etwas in der Theorie richtig sein
mag, aber für die Praxis nicht tauge.
Angesichts dieser realen, nicht standardisier-
baren Anforderungen und Erwartungen ist es
schwierig, eine „richtige“ Ausbildung zu kon-
struieren. In Deutschland ist historisch die
Trennung von fachwissenschaftlichen und
pädagogischen Studien einerseits und prak- Prof. Rolf Wernstedt
tischer Ausbildung andererseits konstitutiv. Niedersächsischer Kultusminister a.D.
Bei den Gymnasiallehrern kommt hinzu, dass Moderator des Netzwerk Bildung
4 Der Lehrerberuf im Wandel

Zehn Punkte
1. Individualisierung, Kompetenzorientierung, Bildungsstan-
dards und Schulmanagement – Die Themen der Reformagenda.
Reformen wie das Ganztagsschulprogramm, der zum Lebensraum. Bildungsstandards können
Wechsel von der Input- zur Outputsteuerung in Verbindung mit neuen Aufgabenkulturen
durch nationale Vergleichstests, die Konzepti- zu einem kompetenzorientierten Unterricht
onierung der Bildungsstandards oder die zahl- beitragen, einem Unterricht also, der an den
reichen Initiativen für eigenverantwortliche Lernprozessen der einzelnen Schülerinnen und
Schulen und regionale Bildungslandschaften Schüler und nicht nur an Inhalten ausgerich-
haben neue Impulse in die Arbeit der Schu- tet ist und der die Anwendung des Wissens in
len gebracht. Die Reformansätze haben ihr den Vordergrund stellt. Diese Reformkonzepte
Potenzial jedoch noch nicht ausschöpfen kön- bedingen einen Mentalitätswechsel der Lehre-
nen – dabei sind die Ideen, die hinter diesen rinnen und Lehrer. Das Selbstverständnis muss
Konzepten stehen, geeignet, die deutsche sich ändern, hin zu einer neuen Schulkultur
Schullandschaft grundlegend zu verändern. des individuellen Förderns. Im Rahmen der
In Ganztagsschulen etwa kann sich eine neue Lehrerausbildung wird der Grundstein dafür
Lehr- und Lernkultur etablieren, weil durch die gelegt, die Umsetzung hängt von der Praxis in
längere Lernzeit eine stärkere Individualisie- der Schule ab. Noch immer erreichen diesen
rung des Lernens und eine neue Förderkultur – zugegebenermaßen hohen – Anspruch nur
für alle Schüler ermöglicht werden kann. Schule wenige Schulen.
bleibt dann nicht nur Lernstätte, sondern wird

2. Die Lehrerbildung ist der Schlüssel für erfolgreiche Bildungs-


reformen.
Denn eines haben alle Bildungsreformen ge- schen den Bildungsgängen überwinden – eine
meinsam: Sie bleiben unwirksam, wenn ihnen schwierige Aufgabe, die nur zu bewältigen ist,
die Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer wenn sie sich nicht allein gelassen fühlen. Sie
fehlt. Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind die müssen die notwendige Unterstützung erhal-
zentralen Akteure, die Transformationsstellen ten, um eine heterogene Schülerschaft und
von der Theorie der Reformkonzepte zu ihrer verschiedene Lernmilieus nicht nur als Belas-
praktischen Erfüllung. Erst wenn sich die Re- tung, sondern auch als Chance begreifen zu
formansätze in der alltäglichen Unterrichts- können. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die
praxis bewähren, können sie als umgesetzt Verinnerlichung der Konzepte hinter den Re-
gelten. Beispiel Schulstruktur: Die Zusammen- formen durch die Lehrerschaft ist. Das ist die
legung von Haupt- und Realschulen ist orga- Aufgabe der Lehrerbildung. So verknüpfte das
nisatorisch mittelfristig zu schaffen. Die durch Netzwerk Bildung mit der Konferenz „Der Leh-
den Zusammenschluss derzeit in mehreren rerberuf im Wandel. Wie Reformprozesse Ein-
Bundesländern neu entstehenden Schulen gang in den Schulalltag finden“ vom 13. Okto-
sollen jedoch auch zu einer neuen Lernkultur ber 2009 zwei Fragestellungen: Wie müssen
und mehr Chancengerechtigkeit beitragen. Bildungsreformen beschaffen sein, damit sie
Diese Aufgabe ist wesentlich schwieriger zu sich in die Praxis überführen lassen? Und
erfüllen. Die Lehrerinnen und Lehrer beider welche Anforderungen lassen sich aus diesen
Schultypen müssen sich nun als Lehrer in ei- Überlegungen für eine Veränderung der Leh-
ner gemeinsamen Schule verstehen und auch reraus- und -fortbildung ableiten?
in ihrer Unterrichtspraxis die Trennung zwi-
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3. Der neue Rahmen: Bologna, Kompetenzen und Standards


In seinem im Auftrag des Netzwerk Bildung der der dazu entschlossen, die Lehrerbildung auf
Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten Gutachten die gestuften Studiengänge umzustellen. Mit
„‘I wanted to be a good teacher…‘ Zur Ausbil- den von der Kultusministerkonferenz 2004
dung von Lehrkräften in Deutschland“ be- beschlossenen Standards für die Bildungswis-
schreibt Prof. Dr. Jürgen Oelkers, Pädagogisches senschaften sind erstmals Kompetenzen de-
Institut Zürich, die neuesten Entwicklungen im finiert, die als verbindliche Grundlage für die
Bereich der Lehreraus- und -fortbildung in den Lehrerbildung in allen Bundesländern gelten
Bundesländern. Er analysiert die Situation der sollen und mit denen auch die Qualität der
Ausbildung der Lehrkräfte in Deutschland, be- Lehrerbildung systematisch evaluiert werden
nennt ihre Schwächen und zeigt Ansatzpunkte könnte. Neben den bildungswissenschaftlichen
für weitere Reformen auf. Prof. Dr. Oelkers Standards hat die KMK 2008 Standards für die
weist darauf hin, dass in den letzten Jahren Fachwissenschaften und Fachdidaktiken be-
deutliche Reformbemühungen zu erkennen schlossen. Durch die Beschreibung curricularer
waren. Der Bologna-Prozess und die damit Schwerpunkte in Fachprofilen ist für neunzehn
verbundene Umgestaltung vieler Lehramtsstu- Fachdidaktiken und Fachwissenschaften der all-
diengänge auf modularisierte Bachelor- und gemeinbildenden Lehrämter eine Art Rahmen-
Masterstrukturen haben zu einer Überarbeitung lehrplan für die Lehrerbildung entstanden.
und Neuausrichtung vieler Studienordnungen
geführt. Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt a Jürgen Oelkers: “I wanted to be a good teacher…
und des Saarlandes haben sich alle Bundeslän- Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland“

4. Die neuen Ansätze in der Lehrerbildung haben die Praxis


noch nicht erreicht.

Neue Konzepte für die Gestaltung der Lehrer- mal- oder Maximalstandards handelt.“ Durch
bildung liegen also vor. Neben der grundsätz- diese ungenauen Vorgaben wird eine flächen-
lichen Frage nach der Tragfähigkeit der Reform- deckende und einheitliche Durchsetzung der
ansätze ist ihre Überführung in die Praxis Standards an den Hochschulen nahezu un-
zu überprüfen. Prof. Dr. Jürgen Oelkers stellt möglich. „‚Umsetzung‘ heißt einfach das, was
dazu fest, dass die Standards für die Bildungs- die Länder daraus machen“, konstatiert Oel-
wissenschaften bislang „in keiner der konsul- kers. Die nationale Vergleichbarkeit der Leh-
tierten Studien- oder Prüfungsordnungen der rerbildung, die durch die Standardsetzung
ersten Phase auftauchen, ausgenommen in und die Evaluation der Ergebnisse erreicht
Rheinland-Pfalz, wo der Prozess der Standar- werden sollte, ist also noch längst nicht gege-
disierung in der Lehrerbildung begonnen wur- ben. Hier macht sich einmal mehr das wesent-
de“. Verschiedene Studienseminare hingegen liche Defizit des in Deutschland praktizierten
haben „das Kompetenzmodell der KMK über- Bildungsföderalismus bemerkbar: Die Gesetz-
nommen, gehen damit aber auf je eigene Wei- gebungskompetenz für die Lehrerbildung liegt
se um“. Gleiches gilt für die fachwissenschaft- bei den einzelnen Bundesländern, die deutlich
lichen und fachdidaktischen Standards, die, so unterschiedliche Auffassungen über die not-
führt Prof. Dr. Oelkers aus, „zwar zahlreiche wendigen Schwerpunktsetzungen vertreten.
Anforderungen enthalten, aber keine Angaben Rahmungen, die über Empfehlungen hinaus-
darüber, wie diese Anforderungen angesichts gehen, sind nur schwer zu erreichen.
der klaren Zeitvorgaben für die Lehrämter stu-
diert werden können. Gesagt wird nicht ein- a Jürgen Oelkers: “I wanted to be a good teacher…
mal, ob alles studiert werden muss, um zum Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland“,
Erfolg zu kommen, also ob es sich um Mini- Kapitel 2, S. 15ff.
6 Der Lehrerberuf im Wandel

