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TITELTHEMA: FREMDES LEBEN

auf der Erde?


Sogar auf unserem Planeten könnte das Leben mehrmals entstanden
sein. Forscher suchen nach Mikroorganismen, die sich
grundlegend von der uns bekannten Lebensform unterscheiden.

Hören Sie dazu auch unseren Von Paul Davies denen Orten eigenständig auftrat, dürften
Podcast Spektrum Talk unter wohl bedeuten, dass die These vom biolo-

D
www.spektrum.de/talk er Ursprung des Lebens gehört zu gischen Determinismus zutrifft. Leider kann
den großen Rätseln der Wissen- es noch etwas dauern, bis Marsmissionen auf
schaft. Wie, wo oder wann es ent- dem Roten Planeten nach extraterrestrischen
stand, vermag niemand genau zu Lebensformen fahnden und diese gegebenen-
sagen. Die Forscher wissen kaum mehr, als falls analysieren können.
dass vor ungefähr dreieinhalb Milliarden Jah- Doch womöglich ließe sich der Nachweis
ren auf der Erde mikrobielles Leben etabliert solch eines biologischen Determinismus sogar
war. Was davor geschah, lässt vor allem Raum einfacher führen. Kein Planet ist schließlich
für Spekulationen. erdähnlicher als die Erde selbst. Wenn Leben
So glaubte vor dreißig Jahren die Mehrzahl unter terrestrischen Bedingungen wirklich so
der Biologen, das Leben hätte mit einem che- leicht entsteht, geschah das hier vielleicht öf-
mischen Zufall seinen Anfang genommen, ter. Wissenschaftler fasziniert diese Idee so
einem Ereignis von so geringer Wahrschein- sehr, dass sie bereits in Wüsten, Seen, Höhlen
lichkeit, dass sich dergleichen im Universum nach Hinweisen auf fremdartige Lebens-
kein zweites Mal zugetragen haben dürfte. formen suchen – nach Organismen, die sich
Diese Haltung vertrat auch der französische von allem Bekannten grundlegend unterschei-

In Kürze Biochemiker und Nobelpreisträger Jacques


Monod (1910 – 1976). Er schrieb 1970: »Der
den. Diese exotischen Wesen wären höchst-
wahrscheinlich mikroskopisch klein. Viel-
r Vielleicht entstand Leben
Mensch weiß endlich, dass er in der teilnahms- leicht existieren solche Aliens sogar mitten
auf der Erde nicht nur ein- losen Unermesslichkeit des Universums allein unter uns. Um sie dingfest zu machen, entwi-
mal, denn unter geeigneten ist, aus dem er zufällig hervortrat.« ckeln Forscher daher spezielle Tests.
Bedingungen kann der- Inzwischen herrscht eine völlig andere Auf- Auf eine feste Definition von Leben konn-
gleichen aus Sicht vieler fassung vor. Vor gut zehn Jahren nannte der ten sich die Experten zwar bisher nicht eini-
Forscher recht leicht auf- belgische Biochemiker und Nobelpreisträger gen. Trotzdem wären die meisten Wissen-
treten. Darum suchen Christian de Duve Leben eine »kosmische schaftler damit einverstanden, dass folgende
Experten nun nach exoti- Zwangsläufigkeit«. Auf jedwedem erdähnlichen zwei Kriterien unabdingbar sind: Stoffwechsel
schen Mikroorganismen mit Planeten müsse es fast zwingend entstehen. und Fortpflanzung.
fremdartiger Biochemie. Hiervon sahen sich Astrobiologen in ihrer An- Vorausgesetzt, Leben hätte sich auf der
r Ökologisch abgeschnittene sicht bestärkt, dass es im Universum sicherlich Erde tatsächlich mehrfach gebildet, so müsste
Orte mögen sich für davon wimmele. Der amerikanische Chemiker nach herkömmlicher Auffassung bald eine
die Suche besonders gut Robert Shapiro spricht gar von einem biolo- Sorte davon dominiert und die anderen elimi-
eignen – etwa heiße
gischen Determinismus. Manchmal kleiden niert haben. Zum Beispiel könnte sich eine
Quellen der Tiefsee oder
Trockentäler der Antarktis. Forscher diese These in Worte wie: Leben sei Lebensform schnell aller Ressourcen bemäch-
bereits »in die Naturgesetze eingeschrieben«. tigt haben. Oder sie verstand sich Vorteile zu
r Ausgeschlossen ist nicht
einmal, dass um uns herum
Nur, wie können Wissenschaftler feststel- verschaffen, indem sie innerhalb der eigenen
fremdartiges Leben exis- len, welche Auffassung zutrifft? Ein klarer Be- Sorte erfolgreiche – bewährte – Gene aus-
tiert. Wissenschaftler leg wäre der Nachweis von unabhängigen Le- tauschte.
müssten nach Kennzeichen bensspuren auf einem anderen Planeten, etwa Doch solch ein Szenarium überzeugt nicht
einer ungewohnten Bio- auf dem Mars. Indizien dafür, dass Leben al- wirklich. Schließlich handelt es sich auch bei
chemie fahnden. lein in unserem Sonnensystem an verschie- den Bakterien und den Archaea (Archaebak-

