Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 1998, online veröffentlicht 2016,
broderies; ital. fioretti, fioriture, abellimenti) wird allgemein zweierlei verstanden: einerseits
meint der Begriff all jene Zusätze zum Notentext bzw. zum Melodieton, die durch spezielle
Zeichen, Kürzel oder kleine Noten angezeigt werden, zum anderen die Musizierpraxis, die den
gegebenen Notentext als Grundlage zu selbst erfundenen Veränderungen in Form von zumeist
individuelle und subjektive ›Zutat‹ des Interpreten zur Komposition dar, deren exakte
sich aber heute immer deutlicher herausstellt, daß die zweifelsfreie eindeutige Auflösung nur in
eingeschränktem Maße möglich ist. Erschwerend kommt hinzu, daß eine durchgängige
Notierungstradition weder vertikal durch die Epochen noch horizontal innerhalb dieser zu
beobachten ist, im Gegenteil: jeder Komponist verwendet eigene Zeichen, die z. T. zwar
standardisiert sind; einige zusätzliche jedoch werden nur individuell verwendet. Die weitere
Schwierigkeit einer Komponisten und Komposition gemäßen Ausführung heute liegt in der
Ambiguität des Einsatzes von Verzierungen als »wesentliche Manieren« und der daraus
Gegebenheiten ab: die Stelle, an der eine Verzierung gefordert wird, bestimmt ihren Charakter,
z. B. hängt die Ausführung eines Trillers davon ab, ob er im langsamen oder schnellen Satz
erscheint, auf- oder absteigend im laufenden Notentext ausgeführt werden soll, eine
Klangfarbenintensivierung oder Belebung längerer Töne darstellt, in der Kadenz auftritt; ferner
bestimmen all die genannten Faktoren die Schnelligkeit der zwei Tönerepetitionen, ebenfalls die
Entscheidung darüber, ob der Triller mit oder ohne Nachschlag gespielt wird. Von besonderer
Evidenz für die charakteristische Ausführung einer Verzierung ist das Auftauchen in Vokal-
oder Instrumentalmusik; bei letzterer muß sicherlich noch die Art des Instruments (Streich-,
Tasten-, Holzblas-, Blechblasinstrumente, innerhalb dieser die jeweilige Lage) beachtet werden.
Klassifizierung der Verzierungen, wobei diejenigen auf der Zeit und die einen Notenwert
Schneller; Trillo, Triller, Gruppo, Doppelschlag, Tremolo, Vibrato; diejenigen aber, die
Notengänge verbinden oder Intervalle ausfüllen, können antizipierend oder nachschlagend
Matthäuspassion von J. S. Bach, Beginn Violine Solo) Anschlag- Nachschlag, Doppelschlag als
Nachschlag. Im Gegensatz zu diesen »wesentlichen Manieren« wie Quantz, C. Ph. E. Bach, D. G.
Türk u. a. die durch Zeichen oder kleine Noten gekennzeichneten Verzierungen nennen, werden
die Ausführung der »willkürlichen Veränderungen« ohne Markierung im Notentext versehen und
als freie Improvisation in bestimmtem Kontext erwartet. Solche Veränderungen werden bei
Wiederholungen plaziert, seien es kürzere Motive oder aber im Umfang der Wiederholung des
arpeggio, wobei wiederum Unterschiede durch den Instrumententyp gegeben sind. Eine
besondere Ausführungsart des arpeggio verlangt die acciaccatura, die als Akkordbrechung auch
Zu den nicht notierten Veränderungen, aber durchaus zu den Verzierungen gehörig, zählen die
1. »Inégalité«, 2. die lombardische Ausführung zweier gleicher Achtel, 3. das nicht immer durch
Zeichen geforderte Vibrato, sei es im Gesang, bei Streich- oder Blasinstrumenten oder beim
Überleitungen, Einführungen oder aber auch die Kadenzen im Solokonzert gezählt werden.
