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HERBERT LIPPERT

Fachsprache Medizin

Die Fachsprache der Medizin ist charakterisiert durch einen nahezu unüber-
schaubaren W ortschatz. M edizinische T exte m uten den Laien daher o ft als
“ chinesisch” an, und schon P etrarca h atte den V orw urf erhoben, die
Ä rzte versteckten hinter gelehrten Bezeichnungen nur ihre eigene U nkennt-
nis (41). Die m edizinische Fachsprache unterscheidet sich hinsichtlich
der U nverständlichkeit für A ußenstehende jedoch kaum von anderen F ach-
sprachen. Sie wird lediglich stärker beachtet, denn G esundheit und K rank-
heit beanspruchen bei jedem M enschen ein vitales Interesse. Ein kom m u-
nikationsorientiertes W örterbuch hat daher eine besondere V erpflichtung,
die Verständigung zwischen A rzt und Laien zu erleichtern.

1. Umfang des W ortschatzes

Im Gegensatz etw a zur M athem atik, deren Begriffsgebäude sich aus w eni-
gen A xiom en ableiten läßt, ist die m edizinische W issenschaft gekennzeich-
net durch eine überw ältigende Menge an E inzelbefunden, für die häufig
noch das einigende Band fehlt. Die Folge ist eine F lu t von o ft nebenein-
anderstehenden Begriffen, w obei m ehrere N am en für den gleichen Gegen-
stand eher die Regel als die A usnahm e sind. E ine auch nur annähernd ge-
naue Angabe über den Umfang des medizinischen Fachw ortschatzes ist
nicht möglich. Die Medizin ist in einer stürm ischen Entw icklung begriffen.
Täglich w erden neue Begriffe kreiert, andere w erden durch neue E rk en n t-
nisse überholt und geraten allmählich in V ergessenheit. D aneben b esteh t
ein erheblicher U nterschied zwischen der Zahl der tatsächlich verw ende-
ten und der nach term inologischen Regeln möglichen Fachw örter. Wie
noch näher auszuführen ist, w erden viele m edizinische F ach w ö rter durch
A bw andlung eines G rundw ortes m it Hilfe von Prä- und Suffixen m it fester
Bedeutung gew onnen. D am it könnte m an für ein W örterbuch F achw örter
geradezu auf V orrat bilden, ohne Rücksicht darauf, ob sie je benötigt w er-
den.
Für den Umfang des medizinischen W ortschatzes liegt eine Schätzung von
Porep und Steudel aus dem Jahre 1974 (35) vor, die etw a 80 000 Namen
für M edikam ente, 10 000 N am en zur Bezeichnung von K örperteilen, Or-
ganen und O rganteilen, 20 000 N am en zur Bezeichnung von O rganfunk-
tionen und 60 000 N am en für K rankheitsbezeichnungen, U ntersuchungs-
verfahren und O perationsm ethoden annehm en, was zusam m engenom m en

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zu 170 000 N am en führt. Wie sich unschw er zeigen läßt, ist diese Zahl viel
zu niedrig, denn das “ R eallexikon der M edizin” (38) w eist bereits rund
240 000 L em m ata auf. In dieses sechsbändige Werk sind aber die Handels-
nam en von M edikam enten noch gar nicht aufgenom m en. Ein Vergleich
m it dem vierbändigen “ D ictionaire français de m édecine et de biologie”
(25), für welches 150 000 Begriffe gesichtet w urden, zeigt zudem keines-
wegs V ollständigkeit des Begriffschatzes auf. Die oben angegebenen
10 000 N am en zur Bezeichnung von K örperteilen, Organen und Organ-
teilen w erden bereits von den international akzeptierten lateinischen N o-
m ina anatom ica, histologica et em bryologica erreicht. Hinzu kom m t aber
m indestens die gleiche Zahl von deutschen oder eindeutschenden Bezeich-
nungen oder von inoffiziellen lateinischen S ynonym en (s.u.). Eine Schät-
zung des medizinischen W ortschatzes auf eine halbe Million Namen (10,
27) dürfte daher keineswegs zu hoch gegriffen sein.

