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Barocktanz 2.

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Französische Stil
Genau so wie es große Unterschiede gibt von der
Grammatik zur Deklamation; gibt es auch
unendliche Unterschiede zwischen der Notation
und gutem Musizieren.

–Francois Couperin (1717)


Notationskonventionen
• Komponisten haben immer die Problematik: wie notiere ich was ich höre, und was
eigentlich gespielt wird? In der Barockzeit (und natürlich alle Epochen) gab es
bestimmte Notationskonventionen, und wenn wir dieser Konventionen nicht verstehen,
haben wir keine Chance die damalige Stilistik zu verstehen

• Es war (und ist immer noch) unmöglich jede musikalische Nuance super präzise zu
notieren (denken wir an Quantz’ Beispiel mit Dynamik Markierungen…)

• Komponisten haben vereinfachter Notationskonventionen benutzt und sind davon


ausgegangen, dass die Ausführenden den Stil gut gekannt haben

• sie haben dabei niemals an uns, an Musiker im 21. Jahrhundert gedacht!

• sie haben die Notation beim Spielen nicht geändert, sondern konnten (und wollten)
nicht notieren, was sie gespielt haben!

• Diese Konventionen werden in vielen historischen Quellen beschrieben, und wenn wir
die verstanden haben, gewinnen wir viele weitere Ausdrucksmittel
Punktierungen
• Bei punktierten Noten ist fast nie das mathematische
Verhältnis von 3:1 gemeint

• Die punktierte Note ist fast immer länger, und die kurze
Note, oder Noten, sind kürzer als notiert

• Punktierte Noten können auch triolisch gespielt werden,


es kommt immer auf den Zusammenhang und Affekt an

• Diese Tradition gilt von der Renaissancezeit bis in die


Klassik, und sie gilt auf jeden Fall für Barockmusik durch
ganz Europa
Die Notation:

(nur drei von vielen) Möglichen Ausführungen:


Quantz
• Es ist hierbei insbesonders zu merken: dass die Note
nach dem Punkte, bei (c) und (d) eben so kurz gespielt
werden muss, als die bei (e), es sei im langsamen oder
geschwinden Zeitmaße. Hieraus folget, das diese Noten
mit Punkten bei (c) fast die Zeit von einem ganzen Viertel,
und die bei (d) die Zeit von einem Achtel bekommen: weil
man die Zeit der kurzen Note nach dem Punkte eigentlich
nicht recht genau bestimmen kann.
• Die Franzosen bedienen sich dieser Taktart (alla Breve) zu
verschiedenen Charakteren, als: Bourreen, Entreen,
Rigaudons, Gavotten, Rondeaus, u.s.w.. Sie schreiben aber
anstatt des durchstrichenen C eine große 2. Welche
ebenfalls andeutet, dass die Noten noch einmal so
geschwind gespielt werden müssen, als sonst. In dieser
Taktart sowohl, als im Dreivierteltakt, bei der Loure,
Sarabande, Courante, und Chaconne, müsse die Achtel, so
auf punktierte Viertel folgen, nicht nach ihrer eigentlichen
Geltung, sondern sehr kurz und scharf gespielt werden.
Johann Friederich Agricola (1757)

• Die kurzen Noten, welche hinter einem Punkt stehen,


absonderlich 16tel oder 32tel, auch im alla breve die 8tel,
werden allezeit, es sei in langsamer oder geschwinder
Taktbewegung, es mag ihrer eine oder mehrere sein, sehr
kurz, und ganz am äussersten Ende ihrer Geltung ausgeführt:
die vor dem Punkt stehende wird dagegen desto länger
gehalten. Z.E., diese: werden ausgeführt, als wenn sie so
geschrieben wären: die Note vor dem Punkt wird verstärkt,
die nach dem Punkt aber schwächer angegeben.
Deutsche über den
französischen Stil
• Friedrich Wilhelm Marpurg (1718 - 1795), 1749: Die
Deutschen haben keinen eigenen Geschmack in der Musik.
Aber unser Händel und Telemann kommen wenigstens den
Franzosen bei. … In allen Arten der Musik, in den Musik aller
Nationen gibt es schlechtes Zeug und auch wieder etwas
schönes. Dies ist der Anspruch des alten Bachs in Leipzig,
der gewiss in der Musik gelten kann. Spielen nicht Quantz,
Benda, Graue sehr französisch?

