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VO Architektur und Kunstgeschichte 19./20.Jhd.

– 2012

IX. Vorlesung

Architektur der Nachkriegszeit – Postmoderne – Dekonstruktivismus


( 1945 - 2000 )

1946: Gründung der Vereinten Nationen. Ab 1945 in Europa: Vertreibungen von Volksgruppen;
gewaltige Zerstörungen – Wiederaufbau – wirtschaftliche Hilfe der USA. Deutschland, Österreich:
Siegermächte übernehmen die Herrschaft – Wien, Berlin: Aufteilung in Zonen – 1949 :Gründung
BRD (Westdeutschland) und DDR (Ostdeutschland). Gründung der NATO – 1955: Warschauer Pakt
Ab 1950: Kalter Krieg: Machtblöcke, Stellvertreterkriege (1950 Koreakrieg, 1960er Beginn
Vietnamkrieg) der zwei etablierenden Weltmächte USA und Sowjetunion – Konkurrenz der
Ideologien Kapitalismus – Kommunismus. 1961: Bau der Berliner Mauer. 1969: Erste Mondlandung
1989: Mauerfall, Ende des Eisernen Vorhangs. 1990: Europäische Union

I. Architektur der Nachkriegszeit

Die verschiedenen Ansätze der Architektur der Nachkriegszeit haben die Architektur der Zeit von
1910–1930 als wesentliches Fundament gemeinsam. Es war die Stunde der modernen Architektur.
Eher im politischen Westen der Welt, vor allem in den USA – Anstieg von Lebensstandard und
Kultur. Freiheit und persönliches Glück, Geldstreben stand im Vordergrund. Bei Bauten in
öffentlicher Hand oder großer Unternehmen kam, trotz regionaler Abweichungen historisierender
Architektur (massiger, monumentaler, die zu der Zeit als überholt und mit totalitären Ideologien in
Verbindung stand) fast nur moderne Gestaltung in Frage.
In Europa war von Vorrang war die schnelle Erbauung von Wohnraum wegen der Wohnungsnot
entstanden durch Kriegszerstörung – ökonomische Zwänge der Architektur. Viele Architekten sahen
darin aber auch eine Chance die Städte neu zu organisieren/bauen und die alten chaotisch, willkürlich
gewachsenen Strukturen zu beseitigen (was durch die Not und zu weit fortgeschrittene Ordnung keine
Stadt einwilligte – Ausnahme Neugründung Brasilia 1957) – man glaubte fest an die Planung.
Gegen 1960 war Mies van der Rohes Stil extrem reduzierter Stil zum herrschenden Geschmack
geworden, und wurde durch unzählige Architekten nachgeahmt. Überall in der Welt entstanden
geradlinige, rechtwinklige, weite, helle, in Glas aufgelöste Bauten mit der unverfälschten Wirkung des
Materials. Aufgrund der einfachen Skelettkonstruktion und offnen Grundrisse war alles endlos
abwandelbar und einsetzbar.

1. „Brutalismus“
 So wurzelt z. B. der „Brutalismus“ unmittelbar in der klassischen Moderne. Der von beton brut (=
Rohbeton) abgeleitete Begriff wurde um 1950 von Alison und Peter Smithson für ein puristisches
Baukonzept verwendet, dessen Kennzeichen v. a. Materialtreue, Sichtbarkeit aller verwendeten
Baustoffe und Verzicht auf Verblendung und Verputz sind.
- Hunstanton (Norfolk), Secondary School, Alison und Peter Smithson, 1949–1954 [Bild 01]
- New Haven, Yale University, Art and Architecture Building, Paul Rudolph, 1958–1964 [Bild 02]