2. H orizontale Gliederung

A ngesichts des Umfangs des G esam tw ortschatzes w undert es nicht, wenn


die M edizin in zahlreiche Fachgebiete gegliedert ist, deren Teilfachsprachen
differieren. Es gibt verschiedene A usgangspunkte zur System atik dieser
Fachgebiete. U nter fachsprachlichem A spekt erscheint m ir eine Einteilung
in “ praktische” und “ theoretische” Fächer zweckmäßig, je nachdem ob
sie sich u nm ittelbar dem Patienten widm en oder nicht.
Für den Laien als möglichen Patienten stehen die Fächer der praktischen
M edizin im V ordergrund. G eht m an von den am tlich anerkannten F ach-
arztbezeichnungen aus, so kom m t m an auf rund 30 Fachgebiete (Tabelle 1;
S.88). Die Zahl der anerkannten Facharztbezeichnungen differiert in
BRD, DDR, Ö sterreich und Schweiz etwas, sie ist zudem in einem lang-
samen, aber stetigen W achstum sprozeß infolge von Verselbständigung
von Teilgebieten begriffen. Die T eilfachsprachen der Fächer der prakti-
schen M edizin unterscheiden sich weniger qualitativ als quantitativ, d.h.
die einzelnen Term ini des G esam tw ortschatzes w erden m it unterschied-
licher H äufigkeit gebraucht.
U nter term inologischem A spekt sind die Fächer der theoretischen Medi-
zin wichtiger. Sie sind die w issenschaftlichen G rundlagenfächer, aus de-
nen der überwiegende Teil des W ortschatzes der praktischen Medizin
entstam m t. Die w ichtigsten sind:
A natom ie,
Physiologie,
Biochemie,

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Tabelle 1. In der B undesrepublik D eutschland gesetzlich zugelassene
Facharztbezeichnungen und Zusatzbezeichnungen, die aufgrund von 4-
bisöjähriger W eiterbildung (1- bis 3jähriger bei den Z usatzbezeichnungen) in
den betreffenden Fachgebieten nach A nerkennung durch die Ä rztekam m er
des betreffenden Bundeslandes geführt w erden dürfen.

1. A rztbezeichnungen
A llg em ein m ed izin
A nästhesie
A u g en h eilku n de
Chirurgie
T eilgebiete: K inderchirurgie
Unfallchirurgie
D erm atologie u n d V enerologie
F rauenheilkunde und G ebu rtsh ilfe
H als-Nasen-O hren-H eilkunde
Innere M edizin
T eilgebiete: G astroen terologie
K ardiologie
Lungen- und B ronchialheilkunde
K in derh eilkun de
T eilgebiet: K in derkardiologie
K inder- und J u gen dpsych iatrie
L abo ra to riu m sm ed izin
Lungen- und B ron ch ialbeilku n de
M und- und K ieferchirurgie
N erven h eilku nde
Ne uro ch irurgie
O rth opädie
P athologische A n a to m ie
Pharm akologie
R adiologie
U rologie

2. Zusatzbezeichnungen
A rb eitsm ed izin
B adearzt
B ehandlung von S tim m - und Sprachstörungen
H o m ö o p a th ie
N aturheilverfahren
P sych oth erapie
S p o rtm ed izin
T ropen kran kh eiten

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medizinische Psychologie
und Soziologie,
Pathologie,
Mikrobiologie,
Pharm akologie.
Die U nterschiede zwischen den Teilfachsprachen der Fächer der th eo -
retischen Medizin sind fundam ental, es sind w eitgehend voneinander
unabhängige Sprachen. So weisen die Teilfachsprachen des m edizinischen
Psychologen und des M ikrobiologen kaum Ü berschneidungen auf, w äh-
rend zwischen A natom ie und Physiologie oder zwischen Biochemie und
Pharm akologie engere Beziehungen bestehen. Die Teilfachsprachen der
praktischen Medizin unterscheiden sich vor allem dadurch, in welchem
Umfang sie auf den W ortschatz der einzelnen G rundlagenfächer zurück-
greifen. Auch für den Laien w ird leicht zu verstehen sein, daß etw a die
Teilfachsprache der Psychiatrie viel stärkere Beziehungen zu jen er der
medizinischen Psychologie und Soziologie hat als etw a die Teilfachspra-
che des R öntgenologen, die vor allem an jener der A natom ie orientiert
ist.
Zu dem Problem der T eilfachsprachen liegen erste em pirische U nter-
suchungen vor. In einer kom plexen Studie, die nicht nu r A spekte der
Fachsprachen, sondern auch der D idaktik und der m edizinischen Infor-
m atik verfolgt, w urden an der M edizinischen H ochschule H annover Sta-
tistiken über die V erw endung anatom ischer Begriffe in den einzelnen
Disziplinen der praktischen Medizin angelegt. Die bisher vorliegenden
Ergebnisse zeigen, daß aus dem G rundlagenfach A natom ie ein Basiswort-
schatz in alle Fachgebiete der praktischen Medizin Eingang gefunden hat,
w ährend ein speziellerer W ortschatz nu r in jeweils einem Fachgebiet oder
wenigen Fachgebieten angew andt wird.
In Tabelle 2 (vgl. S. 90)w erden die 20 häufigst gebrauchten anatom ischen
Begriffe in einer Reihe von Teilfachsprachen der Medizin angegeben. In
den sich m it dem gesam ten K örper beschäftigenden Fachgebieten, wie
A llgemeinmedizin, Chirurgie, K inderheilkunde und A nästhesie, besteht
große Übereinstim m ung. So steht z.B. Herz an einem der ersten Rang-
plätze. A nders ist es bei den Fachgebieten, die jeweils nur einen be-
stim m ten Organbereich betreuen. Beim F rauenarzt fällt Herz auf den
24., beim Z ahnarzt auf den 47. und beim H autarzt gar auf den 97. Platz
zurück. In Tabelle 2 w urden außerdem die 20 häufigst gebrauchten ana-
tom ischen Begriffe in der Allgemeinsprache angegeben. Ein Vergleich