5. Ein Umsetzungsbeispiel: Die Novellierung der Lehreraus-


bildung in Nordrhein-Westfalen.

In Nordrhein-Westfalen ist ein Reformgesetz nen, sondern aufwändig kommuniziert werden


zur Lehrerausbildung ausgearbeitet worden, müssen, um Akzeptanz zu erzeugen“, berichtet
das Impulse für ähnliche Prozesse in anderen Prof. Dr. Gabriele Bellenberg, Institut für Er-
Bundesländern geben könnte. Grundlage des ziehungswissenschaft an der Ruhr-Universität
im Mai 2009 verabschiedeten Gesetzes sind die Bochum sowie geschäftsführende Leiterin des
bildungswissenschaftlichen Standards der KMK. Zentrums für Lehrerbildung.
Neu ist, dass eine einheitliche Ausbildungs-
dauer für alle Lehrämter festgelegt worden ist. a Gabriele Bellenberg: „Von den Mühen der Ebene“
Und die Bachelor- und Masterstudiengänge an
nordrhein-westfälischen Universitäten müssen Das neue Lehrerausbildungsgesetz in Nordrhein-
zukünftig mit deutlich mehr Praxisanteilen Westfalen kann die von Prof. Oelkers formulierten
ausgestattet sein. Die Praxisphasen schließen Erfolgsfaktoren für eine Transformation von Bil-
ein Eignungspraktikum im Bachelorstudium dungsreformen aufweisen: Reformprozesse müssen
und ein Praxissemester im Masterstudium ein. gesteuert werden, ihre „Implementation setzt mehr
Dafür wird der Vorbereitungsdienst gekürzt auf voraus als ein behördliches Papier; was in der Pra-
die Dauer von mindestens 12 Monaten. In der xis geschieht und was auch nicht geschieht, lässt
Gestaltung des Umsetzungsprozesses geht Nord- sich nicht durch die ‚Erlasslage‘ kontrollieren. Die
rhein-Westfalen ebenfalls neue Wege. „Die Ver- Reform muss den Akteuren sinnvoll erscheinen und
abschiedung dieses Rahmenkonzeptes erfolgte auf verschiedenen Ebenen Akzeptanz finden. Je in-
in einem neuen Verfahren, bei dem das Schul- transparenter oder überflüssiger die Implementation
ministerium alle lehrerbildenden Universitäten erscheint, desto mehr Widerstand wird sie hervorru-
mit in den Entwicklungsprozess einbezog und fen.“ Die identifizierten Erfolgskriterien, die nicht nur
in einem aufwändigen Verfahren den Bedenken für eine Reform der Lehrerbildung, sondern für jeg-
aller Hochschulvertreter durch zahlreiche Ge- liche Bildungsreformen gelten, sollen im Folgenden
spräche Rechnung trug. Dieses Vorgehen trägt näher beleuchtet werden.
einem in der internationalen Forschung zur
Umsetzung von Bildungsreformprozessen breit a Jürgen Oelkers: “I wanted to be a good teacher…
belegten Umstand Rechnung, dass nämlich Re- Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland“,
formen nicht einfach umgesetzt werden kön- Kapitel 3, S. 31ff.

6. Bildungsreformen können nur gelingen, wenn die Akteure


von ihrem Nutzen überzeugt sind.

Umbrüche, wie sie durch Bildungsreformen stellvertretende Vorsitzende der GEW, sieht hier
angestoßen werden, setzen immer eine Kraft- einen wichtigen Ansatzpunkt: „Bei der Kommu-
anstrengung der Akteure voraus. Beispiel nati- nikation der Konzepte darf nicht der Eindruck
onale Vergleichsarbeiten (VERA): Hier müssen entstehen ‚Wir entscheiden, die in den Schulen
sich die Lehrerinnen und Lehrer mit neuen, an sollen sich um die Umsetzung kümmern‘.“
den nationalen Bildungsstandards orientierten
Aufgaben auseinandersetzen. Diese neuen Auf- Überzeugungsarbeit ist aber keine hinreichende
gabenkulturen testen Anwendungswissen und Bedingung für den Erfolg von Reformen. Da-
knüpfen nicht immer an die Inhalte der Lehr- rüber hinaus müssen sich für die Akteure mit
pläne an. Das erfordert ein Umdenken bei den den Veränderungen Vorteile verbinden, damit
Lehrpersonen. Dieser Einsatz ist nur dann zu die zusätzlichen Belastungen als sinnvoll emp-
erwarten, wenn die Lehrerinnen und Lehrer funden werden. Im Bereich der Reform der
von der Richtigkeit und Wichtigkeit der Verän- Lehrerbildung zählen für die Hochschulen fi-
derungen überzeugt sind. Marianne Demmer, nanzielle Ressourcen, die Einrichtung zusätz-
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licher Stellen, die allerdings mit klaren Auf- ert werden. Denn gerade die Mentoren in den
lagen zu versehen sind, und die Vergabe von Schulen, so stellt Prof. Oelkers fest, üben einen
Forschungsaufträgen zur Schul- und Lehrerbil- großen Einfluss auf angehende Lehrkräfte aus:
dung. Für die Ausbilder und Mentoren in den „Sie sind entscheidende Anlaufstellen für den
Studienseminaren und Schulen sind Anreize in Anfang der professionellen Kompetenz, von
Form von ausreichender Entlastung, von ange- dem die weitere berufliche Entwicklung offen-
messener Bezahlung zusätzlicher Leistungen bar wesentlich abhängt.“
und von spezifischen Funktionsstellen für die
Lehrerausbildung denkbar. Über diese Stellen a Jürgen Oelkers: “I wanted to be a good teacher…
kann dann wiederum die Umsetzung von Bil- Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland“,
dungsreformen im Schulalltag besser gesteu- Kapitel 4, S. 49ff.

7. Alle Ausbildungsteile müssen in den Reformprozess einbe-


zogen werden.

Professionelle Kompetenz baut sich gestuft und lum, das die Abstimmung zwischen den Fächern
nur dann auf, wenn sich verschiedene Ausbil- und den Ausbildungsphasen steuert. „Wissen-
dungsteile aufeinander beziehen. Folglich müs- schaft und Praxis müssten stärker verzahnt
sen auch Bildungsreformen, durch die neue di- werden, damit auch Lehrerinnen und Lehrer
daktische und curriculare Schwerpunkte gesetzt die Möglichkeit haben, einige Semester zurück
werden sollen, alle Ausbildungsteile berücksich- an die Universität zu gehen – als Studierende
tigen. „In der Folge stellt sich dann aber auch die oder als Lehrende“, fordert Hannelore Weimar,
Frage nach der gemeinsamen Verantwortung“, so Schulleiterin der Werner-Stephan-Oberschule in
Prof. Oelkers. „Hier kann neu auf die Zentren für Berlin. Die verschiedenen Orte der Ausbildung
Lehrerbildung gesetzt werden, die es inzwischen könnten sich so gegenseitig befruchten und die
an allen Universitäten gibt, die Programme für Chance, dass sich neue Lehr- und Lernkonzepte
die Ausbildung von Lehrkräften anbieten. Aller- flächendeckend in die Praxis durchsetzen, wür-
dings sind die Befugnisse und die Ausstattungen de erhöht, weil die Lernenden in unterschied-
der Zentren ganz unterschiedlich.“ Eine Voraus- lichen aber miteinander gekoppelten Kontexten
setzung für gelingende Reformen ist, dass Hoch- mit ihnen in Berührung kommen und sie verin-
schulen, Studienseminare und Schulen in ein nerlichen können.
verbindliches Arbeitsverhältnis gesetzt werden,
in dem die Arbeitsfelder und Anschlussstellen a Jürgen Oelkers: “I wanted to be a good teacher…
genau definiert sind. Dafür braucht es ein ge- Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland“,
meinsames, aufeinander aufbauendes Curricu- Kapitel 5, S. 69ff.

