Hartmut Leppin
1 Der Fall des Heidenthums, hrsg. von M. C. W. Niedner, Leipzig 1829, 6; zum Neu-
platonismus etwa 560 ff.
2 Dazu H. Leppin, Jacob Burckhardt and Paganism in the Roman Empire, erscheint in:
J. Drinkwater / B. Salway (Hg.), Lupi passus.
60 Hartmut Leppin
hardts Panorama der kaiserzeitlichen Religiosität ist bei aller Zeitgebundenheit der
Wertungen im einzelnen nach wie vor unübertroffen.
In der Zeit um 1900 verstärkte sich das Interesse am Heidentum und man
war eher bereit, dieser Zeit Verständnis entgegenzubringen, diente sie doch der
eigenen Fin-de-siècle-Stimmung als Spiegel. Ausgehend von der Kunstgeschichte,
die im Gefolge von Franz Wickhoff (1853–1909) und Alois Riegl (1858–1905) der
Spätantike ein spezifisches Kunstwollen attestierte, verbreitete sich die Bereit-
schaft, in ihr eine Epoche eigenen Rechts zu sehen, auch in den Altertumswissen-
schaften. Für die Erforschung des spätantiken Heidentums bedeuteten die Arbeiten
von Johannes Geffcken (1861–1935) einen Durchbruch. Sein Hauptwerk „Der
Ausgang des griechisch-römischen Heidentums“ erschien zuerst 1920. Mit reichem
Material konnte Geffcken aufzeigen, wie vital das Heidentum in der Spätantike
noch war, und schuf damit ein Werk, das bis heute grundlegend ist.
Ein neues Paradigma der Erforschung des Verhältnisses von Christentum und
Heidentum in der Spätantike war entstanden. Es wurde nicht mehr eine aus-
gezehrte alte mit einer kraftvollen jungen Religion konfrontiert; vielmehr dachte
man jetzt an einen Kampf, der zwischen Heiden und Christen als zwei gleich-
wertigen Gegnern ausgetragen worden sei. Es ist wohl kein Zufall, daß dieses
Paradigma gerade in den beiden Nachkriegszeiten, im „Zeitalter der Ideologien“
(K. D. Bracher), seine Blüte erlebte; das schlägt sich auch in der Begrifflichkeit
nieder, wenn etwa gar vom „Widerstand“ des Heidentums die Rede ist. 3 Dieses
neue Interesse führte zu einer intensiven, ertragreichen Erforschung des Heiden-
tums.
Man bemühte sich dabei mit beträchtlichem Erfolg, dem Weiterleben des
Heidentums nachzuspüren. Seine Entwicklung wurde gerne als ein allmählicher,
3 S. dazu M. R. Salzman, On Roman Time. The Codex-Calendar of 354 and the Rhythms
of Urban Life in Late Antiquity, Berkeley 1990, 193ff. Der wichtigste Exponent
solcher Ansätze war A. Alföldi; zu ihm K. Christ, Andreas Alföldi, in: Ders., Neue
Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, 8–62, 19ff; vgl. im übrigen etwa B. Köt-
ting, Christentum und heidnische Opposition in Rom am Ende des 4. Jahrhunderts,
Münster 1961; J. Wytzes, Der letzte Kampf des Heidentums in Rom (Etudes prélimi-
naires aux religions orientales dans l’Empire Romain 56), Leiden 1977 sowie (auf
einem niedrigeren Reflexionsniveau) P. Thrams, Christianisierung des Römerreiches
und heidnischer Widerstand, Heidelberg 1992. Explizit wird eine Verbindung zwi-
schen eigener Zeit und Spätantike gezogen etwa von H. Bloch, The Pagan Revival in
the West at the End of the Fourth Century, in: A. Momigliano (Hg.), The Conflict be-
tween Paganism and Christianity in the Fourth Century, Oxford 1963, 193–218, 193.
Die Kontorniaten, auf die Alföldi sich nachdrücklich bezog, werden heute nicht mehr
im Lichte eines heidnisch-christlichen Gegensatzes interpretiert; vgl. P. F. Mittag, Alte
Köpfe in neuen Händen. Urheber und Funktion der Kontorniaten (Antiquitas 3,38),
Bonn 1999.
Zum Wandel des spätantiken Heidentums 61
4 Die Stärke des Heidentums und sein Weiterleben in christlichem Gewande betont
brillant, aber einseitig R. MacMullen, Christianity and Paganism in the Fourth to
Eighth Centuries, New Haven / London 1997.
5 A. Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian
284–565 n. Chr. (Handbuch der Altertumswissenschaft 3,6), München 1989, 430.
6 Vgl. zur Fruchtbarkeit solcher Ansätze für die spätantike Religionsgeschichte K. von
Stuckrad, „Christen“ und „Nichtchristen“ in der Antike. Von religiösen konstruierten
Grenzen zur diskursorientierten Religionswissenschaft, in: M. Hurter / W. Klein /
U. Vollmer (Hg.), Hairesis. Festschrift für Karl Hoheisel zum 65. Geburtstag (Jahr-
buch für Antike und Christentum Ergänzungs-Band 34), Münster 2002, 184–202. In
vielen Dingen vergleichbar ist die Entwicklung des Hinduismus, unter dessen Namen
zunächst Mohammedaner und Christen einheimische indische Religionen zusammen-
gefaßt hatten, der dann aber als verbindendes Element eine wesentliche Rolle bei der
Entwicklung eines indischen Nationalgefühls spielte.