 Die heutige Verwendung des Begriffs “Brutalismus” schließt eine formale und inhaltlich-soziale
Komponente mit ein: ein – infolge des Rationalismus entstandenes – inhumanes Konzept von
Wohnen und Städtebau in der Nachfolge von Le Corbusiers „Wohnmaschinen“ (riesige Wohnhaus-
konzepte mit städtebaulicher Infrastruktur).
- Marseille, Unité d’Habitation, Le Corbusier, 1945–1961 [Bild 03]
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337 teils zweigeschoßige Wohnungen die in ein Stahlgerüst eingeschoben und ineinander
verschränkt wurden – dadurch entstehende durchgehende Maisonettewohnungen mit Innengang
nur alle 2 Geschoße; Ganze Infrastruktur im Gebäude: Sport, Kinderhort, Geschäfte, Arzt,
Wäscherei, riesiger Dachgarten mit Spielplatz. Planung anhand Corbusiers Modulorsystems: auf
Grundlage der menschlichen Gestalt.
Rationaler Grundgedanke der Zeit – notwendiger Wohnraum soll auf geringe Fläche gebaut werden
– Entstehung von mehr Freiraum – größere Kollektivierung des Wohnens und Lebens – Weg von
Siedlungen und Einfamilienhäusern. Riesige quergelegte Stahlbetonscheiben als integrierte
städtebauliche Einheit.

2. „Plastizimus“
 Etwa gleichzeitig entstand der mit dem „Brutalismus“ hinsichtlich der Materialtreue eng
verwandte, jedoch im Widerspruch zu dessen rigidem Rationalismus stehende „Plastizismus“.
Unter dem Begriff werden phantasiereiche skulpturale Bauten aus Beton zusammengefasst, deren
extrovertierte Formensprache an den Expressionismus der 1920er Jahre anschließt.
- Ronchamp, Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut, Le Corbusier, 1950–1954 [Bild 04]
- New York, Guggenheim-Museum, Frank Lloyd Wright, 1943; 1956–1959 [Bild 05]
Kreisförmiger Grundriss, der sich spiralförmig in die Höhe schraubt – durchgehende gewundene
Ausstellungsrampe von unten nach oben als Ausstellungsfläche – konkurriert mit Ausstellung um
die Aufmerksamkeit;
Es kamen langsam Zweifel auf, ob streng rationalistische Architektur zwangsläufig zum Ausdruck
von Freiheit und Demokratie werden kann. Diese Richtung lässt sich auch unter dem Begriff
organische Architektur fassen. Es kam zu „organischen“, Formen: rund, geschwungen und
assymetrisch – Symbol eienr freien Entfaltung. Die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen im
Bezug auf das Gebäude sollte wieder Maßstab der Architektur werden. Gebäude werden nicht als
Solitäre behandelt, sondern mit ihrer Gestaltung eine Harmonisierung von Landschaft und
Architektur angestrebt. Es sollte aber genau so eine äußere Expression der inneren Funktion
ausgedrückt werden – Bestreben Bauwerke wie Skulpturen zu behandeln (ähnlich Französischer
Revolutionsarchitektur). Man wollte durch Symbolismus den Formen eine Aussage geben (z.B.
J.F.K-Flughafen, New York, Eero Saarinen; Opernhaus Sydney, Jörn Ützon) was oft va. durch
dynamisch geschwungene Betonschalen geschafft wurde – schwebend leichter Eindruck.

3. „High-Tech“-Architektur
 Die seit den 1960er Jahren aufkommende „High-Tech“-Architektur setzt in gewisser Weise die
Ingenieursarchitektur der 2. Hälfte des 19. und frühen 20. Jh. fort, jedoch mit modernen Mitteln.
Unter „High-Tech“-Architektur versteht man eine ingenieurtechnisch geprägte Architektur, bei der
die Baugestalt v. a. von konstruktiven Kriterien bestimmt wird und die traditionellen Vorstellungen
von Außenfassade weitgehend aufgelöst werden. Vor allem die Zurschaustellung bzw.
Veräußerlichung der Konstruktion ist ein zentraler Punkt, sowie auch oft die offene Darstellung der
Haustechnik. Bewusste Aufnahme und Zurschaustellung des technischen Fortschritts in die
Architektur (Eine gewisse Anlehnung an den Brutalismus = Roh).
- München, Olympia-Gelände, Günther Behnisch und Frei Otto, 1972 [Bild 06]
Gelände auf dem Architektur und Landschaft ineinander fließen – funktionale Teile verschwinden
in Geländemulden und unter der Erde-, Extrem dünne Membrankonstruktionen; keine
rechtwinkligen oder kantigen sondern weiche Formen ergießen sich in den Raum; durchlässige
Gerüstkonstruktionen verwischen die Trennlinie zwischen Innen und Außen; Membrandächer auf
Trägern über den Zuschauerrängen aufgehängt.
- Paris, Centre Pompidou, Renzo Piano und Richard Rogers, 1971–1977 [Bild 07]

