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Leitthema

Bundesgesundheitsbl 2017 · 60:584–591 Claudia Traidl-Hoffmann1,2,3,4


DOI 10.1007/s00103-017-2547-4 1
Lehrstuhl für Umweltmedizin, UNIKA-T, Technische Universität München, Augsburg, Deutschland
Online publiziert: 2. Mai 2017 2
CK-CARE, Christine Kühne – Center for Allergy Research and Education, Davos, Schweiz
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
3
Institut für Umweltmedizin, Helmholtzzentrum München, German Research Center for Environmental
Health, München, Deutschland
4
Ambulanz für Umweltmedizin, Klinikum Augsburg, Augsburg, Deutschland

Allergie – eine
Umwelterkrankung!

Einleitung Haut und Schleimhäute, die Atemwege also anthropogene, biogene, nutritive
und den Gastrointestinaltrakt. Die Pa- und psychosoziale Aspekte sowie das
Im Jahr 2006 wurde der Begriff „All- thogenese der Allergie stellt sich ähnlich Lebensumfeld und die Lebensgewohn-
ergie“ 100 Jahre alt. Geprägt wurde er divers dar. Wir unterscheiden Allergien heiten miteinbezieht. Es existieren un-
1906 von Freiherr Clemens von Pirquet, vom Typ I bis zum Typ IV. Eine sehr ho- terschiedliche Hypothesen zur Zunahme
einem Wiener Kinderarzt. Allergien he sozioökonomische und umweltspezi- von Allergien, von der Urwaldhypothese
stellen mittlerweile die häufigste chro- fische Relevanz besitzen dabei gerade der bis zur Hygienehypothese, die allesamt
nische Erkrankung in Deutschland und Typ I und der Typ IV. Die Typ-I-Allergie nur Mosaiksteine im Gesamtbild darstel-
Europa dar [1]. Sie gehören zu den soge- ist eine IgE-vermittelte Soforttyp-Reak- len [3]. Der Verlust an Diversität zieht
nannten „noncommunicable diseases“, tion, die mit unterschiedlichen Sympto- sich als angenommene Ursache wie ein
kurz NCDs (nichtübertragbare Erkran- men einhergehen kann: Rhinitis, Urtika- roter Faden durch die Publikationen:
kungen). NCDs werden von der WHO ria, allergischem Asthma oder im Akut- es herrsche ein Mangel an Biodiver-
als die Erkrankungsgruppe angesehen, fall mit anaphylaktischem Schock. Somit sität, abwechslungsreicher Ernährung
die die größte medizinische Heraus- kann die Typ-I-Allergie im schlimms- und einem diversen Mikrobiom – und
forderung aktuell und in den nächsten ten Fall tödlich verlaufen. Die Typ-IV- damit an Veränderung von dauerhaft
Jahren darstellt. Zu den NCDs gehören Allergie ist gekennzeichnet durch eine präsenten Umweltfaktoren. „Hohe Di-
kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, T-Zell-vermittelte Reaktion, welche ver- versität“ bleibt eine deskriptive Aussage,
Diabetes, Asthma und Allergien. Allen zögert auftritt. Das klassische klinische deren Funktion genauer geklärt werden
gemeinsam sind die Beeinflussbarkeit Bild der Typ-IV-Allergie stellt die Kon- muss, bevor die neuen Erkenntnisse in
durch Umweltfaktoren und die chroni- taktallergie dar – eine der häufigsten Be- der Prävention nutzbar werden. Und
sche Entzündung. rufsdermatosen. Der Fokus dieser Über- Prävention kann die einzige langfristige
Erst kürzlich konnte dargestellt wer- sichtsarbeit liegt auf der-Typ I-Allergie Antwort auf eine Pandemie sein.
den, dass Kinder mit Allergien erhöhte mit einem kurzen Exkurs in die aerogene Nach Schätzungen leiden in der EU
CRP-Werte (C-reaktives Protein)aufwei- Kontaktallergie. zwischen 44 Mio. und 76 Mio. der
sen, was zwei Dinge widerspiegelt: Die 217 Mio. Erwerbstätigen an Allergien.
Allergie ist begleitet von einer chroni- Allergien – die Pandemie des Das sind in etwa 20 bis 25 % aller Er-
sche Entzündung, und die Allergie stellt 21. Jahrhunderts? werbstätigen. Neue Daten zeigen, dass
eine Systemerkrankung dar [2]. Aller- 90 % dieser Patienten unzureichend
gien stellen die am frühesten im Le- Zusammen mit den Allergien haben oder gar nicht behandelt sind. Sozioöko-
bensverlauf auftretende und die häufigste umweltbedingte, chronisch entzündli- nomische Schäden durch verminderte
NCD dar. In der jüngeren Bevölkerung che Erkrankungen in Form der oben Leistungsfähigkeit in Schule, Studium
sind Allergien mit über 30 % Erkrank- erwähnten NCDs stark zugekommen. und Beruf sind die Folgen. Die ne-
ten weit verbreitet und führen über alle Die Zunahme der Allergiehäufigkeit wird gativen wirtschaftlichen Folgen sind
Altersklassen hinweg zu deutlichen Ein- auf unterschiedliche Faktoren zurück- immens. Kürzlich wurden Kosten zwi-
bußen in der Lebensqualität, aber auch zu geführt. Seit der Erkenntnis, dass die schen 55 und 151 Mrd. Euro pro Jahr
sozioökonomischen Schäden durch die „Umwelt“ epigenetische Veränderungen beziffert, die durch diese unzureichende
verminderte Leistungsfähigkeit in Schu- induzieren kann, wird diesem Faktor ein Therapierung entstehen. Dem kann ein
le, Studium und Beruf. Das Spektrum ganz entscheidender Einfluss attestiert. Vielfaches Weniger an Geld pro Jahr und
der Allergien ist außerordentlich viel- Das wird nur dann erklärlich, wenn Individuum gegenübergestellt werden,
fältig und betrifft viele Organe wie die „Umwelt“ als Begriff breit definiert wird, um einen Patienten mit einer Allergie