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ist jedoch nur m it V orsicht möglich, weil in der Allgem einsprache
m etaphorische V erw endungen (m it H e n u nd H and fü r's Vaterland)
überwiegen dürften.
T rotz der starken horizontalen G liederung erm öglicht ein Basiswort-
schatz die V erständigung zwischen den V ertretern der einzelnen F ach-
gebiete. Dieser Basisw ortschatz wird gefördert durch das gemeinsame
Studium . Alle F achärzte haben ein 6 Jahre w ährendes M edizinstudium
m it dem A usbildungsziel einer A rt “ Basisarzt” h in te r sich, und erst da-
nach sind sie in die nochm als 4 bis 6 Jahre dauernde Fachausbildung
eingetreten. Eine A usnahm e bildet der Z ahnarzt, für den in der BRD
(nicht jedoch in Ö sterreich) von Anfang an ein eigener Studiengang
angeboten wird. In m anchen außerdeutschen S taaten laufen auch die
Studiengänge für K inderärzte und für Ä rzte des öffentlichen G esund-
heitsdienstes getren n t von jenen der übrigen M edizinstudenten.

3. H erkunft des W ortschatzes

Bei der D urchsicht der Tabelle 2 w ird der Laie vielleicht erstau n t sein,
u n ter den 20 häufigst verw endeten anatom ischen Begriffen vorwiegend
W örter der Allgemeinsprache anzutreffen. Die Medizin ist eine pragm a-
tische W issenschaft. H eilm ittel w erden nach ihrem augenscheinlichen
N utzen verordnet, ohne R ücksicht darauf, ob der W irkungsm echanism us
schon theoretisch geklärt ist. Ähnlich verfährt der A rzt m it der Sprache.
Bietet die Allgem einsprache eine gängige Bezeichnung an, so wird diese
benützt, auch w enn die W issenschaftssprache einen präziseren Term inus
anzubieten hat. Dabei gilt dann eine leicht verständliche Regel: Je häu-
figer ein Begriff gebraucht wird, desto größer ist die W ahrscheinlichkeit,
daß er auch in die A llgem einsprache Eingang gefunden h at und dafür
ein deutsches W ort bereitsteht. Deshalb treffen wir u n te r den 20 häufig-
sten Begriffen in Tabelle 2 so viele deutsche W örter an. Je seltener ein
Begriff benötigt w ird, desto eher w ird nur ein fachsprachlicher Term inus
technicus zur Verfügung stehen. Eine A usnahm e bilden die Bezeichnun-
gen für die G eschlechtsorgane. Hier w irkt das alte Tabu bis in die Fach-
sprache hinein, und es w erden deutsche N amen seltener verw andt als die
fachsprachlichen lateinischen, z.B. in Tabelle 2 steht Uterus vor G e-
bärm utter, Vagina vor Scheide, Ovar vor Eierstock.
Die M edizin ist w ohl so alt wie das m enschliche Bewußtsein. Seitdem
der Mensch denkt, ist er m it K rankheit und T od konfro n tiert. Teile der
m edizinischen Term inologie w erden daher ihre W urzeln in prähistori-
schen Zeiten haben. Die schriftliche Ü berlieferung beginnt m it den
griechischen Ä rzteschulen von Kos und Knidos, als deren bedeutendster