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terien) um zwei grundverschiedene Typen von Selbst wenn es dieses alternative irdische Le-
Mikroorganismen. Beide Gruppen gingen vor ben heute nicht mehr geben sollte – in der fer-
über drei Milliarden Jahren aus einem gemein- nen Vergangenheit könnte es immerhin gedie-
samen Vorfahren hervor und konnten all die hen sein, bis es dann aus irgendeinem Grund
Zeit friedlich nebeneinander existieren, ohne ausstarb. In dem Fall bestünde die Chance, da-
dass ein Typ den anderen ausgelöscht hätte. von noch Relikte zu entdecken. Hätte beispiels-
Außerdem müssten fremdartige Lebensformen weise der Stoffwechsel anders funktioniert,
mit der uns vertrauten Sorte nicht unbedingt dann fänden sich vielleicht Gesteinsmodifika-
direkt um Ressourcen konkurriert haben. tionen oder mineralische Ablagerungen, die
Möglicherweise beanspruchten die anderen sich nicht auf bekannte Organismen zurück-
Formen entweder gar nicht dieselben Orte, führen lassen. Uralte Mikrofossilien könnten
weil sie eine extremere Umwelt brauchten, sogar ungewöhnliche organische Moleküle ent-
wo unsere Art des Lebens es nicht aushielt. halten, wie sie vertraute Lebensformen nie her- Überall um uns herum könnten
Oder die verschiedenen Formen lebten zwar stellen. Wer weiß, was in den vermuteten Mi- fremdartige Mikroorganismen
nebeneinander, nutzten aber völlig andere krofossilien in über 2,5 Milliarden Jahre alten leben, die normalen Bakterien
Ressourcen. Gesteinen aus dem Archaikum so alles steckt? nur äußerlich ähneln.

KENN BROWN, MONDOLITHIC STUDIOS

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Bislang sortieren Biologen alle Lebensformen sozusagen auf den Ästen und Zweigen
eines Baums. Bei diesem Stammbaum haben alle Arten gemeinsame Wurzeln weit in der
Vergangenheit. Doch falls Leben mehrmals entstand, gäbe es mehrere Stammbäume.
Gespiegeltes Leben
Große Biomoleküle können im Prinzip links-
oder rechtshändig gebaut sein. Alle be-
kannten Organismen haben linkshändige
Aminosäuren und eine rechtsdrehende
DNA-Doppelhelix. Das könnte bei einem
Tiere anderen, eigenständigen Leben durchaus
umgekehrt sein.
Archaebakterien

Pilze

Bakterien Eukaryoten
Pflanzen

Unser Stammbaum
Die bekannten Organismen funktionieren
nach gleichen biochemischen Prinzipien.
Die genetische Information kodieren sie
in DNA-Molekülen. Die drei Hauptäste
dieses Baums tragen die Bakterien
(Eubakterien), die so genannten Archaea
(Archaebakterien) und die Eukarya
(Eukaryoten) mit einem echten Zellkern.