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Sensibilisierungsphase Allergische Entzündung

Regionaler
Lymphknoten Bronchiales Lumen

Allergen
IL4

IL3, IL5
GM-CSF

Histamine, LTB4, PGE2

IgE
ECP, MBP

 Allergische Symptome

Abb. 1 8 In der Mitte eine Bronchie mit einem Pollen als Allergenträger, den Allergenen (und den mit Cilien versehenen Epi-
thelzellen). Darunter mukosale dendritische Zellen. Links die Sensibilisierungsphase, in der eine dendritische Zelle (grün) das
Antigen zu einem regionalen Lymphknoten transportiert. Dort führt die Antigen-Präsentation zur Aktivierung der T-Helfer-
zelle vom Typ Th2, die durch Zytokine daraufhin (hauptsächlich IL4) B-Lymphozyten dazu veranlasst, sich in IgE-Moleküle-
produzierende Plasmazellen auszudifferenzieren. IgE wird von den Rezeptoren von Mastzellen und basophilen Granulozyten
gebunden. Rechts die allergische Entzündung: Antigene werden von den IgEs an dendritische Zellen gebunden. Wird ein An-
tigen an zwei benachbarte IgEs von Granulozyten kreuzgebunden, so geben diese Mediatoren ab. Die Mediatoren wiederum
bewirken u. a. eine Kontraktion der Bronchien und die Erweiterung und Erhöhung der Permeabilität der Gefäße. Die Folge sind
Anschwellen der Gefäße, Ödembildung und Entzündungsreaktion der Schleimhaut

effektiv zu behandeln, z. B. mit einer stanz identifiziert, daraufhin eine spezi- meist Proteine aus Pollen oder von Mil-
spezifischen Immuntherapie [4]. Es gibt fische Reaktion entwickelt und bei jedem ben, können aber auch in Medikamenten
also Handlungsbedarf auf allen Ebenen weiteren Kontakt mit dem entsprechen- oder Nahrungsmitteln und vielen weite-
– von der Forschung über die klinische den Umweltfaktor eine Entzündungskas- ren Quellen enthalten sein. Vom Immun-
Versorgung und Edukation bis zur po- kade (. Abb. 1) auslöst. Die Entzündung system sind diesbezüglich keine Grenzen
litischen Umsetzung und Unterstützung selbst entsteht zunächst am Ort des Kon- gesetzt, weil durch die natürliche Rekom-
von Präventionsmaßnahmen. taktes, kann sich von dort jedoch syste- binationsfähigkeit von B- und T-Zell-
misch ausbreiten. Die dadurch entste- Rezeptoren grundsätzlich auf jedes er-
Die Allergie – eine spezifische henden Krankheitssymptome sind nicht denkliche Umweltallergen eine spezifi-
immunologische Reaktion mit spezifisch für eine Allergie und mani- sche Reaktion möglich wäre. Allerdings
klinischen Symptomen festieren sich z. B. in Form einer Rhini- ist bis heute nicht abschließend erforscht,
tis, eines Angioödems, einer Urtikaria, warum wirnuraufsowenige Umweltstof-
Zu einer Allergie kommt es, weil das Im- einer generalisierten Hautrötung, eines fe allergisch reagieren und viele andere
munsystem einen an sich harmlosen Um- Asthmas oder einer Diarrhöe. Die eigent- keine immunrelevante Reaktion auslö-
weltfaktor bei Kontakt als schädliche Sub- lich ungefährlichen Umweltfaktoren sind sen. Die Frage, was ein Allergen zum