8. Widerstände müssen identifiziert und bei der Konzeption der


Reformen berücksichtigt werden.
So wichtig wie die Verbindung der Ausbil- anpassten und die Dekane nicht genügend
dungsphasen ist, so schwierig ist es, eine sol- Befugnisse haben, geänderte Studienord-
che Neuordnung umzusetzen – selbst wenn nungen in den Fachbereichen umzusetzen.
man von der Problematik der Abstimmungs- Das könnte sich durch die Zentren für Lehrer-
prozesse und gemeinsamer Rahmensetzungen bildung ändern. In der zerfaserten Lehrerbil-
im föderalen System absieht und nur die ver- dung gibt es aber auch weiterhin vielfältige
schiedenen Akteure der Lehrerbildung in den Interessengruppen. Politik, Verwaltung, Wirt-
Blick nimmt. In der Vergangenheit scheiterte schaft und die Bildungseinrichtungen selbst
die Umsetzung teils schon daran, dass die haben unterschiedliche Interessenlagen, die
Lehrenden ihre Lehrveranstaltungen inhalt- zum Teil miteinander kollidieren. „Es nützt
lich nicht an die neuen Studienordnungen nichts, die bisherige Ausbildungspraxis an
8 Der Lehrerberuf im Wandel

Hochschulen, Studienseminaren und Schulen die einer tief greifenden Reform der Ausbil-
einfach fortzuschreiben, sie aufzuhübschen dung im Wege stehen, sondern es ist auch die
oder sie in einem top-down-Verfahren par or- Macht der Gewohnheit und die Arbeitsrou-
dre de Mufti neu zu reglementieren. Wie die tine. Ohne ein gehöriges Maß an Engagement
Erfahrung lehrt, sind alle Ausbildungsinsti- der Akteure selbst lassen sich diese nicht ver-
tutionen Meister darin, Vorhandenes neu zu ändern. Für gelingende Reformprozesse müs-
etikettieren, alten Wein in neue Schläuche sen deshalb schon bei der Konzeption die In-
abzufüllen und im Übrigen genauso weiterzu- teressen und Motivationen der verschiedenen
machen wie bisher“, erklärt Dr. Hartmut Len- Akteure berücksichtigt werden. Nur so kön-
hardt, Leiter des Studienseminar Paderborns. nen Widerstände und Stolpersteine ins Kalkül
Dabei ist es nicht nur die Überzeugung, dass einbezogen und ihnen nachhaltig strategisch
die alten Konzepte die bewährteren sind, begegnet werden.

9. Weiterbildungskonzepte müssen auf die Bedürfnisse der Einzel-


schule abgestimmt werden.

Die geforderte Überzeugungsarbeit kann auch Weiterbildung muss als strategisches Mit-
durch gezielte Weiterbildungsprogramme ge- tel verstanden und eingesetzt werden. Hier
leistet werden. In der Weiterbildung hat es kommt den Schulleitern entscheidende Be-
bislang nur wenig strukturelle Veränderungen deutung zu. Sie müssen die Weiterbildungs-
gegeben. Die herkömmlichen Kurse gelten als maßnahmen für das Kollegium koordinieren
praxisfern, kurzzeitig und unsortiert organisiert und dabei die Ziele der Schulentwicklung und
und bleiben so verlorene Ressource. Wie die Er- die Interessen der Lehrkräfte berücksichtigen
gebnisse der OECD-Studie TALIS zeigen, haben können. Am effektivsten ist es, wenn das Kol-
Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland eine legium in Weiterbildungsprojekten gemeinsam
hohe Bereitschaft zur Teilnahme an Weiterbil- lernt. Die Kurse sollten an den Bedürfnissen
dungsmaßnahmen. Sie beklagen aber, dass sie der Einzelschule ausgerichtet und möglichst
die Kosten für die Programme häufig selbst praxisnah gestaltet sein. Erfolgversprechend
tragen müssen, eine Teilnahme an Weiterbil- ist auch die Möglichkeit des Erfahrungsaus-
dungsprogrammen mit den Unterrichtszeiten tausches mit anderen Schulen in Netzwerken.
kollidiert und sich keine passenden Fortbil- Weiterbildung ist allerdings nicht allein Auf-
dungsangebote finden lassen. „Wenn man aber gabe der Lehrerinnen und Lehrer. Prof. Terhart
unmittelbar Dinge und Abläufe in der Schule weist darauf hin, „dass auch die in der Lehrer-
ändern will, dann muss man mit den dort be- bildung arbeitenden Personen – vom Univer-
reits befindlichen Lehrkräften arbeiten; eine sitätsprofessor bis zum Weiterbildungslehrer
Änderung der Erstausbildung wirkt sich in den und Schulentwickler – mehr Weiterbildung
Schulen erst nach 10 bis 15 Jahren aus“, betont benötigen“.
Prof. Dr. Ewald Terhart, Universität Münster,
die Bedeutung der Weiterbildung für die Um- a Ewald Terhart: „Was hat sich in der Lehrerbildung
setzung von Bildungsreformen. getan?“

10. Das Ziel des Lehrerberufs muss im Mittelpunkt aller Bemü-


hungen stehen.
Der Staat als zentraler Abnehmer von ausgebil- mungen und Zielvorgaben können sich aber än-
deten Lehrkräften hat ein berechtigtes Interesse dern. Die Bildungsinstitutionen und ihre Akteure
daran, die Qualität und die Konditionen der Aus- müssen flexibel genug sein, innovative Konzepte
bildung mitzubestimmen. Ähnliches gilt für die aufzunehmen und mit Leben zu füllen. Dazu ge-
Arbeit in den Schulen, für die die administrative hört auch, dem Problem des absehbaren Lehrer-
Ebene Rahmenbedingungen vorgibt. Diese Rah- mangels in den nächsten Jahren verstärkt mit der
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Ausbildung von Quereinsteigern zu begegnen. Es sein, was im Mittelpunkt aller schulischen Pro-
kommt darauf an, eine Balance aus begründeten zesse steht: Lehrerinnen und Lehrer sollen Kinder
administrativen Vorgaben und hinreichenden und Jugendliche dabei unterstützen, sich selbst
Freiräumen für die Ausgestaltung der Reformkon- Kompetenzen anzueignen, um ihr eigenes Leben
zepte zu finden. Das gilt ganz unabhängig davon, selbstbestimmt und verantwortlich gestalten zu
ob es dabei um die Modernisierung der Lehrer- können. Lehrerbildung und schulische Praxis ha-
ausbildung, die Veränderung der Schulstruktur ben keinen Selbstzweck, sie dienen einem Zweck
und Schulkultur oder der Lehr- und Lernformen und müssen einen Auftrag erfüllen.
geht. Leitlinie für alle Wandlungsprozesse muss

“I wanted to be a good teacher…” – Zur


Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland
Eine Zusammenfassung der Studie