KENN BROWN, MONDOLITHIC STUDIOS

Noch aufregender, auch gewagter, ist die nen Organismus fremden Ursprungs ausei-
These, dass alternative Lebensformen bis heute nandergenommen. Denn alle so weit geprüf-
überlebt haben. Carol Cleland und Shelley Co- ten Lebewesen gleichen sich biochemisch.
pley von der Universität von Colorado in Boul- Auch der genetische Kode erweist sich bisher
der prägten dafür den Ausdruck Schattenbio- immer als fast derselbe. Eben deswegen kön-
sphäre. Die Idee mag zunächst völlig abwegig nen die Forscher ja deren Gene sequenzieren
erscheinen. Wie sollten die Fremdlinge vor un- und dann im gemeinsamen Stammbaum ver-
serer Nase – oder sogar in unserer Nase? – bis orten. Die bewährten Methoden zur Analyse
KRITERIEN heute unentdeckt geblieben sein? Nun, wieso neu entdeckter Organismen sind in voller Ab-
VON LEBEN eigentlich nicht? Schließlich sind bei Weitem sicht darauf zugeschnitten, herkömmliches
Zu Hauptkennzeichen die meisten Organismen auf der Erde Mikro- Leben zu erkennen. Für eine fremdartige Bio-
würden wohl die meisten ben. Der Blick ins Mikroskop eröffnet kaum chemie sind sie nicht gedacht. Darum mag
Naturwissenschaftler Aufschluss über deren spezielle Eigenheiten. uns ein Schattenleben in der Mikrobensphäre
rechnen: Um zu erfahren, wohin jeder einzelne Winz- bisher durchaus entgangen sein.
ling in dem Stammbaum gehört, den Phyloge- Wo sollten Forscher auf der heutigen Erde
r Aufnahme von Stoffen
netiker für alle bekannten Lebewesen erstellt nach solchen Aliens suchen? Manche Wis-
aus der Umwelt
haben, muss man meist erst Teile seines Erb- senschaftler fahnden nach Nischen, wo ver-
r Energiegewinnung aus guts sequenzieren – eine Mammutaufgabe. traute Organismenformen nicht leben kön-
Nährstoffen Nur einen kleinen Bruchteil der bisher gefun- nen. Allerdings mussten die Biologen gerade
r Abgabe von Abfallstoffen denen Mikroorganismen konnten die Forscher in letzter Zeit immer wieder verblüfft erken-
r Fortpflanzung schon auf die Weise untersuchen. Fast mit Si- nen, an welch extremen, uns völlig unwirt-
cherheit haben Molekularbiologen noch kei- lich erscheinenden Orten exotische Vertreter

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Exotische Aminosäuren Leben mit Arsen statt Phosphor Silizium-Organismen


Die bekannten Organismen verwenden, mit Bei fremdem Leben könnte Arsen die Rolle von Wohl am extremsten wäre fremdes Leben an-
ganz wenigen Ausnahmen, in ihren Proteinen Phosphor einnehmen, einem der zentralen ders, wenn es statt Kohlenstoff als Grund-
die gleichen 20 Aminosäuren. Chemisch Bioelemente. Eben weil beide Elemente einan- baustein Silizium verwendete. Auch Silizium
möglich sind sehr viel mehr. Exotische Mikro- der chemisch stark ähneln, sind Arsenver- hat die Wertigkeit vier: Die äußere Elektro-
ben könnten solche Aminosäuren benutzen – bindungen für uns hochgiftig. Für jene hypo- nenschale enthält vier Elektronen. Daher
etwa Isovalin oder Pseudoleucin, die in thetischen Organismen wäre wiederum vermögen sich seine Atome ebenfalls zu
Meteoriten gefunden wurden. Phosphor ein extremes Gift. Ringen und langen Ketten zusammen-
zuschließen, die als Grundgerüste für Bio-
moleküle taugen.

unserer eigenen Sorte Leben gedeihen. Man- Stößt man in ökologisch isolierten Regi- Leben ohne Wasser?
che Mikroben hausen in kochend heißen onen auf Anzeichen biologischer Aktivität – Flüssiges Wasser gilt bisher als eine
Vulkanschloten, andere in antarktischen Tro- wie ein Kohlenstoffzyklus zwischen Boden und Grundvoraussetzung für Leben. Doch einige
Astrobiologen mutmaßen, dass auch andere
ckentälern, manche in gesättigten Salzseen, Atmosphäre –, so könnte das auf fremdartige Flüssigkeiten als Medium – als Lösungsmit-
wieder andere in hochsauren, metallreichen Erscheinungen hindeuten. Als Orte für abge- tel – für biochemische Reaktionen in Frage
Erzbergbauhalden, einige selbst in den radio- schiedene Ökosysteme kämen tiefe Schichten kommen könnten. Zwei Kandidaten sind
Ethan und Methan. Bei großer Kälte, wie
aktiv verstrahlten Abklingbecken von Atom- der Erdkruste in Frage, auch die obere Atmo- auf dem größten Saturnmond Titan, liegen
reaktoren. sphäre, die Antarktis, Salzbergwerke oder von diese Verbindungen flüssig vor.
Metallen oder anderen Schadstoffen verseuchte
Härtetest im Labor Plätze. Aber die Forscher könnten auch anders
Doch sogar diese so genannten Extremophi- vorgehen und verdächtige Organismen im La-
len stoßen an ihre Grenzen. Alles Leben der bor harschen Bedingungen aussetzen. Kritische
uns bekannten Biochemie benötigt flüssiges Parameter wie die Temperatur, Feuchtigkeit
Wasser. So ist die Atacamawüste im Norden und dergleichen könnten sie so lange variieren,
Chiles offenbar zu trocken – dort gibt es kei- bis die bekannten Lebensformen sämtlich ab-
nerlei Spuren vertrauten Lebens. Auch bei der getötet wären. Sollte danach trotzdem noch
Temperatur scheint eine Obergrenze zu exis- biologische Aktivität auftreten, bestände viel-
tieren: Jenseits von etwa 130 Grad Celsius leicht eine Chance, dass hier Schattenleben zu-
fanden Forscher keine Mikroben mehr. Dass gegen ist. Auf diese Weise entdeckten Wissen-
alternative Lebensformen in noch trockeneren schaftler das strahlungsresistente Bakterium
oder noch heißeren Umwelten gedeihen, wäre Deinococcus radiodurans. Es hält das Tausend-
dagegen durchaus vorstellbar. fache an Gammastrahlung aus, bei der Men-

