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Beziehungskisten.

Referenz und Zeitgenossenschaft in der


Architektur
Jedes Gebäude ist eine „Beziehungskirste“. Das alltagssprachlich-ironische Wort
macht auf den grundlegenden Sachverhalt der Architektur aufmerksam, dass jedes
Bauwerk in mehr oder weniger komplexen Außenbeziehungen angesiedelt ist. Und
wie jede Beziehung zeichnen sich auch diese referenziellen Beziehungen durch
Gemeinsamkeiten und durch Differenzen aus. Das Seminar soll sich insbesondere
zwei Aspekten dieser Bezüge widmen: Auf der einen Seite soll es sich mit der
architektonischen Referenz in einem engeren Sinn auseinandersetzen, wie sie auch
in der Entwurfslehre verstanden wird. Auf der anderen Seite soll sich das Seminar
mit dem Verhältnis zwischen Referenz und Zeitgenossenschaft in der
Architekturproduktion auseinandersetzen, die durchaus miteinander in Konflikt
stehen: Während Referenz auf Vergangenheitsbezüge verweist, zielt
Zeitgenossenschaft auf die Gegenwarts- und Zukunftsbezüge von Originalität,
Aktualität und Innovation.

Folgende Themenbereiche sollen im Seminar diskutiert werden:


1. Architektonische Referenz und Zeitgenossenschaft als wissenschafts- und
architekturtheoretisches Problem;
2. Das Vernakuläre als Referenz;
3. Film und andere Künste als Referenzen in der Architektur;
4. Musterbücher in der Gegenwart: Die Produktion von Referenzen aus der
Architekturgeschichte im Dienst des aktuellen Bauens;
5. Referenzen in der Entwurfsmethodik
Betrachtungsebenen der Referenz in unserem Seminar:

- Die entwurfsmethodische Ebene: Was ist eine Referenz? Gibt es nicht-


referenzielle Architektur

- Die architekturgeschichtliche Ebene: Umgang mit Referenzen in gebauten


Beispielen

- Die entwurfspraktische Ebene: Umgang mit Referenzen bei den eigenen


Studienentwürfen
Rem Koolhaas, China Central
Television Headquarters in
Peking
(中央电视台总部⼤楼
Zhōngyāng Diànshìtái Zǒngbù
Dàlóu) , fertiggestellt 2009.
1. Architektonische Referenz und Zeitgenossenschaft als
wissenschafts- und architekturtheoretisches Problem;

2. Das Vernakuläre als Referenz;

3. Film und andere Künste als Referenzen in der Architektur;

4. Musterbücher in der Gegenwart: Die Produktion von


Referenzen aus der Architekturgeschichte im Dienst des
aktuellen Bauens;

5. Referenzen in der Entwurfsmethodik


1. Architektonische Referenz und
Zeitgenossenschaft als wissenschafts- und
architekturtheoretisches Problem.
Die Entwicklung von der Abstraktion
(= abstrahierte Formen mit der Möglichkeit zur Herstellung von Gegenstandsrelationen)

zur Ungegenständlichkeit
(= Formen ohne Gegenstandsrelation; Verzicht auf Gegenstands- und Figurendarstellung,
Symmetrie, Raumperspektiven, differenzierte Farbigkeit Reduktion der Darstellungsmittel auf
innerbildliche Mittel: Linien, Flächen, Grundfarben+Weiß+Schwarz; das Bild konstituiert
eine autonome, inkompatible Realität)

Piet Mondrian, Pier und Ozean 1915 (linkes Bild) und


Komposition 1917. Amsterdam, Rijksmuseum
Piet Mondrian, Komposition. Gemälde 1921.
Jackson Pollock, Autumn Rhythm (Number 30).
Gemälde 1950 (Maße 266 x 525 cm).
New York, Metropolitan Museum.
Die Antike als Dauerreferenz

Colosseum (Amphitheatrum Flavium) in Rom, um 71/72-80.


Michelangelo, Innenhof des Palazzo Farnese in Rom, Mitte 16. Jh.