Überleitungen und Einführungen werden wie die Kadenzen zumeist durch Fermaten im
Notentext angezeigt, finden sich häufig an Übergängen, z. B. im instrumentalen Rondo, aber
auch in Arien (Haydn, Schöpfung, z. B. Baß-Arie »Rollend in schäumende Wellen« und Sopran-Arie
Akkorden plaziert. Als Verzierungen wären sie zu den Improvisationen zu rechnen, da sie freie,
häufig virtuose, auf der Grundlage des thematischen oder stimmungsmäßigen Zusammenhangs
In der vokalen und instrumentalen Aufführungspraxis der jüngeren Zeit ist der häufige
Gebrauch des nicht notierten Crescendo und Decrescendo (esclamazione, messa di voce) üblich
geworden. Die Verwendung dieser Verzierungsart wird zwar bei einigen Theoretikern
beschrieben (Caccini 1601 / 02, Quantz 1752, XIV. Hauptstück, 10.§, S. 140; Tartini u. a.), ihr
ständiger Einsatz ist jedoch fraglich. Quantz beschreibt die messa di voce im Zusammenhang
seiner Erläuterung, ein Adagio zu gestalten, Tartini verlangt die messa di voce ohne Vibrato zu
spielen, bei einem langen Triller empfiehlt er jedoch eine messa di voce semplice dal piano, al
II. Aufführungspraxis
Den hauptsächlichen Sinn haben die Verzierungen einerseits darin, einzelne Melodietöne
hervorzuheben, sei es durch Umspielung oder Betonung, andererseits durch ihre ausgewählte
Anwendung, die zumeist Dissonanzen auf betonter Zeit entstehen läßt, den harmonikalen
Verzierungskürzels, aber die Praxis weist nach, daß eine genaue rhythmische und dynamische
Auflösung vom Empfinden des Spielers oder Sängers abhängt, der die Lösung aus dem Kontext
der Komposition, aber auch des Auffführungsrahmens (wie Raum bzw. Aufführungsort und
besonderem Maße einer stets genauen Darstellung, weil ihre Gestaltung wie kein anderer
unterliegt. Aus diesem Grunde können sämtliche Tabellen mit Darstellungen und Auflösungen
von Verzierungen lediglich ein Muster von möglichen Ausführungen zur Verfügung stellen,
wobei die einzelnen wichtigen Parameter der künstlerischen Entscheidung dem Sänger, Spieler
oder Dirigenten anheim gestellt bleiben. So kann man zwar bei C. Ph. E. Bach lesen, daß z. B. die
Dauer der Vorschläge »in ihrer Geltung verschieden, oder sie werden allzeit kurz abgefertiget« (1753,
Zweyte Abteilung. Von den Vorschlägen, § 4) seien, was im nächsten Paragraphen präzisiert wird,
in seiner Zeit habe man begonnen, »diese Vorschläge nach ihrer wahren Gestaltung auszuführen […]
Damahls waren die Vorschläge von so verschiedener Geltung noch nicht eingeführet«. C. Ph. E. Bach
verweist auf eine allgemeine Präzisierung der Vorschlagsdauern, die in dieser Form in der
Musik vor seiner Zeit offensichtlich unbekannt war. Aber diese Angaben geben lediglich eine
Notierungs-, jedoch keine Ausführungsdauer an, denn die dürfte in vielen Fällen zwischen den
vielen Verzierungen den Reiz ausmachen, bzw. steigern, den eine Komposition durch die
primär nicht vom Komponisten intendiert wurden, sondern als Zutat des interpretierenden
Künstlers aufzufassen sind. Die Unschärfen, die dem Wesen der Verzierungen – hier sind
natürlich nur die »wesentlichen Manieren«, also die durch Kürzel ausgedrückten bzw.
angezeigten Formen gemeint – von Natur aus zu eigen sind, haben in der heutigen
Wenn die Verzierungslehren eine Konstante aufweisen, dann ist es die Vielfalt der Möglichkeit
aufgrund eines Modells, das wirklich nur als Ausgangspunkt und Grundmuster der jeweiligen
Verzierung gelten kann, da zu viele Kriterien die letztendliche Gestaltung festlegen. Eine
permanente Ausführung des Trillers mit schwerbetontem Vorhalt von oben, gar noch in der
Manier C. Ph. E. Bachs mit z. B. einer Zweidrittel-Lösung bei punktierten Noten für den Vorhalt
und Eindrittel für die Hauptnote widerspricht zutiefst dem historischen Verständnis eines
Akzidens, das sich durch Vielfalt und kontextbezogene Individualität einerseits und subjektiv
Verzierungsdarstellung heute zeigt sich an einem so exponierten Beispiel wie am Beginn der
des Bandes in der Alten Bachausgabe finden sich die ersten Lösungsvorschläge, deren
Gegenwart zu verfolgen sind (vgl. Notenbeispiel 1; vgl. P. Schleuning 1979; D. Gutknecht 1980).
