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II. Vorlesung
1. Politische Situation
Nach der Abschaffung der Monarchie und der Konstituierung der Republik im Jahr 1792 begann
eine Zeit der Parteikämpfe zwischen den Revolutionären mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
[Bild 01] Die französische Revolution und deren Führer begannen sich zu radikalisieren –
Schreckensherrschaft der Jakobiner unter Robespierre – Hinrichtung des Königs, aber auch
Verfolgungen, Hinrichtungen usw. von allen Gegnern. Zu dieser Zeit kam es auch zur Schließung
von Kirchen und Klöstern („Stätten des Aberglaubens“) – Ende: Hinrichtung Robespierre.
1792 erklärte Frankreich Österreich den Krieg; die Folge war ein fast 15-jähriger Kriegszustand in
Europa. Diese Kriege sind verbunden mit Napoleon Bonaparte, der in kürzester Zeit vom Leutnant
der Artillerie zum Oberbefehlshaber der französischen Truppen aufstieg (1799 Konsul der
Republik; 1804 nach Abschaffung der Republik krönte sich Napoleon selbst in Paris zum Kaiser
unter Anwesenheit von Papst Pius VII.; seit 1805 zudem König von Italien). Seit Karl dem Großen
wurden Krönungen immer mit Papst abgehalten, bei Napoleon gab es eine neue Idee des
Kaisertums.
- Jean-Auguste-Dominique Ingres, Napoleon auf dem Kaiserthron, 1806 [Bild 02]
- Jacques-Louis David, Die Alpenüberquerung Napoleons, 1801 [Bild 03]
Beginnende Auflösung des Heiligen Römischen Reiches, vor allem durch Napoleons Hegemonie –
Annexion der linksrheinischen Gebiete des HRR durch Frankreich – Proklamation Kaiserreich
Österreich 1804. 1806 – Austritt 16 deutsche Staaten aus dem HRR – Gründung des Rheinbundes
durch Napoleon – 1816 Kaiser Franz I. legt die Reichskrone nieder - Auflösung in verschiedene
Territorien.
Napoleon schuf durch seine aggressive Territorialpolitik in nur wenigen Jahren ein französisches
Kaiserreich, das von Lübeck bis Rom und in das südliche Dalmatien reichte, umgeben von einem
Kranz abhängiger Staaten. Schlacht bei Aspern 1809 – erster Verlust, Sieg für Österreich. Es kam
zu den Befreiungskriegen (Koalitionskriegen) gegen Napoleon. Mit dem Russlandfeldzug im Jahr
1812 begann sein Niedergang, 1813 Völkerschlacht bei Leipzig, der 1815 mit der Niederlage bei
Waterloo besiegelt wurde.
Als Folge wurde 1815 die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress geregelt. Es begann die
Phase der Restauration, d.h. der Versuch, die politischen Verhältnisse der Zeit vor der
französischen Revolution wieder herzustellen. In Frankreich kehren nach über 20 Jahren
republikanischer Verfassung 1815 wieder die Bourbonen auf den Königsthron (Louis XVIII.). 5
Mächte: Österreich, Preußen, Russland, Deutschland, Frankreich). Gründung des Deutschen
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Bundes. Es kam hauptsächlich zur Restaurierung der alten Verhältnisse (va. unter Führung des
österreichischen Kanzlers Metternich): Stärkung des Adels, Hochadels und der Monarchie.
Die Ideale der Aufklärung lebten aber weiter und der Klassizismus kam nun zur Blüte, vor allem in
Deutschland – Gründungsbau: Brandenburger Tor, Langhans, 1788 unter preußischem König.
2. Empire
Unter der Herrschaft Napoleons entstand zwischen 1799 (Beginn von Napoleons Konsulats-Zeit)
und 1815 (Ende des napoleonischen Kaiserreichs) das sog. Empire: eine letzte Phase des
Klassizismus, die in ganz Europa in Mode kam (bis etwa 1830).
Unter Napoleon wurde 1795 in Paris die École Polytechnique gegründet (Technische Universität);
diese Gründung sollte Frankreich neben der politischen und künstlerischen die technisch-
wissenschaftliche Vorrangstellung sichern. Ein Grund war auch die beginnende Ausbreitung der
Industrialisierung. Vor allem aber bestand ein Mangel an Ingenieuren, da nach der Diktatur von
Robespierre viele Fachleute emigriert oder hingerichtet worden sind. Am Pariser Polytechnikum
wurde erstmals Architektur als technisch-wissenschaftliche Disziplin gelehrt.
