EUROPA-FACHBUCHREIHE
IJI für Chemieberufe
Fachwissen Chemie 2
Erweiterte Oualifikationen für Laborberufe
Verlagslektorat:
Dr. Astrid Grote-Wolff
Bildbearbeitung:
G raf ische Produ ktionen Jü rgen Neu ma n n, 97 222 Rimpar
Zeichen bü ro des Verlags Eu ropa-Leh rm ittel, 73760 Ostfi ldern
Umschlaggestaltung:
Grafische Produktionen Jürgen Neumann, 97222 Rimpar,
nach dem Entwurf von Dr. Thomas Meyer
1. Auflage 2014
Druck 54321
Alle Drucke derselben Auflage sind parallel einsetzbar, da sie bis auf die Behebung von Druck-
fehlern untereinander unverändert sind.
lsBN 978-3-8085-6995-5
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb
der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
@ 2014 by Verlag Europa-Lehrmittel, Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG, 42781 Haan-Gruiten
http://www.eu ropa- eh rm itte Lde
I
Das Lehrbuch ,,Fachwissen Chemie 2: Erweiterte Oualifikationen für Laborberufe" baut auf den
chemischen Grundlagen auf, die im ersten Band dieser Fachbuchreihe vermittelt wurden. Ab-
gestimmt auf den Rahmenlehrplan für die Ausbildung zum Chemielaboranten/zur Chemie-
laborantin sowie angelehnt an die Lehrpläne der höheren Berufsfachschule Chemie bzw. Chemie-
technik für die Ausbildung zum Chemisch-technischen Assistent/zur Chemisch-technischen
Assistentin werden die Oualifikationen der Fachstufe bis zum Teil 2 der gestreckten Ab-
schlussprüfung auf einem an der bundeseinheitlichen Prüfung der Chemielaboranten orien-
tierten Niveau vermittelt. Auch Schüler und Auszubildende añderer naturwissenschaftlicher
Bildungsgänge sowie Studierende an Hochschulen und Universitäten können mit diesem Buch
ihre im Studium zu erwerbenden Fachkenntnisse über ein fundiertes Grundwissen der Chemie
hinaus vertiefen.
1.1 Oualität 11
1.2
1.3 Fehler 16
1.4
1.4.1 Oual itätskontrolle OK u nd Oualitätssicheru ng OS................ ..........19
1.4.2 Oualitätsmanagement OM....,.,.................. 20
1.4.3 Totales Oualitätsmanagement TOM.......... 26
1.4.4 Gute Laborpraxis GLP ...28
1.4.5 G ood M a n ufactu ri n g P ractice G M P.............
2.1
2.2 Probenahme 59
2.2.1 Ort und Zeit der Probenahme, Festlegung der Grundgesamtheit...... .,......60
2.2.2 Probenahmeverfahren bei Ortsabhängigkeit der Parameter......,.................................... 61
2.2.3 Probena h meverfah ren bei Zeita bhän g g keit der Para meter..
i 62
2.2.4 Probena megeräte fü r Feststoffe............,......
h 63
2.2.5 Probenahmegeräte für Fl üssigkeiten .............. 64
2.2.6 Probenahmegeräte für Gase 65
2.2.7 Probenmen9e................... 67
2.2.8 Proben gefä ße...,.,............. 69
2.3 Messungen vor Ort 70
2.4 Probenkonservierung und -transport 71
2.5 Probenahmeprotokoll 72
2.6 Probenvorbereitung .. 73
2.6.1 Homogenisierung, Probenverjüngung und Probenteilung....... 74
2.6.2 Lösen der festen Analysenprobe 77
2.6.3 Abtrennen von Analyt und Störsubstanzen 79
4
ln haltsverzeich n is
21n
5.1 Gaschromatografie GC........... 211
5.1 .1 Trägergase.. 211
5.1.2 Probenaufgabe................. 214
5.1.3 I njektionssysteme .............. 216
5.1.4 Säulenofen und Säulen 218
4.1.5 Detektoren 224
5.1.6 Fehlersuche und Optimierung ............. 229
5.2 Hochleistun gs-Flüssigkeits-Chromatografie HPLC. 231
5.2.1 El uentenförderun9........... 231
5.2.2 I njektionssystem .............. 233
5.2.3 Säulen und TrennunS.................. 234
5.2.4 Detektion.. 238
5.2.5 Feh lersuche 240
5,3 Spezielle chromatografische Methoden... 241
5.3.1 lonench romatografie 241
5.3.2 Elektrophorese ................. 244
Aufgaben zu Kapitel 5 .................. 246
tTn¡r! kfirt'llGmEIEEI
6,1 Grundgrößen der Wellenlehre..
-+il1 Ouantenprinzip und Energie......,...