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Zusammenfassung · Abstract

Allergen macht, ist nicht abschließend Bundesgesundheitsbl 2017 · 60:584–591 DOI 10.1007/s00103-017-2547-4
geklärt [5]. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
Eine allergische Reaktion besteht im-
mer aus einer Sensibilisierungsphase C. Traidl-Hoffmann
und einer Entzündungsphase (. Abb. 1). Allergie – eine Umwelterkrankung!
In der Sensibilisierungsphase bilden sich
nach dem Erstkontakt mit dem Aller- Zusammenfassung
Die Zunahme von Allergien stellt ein Diversität des Mikrobioms korreliert mit
gen spezifische Antikörper (IgE im Falle
Phänomen dar, das sich in allen – industriell einem geringeren Allergierisiko.
einer Soforttyp-Allergie). Der zweite gesehen– schnell sich entwickelnden Die molekularen Grundlagen dieser beschrei-
oder jeder weitere Kontakt mit dem Ländern beobachten lässt. Lange Zeit ging benden Ergebnisse gilt es nun auf allen
Allergieauslöser kann zur allergischen die Wissenschaft davon aus, dass allein Ebenen weiter zu analysieren – vom Organ
Erkrankung führen, also eine Entzün- eine genetische Prädisposition für die über die Zelle bis hin zu klein(st)molekularen
Entstehung einer Allergie notwendig sei. Strukturen wie den Genen. Für Immunologen
dung hervorrufen. Zu unterstreichen
Heute ist man einen Schritt weiter, mit dem geht es im Speziellen darum, Einflussfaktoren
ist, dass eine Sensibilisierung nur in Wissen um Umweltfaktoren, welche die Gene und Wirkungswege der Allergene zu
Kombination mit den entsprechenden bzw. das Abschreiben von Genen in den verstehen und die daraus gewonnen
Symptomen eine allergische Erkrankung Zellen verändern können. Epidemiologische Erkenntnisse anschließend für das goldene
darstellt. Die Sensibilisierung allein, also Studien haben inzwischen Umweltfaktoren Ziel der Allergieforschung anzuwenden – die
identifiziert, die protektiv oder fördernd bei Prävention.
ein Laborbefund mit dem Nachweis von
der Allergieentstehung wirken. Einen neu
spezifischem IgE, darf nicht als Allergie erkannten Umweltfaktor stellt das Mikrobiom Schlüsselwörter
diagnostiziert werden. Der symptomfreie dar – sowohl das Mikrobiom der Umwelt Typ-I-Allergie · Umwelt · Epigenetik ·
Zustand kann dabei jahrelang bestehen. als auch des Darmes. Gemeinsames Thema Adjuvanzien · Pollen
Was im Immunsystem schließlich zum vieler Studien ist die Diversität: Eine hohe
Toleranzbruch führt, ist bislang unklar.
Der Nachweis von allergenspezifischem
IgG ist bei der Typ-I-Allergie ohne dia- Allergy – an environmental disease
gnostischen Wert und wird nicht selten Abstract
fehlinterpretiert oder gar für Fehler- The increase in allergies is a phenomenon It is now of great interest for research to
nährungsvorgaben herangezogen, was that is being observed in all fast-developing further analyze such environment–gene
insbesondere bei Kindern dramatische countries. For a long time, science has taken and/or environment–human interactions
Folgen auf die normale Entwicklung as a starting point that solely a genetic on all levels – from organs to cells to small
predisposition is a precondition for the and microstructures such as genes. For
haben kann. Der Nachweis von aller-
development of an allergy. Today, knowledge immunologists, it is specifically about
genspezifischem IgG4 ist sogar eher ein of environmental factors that can alter understanding the influencing factors and
Marker für eine natürliche Schutzfunkti- genes or the transcription of genes in effector pathways of allergens, and to apply
on des Körpers. Das zeigt sich darin, dass the cells, has improved. Epidemiological thereby obtained insights in the follow-up
IgG4 mitunter auch bei der spezifischen studies have meanwhile identified several for the ultimate goal of allergy research –
environmental factors that have a protective prevention.
Immuntherapie ansteigt. Somit wäre
or supporting effect on allergy development.
das Therapieren dieser Schutzfunktion The environmental microbiome has recently Keywords
sogar kontraproduktiv für die körperei- gained central interest. A common theme Type I allergy · Environment · Epigenetics ·
gene Immunregulierungsfähigkeit. Die in most of the studies is diversity: reduced Adjuvants · Pollen
exogen allergische Alveolitis stellt eine diversity is correlated with enhanced risk for
chronic inflammatory diseases and allergy.
Sonderform der allergisch bedingten
Lungenentzündung dar. Ihr zu Grunde
liegt eine Typ-III-allergische Reaktion
mit einer Präzipitation von IgG-Antikör- da sie einen sogenannten „Etagenwech- schichten verstärkt wird. Zu dieser Hy-
pern (manchmal auch IgA) zusammen sel“ durchlaufen kann (. Abb. 2). Die ers- pothese passt auch, dass Patienten mit
mit einer zellulären Immunreaktion vom te Etappe der Allergie ist oft das atopische einem angeborenen Barrieredefekt (prä-
Typ IV. Hier ist das allergen-spezifische Ekzem, das meist nach dem 3. Lebens- disponiertes genetisches Merkmal; Filag-
IgG (bei Vögeln und Saccharopolyspora monat auftritt [7]. Zu diesem Zeitpunkt grin-Mutation) ein erhöhtes Risiko ha-
rectivirgula auch IgA) für die Diagnostik bestehen oft noch keine chronisch ma- ben, eine Kontaktallergie oder eine Nah-
wichtig und richtungsweisend. [6]. nifestierten Allergien. Laut einer wissen- rungsmittelallergie zu entwickeln [8, 9].
schaftlichen Hypothese bedingt eine ge- Die Nahrungsmittelallergie stellt
Der „natürliche“ Verlauf der netische Barrierestörung der Haut die er- meistens die zweite Etappe des Eta-
Allergie höhte Wahrscheinlichkeit einer Allergie- genwechsels dar und kann bereits im
ausbildung, da die Durchdringung von ersten Lebensjahr beginnen. Im Kin-
Die Allergie ist auch insofern eine außer- Allergenen und Triggerfaktoren durch desalter treten vor allem Fisch-, Wei-
gewöhnliche immunologische Reaktion, die Oberhaut in tiefer gelegene Haut- zen-, Soja-, Ei- oder Milch-Allergien

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Eine besondere Form der Allergie, die
Atopisches Ekzem gerade im umweltmedizinischen Alltag
Rhinitis
Asthma eine zentrale Rolle spielt, ist die aerogene
Kontaktallergie, eine Form der Allergie,
Häufigkeit