7 Vgl. etwa R. Lane Fox, Pagans and Christians in the Mediterranean World from the
Second Century AD to the Conversion of Constantine, London 1986; R. MacMullen,
Paganism in the Roman Empire, New Haven 1981; G. W. H. Bowersock, Hellenism in
Late Antiquity (Jeromes Lectures 18), Cambridge 1990, der eindrucksvoll die regio-
nale Verwurzelung des spätantiken Heidentums demonstriert; für die äußeren Daten
P. Chuvin, Chronique des derniers païens. La disparation du paganisme dans l’Empire
Romain, du règne de Constantin à celui de Justinien, Paris 19912. Auf einen Einzel-
nachweis der Forschungen vor allem von Peter Brown (insbes. The Making of Late
Antiquity, Cambridge 1978) sowie von Av. Cameron (insbes. Christianity and the
Rhetoric of Empire. The Development of Christian Discourse [Sather Classical Lectu-
res 55], Berkeley etc. 1991), die solche Ansätze gefördert haben, kann ich hier verzich-
ten.
62 Hartmut Leppin
Das Heidentum ist eine Erfindung des Christentums, oder besser gesagt: der
jüdisch-christlichen Tradition.10 Die Vorstellung, daß die Vielfalt der anderen
Religionen unter einem Namen zusammenzufassen sei, entstammt einer Welt, die
mit einem exklusiven Gott rechnet. Heiden waren alle die, die den jüdisch-christ-
lichen Gott nicht verehrten. Dahinter konnten sich sehr verschiedene Gruppen
verbergen: etwa der römische Beamte, der seine Götter in altüberkommenen
Riten ehrte und dabei Gebete murmelte, deren altertümliche Sprache er vielleicht
gar nicht mehr verstand; der Ratsherr einer griechisch geprägten Stadt im Osten
des Reiches, der mit den Opfern für die alten Götter die große Vergangenheit
seiner Heimat zelebrierte; der Bauer, der die Götter darum anflehte, ihm Regen zu
senden; der Anhänger der Magna Mater in der Stadt Rom, der einem staatlich
anerkannten, doch in Teilen weiter mit dem Geruch des Fremden behafteten Kult
frönte; der Jünger der Isis, der in dem Glauben an die ägyptische Göttin Befreiung
von seinen irdischen Lasten suchte; der Eingeweihte des Mithraskultes, der über
harte Prüfungen zu immer höheren Funktionen emporstieg; der ratsuchende Sklave,
der an einer Orakelstätte erfragte, wie er wohl mit seinem neuen Herrn zurecht-
kommen werde; der philosophisch Gebildete, der die zahlreichen Götter nur als
Ausdruck eines höheren Wesens betrachtete, der den Wunderglauben des Bauern
und die Farbigkeit mancher Kulte verachtete. Zum Heidentum gehörten ganz
zentral die oft prunkvoll durchgeführten, die gesamte Bürgerschaft einbeziehen-
den und repräsentierenden städtischen Kulte mit ihren aufwendig inszenierten
Spielen. Selbstverständlich gehörte dazu auch der Kaiserkult, an dem sich fast alle
beteiligten.
All jene mannigfachen, hier nur in einigen Beispielen vorgeführten Manifesta-
tionen von Religiosität wurden dem Heidentum zugeschlagen, und sehr leicht
entsteht so der Eindruck, die so verstandene heidnische Religiosität wäre beliebig
gewesen. Dies aber wäre eine Täuschung. Heiden, insbesondere Angehörige der
Eliten, unterschieden sehr wohl zwischen den althergebrachten Kulten und neuen
Erscheinungen. Zwar fiel es den Römern nicht schwer, sich durch die interpretatio
Romana fremde Gottheiten anzuverwandeln, doch bis zur Einführung eines
Kultes in Rom und zu seiner Anerkennung als Staatskult war es ein langer Weg.
Kulte wie der des Äskulap oder der Magna Mater wurden in Krisenzeiten auf-
genommen, andere wie der populäre Kult der Isis brauchten lange Zeit, um
Akzeptanz zu gewinnen.11 Die sacra publica, die auf öffentliche Kosten vollzogen
wurden, waren weitaus weniger veränderlich als die sacra privata, für welche die
Individuen einstanden.
II
Doch – wie sollte man das Heidentum niederringen? Wie konnte man diese
amorphe Gruppe überhaupt bekämpfen? Natürlich blieb das aus der Verfolgungs-
zeit überkommene Mittel der friedlichen Mission. Unter ungleich besseren Be-
dingungen als zuvor konnten die Christen ausschwärmen und neue Gläubige
gewinnen. Überall hin zogen Mönche und Priester; sie führten den Kirchen durch
Worte und Wunder neue Gläubige zu. Im übrigen war es jetzt nicht nur ungefähr-
lich, sondern opportun, sich dieser Religion zuzuwenden. Innerhalb weniger
Jahrzehnte scheint die Mehrzahl der Reichsbeamten für das Christentum optiert
12 Beard u. a. 1998 schlagen vor, von ‘neuen’ statt von ‘orientalischen’ Kulten zu reden, da
diese Kulte in Rom inkulturiert waren und dort wesentliche Veränderungen erfuhren,
wenn nicht gar erst entstanden. So berechtigt diese Erwägungen sind, so erscheint mir
doch der Begriff ‘neu’ etwas beliebig. Für die römische Wahrnehmung war der Ein-
druck, die Kulte kämen aus dem Osten mit all den positiven und negativen Evokatio-
nen entscheidend; daher verwende ich den Begriff, wenn auch in Anführungszeichen,
weiter.