6.2
6.3 Spektrenarten
6.4 Aufbau von Spektralapparaten
6.4.1 Signalauftren nu ng
6.4.2 Detektìon und Auswertung ..............
6.5 Bo u g u er- La m bert- B ee r-Geset2.........
6.6 Atomabsorptionsspektrometrie (AAS)...,.,..........
6.6.1 Aufbau eines Atomabsorptionsspektrometers
6.6.2 Strahlungsquellen.............
6.6.3 AtomisierunS...................
6.6.4 Störungen der Atomabsorptionsmessung.,....,.,.,.
6.6.5 AAS-Ouantifizieru ng mittels Standardadditionsverfah ren .
6.7 Plasma-Emissionsspektrometrie..,.......
6.7.1
6.7.2 Polychromatoren in der Plasma-Emissionsspektroskopie..
6.7.3 Vergleich von AAS und ICP-OES
6.8 Röntgenf luoreszenzanalyse (RFA)
6
lnhaltsverzeich nis
10.1
10.1.1 Elektrische Ladung O.................. .....413
10.1.2 Elektrische Spannung U,.,.... 415
10.1.3 Elektrischer Strom 1..,.,... 416
10.1.4 Elektrischer Widerstand R...........,.......... 420
10.2 Stromkreis.. 423
10.2.1 423
10.2.2 Messung von Spannung U und Strom 1 423
10.2.3 Reihenschaltung ........,..... 425
10.2.4 Parallelschaltung...................... 427
10.2.5 Brückenschaltu ng 429
10.2.6 Gleich richtu ng 431
10.2.7 Bauelemente ....432
10.3
10.3.1 D a n ie I l-Element...,.................. 439
10.3.2 Elektrodenvorgänge 441
10.3.3 Standardpotentiale und Elektrochemische Spannungsreihe...................... 442
10.3.4 Bezugselektroden............. 446
10.3.5 Nernsf-G leich u n9............ 448
10.4 Galvanische Elemente..... 451
10.4.1 452
10.4.2 Sekundäre1emente............... 453
10,4.3 Bren nstoffzellen 454
10.5 Elektrolyse 455
10.5.1 Prinzipieller 4b1auf.......... 455
10.5.2 Abscheidungspotentiale und Zersetzungsspannung .. 456
10.5.3 Fa raday-Gesetze....... 458
10.6 Großtechnische Anwendungen 461
10.6,1 Ch Ior-Al ka I i-Elektrolyse 461
10.6.2 Ku pfer-Raff i natio n..,......... 463
10.6.3 Alumi nium-Darstell u ng 464
10.7 Korrosion 464
9
ln haltsverzeichnis
ztrn
11.1 BiologischeGrundlagen..
11.1.1 Lebewesen und Eigenschaften lebender Systeme....
1 1.1.2 Biologische Stoffklassen
11.1.7 Viren............
11.1.8 Gene als Träger der Erbinformationen............
1 1.1.9 Proteinbiosynthese...................
4E@ FFEI
A Liste ausgewählter Gefah rstoffe ...................
B Rl-Fließbildsymbole nach DIN EN ISO 10628-2:2013-5
und Kennbuchstaben nach DIN 28000-3:2009-12............
Sachwo rtve rzeich n is........
Bildquellenverzeichnis....
Das Periodensystem der Elemente .................. U msch lagin nenseiten
10
1.1 Oualität
lm Laufe der historischen Entwicklung hat si.ch Bild 1: Entwicklungsstufen von der Oualitäts-
das Oualitätsdenken verändert und weiter ent- kontolle zum Total Auafity Management
wickelt. Angefangen bei der Oualitätskontrol-
le (OK) bzw Oualitätsprüfung und schließlich
der Oualitätssicherung (OS), existiert heute in Qualität ist, wenn der
Unternehmen meist ein Oualitätsmanagement Kunde zurückkommt
(OM) oder sogar ein Total Auafity Management und n¡cht das'irôdukt.
(TOM), ein umfassendes 0,ualitätsmanage-
ment (Bild 1).
Oualität gibt die Eigenschaften e¡nes Stoffes, Systems, Prozesses oder einer Dienstleistung an
Ouantität bezeichnet die Menge oder Anzahl von Stoffen, Objekten oder Vorgängen.
11
1 Oualität und Oualitätssysteme
Werden die Oualitätseigenschaften gewichtet bzw. gewertet, wird die Oualität beurteilt. Die Güte
der Eigenschaften hängt von den Kriterien ab, nach denen die Oualität von einem Betrachter als gut,
mäßig oder schlecht eingestuft wird. Diese Einstufungen geben den Erfüllungsgrad der Güte wieder.
Anwendungsbeispiel zur Beurteilung von Oualität: Die neutrale Beschreibung eines Stoff-
systems kann qualitativ über die verschiedenen enthaltenen Moleküle geschehen. Die qualitative
Beschreibung kann durch quantitative Angaben ergänzt sein. Enthält beispielsweise ein Wein
12,5 Volumenprozent Ethanol,0,53 g . L-' Methanol ,1,20 g.L-'Weinsäure,20 g. L-' Glucose und
53,4 mg . L-' Catechin, erfolgt anhand bestimmter Merkmale eine bewertende Beschreibung die-
ses Stoffsystems durch Vergabe von Auszeichnungen. Die Oualität des Weines kann hiernach
nach dem Restzuckergehalt als trocken, halbtrocken, lieblich oder süß bezeichnet werden. Nach
anderen gesetzten Kriterien erhält der Wein für die Güte die Auszeichnung als Oualitätswein,
Landwein oder Tafelwein bzw. als Prädikatswein wie Kabinett oder Auslese.
Bei der Beschreibung eines Prozesses oder einer Dienstleistung ist es ebenfalls möglich, nur den
Ablauf festzuhalten. Diese qualitative Beschreibung enthält die einzelnen Prozess- bzw. Ablauf-
schritte. Die bewertende Oualitätsbeschreibung von Prozessen oder Dienstleistungen besteht
aus Begrifflichkeiten wie ,,schonender Prozess" oder ,,hervorragende Maßarbeit".
Die neutrale Bedeutung von Oualität beschreibt die Summe aller Eigenschaften eines Stoffs,
eines Systems, eines Prozesses oder einer Dienstleistung.
Bei einer bewerteten Bedeutung von Oualität wird von der Güte der Eigenschaften gespro-
chen. Die Einstufung in gute oder schlechte Oualität hängt von den gesetzten Kriterien und
deren Erfüllungsgrad ab.
lm Jahr 1984 versuchte der US-amerikanische Forscher David A. Garvin den Begriff Oualität zu
klassifizieren. Oualität kann hiernach aus fünf verschiedenen Blickrichtungen gesehen werden:
. Subjektiver Ansatz oder transzendenter Ansatz: Oualität ist ein Synonym für Hochwertigkeit,
bei der die Eigenschaften von einer Person als besonders bzw. einzigartig verstanden und ent-
sprechend subjektiv eingeordnet werden. Da subjektive Einschätzungen nicht messbar sind,
eignet sich dieser Ansatz nicht für die betriebliche Anwendung.
. Produktbezogener Ansatz: Die Oualität eines Produktes wird nach allgemein festgelegten, ob-
jektiven Anforderungen festgelegt. Der Erfüllungsgrad für diese Anforderungen bestimmt die
Oualität. lst beispielsweise eine Anforderung an ein chemisches Produkt seine Reinheit, bedeu-
tet eine höhere Reinheit eine höhere Produktqualität. Meist steigt allerdings mit der Reinheit
auch der Preis des Produkts. Daher ist der produktbezogene Ansatz differenziert zu betrachten.