die in ihrer Prävalenz unterschätzt wird


Nahrungsmittel -
allergie
und nach Studien des IVDK gerade in
Verbindung mit Berufsdermatosen von
hoher Bedeutung ist [12]. Ihr zugrunde
liegt eine Typ-IV-Reaktion, also eine zell-
vermittelte Immunreaktion, die mit ei-
Alter
nem Ekzem als klinischem Leitsymptom
einhergeht. Nicht selten kommt es in der
Abb. 2 8 Karriere eines allergischen Individuums: Allergische Erkrankungen treten im Lebensalter Initialphase auch zu Symptomen wie Rhi-
sequenziell auf. Das atopische Ekzem und die Nahrungsmittelallergie gehören zu den zuerst auftre- nitis oder asthmatischen Beschwerden.
tenden allergischen Erkrankungen. Rhinitis und Asthma treten meist später auf. Dieser Wechsel wird
Auslöser sind Duftstoffe, Epoxidharze,
auch als „Etagenwechsel“ der allergischen Erkrankungen bezeichnet
Medikamente [13] und mit steigender
HäufigkeitMethylisothiazolinon[14, 15].
auf. Bei Erwachsenen füllen eher Pol- der letzten Jahre haben allerdings ge-
len-assoziierte Nahrungsmittelallergien zeigt, dass diese Pollenallergene, bzw. die Zunahme von Allergien durch
das Krankheitsspektrum aus, aufgrund spezifische Immunantwort auf sie, nicht einen veränderten Lebensstil
von neu entstandenen Kreuzreaktionen allein für die allergische Reaktion verant-
mit bereits vorhandenen allergischen wortlich sein können. Vielmehr ist daran Eine starke Zunahme von Allergien
Immunreaktionen. Dies impliziert, dass auch eine Vielzahl von (niedermoleku- trat parallel zur Aneignung des soge-
Kinder diese Nahrungsmittelallergien laren) Substanzen beteiligt, welche der nannten „westernized life style“ auf [1].
später „verlieren“, also immunlogisch ge- Pollen beim Kontakt mit der Schleim- Diese Beobachtung wurde in unter-
sehen eine Toleranz entwickeln. Dieser haut der Atemwege freisetzt. Diese Me- schiedlichen epidemiologischen Studien
„natürliche“ Mechanismus muss durch diatoren aus Pollen aktivieren eher un- beschrieben. Die einmalige Gelegen-
Forschung erst noch nachvollzogen wer- spezifischdas angeborene Immunsystem, heit, einen solchen Trend quantitativ zu
den. Möglicherweise könnten chronisch können dabei als Gefahrensignal wirken analysieren, ergab sich nach der Wieder-
erkrankte Kinder ihr atopisches Ekzem und eine proallergische Immunantwort vereinigung Deutschlands. Direkt nach
oder ihre Nahrungsmittelallergie recht- propagieren [10]. Auf Grundlage dessen der Wende wurden zu diesem Zweck
zeitig wieder „verlieren“ und gesunden, kann bei einigen Menschen eine Aller- epidemiologische Studien in beiden Tei-
bevor sie als Folgeerkrankung ein Asth- gie entstehen – andere hingegen reagie- len Deutschlands durchgeführt. Hierbei
ma oder eine Rhinitis entwickeln, eine ren nicht allergisch. Was den Allergiker zeigte sich im Vergleich zu Ostdeutsch-
weitere Etappe im Etagenwechsel. Bis letztendlich zum Allergiker macht, ist bis land eine höhere Allergieprävalenz in
heute versuchen wir durch medizini- heute nicht abschließend geklärt [11]. Westdeutschland. Auch allergische Sym-
sche Forschung herauszufinden, welche Weitere häufige Auslöser von Aller- ptome wie Asthma und Heuschnupfen
Biomarker uns hierbei prognostisch wei- gien stellen Umweltfaktoren wie etwa traten häufiger in Westdeutschland auf
terhelfen werden. In der täglichen Praxis Hausstaubmilben, Schimmelpilze und [16]. Dieser Unterschied nivellierte sich
beobachten wir seit Jahren zusätzlich Nahrungsmittel dar. Insbesondere die ungefähr zehn Jahre nach der Wie-
eine stetig zunehmende Häufigkeit von Sensibilisierung und die allergischen dervereinigung. Als Ursachen dafür
atopischem Ekzem im Alter. Die Gründe Symptome gegenüber Nahrungsmitteln wurden unter anderem die Tatsachen
hierfür sind ebenfalls nicht abschließend nehmen in den letzten Jahren stark zu. herausgearbeitet, dass in „westlichen“ Le-
ermittelt worden. Epidemiologische Stu- Die genaue Ursache für diesen Anstieg ist bensverhältnissen immer mehr Kinder
dien werden uns hier weiterhelfen, diese bislang unklar, kann aber mit der Diversi- ohne (mehrere) Geschwister aufwach-
Beobachtung auf molekularer Ebene tät sowohl in einer Abnahme der Vielfalt sen (Einzelkindstatus), dass das Heizen
nachzuvollziehen. der zugeführten Lebensmittel als auch mit fossilen Brennstoffen abnimmt und
mit der Zunahme von Monokulturen bei die verkehrsabhängige Umweltbelastung
Auslöser von Allergien der Herstellung in Verbindung stehen. zunimmt.
Denn nicht nur die breite Auswahl von Eine 2003 und 2013 in Polen durch-
In Europa sind es vor allem Pollen wind- Lebensmitteln, sondern auch das diverse geführte Studie hatte zum Ziel, den Un-
bestäubter Pflanzen, wie etwa von Grä- Mikrobiom, welches auf pflanzlichen wie terschied der Allergieprävalenz vor und
sern oder der Birke, die Allergien aus- tierischen Produkten zu finden ist, kann nach der Anbindung an die Europäische
lösen können. Dabei konnte die For- als entscheidender Faktor für die Entste- Union zu untersuchen. Hier zeigte sich
schung bislang sogenannte (Haupt-)Al- hung von Nahrungsmittelintoleranzen im Jahr 2003 eine starke Diskrepanz der
lergene identifizieren. Untersuchungen in Erwägung gezogen werden. dortigen urbanen Gebiete mit 20 % zu

