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STELLUNG UND BEDEUTUNG DER SOZIALGEOGRAPHIE

Author(s): H. Bobek
Source: Erdkunde , Aug., 1948, Bd. 2, H. 1/3, Sonderheft: TAGUNG DER
HOCHSCHULLEHRER DER GEOGRAPHIE, BONN - 1947, Wissenschaftliche Abhandlungen
(Aug., 1948), pp. 118-125
Published by: Erdkunde

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/23218308

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118 Erdkunde Band 11

konkreten Bedingu
London im Zwischendeck reisen, aus dem die
derer bekanntgeben
Kabinen zwecks Schaffung von Massenquar
satzungsmächten tieren beseitigt worden sind. Ein anderes zäh
Kontrollrat besitzen. Sie müssen daher erst den Beispiel: Brasilien besitzt nur einen einzigen
Friedensvertrag und die Schaffung normaler Dampfer, der für Auswanderungszwecke in
staatsrechtlicher Verhältnisse abwarten. Nach Frage kommt!
einer Äußerung der Times kann aber trotzdem2. Der Umfang kostenlos zu'r Verfügung ste
auf Jahre hinaus von einer freien Auswanderung hender Ländereien ist gering. Die an der
für Mitteleuropäer nicht die Rede sein. Schon Einwanderung interessierten Länder müßten
die Schwierigkeiten des Transports und der Er aber solche bereitstellen können, da die deut
nährung verböten eine unkontrollierte Aus schen Einwanderer ohne Barmittel sein wer
wanderung. Wenn auch Zentraleuropa ein Si den.
cherheitsventil in Form der Auswanderung 3. Der völlige Kapitalmangel macht über die
brauche, so müßten diese Bevölkerungsbewe kostenlose Landzuweisung hinaus eine hin
gungen doch von einer internationalen Organi reichende Ausstattung der Siedler mit land
sation geleitet werden, um die nationale Wirt wirtschaftlichen Geräten und eine laufende
schaftspolitik der verschiedenen Staaten aufein finanzielle Unterstützung mindestens bis zur
ander abzustimmen.
Einbringung der ersten Ernte erforderlich.
Auch nach Öffnung der deutschen Grenzen Eine derartig umfangreiche Subventionierung
ergeben sich für eine Massenauswanderung fol
der Einwanderer ist in den meisten Ländern bis
gende Schwierigkeiten: her nicht üblich gewesen und setzt erst noch die
Schaffung entsprechender gesetzlicher Grund
i. Bereitstellung des erforderlichen Schiffsrau
mes und Bezahlung der Passagen. Vorläufiglagen voraus. Für auswandernde Handwerker
macht sich der Mangel an Transportraum bei und Facharbeiter bestehen diese Schwierigkeiten
den Alliierten selbst noch unangenehm benicht im gleichen Maße, aber auch sie laufen bei
merkbar, Englische Beamte und Militärs
völliger Mittellosigkeit Gefahr, in der prole
z. B. müssen auf der Fahrt von Südafrika nach tarischen Masse unterzugehen.

STELLUNG UND BEDEUTUNG DER SOZIALGEOGRAPHIE

H. Bobek

trotzdem man sich hüben und drüben mit den


I.
Menschen und ihren Betätigungen befaßt1).
Es ist eigentümlich, welch geringe Rolle der In ungleich stärkerem Maße besteht eine
Begriff der „Gesellschaft" und alle die mit ihm solche Beziehung in England und Frankreich,
zum Vorteil beider "Wissenschaften meines Er
verbundenen oder von ihm abgeleiteten Begriffe achtens. "Wenn wir die französischen länder
und Lehren in der deutschen Geographie bis
kundlichen Darstellungen, mindestens viele von
lang spielen. Man begnügt sich zumeist mit den
ihnen, als besonders abgerundet und ausgewogen
allgemeinsten und augenfälligsten menschlichen
Gruppierungen, den Siedlungsgemeinschaften, auch im anthropogeographischen Teil empfin
den Staaten, Völkern und Religionsgemeinschaf den, so beruht dies nicht zum wenigsten auf
ten. Sieht man sich bei eindringenderen Unter ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber sozialen Fra
suchungen über Wirtschaft und Siedlung be gen. Auch in der allgemeinen „Geographie
stimmter Gegenden genötigt, auch mit speziel ') Es ist hier eigentlich nur P. H. Schmidt zu
leren menschlichen* Gruppen zu operieren, so nennen (Einführung in die allgemeine Geographie der
nimmt man im allgemeinen diese Gruppen als Wirtschaft. Jena. 1932.). Die Einführung eines Abschnit
etwas Gegebenes hin und sieht sich nicht veran tes „Soziogeographie" in die allgemeine Geographie des
Menschen durch H. Hassinger (Hdb. d. Geogr. Wiss.,
laßt, hierüber vom geographischen Standpunkt hrsg. durch F. Klute. II. Bd. Potsdam. 1933.) bedeutet
aus besondere Betrachtungen anzustellen, ge als solche eine Tat, doch bleibt die Ausführung noch un
schweige ihnen im System der Geographie des befriedigend. Auf wesentliche neuere Versuche (R. Busch
Menschen einen Platz anzuweisen. Ernsthafte Zantner) soll später hingewiesen werden. Von soziologi
scher Seite hat z. B. A. Günther sehr entschieden die
Versuche, eine Bresche und Brücke hinüber zur
Verbindung zur Geographie herüber herzustellen gesucht
Gesellschaftswissenschaft, zur Soziologie zu
(vergl. A. Günther, Die alpenländische Gesellschaft,
schlagen, sind bisher kaum gemacht worden,Jena. 1930).