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schen sterben. Allerdings gehört diese Mikro- Doch bisher wird das Leben im Tiefengestein
be ebenso wie alle anderen entdeckten so ge- nicht in Großprojekten systematisch er-
nannten Radiophilen dennoch genetisch zu forscht.
unserer Lebensform. Man sollte denken, Aliens wären leichter
Eine Hand voll Ökosysteme, die vom Rest aufzuspüren, wenn sie integriert in die be-
der Biosphäre weit gehend isoliert erscheinen, kannte Biosphäre praktisch unter uns lebten.
Ein Schattenleben haben Forscher schon prospektiert: Tief unter Sofern das Schattenleben allerdings nur aus
der Erdoberfläche existieren Mikrobenge- Mikroben bestünde, die inmitten von ge-
aus Mikroben, meinschaften ohne Licht, Sauerstoff und or- wöhnlichen Mikroorganismen hausten, wür-
integriert in ganische Produkte anderer Organismen. Eine den sie wohl kaum zufällig entdeckt. Denn
Lebensgrundlage für alle entsteht dadurch, rein äußerlich dürften sie nicht weiter auffal-
die bekannte dass manche von ihnen Kohlendioxid und len. Die Mikrobenwelt besteht fast nur aus
Biosphäre, würde Wasserstoff verwerten, die in ihrem Lebens- kugel- und stäbchenförmigen Wesen. Allein
zufällig kaum raum durch chemische Reaktionen oder eine fremde Biochemie würde uns die andere
durch Radioaktivität freigesetzt werden. So- Lebensform verraten. Hier könnten Forscher
entdeckt weit bisher untersucht, sind diese Unterwelt- ansetzen. Sie müssten Annahmen darüber ma-
bewohner mit oberirdischen Mikroben eng chen, was bei den Aliens chemisch anders sein
verwandt. Doch da diese Forschungen noch könnte und welche Spuren das hinterließe.
jung sind, könnten hier Überraschungen war- Nach solchen hypothetischen Charakteristika
ten. Im Rahmen eines internationalen Bohr- könnten sie dann gezielt fahnden.
programms zur Erforschung der Tiefseeböden Ein einfaches Beispiel wäre die Händigkeit
gewannen Forscher Gesteinsproben von bis zu oder Chiralität großer, asymmetrischer Bio-
einem Kilometer unter dem Meeresboden. moleküle. Im Prinzip könnten diese Moleküle
Spuren biologischer Aktivität finden sich bei rechts- oder linkshändig gebaut sein. Doch
Landbohrungen sogar in noch größerer Tiefe. alle bekannten Organismen verwenden stets

Wo sich Exoten verstecken könnten


Hausen fremdartige Organismen an Orten, die für die aller- in Kalifornien bieten (Bild links), die Trockentäler der Antarktis
meisten bekannten Lebensformen höchst widrige Umwelten (oben) oder der kupferbelastete, normalem Leben feindliche Rio
darstellen? Solche Nischen könnten der stark salzige Mono Lake Tinto in Spanien (unten).

NATIONAL GEOGRAPHIC IMAGE COLLECTION, MARIA STENZEL


PETER ARNOLD INC. / ARCO, P. FRISCHKNECHT

CORBIS, ERIC AND DAVID HOSKING

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nur eine – und alle die gleiche – spiegelbild- Fremdlinge im Meeresgrund?


liche Fassung. Das ist Voraussetzung, um
komplexere Strukturen herstellen zu können. In 200 Millionen Jahre altem Sandstein von

PHOTO RESEARCHERS INC. / WHISTLER RESEARCH


So sind die Aminosäuren (die Bausteine der einer Tiefseebohrung vor Westaustralien ent-
Proteine) immer linkshändig, Zucker rechts- deckte Philippa Uwins von der Universität von
händig, und auch die DNA-Doppelhelix ist Queensland winzige Strukturen, die sie