13 Vgl. zu dem Bedeutungsspektrum etwa D. Grodzynski, „Superstitio“, Revue des Etu-
des Anciennes 76 (1974), 36–60.
Zum Wandel des spätantiken Heidentums 65
zu haben. Die Kirchen füllten sich; die Zahl derer, die ihre Bereitschaft erklärten,
die Taufe zu empfangen, wuchs.
Schwerwiegende Folgen für den alten Glauben hatte ferner die Zurück-
drängung des Heidentums aus dem öffentlichen Leben, dessen Depaganisierung.
Denn die heidnische Religion war in der Gestalt der fundamentalen Polis-Reli-
gion nicht vom Alltagsleben der Stadt und des Staates zu trennen. Opfer hatten
bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten stattgefunden, die Feste für die Götter
hatten die Zeit rhythmisiert. Dieser Zusammenhang wurde gelöst, das öffentliche
Leben seiner kultischen Elemente entkleidet – übrigens ohne daß das Christentum
sofort eine vergleichbar prägende Wirkung auf das städtische Leben entfaltete;
insofern führt die Christianisierung des Römischen Reiches zu einer zeitweiligen
religiösen Neutralisierung einzelner Felder.14 Bezeichnenderweise hielten sich
lange religiös neutrale Räume in den Städten.15 Überdies wurden die durch die
Regierung finanzierten prunkvollen Spiele, die den Höhepunkt des städtischen
Lebens bildeten, zu einem erheblichen Teil weitergeführt, auch wenn Gladia-
torenkämpfe verstärkt auf Widerwillen stießen und die Theaterstücke mancher-
orts auf die anstößigsten Elemente verzichten mußten. Eingestellt wurden aller-
dings die kultischen Feiern, die Festzüge für die Götter und die Opferhandlungen,
die zu den Spielen gehört hatten und ihre Herkunft aus der Religion dokumen-
tierten. Die Spiele dienten nur noch der Unterhaltung, bis mehrere Jahrzehnte
später führende Christen auch diese anstößigen Vergnügungen entschlossener
bekämpften.
Indes verloren die Amtshandlungen, die stets von kleineren Opfern begleitet
waren, diese Komponente. Die traditionellen Auspizien wurden durch Formen
der Weissagung ersetzt, die mit dem Christentum besser kompatibel waren.16
Überdies wurden die Möglichkeiten der Tempelpriesterschaften, durch prunk-
volle Feste Publikum anzuziehen, radikal gemindert, indem die christlichen Kaiser
seit Constantin ihnen zusehends ihren Besitz nahmen.17 Zwar standen noch viele
Statuen und Tempel aufrecht, doch die Gebäude erhielten zusehends andere
Funktionen. Einige wurden als Unterrichtsräume genutzt, andere dienten als Ver-
waltungsgebäude, manche wandelten sich zu Kirchen; nicht wenige wurden zer-
stört oder verfielen einfach.18 Die sakrale Topographie veränderte sich tiefgreifend,
auch wenn die Verhältnisse von Ort zu Ort sehr unterschiedlich waren.19
Bestimmte Elemente des Heidentums wurden sogar kriminalisiert. Die spät-
antiken Gesetzessammlungen bewahren zahlreiche Edikte, die Manifestationen
des Heidentums unter Strafe stellt. Anfangs, vielleicht schon unter Constantin
dem Großen, waren die auch unter Heiden umstrittenen blutigen Opfer das
Ziel.20 Dann wurde der Strick immer enger gezogen: Besuche von Tempeln wur-
den untersagt, darauf das Umschreiten von Tempeln verboten, schließlich wollte
man es sogar unterbinden, daß jemand ehrfürchtig zu einem Tempel emporschaute;
jedwedes Tun, das als Verehrung heidnischer Götter gedeutet werden konnte,
wurde mit Strafe belegt.21
Es ist bekannt, daß das Heidentum die antiheidnische Gesetzgebung um Jahr-
hunderte überlebte und etwa im Alltag nach wie vor eine gewisse Rolle spielte,
auch wenn es oftmals einen klandestinen Charakter annahm. Zumal für die expo-
nierten Angehörigen der Elite bedeuteten die Regelungen in jedem Fall eine Be-
lastung, da sie Gefahr liefen, als Anhänger des alten Glaubens denunziert zu
werden. Vielleicht gefährlicher noch war, daß das Heidentum zunehmend in den
Geruch magischer Praktiken gebracht wurde.