Notenbeispiel 1: aus: E. D. Wagner 1869; E. Dannreuther 1893 und 1895; H. Goldschmidt 1907;
A. Beyschlag 1908, NA Walluf 1978; A. Heuß, Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion, Lpz.
1909; C. Sachs, Zu den Vorschlägen in der Matthäuspassion, in: AMZ 39, 1912, S. 1301; H. J.
Moser, Zur Frage der Ausführung der Ornamente bei Bach, Zählzeit oder Notenwert, in: BJ
1916, S. 8, NA: Musik in Zeit und Raum, Bln. 1960, S. 159–172; A. Schering, »Vorhalte« und
Döbereiner, Zur Renaissance alter Musik, Bln. / Wunsiedel 1950, Tutzing 21960; W. Emery 1953;
Die Sammlung macht deutlich, daß eine auch nur ungefähre schriftliche Fixierung einer
Verzierungslösung gegen den Geist dieses nur dem Interpreten überlassenen Gebietes der
Erbarme-Dich-Arie liefert vermeintliche Beispiele für den »notierten« Schleifer –, so werden sie
Bestand der musikalischen Struktur, des vom Komponisten determinierten Verlaufs eines
methodischen Zusammenhangs.
Die Musik jeder Epoche hat die ihr eigenen Verzierungen und zwar in der Art, wie sie aus ihr
entstehen. Für die Aufführungspraxis heute besteht eine Hauptaufgabe darin, zwar einerseits
das zeitgenössische Quellenmaterial aus der Zeit heraus zu interpretieren, aber andererseits
darauf zu verweisen, daß eine angemessen authentische Musizierweise dies nur zum
Ausgangspunkt und als Grundlage ansehen kann, da eine stimmige Lösung aus der Kombination
von Wissen und Praxis entstehen muß. Verzierungspraktiken sind sicherlich immer schon
Bestandteil des Musizierens gewesen, aber erst seit der vom Komponisten überwachten
Ausführenden geworden. Von einer solchen bestehenden Praxis scheint z. B. G. de Machaut zu
berichten, wenn man seinen Hinweis richtig interpretiert, Peronelle d’Armentière möge die
Ballade »Nes qu’on porroit les etoilles mombrer«, »in langsamen Tempo und ohne eigene Zugaben
oder Kürzungen« singen (nach: NHdb, Bd. 2, S. 341). Eigene Zugaben können sich im 14. Jh. auf
Diminutionen und vielleicht schon Verzierungen des Einzeltons beziehen. Die mittelalterlichen
Theoretiker geben z. T. detailliert Auskunft über vokale und instrumentale Praktiken.
Aber schon in diesen Anweisungen liegt ein Problem der Verzierungsdeutung schlechthin:
haben die beschriebenen Verzierungen in ihrer Zeit Allgemeinanspruch oder sind sie nur auf
Werke des Verfassers, wenn er Komponist ist, anwendbar? Für wie lange Zeit können sie, wenn
sie denn so etwas wie Bestand haben, in Gebrauch bleiben? Es ist bekannt, daß es personen-,
landes- und zeittypische Verzierungsnuancen gibt. Beispiele wie C. Ph. E. Bach und Quantz
zeigen, daß jeder in nicht wenigen Details eigene Ansichten vertritt, obwohl sie fast zeitgleich
ihre beiden theoretischen Schriften herausbrachten, zwar für verschiedene Instrumente, aber
in ihren allgemeinen Teilen doch die Musik allgemein betreffend und daß sie darüber hinaus
noch Mitglieder desselben Musizierkreises der Berliner Hofkapelle waren. Es ist zu prüfen,
inwieweit die Unschärfe in der Auslegung gehen kann, denn einen horizontalen Grundkonsens
entstehen. Es scheint, daß die »willkürlichen Veränderungen« weniger dem Stil einer Epoche
zugehören. Hier kommt es womöglich auf das Ausmaß der Anwendung noch mehr an als schon
bei Verzierungen allgemein. Diminutionen in Form von ›Laufwerk‹ sind im solistischen Spiel
Vor zu häufigem Einsatz sowohl der »wesentlichen Manieren« als auch der »willkürlichen
Veränderungen« wird seit der literarischen Darstellung des Verzierungswesens einhellig und
durchgängig gewarnt. Als Katalysator einer stimmigen Auswahl wird stets das rechte
Empfinden bzw. der gute Geschmack des Ausübenden angemahnt. In der heutigen
tragen.
DIETER GUTKNECHT, Art. Verzierungen in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel,
Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 1998, online veröffentlicht 2016,