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ruralen Arealen mit gerade einmal oder der Immunologie, wo die reine Unter- flugzeiten zu Beginn und am Ende der
immer noch 7 % Allergieprävalenz. 2013 suchung der Signalwege zu kurz griff Pollensaison. Spieksma zeigte 2003, dass
hatte sich die Allergieprävalenz in den und erst die fortlaufende funktionelle Pollenluftkonzentrationen für Birken
urbanen Regionen nicht geändert. Hin- Analyse immunologischer Vorgänge bei im Zeitraum der letzten 20 bis 33 Jah-
gegen waren die Allergieraten im ländli- NCDs wie der Allergie entscheidende re angestiegen sind – allerdings nicht
chen Gebiet auf 20 % gestiegen, was unter Fortschritte für eine individualisierte signifikant, wobei während des glei-
anderem mit einem signifikant reduzier- Therapie gebracht hat. Bei der funk- chen Prüfzeitraums die Konzentration
ten Kontakt mit Tieren einherging [17]. tionellen Analyse des Mikrobioms er- von Gräserpollen sogar sank [22]. Clot
Diese Ergebnisse ergänzen Beobach- hoffen wir uns in Zukunft, gezielt mit berichtet über einen früheren Pollen-
tungen bei Kindern von traditionell be- spezifischen Mikrobiota therapeutisch flugbeginn bei mehreren Pflanzenarten
triebenen Bauernhöfen oder traditionell intervenieren und letztendlich präventiv in der Schweiz [23], während Damia-
lebenden Amish. Sie weisen im Vergleich auf die Allergieentwicklung einwirken lis darüber hinaus für die Region um
zu Kindern von „modernen“ Bauernhö- zu können. Thessaloniki, Griechenland, auch eine
fen ein geringeres Risiko auf, Allergien Darüber hinaus scheint die Diversi- längere Pollenflugzeit im Jahr berichtet
und Asthma zu entwickeln. Das Risi- tät in der Ernährung eine zentrale Rolle [24].
ko ist ebenfalls geringer als bei Kindern zu spielen. So korrelierte die Diversität Was inEuropa die Gräser-und Birken-
der Hutterer, die zwar auch ein tradi- der Nahrung im ersten Lebensjahr ne- pollen verursachen, geschieht in Japan
tionelles Bauernleben führen, allerdings gativ mit der Entstehung von Allergien durch Zedernpollen. Deren Luftkonzen-
mit modernen Maschinen arbeiten [18]. zu einem späteren Zeitpunkt. Das heißt: tration hat laut Yamada in den letzten
Diese Studien unterstützen die Beobach- je abwechslungsreicher die Ernährung in 20 Jahren zugenommen und parallel da-
tung, dass eine Modernisierung der Ge- diesem Zeitraum, desto geringer ist das zu auch die Sensibilisierungen und al-
sellschaft mit einem erhöhten Allergieri- Risiko, Allergienzu entwickeln. Diese Be- lergischen Symptome auf Zedernpollen.
siko einhergeht. Da es heute illusorisch obachtung wurde für Asthma und das Ursache hierfür ist allerdings nicht nur
anmutet, allen Menschen einen traditio- atopische Ekzem bestätigt [21]. Ob am der Klimawandel, sondern anscheinend
nellen Lebensstil aufzuoktroyieren, muss Ende dieser Befund auch wieder etwas auch eine veränderte Bepflanzungsstrate-
es die moderne Wissenschaft schaffen, mit Mikroben zu tun hat, werden detail- gie in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg
die protektiven Umweltfaktoren aus tra- lierte Analysen zeigen. [25].
ditionellen Lebensstilen, wie den frühen
Kontakt mit Tieren und der Natur, zu Zunahme von Allergien und Zunahme von Allergien durch
identifizieren und diese in die Präventi- allergischen Symptomen durch neue Pollenarten
onsentwicklung zu integrieren. mehr Pollen
Ambrosia steht exemplarisch für dieses
Hohe Diversität der Umwelt- Die Phänologie der Pflanzen beschreibt Phänomen. Der Ursprung von „Am-
einwirkung als protektiver die im Jahresablauf periodisch wieder- brosia artemisii folia“ (engl: ragweed,
Faktor kehrenden Entwicklungserscheinungen deutsch: Ambrosia, beifußblättriges
bei Pflanzen. Sie sind generell abhän- Traubenkraut, Beifuß-Ambrosie) liegt
Nach der vollständigen Aufschlüsse- gig von der Temperatur und somit von in den USA. Sie kam als Neophyt unter
lung des menschlichen Genoms steht regionalen Erwärmungsphasen. Ab ei- anderem durch verunreinigtes Vogelfut-
derzeit das sogenannte zweite Genom ner bestimmten Umgebungstemperatur ter nach Europa und breitete sich dort
des Menschen im Zentrum des wissen- wird die Entstehung von Pollen ausge- vor allem in der Region um Ungarn
schaftlichen Interesses: das Mikrobiom. löst. Einmal in Gang gesetzt, können schnell aus. Der Pollen des beifußblätt-
Dieses umfasst alle Mikroben eines Kör- spätere Kältephasen den evtl. verfrüh- rigen Traubenkrauts zählt zu den ag-
perkompartiments. Neueste Ergebnisse ten Zyklus der Pollenproduktion nicht gressivsten Allergieauslösern überhaupt
zeigen, dass die Diversität der Mikro- mehr stoppen. Zudem bestehen auf- und kann sehr schnell zu allergischen
ben, sei es auf der Haut, im Darm oder grund verlängerter Wärmephasen neue Reaktionen wie Asthma führen.
in den Atemwegen, bei Allergien re- Vegetationsnischen für nichtheimische In den USA ist die allergische Sen-
duziert ist [19, 20]. Diese deskriptiven Pflanzenarten wie Ambrosia (siehe un- sibilisierung gegenüber Ambrosiapollen
Analysen überschwemmen gerade die ten). Es wird gemutmaßt, dass globale etwa gleich hoch wie gegenüber Gräser-
wissenschaftlich-medizinische Publika- Klimaveränderungen den Beginn, die pollen. Aufgrund der Erfahrungen in den
tionslandschaft und sind sicherlich hoch Dauer und die Länge des Pollenfluges USA mit dieser Pollenart erwarten Ex-
spannend, aber ohne finale Antwort, was beeinflussen, was sich auf die Zeitspanne perten ähnliche Auswirkungen für Euro-
diese Diversitätsreduktion genau bedeu- des Auftretens von allergischen Symp- pa. Zurzeit stellen in Deutschland noch
tet. In der Mikrobiomforschung werden tomen auswirken könnte. Studien der Gräser- und Birkenpollen die häufigste
wir uns von der reinen Sequenzierung letzten Jahre zum Thema Pollenluftkon- Ursache für Rhinitis allergica dar, gefolgt
wegbewegen und zur funktionellen Ana- zentrationen zeigen unterschiedliche von Hausstaubmilben. Ambrosiapollen
lyse übergehen müssen, genau wie in Trends der Pollenmenge und Pollen- rufen ab etwa 10 Pollenkörnern pro Ku-