. Kundenbezogener Ansatz: Oualität wird aus der Sicht des Kunden oder des Produktanwenders
gesehen. Die wirklichen Kundenwünsche und Anforderungen müssen hierzu genau bekannt
sein. Werden alle Kundenanforderungen und Erwartungen realisiert, ist die Oualität hoch. Feh-
len hingegen Produkteigenschaften bzw. sind diese aus Sicht des Kunden nur ungenügend
umgesetzt, sinkt die Oualität des Produkts. Produkteigenschaften, die aus Kundensicht nicht
erforderlich sind, verbessern aus Sicht des Kunden die Produktqualität nicht.
. Prozessbezogener Ansatz: Die Beurteilung von Oualität erfolgt über die Einhaltung von festge-
legten Grenzwerten oder Normen in der Fertigung bzw. im Prozessablauf. Alle Abweichungen
oder Fehler im Prozessablauf mindern die Oualität.
. Wertbezogener Ansatz: Der Preis eines Produkts wird mit der Leistung ins Verhältnis gesetzt.
Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis entspricht einer hohen Oualität. Voraussetzung hierfür ist,
dass die Leistung des Produkts eine Eigenschaft ist, die für den Kunden relevant ist und für die
der Kunde einen Nutzen erkennt.
ln einem Unternehmen wird jeder Unternehmensbereich seinen passenden Ansatz für Oualität
wählen. lm Bereich der Produktion wird der prozessbezogene Ansatz dominieren, während sich
im Marketing der produktbezogene und im Verkauf der kundenbezogene Ansatz durchsetzen.
12
1.1 Oualität
lm chemischen Labor spielen abhängig von der Ausrichtung unterschiedliche Ansätze eine Rolle.
Einerseits sind bei der Untersuchung von Produkteigenschaften die Kundenanforderungen maß-
gebend, andererseits geben gesetzliche Anforderungen und Vorschriften beim Produkt als auch
beim Produktionsverfahren die Rahmenbedingungen vor. Somit werden sowohl der prozess-
bezogene als auch der produktbezogene Ansatz verfolgt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass
sich die verschiedenen Sichtweisen nicht streng voneinandertrennen lassen.
Normen
Die Definitionen für den Begriff Oualität haben sich auch in den Vorgaben, den so genannten
Normen, verändert und entwickelt, Normen (laï. norma, Maßstab, Regel, Vorschrift; engl, sfan-
dardl definieren Standards. Hierbei besitzen Normen den Charakter von Empfehlungen, deren
Beachtung und Anwendung freigestellt ist. Eine sehr bekannte Norm aus dem Alltag ist die tech-
nische Norm DIN EN ISO 216,in der Papierformate wie DIN A4 mit der Größe 210 mm x297 mm
festgelegt sind.
Das Einhalten der in den Normen festgelegten Regelungen bzw. Leitlinien für Verfahren oder
Erzeugnisse erleichtert sowohl national als auch international die Zusammenarbeit. lm Gegen-
satz zu Gesetzen oder Verordnungen besitzen Normen keine rechtliche Verbindlichkeit (s. Band 1.
Kap. 11). Sie können nur durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Verein-
barungen verbindlich werden.
Normen besitzen keine rechtliche Verbindlichkeit wie Gesetze oder Verordnungen. Durch
Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Vereinbarungen kann eine Norm ver-
bindlich werden.
Normen legen nicht konkret fest, wie und mit welchen Prüfverfahren ein Produkt zu testen ist. Sie
lassen Freiheiten in der betrieblichen Ausgestaltung und Anpassung an individuelle Gegebenhei-
ten. Die Anwender der Normen müssen selbst das spezielle Fachwissen zum Produkt und den
Prüfverfahren besitzen und den Stand der Technik umsetzen. Der Stand der Technik gibt die tech-
nischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt basierend auf gesicherten Erkenntnissen an.
Der Stand der Technik ist ein feststehender Terminus für die technischen Möglichkeiten zu
einem bestimmten Zeitpunkt.
Eine Norm enthält in ihrem Eingangsteil Begriffsdefinitionen. Der Begriff Oualität ist beispiels-
weise in einer Norm der Normenreihe DIN 55350 festgelegt. Die Bezeichnung der Norm zeigt, dass
diese Norm vom Deutschen lnstitut für Normung e. V (DlN) erstellt worden ist und damit für den
Bereich der Bundesrepublik Deutschland gilt, Nach dieser Norm ist Oualität die ,,Beschaffenheit
einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen."
lm Hauptteil einer Norm werden die eigentlichen Regeln und Festlegungen zu Eigenschaften von
Stoffen, Geräten, Bauteilen, Prozessen und Verfahren als Standard bestimmt.
Oualität nach DIN 55350 ist die ,,Beschaffenheit einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, fest-
gelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen."
Die ISO bildet zusammen mit der lnternationa- wsc Wo rld Sta nda rds Coo pe ratio n
len Elektrotechnischen Kommission (lEC) für
die Bereiche Elektrik und Elektronik sowie der International Telecommunication lJnion (lTUl lür
den Bereich Telekommunikation die World Standards Cooperation (WSC).
Die Verfahrensnorm für Oualitätsmanagementsysteme DIN EN ISO 9000:2005 ist Teil der Nor-
menreihe DIN EN ISO 9000 ff. Zu dieser Normenreihe gehören die Normen 9000, 9001 und 9004.
Die Normen 9002 und 9003 sind nach mehreren Überarbeitungen der gesamten Normenreihe
nicht mehr existent.
Die Norm DIN EN ISO 9000 definiert Grundlagen und Begrifflichkeiten. Oualität ist hiernach der
,,Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt."
Die Bezeichnung ,,Satz inhärenter Merkmale" meint alle Merkmale, die einem Produkt innewoh-
nen, also zu den eigentlichen Eigenschaften eines Produkts zählen. lnhärente Merkmale sind
objektiv messbar und können z. B. die Länge, Breite, Masse, Siedetemperatur und Farbe eines
Stoffes sowie seine chemischen Eigenschaften, wie Toxizität oder Brennbarkeit sein. lm Gegen-
satz hierzu stehen die nicht-inhärenten Merkmale (zugeordnete Merkmale), wie beispielsweise
der Preis oder die Herstellungskosten.
lnhärente Merkmale sind die einem Produkt innewohnenden Eigenschaften, die die Be-
schaffenheit einer Einheit ausmachen. Sie stellen ein ständiges Merkmal dieser Einheit dar.