PTY LTD., PHILIPPA UWINS


rechtsgängig. Aber genauso gut hätte sich das »Nanobes« nennt (in der elektronenmikrosko-
alles zu Anfang des Lebens umgekehrt heraus- pischen Aufnahme die braunen Tröpfchen und
bilden können. Ein unabhängig entstandenes Fortsätze). Die Gebilde sind 20 bis 150 Nano-
Schattenleben mag darum in allem spiegel- meter groß. Sie scheinen sich im Labor ver-
bildlich zu unserem sein. Mit unserer Da- mehren zu können. Auch fanden die Forscher Anzeichen für DNA. Manche Kol-
seinsform würde es dann nicht unmittelbar legen bezweifeln aber Uwins Ansicht, dass dies Lebewesen sind.
konkurrieren. Beide wären auch nicht fähig,
Gene miteinander auszutauschen, denn ent-
scheidende Moleküle würden nicht zusam- säuren in dem Meteoriten kamen, ist ungewiss.
menpassen. Die Mehrheit der Forscher glaubt nicht, dass
sie auf Bioaktivität zurückgehen.) Manche sol-
Passend für eine Spiegelwelt cher exotischen Aminosäuren könnten frem-
Ein solchermaßen gespiegeltes Leben wäre den Lebensformen durchaus als Bausteine die-
nicht schwer zu finden. Die Forscher müssten nen. Man müsste folglich unter lebenden Mi-
einfach eine Nährlösung rein aus Biomole- kroben oder in organischen Abfällen nach
külen mit verkehrter Händigkeit herstellen Aminosäuren suchen, die kein bekannter Or-
und sie mit Proben versetzen. Im Gegensatz ganismus verwendet und die auch nicht bei de-
zu normalen Organismen könnten Lebewesen ren Stoffwechsel oder Zerfall entstehen.
aus dem Spiegelreich möglicherweise darin Auch die aufblühende Forschung über
gedeihen. Richard Hoover und Elena Pikuta künstliches Leben dürfte bei der Suche nach
vom Marshall-Raumflugzentrum der Nasa ha- Aliens Anregungen bieten. Biochemiker ver-
ben das kürzlich versucht. In die Nährlösung suchen derzeit, völlig neue Organismen zu NEUARTIGE KRANK-
gaben sie verschiedene neu entdeckte Extre- synthetisieren, indem sie in Proteine zusätz- HEITSERREGER?
mophile. Tatsächlich vermehrte sich nun ein liche Aminosäuren einfügen. Steve Benner
Mikroorganismus aus dem Sediment eines al- von der Stiftung für angewandte molekulare Einige Forscher sind über-
kalischen kalifornischen Sees, der die Bezeich- Evolution in Gainesville (Florida) hält Protei- zeugt: Nanobakterien, oder
nung Anaerovirgula multivorans erhielt. Bei ne mit so genannten Alpha-Methyl-Amino- was immer die verdächtigen
näherer Untersuchung entpuppte er sich je- säuren für recht geeignet für synthetisches Le- Ultrapartikel in unserem
doch als ein Bakterium der gewöhnlichen ben, da sie sich gut falten. Von bekannten Or- Körper sein mögen, bewir-
Welt, das sich allerdings verblüffenderweise ganismen kennen Forscher diese Aminosäuren ken Ablagerungen wie
darauf versteht, die verkehrten Aminosäuren bisher nicht. Es sollte nicht schwer sein, künf- Nierensteine, arteriosklero-
und Zucker so umzubauen, dass er sie verwer- tig bei neuen Mikroben die Zusammenset- tische Plaques oder auch
ten kann. Dennoch könnten Spiegelorganis- zung ihrer Proteine zu bestimmen. Etablierte den grauen Star.
men existieren, denn an der Studie nahm nur Methoden wie die Massenspektrometrie wür-
ein winziger Bruchteil der Mikrobenwelt teil. den das leisten.
Des Weiteren wäre eine Schattenbiosphäre Falls sich dabei etwas Eigenartiges ergäbe,
vorstellbar, die biochemisch weit gehend so wie ständen die Wissenschaftler vor dem nächsten
unsere funktioniert, aber einen anderen Satz Problem. Sie müssten klären, ob sie wirklich ei-
Aminosäuren oder Nukleotide (DNA-Baustei- nen völlig anderen Organismus erwischt ha-
ne) benutzt. Alle bekannten Lebewesen spei- ben, der sich von einem eigenen Lebensur-
chern ihre genetische Information in Abfolgen sprung herleitet, oder ob sie nicht vielmehr
der gleichen im Wesentlichen vier Nukleotide. eine neue Domäne des bekannten Lebens ent-
Auch bauen sie ihre Proteine, sozusagen die Ar- deckt haben – was aufregend genug wäre. Dass
beiter der Zellen, mit seltenen Ausnahmen aus die Archaea in unserem Stammbaum eine eige-
zwanzig bestimmten Aminosäuren. Beim gene- ne Domäne bilden, erkannten die Forscher
tischen Kode stehen jeweils drei Nukleotide für auch erst in den 1970er Jahren.
eine dieser Aminosäuren. Im Labor lassen sich Höchstwahrscheinlich fußt unsere Lebens-
aber noch viele andere Aminosäuren syntheti- form auf Vorgängern mit noch völlig anderer,
sieren, die in den bekannten Organismen nicht schlichterer Biochemie. Erst mit der Zeit dürf-
vorkommen. Der Murchison-Meteorit, ein ten Selektionskräfte den heutigen genetischen
Kometenrest, der 1969 in Australien nie- Kode herausgearbeitet und optimiert haben.
derging, enthielt neben vielen vertrauten Ami- Vielleicht benutzten frühe Organismen nur
nosäuren auch einige außergewöhnliche, so um die zehn Aminosäuren, nicht zwanzig, und
Isovalin und Pseudoleucin. (Woher die Amino- verschlüsselten sie nicht mit jeweils drei, son-