Prof. Dr. Jürgen Oelkers / Pädagogisches Institut Zürich

Die neue Steuerungsphilosophie der „Output- den, die im Verbund mit dem Studienseminar
orientierung“ hat auch die Lehrerbildung er- und durch die Formulierung gemeinsamer
reicht. Hinter dieser Philosophie steht der Ge- Standards für „guten Unterricht“ erreicht
danke der Rechenschaftslegung, mit dem die und die als Markenzeichen verstanden wird.
Erwartung verbunden ist, dass die eingesetz- Dem Problem des Lehrermangels wird in
ten Ressourcen sich auf Ziele und Ergebnisse den nächsten Jahren verstärkt mit der Aus-
beziehen lassen. Dieser Gedanke ist der deut- bildung von Quereinsteigern begegnet wer-
schen Lehrerbildung historisch fremd. Das den müssen. Ihre Anstellung sollte einen
muss sich ändern. Erziehung und Unterricht Eignungstest voraussetzen und schulinter-
müssen eine Gesamtaufgabe werden, die Leh- nes Coaching implizieren.
rerbildung die notwendigen Ressourcen vermit-
teln. Dazu ist ein mentales Umdenken notwen- 2. Ausbildungsorganisation: Die neuen Zen-
dig. Reformansätze lassen sich im Bereich der tren für Lehrerbildung können die Aufgabe
Studierenden, der Ausbildungsorganisation, übernehmen, die verschiedenen Phasen der
der Weiterbildung und der Unterrichtsent- Lehrerausbildung stärker miteinander zu ver-
wicklung und Standards finden. zahnen und Verantwortung für das Ergebnis
zu übernehmen. Das ist durch regelmäßige
Evaluationen möglich, deren Resultate Kon-
1. Studierende: Beratungsgespräche und sequenzen haben – ungeeignete Module etwa
Eignungspraktika vor Studienbeginn hel- müssen ersetzt werden können. Die Themen
fen, dass der Berufswunsch möglichst früh der Ausbildung müssen in eine Prioritäten-
eine realistische Dimension erhält und das folge gebracht und auf den Zweck der Aus-
Studium zielgerichteter gestaltet werden bildung von angehenden Lehrkräften hin an-
kann. Wenn die schulpraktischen Studien gelegt werden. Das geschieht am besten mit
mit einer best practice bekannt machen, also eigenen Lehrmitteln, die die curricularen
nicht nur mit dem Alltag, sondern auch mit Standards materialisieren. Eine weitere Kern-
herausragenden Lösungen im Blick auf den frage betrifft die Prüfungen, das entschei-
Unterricht und die Schulentwicklung, dann dende Instrument der Qualitätssicherung, die
erfahren angehende Lehrkräfte wichtige An- zukünftig nicht am Ende des Studiums ste-
regungen für ihr späteres Berufsleben. Mit hen, sondern den Kompetenzaufbau während
der Bezeichnung „Ausbildungsschule“ sollte des gesamten Studienverlaufs überprüfen,
sich zudem eine spezifische Qualität verbin- rückmelden und sichern sollten.
10 Der Lehrerberuf im Wandel

3. Weiterbildung: Mit gezielten Programmen es müssen Konzepte entwickelt werden, um ei-


der Weiterbildung kann am schnellsten auf ge- nen Transfer zu ermöglichen. Entscheidend für
sellschaftlichen Wandel reagiert werden. Dazu den Erfolg der Standardisierung ist, dass über
muss die Weiterbildung von den Schulleitungen, die Legislaturperioden hinweg stabile Ziele
Ministerien und Behörden strategisch verstan- verfolgt werden, die mit langfristig angelegten
den werden. Die Angebote zur professionellen Innovationsstrategien verbunden sind.
Weiterbildung von Lehrkräften müssen sich an
der Praxis und ihren Problemstellungen ori-
entieren, aber dabei auch überprüfbar sein. Der Im Kern geht es um einen grundlegenden Wan-
Bedarf an Weiterbildung sollte von den Schul- del der Schulkultur, der sich auch beim Auf-
leitungen unter Berücksichtigung lokaler Pri- bau von Feedback-Systemen oder bei verglei-
oritäten ermittelt werden und kann nicht nur chender Leistungsbewertung zeigen muss. Die
von Defiziten ausgehen, sondern muss die Po- Lehrkräfte müssen ihr Kerngeschäft, den Un-
tenziale der Lehrkräfte sowie deren Aufgaben terricht, anders begreifen als bisher, nämlich
im Rahmen der Schulentwicklung in Rechnung nicht isoliert bezogen auf „ihre“ Klasse, son-
stellen. dern auf „unsere Schule“, und dies transparent
nach innen wie nach außen. Die Standards, die
4. Unterrichtsentwicklung und Standards: Die jede Schule vertritt, müssen klar und deutlich
Individualisierung des Lernens kann nicht kommuniziert werden, und das gilt für den Ver-
losgelöst von fachlichen und überfachlichen haltensbereich ebenso wie für die Leistungser-
Standards erfolgen. Die Standards müssen so wartungen. Und „Standards“ betreffen nicht nur
angelegt sein, dass sie eine gestufte Zielerrei- die Schüler, sondern auch die professionellen
chung zulassen. Das hätte dann Konsequenzen Anforderungen der Lehrkräfte.
auch für die Leistungsbeschreibung bis hin zur
Notengebung und zur Abfassung der Zeugnisse.
Für individuelle Lernprozesse bietet das Lernen
mit neuen Medien, z.B. durch schulinterne Die vollständige Fassung der Studie kann be-
Lernplattformen, neue Möglichkeiten. Die cur- zogen werden über marion.stichler@fes.de.
ricularen Standards und Kompetenzprofile in
der Lehrerbildung sind nicht von sich aus kom- Die elektronische Fassung ist außerdem abruf-
patibel mit den nationalen Bildungsstandards – bar unter http://www.fes.de/bildungspolitik
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Was hat sich in der Lehrerbildung getan?


– Ein Rückblick
Prof. Dr. Ewald Terhart /
Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Münster

1. EINLEITUNG
Die Lehrerbildung hat in den letzten zehn Jah- Zwischen hochgetriebenem Idealismus und
ren einen erkennbaren Wandel erlebt. Natür- funktionalem Minimum liegt natürlich eine
lich läuft weiterhin manches beharrlich falsch, pragmatische Haltung, die eine realistische Be-
einiges ist in Bewegung gebracht worden, und urteilungsbasis wählt, sich erreichbare Ziele
hier und da scheint sich sogar manches zum setzt, in der gegebenen Situation Schwächen
Besseren zu wenden. Gleichwohl reißt der und Gelingendes entdeckt, an diese positiven
Strom der kritischen Zustandsdiagnosen nicht Elemente anknüpft, realistische Entwicklungs-
ab, und ebenso konstant sind die Hoffnungen, schritte definiert, deren Wirkungen überprüft
die sich auf eine neue, andere, bessere, päda- und so weiter. In unserer Wirklichkeit ist aller
gogischere, geschlechtergerechte, kompetenz- Erfahrung nach nur ein solches, durch einen
orientierte, nachhaltige ... Lehrerbildung rich- informierten Realismus inspiriertes und von
ten. Es handelt sich um eine Diskussionsarena, einem entschlossenen Pragmatismus ange-
in der sich Dauer-Kritik und Dauer-Hoffnung triebenes Vorgehen sinnvoll und verantwort-
kontinuierlich wechselseitig anfeuern. bar. Diese zugegeben unspektakuläre Haltung
muss man ab und zu klar markieren und ver-
Ausrichtung und Intensität der Kritik an der teidigen, denn nicht nur in der Lehrerbildung
jeweiligen Lehrerbildung hängen von der selbst, sondern auch in der sie begleitenden
normativen Beurteilungsbasis ab, die der Kri- Lehrerbildungsdebatte läuft manches falsch.
tik voraus liegt, oder anders: dem zugrunde
liegenden Ideal- oder Leitbild von Lehrer- Vor gut zehn Jahren, im Oktober 1999, legte eine
beruf und Lehrerbildung. Je dramatischer, von der Kultusministerkonferenz zwei Jahre vor-
anspruchsvoller, allumfassender, paradoxer, her eingerichtete Expertenkommission ihren Ab-
‚unmöglicher’ und am Ende geheimnisvoller schlussbericht zu den „Perspektiven der Lehrer-
man Lehrerberuf und Lehrerbildung fasst, bildung in Deutschland“ vor.1 Die Kultusminister
desto vernichtender die Kritik an der jeweils empfahlen den Bundesländern, sich an den in
anzutreffenden Realität. Übermenschliche diesem Bericht aufgezeigten Perspektiven zu ori-
Aufgaben können eben nur von Göttern be- entieren. Was war die zentrale Botschaft dieses
wältigt werden. Aber Götter gehen nicht auf Berichts? Und was ist seitdem geschehen?
A 13. − Dem steht eine Position gegenüber,
die aus dem bloßen Existieren von Lehrerbil- Die Expertengruppe vertrat die Auffassung, dass
dung und ihrem formalen Funktionieren ab- die Grundstruktur der Lehrerbildung im Prinzip
leitet, dass es so schlimm doch gar nicht ist. zwar sachgerecht, das Potenzial dieser Grund-
Aber funktionales Minimum ist wirklich nur struktur jedoch nicht entfaltet sei und eben
funktionales Minimum. Wenn ein erwachse- deshalb eine umfassende Reform des gesamten
ner Mensch mit zwei Staatsexamina 45 Minu- Prozesses der Lehrerbildung anstehe. Hierzu ent-
ten mit 32 Kindern in einem Raum gewesen wickelte der Bericht zahlreiche praktikable Vor-
ist, einen Klassenbucheintrag zustande be- schläge, die von der ersten universitären Phase
kommt und ansonsten keiner der Beteiligten der Lehrerbildung über das Referendariat, die Be-
verletzt oder tot ist, so ist das nur ein äußerst rufseinstiegsphase, die berufliche Weiterbildung
zweifelhafter Indikator dafür, dass Unterricht bis hin zu Vorschlägen für eine aufgabengerechte
stattgefunden hat. Laufbahngestaltung für den Lehrerberuf reichte.