Die Wendung ,,Anforderungen erfüllen" bedeutet, dass rechtliche Forderungen an ein Produkt
sowie die erwarteten Eigenschaften eines Kunden erfüllt werden. Die Anforderungen sind in
diesen Fällen explizit definiert. Ein Kunde kann beispielsweise an eine Thermoskanne die Anfor-
derung stellen, dass der eingefüllte Tee mit einer Temperatur von 80 "C nach fünf Stunden noch
mindestens 50 "C heiß ist.
Handelt es sich bei den Kundenanforderungen um eingeschlossene Erwartungen, die aber nicht
ausgesprochen werden, wird dies als implizit definierte Anforderung bezeichnet, Diese Anforde-
rungen setzt der Kunde als feste Erwartungen voraus. Ganz offensichtlich ist, dass beispielsweise
ein Becherglas einen Boden ohne Loch besitzt, sodass dieses Glas Flüssigkeiten aufnehmen kann.
Produkte können weitere Merkmale besitzen, die vom Kunden nicht gewünscht sind. Hierdurch
wird die Produktqualität nicht unbedingt besser, da diese Merkmale für den Kunden ggf. nutzlos
sind und nicht den Kundenerwartungen entsprechen. Fehlende Anforderungsmerkmale können
meist nicht durch die Zugabe anderer Merkmale kompensiert werden.
Oualität nach DIN EN ISO 900012005 gibt an, in welchem Maß die Merkmale eines Produkts
oder einer Dienstleistung den vorhandenen Anforderungen entsprechen.
14
1.2 Oualitätsmerkmale
!
Bei Oualität geht es um das Erfüllen von An-
forderungen, Standen früher nur die Kunden- Kunden-
anforderungen im Vordergrund, erstreckt Umwelt-
gesichts-
anforderungen
Prozess-
sich der Oualitätsbegriff heute durch die Nor- punkte
menreihe DIN EN ISO 9000 ff. über die ganze
Wertschöpfungskette und alle Unternehmens-
u abläufe
1.2 Oualitätsmerkmale
Jedes Produkt besitzt viele Merkmale, aber nur einige dieser Merkmale sind so wichtig, dass sie
die Oualität eines Produkts ausmachen. Ein Glas ist beispielsweise durchsichtig und hat eine be-
sondere Farbe, Härte und Bruchfestigkeit. Für den lnhaber eines Juweliergeschäftes ist gerade
neben der Durchsichtigkeit die Bruchfestigkeit ein entscheidendes Merkmal für die Oualität. lm
Labor müssen Glasgeräte oft hohen Temperaturen standhalten, so dass auch in diesem Bereich
bestimmte Materialmerkmale erwartet werden und somit für die Oualität entscheidend sind.
Unterschiedliche Kunden beurteilen die Merkmale eines Produkts durchaus anders. Oualitäts-
merkmale können nicht absolut sein, sondern hängen vom Blickwinkel des Anwenders ab.
Ein Merkmal für die Oualität ist eine aus dem Blickwinkel des Anwenders kennzeichnende
Eigenschaft des betrachteten Produkts, des Prozesses oder der Dienstleistung.
Zur Bestimmung von Oualität sind messbare Kriterien erforderlich, die einen Vergleich mit
Standards oder anderen messbaren Leistungen ermöglichen. Daher werden bei der Beurteilung
von Oualität nur inhärente Merkmale (ständige, messbare Merkmale) betrachtet.
Bei den inhärenten Merkmalen können verschiedene Klassen von Merkmalen unterschieden werden:
. Physische Merkmale: chemische, biologische, physikalische, mechanische oder elektrische
Eigenschaften
. Sensorische Merkmale: Merkmale, die sich auf die Sinne wie den Geruch, den Geschmack, das
Gehör oder den Seh- oder Tastsinn auswirken
. Funktionale Merkmale: beziehen sich beispielsweise beim Auto auf die Höchstgeschwindigkeit
und bei chemischen Molekülen auf die Absorptionsfähigkeit von Licht
15
1 Oualität und Oualitätssysteme
. Verhaltensbezogene Merkmale: Eigenschaften wie z. B. Fluoreszenz oder Magnetisierbarkeit
. Zeitbezogene Merkmale: beziehen sich auf Haltbarkeit, Beständigkeit, Verfügbarkeit oder z. B.
bei Verkeh rsm ittel n d ie Pü n ktl ichkeit bzw. Zuverlässi gkeit
. Ergonomische Merkmale: beziehen sich auf die Physiologie (Lehre von den Funktionen des
menschlichen Körpers) oder die Sicherheit beispielsweise von Arbeitsmitteln
Jedes Oualitätsmerkmal kann für die Gesamtqualität eines Produkts entscheidend sein. Aus der
Sicht des Kunden bzw, Anwenders werden daher zuerst die Anforderungen als Soll eines Merk-
mals mit dem lst-Zustand dieses Merkmals verglichen. Wird durch diesen Soll-lst-Vergleich fest-
gestellt, dass Anforderungen (Spezifikationen) nicht erfüllt werden, so weist das Produkt einen
Mangel bzw. einen Fehler auf. Das Produkt ist dann ein fehlerbehaftetes bzw. fehlerhaftes Produkt.
Ein Soll-lst-Vergleich zeigt die Unterschiede zwischen den Anforderungen und den vorhan-
denen Produkteigenschaften.
Das Nichterfüllen von Anforderungen zeigt sich durch eine Diskrepanz im Soll-lst-Vergleich
und weist in Bezug auf die Anforderungen auf ein fehlerhaftes Produkt hin.
1.3 Fehler
Die Oualität eines Produktes kann nicht einfach nur durch Kontrolle erzeugt werden, sondern
muss von Grund auf erarbeitet werden.
Beim vollständigen Einhalten des festgelegten Produktionsablaufs wird ein Produkt hervor-
gebracht, das den erwarteten Eigenschaften entspricht. Alle Abweichungen von diesen fest-
gelegten Eigenschaften werden bei der qualitativen Beurteilung als Fehler bezeichnet.
Nach dem Deutschen lnstitut für Normung (DlN) ist ein Fehler ein ,,Merkmalswert, der die vorge-
gebenen Forderungen nicht erfüllt".
Eine neutrale und aktuelle Definition für einen Fehler enthält die DIN EN ISO 9000:200b, in der ein
Fehler als ,,Nichterfüllung einer Anforderung" gesehen wird.