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V ertreter H ippokrates auch dem gebildeten Laien dem Namen nach
(“ hippokratischer Eid” ) bekannt sein dürfte. Aus dieser Zeit stam m en
viele Bezeichnungen für K rankheiten und K örperteile. Das Griechische
blieb das ganze A ltertum hindurch W issenschaftssprache der Medizin,
da auch die führenden Ä rzte Rom s griechischer H erkunft w aren und
ihre Werke in griechischer Sprache verfaßten (z.B. Galen). Im M ittelalter
w urde das Griechische vom Lateinischen als W issenschaftssprache abge-
löst. Die bereits gebräuchlichen griechischen Bezeichnungen für Organe
w urden teils unverändert beibehalten, z.B. Hepar = ‘L eber’, teils wurden
sie latinisiert,-z.B. Oesophagus aus oiocnpâyoç = ‘Speiseröhre’, teils w ur-
den neue gebildet, z.B. M usculus = ‘M uskel’.
Das Lateinische blieb Sprache der Schulm edizin bis in das 18. und 19.
Jah rh u n d ert und w urde dann von den N ationalsprachen abgelöst. W ährend
im 16. und 17. Ja h rh u n d ert nur ausnahm sw eise medizinische Werke von
Rang nicht in Latein verfaßt w urden (z.B. Paracelsus) und lediglich die
Lehrbücher der Bader und volkstüm liche Schriften in deutscher Sprache
erschienen, folgten im 19. Ja h rh u n d e rt die deutschen Ä rzte zunehm end
dem französischen V orbild (die französischen Ä rzte der R evolutionszeit
verfaßten ihre Werke in Französisch) und schrieben in Deutsch.
Diese Umstellung der Schulm edizin vom Lateinischen auf das D eutsche
w irkte sich auf die Term inologie kaum aus. Die vorhandene lateinische
Term inologie w urde w eiter benützt, lediglich die W ortendungen w urden
z.T. eingedeutscht. So entstand A rterie aus Arteria, Tuberkulose aus
Tuberculosis usw. Soweit durch N euentdeckungen neue Term ini nötig
waren, w urden sie in der Regel nach wie vor in lateinischer Sprache oder
zum indest auf griechischer oder lateinischer Grundlage gebildet. Die “Wis-
senschaftssprache D eutsch” ist dam it im Bereich der Medizin weniger
deutsch als etw a populärm edizinische Schriften des 18. Jahrhunderts, in
denen man viel m ehr um die Verw endung deutscher W orte bem üht war
und auch vor uns heute belustigenden Ü bersetzungen, wie z.B. “ M äuslein”
für Musculus, oder drastisch anschaulichen Form ulierungen, wie z.B.
“A rschkratzm äuslein” für M usculus latissimus dorsi, n ich t zurückschreckte.
Seit dem zw eiten Welrkrieg spielt das Englische in der Medizin eine im m er
stärkere Rolle. Mehr als die Hälfte der w issenschaftlich relevanten m edizi-
nischen L iteratur erscheint bereits in englischer Sprache. F achzeitschrif-
tenaufsätze in anderen Sprachen w erden nur dann international beachtet,
wenn ihnen eine englische Zusam m enfassung beigegeben ist. Immer mehr
medizinische F achzeitschriften der BRD, Ö sterreichs und der Schweiz er-
m untern ihre A utoren, M anuskripte in englischer Sprache einzureichen.
Die letzte K onsequenz ist, daß die Z eitschrift ihren ursprünglichen d eu t-

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sehen T itel anglisiert. So w urde z.B. aus der “ Z eitschrift für K inderheil-
k u n d e” das “E uropean Journal o f Pediatrics” . Im letzten Ja h rzeh n t lief
eine Anglisierungswelle durch den deutschen medizinischen Blätterwald.
Von 373 im deutschen Sprachraum erscheinenden medizinischen F ach-
zeitschriften von internationalem Rang führten 1976 bereits 131 (35 %)
einen englischen Titel (22). Dieser Anglisierungsprozeß ist in der Schweiz
am w eitesten fortgeschritten (73 von 118 Fachzeitschriften = 62 % m it
englischem Titel). Die DDR hat an dieser Umstellung nicht teilgenom m en.
Das Englische scheint die neue W issenschaftssprache der M edizin zu wer-
den und dam it die Rolle zu übernehm en, die das Lateinische bis in das
19. Ja h rh u n d ert hinein hatte. Dam it kann es nicht ausbleiben, daß immer
m ehr englischsprachige Begriffe in die deutsche m edizinische Fachspra-
che eindringen. M anche finden dann sogar Eingang in die A llgem einspra-
che, z.B. Streß.
Bisher war immer vom F achw ortschatz die Rede. D en Fachdolm etscher
interessiert aber auch, w elcher Anteil des W ortschatzes der G em einsprache
in die Fachsprache eingeht. H offm ann zählte die W örter in m edizinischen
T exten aus und führt in einem “ H äufigkeitsw örterbuch” (13) die rund
tausend am häufigsten verw andten W örter der englischen, französischen
und russischen Sprache an. Mit diesem W ortschatz sind rund 9 /1 0 m edizi-
nischer T exte zu verstehen. Rieser (39) weist darauf hin, daß bei einem
Teil der der Alltagssprache entlehnten Begriffe die Bedeutung in der Fach-
sprache genauer festgelegt ist, z.B. Faser, Pigment, Zelle usw.

4. V ertikale Schichtung

Wie andere Fachsprachen auch wird die Fachsprache der M edizin auf drei
verschiedenen Ebenen gesprochen (20):
a) als W issenschaftssprache in wissenschaftlichen V eröffentlichungen
und Vorträgen,
b) als fachliche Umgangssprache in der A lltagsarbeit des A rztes und des
medizinischen Personals in der Klinik oder in der Praxis,
c) als laienbezogene Sprache in der K om m unikation des A rztes m it m edi-
zinisch nicht V orgebildeten.