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Rückblick:
Im Mittelalter wurden Architekten in Bauhütten/Werkstätten ausgebildet; sie galten als
Handwerker und waren wie diese in Zünften organisiert. In der Renaissance wurde Architektur
durch die Gründungen von Kunstakademien sukzessive zum akademischen Fach. Damals waren
nur die Malerei und Bildhauerei bildende Künste. 1671 wurde in Paris unter König Ludwig XIV.
die erste Architekturakademie gegründet; d.h. die Architektur emanzipierte sich vom Handwerk zur
„Bau-Kunst“ und war Teil der bildenden Kunst. Die Aufgabe der akademischen Baukünstler im 17.
und 18. Jahrhundert war in erster Linie, mit ihren Bauten und Projekten der Repräsentanz des
Herrschers bzw. Auftraggebers Ausdruck zu verleihen.
- Wien, Schloss Schönbrunn I (für Leopold I.), 1688; Johann Bernhard Fischer von Erlach
„Entwurff einer Historischen Architectur“, 1721; Bauausführung ab etwa 1698 [Bild 14,15]
- Wien, Karlskirche, Johann Bernhard und Joseph Emanuel Fischer von Erlach, 1716–1739 (im
Auftrag Kaiser Karls VI.) [Bild 16]
Die Architekten brauchten potente Auftraggeber:
- Hofarchitekten wie z.B. Fischer von Erlach
- Architekten al Propagandaelement in der Politik -> Repräsentation des Kaisers international
1800 veröffentlichte Durand den „Recueil et parallèle des Edifices de tout Genre anciens et
modernes“, ein nach Bautypen geordneter Bilder-Atlas der Architektur mit den wichtigsten
Monumenten aller Zeiten und Völker.
- Tafeln zu „Theater“ und „Villa“ [Bild 17,18]
- Erstes Mal Sammlung von Grundrissen, Zeichnungen usw.-> damit wurde das Architektur-
Studium verändert (wichtig später für den Historismus); die wichtigsten Monumente aller Zeiten
und Völker
1802–1805 erschienen seine am Polytechnikum gehaltenen Vorlesungen unter dem Titel „Précis
des leçons d’architecture“, die als einflussreichstes Architekturtraktat der 1. Hälfte des 19.
Jahrhunderts gelten – er gilt als Begründer der rationalistischen Architektur-Theorie. Durands
Architekturlehre zielt nicht – wie bisher – auf den architektonischen Raum, sondern ausschließlich
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auf die Organisation von Grundriss und Aufriss. Er propagierte die beliebige Kombinierbarkeit von
Einzelelementen mit Hilfe eines Rastersystems. Damit wurde Durand zum Wegbereiter einer
Standardisierung von Architektur (Fertigbauweise mit vorgefertigten Einzelteilen), wie sie erstmals
von Joseph Paxton 50 Jahre später mit dem Kristallpalast umgesetzt wurde.
- Einführung der Systematik modularer Entwurfsreihen.
- Ökominisierung: Zweckbauten – schnell und günstig (Napoleon)
- Parallelentwicklung zwischen Ingenieuren und Architekten
- Beispiele aus Durands „Lektionen“ [Bild 19-24]
Frühere Architekten wie z.B. Michelangelo bildeten Knetmassen, Tonklumpen und formten so
Modelle – das neue bei Durand sind einfache Raumeinheiten z.B. Quadrate und die Anordnung
dieser. Jahrhunderte lang galt als Proportion der Mensch (vor allem und seit der griechischen
Antike) -> jetzt Module: es geht nicht mehr um die Gesamt-Struktur sondern ums Rationale – die
Kombination von Grundriss und Aufriss. Diese Theorien haben noch heute Einfluss z.B.
Industriehallen die auf Grundlage von Rastern aufgebaut sind.