Bei der Betrachtung der Abweichung des Messwerts vom eigentlich erwarteten Wert ist zwi-
schen dem systematischen Beitrag und dem zufälligen Beitrag zu unterscheiden (Bild 1). Der
systematische Beitrag wird als Messwertabweichung durch systematische Fehler hervorgerufen.
Bei der mathematischen Betrachtung handelt es sich bei diesem systematischen Beitrag um den
Erwartungswert des gesamten Fehlers. Der Erwartungswert ist der Wert, den der Messwert im
Mittel annimmt, d. h., es ist der Wert, der bei mehrfachen Wiederholungen als Durchschnitt aller
Ergebnisse erwartet wird.
Die Ursachen für systematische Fehler sind vielfältig. Eine Einteilung kann folgendermaßen erfolgen:
. Menschliche Ursachen: z. B. falsches Ablesen auf Skalen durch fehlenden Parallaxenausgleich
. Instrumentelle Ursachen: z. B, ungenaue Justierung bzw. Kalibrierung oder thermische Effekte
. Umweltbedingte Ursachen: z. B. thermische Einflüsse oder terrestrische Schwingungen
. Sonstige Ursachen: ohne bekannte Erklärung
Ein Offset oder eine Ablage ist die konstante Abweichung vom Sollwert und somit ein kons-
tanter, systematischer Messfeh ler.
Ein Trend ist ein stetig ansteigender oder abfallender Messfehler. Bei langsamer zeitlicher Ab-
hängigkeit wird dies auch als Drift bezeichnet.
Zu den systematischen Fehlern zählen auch die groben Fehler wie Unachtsamkeit oder Stöße, Die-
se Fehlerart lässt sich häufig an der großen Abweichung deutlich erkennen. Systematische Fehler
sind meist durch Wiederholungsmessungen nicht zu verbessern. Daher muss man sie entweder:
. eliminieren oder verringern durch Justieren, Kalibrieren oder Eichen des Messgeräts, durch
Verwendung eines anderen Messgeräts oder Messen in anderer Umgebung,
. kompensieren beispielsweise durch einen symmetrisch aufgebauten Messvorgang,
. berücksichtigen bei der Datenverarbeitung bzw. Datenanpassung (mathematische Daten-
modellierung) durch Ausgleichsrechnung oder
. akzeptieren und bei der Angabe von Toleranzen mit einbeziehen bzw die Toleranzen vergrößern.
17
1 Oualität und Oualitätssysteme
Zusätzlich zum systematischen Beitrag kommt es zu einem zufälligen Beitrag. Dieser zufällige Bei-
trag ist die Differenz zwischen dem erwarteten Messsignal inklusive des systematischen Beitrags
und dem tatsächlichen Messsignal. Der zufällige Beitrag ist die Streuung um den Erwartungswert
(B¡ld 1b, S. 17). Ein Maß für die Streuung ist die Standardabweichung (s. Kap. 1.5.3, S. 34)
Der wahre Wert ist das Ziel einer Messung. Dieser Wert ist selbst unbekannt und kann nur ange-
strebt werden. ln aller Regel findet man ihn wegen vorhandener Messabweichungen nicht. Mess-
abweichungen wie systematische Fehler, grobe Fehler und zufällige Fehler treten bei Messungen
ständig auf.
Selbst der mit einem sehr präzisen Messgerät gemessene Wert ist immer noch nicht der wahre
Wert. Dieser Wert kann als richtiger Wert bezeichnet werden. Die Abweichung des richtigen Wer-
tes vom wahren Wert ist bei präziser Messung vernachlässigbar.
Ein Messsignal setzt sich damit folgendermaßen zusammen:
Messsignal = wahrer Wert + systematischer Beitrag + zufälliger Beitrag
Systematische Fehler sind reproduzierbar und mitteln sich bei wiederholter Messung nicht
heraus. Systematisch auftretende Fehler, wie z. B. grobe Fehler, lassen sich bei Kenntnis der
Ursache vermeiden. Sie geben einen systematischen Beitrag zum Messsignal.
Zufällige Fehler gleichen sich bei wiederholter Messung im Mittel aus. Sie geben einen
zufälligen Beitrag zum Messsignal.
Der wahre Wert kann durch eine Messung nicht bestimmt werden, da verschiedene Beiträge
Abweichungen hervorrufen. Selbst bei höchster Genauigkeit und somit vernachlässigbar klei-
nen Abweichungen wird nur der richtige Wert erreicht.
Fehlerkategorien
Nicht alle Fehler sind gleich schwer. Die Schwere von Fehlern lässt sich in vier Fehlerkategorien
oder Fehlerklassen einteilen. Diese sind:
. Überkritische Fehler gefährden Menschenleben oder können zu wirtschaftlichen Verlusten führen.
. Kritische Fehler machen ein Produkt für den vorgesehenen Zweck unbrauchbar.
. Nebenfehler schränken die Brauchbarkeit des betreffenden Produkts ein.
. Unwesentliche Fehler schränken die Brauchbarkeit des betreffenden Produktes nicht ein, sie
stellen jedoch eine Oualitätsminderung dar.
Die Einteilung von Fehlern in diese Fehlerkategorien erfolgt durch die Untersuchung der Produkte
bzw. Prozesse mittels verschiedener Prüfverfahren und anhand festgelegter Kennzahlen. Wird
z. B. bei einer Laborwaage festgestellt, dass die Anzeige defekt ist, handelt es sich um einen
kritischen Fehler, da die Waage unbrauchbar ist. Besitzt das Gehäuse der Waage die Farbe Rot
statt Grün, so ist die eigentliche Funktion nicht eingeschränkt. Der Hersteller wird dies als Fehler
deklarieren, aus Kundensicht ist die falsche Farbe unwesentlich; der Kunde erkennt hierin, wenn
überhaupt, einen unwesentlichen Fehler.
Wird während eines Produktionsprozesses die Oualität des produzierten Produkts untersucht,
kann ein einzelner Fehler bereits dazu führen, dass ein kritischer Fehler vorliegt. Besondere Be-
achtung muss die Ansammlung mehrerer kleiner Fehler finden, die zu einem kritischen Zustand
führen kann.