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H. Bobek: Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie 119

humaine" kommt dies zum Ausdruck 2). Welche


Natur, durch den physischen und belebten Raum,
Bedeutung für diese Offenhaltung der zuBezie
den Grundanliegen menschlichen Nachden
hungen dem französischen Amateur-Soziologen
kens gehören, da es an die letzten philosophi
F. Le Play -und der von ihm begründetenschen Fragen rührt; aber die Methode war nicht
Schule zukommt, hat /. Solch angedeutet3).
zureichend, die in der unvermittelten Gegen
Auch der deutschen Geographie hätte überstellung
es an von konkretem Raum hier und zu
Geschichte
solcher Anregung nicht gemangelt, hat sie doch gewordener menschlicher Lebens
W. H. Riehl in seinen klassischen Studien über betätigung dort bestand. Man kann auf die
„Land und Leute", in seinem „Wanderbuch" Analyse der Zwischenglieder mit ihren eigen
seinen!,,,Kuhurstudim""w;ahrha£ti verschwenderischständigen Faktoren nicht verzichten. Notwendig
ausgestreut. Aber mehr Sozialpolitiker als wissenist die Analyse des Faktors Mensch.
schaftlicher Systematiker, hat er selbst in seinem Langwierig war der Weg der Geographie aus
eigenen Fach keine Schule gemacht; auch wardieser Sackgasse, und das Ziel ist noch keines
die deutsche Geographie, fortgerissen vom nawegs erreicht. Er wurde erschwert durch die aus
turwissenschaftlichen Strome der Zeit, nicht in gesprochene Tendenz, die Menschheit selbst als
der Lage, die Goldkörner dieser Anregungen zugeographisches Objekt abzustoßen — sie wurde
bergen und auszumünzen. der Ethnographie zugeschoben, zu der gleich
Soweit man damals überhaupt den Menschenzeitig die Verbindungen immer dürftiger wur
noch als Objekt geographischer Betrachtung den, so daß auch deren Erkenntnisse kaum Ver
ansah, befand man sich noch im Banne C. Ritterwertung fanden, so wenig wie die der Sozial
scher Gedankengänge, die dann von F. Ratzelökonomie, die in ihrer sogenannten „historischen
im Sinne des inzwischen herrschend gewordenenSchule" beachtliche regionale Darstellungen lie
Positivismus und geographischen Determinismus ferte, die sehr wohl Ansatzpunkte hätten bieten
so hervorragend ausgebaut, vertieft, erweitertkönnen. Am wenigsten waren Anregungen frei
und glänzend formuliert würden. lich von der deutschen Soziologie selbst zu er
F. Ratzel hat nicht den Weg zum Begriff „Ge warten, die sich immer ausschließlicher auf die
sellschaft" gefunden. Für ihn blieben die ge abstrakte Theorie verlegte, während sich die
schichtlichen Vorgänge und Bewegungen der In europäisch-amerikanische Soziologie durch die Le
begriff des menschlichen Elementes im Raum. Play'sche Survey-Methode viel stärker den Zusam
Dies war aber — so blendend seine mit fabel menhang mit dem konkreten Objekt bewahrte.
hafter Beherrschung des Stoffes und glänzender Erscheint so der "Weg der Geographie vom
Kombinationskraft vorgetragenen Konzeptionen Standpunkt der Sozialwissenschaften aus als
von den Raumeinflüssen auch waren und so Umweg, so ist er es doch nicht von ihrem eige
anregend sie wirkten, gerade auch in die
nen aus gesehen. Denn er erschloß ja erst das
Nachbarwissenschaften hinein — letztlich doch jenige Feld, das wir heute als ein Kerngebiet der
eine Sackgasse. Dies haben die amerikanischen Geographie empfinden. Und wenn von hier aus
„Environmentalisten" erwiesen, die seinen Weg die Verbindung zu den Sozialwissenschaften wie
bis zu Ende gingen5) wie auch die „Geopolitiker",
der- oder neu gefunden wird6), so wird die Ver
die wir noch zuletzt in dieser Sackgasse sich her
ankerung darum nur umso inniger und fester sein.
umtummeln sahen.
Der Grund hierfür lag nicht in der FrageDer Weg führte über die landschafts
stellung an sich: Immer wird das Problem kundliche
der Betrachtungsweise, wie
sie
Beeinflussung menschlichen Daseins durch die in Deutschland von O. Schlüter, S. Passarge
und anderen eingeführt wurde. Der Ausgangs
punkt ist die begriffliche Scheidung von Natur
2) Ich zitiere etwa A. Demangeon: „La geographie
humaine est l'etude des g«oupements humains dans und leurs Kulturlandschaft, d. h. die gebührende
rapports avec le milieu physique . . . nous constatons
Herausstellung des Menschen als eines land
que vivre en societes, vivre avec des semblables qui ont
les memes manieres de vivre est un etat inseparable schaftsgestaltenden
de Faktors erster Ordnung. Wir
la nature humaine . . Une definition de la geo sehen die landschaftskundliche, besonders die
graphie 'humaine. Piroblfömes de GeograpJhi,e Hu-makue, kulturlandschaftliche Forschung sich in drei Be
Paris 1942. S. 28. trachtungsweisen vollenden: In der typolo
s) J. Solch, Verknüpfung von Geographie und Ge
sellschaftskunde Sn England. Geogr. Zeitschrift!. 1930.
gisch-physiognomischen, der'Jfunk
S. 145 ff. t i o n e 11 e n und der genetischen. Alle
4) enthalten im 1. und 4. Band seiner Naturgeschichte drei sind notwendig, sie bauen aufeinander auf
des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik.
12. Auflage. Stgt. u. Bln. 1925. 6) Das „Wiederfinden" hat Berechtigung, denn die
5) Vgl. G. Pfeifer, Entwicklungstendenzen in Theorie naive Länder-, Völker- und Staatenkunde von Herodot
und Methode der regionalen Geographie in den Vereinig bis Büsching hat ja immer auch die gesellschaftlichen
ten Staaten nach dem Kriege. Zeitschr. d. Gesellsch. f. Zustände der Länder und Völker mit in den Kreis ihrer
Erdk. z. Bln. 1938. S. 94 ff. Betrachtung gezogen.