Gesetzgebung gegen Magie war an sich nichts Neues. Auch die heidnischen
römischen Kaiser hatten zumindest bestimmte magische Praktiken verboten: Die
taktlosen Fragen nach der Zukunft des Kaisers etwa oder gar nach dessen Nach-
folge galten als Hochverrat und wurden mit aller Härte bestraft; Schadenzauber
unterlag gleichfalls schweren Sanktionen.22 Die christlichen Kaiser schlossen an
diese Gesetzgebung an, weiterhin trennte man die Legislation über Magie deutlich
von der zu den übrigen Religionsfragen; noch in den großen Gesetzessammlungen
des 5. und 6. Jahrhunderts, im Codex Theodosianus und im Codex Iustinianus,
wird die Magie in einem anderen Buch behandelt als die religiösen Fragen und die
Gesetze gegen die Heiden.
Insofern brauchte die Magiegesetzgebung der christlichen Kaiser die Heiden
nicht zu stören. Doch die Definition derjenigen Praktiken, die als magisch ver-
standen werden sollten, verschob sich allmählich. Constantin der Große hatte die
alten Regelungen anscheinend noch weitergeführt. Doch unter seinem Sohn
Constantius II. wurde der Begriff der Magie weiter gefaßt. In einem Gesetz des
Jahres 357 heißt es: „Niemand befrage einen Eingeweidebeschauer (haruspex)
oder einen Astrologen (mathematicus), niemand einen Wahrsager (hariolus). Der
verkehrte Beruf der Auguren und Seher verstumme. Die Chaldäer, die Zauberer
(magi) und die anderen, die das Volk wegen der Größe ihrer Untaten Übeltäter
nennt, dürfen sich in keiner Weise in diese Richtung betätigen. Auf ewig schweige
die ganze Neugierde auf die Zukunftsschau“.23
Hier werden die Zauberer, deren Tun jedem traditionsbewußten Römer
anrüchig erschien, neben denjenigen Priestern genannt, deren Handeln zum Kern-
bereich der römischen Religion gehörten, den Auguren und den Haruspizes.
Deren Urteil war im öffentlichen Leben seit Jahrhunderten erfragt worden, und
sie fanden sich durch solche Gesetze unversehens in einem Verbrecherkatalog
wieder.24 So wurde der Spielraum für heidnische Kulte immer enger gefaßt; es
wurde immer prekärer, sie zu praktizieren. Welche Sorgen diese in den Augen von
Heiden willkürlichen Regelungen auslösten, dokumentieren Berichte über Magie-
prozesse, die in den heidnischen Quellen des 4. Jahrhunderts weitaus größeren
Raum einnehmen als solche über Tempelzerstörungen oder Opferverbote.25
Mission, Depaganisierung des öffentlichen Lebens sowie Kriminalisierung
heidnischer Praktiken trafen die Heiden hart. Denn das Zentrum ihrer Religion,
der gemeinsame, öffentliche Kult des Staates und der Stadt, war weggebrochen.
Selbst durch hohes Alter und lange Akzeptanz legitimierte Praktiken wurden jetzt
mit Zauberei in eins gesetzt.
III
Die Reaktionsweisen der Heiden waren sehr unterschiedlich. Nicht jeder war
zum Kämpfer geboren, für viele bedeutete der Verzicht auf Opfer wenig, ent-
sprach vielmehr ihrer Vorstellung von einer philosophischen Religion. Mancher
widmete sich ohne anti-christlichen Akzent aus kulturellen Interessen den großen
literarischen Traditionen Roms.26 Auch im Alltag bestanden viele religiöse Ge-
meinsamkeiten.27 Eine strenge Lebensführung, wie Christen sie sich abverlangen
sollten, war keineswegs allen römischen Aristokraten fremd, die sich mit den alten
Kulten identifizierten.28 Es gab viele Bereiche, in denen Christen und Heiden sich
2000, 266f. Als Vertreter einer solchen Haltung sei Praetextatus genannt (vgl. Ammia-
nus Marcellinus 27,9,8–10; Symmachus, Relatio 12,2), dessen Religiosität unten noch
zu erläutern ist.
29 Vgl. etwa G. Bonner, The Extinction of Paganism and the Church Historian, Journal
of Ecclesiastical History 35 (1984), 339–357, 348ff., der von paganised Christians und
semi-Christians spricht. Illustrieren läßt sich die Verbindung von Heidentum und
Christentum mit der sog. Proiecta-Kiste, s. zu ihr etwa B. Kiilerich, Late Fourth
Century Classicism in the Plastic Arts. Studies in the So-Called Theodosian Renais-
sance (Odense University Classical Studies 18), Odense 1993, 162ff.
30 Zu ihm J. Vanderspoel, Themistius and the Imperial court. Oratory, Civic Duty, and
Paideia from Constantius to Theodosius, Ann Arbor 1995; H. Leppin, Einleitung, in:
Themistios, Staatsreden. Übersetzung, Einführung und Erläuterungen (Bibliothek der
Griechischen Literatur 46), Stuttgart 1998, 1–26; R. M. Errington, Themistius and His
Emperors, Chiron 30 (2000), 861–904; T. Gerhardt, Philosophie und Herrschertum
aus der Sicht des Themistios, in: A. Goltz / A. Luther / H. Schlange-Schöningen (Hg.),
Gelehrte in der Antike. Alexander Demandt zum 65. Geburtstag, Köln / Weimar /
Wien 2002, 187–218; zum kulturellen Kontext M. Whitby (Hg.), The Propaganda of
Power. The Role of Panegyric in Late Antiquity, Leiden u. a. 1998.