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dern zwei genetischen Buchstaben. Warum uns kommt ja gerade daher, dass es Phosphor
sollte es nicht noch irgendwo primitive Orga- so gut imitiert. Umgekehrt wäre für Lebewe-
nismen geben, die mit dem alten, einfacheren sen mit arsenhaltigen Biomolekülen Phosphor
Kode leben? Nur wären das nicht wirklich Ali- das reine Gift. Treiben sich solche Arsen-Or-
ens, sondern eher so etwas wie lebende Fos- ganismen womöglich an arsenreichen, phos-
silien und von daher für die Wissenschaft eben- phorarmen Orten herum, etwa an heißen
falls hochinteressant. In den Szenarien vom Quellen der Erdoberfläche oder der Tiefsee?
Ursprung des Lebens kommen auch Wesen Vielleicht sind Schattenorganismen viel
vor, deren Erbinformation noch nicht in Form winziger als die kleinsten vertrauten Mikro-
von DNA vorliegt, sondern als so genannte ben. Autonome Organismen unseres Stamm-
RNA, die als ursprünglicher gilt. Auch solche baums müssen wenigstens einige hundert Na-
Mikroben wären lebende Fossilien. nometer messen. Die Proteinsynthese erfolgt
Bei noch radikaleren chemischen Unter- stets in so genannten Ribosomen, komplexen
schieden bestünde weniger Gefahr, dass eine Strukturen, die selbst schon mindestens 20
entsprechende Lebensform bei näherem Hin- Nanometer groß sind. Viren können deutlich
sehen doch in unseren eigenen Stammbaum kleiner sein als Bakterien, weil sie über diese
gehört. Astrobiologen denken zum Beispiel an Maschinerie nicht verfügen, sondern zur Ver-
den Ersatz von Wasser durch ein anderes Lö- mehrung Zellen nutzen müssen – sie gelten
In unserem Körper sungsmittel, etwa Ethan oder Methan. Auf darum nicht als echte, autonome Organis-
könnten Nanobakte- der Erde sind solche Umwelten schwer vor- men. Um eine alternative Lebensform handelt
stellbar. Diese beiden Stoffe liegen nur in es sich bei ihnen nicht. Auch deutet nichts
rien hausen, die unter großer Kälte flüssig vor, etwa auf dem Saturn- darauf hin, dass sie von Aliens abstammen.
anderem im Urin ge- mond Titan. Einige Wissenschaftler behaupten seit Jah-
deihen und Nierenstei- Recht beliebt sind Szenarien, in denen an ren, die Biosphäre sei voller winziger Zellen,
die Stelle zumindest eines der chemischen die zu klein seien, um noch Ribosomen zu
ne hervorrufen Hauptelemente unserer Lebensform ein ande- enthalten. Robert Folk von der Universität
res Element tritt. Bei unserer Lebensform sind von Texas in Austin machte im Jahr 1990 auf
das Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stick- kugelige und eiförmige Objekte aufmerksam,
stoff und Phosphor. Gerade Phosphor ist eher die im Sedimentgestein der heißen Quellen
rar. Auf der frühen Erde dürfte er in seiner im italienischen Viterbo nordwestlich von
löslichen, leicht verwertbaren Form nur in Rom erkennbar sind. Der Geologe deutet die-
Spuren vorgelegen haben. Felisa Wolfe-Si- se Strukturen als versteinerte so genannte
mon, die heute an der Harvard-Universität in Nano- oder Nannobakterien (wie er selbst sie
Cambridge (Massachusetts) arbeitet, argu- nennt). Es handele sich um die verkalkten
mentiert, dass Arsen die Rolle des Phosphors Überreste dreißig Nanometer großer Organis-
übernehmen könnte. In der Anfangszeit des men. Gebilde ähnlichen Aussehens entdeckte
Lebens hätte das manche Vorteile bedeutet. die australische Forscherin Philippa Uwins
Arsen könnte nicht nur ebenso gut Biomole- von der Universität von Queensland in Bris-
küle mitgebildet oder dem Energiespeichern bane in Proben einer Tiefseebohrung vor
gedient haben, sondern es hätte zusätzlich Westaustralien (siehe Kasten S. 47). Ob die
selbst Energiequelle für den Stoffwechsel sein Strukturen biologischer Natur sind, ist noch
können. Die extreme Giftigkeit von Arsen für heftig umstritten. Falls ja, könnten sie von al-
ternativen Lebensformen Zeugnis geben, die
ohne Ribosomen auskamen – oder auskom-
men? – und deswegen lange nicht so groß sein
mussten beziehungsweise müssen wie die
kleinsten herkömmlichen Bakterien.
Leben Aliens womöglich sogar in unserem
Körper? Einige Wissenschaftler vermuten das.
Bei elektronenmikroskopischen Studien an
Säugerzellen im Jahr 1988 fielen einem For-
scherteam um Olavi Kajander von der Uni-
versität von Kuopio (Finnland) in vielen der
Zellen ultrakleine Partikel auf. Sie maßen nur
um die fünfzig Nanometer, etwa ein Zehntel
von normalen kleinen Bakterien. Zehn Jahre
später verkündeten die finnischen Forscher,
die verdächtigen Partikel seien anscheinend
lebende Organismen, die im Urin gedeihen
und Nierensteine hervorrufen, indem sie um