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Stahlkonstruktion mit Glashaut hinter einem Geflecht von Gerüsten, Lüftungsrohren, Gängen und
als Röhren verglaste Rolltreppen – Umkehrung der Haustechnik nach Außen. Bewusste
Zurschaustellung der Technik

4. Dekonstruktivismus
 Auch der jüngste Architekturtrend, der seit den 1980er Jahren aufkommende Dekonstruktivismus,
versteht sich als direkte Bezugnahme auf eine künstlerische Bewegung der Vorkriegszeit, den in
den 1920er Jahren von Russland ausgehenden „Konstruktivismus“ (Ästhetik konstruktiver und
technischer Formen verbunden mit reinen Geometrien).
- Moskau, Wolkenbügel, El Lissitzky, 1924 [Bild 08]
- Düsseldorf, Neuer Zollhof, Frank Gehry, 1994–1999 [Bild 09]

II. Postmoderne

 Von Brutalismus, Plastizismus, High-Tech und Dekonstruktivismus, die wichtige Wurzeln in der
Vorkriegsarchitektur haben, setzt sich die Postmoderne ab.
- St. Louis (Missouri), Siedlung Pruitt-Igoe, Minoru Yamasaki, 1952–1955; 1972 gesprengt (“Tod
der modernen Architektur”)

 Der Begriff „Postmoderne“ war seit den 1950er Jahren ein zentraler Begriff der Kulturtheorie, u. a.
verwendet in Zusammenhang mit Literatur, Musik, Tanz etc. 1975 wurde er von dem Architektur-
theoretiker Charles Jencks erstmals auch auf die Architektur übertragen.

 Ein Streit zwischen Anhängern der Moderne und Verteidigern der Geschichte beim 10. inter-
nationalen Kongress moderner Architektur in Otterloo (1959), dessen Hauptgegenstand der Torre
Velasca war, markierte eine Wende in der Geschichte der Architektur und den Beginn der
Postmoderne.
- Mailand, Torre Velasca, Ludovico Belgiojoso, Enrico Peressutti und Ernesto Rogers, 1956–1958
[Bild 11] (Bezugnahme auf den mittelalterlichen Kontext der Stadt → Symbol für den Rückzug aus
der Moderne und die Hinwendung zur Geschichte) [Bild 10,12]

Häufig wurde die Möglichkeit der maschinelle Herstellung genutzt um schnell und billig
schmucklose Bauten zusammenzuzimmern – in Hinsicht auf Materialien aber auch auf das
Raumgefüge das sich in winzige zellenartige Räume entwickelte. Als die maschinelle Produktion
am Höhepunkt war, stellte man dessen grenzenlose Monotonie und niedrige Qualität der
Verarbeitung fest. Auch die viel beschworene neugeplante und durchmischte Stadt begann sich als
Fehler herauszustellen, da es zur Auflösung ders traditionellen Stadtgefühls verursachte, einzelne
Viertel verödeten und die Architektur als zu eintönig empfunden wurde – regelrechtes Ersticken an
endloser, uninspirierter, schematischer und kalter Nachahmung – Le Corbusiers Plan Voisin
begann sich als Alptraum einer unpersönlichen, techniküberflutenden Stadt in den Köpfen
festzusetzen. Dazu kamen durch schlechte Qualität entstandenen Bauschäden. Die Euphorie des
Fortschritts, die sich seit der Aufklärung entwickelte begann zu Ende zu gehen.