1 Terhart, E. (Hrsg.): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten
Kommission. Weinheim: Beltz 2000.
12 Der Lehrerberuf im Wandel

Lehrerbildung wurde auf die gesamte Berufsbio- stärker auf das ständige Weiterlernen im Beruf
graphie – Erstausbildung, Berufseinstieg, Lernen zu setzen. Mit diesen und weiteren Argumenten
im Beruf – bezogen, und Professionalität im Leh- bündelte der Bericht die vielfältigen, von unter-
rerberuf wurde als ein berufsbiographisches Ent- schiedlicher Seite angestoßenen, geforderten und
wicklungsproblem gesehen. Deshalb war es ein in einzelnen Bundesländern bereits gestarteten
Leitmotiv des Gutachtens, nicht länger alles von Veränderungen und wurde zu einem der zentra-
der Erstausbildung zu erwarten und damit die len Dokumente im weiteren Verlauf der Reform
Erstausbildung zu überlasten, sondern sehr viel der Lehrerbildung.

2. Zustände
Was waren und sind zum Teil noch die zen- sind die Verhältnisse zwischen dem Lernort
tralen Punkte der traditionellen Kritik an der Studienseminar und dem Lernort Ausbil-
Lehrerbildung? Ich will einige ganz kurz in Er- dungsschule unklar
innerung rufen:
sind die Bewertungsstandards der Ausbilder
In der ersten Phase nicht immer transparent und stabil; auch sind
sie z.T. von persönlichen Idiosynkrasien der
sind die Studienelemente weder unterei- Beurteiler geprägt
nander noch in Richtung auf das spätere
berufliche Arbeitsfeld hinreichend aufei- scheint es um die Weiterbildung des Ausbil-
nander abgestimmt dungspersonals nicht allzu gut bestellt zu sein

ist insbesondere die Fachdidaktik durchweg In der mittlerweile so genannten dritten Phase,
weder in quantitativer noch qualitativer dem kontinuierlichen Weiterlernen im Beruf,
Hinsicht in ausreichender Weise installiert
wird die Berufseinstiegsphase noch nicht
laufen die Schulpraktika Gefahr, als punktu- systematisch und durchweg zur Personal-
eller Tourismus von den Studierenden zwar entwicklung verwendet
geschätzt zu werden, nicht aber in die akade-
mischen Studien selbst integriert zu sein ist der Umfang der Weiterbildung vermut-
lich noch zu gering und auch das Angebot
sind auch die Angebote in den – in einem nicht immer bedarfsgerecht – obwohl nicht
Lehramtsstudium allerdings eher am Rande klar ist, welche Formen von Weiterbildung
liegenden – bildungswissenschaftlichen Stu- sich wie nachhaltig auswirken
dienelementen nicht aufeinander abgestimmt;
dieser Studienanteil wird in seiner Wirksam- ist das Verhältnis von informeller und for-
keit womöglich auch sehr überschätzt, was meller Weiterbildung noch ungeklärt
ihn nicht davor schützt, mit allergrößten Hoff-
nungen belastet zu werden. wird eine Verknüpfung von Kompetenz-
entwicklung und Laufbahnentscheidungen
ist die erste Staatsprüfung nicht wirklich ein noch nicht hergestellt.
angemessener Ausdruck des vorhergehenden
Studiums; außerdem hat sie eine unklare pro- Schaut man auf die Ebenen des Gesamtsystems
gnostische Validität für späteren Berufserfolg. Lehrerbildung und sortiert man dabei gewisser-
maßen von unten nach oben, also ausgehend
In der zweiten Phase von den Personen bis hin zum Gesamtsystem,
so ist daran zu erinnern,
kann man – aus den gerade genannten Grün-
den – nicht verlässlich an ein bestimmtes dass von der Universität bis zum Studiense-
Wissen der Absolventen der ersten Phase minar und zur Weiterbildungsveranstaltung
anschließen, so dass viel nachgearbeitet eine spezifische Didaktik der Lehrerbildung
oder aber wiederholt wird nicht existiert;
13

dass auch die in der Lehrerbildung arbeiten- Personen, Finanzen, Institutionen und Le-
den Personen – vom Universitätsprofessor bis benszeit, der in Deutschland in der Lehrerbil-
zum Weiterbildungslehrer und Schulentwick- dung getrieben wird, und den kontinuierlich
ler – mehr Weiterbildung benötigen; sehr kritischen Einschätzungen der Qualität
und der tatsächlichen Wirksamkeit dieses
dass es bislang nur in Ansätzen – aber Systems andererseits, wenn man etwa auf die
immerhin! – zu abgestimmten Lehrerbil- Ergebnisse der Schularbeit schaut, wie sie
dungscurricula zwischen erster und zweiter in Lernstandserhebungen und internationa-
Phase gekommen ist; len Vergleichsuntersuchungen deutlich wird.
Sicher – Lehrerbildung und PISA-Ergebnisse
dass die Verantwortung für dieses über lassen sich nicht in eine klare und schon gar
viele Institutionen ‚verteilte’ System Lehrer- nicht direkte Beziehung bringen, aber die
bildung ebenfalls weit verstreut ist, wobei bezeichnete Diskrepanz zwischen Aufwand
wie üblich die Verantwortlichkeit für Miss- und Ertrag erzeugt kontinuierlich bohrende
stände im Kreis herumgereicht wird; Rückfragen, denen sich die Lehrerbildung
stellen muss. Wenn ausländische Beobachter
dass die Ausbildung noch zu stark am Ab- das formale System und die äußeren Daten
arbeiten von Themen orientiert ist anstatt der deutschen Lehrerbildung studieren, ent-
an der Idee und Praxis eines kumulativen stehen oft zunächst schiere Bewunderung,
Aufbaus von Voraussetzungen (!) für beruf- Neid und hohe Erwartungen. Bei näherem
liche Fähigkeiten; Hinsehen werden jedoch die Schwächen im
Kleinen und Großen ebenso deutlich. Ein aus-
dass ein Teil der an Lehrerbildung beteilig- ländischer Experte hat das deutsche Lehrer-
ten Institutionen eben nur ‚beteiligt’ ist – in bildungssystem mit einem muskelbepackten
der Hauptsache aber andere Zwecke verfolgt Riesen verglichen, der so stark ist, dass sich
und manifest oder latent anderen Funkti- seine Muskelpartien wechselseitig blockie-
onsnotwendigkeiten unterliegt. ren. Wie immer ist dieses Bild zutreffend und
falsch zugleich – ich erwähne es hier, weil es
Insgesamt gibt es eine eigentümliche Diskre- so schön suggestiv ist.
panz zwischen dem ungeheuren Aufwand an