70 Hartmut Leppin
schen Sprache kaum kundig war, wurde den Zeitgenossen als Philosophenkönig
verkauft. Schützend stand über den Kaisern ein erhabener Gott. Das entsprach
dem Monotheismus, der der Religiosität der gebildeten Heiden und dem Christen-
tum gemein war. Indem Themistios den einen Gott nicht näher charakterisiert
und ihm keinen Namen verleiht, kann er von ihm sprechen und weder bei Heiden
noch bei Christen Anstoß erregen.
Themistios mußte sich nicht einmal auf den Monotheismus beschränken, um
Gemeinsamkeiten zwischen Heiden und Christen aufzuzeigen. Der Redner nahm
noch weitere Gedanken in den Blick, über die die beiden Gruppen sich gut ver-
ständigen konnten. Die zentrale Kaisertugend ist bei ihm die Philanthropia, wört-
lich übersetzt: die Menschenliebe. Im heidnischen Diskurs war das die alte Kaiser-
tugend der Milde, im christlichen die Nächstenliebe.31 Die Forderung nach
Philanthropia verlangt vom Kaiser, daß er um das Wohlergehen seiner Untertanen
besorgt sei, namentlich, daß er als lebendiges Gesetz die harten Strafandrohungen
der positiven Gesetze abschwäche. Doch nicht nur das: Themistios spricht dem
Kaiser die Verantwortung für die gesamte Menschheit zu, auch die Barbaren soll
er im Frieden dem römischen Reich zuführen; Blutvergießen in Kriegen soll ver-
mieden werden. Es überrascht nicht, daß noch Theodosius der Große, der das
Heidentum mit aller Härte bekämpfte, Themistios zum Erzieher seines Sohnes
machte. Von einem solchen Heidentum ging keine Gefahr für das christianisierte
Reich aus.
Allerdings – dieses Heidentum verlor seine Konturen. Denn wer so viele
Gemeinsamkeiten mit dem Christentum sehen wollte, hatte keinen Anlaß, Diffe-
renzen herauszustreichen. Nicht sonderlich überraschend ist es daher, daß sich bei
Gestalten wie Martianus Capella oder Macrobius, auch bei manchen anderen
Gestalten des 4./5. Jahrhunderts keine Sicherheit darüber gewinnen läßt, ob sie
Christen oder Heiden waren. Womöglich ist die Frage falsch gestellt, da ja das
jeweilige Bekenntnis nicht systematisch erfaßt wurde. Wer dem Heidentum inner-
lich anhing, ohne sich vom Christentum abzugrenzen, brauchte nichts zu fürch-
ten, denn auch viele bekennende Christen zögerten die Taufe gerne hinaus.32 Es
gab mithin eine Grauzone zwischen Christen und Heiden, die den Druck auf das
Heidentum reduzierte. Man konnte sich nach außen hin anpassen und versuchen,
für sich selbst das von der Tradition zu bewahren, was einem wertvoll erschien
und was nicht nach außen sichtbar war. Doch nicht jeder wollte sich so kommod
in der christlichen Welt einrichten und damit das Heidentum unkenntlich machen.
Es gab auch die Heiden, die sich betont abgrenzten.
IV
Wer das Heidentum bewußt aufrecht erhalten wollte, dem mußte die Kultkonti-
nuität am Herzen liegen. Diese aber ließ sich, nachdem die Bindung von Polis und
Religion zerfallen war, in der traditionellen Gestalt nicht bewahren. Die Kult-
stätten verkamen, und die Priester konnten vielfach nicht mehr nach dem über-
kommenen Modus bestellt werden. Damit ergab sich eine große Schwierigkeit:
Woher sollte man wissen, ob ein Kult korrekt ausgeübt wurde? Wie war jemand
legitimiert, der beanspruchte, den Kult der Götter zu pflegen? Wem sollte man
trauen? Wer war ein ernstzunehmender Priester, wer ein Scharlatan? In dieser
Unsicherheit wird die Fähigkeit, tatsächlich etwas Übersinnliches zu bewirken,
Wunder zu tun, zunehmend zum Kennzeichen des Priesters. Wie im Christentum,
so begegnet auch im spätantiken Heidentum der Typus des Heiligen Mannes.
Heilige Männer besaßen eine besondere Nähe zur göttlichen Welt. Sie konnten
mit Autorität reden und Wunder wirken. Ihre religiöse Position wird also nicht
traditional, sondern charismatisch legitimiert.33
Solche Gestalten traten unter den Heiden nicht erst in der Spätantike auf,
schon zuvor hatte es umherziehende Wundertäter gegeben, doch blieben sie trotz
ihres Ruhmes sehr umstritten.34 Im vierten Jahrhundert hingegen nahmen die
Heiligen Männer unter den Heiden des Ostens eine herausragende Stellung ein.
Sie wurden zu Säulen des heidnischen Kultes. Mit aller Kraft und in oft anrühren-
der Weise bemühen sie sich, die althergebrachten Formen der Götterverehrung
am Leben zu halten.