Die Fehleruntersuchung während eines Produktionsprozesses erfolgt meist an unterschiedlichen
Orten und zu verschiedenen Zeiten. Bei der Bewertung hinsichtlich der Fehlerkategorie muss die
Gesamtheit aller Merkmalsabweichungen einbezogen werden. Für diese Kategorisierung ist es
18
1.4 Oualitätssysteme
notwendig, dass für jedes Produkt eine vollständige und eindeutige Dokumentation vorhanden
ist. Erst diese Dokumentation zeigt alle während des Herstellprozesses bei diesem Produkt fest-
gestel lten Merkm a lsa bweich u n gen.
Bei der Herstellung von Stoffen, die unter gleichen Bedingungen in einem Durchgang erzeugt,
hergestellt oder verpackt wurden, wird von einem Los gesprochen. Jedem Los wird zur ldenti- W
fikation eine eindeutige Losnummer aus Zahlen, Buchstaben oder Buchstaben und Zahlen zu-
gewiesen, die häufig auf den Produkten dieses Loses zur Rückverfolgbarkeit vermerkt wird. lm
Englischsprachigen wird der Begriff /of (engl. /of, Anteil, Abfüllcharge) verwendet.
ln Deutschland dürfen nach der deutschen Los-Kennzeichnungs-Verordnung (LKV) beispielswei-
se Lebensmittel nur in Verkehr gebracht werden, die mit einer Losnummer gekennzeichnet sind.
Von dieser Kennzeichnungspflicht sind allerdings Lebensmittel ausgenommen, die lose an den
Verbraucher abgegeben oder die erst in der Verkaufsstätte auf Anfrage des Käufers verpackt und
dort abgegeben werden, wie z. B. ein Brot (vgl. 5 2 LKV).
ln der Verfahrenstechnik wird statt von Los auch von Batch (engl. batch, abgeteilte Menge,
Ouantum, urspr.: eine Ofenbefüllung) und in der Logistik von Charge (Aussprache: ['lar3e];
lranz. charget beladen; engl. fo charge, belasten) gesprochen. Analog zur Losnummer ist auf
Produkten häufig eine Nummer zusammen mit der Abkürzung Gh.-B. für die Chargenbezeich-
nung angegeben. Bei der Feststellung eines Produktionsfehlers kann das Produkt gezielt zurück-
behalten oder zurückgerufen werden.
Los, Batch oder Charge ist die Menge aller in einem Produktionsdurchgang hergestellten
Produkte.
Diese Produkte erhalten dieselbe Losnummer oder Batch- bzw. Chargen-Bezeichnung.
Die Einteilung von Fehlern zeigt, dass hinter dem Begriff Oualität komplexe Oualitätssysteme
existieren.
stabiler Prozese i
1 Prävent¡ve
Oualitätskonzepte, die das gesamte Unterneh- , Maßnahmen
i zur Fehler'
men erfassen und ein weiter gefasstes Ver- I vermeìdung
I
l Die Kontrolle von Produkten wurde immer weiter verfeinert. Die Fortfrihrung dieser Entwicklung
ist die Oualitätssicherung (OS). Hierbei erfolgen neben der Überwachung des Produkts im Her-
stellungsprozess auch die Wareneingangsprüfung der Edukte und die Endkontrolle der Produkte.
Ein fehlerbehaftetes Produkt durchläuft somit nicht erst den gesamten Produktionsprozess. Auch
die einzelnen Prozessschritte der Produktion werden bei der Oualitätssicherung betrachtet.
Die Ergebnisse der Oualitätsuntersuchungen werden mathematisch bzw. statistisch ausgewertet
und grafisch dargestellt. Einfache Hilfsmittel zur Verarbeitung, Darstellung und Feststellung von
Abweichungen in der Produktqualität sind die so genannten Oualitätswerkzeuge (s. Kap. 1.6, S. 39).
1.4.2 Oualitätsmanagement OM
Die Entwicklung des Oualitätswesens führte in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Oua-
litätsmanagement (OM). Oualitätsmanagement beinhaltet alle Maßnahmen zur Verbesserung
der Produktqualität, der Prozessoptimierung und zur Erhaltung von Oualität. Grundlage eines
Oualitätsmanagements ist, die qualitätsrelevanten Tätigkeiten zur Erfüllung der Kundenanforde-
rungen zu erkennen und zu koordinieren. Hierzu gehören
. die Erfassung aller ausgesprochenen, aber auch der unausgesprochenen Kundenwrinsche,
. die Umsetzung aller Anforderungen an das Produkt in die Unternehmenssprache sowie
. die Realisierung des Produktes bzw. der Dienstleistung.
Die unausgesprochenen Kundenanforderungen sind als
Basisanforderung für den Kunden selbstverständlich und
stellen den Mindeststandard dar (Bild 1). Sie werden auch Bege¡stêrungsanforderungen
- unausgesprochen -
als implizit definierte Anforderungen bezeichnet.
Ausgesprochene Kundenwünsche sind die Leistungen,
Le¡stun gsanf orderungen
die ein Kunde von einem Produkt erwartet. Sie werden {ausgesprochene Kundenwünsche)
als Leistungsanforderung bezeichnet. Diese Wünsche be-
einflussen direkt und meist annähernd proportional zum
Erfüllungsgrad der Leistung die Kundenzufriedenheit. Zu- Basisanforderungen
sätzlich existieren auch Kundenwünsche, an die ein Kun- - unausgesprochen -
Das Oualitätsmanagement (QM) bildet ein Rahmenkonzept für Unternehmungen und um-
fasst a le q ualitätsbezogenen, a ufeina nder abgesti m mten Tätigkeiten.
I
aEsFnfltfth
die Entwicklung stabiler Prozesse und den Ein-
satz leistu n gsfä h i ger, präventiv wi rkender Oua-
litätswerkzeuge.
ffi dadurch
[.füdilrÏEEEEreE[räß
Nach t4l E. Deming steht jeder Mitarbeiter
in seinem Aufgabengebiet für Oualität ein Bild 1: Prozessorientierte Reaktionskette nach
und hat mit Oualität zu tun. Damit haben Deming
alle einen Anteil an der gesamten Oualität.