3. Bewegungen
Mindestens seit zehn Jahren wird sehr intensiv hierbei eine wichtige Rolle. Selbst die soge-
über den Zustand der Lehrerbildung diskutiert; nannten „Fächer“ erkennen allmählich die
zahllose Kommissionen haben zahllose Analy- Zeichen der Zeit – aus welchen Motiven auch
sen und Empfehlungen vorgelegt. Was ist nun ei- immer. Insofern: Eine gute Entwicklung!
gentlich dadurch in Bewegung gekommen? Um
das Bild noch einmal zu benutzen: Bewegt sich Insgesamt scheint sich die Situation der
der Riese – und wohin? Ich meine, dass man fol- Fachdidaktiken leicht gebessert zu haben:
gende positiven Elemente doch festhalten kann: Es gibt Standorte, an denen sie zu for-
schungsfähigen Einheiten ausgebaut wur-
Etwas klarere Studienordnungen in den Uni- den und deshalb in Forschung und Lehre
versitäten: Wie auch immer man die Anlässe ihren Aufgaben angemessen nachkommen
und Motive beurteilen mag: Seit Jahrzehnten können.
ist in den Universitäten noch nie so intensiv
über Studiengangsplanung gearbeitet wor- Damit verbunden scheint es so zu sein, dass
den. Es zeichnet sich allmählich eine klarere, – insbesondere mit Einführung von Lehrer-
besser abgestimmte und etwas stärker am Mastern – eine klare kapazitäre Steuerung
späteren Berufsfeld orientierte Gestaltung erfolgen kann: Es passen nur so viele Bache-
der Studienpläne und Lehrangebote ab. Die lor in zum Lehrerberuf führende Master-
an allen lehrerbildenden Universitäten be- Studiengänge, wie dort auch tatsächlich
stehenden Zentren für Lehrerbildung spielen Lehrkapazität vorhanden ist. Das bedeutet:
14 Der Lehrerberuf im Wandel

In den Lehrer-Mastern werden die Bildungs- – die Intensivierung des organisierten Wei-
wissenschaften zur entscheidenden quanti- terlernens im Beruf – kaum Erfolge zu ver-
tativen Stellgröße für den Zufluss! Dies war zeichnen. Sicherlich: Die Weiterbildung von
bislang ja nie der Fall. Insofern: ein längst Lehrerinnen und Lehrern ist kostenintensiv,
überfälliger Schritt in die richtige Richtung und nicht jede Form, nicht jeder Inhalt von
– wenn er denn auch politisch konsequent Weiterbildung ist nachhaltig und tatsächlich
durchgehalten wird. weiter bildend. Wenn man aber unmittelbar
Dinge und Abläufe in der Schule ändern
An manchen Standorten gibt es erste Ansät- will, dann muss man mit den dort bereits
ze für eine Absprache zwischen der ersten befindlichen Lehrkräften arbeiten; eine Än-
und zweiten Phase: Die Studien- und Ausbil- derung der Erstausbildung wirkt sich in den
dungspläne werden stärker aufeinander be- Schulen erst nach 10 bis 15 Jahren aus. Die
zogen – immerhin kommt man in Gespräche Aufgabe bleibt also: Mehr geeignete Weiter-
darüber, wer was wann macht. Das ist zwar bildung für die Lehrer!
auch mit Fremdheitserfahrungen verbunden,
aber immerhin: hier läuft etwas langsam an Lehrerbildungsfragen fallen in die Kulturho-
und durchaus in die richtige Richtung. heit der Länder, die wiederum unterschied-
liche Schwerpunkte setzen und unterschied-
Für die curriculare Arbeit in Universität und liche Geschwindigkeiten an den Tag legen.
Studienseminar waren die von der KMK Dies hat im Ergebnis dazu geführt, dass die
verabschiedeten „Standards für die Lehrer- Vielfalt der Modelle, Wege und Varianten,
bildung: Bildungswissenschaften“ (2004) die zum Lehrerberuf führen, innerhalb und
sowie die Entwicklung länderübergreifen- zwischen den Bundesländern deutlich zuge-
der fächerbezogener Anforderungen (2008) nommen hat. Das steigert die Unübersicht-
wichtige Schritte. Diese Normierungen ha- lichkeit des gesamten Systems und senkt die
ben eine wichtige Orientierungsfunktion für Berechenbarkeit seiner Effekte.
die Arbeit in den Ländern und Institutionen;
durch sie wird klarer was ein Lehrer am Ende Weiterhin gilt, dass alle Bemühungen um
seiner Ausbildung eigentlich wissen und substanzielle Qualität in der Lehrerbildung
können sollte. durch allzu kurzatmige Reaktionen auf Be-
wegungen am Lehrerarbeitsmarkt konter-
Traditionell wird der geringe Ausbaustand kariert werden. Denn sobald in bestimmten
der empirischen Forschung zu Prozessen und Bereichen oder gar flächendeckend ein
Wirkungen von Lehrerbildung beklagt. Hier Mangel an regulär ausgebildeten Lehrkräf-
hat sich das Bild etwas erhellt: Eine ganze ten besteht, werden die Zugangsschwellen
Reihe von Einzelprojekten sowie auch von abgesenkt; im umgekehrten Fall werden sie
größeren Verbundvorhaben ist auf den Weg erhöht. Allzu viele „Seiteneinsteiger“ in be-
gebracht worden. Das bedeutet: Das empi- stimmten Fächern senken faktisch den Wert
risch fundierte Wissen über Lehrerbildung regulärer Ausbildungsprozesse ab.
wächst langsam; zumindest entstehen auf
dieser Basis neue Bilder und Eindrücke. Am In der Debatte über den Lehrerberuf und
Ende wird entscheidend sein, ob man taug- über Lehrerbildung herrscht – wie bisher –
liche Instrumente zur Erfassung und Beur- ein manchmal unerträglicher Populismus.
teilung der beruflichen Kompetenzen von Jeder kann sich zum Experten erklären; mit
werdenden und erfahrenen Lehrern zur Ver- den schrillsten Thesen zu den randstän-
fügung hat, um die Effekte von Ausbildungs- digsten Problemen findet er nur allzu be-
erfahrungen zu ermitteln. reitwillig Gehör. Kaum ein Feld der Bildung
ist derart von dumpfen Ressentiments, über-
Was ist immer noch problematisch? steigerten Hoffnungen und undurchdachten
Kurzschlüssen durchsetzt wie das Thema
Obwohl der berufsbiographische Ansatz „Lehrer“. Nicht nur jedes Zufallsgespräch im
breiten Eingang in die Debatte gefunden Zug, in der Kneipe, auf der Party wird dies
hat und das allseits akzeptierte Rahmen- bestätigen; kommt es im Kreis von Gewal-
modell abgibt, sind vor allem hinsichtlich tigen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu
eines zentralen Motivs der „Perspektiven“ diesem Thema, ist es genauso.
15

Seit kurzem ist ein wachsendes Interesse an spe- Probleme; ebenso sind testdiagnostische und
zifischen Auswahlverfahren für die Zulassung zur -prognostische Fragen völlig ungeklärt. Vor allem
universitären Lehrerbildung festzustellen. Bislang aber wird auf diese Weise Energie von der Aufgabe
werden jedoch lediglich Selbsttests empfohlen abgezogen, eine gute Lehrerbildung zu machen,
bzw. allenfalls die Teilnahme daran verbindlich ge- und in populistischer Manier die Aufmerksamkeit
macht. Eine tatsächlich bindende, ausschließende auf die schlichte Idee verschoben, man müsse nur
Wirkung ist noch nirgendwo administrativ durch- die geeigneten Personen auswählen – und schon
gesetzt. Denn es bestehen gravierende rechtliche würde alles besser.2