4.1. W issenschaftssprache
Die medizinische W issenschaftssprache ist gekennzeichnet durch eine
standardisierte Term inologie. Diese ist zum Teil international vereinbart,
wie z.B. die N om enklatur der A natom ie oder der Enzym e, oder es besteht
auch ohne ausdrückliche V ereinbarung w eitgehende Ü bereinstim m ung.

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Daß für diese Term inologie nur 2 Sprachen, das Lateinische oder das Eng-
lische, in Frage kom m en, liegt nach den vorhergehenden Ausführungen
auf der Hand. Bei der “ alten ” A natom ie hat man sich auf lateinische
“ Nom ina anatóm ica” bereits 1895 geeinigt (34). Bei der “jungen” “ Enzy-
m ologie” ist der E nzym katalog von 1964 englisch abgefaßt (14). Für die
deutsche W issenschaftssprache w erden die lateinischen o d er englischen
Term ini entw eder unverändert übernom m en oder in Schreibweise und W ort-
endungen der deutschen Sprache angepaßt.
Die anatom ische N om enklatur ist ein Lehrbeispiel für die Problem e in ter-
national genorm ter Term inologien. Als m an 1895 auf einem intern atio n a-
len A natom enkongreß in Basel sich auf rund 6000 N am en einigte (“ Basler
N om enklatur” ), stand das Bemühen im V ordergrund, gebräuchliche Na-
men zu akzeptieren ohne Rücksicht auf ihre philologische K orrektheit.
Dies m ußte notw endigerw eise R eform bestrebungen nach sich ziehen, um
offenkundige Fehler zu beheben. So w urden 1936 in Jena die verbesserten
“Jenenser N om ina anatóm ica” beschlossen. Leider war dam als eine inter-
nationale Einigung nicht m ehr möglich. Die englischsprachigen Länder
führten in Birmingham eine eigene R eform durch, und die m eisten blieben
bei den Basler Nam en. Um dieses Chaos zu beseitigen, versuchte man nach
dem 2. Weltkrieg eine neue Einigung: Die “Pariser N o m en k latu r” von
1955 kehrte nun bedauerlicherw eise nicht einfach zu den Basler N amen
zurück, sondern trug zur w eiteren Verw irrung bei. Seitdem wird im Ab-
stand von 5 Jahren (bedingt durch die fünfjährlich stattfin d en d en in ter-
nationalen A natom enkongresse) “ verbessert” .
Praktisches Ergebnis der ständigen R eform bem ühungen um die anatom i-
sche N om enklatur ist der G ebrauch aller N om enklaturen durcheinander.
Der heutige M edizinstudent erlernt in den ersten Sem estern die letztgültige
anatom ische N om enklatur. K om m t er dann in die Klinik, so trifft er auf
Professoren, deren eigenes S tudium m eist in die Jahre von 1936 bis 1955,
also in die Zeit der Jenenser N om enklatur, fiel. Da der klinisch tätige A rzt
keine Zeit für anatom ische N om enklaturfragen verschw endet, u n te rric h tet
er die S tudenten in der N om enklatur, die er erlernt hat. Dies fü h rt zu einer
Verunsicherung des angehenden A rztes in der N om enklatur.
Diese U nsicherheit w irkt sich letztlich dahingehend aus, daß der A rzt sich
überhaupt nicht m ehr um die offiziellen N amen küm m ert, sondern eine
vereinfachte N om enklatur anw endet. Dabei w erden d ann die m eist m ehr-
gliedrigen Begriffe zu eingliedrigen verkürzt. Die offizielle und eindeutige
Bezeichnung Tuba uterina wird bevorzugt zu T ube vereinfacht. D aneben
werden aber auch noch das deutsche W ort Eileiter, das griechische Salpinx
und das aus dem Englischen übernom m ene O vidukt gebraucht. In einer
Reihe von gynäkologischen W erken w urden folgende H äufigkeiten ausge-