- London, Kristallpalast, Joseph Paxton, Weltausstellung 1851 [Bild 25,26]
- 615/120m; 3 Monate Bauzeit; vorgefertigte Elemente, Rasterbauweise; Stahl-Glas-Skelett;später
abgebaut und woanders aufgestellt
Durands Architektur war eine komplett neue Architektur:
1. wichtige Aspekte für das Verständnis moderner Architektur (z.B. Bauhaus, Gropius – mit
Modulen rational zu Arbeiten)
2. Architekt als Ingenieur (Semper? belächelt Durand -> mehr Kunst-Diskurs)
3. Rationalisierung des Entwurfsprozesses
Allgemein werden jetzt aber kaum Kirchen oder Schlösser gebaut. Dem Bildungsideal des
aufgeklärten Bürgertums folgend, werden statt dessen nicht nur in Deutschland überall Museen,
Bibliotheken, Theater usw. gebaut – oft mit Portikus versehen (ursprünglich Sakralbauelement) –
dies ist bezeichnend – die Bildungsstätte war an die Stelle des Gotteshauses getreten. So ebenfalls
auch Banken und Börsen. Errichtung von Universitäten, Schulen, Regierungs- und
Verwaltungsgebäuden – Funktionen die früher im Schloss oder Kloster zusammengefasst waren ->
Die Moderne Gesellschaft verlangte nach stärker Spezialisierung und Weltlichkeit. Nebenbei
kommt es auch, anders als im Feudalismus, zu mehr Beachtung der Kostenfrage der Bauten, da
jetzt keine Ausbeutung der Bevölkerung mehr möglich ist. Darauf baut auch Durands Philospohie
auf: Der Zweck des Bauens begründet in der Nützlichkeit für den Menschen, und in derer
Wohlfahrt – Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit als zentrale Quellen und Prinzipien.
III. Das klassizistische Werk von Karl Friedrich Schinkel und Leo von Klenze
1. Karl Friedrich Schinkel (1781–1841)
Schinkel studierte an der 1799 gegründeten preußischen Bauakademie in Berlin bei Friedrich Gilly,
durch den er früh mit der Lehre des Klassizismus und der Revolutionsarchitektur in Kontakt kam.
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Ist befreundet mit Humboldt (Kunstminister) und übernahm die Leitung an der Bauakademie. In
Ermangelung größerer Bauaufgaben beschäftigte er sich mit Malerei und Bühnenentwürfen.
- Karl Friedrich Schinkel, Gotischer Dom, vor 1814 [Bild 27]
- Karl Friedrich Schinkel, Projekt für einen Dom, nach 1814 [Bild 28]
Sein Durchbruch als Architekt erfolgte 1816, als er eine Stelle an der Bauakademie erhielt, deren
Leitung er 1830 übernahm. In dieser Zeit ging es auch in Preußen nach Jahren der Unruhe darum,
der sich wieder neu formierenden Monarchie architektonische Symbole von nationaler Größe zu
geben. Architektur in Preußen nach Außen sichtbar (nach Napoleon) – im Auftrag des preußischen
Königs z.B. Die Neue Wache = Repräsentationsgebäude + Denkmal.
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Museumsbau: Für Hitler war später das Museum von großer Bedeutung. Postmoderne: Stuttgart,
Stirling: „Idealform Schinkel“, „wozu neue Ideen, ist nicht möglich“.Vergleich Schinkel – Durand:
Wie angelegt.
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Das ursprüngliche Plankonzept Klenzes sah gegenüber der ionischen Glyptothek eine Kirche im
korinthischen Stil vor. Realisiert wurde ab 1838 ein Kunstausstellungsgebäude nach Plänen von
Ziebland.. Kunst neben Kirche – Platzanlage (Aufregung Kirche) – jeder der die Stadt betritt soll
zuerst hier her kommen.
- Propyläen, Leo von Klenze 1846–1862 [Bild 72-75]
Kombination von dorischer Tempelfront und zwei pylonenartigen Flankenbauten. Der Bau fungierte
als neues Stadttor nach Westen und zugleich als Denkmal für die jüngste griechische Geschichte.
Vergleich mit Neuer Wache: Idee war Standard zu dieser Zeit. Propyläen – Eingang in griechische
Tempel; Dorisch, Ionisch, Korinthisch; -> Eingangsforum in die Stadt.
Kombination Atriumhaus + Tempel = 2.te Bauaufgabe der Antike -> Prototyp Museum -> bis ins
20.Jhd.
Zusammenfassung: 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts: Parallele Facettem von Kunst nebeneinander
gelaufen:
- Kopie der Antike
- Polytechnikum
- Durand: Entwurfsshema Module (bis ins 20. Jhd.)
- Schenkel/Klenze: Neue Bauaufgaben (Museum)