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Das Durchfallen fällt durch

Die Macher der Pisa-Studie suchen das globale Erfolgsrezept für gute Schulen. In Deutschland finden
sie vor allem Beispiele, wie es nicht geht.

Von Paul Munzinger

Alle drei Jahre, wenn wieder eine Pisa-Studie herauskommt, müssen sich ihre Macher den gleichen
Vorwurf anhören: Was das denn eigentlich bringen soll, völlig unterschiedliche Bildungssysteme von
Chile bis Singapur zu vergleichen, die Ergebnisse in kryptische Zahlen zu verwandeln und diese Zahlen
dann in Tabellen, die an die Fußball-Bundesliga erinnern: mit Aufsteigern und Absteigern. Und was
sagt uns das jetzt? Die Antwort der OECD, die den Pisa-Test seit 2001 durchführt, lautet: Die Zahlen
spucken nicht nur Ranglisten aus. Sie enthalten eine Art global gültige Erfolgsformel für erfolgreiche
Schulen. Oder, etwas neutraler formuliert: Faktoren, die über Ländergrenzen hinweg die
Testergebnisse 15-Jähriger begünstigen.

Um diese Faktoren geht es in der Sonderauswertung des jüngsten Pisa-Tests 2018, die OECD-
Bildungsdirektor Andreas Schleicher am Dienstag vorstellte. Allgemein lässt sich festhalten:
Frühkindliche Bildung zahlt sich aus. Kinder, die vor der Schule mindestens ein Jahr zum Beispiel in
den Kindergarten gehen, können später besser lesen als Kinder, bei denen das nicht der Fall ist. Wie
viel Zeit Kinder fürs Lernen zur Verfügung haben, ist grundsätzlich von entscheidender Bedeutung.
Doch mehr Zeit schlägt sich nicht zwangsläufig in besseren Ergebnissen nieder. In den Vereinigten
Arabischen Emiraten etwa lernen die Kinder mehr als doppelt so lange wie in Finnland, die Finnen
aber erzielen die besseren Ergebnisse.

Ähnlich ist es mit der Finanzierung: Von einem gewissen Level an bedeutet mehr Geld nicht
automatisch besseren Unterricht. Deutschland etwa gibt über die Jahre rund 100 000 Dollar für einen
Schüler oder eine Schülerin aus, ähnlich wie Kanada oder die Niederlande. Trotzdem können
kanadische Schüler besser, niederländische schlechter lesen. Es geht also darum, an der richtigen
Stelle zu investieren. Wo die wäre? Das kann freilich auch Pisa nicht beantworten.

Aus deutscher Sicht besonders interessant: zwei mehr oder wenige eigenwillige Merkmale des
hiesigen Systems schneiden bei Pisa schlecht ab. Da wäre erstens das Sitzenbleiben. Kinder eine
Klasse wiederholen zu lassen, sei teuer und stigmatisierend, kritisiert Schleicher, und ungerecht sei es
auch. Global gesehen haben Kinder aus benachteiligten Familien ein dreimal größeres Risiko sitzen zu
bleiben als Kinder aus privilegierten Familien - auch bei gleichen Leistungen. Und es zahle sich nicht
mal aus. In Ländern, in denen wenige Schüler eine Klasse wiederholen müssen, sind die Ergebnisse
besser und gerechter verteilt. Die Lehrergewerkschaft GEW forderte am Dienstag, das Sitzenbleiben
ebenso wie Ziffernnoten abzuschaffen.

Einen negativen Effekt ermittelt die Pisa-Studie zweitens durch die frühe Aufteilung der Schüler auf
verschiedene Schulformen. Sie trage dazu bei, dass die Kluft zwischen den guten und den weniger
guten Schülern wächst. In Deutschland trennen sich die Wege der Kinder im Schnitt mit zehn Jahren -
viel früher als im OECD-Durchschnitt, wo die Weggabelung mit 14,2 Jahren erfolgt. Je später, desto
gerechter also? In Deutschland ließe sich diese These theoretisch sogar überprüfen, in Berlin etwa
dauert die Grundschule nicht vier, sondern sechs Jahre. Doch einen Vergleich der Bundesländer sieht
die Pisa-Studie nicht vor.
Einen unrühmlichen Spitzenplatz belegt Deutschland beim Thema Lehrermangel. Mehr als die Hälfte
der Schulleiter berichtete, dass das Fehlen von Pädagogen den Unterricht beeinträchtige. Nur in
einem einzigen Land - Luxemburg - waren es mehr. Das ist vor allem insofern problematisch, als
benachteiligte Schüler unter dem Lehrermangel besonders zu leiden haben. Ein weiterer Faktor also,
der Ungerechtigkeit verstärkt. Der Deutsche Philologenverband forderte eine bessere Planung des
Lehrkräftebedarfs.

Zum Abschluss noch das Thema, das in diesen Tagen natürlich nicht fehlen darf: Wie gut ist es um die
digitale Ausstattung der Schulen bestellt? Pisa bestätigt das schlechte Zeugnis, das bereits zahlreiche
andere Studien Deutschland ausgestellt haben. Nur jeder dritte Schüler besuchte 2018 eine Schule,
die über eine Online-Lernplattform verfügte - im OECD-Schnitt waren es mehr als die Hälfte. Und
auch hier gilt: Schüler mit ohnehin schlechteren Startbedingungen waren besonders betroffen. Die
GEW fordert nun: "Die gesamte Struktur des Schulsystems - von der Finanzierung bis zu den
Organisationsformen - muss auf den Prüfstand."

© SZ vom 30.09.2020

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