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120 Erdkunde Band II

und tur) sind also Ausgangspunkt


ergänzen sich und Regler
und
das volle jedweder Verständnis
menschlichen Betätigung im Raum. Sie
tung der m könnene von
ndersch Geographie entweder
1 ials land
ch -
Mit der funktionellen
schaftsgestaltender Faktor, oder aber ■— zusamt
wohl zuerst in Konkretionen
den zugehörigen landschaftlichen der S
wandt wurde und heute vor allem in der "Wirt — als "Wert für sich, im Sinne von länderkund
schaftsgeographie fruchtbar wird, ist der Ansatz
lichen Erscheinungen gewürdigt werden.
punkt zum entscheidenden Schritt gewonnen:
Denn jede Funktion bedarf eines II.
Trägers.
Wie tritt nun die Geographie diesem sozialen
Man erkennt allmählich, daß dieser nicht „der
Erscheinungs-
Mensch" schlechthin ist, gleichsam eine anonyme und Kräftefeld gegenüber, das
von
und ubiquitäre menschliche Kraftquelle, die Spielregeln beherrscht wird, die ihr fremd
über
all gleichmäßig und allseitig zu wirken sind, die vielmehr das Arbeitsfeld der Soziologie
bereit
und anderer verwandter "Wissenschaften dar
stünde, sondern daß es sich dabei um mensch
stellen?
liche Gruppen handelt, die sich im Raum
Die Antwort lautet, daß sie sich diesen Er
betätigen 7). Man erkennt ferner, daß diese Grup
pen gleichartig handelnder Menschen nicht scheinungen
iso und Gesetzmäßigkeiten gegenüber
nicht
liert dastehen, sondern sich zu bestimmten, konanders verhält als gegenüber denjenigen,
kreten, historisch und regional begrenztendie sie dem Arbeitsbereich der Geologie, der Me
größe
ren Komplexen zusammenfügen, zu Gesell teorologie, der Botanik usw. entnimmt. Sie trifft
schaften, von denen ebenso bestimmte zunächst
und eine Auswahl, indem sie nur die
landschaftsbildenden und die länderkundlich be
begrenzte, jedoch mannigfaltigere, auch einander
widerstreitende Wirkungen ausgehen. langreichen herausgreift. Die anderen, die sich
der
Solche konkreten, historisch und regional be geographisch-chorologischen Betrachtungs
weiseals
grenzten menschlichen Gesellschaften stecken nicht fügen, werden vernachlässigt.
Funktionsträger dahinter, wenn man in richtiUm freilich die Untersuchung der Wirk- und
Seinszusammenhänge im geographischen Raum
ger Erkennntnis der landschaftlich und zeitlich
sich abwandelnden Gestaltungskräfte der mitKul
einiger Aussicht auf Erfolg durchführen zu
können, bedarf die Geographie eines genügend
turlandschaft von „wechselnden Kulturkräften"8),
„Kulturepochen", „kulturgeographischenvertieften
Situa Einblicks in das "Wesen der betreffen
tionen"9), auch „Kulturlagen" sprach10). den Erscheinungen. Diesen Einblick können ihr
nur die zuständigen systematischen Wissenschaf
Diese Feststellung ist kein Spiel mit Worten,
sondern hat ihre große und weitreichende ten vermitteln
Be ,vor allem diejenigen Grenzzweige
dieser
deutung. Endlich ist damit die r i ch t i g e Ge Wissenschaften, die ihr Tatsachenmaterial
schon im Hinblick auf die örtlichen Umstände
genüberstellung gewonnen: Hier der
konkrete Naturraum, da die konkrete mensch verarbeiten (Geo-Wissenschaften im Sinne von
K.
liche Gesellschaft, beide mit den ihnen zugehöri Krüger™).
gen Kräftefeldern, beide landschaftlich abgewanIhre Wesenskenntnis von den sozialen Er
delt, wobei auch die räumlichen Begrenzungen scheinungen muß die Geographie daher aus den
sich nicht zu decken brauchen. Beide sind schließ
systematischen Sozialwissenschaften holen, wenn
lich auch wandelbar in der Zeit, in schnellen anders sie auf diesem Gebiet nicht in einem un
Rhythmen die Gesellschaft, in viel langsamerenerfreulichen Dilettantismus stecken bleiben will.
auch der Naturraum "). Die konkreten Sozial Und da dem menschlichen Element innerhalb des
körper (Bevölkerungen bestimmter Sozialstruk geographischen Objektkreises eine sehr wichtige
Rolle zukommt, ist entsprechend abzuleiten, daß
7) Damit soll selbstverständlich nicht etwa abgeleug auch den Sozialwissenschaften innerhalb der
net werden, daß es auch eine Betätigung gilbt, bei der geographischen Hilfswissenschaften eine viel be
die Gruppenbestimmtheit gegenüber der indiviuellen Be
stimmtheit zurücktritt. Von dieser kann jedoch in der deutsamere Stellung angewiesen werden muß, als
Geographie weitgehend abgesehen werden, vorzüglich bei ihnen bisher gewöhnlich eingeräumt wurde.
der typisierenden, landschaftskundlichen Betrachtungsweise,
während- sie bei der individualisierenden, länderkundlichen u) Hier handelt es sich um, die grundsätzliche Gegen
Betrachtungsweise stärker beachtet werden muß. überstellung. In Wirklichkeit treten den konkreten
8) O. Maull, Geographie der Kulturlandschaft. Samm historischen Gesellschaften nicht die Naturlandschaften,
lung Göschen. Bd. 1055. 1932. S. 12. sondern ganz überwiegend ebenfalls schon historisch (und
°) G. Pfeifer, Das Siedlungsbild der Landschaft damit in rascherem Rhythmus) gewandelte Landschaften
Angeln. Schriften d. Bäk. Komm, zu Kiel. XIV. Breslau gegenüber, in denen erworbene Eigenschaften und Kräfte
1928. S. 16. neben und z. T. an die Stelle von ursprünglichen ge
10) ]. U. Folkers, die geschichtliche Bedeutung der treten sind.
Landnahme als Auslesevorgang. Dt. Archiv f. Ld. u. 12) K. Krüger, Ein neues Stellungsschema der Geo
Volksforschung. V. Jg. 1941. S. jo6. graphie. Forschungen und Fortschritte 24. Jg. 1948. S. 63.