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zählt (37): Tube 639, Salpinx 156, Eileiter 54, Tuba uterina 4, O vidukt 3.
A uf den offiziellen Term inus entfällt m ithin nur ein halbes Prozent. Je
häufiger ein Begriff gebraucht wird, desto stärker ist die Tendenz, ein ein-
faches Wort zu benützen; bei selten benötigten Begriffen kom m t hingegen
der offizielle T erm inus technicus zu seinem Recht. Ein benutzerfreund-
liches W örterbuch m uß diesem U m stand Rechnung tragen: Es sollte nicht
die offizielle N om enklatur in den V ordergrund stellen, sondern die tatsäch-
lich angew andten W örter.
Die Beschäftigung m it der medizinischen W issenschaftssprache fand einen
neuen A uftrieb m it der Einführung eines Pflichtkurses der m edizinischen
Terminologie in das M edizinstudium anstelle des früher geforderten klei-
nen Latinum s. D am it w ar ein A nreiz zur Abfassung von Lehrbüchern ge-
geben, die sich, m it einer A usnahm e (35), allerdings vorwiegend m it der
lateinischen Sprache befassen (1, 17, 30). W örterbücher der medizinischen
W issenschaftssprache sind m eist für M edizinstudenten und Ä rzte gedacht,
reichen vom einbändigen Taschenbuch bis zum öbändigen Werk, beschäf-
tigen sich m it Teilgebieten (9, 18, 36) oder dem G esam tbereich der M edi-
zin (38, 42, 44). Ein Sonderband des D uden (8) dürfte auch für den ge-
bildeten Laien zu verw enden sein. Mit D efinitionsproblem en der m edizi-
nischen Term inologie befassen sich Rieser (39) sowie Nacke u. G erdei (33).
4.2. Ärztliche Umgangssprache
Wird schon in der W issenschaftssprache viel vereinfacht, so lebt die ärztliche
Umgangssprache von A bkürzungen, die als solche gesprochen werden. Man
spritzt i.V. (“ ivau” = ‘intravenös’), m acht wegen eines Ca (“ z e ls” = ‘Car-
cinom a’) eine PE (“ pe-e” = ‘Probeexision’) oder einen Billrotb I (“ Billroth
eins” = ‘G astroduodenostom ia term inoterm inalis’), das E kg (“ekage =
‘E lektrokardiogram m ’) war o.B. (“ obe = ‘ohne krankhaften Befund’),
u nterhält sich über den Magen von Zim m er 14 (den m agenkranken Patien-
ten) und erzählt einem Kollegen, den man längere Zeit n ich t sah: Ich mache
je tz t Kinder, w obei man nicht zum A usdruck bringen will, daß m an sich
der V erm ehrung der M enschheit widme, sondern daß man sich einer F ach-
ausbildung in K inderheilkunde unterziehe. Wegen der vielen Abkürzungen
ist die ärztliche Umgangssprache für den A ußenstehenden besonders schlecht
verständlich, da er auch in einem W örterbuch kaum die Abkürzungen er-
läutert findet. Die A bkürzungen können aber auch Fachkollegen Mühe be-
reiten, wenn sie in w issenschaftlichen V eröffentlichungen ohne nähere
E rläuterung auftauchen. Die aufm erksam e R edaktion einer F achzeitschrift
wird sorgfältig auf die V erm eidung nicht allgem einverständlicher A bkür-
zungen achten (21).

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4.3. Laienbezogene Sprache
Obwohl man m einen müßte, die Beziehung zwischen A rzt und P atient sei
ein kontinuierliches Wechselgespräch, so ist diese K om m unikation doch
stark asym m etrisch. Der P atient ist m eist nicht in der Lage, das von ihm
als frem dartig u nd sinnwidrig em pfundene Leiden angemessen zu beschrei-
ben (11), der in ständiger Z eitnot lebende A rzt kann oder will sich nicht
ausführlich m it dem Patienten auseinandersetzen. Dem Patienten ist aber
weder m it E rläuterungen in der W issenschaftssprache noch m it einem leut-
seligen “ Es wird schon w ieder w erden” geholfen. Die W orte des A rztes
sind dem P atienten o ft geheimnisvoll wie ein O rakelspruch, w obei sich der
A rzt gern selbst m it dem Priester identifiziert.
Die laienbezogene Sprache — der bei einigen anderen Fachsprachen übliche
Begriff “ V erteilersprache” scheint m ir für die Medizin nicht glücklich zu
sein — ist aber auch in der Medizin n icht länger zu vernachlässigen. Die
sozialen U m schichtungen unserer Zeit haben den A rzt von seinem Podest
gestoßen, und er m uß allm ählich den Patienten als gleichberechtigten Part-
ner akzeptieren. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei die Massenme-
dien. In der Illustriertenpresse und im Fernsehen w erden medizinische
Them en in allgem einverständlicher F orm , m anchm al sogar auf sehr hohem
wissenschaftlichen Niveau, abgehandelt. Der gebildete Laie weiß heute e n t-
schieden besser über seinen K örper Bescheid als noch vor zwei Jahrzehnten.
Er kann dem A rzt Fragen stellen und so aktiv zur Entw icklung der laienbe-
zogenen Fachsprache beitragen.
In der laienbezogenen Sprache wird man versuchen, medizinische Problem e
m it Hilfe gem einsprachlicher W örter zu form ulieren. Eine wichtige K om -
m unikationshilfe sind dabei Bilder. Das Bild kann m anchm al Zusam m en-
hänge verdeutlichen, ohne Fachw örter hierzu zu benötigen. A ber auch
die Sprache wird bilderreich sein müssen.

