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Roman
Blut.
Irgendwie falsches Blut.
Stevie Rae hielt an. In fast raubtierhafter
Weise nahm sie die Witterung auf. Die Luft
war von dem feuchten, dumpfen Geruch von
Eis auf Erde erfüllt, vom frischen zimtähn-
lichen Duft der winterlichen Bäume und von
der menschengemachten Ausdünstung des
Asphalts unter ihren Füßen. Sie blendete all
diese Gerüche aus und konzentrierte sich al-
lein auf das Blut. Es war kein menschliches
Blut, auch keines von einem Jungvampyr –
es roch nicht nach Frühling und Sonnen-
licht, nach Honig und Schokolade, nach
Leben und Liebe und allem, wovon sie je
geträumt hatte. Nein, dieses Blut roch zu
dunkel. Zu schwer. Zu viel war darin, was
nicht menschlich war. Aber es war trotz al-
lem Blut, und es zog sie an, auch wenn sie
tief drinnen wusste, wie falsch es war.
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»Ja.«
»Das heißt also, wenn du ihn bei dir hast,
ist das ungefähr so, als hättest du den Ter-
minator als Bodyguard?«
Da musste ich lächeln. »Na ja, so ein
Muskelprotz wie Arnie ist er nicht, aber der
Vergleich ist ganz gut.«
»Liebt er dich auch?«
Die Frage traf mich völlig unerwartet. Ich
wusste nicht, was ich erwidern sollte. Aber
wie schon seit der Grundschule schien
Heath mal wieder instinktiv zu wissen, was
er sagen musste. »Sag mir einfach die
Wahrheit.«
»Ja. Ich glaube, er liebt mich.«
»Und du ihn?«
»Vielleicht«, gab ich widerstrebend zu.
»Aber das ändert nichts daran, was ich für
dich empfinde.«
»Aber was bedeutet es für unser Verhält-
nis zueinander?«
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Eigentlich-ist-sie-gar-nicht-so-schlimm-Ver-
teidigungsrede abzuwehren. »Ich will jetzt
nicht über deine Freundin reden. Ich will
wissen, wie es Stark wirklich geht.«
»Stark ist auf dem Wege der Besserung.«
Man konnte die große Lücke nach diesem
Satz fast schon sehen. Ich hob beide Augen-
brauen. »Aber …?«
»Aber nichts. Stark ist auf dem Wege der
Besserung.«
»Warum hab ich dann das Gefühl, das
wäre nicht alles?«
Darius ließ einen Herzschlag ver-
streichen. Dann lächelte er ein bisschen ver-
legen. »Vielleicht, weil deine Intuition so
hoch ist, dass du spürst, dass es nicht alles
ist.«
»Also gut. Was ist los?«
»Es hat mit Energie und Geist und Blut zu
tun. Oder sagen wir: damit, dass es Stark
momentan daran mangelt.«
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»Unglaublich!«
Mit einem kleinen Kiekser ließ ich mein T-
Shirt los und sprang so hastig zurück, dass
ich mir den Kopf an der Wand stieß.
»Erik!«
Elf
Zoey
»Ich dachte, du hättest gesehen, dass ich da
bin. Ich hab mir nicht gerade Mühe
gegeben, mich zu verstecken.«
Erik saß gar nicht weit entfernt von mir
auf dem Boden, neben einer Tür, auf der
eine 13 aus Messing prangte. Er stand auf
und kam lässig zu mir herüber, sein
Markenzeichen-Filmstar-Lächeln im Gesicht.
»Mann, Z, ich warte hier schon seit
Ewigkeiten.« Er beugte sich vor, und bevor
ich auch nur ein Wort sagen konnte, hatte er
mir einen dicken Kuss mitten auf den Mund
gegeben.
Ich schob ihn weg und wand mich seit-
wärts aus der Umarmung, in die er mich
schließen wollte. »Ich bin gerade nicht in
der Stimmung zum Küssen, Erik.«
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Ich erstarrte.
Langsam glitt seine Hand von meiner
Wange abwärts, meinen Hals entlang, bran-
nte eine Spur aus eisiger Hitze in meine
Haut.
»Du spielst mit mir. Du glaubst, du kön-
ntest das Schulmädchen spielen, das nichts
von dem begreift, was über ihre morgige
Kleidung oder ihren nächsten Kuss hinaus-
geht. Du unterschätzt mich. Ich kenne dich,
A-ya. Ich kenne dich viel zu gut.«
Kalonas Hand glitt weiter an mir herab,
und ich sog erschrocken den Atem ein, als er
meine Brust umfasste. Mit dem Daumen
streichelte er die empfindlichste Stelle, und
ich wurde von einem Stoß eiskalten Verlan-
gens geschüttelt. Egal wie sehr ich mich be-
mühte, ich konnte nicht verhindern, dass ich
bei seiner Liebkosung erzitterte. Dort auf
dem Dach meines Traumes, mit dem Meer
im Rücken und Kalona vor mir, war ich
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»Ja.«
»War sie angenehm oder unangenehm?«
»Beides! Zuerst war sie entsetzlich, aber
dann wurde ich mehr und mehr zu A-ya, und
alles wurde anders. Sie hat ihn geliebt,
Grandma. Das konnte ich spüren.«
Grandma nickte und sagte langsam: »Ja,
u-we-tsi a-ge-hu-tsa, das ergibt Sinn. A-ya
wurde geschaffen, um ihn zu lieben.«
»Aber mir kommt’s so vor, als hätte ich
dann keine Kontrolle mehr, und das macht
mir Angst!«
»Pssst, Tochter«, versuchte Grandma,
mich zu besänftigen. »Niemand ist frei von
seiner Vergangenheit. Doch es liegt in un-
serer Macht, uns nicht von Vergangenem
vorschreiben zu lassen, wie wir heute zu
handeln haben.«
»Auch wenn es so tief in der Seele ver-
ankert ist?«
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gedehnten Südstaaten-Kleinmädchentonfall
hinein und sagte: »›Onkel Jack? Was ist eine
Hurendame?‹«
»Ich glaube nicht, dass das das wichtigste
Zitat aus dem Buch ist«, sagte ich, aber
lachen musste ich trotzdem.