• Mattheson: Wenn die Franzosen, die ich für grosse Meister


im Instrumenten Stil halte, sich der Punkte bei den Noten
begeben sollten, würden sie, wie Köche ohne Salz,
bestehen.
Notes inégales
• Was ist das? Wenn man Paare von Noten, die eigentlich gleich
geschrieben sind, ungleich spielt; entweder Lang-Kurz (trochaic), oder
Kurz-Lang (iambic)

• es verleiht Melodien Eleganz und Schwung

• die Noten Verhältnisse können leicht ‘triolisch’ (2:1, aber auch 4:3 etc.)
bis punktiert (3:1) sein

• ab dem 17. Jahrhundert wurde es in Frankreich kodifiziert, und gehörte


zu dem französischen Stil

• obwohl es vergleichbar ist, ist es nicht wie ‘gute’ und ‘schlechte’ Noten
F. Couperin (1717)
• Meiner Ansicht nach gibt es Fehler in unserer Art, Musik
zu schreiben, die mit der Art und Weise
zusammenhängen, wie wir unsere Sprache schreiben!
Das liegt daran, dass wir anders schreiben als wir spielen,
was dazu führt, dass Ausländer unsere Musik weniger gut
spielen als wir ihre; im Gegensatz dazu schreiben die
Italiener ihre Musik in den tatsächlichen Werten, in denen
sie sie sich vorstellen. Zum Beispiel punktieren wir eine
Reihe von zusammengesetzten Achtelnoten, und
dennoch schreiben wir sie als gleich. Unser Tradition hat
uns versklavt; und trotzdem machen wir weiter.
Inégalité Regeln
1) Es gilt für französische Barockmusik, oder Musik in dem französischen Stil
(es ist umstritten wie verbreitet es in ganz Europa war)

2) Es gilt für Noten, die sich schrittweise bewegen

3) Es gilt für Noten, die den metrischen Puls unterteilen

4) In geraden Taktarten wie 4/4 oder Alla Breve müssen die Noten den
metrischen Puls in mindestens 4 unterteilen. z.B.; die 8tel in Alla breve, 16tel
in 4/4 etc.

5) In ungeraden Takten wie 3/8, 3/4, 6/8 etc. können die Noten den metrischen
Puls in 2 oder 4 unterteilen z.B.: die 16tel in 3/8 und 6/8, die 8tel in 3/4

6) Es ist fast immer Lang-Kurz, nur selten Kurz-Lang


Inégalité Regeln
1) Es gilt nicht für die Noten, die die gleichen rhythmischen Werte
wie den metrischen Puls haben, oder noch langsamer sind, z.B.
4tel in 4/4, 8tel in 3/8

2) Es gilt auch nicht für sehr schnelle Noten (wo es auch sowieso
kaum möglich ist inégale zu spielen)

3) Es gilt nicht für Werke wo der Komponist Notes égales schreibt

4) Es gilt eher nicht für Arpeggios und Sprünge

5) Es gilt nicht für Gruppen von Noten größer als zwei, z.B Triolen
Französisches Ouvertüre
• Friedrich Scheibe, 1740: (Über den ersten Teil von Ouvertüren) Eine edle Lebhaftigkeit, ein
ernsthaftes, männliches und prächtiges Wesen, und überhaupt ein beständiges Feuer
müssen ihn durchgehendes erheben.