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Leben vom Mars bei uns?


Falls die These stimmt, dass unter bestimmten Voraussetzungen Leben zwangsläufig entsteht,
dann könnte es auch anderswo im Sonnensystem unabhängig aufgetreten sein. Insbesondere
käme dafür der Mars in Frage, auf dessen Oberfläche früher flüssiges Wasser vorkam. Durch As-
teroiden- und Kometeneinschläge erfolgt zwischen Erde und Mars ein gewisser Materialaus-
tausch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürften mit dem Gestein auch lebensfähige Mikroben ver-
schleppt worden sein. In diesem Szenario hätten sich das Mars- und das Erdenleben mit der Zeit
fast zwangsläufig gemischt. Somit wäre eine von manchen postulierte »Schattenbiosphäre« auf
der Erde vielleicht gar nicht irdischen Ursprungs.

sich herum Mineralstoffe wie Kalzium ausfäl- setzen – mit einer Transformation vergleichbar
len. Was immer die Liliputwesen darstellen – einem physikalischen Phasenübergang. Der
manche davon könnten durchaus ein eigenar- könnte stattfinden, weil in einem System die
tig fremdes Leben repräsentieren. chemische Komplexität eine gewisse Schwelle
Ob ein Mikroorganismus mit einer exoti- übersteigt. Bei dem System muss es sich kei-
schen Biochemie als Abkömmling eines eige- neswegs um eine einzelne Zelle handeln. Son-
nen, zweiten Lebensursprungs eingestuft wür- dern ein primitives Leben mag einst aus einer
de, hinge sicherlich davon ab, wie grundsätzlich Zellgemeinschaft erwachsen sein, die Stoffe
diese Kreatur von bekannten Erscheinungen und Informationen austauschte. Autonomie
abweicht. Feste Kriterien, also eindeutige Merk- gewannen die Zellen erst später, und dann erst
male können die Wissenschaftler nicht aufstel- bildeten sich eigenständige Spezies aus. Nach Paul Davies ist theoretischer
len, solange sie über die Anfänge unseres eige- der zweiten Theorie verläuft der Übergang von Physiker, Kosmologe und Astrobio-
loge. Zurzeit leitet er an der Arizona
nen Stammbaums dermaßen wenig wissen. reiner Chemie zur Biologie gleichmäßig und State University in Phoenix das
gemächlich – so kontinuierlich, dass keine Forschungszentrum »Beyond«,
Wie plötzlich fing alles an? scharfe Grenze zwischen Leben und Noch- dessen Mitarbeiter sich mit den
Astrobiologen fantasieren über Organismen, nichtleben auftritt, somit auch kein spezieller »großen Fragen« der Naturwissen-
schaften auseinandersetzen.
deren Moleküle nicht auf Kohlenstoff-, son- Moment als Anfang des Lebens herausragt.
dern auf Siliziumverbindungen beruhen. Für Sich darüber Gedanken zu machen, ob Le-
Leben bekannter Machart ist Kohlenstoff der- ben mehrmals entstand, ist sinnvoll, wenn Ein einfacher Ursprung des Lebens.
maßen entscheidend, dass ein gemeinsamer man dem Phänomen – bei allen Definitions- Von Robert Shapiro in: Spektrum
Ursprung silizium- und kohlenstoffbasierter schwierigkeiten – zumindest eine exklusive der Wissenschaft 11/2007, S. 64
Typen unmöglich erscheint. Würde ein fremd- Eigenschaft zuspricht. Als klar fassbarer Un- Was ist Leben? Von Robert Hazen