Verbesserung Ziele planen
Zum Scheitern eines Managementsystems übernehmen
führen nach Deming folgende sieben Punkte:
. Fehlen eines feststehenden Organisations-
zwecks
. Jährliche Bewertung, Leistungsbeurteilung, ALITA
persönliches Beurteil ungssystem
. Hohe Fluktuation in der Organisationsleitung
. Verwendung von Kennzahlen ohne Berück-
sichtigung von nicht-quantifizierbaren Größen
. Betonung kurzfristiger Gewinne Zielerreichung
prüfen Ziele umsetzen
. Überhöhte Sozialkosten
. Überhöhte Produkthaft ungskosten Bild 2: PDCA-Zyklus
Der Deming-Kreis besteht aus den vier Elementen Plan, Do, Check, Acf (Planen, Tun, Überprüfen,
Umsetzen oder Planen, Umsetzen, Überprüfen, Handeln). Für den Deming-Kreis wird auch der
Beg riff PDCA-Zyklus verwendet.
21
1 Oualität und Oualitätssysteme
Nach der Phase Acf beginnt der Zyklus mit der Phase Plan wieder von vorne. Durch den gesteuer-
ten, schrittweisen Ablauf wird ein Zugewinn an Oualität erlangt. Die Erfahrungen fließen wieder
zurück in die Planung, sodass ein Regelkreis entsteht, in dem es um die ständige bzw. kontinuier-
liche Verbesseru ng geht.
Der PDCA-Zyklus oder Deming-Kreis ist ein vierphasiger Zyklus zur kontinuierlichen Ver-
besserung von Oualität und für den ständigen Zugewinn an Oualität.
Ein Oualitätsmanagementsystem (OMSI ist eine Arbeitsmethode zum Leiten und Lenken ei-
ner Organísation, z. B. eines Betriebes, bezüglich der Oualität (DlN EN ISO 9000:2005). Ziel ist
die Einführung eines systematischen (flächendeckenden) Oualitätsmanagements.
Die Oualitätsmanagementnorm beschreibt die Anforderungen an ein Oualitätsmanagement-
system, um bei der Umsetzung des Oualitätsmanagements den Mindeststandard zu erreichen.
Eine sehr bekannte Oualitätsmanagementnorm ist beispielweise die Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff
Die letzte Revision dieser Norm erfolgte im Jahr 2005, somit lautet die komplette Bezeichnung
DIN EN ISO 9000:2005. Oualität wird in dieser Norm als der Grad definiert, in dem inhärente
Merkmale des Produkts Anforderungen erfüllen (S. 14).
Die DIN EN ISO 9000 enthält Grundlagen und Begriffe für das Oualitätsmanagementsystem
nach der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff.
Kernprozesse sind gekennzeichnet durch einen direkten Bezug zur Herstellung des Produkts, wie
z. B. die Zuführung der Edukte in einen Reaktionskessel.
Unterstützungsprozesse umfassen hingegen die Prozesse, die für die eigentliche Produkt-
herstellung nicht direkt erforderlich, die jedoch für den reibungslosen Ablauf notwendig sind.
Hierzu zählen z. B. die Reinigung des Arbeitsplatzes oder das Leeren der Abfallbehälter.
24
1.4 Oualitätssysteme
Ein Zertifikat bescheinigt dem Unternehmen, dass die in der Norm festgelegten Mindestanforde-
rungen an das Oualitätsmanagementsystem erfüllt werden.
Steht ein Unternehmen in Konkurrenz zu anderen Unternehmen, kann einZertilizierungszertifikat
aus marktstrategischer Sicht helfen, die Oualitätsorientierung des Unternehmens nachzuweisen.
Für Hersteller, Zulieferer und große internationale Unternehmen kann ein zertifiziertes System
zwingend erforderlich sein, um überhaupt Aufträge zu bekommen. Ein gut funktionierendes Oua-
litätsmanagementsystem hilft einem Unternehmen auch bei der Weiterentwicklung des eigenen
Potenzials. Mit diesem Vorteil kann ein Unternehmen zukunftssicherer gelenkt werden. Eine An-
leitung, wie beim Auditieren von Oualitäts- und Umweltmanagementsystemen vorzugehen ist,
ist in der Norm DIN EN ISO 19011 festgelegt. Sie enthält den Leitfaden fürAudits.
Bevor eine ZerTilizierungsstelle eineZerüfizierung auf Basis einer Norm durchführen darf, muss
sie zuerst eine formelle Anerkennung der Kompetenz erhalten. Diese Anerkennung wird als
Akkreditierung (lat. accredere, Glauben schenken) bezeichnet. Hierbei erfolgt durch eine an-
erkannte lnstanz eine Prüfung des Prüfzentrums nach den Forderungen, die auf europäischer
Ebene in der Norm ISO IEC 17011 festgelegt sind. ln Deutschland wird die Einhaltung der euro-
päischen Normvorgaben dem Zerli'fizierer durch eine Urkunde beglaubigt, die von der Träger-
gemeinschaft für Akkreditierung (TGA; Körperschaft zur Akkreditierung von Zertifizierungsgesell-
schaften) ausgestel lt ist.
Eine Zertifizierung ist die Uberprüfung eines Unternehmens, von Prozessen oder Produkten
auf die Erfüllung bestimmter Kriterien, die beispielsweise durch eine Norm vorgegeben sind.
ln Europa entstand eine Vereinigung für Oualität, die European Foundation for Quatity Manage-
menf (EFOMI. Diese hat 1988 das EFOM-Modell als umfassendes Oualitätsmanagementsystem
entwickelt. Mittlerweile ist das EFOM-Modell eines der bekanntesten Oualitätsmanagement-
Modelle in Europa und ist insbesondere in Deutschland damit das meist verbreitetste TOM-Modell.
Das Ziel dieses Modells der European Foundation for Auality
Managemenf ist das Erreichen betrieblicher Exzellenz. Daher
wird bei diesem Exzellenz-Modell ein Unternehmen ganzheit-
lich betrachtet und gibt Hilfestellung bei der kontinuierlichen
o orientiert sich am Kunden
bezieht sich auf Produkte
Entwicklung eines umfassenden Managementsystems. U und Dienstleistungen
hängt von den Prozessen
Das EFOM-Modell legt den Fokus auf die Selbstbewertung. Auf
dieser Grundlage werden Stärken und Schwächen bzw. Ver-
A zur Produkterzeugung ab
besserungspotentiale ermittelt, die den aktuellen Stand des wird durch Mitarbeiter aller
Unternehmens in den einzelnen Bereichen zeigen. Bei einer
L Bereiche und Ebenen erzielt
Das einfache Exzellenz-Modell nach EFOM ruht auf folgenden drei Säulen (B¡ld 1, S. 28):
1. den Mitarbeitern auf der Führungsebene,
2. den Prozessen, Produkten und Dienstleistungen,
3. den Schlüsselergebnissen.