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H. Bobek: Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie 121

Der Kanon der als geographisch belangreich bunden erscheinen, ohne daß ein Bewußtsein, ein
betrachteten menschlichen Funktionenbejahendes (Sozial Wissen davon besteht. Solche Grup
funktionen) liegt seit alters durch Empirie penziem
(Merkmalsgruppen, statistische Gruppen)
lich fest. Es handelt sich um kennen auch kein gemeinsames, kein Kollektiv
1. biosoziale Funktionen (Fortpflanzung und handeln. Gleichwohl aber kann, und dies ist geo
Aufzucht zwecks „Erhaltung der Art"), graphisch wichtig, ihr Individualhandeln gleich
2. oikosoziale Funktionen (Wirtschaft-Bedarfs artig sein, ausgelöst durch gleichartige umwelt
deckung und Reichtumsbildung), liche oder biologische Bedingungen. Beispiele sind
3. politische Funktionen (Behauptung und etwa die Bergbauern, die Talbauern eines be
Durchsetzung der eigenen Geltung), stimmten Gebiets. Ihnen gegenüber stehen die
4. toposoziale Funktionen (Siedlungs-Ordnung jenigen Gruppen von Menschen, Sombart nennt
des bewohnten und genutzten Landes), sie „Verbände", die ihrer Gemeinsamkeiten und
j. migrosoziale Funktionen ("Wanderung, Stand Zusammenhänge bejahend bewußt sind. Je nach
ortsänderungen), dem, ob sie sich daran genügen lassen oder ob sie
6. Kulturfunktionen (soweit Landschafts- oder zur Organisierung gemeinsamen Handelns vor
länderkundlich belangreich). dringen zwecks Erreichung eines bestimmten
Diese Funktionen bilden das „anthropogene" Ziels oder aber aus einer allgemeinen, im Trans
(Busch-Zantner) oder „soziale Kräftefeld" und zendenten verankerten Idee heraus, werden in
sind den verschiedenen physischen und beologi tentionale, finale und ideale Verbände unter
schen Kräften unmittelbar zu vergleichen, die schieden. Bei den Intentionalverbänden ist zwar
die physischen und biologischen Kräftefelder zu alles Handeln noch Individualhandeln, aber es
sammensetzen. ist bereits vom Wissen um die Gemeinsamkeit
der Umstände und der Interessen ausgerichtet,
Sie haben seit jeher das volle geographische
vereinheitlicht.
Interesse gefunden. Nicht das gleiche kann manSo etwa, wenn die Großbauern
einer
von den menschlichen Gruppen Gemeinde nach der Aufteilung der All
behaupten,
die als Träger dieser Funktionen/ mende streben, während die Kleinbauern hart
erschienen.
Mit was für Gruppen haben wir näckig es in am derAllmendnutzen
Geo festhalten Hierher
graphie zu tun? Kein Zweifel, daß gehören
wir vor allem die Klassen und alle haupt
es mit
denselben konkreten Gruppierungen sächlich
zuwirtschaftlich
tun ha bedingten Bevölkerungs
schichten.
ben, mit denen sich auch die Geschichte Aus Intentionalverbänden gehen mit
(soweit
Leichtigkeit durch
sie Sozialgeschichte ist), die Wirtschaftslehre, die Organisierung finale oder
Zweckverbände
Völkerkunde usw. beschäftigen: jenen, die wirk hervor. Deren Kollektivhandeln
ist rational, sind.
lich handelnd auftreten oder aufgetreten zweckbedingt. Es beschränkt sich
Von sich aus hat die Geographie dementsprechend
(seit Vidal deauf wenige bestimmte Funk
tionen,
la Blache 13)) nur eine bestimmte Art vonwährend
mensch die übrigen unbeeinflußt blei
licher Gruppierung aufgestellt undben. Es gibt eine
ihren Beungeheure Fülle zweckbegrenz
ter Organisationen,
trachtungen zugrunde gelegt, nämlich die Grup und ihr Kennzeichen ist, daß
sie nur eine bestimmte
pierung nach der einheitlichen Lebensform, die Seite der Individuen er
fassensehen,
Lebensformgruppe. Wollen wir aber (Gewerkschaften,
in Berufsverbände, die
welcher Weise diese verschiedenen konkreten, meisten Vereine schlechthin). Im Gegensatz hier
„historischen" Gruppen „funktionieren", welche zu erstreckt sich das Kollektivhandeln der Ideal
Typen sich dabei unterscheiden lassen, so müssen verbände — mindestens latent — über fast alle
wir uns an die reine oder theoretische Soziologie Funktionsfelder. Gespeist aus irrationalen Wur
um Auskunft wenden. zeln, durchdringt ihr Geist das ganze Wesen
der Menschen und beeinflußt ihr individuelles
Unglücklicherweise besteht gerade in Bezug auf
die Klassifikation und Terminologie der GrupHandeln aufs stärkste. Sombart nennt als ideale
Verbände Familie, Staat bzw. Nation und Reli
pen noch wenig Einhelligkeit in der Soziologie.
Für unsere Zwecke scheint mir die folgende Ungionsverband. Sie haben ihr ursprüngliches
terscheidung von Typen wichtig, die wir in AnFunktionsgebiet meist weit überschritten. Ohne
lehnung an W. Sombart14) treffen können. Zweifel
Es gibt es aber noch weitere idealeVerbände,
gibt zunächst Gruppen von Menschen, die durchmindestens noch die Siedlungsgemeinschaft (Dorf
irgendwelche gemeinsamen Merkmale (der Rasse,und Stadtverband), und auf tieferer Ebene noch
Sprache, Lebensweise) oder Zusammenhänge tat Stand und Kaste.
sächlicher Art (Blutsverwandtschaft z. B.) ver Wir sehen also, daß nicht nur Umfang und
Intensität des Gruppenhandelns bei den verschie
13) P. Vidal de la Blache, Les genres de vie dans la
denen Typen sehr stark schwanken, von Null
geographie humaine. Anin. de Geogr. 20, 1911.
14) W. Sombart, Grundformen des menschlichen Zu zu großen Werten, sondern daß auch die
bis
prägende Kraft (gegenüber den Individuen) bei
sammenlebens. Hd.-Wörterbuch d. Soziol. Stuttgart 1931,
S. 2ix—239. den verschiedenen Gruppentypen sehr ungleich