 Ziel der Postmoderne war die Überwindung der Moderne, die als ein Traditionen negierendes,
menschenfeindliches Konzept angesehen wurde, sowie die Suche nach einem auf die Geschichte
zurückgreifenden Baustil der „alten“ Werte mit Ornament, Farbe und etablierten Würdemotiven.
- Chestnut Hill (Pennsylvania), Haus Vanna Venturi, Robert Venturi, 1959–1964 [Bild 13,14]

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- Robert Venturi, Serie von Portalentwürfen mit unterschiedlichen Stilvorbildern, 1977 [Bild 15]
- Robert Venturi: „Complexity and Contradiction in Architecture“, 1966

Statt ausgewogener Asymmetrie – Rückkehr zur klassischen Symmetrie, statt aufgelöster Wände –
Rückkehr zur althergebrachten Lochfassade, statt Schmucklosigkeit oder bestenfalls aus der
Konstruktion herausentwickelten und diese unterstreichenden Dekor – aufgesetzte Verzierung.
Generell ist die Uneinheitlichkeit von Farben, Formen und verwendeten Materialien typisch.
Es kam bei den Menschen wieder ein Gefühl zur Rückkehr zum Vertrauten und einer gewissen
Realitätsflucht (ähnlich Historismus). Ebenfalls entstand zu der Zeit die Retro-Mode (50er Jahre).

 Postmoderne versteht sich im weitesten Sinne als Kritik an der Moderne und ist gegen die
puristische Ästhetik von Funktionalismus und Rationalismus gerichtet. Als Gegenkonzept zielt
Postmoderne auf einen Stilpluralismus, einen „radikalen Eklektizismus“ (Jencks):
Architekturzitate, Stilmixturen, bewusste Rückgriffe auf Historisches.
- Thomas Beeby, Wettbewerbsmodell für ein Townhaus in Chicago, 1978 [Bild 16] ; vgl.: Poiana
Maggiore, Villa Poiana, Andrea Palladio, 1563 [Bild 17]
- Kyoto, “Gesichtshaus”, Yamashita, 1974 [Bild 18]
- Venedig, Architekturbiennale 1980 (“Die Gegenwart der Vergangenheit”), Fassadenprojekt von
Hans Hollein als Teil der „Strada Novissima“ [Bild 19]
- Oberlin (Ohio), Allen Memorial Museum, Robert Venturi, 1973–1976 [Bild 20]
Das in der Moderne vorherrschende Innovationsstreben wird kritisiert – ist habituell und
automatisiert. Sie bescheinigt der Moderne das Vorherrschen eines totalitären Prinzips.
Maßgebliche Ansätze der Moderne seien gescheitert. Dem Gegenübergestellt wird die Vielfalt
gleichberechtigt nebeneinander stehender Prinzipien. Die Welt wird nicht auf ein Fortschrittsziel
hin betrachtet, sondern vielmehr pluralistisch, chaotisch und zufällig angesehen (ebenso wie die
menschliche Identität).