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bikmeter Luft allergische Symptome her- fentlichten Studie zeigt sich, dass auch flussen [36]. Zum anderen wirken ver-
vor. Diese Konzentration wird momen- Kohlenstoffdioxid (CO2) in Verbindung kehrsbedingte Umweltfaktoren wie auch
tan in den meisten Bundesländern nur mit Trockenstress die Allergenität der ultrafeine Partikel per se proentzünd-
punktuell erreicht. Im Vergleich: Grä- Ambrosia-Pollen erhöht [31]. Daher lich auf die Schleimhäute, bahnen den
ser haben einen Schwellenwert von et- deuten unsere Untersuchungen darauf Weg zur Sensibilisierung [37] und kön-
wa 15 Pollenkörner/m3 und Birkenpollen hin, dass die Allergenität von Pollen nen auch eine Exazerbation der aller-
von etwa 30 Pollenkörner/m3 . Allerdings unter den Bedingungen des Klimawan- gischen Entzündung anfeuern [38] oder
wissen wir nicht, wie hoch die Pollenluft- dels ansteigen und damit auch einen eine chronische Entzündung unterhalten
konzentrationderAmbrosia für eine Sen- negativen Einfluss auf die menschliche [39].
sibilisierung sein muss. Auch deswegen Gesundheit haben könnte.
ist es schwer, Prognosen zu stellen, wann Zunahme von Allergien durch
die Allergikerzahlen in Europa ansteigen Zunahme von Allergien durch Exposition – oder durch
werden und in welchem Ausmaß dies der anthropogene Umweltfaktoren fehlende Exposition?
Fall sein wird. Mathematische Modelle
wollen eine Verdopplung der Ambrosia- Dass die kindliche Exposition gegenüber Allergenkarenz (die Meidung oder Besei-
sensibilisierung bis 2060, von jetzt 33 auf Rauch die Entwicklung von Allergien för- tigung von Allergenen) ist heute immer
77 Mio. Personen in Europa voraussagen dert, wurde wiederholt in epidemiologi- noch die trivialste und effektivste Form
[26]. schen Studien gezeigt und auch in diesem des Umgangs bei bestehenden Allergie-
Jahr reproduziert. Sowohl die Inzidenz erkrankungen. Allerdings ist eine voll-
Zunahme von Allergien durch an Neurodermitis als auch an Allergien ständige Vermeidung von Pollen prak-
Pollen, deren allergenes insgesamt steigt, wenn Kinder Zigaret- tisch unmöglich. Was helfen kann, sind
Potenzial durch den tenrauch ausgesetzt sind [32]. gute Vorhersagewerkzeuge und Modelle
Klimawandel steigt Urbane und rurale Exposition sind (wie etwa Apps auf dem Smartphone),
von Bedeutung, und gerade die frühe die es dem Allergiker ermöglichen, sei-
Forschungsarbeiten der letzten Jahre Exposition gegenüber Umweltfaktoren, nen Tagesablauf und gegebenenfalls seine
ergaben, dass der momentane Klima- die in ländlicher oder bäuerlicher Um- Medikation besser zu planen [40].
wandel und eine steigende Umwelt- gebung zu finden sind, scheinen protek- Bei der Prävention von Allergien zog
verschmutzung einen Einfluss auf das tiv zu wirken [33]. Der Zeitabschnitt, sich die Vermeidung der Allergenexposi-
Wachstum, die Blütezeit und die Aller- während dem das menschliche Immun- tion durch viele Leitlinien. In den letzten
genität von allergieauslösenden Pflanzen system empfänglich für eine Toleranz- Jahren hat es jedoch eine Änderung der
ausüben. Dadurch steigt das allergene induktion gegenüber Umweltallergenen Empfehlung ergeben. Ausgelöst wurde
Potenzial der Pollen insgesamt. In frühen ist („window of opportunity“), scheint diese unter anderem durch die Ergebnis-
Studien konnte in Expositionsversuchen die sehr frühe Kindheit zu sein, bzw. be- se der sogenannten LEAP-Studie, in der
gezeigt werden, dass Schadstoffe aus der ginnt er bereits intrauterin (vor Geburt). gezeigt wurde, dass eine frühe Expositi-
Verkehrsbelastung zu einer vermehr- Umweltbelastung wurde aber auch mit on (im ersten Lebensjahr) mit Erdnüssen
ten Freisetzung von allergenhaltigen einer systemischen Entzündungsreakti- bei Kindern, die ein familiär erhöhtes Ri-
Partikeln aus Pollen führen [27, 28]. on in Kindern assoziiert [34], was wie- siko für Nahrungsmittelallergien aufwei-
Kürzlich wurde in kontrollierten Kli- derum die zu Beginn beschriebene Ge- sen, zu einem lang anhaltenden Schutz
makammerexperimenten gezeigt, dass meinsamkeit der NCDs, ihre chronische vor der Entwicklung einer Allergie ge-
auch das in lufthygienischer Hinsicht Entzündung und Beeinflussbarkeit durch genüber Nüssen führt [41].
sehr problematische Ozon die Allerge- die Umwelt, bestätigt. Eine europaweite Allerdings müssen diese Daten diffe-
nität der Pflanzenpollen beeinflusst [29]. Studie zu Asthma und Verkehrsbelastung renziert betrachtet werden. Die aus einer
Ozon spielt im freien Feld eine zentrale zeigte zudem, dass eine Exposition ge- frühen Exposition resultierende präven-
Rolle für die Allergenität: Birkenpol- genüber Luftverschmutzung das Risiko tive Wirkung trifft sicherlich nicht auf
len, der in stark mit Ozon belasteten für Asthma im Alter ebenfalls signifikant alle Allergene zu. So zeigt eine 2016 pu-
Regionen gesammelt wurde, beweist erhöht [35]. blizierte Studie, wie die frühe Exposition
sowohl in „Reagenzglasexperimenten“ Der Einfluss von Umweltfaktoren auf gegenüber Schimmelpilzen (in Zusam-
(in vitro) als auch in klinischen Tests die Allergieentstehung und Förderung menhang mit Feuchtigkeit) eher aller-
(in vivo) eine höhere Allergenität als von Symptomen kann dabei mindestens giefördernd wirken kann [42]. Klar wird
Pollen aus Niedrig-Ozon-Gebieten [30]. in zwei unterschiedlichen Kausalketten jedoch durch die zuerst erwähnten Studi-
Da die Ozonkonzentrationen bei stei- auf den Menschen wirken. Zum einen en, dass ein Umdenken in der Forschung
genden Temperaturen im Rahmen des – wie oben beschrieben – wirken Um- und der klinischen Praxis erfolgen muss,
Klimawandels ebenfalls weiter steigen weltfaktoren wie CO2 und Ozon auf den hin zu einer aktiven Entwicklung von
werden, stellt dieses „Klimagas“ einen Allergenträger und scheinen sein aller- Toleranz gegenüber Umweltallergenen.
entscheidenden Risikofaktor für alle genes Potenzial zu erhöhen bzw. auch das Denn dies ist ein Prozess, für den es offen-
Allergiker dar. In einer kürzlich veröf- Mikrobiom des Allergenträgers zu beein- sichtlich ein gewisses zeitliches Fenster

