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1 Anerkennung

Vollzug der Anerkennung


Anerkennung als eine bejahende und erkennende Zuschreibung von Identität schafft ein wechselseitiges
Gesicht-geben, das die Betreffenden in die Lage versetzt, von sich und anderen in ihrer Eigenheit als Be-
sonderheit einer Andersheit erkannt zu werden. Bei der Verdeutlichung und Realisation dieser Aufgabe hilft
eine Bestimmung weiter, die Karl Jaspers zu verdanken ist: er bezeichnet in seiner Philosophie den »Vollzug
der Anerkennung« als »Toleranz«. Auch in vielen anderen Bestimmungen wird die Toleranz zum
Erkenntnismedium und zum kategorialen Bedingungsbegriff der hier diskutierten Anerkennung. 1990
definieren die Historiker Besier und Schreiner Toleranz als »aktive Anerkennung von Andersheit«; für
Theologen wie Gustav Mensching oder Helmut Thielicke wird entsprechend der Charakter religiöser Tole-
ranz in der Anerkennung fremder Religionen praktisch. Entsprechend betont 1990 Iring Fetscher: »Anerken-
nung verlangt ja nicht die Übernahme des Glaubens, der Lebensform, der kulturellen Eigenart des anderen,
sondern nur ihre Respektierung als gleichberechtigt«. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Bundes-
republik Deutschland vom 17. Dezember 1975 konkretisiert den Inhalt dieser ›Anerkennung‹: Toleranz wird
definiert »nicht als nivellierender Ausgleich, sondern als Anerkennung der Freiheit der Persönlichkeit«. Die
formulierte Einsicht ist aber nicht erst eine Errungenschaft unserer Zeit, sie spiegelt vielmehr den langen
Weg der Ausformung des Konzepts, wie der Toleranzartikel des Conversations-Lexicons von 1815
verdeutlicht. »Toleranz«, so heißt es dort in zeitgemäßer Verteidigung der Denkfreiheit, »ist die tätige
Anerkennung der Freiheit, die jedermann hat, [...] seiner eigenen Überzeugung zu folgen«.4
Insofern interkulturelle Germanistik die kulturelle Pluralität als Grundverfassung der menschlichen
Wirklichkeit erkennt und anerkennt und die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel anderskultureller Sehweisen
zu erkennen und anzuerkennen sucht, trägt sie im Sinne Jan Assmanns zu einer ›Toleranz der Integration‹
bei.5 Diese Auffassung substantialisiert die Anerkennung als Konstitution einer neuen Beziehungsordnung,
die dem Anerkennenden und dem Anerkannten gemeinsam ist. Sie heißt: Interkulturalität.

2 Toleranz
Toleranz als Arbeit an uns selbst
Es ist ersichtlich, dass die hier diskutierte Toleranz den Menschen weder in ihrer Variante als Anerkennung
unserer Identität noch als Verstehensleistung mehrperspektivischen Sehens in den Schoß fällt. Toleranz ist
als Beziehungsgestaltung eine lebensnotwendige Arbeit, die ebenso wenig wie das Essen von anderen
übernommen werden kann; sie ist an die Person und ihre Handlungsbereitschaft gebunden. Sie entsteht nicht
auf mythische Art, sondern durch eigene Leistung, als Eigenleistung. Diese Leistung, verstanden als Arbeit
in der Lebenszeit, weist vielfältige Formen auf: Anerkennungsarbeit, Verstehensarbeit, Beziehungsarbeit,
Erkenntnisarbeit; immer handelt es sich dabei um Arbeit an uns selbst. Denn der Andere, der von uns in
seiner Andersheit und Differenz respektiert werden will, dieser Andere sind wir auch immer selbst, insofern
wir für Andere eben der andere sind. Der Akt der Toleranz ist daher immer eine Leistung, die unsere
Eigenheit nicht schwächt, sondern stärkt, wie es Grass betonte, weil sie uns die Phantasie abverlangt,
Selbstbegründungen zu bauen, auf denen unsere jeweilige Eigenheit als Andersheit konturiert und gefestigt
werden kann. Toleranz setzt eine gewisse Ichstärke voraus und bildet sie, darum ist die Toleranz oft als
Tugend des Alters bezeichnet worden: »nur der«, schreibt Mitscherlich, »dem die eigene Leistung
verteidigenswert ist, wird ernsthaftes Verständnis für die Lebenswelt der anderen aufbringen. Toleranz ist
also alles andere als schlaffes Hinnehmen [...]. Sie ist nur möglich, wo die kreativen Leistungen anderer
meine eigene Leistungskraft herausfordern« (Mitscherlich 1983b, 454).
Ein konstitutives Merkmal dieser Leistungskraft ist die Erkenntnis und Wahrung von Zumutbarkeitsgren-
zen, also des Zumutungsgehalts aller Kommunikation, dessen menschenrechtliche Beachtung sich im Begriff
der Höflichkeit ausdrückt. Darum sind von einer kulturwissenschaftlich orientierten Toleranzforschung
schon im Interesse der Sicherung ihrer eigenen Bedingungen die Toleranzformen der interkulturellen
Überschneidungssituationen vor allem in der empirischen alltäglichen Arbeitswelt zu sichten, zu prüfen und
gegebenenfalls neu zu diskutieren. Zugleich ist die Toleranzforschung aufgerufen, unsere Sensibilität und
Kompetenz für die Erarbeitung eines komplexen Konzepts von Grenze zu schärfen. Dabei werden
Toleranzgrenzen generell nicht eigentlich als Abwehrlinien, sondern als Bedingungen kultureller Eigenheit
und Vielheit zu verstehen sein, deren Identität als Alterität anerkannt sein will, weil sich eine Gesellschaft
nicht auf dem Fundament der Verabsolutierung des Eigenen, sondern, um nochmals Adorno anzuführen, nur
auf der Basis der »Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen« bauen lässt (1989,
113 f.). Ein Baustein zu solcher Versöhnung in Gegenwart und Zukunft ist die Toleranz.