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122 Erdkunde Band II

ist. Am bedeutendst
Fürs erste tritt hierdurch dem konkreten und
Ganze im Auge
der Beobachtung ha
zugänglichen, nach physikali
ringsten schen bei den
und biologischen fina
Gesetzen geordneten na
mag es sichturräumlichen freilich
Komplex die ebenfalls konkrete, n
praktischen Wirkun
der Beobachtung zugängliche und analysierbare
schaftliche und soziale Umwelt verhalten. Dem menschliche Gesellschaft gegenüber, in der die
entsprechend wechselt auch das geographische Inbisher ungeordneten, unkoordinierten anthropo
teresse an den konkreten Gruppen verschiedenengenen Kräfte ihre systematische Einbindung und
Typs je nach der Betrachtungsweise. Ordnung finden. Es wird hierdurch erstmals und
Durch die geographische Gruppierung nachallein hierdurch möglich, den verschiedenen
Lebensformen können demnach Gruppen aller„Kräftelehren" der physischen Geographie eine
Typen erfaßt werden. Handelte es sich um reine „L e h r e d e r an.thropogenen Kräfte"
Merkmalsgruppen — was selten der Fall sein gegenüberzustellen und damit die bisher wenig
wird, — so müßte die Prägung der Lebensform befriedigende Stoffanhäufung der „Geographie
des Menschen" auf eine höhere Stufe der Wissen
ausschließlich durch außersoziale Kräfte erfolgt
sein, in erster Linie wohl durch solche der Land schaftlichkeit zu heben 15).
wirtschaft. In allen anderen Fällen treten zu Diese .Ordnung ist freilich eine autonome,
den außersozialen die sozialen Prägekräfte,soziologische
die Ordnung. Sie wird vom
auch bei weitem das Ubergewicht erlangenautonomen
kön menschlichen Geist bestimmt und kennt
nen (z. B. in Großstädten). dementsprechend keine Kausalitäten, sondern nur
Motivationen16). In ihr gelten jene Regeln, Grund
Ganz überwiegend stellen also die Lebensfor
men Gruppierungen dar, die sowohl von sätze landund Gesetzmäßigkeiten, die die Soziologie für
schaftlichen als auch von sozialen Kräften die Betätigung und das Wirksamwerden von Urteils
kraft und Willen .innerhalb von Einzelpersönlich
gleichzeitig geprägt erscheinen und die ihrerseits
durch ihr „Funktionieren" sowohl in den keiten,
natür Gruppen und Massen herausgearbeitet hat.
lichen (Landschaft) wie in den sozialen RaumDie Geographie des Menschen muß, wenn sie sich
(Gesellschaft) hinein wirken. Beispiele zur sind:Wissenschaftlichkeit erheben will, von diesen
Hirt, Fischer, Bergmann, Bauer. Aber Grundprinzipien
nicht Kenntnis nehmen und sie in das
Bauer schlechthin, sondern Fellach, Kolone, Kräftespiel
Frei der Landschaft einführen.
Dieser autonome Komplex der Gesellschaft
bauer,Erbzinsbauer, Pächter, überdies Vollerbe,
Kötter, Büdner usw. Auch nicht Arbeiter schlecht
findet zum zweiten seine Verankerung in der
hin sondern Fabrikarbeiter, Heimarbeiter, Landschaft über die Lebensformen. Deren Dop
Handwerksgeselle usw. in allen Abstufungen, pelrolle, einerseits als Anpassungsformen an die
die die Lebensführung wesentlich bestimmen. Gegebenheiten der Landschaft, andererseits als
Solche sozial - und landschaftlich handelnde Glieder der Gesellschaft, wurde oben
geprägten Lebensformgruppen betont. Hierdurch wird es aber möglich, die öko
setzten die Gesellschaften zusam logische Betrachtungsweise, die für die Auffas
men. Sie stellen die Elemente der Gesellschaf sung der pflanzen- und tierbelebten Natur- und
ten im geographischen Sinne dar. Die Gesell
Kulturlandschaft („Wirtschaftslandschaft") so
schaften in diese zu zerlegen, ist Aufgabe sozialungemein fruchtbar geworden ist, auch auf die
geographischer Analyse. menschlichen Gesellschaften auszudehnen und
Die besondere Bedeutung dieser sozial gepräg von einer „S o z i a 1 ö k o 1 o g i e" zu sprechen,
ten Lebensformen liegt in folgendem: Auf der die am der allgemeinen Landschaftsökologie teil
einen Seite erscheinen sie als handelnde Glieder
15) Dies hat meines Wissens in Deutschland zum
des Sozialkörpers, auf der anderen, soweit sie ersten Male R. Busch-Zantner klar ausgesprochen in
sich der Landnutzung im weitesten Sinne seinem Aufsatz: Zur Ordnung der anthropogenen Fak
widmen, als Anpassungsformen der Gesell toren. Peterm. Mitteil. 1937. S. 138—141. Erweitert in
schaft an die Gegebenheiten des Naturraumes der Einleitung zu seiner „Agrarverfassung und Siedlung
in Südosteuropa unter besonderer Berücksichtigung der
und gleichzeitig als Agenten von dessen Um Türkenzeit". Diss. Erlangen. Leipzig. 1938. Unabhängig
gestaltung. Indem sie so gleichzeitig in der hiervon gelangte ich seit etwa 1936 auf dem Wege über
Natur verankert und in der Gesellschaft be diö funktionale Betrachtungsweise zu gleichen An
schauungen, die ich in Berlin in Kollegs und Übungen
heimatet sind, bilden sie das wichtigste Ver
mehrfach ausführte.
bindungsglied zwischen diesen beiden Bereichen, 16) Vgl. die scharfe Ablehnung des Determinismus
damit zwischen Natur und Geist. in der Anthropogeographie und die darauf aufgebaute
Forderung nach einer Sozialgeographie bei van Vuuren,
III.
Warum Sozialgeographie? Zeitschr. d. Gesellsdi. f. Erdk.
Es erhebt sich nun die Frage, welchez. Bln. 1941. S. 269 ff. Die Erkenntnis von der Eigen
Vor
gesetzlichkeit menschlicher Betätigung im Raum steht
teile diese Betrachtungsweise, nämlich die Herein
auch im Hintergrund der „Dynamischen Länderkunde"
ziehung der Gesellschaft, der Geographie bringt.
R. Spethmann's.