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Leitthema

bei Kindern gibt. Diese Fenster heißt es SIT zugeführt. Das hat viele Gründe. Ein Literatur
nun genauer zu definieren und immu- erschreckend simpler Grund ist, dass im-
nologisch zur charakterisieren, um wir- mer weniger Ärzte eine SIT durchfüh- 1. Bieber T, Akdis C, Lauener R et al (2016)
Global allergy forum and 3rd Davos declaration
kungsvolle Präventionsmaßnahmen flä- ren, da ihnen die Leistung nur schlecht 2015: atopic dermatitis/eczema: challenges and
chendeckend einzuleiten. vergütet wird. Dem entgegen steht das opportunities toward precision medicine. Allergy
immer weiter reichende Verständnis um 71:588–592
2. Chawes BL, Stokholm J, Schoos AM, Rahman N, Brix
Die spezifische Immuntherapie die molekularen und zellulären Mecha- S, Bisgaard H (2016) Allergic sensitization at school
– die einzige kausale Therapie nismen der Immuntherapie. Regulatori- age is a systemic low-grade inflammatory disorder.
sche T-Zellen scheinen neben schützen- Allergy. doi:10.1111/all.13108
der Allergie 3. Ring J, Kramer U, Schafer T, Behrendt H (2001)
den Antikörpern wie IgG4 eine zentrale Why are allergies increasing? Curr Opin Immunol
Die Geschichte der spezifischen Immun- Rolle dabei einzunehmen. Es fehlt al- 13:701–708
therapie (SIT) geht bis weit in das letz- lerdings bis heute an Biomarkern, die 4. Zuberbier T, Lotvall J, Simoens S, Subramanian S,
Church MK (2014) Economic burden of inadequate
te Jahrhundert zurück. Die erste pro- eine erfolgreiche Immuntherapie anzei- management of allergic diseases in the European
minent im Lancet publizierte „prophy- gen oder gar voraussagen können. Hier Union: a GA(2)LEN review. Allergy 69(10):1275.
laktische Inokulation gegen Heuschnup- ist die Forschung insbesondere in der doi:10.1111/all.12470
5. Traidl-Hoffmann C, Jakob T, Behrendt H (2009)
fen“ datiert auf das Jahr 1911. Der Autor Umweltmedizin gefragt. Determinants of allergenicity. J Allergy Clin
Noon L. verstand damals Heuschnupfen Immunol 123:558–566
als eine Reaktion auf Toxine aus Pol- 6. Girard M, Israel-Assayag E, Cormier Y (2004)
Die Allergie – eine Erkrankung, Pathogenesis of hypersensitivity pneumonitis.
len und wollte durch die „Inokulation“ die mehr Beachtung erfordert Curr Opin Allergy Clin Immunol 4:93–98
eine Impfung gegen diese Toxine errei- 7. Werfel T, Allam JP, Biedermann T et al (2016)
chen. Obwohl wir heute die immunologi- Diese Ausführungen machen klar, dass Cellular and molecular immunologic mechanisms
in patients with atopic dermatitis. J Allergy Clin
schen Mechanismen der Allergie besser wir in der Allergieforschung einen Immunol 138:336–349
verstanden haben, ist der ursprüngliche großen Schritt vorangekommen sind. 8. Thyssen JP, Linneberg A, Ross-Hansen K et al (2013)
Ansatz von Noon auch aus heutiger im- Allerdings gibt es immer mehr Aller- Filaggrin mutations are strongly associated with
contactsensitizationinindividualswithdermatitis.
munologischer Sicht immer noch genau gien, und von einer Strategie für eine Contact Derm 68:273–276
der richtige: die Exposition gegenüber flächendeckende Prävention sind wir 9. Filipiak-Pittroff B, Schnopp C, Berdel D et al (2011)
dem auslösenden Agens in aufsteigen- weit entfernt, geschweige denn von wis- Predictive value of food sensitization and filaggrin
mutations in children with eczema. J Allergy Clin
den Dosierungen legt im Immunsystem senschaftlichen Grundlagen für deren Immunol 128:1235–1241e5
einen Schalter in Richtung Regulation Entwicklung. Es gibt in Deutschland 10. Wimmer M, Alessandrini F, Gilles S et al (2015)
um. Heute ist die spezifische Immunthe- keine koordinierte Forschungsinitiative Pollen-derived adenosine is a necessary cofactor
for ragweed allergy. Allergy 70:944–954
rapie eine leitliniengerechte Behandlung zum Thema „Allergie“. Nur in einer 11. Gilles S, Behrendt H, Ring J, Traidl-Hoffmann C