3 Dialog
Konturen des Dialogbegriffs der inter- kulturellen Germanistik
Es ist am Ende zu fragen, wieweit der traditionelle Dialog-Begriff, der in Europa eine so lange Geschichte
und einen so großen Bedeutungshof aufweist, in anderen europafernen, Kulturen – auch für den inter-
nationalen Austausch – eine Rolle spielt und spielen kann. Die großen japanischen, indischen oder
indonesischen Enzyklopädien z.B. greifen den Begriff nicht auf. Gespräche weisen in diesen Ländern wohl
nicht im gleichen Maße die spezifischen Eigenschaften des Dialogs als vermittelnder und Distanz setzender
Auseinandersetzung und Erkenntnisgewinnung unter potentiell Gleichberechtigten auf. Beim Gespräch und
beim »Mon-Dô« (als Frage-Erwiderungs-Ereignis) im Zen-Buddhismus geht es nach S. Ueda (1982) nicht
um das Gespräch als Erklärung oder rationale Lehre, sondern um den Ereignischarakter der Ich-Du-Bezie-
hung in ihrer »Grundlosigkeit« und um das Sich-Versenken in das ereignishafte »Zwischen«. Zu erinnern ist
hier daran, dass das Japanische wie das Chinesische die grammatischen Gesprächsrollen des Ich und Du der
europäischen Sprachen nicht kennen und den Dialogbegriff als ›Gespräch unter zweien‹ aus Europa
übernommen haben. Im Chinesischen hat das mündliche Gespräch zudem weit weniger Prestige als das
Geschriebene und kann die Hierarchie der Sprecher gefährden. Wissenschaftlicher Austausch sieht
entsprechend anders aus als ein kontroverser Dialog unter europäischen Forschern, so wie in Japan das
intensive Aufnehmen des Fremden nach der Öffnung des Landes kaum als »Dialog« mit dem Westen
gesehen werden kann (Krusche 1983).
Im Gegensatz dazu wurden in afrikanischen Gesellschaften, wo mündliche Kommunikation traditionell
dominierte, im öffentlichen ausführlichen »Palaver« unter Anleitung der Weisen solidarische
Gemeinschaftsentscheidungen getroffen, indem im Erfahrungsaustausch, unter Berücksichtigung der
Geschichte der Gemeinschaft und der Interessen aller ein Konsens gesucht wurde, der Homogenität unter
Vermeidung von Opposition ermöglichte (Bujo 1993).
Angesichts der begrenzten kulturellen Reichweite des hier vorgeschlagenen Dialogbegriffs, dessen
nationaldifferente Varianten bisher nicht einmal für die europäischen Nachbarstaaten genauer untersucht
worden sind, bleibt der interkulturellen Germanistik die Aufgabe, im kritischen Rückgriff auf den eu-
ropäisch- deutschen Begriff ein Dialog-Konzept zu finden, das sowohl universalistisch angelegt ist als auch
solche Elemente enthält, die nur regionale Gültigkeit haben. Dialogfähigkeit darf kein exklusives Merkmal
aufgeklärter Mehrheiten im europäischen Sinne sein. Grundsätzlich festzuhalten wäre an der leitenden Idee
eines argumentierenden, sachbezogenen, aber in der Person vermittelten Austauschs im Gespräch, an einer
vom Ergebnis her offenen Verständigung in der Pluralität der Redeperspektiven. Dies kann gegenseitiges
Unterbrechen, Widerspruch und Einwände mit einschließen und setzt Offenheit für die Überzeugungen des
anderen, Achtung vor seiner Identität, Erkennen und Anerkennen der Kulturalität der Standpunkte voraus.
Die zu entwickelnde »Kultur des Dialogs« wird den Dialogpartnern die Freiräume öffnen, die eine
Partizipation auch im Sinne ihrer eigenen kulturellen Traditionen ermöglichen. Auch hier ist die
Überschneidung mit dem Thema Toleranz und die parallele Problematik der Suche nach einem interkulturell
gültigen Begriff unübersehbar. Aufgabe der interkulturellen Germanistik wäre die Entwicklung und
Umsetzung eines – sich erst aus der weltweiten Praxis ergebenden – handlungs- und prozessorientierten,
nicht präskriptiven Dialogkonzepts, welches – selbst ein Stück Dialogkultur – zum Dialog im beschriebenen
Sinne befähigt.

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