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H. Bobek: Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie 123

nimmt — wenn auch freilich in besonders letztlich


abge auf die verschiedene Produktionstechnik
der Landwirtschaft zurückführte1S), kann die
stufter Weise. Es ergibt sich somit das folgende
dreifache Ordnungsprinzip für die Zusammen
Geographie gerade mit Hilfe des Gedankens der
fügung der Landschaftselemente: Sozialökologie Wesentliches beitragen. Betrach
1.Erscheinungen der anorganischen Welt:
tungenSiewie „Der Gang der Kultur über die
unterliegen der strengen KaiRalität Erde"
physi von A. Hettner 19) oder „Lebensräume im
kalisch-chemischer Gesetze "). Kampf der Kulturen" von H. Schmitthenner 20),
2. Erscheinungen der organischen Welt mitsowie
denen die geographische Anschauungsweise
Schöpfungen derselben: Sie unterstehenihre
ökolo
Krönung erreicht und auf die die Geogra
gischer Regelung und zwar: phie daher nie verzichten dürfen wird, ohne die
a) Erscheinungen der Tier- und Pflanzenwelt:
wirklichen Tiefen ihrer Problematik aufzugeben,
sie werden auf diese Weise konkretere Unter
nach biologisch-ökologischen Gesetzen;
b) Erscheinungen der menschlichen Welt: nach
bauung und noch schärfere Formulierung erfah
biologisch-ökologischen und nachrensozial
können 2J).
ökologischen Gesetzen. Auch das uralte Problem der Beeinflussung
menschlichen
Es ergeben sich zum dritten weitere neue Auf Geschehens, also der Geschichte,
gaben und Probleme bzw. alte erscheinen durchingeographische Tatsachen wird so durch
einem neuen Licht. Neben der Würdigung der
Zwischenschaltung der Gesellschaft auf eine neue
Gesellschaft als landschaftsgestaltenderund,
Faktor
wie zu hoffen steht, tragfähigere Grund
erscheint die Aufgabe, die Gesellschaft lage gestellt werden können.
als regionale Erscheinung an sich Die Unterscheidung von progressiven,
stationären
in den Kreis der geographischen Betrachtung zu und regressiven So
ziehen. Dies erscheint zunächst als Teilaufgabe
zi alkörpern bzw. sozialen Strukturtypen
der Länderkunde und dient ihrer Abrundungwird sich in solcher Sicht auch für die Geographie
und Vervollständigung. Viele französischeals Ver
überaus fruchtbar erweisen. Die verschiede
fasser von regionalen Monographien haben,nen
teilEntwicklungsstadien sozialer Strukturen er
weise unter direktem oder indirektem Einfluß scheinen im Raum nebeneinander als ge
des hervorragenden Soziologen Rene Maunier,
trennte oder sich überlagernde Erscheinungen, eine
ihre Werke-nach dieser Richtung ausgebaut und
Vorstellung, die in der Geographie viel mehr Be
man darf sagen, nicht zu ihrem Schaden. Wie achtung
be verdient, als sie bislang gefunden hat22).
fruchtend gerade diese Erweiterung wirken muß,
Man gelangt so durch Berücksichtigung der land
ergibt sich ja aus den obigen Darlegungen. schaftlichen Verschiedenheiten und ökologischen
Daneben tritt die vergleichende Be Bedingtheit der Sozialstruktur zu dem Begriff
trachtung menschlicher Gesell und der Aufgabestellung von „s o z i a 1 e n
schaften vor 'allem im Hinblick auf ihre Landschafte n".
räumliche Anordnung im Zusammenhang mit Wachstum, Verlagerung, Übertragung: Solche
Struktur und Ökologie als umfassende Aufgabe Begriffe dürfen nicht auf politische oder ethno
in den geographischen Gesichtskreis. Freilichgraphische Raumerscheinungen beschränkt bl
ben, sondern müssen auf alle und besonders d
setzt dies, wie schon die vorige Aufgabe, voraus,
daß man mit der Vorstellung aufräumt, daß geographisch
der relevanten Tatsachen des Sozial
Mensch für die Geographie nur entwederbereichs als ausgedehnt werden. Der unter starke
landschaftsgestaltender Faktor oder aber als be
Beteiligung der Völkerkunde in jüngster Zei
lebende Staffage der Landschaft in Betracht herangewachsene Zweig der Kolonialgeographi
komme, also eine Rückgängigmachung jener erscheint
Ab so z. B. als das Studium des Kontakt
schreibung, von der oben die Rede war. Wir 18) Die syaisfatoiche AgrargeseEschaift" ist von Karl
kommen auf hieraus entstehende Fragen Marx noch und Friedrich Engels an vielen Stellen ihrer Schrif
zurück. Ziel solcher Betrachtung wäre, ein tentie
gegen die europäische kapitalistische Gesellschaft
feres Verständnis der großen Kul kontrastiert worden. Einige ihrer Grundzüge werden
turgebiete und Kulturen der Erde „Unter dem Banner des Marxismus", (Jg. I/2. S. 386 ff.)
entwickelt, ferner: Briefwechsel zwischen F. Engels und
durch Aufhellung ihres inneren Mechanismus K.Marx. Bd.zu I. Stg. 1919. S. 415. Vgl. hierzu K.Witt
erlangen. »Zur Lösung dieser umfassenden Auf
fogel, Wirtschaft und Gesellschaft Chinas. Bd. I. Lpz.
gabe, die Karl Marx wohl als erster sah 1931 und
Einleitung.
vom rein wirtschaftlichen Sektor her lösen zu 19) In 2. Auflage Lpz.-Bfa. 1929.
20) Lpz. 1938.
können glaubte, wobei er z. B. den Unterschied 21) Der Verfasser hofft, edme derartige Stiudiiie über
zwischen der europäischen kapitalistischen Ge den orientalischen Kulturbereich demnächst vorlegen zu
können.
sellschaft und den asiatischen AgrargesellSchäften
22) Vom Historikern ,hat z. B. B. Huppertz in seinem
17) Es wird hier abgesehen von der jüngsten Erund Schichten bäuerlicher Kulturformen
Werk „Räume
schütterung des strengen Kausalbegriffs auch
in für diesen (Bonn 1939) solchen Vorstellungen Raum
Deutschland"
Bereich. gegeben.

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124 Erdkunde Band II

und der neuere Spielart der alten Soziologie darstellt.