4. Perspektiven
Was sollte man als nächstes anfassen? Ich deutsche Universität übertragen werden
möchte auf einige Punkte aufmerksam ma- kann.
chen, die nicht direkt und nur etwas mit der
Erstausbildung von Lehrern zu tun haben, Formen des Prüfens: Die Art und Weise, wie
sondern darüber hinaus weisen: angehende Lehrer geprüft, beurteilt, zugelas-
sen und dann in ihre Stellen hineinbugsiert
Einheitliche Ausbildungsdauer: Nordrhein- werden, muss dringend überarbeitet werden.
Westfalen sieht in dem neuen Gesetz Das universitäre Prüfungssystem wird sich
eine einheitlich lange Ausbildung für alle dank Modularisierung sehr stark studienbe-
Lehrämter vor: sechs Semester Bachelor gleitend gestalten. (Im Prinzip halte ich das
und vier Semester Master; im Anschluss für richtig – obwohl ich täglich darunter lei-
hieran folgt ein anderthalbjähriger Vor- de.) Ob aber dieses ständige Zertifizieren etc.
bereitungsdienst. Auch in Niedersachsen heute und morgen tatsächlich schon an Kom-
gibt es Bestrebungen in diese Richtung. Die petenzen orientiert gestaltet ist, ist durchaus
einheitlich lange Ausbildung ist sicherlich offen. Auch die Beurteilung der Referendare
ein historischer Durchbruch. Unterhalb sollte mit dem Ziel überarbeitet werden, einen
dieser Einheitlichkeit der Dauer werden in fließenderen Übergang zwischen Ausbildung
NRW hinsichtlich der Komposition, also und Beruf zu ermöglichen.
des Verhältnisses der Anteile von Fachstu-
dien, Fachdidaktik und Bildungswissen- Integration in den Beruf: Die Zulassung
schaften etc. die Differenzen zwischen den zum Lehrerberuf sollte schrittweise, beglei-
Lehrämtern durch das neue Gesetz jedoch tet und in Abstimmung zur nachgewiesenen
größer werden. Kompetenzentwicklung erfolgen. Sie sollte
zeitlich gestaffelt sein, wobei je nach Kom-
Neue inneruniversitäre Organisationsform: petenzentwicklung unterschiedliche Zeit-
Die Gründung einer School of Education horizonte anzusetzen sind. M.E. sollte die
an der TU München ist sicherlich bemer- Induktion in die Berufsarbeit früher einset-
kenswert und eröffnet vielleicht ein neues zen, in individuellem Tempo erfolgen und
Kapitel in der universitären Lehrerbildung, korrigierbar sein. Eine endgültige Verknüp-
insbesondere deshalb, weil hier eine enge fung von Person und Beruf sollte erst nach
Verknüpfung von universitärer Lehrerbil- stabilisierter berufsbiographischer Kompe-
dung, empirischer Bildungsforschung und tenzentwicklung ausgesprochen werden.
speziellen Partnerschulen aufgebaut wird. Dies würde die Struktur des Lehrerberufs
Allerdings muss auch gleich gewarnt wer- selbst ändern – und diese Änderung würde
den: Die ungewöhnlich üppigen finanzi- vermutlich mehr bewirken als die Verschie-
ellen Bedingungen verhindern, dass dieses bung von ein paar ECTS-Punkten hier und
Modell ohne weiteres auf die gewöhnliche dort in der Lehrerbildung.

2 Kultusministeriale mit Realitätssinn warnen gelegentlich vor Eignungs- bzw. Zulassungsprüfungen zum Lehramtsstudium: Die Zahl der
Geeigneten könnte in Zeiten hohen Bedarfs u.U. zu gering sein, um später die Unterrichtsversorgung sicher zu stellen.
16 Der Lehrerberuf im Wandel

Von den Mühen der Ebene – Erste Erfah-


rungen mit neuen Steuerungsprozessen
zur Umsetzung der Lehrerbildungsreform
in NRW
Prof. Dr. Gabriele Bellenberg
Institut für Erziehungswissenschaften, Ruhr-Universität Bochum,
geschäftsführende Leiterin des Zentrums für Lehrerbildung

Nach der ersten nordrhein-westfälischen Leh- zuerst ein Eignungspraktikum − unter Verant-
rerbildungsreform, bei der einige der Landesu- wortung der Schulen − abzuleisten, es folgen
niversitäten eigenständige – und sehr hetero- ein Orientierungs- und ein Berufsfeldprakti-
gene − Modellversuche durchführen durften, kum. Während des Masterstudiums ist ein Pra-
setzt die jetzt eingeleitete zweite Reform auf xissemester zu absolvieren, welches von den
Einheitlichkeit im Lande. Ärgerlich für die uni- Hochschulen unter Kooperation mit den Zen-
versitären Akteure ist die Tatsache, dass die vor- tren für schulpraktische Ausbildung (früher:
herigen Reformmodelle keiner abschließenden Studienseminare) verantwortet wird.
wissenschaftlichen Begleitung unterzogen wur-
den und daher unbekannt ist, ob die einzelnen Das Land steuert jetzt – gegenüber den selbstän-
Reformmodelle mehr oder weniger erfolgreich digen Hochschulen − durch Festlegung von Zulas-
sind bzw. waren. Auch die Zentren für schul- sungsvoraussetzungen zum Vorbereitungsdienst,
praktische Ausbildung, wie die früheren Stu- welche fachwissenschaftliche und bildungswis-
dienseminare jetzt heißen, stehen der Reform senschaftliche Mindestvoraussetzungen umfassen
insofern abwartend gegenüber, als sie die Ver- sowie den Umfang von Praxisphasen während des
kürzung des Referendariats als Beschneidung Studiums festlegen. Diese neuen Steuerungsin-
ihrer Kompetenzen interpretieren. strumente implizieren einen viel engeren Abstim-
mungsprozess zwischen dem Land auf der einen
Auf eine solche Gemengelage von Befindlich- Seite und den Ausbildungsakteuren auf der an-
keiten trifft ein Lehrerbildungsgesetz, welches deren Seite − den Hochschulen, den Zentren für
von Jürgen Oelkers zu Recht als ein ‚Reformge- schulpraktische Ausbildung und den Ausbildungs-
setz‘ bezeichnet wird (Oelkers 2009, S. 38). Es schulen. In dieser neuen Form der Kooperation
wurde im Mai 2009 verabschiedet und bezieht liegt die große Chance der Reform, aber gleichzei-
sich auf die KMK-Standards, legt eine für alle tig auch ihre größte Herausforderung.
Lehrämter einheitliche Ausbildungsdauer fest
und nutzt den Zugang zum Vorbereitungsdienst Vorrang im seit Mai 2009 eingeleiteten Prozess
in neuer Weise als Steuerungsinstrument. Das der Umsetzung des Gesetzes hatten während
inhaltliche Herzstück des neuen Gesetzes aller- des ersten halben Jahres der Reformphase die
dings sind neue und neu aufeinander bezogene beiden Themenfelder ‚Praxissemester‘ sowie
Praxisanteile: Während der Bachelor-Phase ist das ‚Portfolio Praxiselemente‘.

Reformanstrengungen zur Ausgestaltung des Praxissemesters

In einem engen Abstimmungsprozess zwi- im lehramtsbezogenen Masterstudiengang‘


schen den Universitäten und dem Schul- − unter Zustimmung der Landesrektorenkon-
ministerium wurde im September 2009 die ferenz – verabschiedet (MSW NRW a). Damit
‚Rahmenkonzeption zur strukturellen und in- liegt ein Rahmenkonzept vor, welches Garant
haltlichen Ausgestaltung des Praxissemesters einer landesweiten Umsetzung von Mindest-
17

standards im Praxissemester sein soll und die zahlreiche Gespräche Rechnung trug. Dieses
Rollen und Aufgaben aller Akteure festlegt. Vorgehen trägt einem in der internationalen
Die Verabschiedung dieses Rahmenkonzeptes Forschung zur Umsetzung von Bildungsre-
erfolgte in einem neuen Verfahren, bei dem formprozessen breit belegten Umstand Rech-
das Schulministerium alle lehrerbildenden nung, dass nämlich Reformen nicht einfach
Universitäten mit in den Entwicklungsprozess umgesetzt werden können, sondern aufwän-
einbezog und in einem aufwändigen Verfahren dig kommuniziert werden müssen, um Akzep-
den Bedenken aller Hochschulvertreter durch tanz zu erzeugen.