artiger Organismus dagegen die gleichen Nu- terschied zum Unlebendigen könnte zum Bei- in: Spektrum der Wissenschaft
kleotide und Aminosäuren wie das bekannte spiel gelten, dass Leben bestimmte Arten von 10/2007, S. 66
Leben verwenden, aber einen anderen gene- Information speichert und verarbeitet. Defi- Cosmic jackpot: Why our universe is
tischen Kode benutzen, müsste er nicht niert man Leben aber eher vage über so etwas just right for life. Von Paul Davies.
zwangsläufig einen echten Alien darstellen. wie organisierte Komplexität, dann verlieren Houghton Mifflin, 2007
Solche Unterschiede ließen sich auch als ein sich die Wurzeln leicht in der Sphäre reiner The limits of organic life in planeta-
Auseinanderdriften in der Evolution erklären. komplexer Chemie. In diesem Fall verschie- ry systems. Von: Committee on the
Den umgekehrten Prozess kennen Biolo- dene Lebensursprünge nachweisen zu wollen, Limits of Organic Life in Planetary
gen gleichfalls: Manchmal nähern sich Ent- dürfte fast unmöglich sein – es sei denn, die Systems, Committee on the Origins
and Evolution of Life, National
wicklungslinien getrennter Abstammung, die Organismen stammen tatsächlich aus ge- Research Council. National Acade-
ähnlichen Umwelten ausgesetzt sind, in ihren trennten Welten, etwa aus verschiedenen Son- mic Press, 2007
Eigenschaften an. Unter Umständen ist die nensystemen, sodass sie nie Berührung zuei-
Finding a second sample of life on
verschiedene Herkunft dann nicht mehr leicht nander gehabt haben können. earth. Von P. Davies und C. Line-
zu erkennen. In diesem Sinn könnte auf bio- Allein die kleine Stichprobe der unzähligen weaver in: Astrobiology, Bd. 5, S.
chemischer Ebene etwa die Auswahl bevor- Mikroorganismen der Erde, die wir bisher ge- 154, 2005
zugter Aminosäuren einem Selektionsdruck nauer untersuchen konnten, hat ungeheure The possibility of alternative
gehorcht und sich angeglichen haben. Könnte Überraschungen gebracht. Jede Neuentde- microbial life on earth. Von C. E.
es nicht sein, dass ein fremdes Leben zunächst ckung erweiterte unsere Vorstellung des biolo- Cleland und S. D. Copley in: Interna-
eine andere Zusammenstellung nutzte, mit gisch Möglichen. Sicherlich harren in bisher tional Journal of Astrobiology, Bd. 4,
Heft 4, S. 165, 2005
der Zeit aber auf die gleichen Moleküle verfiel kaum erkundeten irdischen Lebensräumen
wie vertraute Organismen? noch ganz andere exotische Wesen. Sollten Life as we do not know it. Von Peter
Zwei grundverschiedene Ansätze konkur- Zeugnisse von einer zweiten Genesis zu Tage Ward. Wiking, 2005
rieren darum, wie der Beginn von Leben er- kommen, dürfen wir dies als starken Hinweis
folgt. Das macht es nicht gerade leichter, bewerten, dass Leben wirklich ein kosmisches Weblinks zu diesem Thema finden
fremdartige Erscheinungen zu deuten. Der ei- Phänomen darstellt – und als Zeichen, dass Sie unter www.spektrum.de/
nen Theorie zufolge vermag Leben jäh einzu- wir im Universum nicht allein sind. l artikel/943419.

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · APRIL 2008 49

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