»Okay, wie wär’s damit: ›Die rotznäsige
Schlampe von Lehrerin is’ noch nich ge-
boren, die mich rumkommandiert!‹ Das mag
ich wirklich am allerliebsten.«
»Du hast eine echt schräge Phantasie,
James Stark.« Ich lächelte und fühlte mich
warm und glücklich, als wir in die lange Ein-
fahrt des House of Night einbogen. Ich
dachte gerade, wie magisch alles aussah, so
hell erleuchtet und einladend, als mir auffiel,
dass die Notgeneratoren und altmodischen
Gaslampen der Schule mehr Licht als üblich
zu erzeugen schienen. Und dann erkannte
ich, dass das Licht überhaupt nicht von den
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»Ich versuch’s.«
»Wäge deine Gefühle gut ab und gehe sie
mit Logik und Überlegung an. Du bist nicht
A-ya. Du bist Zoey Redbird, und du hast ein-
en freien Willen. Wenn das Gefühl, A-ya zu
sein, dich zu überwältigen droht, dann richte
dein Augenmerk auf deine Freunde, vor al-
lem auf Heath und Stark. Sie sind an dich,
an Zoey, gebunden, nicht an den Geist eines
Cherokee-Mädchens aus grauer Vorzeit.«
»Hast recht, Grandma. Ich werde daran
denken. Ich bin ich, und daran wird sich
nichts ändern.«
»Zo! Wir können einsteigen!«, rief Heath.
»Ich muss gehen, Grandma. Ich liebe
dich!«
»Meine Liebe ist bei dir, u-we-tsi a-ge-hu-
tsa.«
Neu belebt durch Grandmas Liebe, betrat
ich die Maschine. Grandma hatte recht. Ich
musste das, was ich über Kalona zu wissen
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Treffen um 6?
OK
Nee. Bis um 6.
Hahahahahaha
»Mehr?«
»So, dass ich mich nicht gut dabei fühle,
wenn ich daran denke, wie nahe du dem
Tode gewesen bist«, gab er widerstrebend in
ärgerlichem Ton zu.
»Ist das alles?«
»Nein. Doch. Ich weiß es nicht!« Er stieß
sich mit dem Daumen auf die Brust. »Ich
kenne das nicht.«
»Was?«
»Dieses Gefühl. Ich weiß nicht, wie ich es
nennen soll.«
»Vielleicht Freundschaft?«
»Unmöglich.«
Stevie Rae grinste. »Na ja, ich hab schon
zu Zoey gesagt: Vielleicht sind Sachen, die
wir früher mal für unmöglich gehalten
haben, nich ganz so schwarz und weiß.«
»Nicht schwarz und weiß, sondern gut
und böse. Du und ich stehen auf
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HOUSE OF NIGHT
VERBRANNT
Roman
Eins
Kalona
Kalona hob die Hände. Er zögerte nicht. In
ihm war kein irgend gearteter Zweifel, was
er zu tun hatte. Nichts und niemand hatte
das Recht, ihm im Weg zu stehen, und dieser
Menschenjunge stand zwischen ihm und
dem, was er begehrte. Er wünschte dem Jun-
gen nicht ausdrücklich den Tod; er wünschte
ihm aber auch nicht das Leben. Es war eine
Sache der Notwendigkeit. Er verspürte
weder Reue noch Gewissensbisse. Wie eh
und je, seit er gefallen war, spürte Kalona
ziemlich wenig. Gleichgültig drehte der ge-
flügelte Unsterbliche dem Jungen also den
Hals um und setzte dessen Leben ein Ende.
»Nein!«
In dem Wort allein steckte solche Panik,
dass Kalona das Herz gefror. Er ließ den
leblosen Körper des Jungen fallen und wir-
belte herum, gerade noch rechtzeitig, um zu
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»Was?«
»Spar dir diesen Scheiß für Erik und Len-
obia und so weiter. Diese Arschlöcher woll-
ten dich umbringen, oder?«
»Dallas, ich hab keine Ahnung, was du
meinst.« Sie versuchte, ihre Hand aus seiner
zu befreien, aber er hielt sie fest.
»Hey.« Seine Stimme wurde weicher, und
er berührte zärtlich ihre Wange, bis ihr Blick
wieder zu ihm kroch. »Bin doch bloß ich. Du
weißt, dass du mir die Wahrheit sagen
kannst und ich das Maul halte.«
Stevie Rae stieß einen langen Atemzug
aus. »Ich will nich, dass Lenobia oder
sonstwer es erfährt, vor allem keiner von
den blauen Jungvampyren.«
Dallas sah sie lange an, bevor er sprach.
»Ich werd keinem was sagen. Aber weißt du,
ich glaub, du machst da ’nen Riesenfehler.
Du kannst die nicht ewig beschützen.«
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