• Johann Georg Sulzer (1775) (J.A.P. Schultz, Student von Kirnberger): Im vorigen
Jahrhundert hat man die besten Ouvertüren aus Frankreich erhalten, wo sie, wie gesagt
worden, zuerst aufgekommen sind. Nachbar wurden sie auch anderwärts nachgeahmt,
besonders in Deutschland, wo ausser dem grossen Bach, noch andre seines Namens,
ungleichem Händel, Fasch in Zerbst, und unsere beiden Graun, besonders aber Telemann
sich hervorgetan haben. Zuerst erscheint insgeheim ein Stück von ernsthaften aber feurigen
Charakter in 4/4 Takt. Die Bewegung hat etwas stolzes, die Schritte sind langsam, aber mit
viel kleinen Noten ausgezieret, die feurig vorgetragen, und mit gehöriger Überlegung
müssen gewählt werden, damit sie in anderen Stimmen in strengen, oder freien
Nachahmungen wiederholt werden können. Denn dergleichen Nachahmungen haben alle
gute Meister in Ouvertüren immer angebracht; mit mehr oder weniger Kunst, nachdem der
Anlass zur Ouvertüre wichtig war. Die Hauptnoten sind meistenteils punktiert, und im
Vortrag werden die Punkte über ihre Geltung ausgehalten. Nach diesen Hauptnoten folgen
mehr oder weniger kleinere, die in der äussersten Geschwindigkeit und so viel möglich,
abgestossen müssen gespielt werden, welches freilich, wenn 10, 12 oder mehr Noten auf
einen Vierteltakt kommen, nicht immer angeht.
Quantz
• Die Note mit dem Punkte wird mit Nachdruck markiert, und unter
dem Punkte der Bogen abgesetzt. Eben so verfährt man mit allen
punktierten Noten, wenn es anders die Zeit leidet, und sofern nach
einem Punkt oder einer Pause drei oder mehrgeschwänzte Noten
folgen, so werden solche, besonders in langsamen Stücken, nicht
allemal nach ihrer Geltung, sondern am äußersten Ender der ihnen
bestimmten Zeit, und in der größten Geschwindigkeit gespielt, wie
solches in Ouvertüren, Entreen, und Furien öfters vorkommt. Es
muss aber jede von diesen geschwinden Noten ihren besondern
Bogenstrich bekommen: und findet das Schleifen wenig statt.
BWV 831 - Ouvertüre nach französischer Art, h-moll
Stilistische Kennzeichen

• Erste Satz von eine Suite

• A - B - A Struktur; Langsam - Schnell - Langsam

• In den langsamen Teilen: punktierte Noten, Tiratas


(schnelle schrittweise Läufe), in alla breve oder 4/4 Takt

• Im schnellen Teil: Dreier-Takt wie 3/8, fugiert


Charakter und Affekt
• Feurig

• Lebhaft

• Majestätisch

• Prächtig

• Ernsthaft

• Stolz

• Pompös

• Grandios
R. De Visee - La Grotte de Versailles
BWV 995 - Prelude
Französische Allemande:
Stilistische Kennzeichen
1) Alla breve oder 4/4

2) Zweiteilig mit Wiederholungen

3) Es gibt fast immer ein Auftakt; sehr oft ein 8tel/16tel, manchmal 2
oder 3 Noten

4) Kommt am Anfang von einer Suite, als erster Satz oder nach dem
Prélude oder Ouvertüre

5) Wurde schon am Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr getanzt,


deshalb wurde es sehr früh sehr stilisiert

6) Langsam bis moderato


Rhythmen in der Allemande
• Typisch am Anfang von eine Allemande:

• Das sind auch die kleinen rhythmischen Motive, die oft


vorkommen

• Inégalité: in 4/4 = 16tel, Allabreve = 8tel

• Schnelle Noten wie 32tel in 4/4 oder 18tel in Alla breve sind
meistens wie ausgeschriebene Verzierungen und sollten leicht
gespielt sein
Typische Phrasierungen
• In Alla breve ist der Anfang meist so phrasiert: 2 Takte - 2 Takte - 4 Takte - 4 oder
mehr Takte bis die Wiederholung

• In 4/4 Takt: 1 - 1 - 2 - 2 oder länger

• Nach den typischen Anfängen gibt es sehr oft irreguläre und längere Phrasen

• Eine typische Phrasenende ist die coulé de tierce (fallende Terz), die auf die
schwache Zeit endet. Typisch für weiblich französischer Wörter (z.B., belle)

• Enjambement ist, wenn das Ende einer Phrase in den Anfang der nächsten Phrase
fließt

• Schlüssiger Phrasen enden auf die gute Zeit

• Erster Teil endet auf der Dominante, der zweite Teil beginnt auf der Dominante und
endet wieder auf der Tonika
Charakter und Affekt
• Ruhig

• Ernsthaft

• Schreitend

• Feierlich

• Zufriedenheit

• Gravitätisch
Robert de Visee (1655 - 1733)
Marin Marais (1656 - 1728)
Francois Couperin (1668 - 1733)
Les Graces Incomparables ou La Conti - F. Couperin

A)

B)
Allemande Grave - R. De Visee
Allemande - R. De Visee
Allemande, L’Auguste - F. Couperin

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