5. W ortbildungsm uster

In der offiziellen anatom ischen N om enklatur spielt die D efinitionsform


“ per genus proxim um et differentiam specificam ” eine besondere Rolle.
Dabei können vielgliedrige Ausdrücke entstehen. Bei M usculus extensor
carpi radialis longus kann man unschw er eine fünfstufige H ierarchie er-
kennen: 1. M uskel, 2. S treckm uskel (im G egensatz zu Beugem uskel),
3. H andstreckm uskel (in A bhebung von Fingerstreckm uskel, Z eh en streck-
m uskel usw.), 4. speichenseitiger H andstreckm uskel (gegenüber ellensei-
tiger H andstreckm uskel), 5. langer speichenseitiger H andstreckm uskel
(es gibt auch einen “ kurzen” ). Bestim m end für die N am engebung waren

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in diesem Beispiel die F unktion, die Lage und die Größe. Bei anderen
Muskeln spiegelt der Name die äußere F orm w ider: M usculus rhom boi-
deus = ‘R autenm uskel’, M usculus biceps = ‘zw eiköpfiger M uskel’ usw.
In wenigen Fällen leitet sich der Name von einem Beruf ab, für welchen
der betreffende Muskel von B edeutung ist oder w ar: M usculus buccinator =
‘T rom peterm uskel’ (in der Wange gelegen), M usculus sartorius = ‘Schneider-
m uskel’ (charakteristische G elenkstellung beim “ Schneidersitz” ).
Vergleiche m it G egenständen der m enschlichen Umwelt lassen sich in zahl-
reichen anatom ischen N am en erkennen: Scbildknorpel, Schw ertfortsatz,
Pflugscharbein, M andelkern, A dam sapfel, bim förm iger M uskel, P yram iden-
zelle, K leinhim w urm usw. Da A natom en ihr Forschungsgebiet m it den
A ugen erfassen, ist ihre T eilfachsprache vorwiegend von optischen V er-
gleichen bestim m t.
Die Teilfachsprache des Biochem ikers ist hingegen viel abstrakter. Hier
w erden G attung und spezifische D ifferenz durch Vor- und Nachsilben
ausgedrückt, etwa-aw für gesättigte K ohlenw asserstoffe, -en für ungesättigte,
-ol für A lkohole, -on für K etone, -ose für K ohlenhydrate, -ase für Enzyme
usw.
Die klinische M edizin orientiert sich zunächst an den G rundlagenfächern
und m odifiziert deren Begriffe m it Hilfe standardisierter Prä- und Suffixe
(19). So b edeutet die Endung -itis generell ‘E ntzündung’. Sie wird an den
griechischen oder lateinischen W ortstam m des erkrankten Organs angehängt,
z.B. A p pendicitis = ‘W urm fortsatzentzündung’ (“ Blinddarm entzündung” ).
A ndere E ndungen sind -oma für Geschwülste (z.B. Carcinoma, eingedeutscht
K arzinom ), -osis für chronische E rkrankungen (z.B. A rthrosis/A rthrose),
-iasis ‘voll von etwas sein’ (z.B. Cholelithiasis = ‘G allensteinleiden’), -pathie
für nicht genau definierte E rkrankungen (z.B. N europathie) usw. A ndere
E rkrankungsarten w erden durch V orsilben bezeichnet, wie H ydro- ^ A n -
sammlung wäßriger Flüssigkeit’ (z.B. H ydrocephalus = ‘W asserkopf’), Pyo-
= ‘V ereiterung’ (z.B. Pyoderm ie = ‘Eiterausschlag an der H au t’), Hämato-
= ‘B lutansam m lung’ (z.B. H äm atosalpinx = ‘Blutansam m lung im Eileiter’,
H äm atom = ‘B luterguß’).
N icht nur anatom ische Begriffe, auch biochem ische usw. können m it stan-
dardisierten Vor- und N achsilben für K rankheitsbezeichnungen m odifiziert
w erden, z.B. H yperkalzäm ie = ‘V erm ehrung des Calciums im B lut’usw.