Theatermotiv:
Überblendung von Pfeiler-Arkadensystem und Säule-Gebälk- / Kolonnadensystem

Trennung von Statik und Tektonik

Superposition der Säulenordnungen: Dorisch – Ionisch – Korinthisch – Komposit


Synopse der fünf
Säulenordungen,
aus: Sebastiano Serlio,
Regole generali di architettura
(Libro IV), 1537 (Ed. 1566)
Bernhard Schneider,
„Die Wiedereinführung der Säule“.
Collage 1980.
Robert Venturi,
Allen Memorial Art Museum,
ab 1976.
Thomas Gordon Smith, The Laurentian House, 1979.

Akrotereon, Säule und Arkade als Repertoiremotive


2. Das Vernakuläre als Referenz
Aldo van Eyck: Kinderwaisenhaus
in Amsterdam, 1958-1960.
Aldo van Eyck, Waisenhaus, Amsterdam 1955-1960 Pueblo Bonito, Chaco Canyon, New Mexico

„Dem Entwurf liegt das Bemühen zugrunde, einen baulichen Rahmen – Spielraum – für das
Doppelphänomen individuell-kollektiv bereitzustellen.“
„Doppelphänomene werden nach dem Prinzip Reziprozität vereint: Einheit-Vielfalt, Teil-Ganzes,
groß-klein, viele-wenige, innen außen, offen-geschlossen, Masse-Raum, Dauer-Wechsel, Ruhe-
Bewegung, individuell-kollektiv“
im wesentlichen immer gleich ist“

Aldo van Eyck, Otterlo 1959


„Architektur ist das ständige Wiederentdecken konstanter menschlicher Verhältnisse
und deren Übertragung in den Raum ... der Mensch ist im wesentlichen immer und überall
der gleiche. Er hat die gleiche mentale Ausstattung, nur gebraucht er sie verschieden
je nach seinem kulturellen und sozialen Voraussetzungen und den verschiedenen Lebenswelten,
deren Teil er jeweils ist.
Die moderne Architektur hat fortwährend auf dem insistiert, was unsere Zeit unterscheidet, und zwar so sehr,
dass sie die Verbindung verloren hat zu dem, was nicht verschieden, sondern im wesentlichen immer gleich
ist.“

Is Architecture Going to Reconcile Basic Values?


Giancarlo De Carlo, Campus der Universität in Urbino,
Planung und Errichtung 1963-82.

Bezug auf den ländlichen borgo in den Marche.


3. Film und andere
Künste als Referenzen in
der Architektur;
Referenzen in
Medientransgressionen

„Raummüdigkeit der Postmoderne“.


Piktogramme aus: Robert Venturi, Denise Scott Brown, Stephen Izenour,
Learning from Las Vegas, 1972.
David Hockney: Portrait of an Artist (Pool with Two Figures), Gemälde 1971;
Man Taking a Shower in Berverly Hills, Gemälde 1964.
3. Film und andere Künste als
Referenzen in der Architektur;
Referenzen in
Medientransgressionen
Essays
1975-1990.

Buchpublikation
1994.
Bernard Tschumi, Masterplan und Entwurf der Follies für den
Parc de la Villette in Paris, eröffnet 1983
Bernard Tschumi, Studien zu den Follies im Parc de la Villette, Paris.
Jean Nouvel,
Fondation Cartier in Paris,
Fertiggestellt 1994.
5. Die Produktion von Referenzen in der
Architektur – die Wiederkehr der Musterbücher
Referenzen in der Entwurfsmethodik
Die Referenz der Woche!
Charles Moore,
Piazza d‘Italia in
New Orleans,
1977-1978
Charles Moore, Piazza d‘Italia
in New Orleans,
1977-78
Paris,
Place Royale Louis XIV
(Place des Victoires),
1680.
Rom,
Fontana di Trevi,
ab 1736
Fontana di Trevi in Rom
Zeichnung von Charles Moore

Illustration aus
Donlyn Lyndon und Charles Moore,
Chambers for a Memory Place,
1994

Oben: Dissertation von Moore in der


Buchausgabe.
Film 1960
Überlegungen zur Referenzierung am Beispiel:

- explizite Referenz (Qualität des Ausgangsmaterials)

- Spiel von Zitat / Übernahme und Verfremdung (Interessen des Empfängermilieus)

- Popularisierung und Medienvermittlung (Wege des Transfers)

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