der Allergie, die nicht nur eine bestehen- gemeinsamen Forschungsanstrengung (2012) The pollen enigma: modulation of the
de Allergie „heilen“ kann, sondern auch lassen sich die Herausforderungen, wel- allergic immune response by non-allergenic,
pollen-derived compounds. Curr Pharm Des
als Prävention für den Etagenwechsel – che allergische Erkrankungen in Zukunft 18:2314–2319
von der Rhinitis zum Asthma – ange- vermehrt an Mediziner, Patienten und 12. Breuer K, Uter W, Geier J (2015) Epidemiological
sehen wird [43]. Zur Verfügung stehen die gesamte Gesellschaft stellen, sicher data on airborne contact dermatitis – results of the
IVDK. Contact Derm 73:239–247
mehrere Präparate, sowohl als sublingua- meistern. 13. Swinnen I, Ghys K, Kerre S, Constandt L, Goossens
le als auch subkutane Verabreichungen, A (2014) Occupational airborne contact dermatitis
die vergleichbare Effizienz aufweisen. Die from benzodiazepines and other drugs. Contact
Korrespondenzadresse Derm 70:227–232
Erfolgsraten sind in den letzten Jahren 14. Swinnen I, Goossens A (2013) An update on
Univ.-Prof. Dr. med. C. Traidl-Hoffmann
durch neue Allergenpräparationen, Ad- airborne contact dermatitis: 2007–2011. Contact
Lehrstuhl für Umweltmedizin, UNIKA-T, Derm 68:232–238
juvanzien oder Designerproteine gestie- Technische Universität München 15. Hunter KJ, Shelley JC, Haworth AE (2008) Airborne
gen oder versprechen in den nächsten Neusässer Straße 47, 86156 Augsburg, allergic contact dermatitis to methylchloroisothia-
Jahren eine Zunahme der Effizienz. Ein Deutschland zolinone/methylisothiazolinone in ironing water.
hohes Potenzial hat auch die Kombina- umweltmedizin.med@tum.de Contact Derm 58:183–184
claudia.traidl-hoffmann@tum.de 16. Kramer U, Schmitz R, Ring J, Behrendt H (2015)
tion der SIT zusammen mit sogenann- What can reunification of East and West Germany
ten „Biologicals“. In mehreren Studien tell us about the cause of the allergy epidemic? Clin
konnte bereits gezeigt werden, dass eine Exp Allergy 45:94–107
17. Sozanska B, Blaszczyk M, Pearce N, Cullinan P
Kombination einer Hyposensibilisierung Einhaltung ethischer Richtlinien (2014) Atopy and allergic respiratory disease
und der spezifischen Blockade von Zyto- in rural Poland before and after accession to
kinen oder Antikörpern die Effektivität the European Union. J Allergy Clin Immunol
Interessenkonflikt. C. Traidl-Hoffmann gibt an, dass 133:1347–1353
der Allergietherapie verstärkt oder die kein Interessenkonflikt besteht. 18. Stein MM, Hrusch CL, Gozdz J et al (2016) Innate
Nebenwirkungsrate verringert [44, 45]. immunity and asthma risk in amish and hutterite
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren farm children. N Engl J Med 375:411–421
Leider ist bis heute die Versorgung durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. 19. Nylund L, Nermes M, Isolauri E, Salminen S, De Vos
allergischer Patienten ungenügend. Nur WM, Satokari R (2015) Severity of atopic disease
etwa 20 % der Allergiker werden einer inversely correlates with intestinal microbiota

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diversity and butyrate-producing bacteria. Allergy responses to in vitro and in vivo particle exposures.
70:241–244 Inhal Toxicol 20:319–337
20. Hua X, Goedert JJ, Pu A, Yu G, Shi J (2016) Allergy 38. Riediker M, Monn C, Koller T, Stahel WA, Wuthrich B
associations with the adult fecal microbiota: (2001) Air pollutants enhance rhinoconjunctivitis
analysis of the American Gut Project. EBioMedicine symptoms in pollen-allergic individuals. Ann
3:172–179 Allergy Asthma Immunol 87:311–318
21. Roduit C, Frei R, Depner M et al (2014) Increased 39. Schaumann F, Fromke C, Dijkstra D et al (2014)
food diversity in the first year of life is inversely Effects of ultrafine particles on the allergic
associated with allergic diseases. J Allergy Clin inflammation in the lung of asthmatics: results of
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