 Für das Verständnis der Postmoderne entscheidend ist auch die neu definierte Aufgabe von
Architektur als Teil einer visuellen Kommunikation: Leichte Zugänglichkeit der Architektur,
Orientierung an traditionellen Werten und gesellschaftlich konnotierbaren Symbolen. Dies führte
zu einer Diskrepanz zwischen Konstruktion und äußerer Hülle.
- Delaware, Flint-House, Robert Venturi, John Rauch und Denise Scott Brown, 1978–1983
(Tempelfront als Kulisse) [Bild 21]
- Portland (Oregon), Public Building, Michael Graves, 1980–1982 [Bild 23,24]
- New York, AT&T Building, Philip C. Johnson, 1978–1983 [Bild 25-29]
- New Orleans, Piazza d’Italia, Charles Moore, 1977–1978 (identitätstiftende “Kulissen-
architektur”, die inmitten von Chicago mittels humorvoller und ironisierender Anspielungen an
Italien erinnern soll) [Bild 30-40]
- Stuttgart, Neue Staatsgalerie, James Stirling, 1977–1983 [Bild 41-51]; vgl.: Berlin, Altes
Museum, Karl Friedrich Schinkel, 1822–1828 [Bild 52]; Rom, Pantheon, 118–125 n. Chr.
Verbindung modern-technischer mit klassizistisch romantischer Formensprache; Sandsteinflächen
kontrastieren mit leuchtend blauen und pinkfarbenen Geländern; Im inneren Rotunde bezogen auf
Schinkels Museum bzw. das Pantheon in Rom
Konterkarierung der Bezugnahme bzw. Umwertung von Altem Museum und antiken
Monumentalbauten durch Zitate der jüngeren Architektur (z. B.: Poissy, Villa Savoye, Le
Corbusier, 1929–1931; Paris, Centre Pompidou, Renzo Piano und Richard Rogers, 1977–1981 )

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 Der italienische Architekt und Kunsthistoriker Paolo Portoghesi wandte sich Ende der 1950er Jahre
als einer der ersten Italiener gegen Funktionalismus und Rationalismus. Seine Forschungsarbeiten
zur italienischen Barockarchitektur – v. a. Francesco Borromini und Guarino Guarini – fanden
direkten Niederschlag in seinen Bauwerken.
- Rom, Casa Baldi, Paolo Portoghesi, 1959 [Bild 53,54] ; vgl.: Rom, S. Carlo alle Quattro
Fontane, Francesco Borromini, 1638–1641 [Bild 55]
- Rom, Galleria “Apollodoro” (Eingang), Paolo Portoghesi, 1985; vgl.: Rom, Palazzo Spada,
Kolonnaden, Francesco Borromini, 1652–1653 [Bild 56,57]
- Rom, Show-room Sarteur, Paolo Portoghesi, 1990 [Bild 58] ; vgl.: Rom, Innenraum der Cappella
dei Re Magi, Collegio di Propaganda Fide, Francesco Borromini, 1660–1667 [Bild 59]
- Pirmasens, Wettbewerbsentwurf für die Neugestaltung des Stadtzentrums, 1990 [Bild 60] ; vgl.:
Rom, S. Ivo della Sapienzia, Francesco Borromini, 1642–1650 [Bild 61]
- Rom, Moschee des islamischen Zentrums, Paolo Portoghesi, 1995 fertig gestellt [Bild 62] ; vgl.:
Turin, S. Lorenzo Maggiore, Guarino Guarini, ab 1666 [Bild 63]

Es kam zu den typischen Erscheinungen von sich auf die Vergangenheit beziehenden Stilen, und
sich widerholenden Denkweisen. Venturi plädierte für den „dekorierten Schuppen“ – man begann
wieder Schmuckformen auf die, bis hin zur kompletten, weder mit den Funktionen noch der
Konstruktion oder überhaupt dem Gebäudeinneren verbundenen, Schaufassade hinzuzufügen. Man
orientierte sich wieder am Massengeschmack, was dann immer weiter zum Verlust an
künstlerischer Qualität führte. Der Wunsch beim flüchtigen Betrachter gefallen hervorzurufen,
veranlasste zunehmend zu einer geschmäcklerischen, gefallssüchtigen und effekthascherischen
Gestaltung – teilweise zu bizarren und sinnlosen Spielereien (Treppen, Torbögen ins Nichts). Oft
wurde damit auch die Erfüllung der Funktionalität vernachlässigt und Gebäude somit schlecht zu
benutzen.

 Die Postmoderne wurde aufgrund ihres eklektischen Pluralismus, der sich bald in Beliebigkeit und
Willkür erschöpfte, kritisiert. Z. B. wendet sich Jürgen Habermas in seiner Publikation „Moderne
und Postmoderne Architektur“ (1981) gegen Geschichtsklitterung und propagiert einen
Selbsterneuerungsprozess der Moderne.