Überlagerun
gleich Damit ist der Kreis noch keineswegs vollständig.
entwickelter G
Ausstrahlungen Sie alle schöpfen aus der Fülle in
der Wirklich de
Geographisch fruch
keit, die sie aufzufassen und in Begriffe zu ber
aber auch der Gedanke der Auseinander gen suchen. Aber jede von ihnen verfolgt dabei
setzung der Gesellschaft mit dem ihre besondeftn Ziele und ihre Begriffe sind
verfügbaren Raum. Das zahlenmäßige darauf abgestellt.
Wachstum der verschiedenen konkreten Gesell Die theoretische Soziologie strebt da
schaften erweist sich ja als das eigentliche dyna nach, die gemeinsamen Grundprinzipien gesell
mische Moment. Die Unterbringung des Nachschaftlicher Betätigung und Formenbildung zu
wuchses ist die immer neu gestellte Aufgabe.erkennen und möglichst rein herauszuschälen.
Zahlreich sind die Möglichkeiten der Lösung, aber Das Tatsächliche und Besondere dient ihr als
sie reduzieren sich im Prinzip auf einige wenige: Beispiel oder Ausnahme, es hat für sie in seiner
Auswanderung, Ausdehnung, InnenkolonisationBesonderheit keinen Wert an sich. Nicht unähn
(bis zur Erschöpfung des verfügbaren Siedel lich steht es mit der Sozialökonomie und
raums), Parzellierung mit drohender ÜberbevölStaatswissenschaft, nur daß hier die
kerung und Verelendung, ob mit oder ohne InGewinnung von Normen als besonderer Zweck
tensivierung .der Nutzung, endlich Schaffungnoch hinzukommt. Doch hat die Sozial- und
virtuellen Lebensraumes durch Vermehrung der Wirtschaftsforschung der sogenannten histori
Lebensformen. Die Art und Weise der Einfügung schen Richtung eine gewaltige Menge empirischer
des Nachwuchses ist geographisch von höchstem Forschung geleistet. Darauf u. a. konnte Max
Interesse, sie zählt aber auch, wie van Vuuren mitWeber sein imponierendes Gebäude der mensch
Recht betont, zu den höchsten Aufgaben entlichen Gesiellungsformen errichten24).
wickelter Gesellschaften23). Noch stärker empirisch gerichtet und den loka
Fast alle diese Gesichtspunkte sind nicht neu. len Besonderheiten zugewandt ist die Ethno
Sie spielen seit je eine Rolle in den sozialengraphie. Aber sie befaßt sich erster Linie mit
Wissenschaften, und auch in der Geographie wurden unentwickelteren Zuständen menschlicher
den sie hier und dort schon ausgesprochen oder Gesittung, wie sie bei den Naturvölkern zutage
sind wenigstens angeklungen. Aber ich behaupte,treten. Ziel ist die Aufhellung von Entwicklung
daß erst die entschlossene Hereinnahme des Ge und Verbreitung der sozialen Einrichtungen und
sellschaftsbegriffs mit allen daraus resultierenden
des materiellen und geistigen Kulturbesitzes. Ne
Konsequenzen für ihr Lehrgebäude die Geo ben systematischer Ordnung des Stoffes, wie es
graphie in die Lage versetzen wird, den vollen z. B. das monumentale Werk von R. Thurn
Nutzen aus ihnen zu ziehen, die damit zu ■wald25) aufweist, findet sich daher seit alters
sammenhängenden, mit ihrem Arbeitsbereich unauch die regionale angewandt. Noch stärker, ja
trennbar verknüpften Fragen wissenschaftlich grundsätzlich angestrebt wird diese von der von
zureichend zu behandeln und damit ihren Bei S. R.Steinmetz begründeten S oziographie"").
trag zu brennenden Fragen unserer Zeit noch
Sie setzt sich geradezu die regional-monographi
wesentlich fruchtbarer zu gestalten. sche Erforschung und Darstellung der mensch
IV.
lichen Gesellschaft in ihren natürlichen leben
digen Einheiten zum Ziel und will damit die
Man wird vielleicht einwenden, daß die ge Lücke ausfüllen, die dadurch entstanden ist, daß
forderte Arbeit bereits von anderen Wissen
die „reine" Soziologie solche Darstellungen ver
schaften geleistet wird und daher eine Beschäf
tigung der Geographie mit diesen Fragen über24) Max Weber, "Wirtschaft und! Gesellschaft. Grund
flüssig erscheint. riß der Sozialökonomik. III. Abt. Tübingen. 1922.
In der Tat ist der Kreis der mit der mensch 25) R. Thurnwald, Die menscMkhie Gesellschaft in
ihren ethnosoziologischen Grundlagen. 5 Bde. Bln.-Lpz.
lichen Gesellschaft und ihren Lebensäußerungen
I93I"34
befaßten Wissenschaften nicht klein. Dazu ge 2(i) Vgl. S. R. Steinmetz, Die Stellung der Soziographie
in der Reihe der
hören außer der eigentlichen („reinen") Sozio Geisteswissenschaften. Archiv f. Rechts
und Wirtschaftsphilosophie 6. 1912/13. S. 492—501
logie die Sozialökonomie, die Staatswissenschaft,
Ders.: De differentiatie der schoolgeografie efn het goe
die Ethnographie oder Völkerkunde, um nur die recht der sociografie. Tijdschr. Kon. Ned. Aardrijkskundi
wichtigsten zu nennen. Dazu haben sich aber
Genootschap. 1926. S. 676—687. Ders.: Das Verhältnis
noch die „Sociografie" der niederländischen
von Soziographie und Soziologie. Verh. 5. Dt. Sozio
Tages 1926, Wien'—Tübingen 1927. Ferner u. a.
Schule und in Deutschland die Volksforschung
auich W. H. Vermooten, De Mens in de Geografie. Assen.
die an der allgemeinen Landschaftsökologie teil
1941. Hierzu vgl. u. a. W. E. Boermann, De sociale Aar
gesellt, die eine mehr empirisch ausgerichtete
drijkskunde en de land'kunde. Tijd'schrift Kon. Nederl.
Aardrijkskundig Genootschap. 1926. S. 317 ff. und H.
23) Van Vuuren, Wlamm Sozilalgeographiie? Zeitschr. Hassinger, Kulturgeographie — Soziographie, Peterrr.
d. Gesellsd). f. Erdk. z. Bln. 1941. S. 278. Mitteil. 1941. S. 314.