Bezeichnend ist eine Anekdote, die Zosimus überliefert: Kurze Zeit nach dem
Tode Kaiser Valentinians I. im Jahre 375 erschien Achill dem Athener Nestorios
im Traum und verlangte, daß er mit öffentlichen Feiern geehrt werde (dhmosíaiv
timâsqai timaîv). Der alte Mann versuchte dafür die Unterstützung der städti-
schen Behörden zu mobilisieren, doch die taten sein Anliegen als Ausdruck seiner
Senilität ab. So fertigte der Greis eine kleine Statue in einem Gehäuse, das er unter
die Statue der Athena im Parthenon setzte. Die Göttin verehrte er in der üblichen
Weise, so daß Achill in die öffentlichen Kulte einbezogen wurde. Und siehe da:
Ganz Griechenland wurde von einem Erdbeben erschüttert, nur Athen und
Attika blieben verschont.35
Statt der zahlreich besuchten städtischen Feiern genügte jetzt das Engagement
des Einen, um die Götter geneigt zu stimmen, und mit einer List konnte er sein
persönliches Opfer sogar als öffentliches ausgeben. Doch was Nestorios tat, war
nur noch ein Abklatsch des alten, gemeinschaftsstiftenden Kultes.
Es leuchtet unmittelbar ein, daß ein Mann vom Schlage des Nestorios auch als
Wundertäter gelten konnte. Was die Zahl ihrer Wunder angeht, so vermochten
diese heidnischen Heiligen Männer den Mönchen durchaus Konkurrenz zu
machen. Die heidnischen Wunder wurden zum Teil durch Gebete erwirkt, doch
waren magische, die überirdischen Mächte zwingende Praktiken, über die man
sich aus alten Texten informieren zu können glaubte, verbreiteter als unter den
christlichen Heiligen. Altangesehener Götterkult und Magie kamen hier also
zusammen, wobei man allerdings die magischen Praktiken in einem breiteren
religiös-philosophischen Kontext verortete und für sie die respektablere Bezeich-
nung Theurgie, Götterwerk, gebrauchte.36
Noch ein Weiteres trat hinzu. Die alte Weisheit, die den Heiligen Männern
ihre Kraft verlieh, fand man namentlich in den Schriften Platons; Magie und neu-
platonische Philosophie verschwisterten sich. Dies war durchaus nicht selbst-
verständlich. Plotin hatte die Magie noch ignoriert und sogar den Besuch von
Heiligtümern für unwichtig erklärt,37 sein Schüler Porphyrios bedachte die Magie
Theurgie bei Iamblich und ihren Kontext Stäcker 1995; Shaw 1995. Ein Teil der
Wirkung Jamblichs scheint auf seinem Mißverständnis zu beruhen, s. P. Athanassiadi,
Dreams, Theurgy and Freelance Divination.The Testimony of Iamblichus, Journal of
Roman Studies 83 (1993), 115–130.
38 Geringer wertet R. B. E. Smith, Julian’s Gods. Religion and Philosophy in the Thought
and Action of Julian the Apostate, London 1995, den Einfluß der Philosophie.
39 Vgl. MacMullen 1997, 74 ff., der hier keinen Einfluß des Christentums erkennt.
40 Anders Fowden 1982, 54 ff., insbes. 59, der glaubt, daß die Heiligen Männer sich nicht
mit den gewöhnlichen Menschen verbunden gefühlt hätten. Ein Potential, weitere
Gruppen zu erreichen, sieht im Denken Jamblichs Shaw 1995, 237f.
41 Sozomenus 7,15,6. Dagegen, daß das östliche Heidentum politisch passiv gewesen sei,
s. R. v. Haehling, Damascius und die heidnische Opposition im 5. Jahrhundert n. Chr.
74 Hartmut Leppin
anscheinend mehrfach als Finanzier des Schiffes für den Panathenäenzug hervor.42
Allerdings scheinen die Philosophen sich trotz ihrer Bemühungen dem Volk, das
nun einmal vom Sog der Christianisierung erfaßt war, zunehmend entfremdet zu
haben.43
Charakteristisch für die Verbindung von Philosophie und Magie ist eine
Gestalt des 5. Jahrhunderts, Proklos, dessen Platonkommentare bis in die Neuzeit
hinein wirkungsmächtig waren und der mit seinem Werk noch die Bewunderung
Georg W. F. Hegels (1770–1831) erregte.44 Sein Leben ist durch die anschauliche
Biographie seines Schülers Marinos gut dokumentiert. Auch wenn die Glaub-
würdigkeit der einzelnen Episoden gewiß nicht über jeden Zweifel erhaben ist, so
gewinnt man aus diesem Text doch eine Vorstellung davon, wie diese Philosophen
gesehen werden wollten und welche Ansprüche sie erhoben: 45
Proklos erläuterte nicht nur Platon, sondern auch die wegen ihrer Hinweise
für magische Handlungen geschätzten Chaldäischen Orakel.46 Zudem war er ein
praktizierender Theurg, der sein Wissen auch im Alltag einsetzte: Als Athen unter
einer anhaltenden Trockenheit litt, setzte er eine i¬úgx, ein Zauberrad, ein und
zauberte den Regen herbei, nach dem Attika dürstete. Er legte auch Schutzmittel
aus, die seine Wirkungsstätte vor Erdbeben bewahrten. Die Krankheit der Tochter
eines Freundes heilte er durch ein Gebet an den zuständigen Gott.