Reformanstrengungen zur Ausgestaltung des ‚Portfolios


Praxiselemente‘

Das ‚Portfolio Praxiselemente‘ dokumentiert dass dafür eine langfristige Reformstrategie


alle Praxisanteile der Ausbildung und enthält dringend notwendig ist, bei der wie bisher alle
Planungen, Durchführungen, Auswertungen Akteure an einen Tisch geholt werden, um den
und Interpretationen der Studien- und Unter- Prozess weiterzuführen. Immanente Wider-
richtsprojekte und des Unterrichts unter Be- stände gegen die jetzige zweite Reform existie-
gleitung sowie Selbsteinschätzungen der Stu- ren über die eingangs dargelegten Erfahrungen
dierenden, die durch Fremdeinschätzungen mit einer ersten Reform, die auf Differenzie-
von an der Ausbildung Beteiligten ergänzt rung durch Modellversuche setzte, noch an
werden können. mindestens zwei anderen (universitären) Stel-
len: Die Hochschulleitungen agieren – durch
In einem ähnlichen Verfahren wie bei der Fest- ihre vergrößerten Handlungsspielräume durch
legung des Rahmenkonzepts für das Praxis- das neue Hochschulgesetz – neuerdings (ge-
semester wurde auch hier eine gemischte Ar- wollt) markt- und wettbewerbsorientiert. Im
beitsgruppe eingerichtet, welche bis zum Mai Fokus der Hochschulleitungen steht die lang-
2010 eine inhaltlich tragfähige Konzeption fristige Attraktivität der gesamten Universität
vorlegen soll. Umstritten sind derzeit insbe- – auch im Wettbewerb mit anderen Standor-
sondere zwei Punkte: Erstens die Frage, ob ten − sowie das Punkten bei Wettbewerben
das Portfolio ausschließlich beratend sein soll, wie z.B. der nächsten Runde der Exzellenzini-
oder ob es auch Bewertungen und prüfungsre- tiative zur Förderung der Hochschulen. Diese
levante Anteile enthalten soll. Zweitens wird Wettbewerbsorientierung rückt die Lehrerbil-
noch um die Frage gerungen, ob das Portfolio dung, die traditionell den Hochschulen wenig
komplett öffentlich sein soll (neben den Doku- Renommee und Geld einbringt, nicht in den
menten zur Ableistung des Praktikums wären Fokus der Hochschulleitungen. Geschieht dies
hier auch alle Reflexionsrückmeldungen durch doch, dann geht es den Hochschulleitungen
Ausbilder enthalten), oder ob es ausschließ- insbesondere um die Lehrerbildungsforschung,
lich für die Studierenden möglich sein wird, die unbestreitbar wichtig ist, gegenüber dem
die Reflexionselemente einzusehen und nach Ausbildungsauftrag aber als gleich-, nicht hö-
eigener Entscheidung zu nutzen. Das Schul- herrangig eingestuft werden darf.
ministerium folgt bisher der Leitlinie einer
strikten Bewertungsfreiheit der Praktika. Da- Auch die Fakultäten und die dort tätigen Hoch-
mit gibt es auch eine klare Präferenz für eine schullehrenden begrüßen die im neuen Leh-
Eignungsberatung statt einer (möglicherweise rerbildungsgesetz vorgesehene Stärkung der
folgenreichen) Eignungsbewertung im gleich- Zentren für Lehrerbildung, welche auch Res-
namigen Praktikum. Diese strittigen Punkte sourcenverantwortung und Ergebnisverantwor-
müssen bis Mai 2010 geklärt werden. tung umfasst, nicht immer uneingeschränkt.
Vielerorts beginnt der Kampf um die Ressour-
In dieser ersten Phase der Lehrerbildungsre- cenhoheit zwischen den Fakultäten und den
form wird bereits deutlich, dass die Kooperati- stärker werdenden Zentren für Lehrerbildung.
on der Beteiligten eine zentrale Voraussetzung Zudem muss die Lehrerbildung an den Univer-
für das Gelingen der Reform ist, und auch, sitäten nach wie vor ihren Platz gegenüber einer
18 Der Lehrerberuf im Wandel

fachwissenschaftlichen Ausbildung verteidigen, MSW NRW b). Hier geht es einerseits um eine
die ja häufig in derselben Fakultät und häufig hochwertige Qualifizierung der Seiteinsteiger,
von denselben Akteuren angeboten wird. andererseits darum, den wegen eines großen
Fachlehrermangels existierenden Bedarf an
Wichtig wäre angesichts der bisherigen Erfah- Lehrkräften im Lande zu decken.
rungen und den hier nur angedeuteten un-
terschiedlichen Einstellungen der Beteiligten, Was die Erstausbildung angeht, beginnt die fak-
den jetzt eingeschlagenen Weg konsequent tische Umsetzung der Reformansätze etwa 2011
und mit langem Atem zu gehen, in dem die mit der Durchführung der ersten Praxissemester.
Akteure immer wieder zur Kooperation, Ab- Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss der Erfolg
stimmung und gemeinsamen Zielfindung ver- der Reformbemühungen formativ evaluiert wer-
pflichtet werden. Zudem sollte nicht außer den, um zu klären, ob die eingeleiteten Maß-
Acht gelassen werden, dass es noch eine zwei- nahmen an allen Lehrerbildungsstandorten er-
te Variante der jetzigen Lehrerbildungsreform folgreich sind oder nicht. Diese Evaluation sollte
in NRW gibt: Ende 2009 ist auch der berufs- unbedingt auch die neue Seiteneinsteigerqualifi-
begleitende Vorbereitungsdienst für Seitein- zierung mit einbeziehen und zudem von externen
steiger neu einheitlich geregelt worden (vgl. Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden.

Literatur

MSW NRW (=Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW) (a): Rahmenkonzeption zur
strukturellen und inhaltlichen Ausgestaltung des Praxissemesters im lehramtsbezogenen Masterstudi-
engang, Düsseldorf 2009 (unveröffentlichtes Manuskript).

MSW NRW (b): Informationsbroschüre Seiteneinstieg in den Schuldienst mit berufsbegleitendem Vor-
bereitungsdienst, Düsseldorf 2009 (online unter http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL/Wege/Seiten-
einstieg/SeiteneinstiegBeruf/Informationsbroschuere_zum_Seiteneinstieg.pdf Abruf vom 3.1.2010).

Oelkers, Jürgen: „I wanted to be a good teacher…. Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland”,
Berlin 2009.
19
Bisher erschienen:

Jürgen Oelkers:
„I wanted to be a good teacher” Zur Ausbildung von Lehrkräften in Deutschland (2009)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Schulstruktur – Bestandsaufnahme, Bundesländerinterner Vergleich und Perspektiven (2009)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Bildungsföderalismus auf dem Prüfstand (2009)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Bildungsstandards als Instrument schulischer Qualitätsentwicklung (2009)

Elisabeth M. Krekel, Joachim Gerd Ulrich:


Jugendliche ohne Berufsabschluss – Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung (2009)

Klaus Klemm:
Bildungsausgaben im föderalen System – Zur Umsetzung der Beschlüsse des „Bildungsgipfels“ (2009)

Marei John-Ohnesorg:
Lehren. Lernen. Neugier wecken. (2009)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Neue Medien in der Bildung – Lernformen der Zukunft (2008)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Soziale Herkunft entscheidet über Bildungserfolg. Konsequenzen aus IGLU 2006 und PISA III (2008)

Hrsg: Rolf Wernstedt, Marei John-Ohnesorg:


Der Bildungsbegriff im Wandel. Verführung zum Lernen statt Zwang zum Büffeln (2008)

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sene Bildungsexperten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Anliegen des Netzwerks ist der offene
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