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H. Bobek: Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie 125

nachlässigte, die Ethnographie vorwiegend nur berücksichtigt wurde. Aber unzu


der Landschaft
Naturvölker behandelte und die naturwissen länglich, iman kann sagen unwissenschaftlich, da
schaftlich gerichtete Geographie nur unzuläng man die Eigengesetzlichkeit menschlichen Daseins,
liche anthropogeographische Darstellungen lie
menschlicher Betätigung, menschlicher Gesellungs
ferte. Doch hat diese Schule trotz manchen formen oft allzu sehr vernachlässigte.
Widerhalls, den sie auch in anderen Ländern ge So wie man die Landformen nicht wissen
funden hat"), noch nicht genügend in die Breite schaftlich auffassen kann ohne Erforschung der
und Tiefe wirken können. inneren und äußeren Kräfte, die sie formen, also
Reicher und wertvoller noch ist der Beitrag,ohne Geomorphologie, nicht die Klimate der
den die deutsche Volksforschung zur so Länder ohne eine entsprechende, auf die Lehren
zialen "Wirklichkeitsforschung geliefert hat, wenn der Meteorologie begründete Klimatologie, so
er sich auch im wesentlichen auf den deutschen muß auch eine „analytische Sozialgeographie"
Volksbereich beschränkt und z. T. in seinen po erst die dem Geographen notwendigen Bausteine
litischen Anhängseln und Ausläufern Kritik heraus dem Komplex der Sozialwissenschaften her
ausfordert. Sie hat sich stark von geographischen anholen und auf ihre Eigenschaften untersuchen.
Begriffen und Fragestellungen anregen lassen Hier, wie überall, erspart niemand sonst dem
und ist daher für unsere "Wissenschaft unmittel Geographen die eigene geistige Durchdringung
barer verwertbar 28). des Stoffs. Er muß ihn in seine Begriffswelt ein
"Wir sehen, daß die soziale "Wirklichkeits bauen, assimilieren.
forschung von den verschiedensten Seiten her be Verwendung finden diese Bausteine sowohl in
trieben wird. Dies kann bei einem so vielgestal - der Landschaftskunde als auch in der Länderkunde.
tigen und unerschöpflich vielseitigen, wahrhaft Darüber hinaus aber gibt es, so wie eine
zentralen Sachgebiet nicht Wunder nehmen und pflanzengeographische, eine geomorphologische,
findet seine Parallelen in der Naturwissenschaft. klimatologische usw. auch eine besondere sozial
Man vergleiche den Sachbereich der Geophysik: geographische Problematik, die, soweit sie nicht
"Wie viele Einzelwissenschaften arbeiten auf die schon in der analytischen Sozialgeographie erör
sem Riesenfelde! Man kann hieraus unmöglich tert worden ist, in der vergleichenden syntheti
ableiten, daß gerade die Geographie sich fern schen Sozialgeographie zur Sprache kommen
zuhalten habe. In der Tatsachenforschung an sich wird. Diese wird die konkreten menschlichen
gibt es überhaupt keine Fachgebietsgrenzen. An Gesellschaften als regionale Erscheinungen in
der Aufhellung der Tatsachen arbeite jeder, der ihrem Zusammenhang mit ihrem Lebensraum zu
das nötige Rüstzeug mitbringt! Nur der Erfolg würdigen haben 3a).
kann hier über das Recht entscheiden. Gerade diese Würdigung ist es, die keine an
Zur Aufstellung einer eigenen „Sozial dere im Kreise der Sozialwissenschaften mit glei
g e o g r a p h i e" 2Ö) bedarf es allerdings einer cher Kompetenz wie die Geographie vornehmen
eigenen Fragestellung. Es ist dies keine andere als kann, auch wenn der Zusammenhang mit dem
die alte- heute in ihren verschiedenen Seiten immer Lebensraum heute weithin als Problem erkannt
klarer erkannte: die abzielt auf die Erfassung wird, was im Zeitalter der Raumforschung und
von Landschaften und Ländern, auf ihre Gliede Raumplanung, des „Social Readjustment" kein
rung, auf die Erkenntnis der funktionellen oder Wunder mehr ist. An anderer Stelle habe ich aus
historisch-genetischen Zusammenhänge ihrer Ein geführt 31), daß -die Geographie, auch wenn sie
zelelemente. Zu diesen gehört die menschliche Ge durch die Sozialgeographie die nötige Abrun
sellschaft. Sie muß in den landschaftlichen Zu dung und Erweiterung erfahren hat, unmöglich
sammenhang gestellt werden. Dies ist im Grunde den Anspruch erheben kann, alle damit zusam
immer schon geschehen, insofern der Mensch in menhängenden Fragenkreise mit der nötigen
27) Vgl. R. Heberle, Soziographie. Hd—WBS. Tiefe, Breite und Exaktheit, schon gar für die
Soziologie. Stuttgart 1931, S. 564-—568; Erfordernisse der Praxis, lösen zu können. Ihr
E. Kant, Geographie, Soziographie et Ideologie fällt es zu, gewisse Leitlinien herauszuarbeiten
humaine. P«bl'. Univ. Tartu, Oecon. geogr. 4, Dorpat 1933. und die großen Umrisse zu geben.
28) Ich verweise vor allem auf die Arbeiten von
G. Ipsen, z. B. Das Landvolk. Hbg. 1933. Ders. Pro Dies ist der Grund, warum die Geographie,
gramm einer Soziologie das deutschen Volkstums. 'Bln. heute mehr als je, auch in Deutschland ihren
I933> ferner viele Artikel vermiedener Verfasser im. Hand Platz im Kreise der sozialen Wissenschaften ein
wörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums. Breslau nehmen muß.
seit 1933. Verschiedene Aufsätze im Archiv für Bevölke
rungswissenschaPt und. Bevölkerungspolitik, seit 1930. —■ 30) Das Verhälionis dieser Sozialgeographie zu den
K. H. Pfeffer, die Notwendigkeit der totalen Volks bisherigen Einzeldisziplinen der Anthropogeographie er
forschung. Dt. Archiv f. Ld. u. Volksforsch. 5. Jg. 1941, gibt sich aus ihrer Aufgabe, den gemeinsamen gesellschaft
S. 407—420. lichen Urgrund und Rahmen für die einzelnen Funktions
29) In Analogie zu „Sozialökonomie", „Soziiahvissen gruppen (Wirtschaft, Siedlung, Verkehr usw.) aufzuzeigen.
schaften" u. a. ziehe ich die Wortform „Sozialgeographie" 31) H. Bobek, Geographie und Raumforschung. Raum
der Form „Soziogeographie vor. forschung und Raumordnung. 6. Jg. 1942. S. 336—342.

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