Und noch in einem dritten Bereich war er tätig. Er bemühte sich um die Auf-
rechterhaltung aller Kulte der verschiedensten Völker, seien es die der Römer, der
Syrer, der Araber oder der Ägypter. Die ägyptischen Fastentage hielt er sogar mit
größerer Strenge ein als die Ägypter selbst. In dieser Funktion bezeichnete er sich
etwas unbescheiden als Hohepriester des ganzen Kosmos, als toû oçlou kósmou
i™erofánthv (19). Wen wundert es da, daß Athena ihm mitteilte, sie wolle jetzt in
seinem Haus wohnen, als ihr Standbild von der Akropolis entfernt wurde? Für die
Vereinigung von Philosophie, Magie und traditionellem Kult ist Proklos somit ein
herausragendes Beispiel.
Die Brisanz dieser Entwicklung wird deutlich, wenn wir uns die antimagische
Gesetzgebung der christlichen Kaiser in Erinnerung rufen: Sie hatte zunehmend
altüberkommene, angesehene Bereiche des Heidentums als magisch definiert.
Jetzt hat sich gezeigt, wie für bestimmte Heiden selbst magische Praktiken immer
weiter ins Zentrum rückten. Dieses Heidentum wurde durch die Rezeption der
Magie dem immer ähnlicher, was die Christen in ihm sahen.
Wenden wir uns jetzt dem stadtrömischen Senat des 4. Jahrhunderts zu und damit
einer dem Historiker eher vertrauten Welt.47 Der Senat war Hüter der großen
Traditionen Roms und wurde für die Nachwelt zum Inbegriff des späten Heiden-
tums, zumal durch Symmachus’ Auftritt beim berühmten, in der Sache eher mar-
ginalen Streit um den Victoria-Altar des Jahres 384. Der damalige Stadtpräfekt
steht für eine Gruppe einflußreicher Senatoren, die alles tat, um die alten Staats-
kulte zu bewahren, und nicht ohne Erfolg. Wie es scheint, sahen antiheidnische
Gesetze Ausnahmen für Rom und Umgebung vor; 48 auf jeden Fall wurden öffent-
liche Opfer hier länger geduldet als anderswo; ein Festkalender aus der Mitte des
Jahrhunderts verzeichnet heidnische und christliche Feste im friedlichen Neben-
einander.49 Noch Jahrzehnte, nachdem Constantin sich dem Christentum zuge-
wandt hatte, unterstützten öffentliche Mittel Weiterführung der bedeutendsten
stadtrömischen Kulte, nach wie vor war der römische Kaiser zugleich pontifex
maximus, oberster Priester. Ein Einschnitt kam erst unter Gratian, der auf die
Würde des obersten Priesters verzichtete, indem er das ihm dargebotene Gewand
nicht anlegte, und der die Zahlungen für die stadtrömischen Kulte einstellte.50
Manch einer bemühte sich, mit privaten Mitteln diese Tradition weiterzuführen,
und verkündete stolz seinen Einsatz.51
Schon zuvor hatte sich jedoch eine neue Entwicklung angebahnt, die sich nach
dem Verlust der staatlichen Unterstützung verstärkte. Die Senatoren nannten auf
bestimmten Inschriften in der Liste ihrer Priesterämter zunehmend auch Funktio-
nen in Kultgemeinschaften, die nicht zu den traditionell-römischen Kulten zähl-
ten und deren Ursprung man im Osten suchte. Unter ihren Würden kamen jetzt
Dinge zusammen, von denen die einen dem Senator seit jeher gut zu Gesicht
gestanden hatten, die anderen ihm hingegen Schande gemacht hätten. Bezeich-
nend ist der Fall des Vettius Agorius Praetextatus, eines der angesehensten Sena-
toren seiner Zeit.52
Er bekleidete die üblichen, standesgemäßen Ämter: die Quästur, die Prätur,
verschiedene Statthalterschaften; er war Stadtpräfekt in Rom, übernahm sieben
Mal 53 Gesandtschaften für den Senat und wurde Prätorianerpräfekt.54 Als er
384 starb, war er designierter Konsul. Eine großartige weltliche Karriere, ohne
Zweifel; höher konnte man kaum kommen.
Die Priesterwürden 55 traditioneller Art entsprachen seiner glänzenden Lauf-
bahn: Er war Augur, Priester der Vesta und des Sonnengottes – gemeint ist jener,
den Aurelian (270–275) in den Staatskult hatte integrieren lassen –, quindecimvir,
ähnliche Titulierung überliefert wie für Proklos: Dieser hatte sich ja als Hohe-
priester des ganzen Kosmos verstanden; Praetextatus firmiert bei Macrobius als
sacrorum omnium praesul, als Vorsteher aller Kulte.69
VI
Um so auffälliger ist, was Ost und West unterscheidet: Die Eliten, die sich in
beiden Reichsteilen einst verpönten Praktiken gegenüber öffneten, waren unter-
schiedlich konstituiert: Im Osten waren die führenden Gestalten Gebildete, die
dank ihrer intellektuellen Kapazitäten zu den angesehenen Lehrstühlen der Philo-
sophie aufgestiegen waren und die ihrer Herkunft nach, soweit sie bekannt ist,
zumeist wohlhabenden lokalen Eliten zuzuordnen sind.70 Im Westen nahmen
Senatoren eine beherrschende Stellung ein, die natürlich auch hochgebildet waren,
ihre herausragende soziale Position aber zunächst ihrer Herkunft verdankten.