6. Syntax

Die m edizinische Fachsprache verfügt über relativ wenige fachsprachliche


Verben, z.B. operieren, inzidieren, exzidieren, punktieren, injizieren, aus-

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kultieren, perkutieren usw. Einige gem einsprachliche V erben w erden in
der M edizin m it anderer B edeutung gebraucht, z.B. präparieren (‘m it
Skalpell und P inzette am lebenden od er to te n M enschen Organe und
O rganteile darstellen’), durchleuchten (‘besondere A rt der R ö n tg en u n ter-
suchung’), extrahieren (z.B. ‘einen Zahn ziehen’) usw. Einige V erben w er-
den aus der Fachsprache der Chemie en tleh n t, z.B. titrieren, p h o to m e-
trieren usw. Insgesamt w erden jedoch fachsprachliche V erben nur wenig
angew andt, bevorzugt wird die V erbindung von fachsprachlichem Sub-
stantiv mit (farblosem ) gem einsprachlichem V erb, z.B. sta tt punktieren:
eine P unktion vornehm en, sta tt operieren: eine Operation vornehm en
usw. In der ärztlichen Umgangssprache ist dann m achen das Verb für nahe-
zu alle G elegenheiten. G oltz (11) h atte schon darauf hingewiesen, daß es
außer ju c ke n und husten kein Verb in der deutschen Sprache gibt, das
einzig dem Phänom en K rankheit Vorbehalten wäre, w obei man selbst bei
den beiden genannten noch diskutieren könnte, ob m an sie als ‘K rank-
heitszeichen” b etrachten will.
W ortzählungen in m edizinischen Lehrbüchern wiesen U nterschiede in den
Teilfachsprachen auch bei den V erben nach. Die m eistgebrauchten V er-
ben in der A natom ie sind liegen, bilden, ziehen, besitzen, bestehen, e n t-
sprechen, in der inneren Medizin bestehen, auftreten, ko m m en, werden,
führen, zeigen (3). Ü ber den Stil des Psychoanalytikers liegt eine kritische
Glosse von H.U. Müller (31) vor: “ .... typisch sind lange kom plizierte Satz-
perioden m it Einschüben, m it nachklappenden V erben. Kleine Sätze w er-
den in ein substantiviertes V erb zusam m engezogen. D oppelte Genitive
w erden verw andt. Der Stil ist antidialogisch, unanschaulich.... Das sub-
stantivierte V erb verliert den A ktionscharakter des ursprünglichen Verbs
und schafft dam it S tatik sta tt D ynam ik.” A uf die Fachsprache der M edi-
zin insgesamt ist diese Schilderung n icht zu verallgem einern. G ute R edner
und A utoren sind eben in der Medizin ebenso selten wie in anderen F ach-
gebieten.
U nbestreitbar ist jedoch die T endenz zur N om inalisierung in der m edizi-
nischen Fachsprache. Sie “ d ient vor allem der Präzisierung von Aussagen,
die durch den verbalen A usdruck nicht in dem selben Maße geleistet w ird”
(40). Infolge der V erw endung von definierten Begriffen enthalten m edizi-
nische T exte “ w esentlich m ehr Inform ation, als der N icht-Fachm ann er-
kennt, w enn er ‘um gangssprachlich’ zu interpretieren versucht” (40). Cha-
rakteristisch ist die A bstraktbildung auf -ung. Schefe (40) bezeichnet diese
Stiltendenz als “ K o m p ak th eit” , zu der noch die “ L o k alität” h in zu tritt,
“ das gleichzeitige V orhandensein aller wichtigen Bestandteile eines kogni-
tiven Zusam m enhangs in einer Perzeptionseinheit” (40).

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7. Lexikographische Folgerungen
Für ein interdisziplinäres K om m unikationsw örterbuch ergeben sich folgende
K onsequenzen:
1. Der große Umfang des fachsprachlichen W ortschatzes erfordert eine dra-
stische Beschränkung der aufzunehm enden S tichw örter, w obei m an von der
G rößenordnung 1 %, d.h. 5000 von 5 00 000 W örtern, ausgehen wird.
2. Bei der Auswahl darf m an sich keinesfalls an den international genorm -
ten N om enklaturen orientieren, da diese selbst in der gehobenen Wissen-
schaftssprache nicht konsequent angew andt w erden. Vielm ehr wird m an den
interdisziplinär relevanten W ortschatz über W orthäufigkeitsbestim m ungen
in geeigneter laienbezogener L iteratur erm itteln müssen, z.B. in m edizini-
schen A ufsätzen in der Illustriertenpresse, M anuskripten von einschlägigen
Fernsehsendungen, M itteilungen der K rankenkassen an ihre Mitglieder, für
Laien geschriebenen Büchern über m edizinische T hem en usw. Um die Um-
gangssprache angemessen zu berücksichtigen, sollte m an G espräche zwischen
Ä rzten u nd P atienten in der Praxis und im K rankenhaus auf Band aufneh-
men und entsprechend analysieren.
3. Da die Medizin keine eigene S yntax hat, kann m an sich au f die Lexik
beschränken.
4. D en für die W ortbildung bedeutsam en Prä- u nd S uffixen wird m an be-
sondere Beachtung schenken müssen, auch w enn sie nicht u n m ittelb ar in
die laienbezogene Sprache eingehen. A uf diese Weise kann dem B enutzer
auch das V erständnis von Begriffen erleichtert w erden, die in das Lexikon
nicht aufgenom m en w erden können.

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