III. Dekonstruktivismus

 Der Begriff „Dekonstruktivismus“ wurde 1967 von dem französischen Philosophen und
Literaturwissenschaftler Jacques Derrida geprägt und bezeichnet eine bestimmte Analyse von
Texten. 1988 wurde er auf die Architektur übertragen anlässlich der von Philip Johnson
organisierten Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art „Deconstructivist Architecture“,
in der Frank Gehry, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas, Peter Eisenmann, Zaha Hadid, Bernhard
Tschumi und Coop Himmelblau vertreten waren.
- Columbus (Ohio), Wexner-Center, Peter Eisenmann, 1985–1989 [Bild 64,65]
- Cincinnati, Rosenthal Center, Zaha Hadid, 2003 [Bild 66,67]
- Bilbao, Guggenheim Museum, Frank Gehry, 1993–1997 [Bild 68-70]

 In Hinblick auf die Architektur bezeichnet Dekonstruktivismus die Umsetzung von Ideen durch
Formen, die nicht mehr dem System der platonisch-euklidischen Körpertheorie entsprechen,
sondern aus dem Bereich der gekrümmten bzw. inexakten Geometrien entnommen sind. Die Folge

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sind verzerrte, irrationale Formen ohne rechten Winkel, „zertrümmert“ wirkende Volumina, Raum-
und Flächenfragmentierungen, die zu teilweise extremer Dynamisierung der Bauwerke führen.
- Weil am Rhein, Feuerwehrhaus auf dem Vitra-Gelände, Zaha Hadid, 1989–1993 [Bild 72]
Markantes, expressiv auskragendes, spitzes, (weitgehend funktionsloses) Dach; gestützt von
dünnen, teilweise schräg umfallenden Stützen
- Weil am Rhein, Vitra-Design-Museum, Frank Gehry, 1987–1989 [Bild 73]
- Santa Monica, Haus Gehry, Frank Gehry, 1977–1979 [Bild 74-78]

Doch ähnlich wie die postmodernen suchten auch die Dekonstruktivisten ohne Rücksicht auf die
Erfüllung der funktionalen Erfordernisse – daher diese nicht selten behindernd – eine auffällige
spektakuläre Form – die ihren Widerstand gegen Konstruktions- und Ornamentnormen ausdrückt.
Man entwickelte das Konzept der „gestörten Perfektion“: Ungleichmäßige, verrutschte, zerstörte
Wirkung – als ob man Bauklötze zusammenstellt und diese umstößt – was dann als Modell dient.
Somit entsteht oft ein Eindruck des provisorisch zusammengesetzten, zufälligen, chaotischen,
ungeordneten. Oft finden sich zarte, filigrane Elemente neben monströs überdimensionierten,
sodass das chaotisch anmutende Gebäude labil wirkt, als würde es gleich zusammenbrechen. Es ist
auch eine sehr expressionistische Architektur. Sie versucht mit Hilfe all dieser Mittel, die nicht
hinterfragte alltägliche Wahrnehmung von Architektur aufzustören und durch diese Verfremdung
der Baukunst, eben diese neu und als Kunst erlebbar zu machen. Sie lehnt sich autonom gegen
Zwecke und Rücksichtsnahmen auf, sei es die Funktion, der Stadtraum, die Umgebung oder die
Umwelt. Mit der Strenge und Klarheit der Klassischen Moderne hat dies alles aber auch nichts
zutun: Strukturen werden verschleiert, Funktionen in die Formen hineingequetscht – Spektakuläre
Einzelwerke bestimmen die Architekturszene.

 In Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin, das als Erweiterungsbau des alten Berlin-
Museums konzipiert ist, wurde die formale Dekonstruktion zur politischen Aussage: Während im
Altbau die Geschichte Berlins bis zur Reichsgründung 1871 präsentiert wird, bildet der Neubau die
Geschichte der Berliner Juden bis zum Holocaust ab.
- Berlin, Jüdisches Museum, Daniel Libeskind, 1990–1998 [Bild 79-87]

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