Daß die östlichen Senatoren keine vergleichbare Funktion auszuüben vermoch-
ten, ist leicht begreiflich: Der Senat von Konstantinopel war erst seit Constantin
formiert worden. Er setzte sich zum überwiegenden Teil aus ehemaligen kaiser-
lichen Funktionären zusammen, die dazu neigten, ihre Loyalität mit dem Kaiser-
haus durch ihr Bekenntnis zum Christentum zu unterstreichen. Eine stark
vernetzte heidnische Gruppe wie im stadtrömischen Senat fehlte hier. Die Familien-
tradition besaß geringere Bedeutung, um so wichtiger waren Verdienste um den
Kaiser.
Umgekehrt erlangten im Westen, in Rom, die wundertätigen Heiligen Männer
keine Bedeutung,71 lediglich Apollonius von Tyana wurde große Verehrung
bezeugt,72 aber der war schon lange tot. Ansonsten hielt man es offenbar, den Ver-
boten zum Trotz, mit den Leberbeschauern und Auguren. Vielleicht wollte die
heidnische Elite ihre traditionelle religiöse Führungsposition nicht durch die
charismatischen Gestalten in Frage stellen lassen. Auffälligerweise ist die Ab-
lehnung der aus den Hierarchien ausscherenden Wundertäter keine Eigenart des
69 Macrobius, Saturnalia 1,17,1. Zur Figur des Praetextatus bei Macrobius J. Flamant,
Macrobe et le néo-platonisme latin, à la fin du IVe siècle (Etudes préliminaires aux
religions orientales dans l’Empire Romain 58), Leiden 1977, 26ff.
70 C. Haas, Alexandria in Late Antiquity. Topography and Social Conflict, Baltimore
1997, 152 f. hält sie für Angehörige der leisure class mit einem exklusiven Charakter;
vgl. indes 158 f.
71 Es ist bezeichnend, daß es auf dem Feldzug Julians zu einem Konflikt zwischen Haru-
spices und Philosophen kam (Ammianus Marcellinus 23,5,10–14).
72 S. etwa W. Speyer, Zum Bild des Apollonios von Tyana bei Heiden und Christen,
Jahrbuch für Antike und Christentum 17 (1974), 47–63, insbes. 53.
Zum Wandel des spätantiken Heidentums 81
westlichen Heidentums: Denn in der Geschichte des Mönchtums läßt sich eine
ähnliche Entwicklung beobachten: Während im Osten individuelle Wundertäter
als Heilige einen herausragenden Einfluß hatten und eine hohe Autorität ge-
nossen, die nur mit Mühe durch Bischöfe in die Kirche eingebunden werden
konnte, gelang es im Westen, den Kult der Heiligen auf deren Begräbnisstätten zu
konzentrieren. Anscheinend korrespondiert die Geschichte des Heidentums der
unterschiedlichen sozialgeschichtlichen Entwicklung des Ostens und des Westens
des römischen Reiches.
Es hat sich gezeigt, daß im Osten und im Westen vergleichbare Entwick-
lungen stattgefunden haben, die zwar nicht alle Heiden erfaßten 73, wohl aber
wesentliche Gruppen der Eliten: In bedeutenden Städten beider Reichsteile, im
Osten und im Westen, kam es allem Anschein nach unabhängig voneinander
zu einer Verbindung von Kulten, die vom Christentum dem Heidentum zuge-
schlagen worden waren, die aber zuvor wenig miteinander zu tun gehabt hatten.
Man muß sich somit hüten, im Heidentum eine erstarrte Erscheinung zu sehen; es
besaß vielmehr eine bemerkenswerte Entwicklungsfähigkeit.
Einzelne Vorläufer dieser Entwicklung reichen weit zurück; der eigentliche
Beginn liegt in der Zeit um 300, als das Christentum noch nicht die kaiserliche
Religion war, aber schon über einen beträchtlichen Einfluß verfügte. In dieser Zeit
wirkt Jamblich, der die platonische Philosophie so eng mit der Magie verknüpft
hatte, in diesen Jahren erlebte das Phrygianum einen gewaltigen Bedeutungs-
zuwachs. Daß das Christentum die Unterstützung der Kaiser gewann, verstärkte
diesen Prozeß, der aus der amorphen Masse von Religionen im Römischen Reich
das Heidentum formte. Die christlichen Verfolger fanden in Menschen, die doch
eigentlich an den hergebrachten Kulten festhalten wollten, jetzt endlich das Hei-
dentum vor, das sie schon lange bekämpft hatten. Nicht nur in der Fähigkeit, die
öffentliche Praxis des Heidentums zu unterbinden, erwies sich die Übermacht des
Christentums, sondern auch darin, das Selbstverständnis von Heiden zu wandeln.