Das erweiterte Exzellenz-Modell nach EFOM kennt insgesamt neun Hauptkriterien, die in fünf
Voraussetzungen, die Befähiger-Kriterien (B¡ld 1, S.28, in Rot) und vier Ergebnis-Kriterien (B¡ld 1,
S. 28, in Grün), unterschieden werden.
Bild 1, S. 28 zeigt die Vernetzung der neun Hauptkriterien. Dies macht deutlich, dass alle Haupt-
kriterien aufeinander einwirken, Die Pfeile ober- und unterhalb der Hauptkriterien spiegeln die
Dynamik des Modells wideç durch die eine ständige Veränderung und damit Verbesserung er-
reicht wird. Jedes der neun Hauptkriterien ist in weitere Teilkriterien unterteilt, so dass hierüber
die eigenen Stärken und Schwächen bzw. Verbesserungspotenziale differenziert erkannt werden
können.
Das EFOM-Modell ist ein Exzellenz-Modell der European Foundation for Auality Management
und stellt e¡n umfassendes Oualitätsmanagementsystem (TOM) dar.
Nach den Kriterien des EFOM-Modells wird in Deutschland der LudwÍg-Erhard-Preis verliehen
-zu Ehren von Ludwig Wilhelm Erhard (1897 bis 1977; deutscher Politiker (CDU) und Wirtschafts-
m¡nister (1949 bis 1963) in der Zeit des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik Deutschland,
Mitbegründer des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft sowie zweiter deutscher Bundeskanzler
(1963 bis 1966)). Der Ludwig-Erhard-Preis besitzt als Auszeichnung für ein funktionierendes TOM
die gleiche Bedeutung wie der US-amerikanische Malcolm-Baldrige-National-Auality-Award und
der japanische Dem i ng-Preis.
27
1 Oualität und Oualitätssysteme
@ iæEE@
Mitarbeiter-
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Partnerschaften Gesellschafts- =(,
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Ressourcen Ergebnisse
-llllllllttrñrlGEfnfiEfilE
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Die Gute Laborpraxis bzw. Good Laboratory Practice (GLP) ist ein international vereinheit-
lichtes Regelwerk zur Oualitätssicherung bei Sicherheitsprüfungen von Stoffen und Zube-
reitungen wie Arzneimitteln, Lebensmittelzusatzstoffen, Pflanzenschutzmitteln sowie in der
Umweltanalytik.
Die Gute Laborpraxis wurde der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (OECD: Organisation for Economic Cooperation and Developrnenf) über die EU-Richtlinie
(88/320/EWG von 1988 bzw.2004l9lEG aus dem Jahr 2004) in deutsches Recht übernommen. Die
Laboruntersuchungen für Zulassungs-, Erlaubnis-, Registrierungs-, Anmelde- oder Mitteilungs-
verfahren, die nach diesen GLP-Grundsätzen einheitlich durchgeführt werden, besitzen OECD-
weit ihre Gültigkeit und sind entsprechend vergleichbar.
ln Deutschland ist GLP im Chemikaliengesetz (ChemG) festgeschrieben. Stoffe oder Zubereitun-
gen müssen hiernach unter Labor- oder Umweltbedingungen über ihre Wirkungen auf Mensch
und Natur untersucht werden. GLP schließt keine klinischen Prüfungen mit menschlichen Pro-
banden ein, wohl aber Tierversuche (biologische Prüfsysteme).
lnsbesondere geht es bei GLP um die Planung, Durchführung, Aufzeichnung und Berichterstat-
tung von Laboruntersuchungen über mögliche Auswirkungen der Chemikalien auf Mensch und
Umwelt. Durch das international vereinheitlichte Regelwerk gewährleistet GLP die Vergleichbar-
keit von Untersuchungsergebnissen aus allen nicht-klinischen experimentellen Prüfungen. Alle
Untersuchungen chemischer Stoffe und Zubereitungen, die eine Bewertung des Risikos z. B.
hinsichtlich Entzündbarkeit oder krebserzeugender Eigenschaften ermöglichen sollen, sind nach
GLP durchzuführen.
Neue chemische Produkte müssen vom Hersteller oder lnverkehrbringer im Rahmen von Produkt-
zulassungen auf mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt durch umfangreiche Prüfungen
28
1.4 Oualitätssysteme
ausreichend untersucht und die Ergebnisse bewertet werden. Die Prüfungsergebnisse bilden die
Grundlage für die Abschätzung der Gefährlichkeit, die zu Bedingungen und Auflagen für das
lnverkeh rbringen füh ren.
Die Gute Laborpraxis umfasst die Prüfung von Stoffen und Zubereitungen auf ihre Gefah-
ren für Mensch und Umwelt unter Labor- und Umweltbedingungen, Sie legt die ausführliche
Dokumentation der Untersuchungen fest.
Die GLP-Grundsätze legen den organisatorischen Ablauf von Laboruntersuchungen und die
Bedingungen, unter denen Laborprüfungen geplant, durchgeführt und überwacht werden, fest.
Diese Standardarbeitsanweisungen (engl. sfanda rd operating procedure, kurz: SOP) sichern die
Nach prüfba rkeit der Messergebnisse,
Auch im Nachhinein ist die Nachvollziehbarkeit der Untersuchungen gesichert. Nach GLP beste-
hen umfangreiche Aufzeichnungs- und Archivierungspflichten. Für den Prüfplan, die Rohdaten,
die Rückstellmuster von Prüf- und Referenzgegenständen, die Proben sowie den Abschluss-
bericht jeder Prüfung besteht eine Aufbewahrungszeit im Archiv von 15 Jahren.
Der Vorteil dieser umfangreichen Archivierung besteht darin, dass aufwändige Doppel-
prüfungen von Stoffen und Zubereitungen vermieden werden. Außerdem führt die ausführliche
Dokumentation zur Vergleichbarkeit und gegenseitigen internationalen Anerkennung der Labor-
ergebnisse.
Überwacht wird die Einhaltung der GLP-Grundsätze durch betriebsfremde, beauftragte Personen,
die nach g 21 (4) ChemG befugt sind;
. zu den Betriebs- und Geschäftszeiten die Betriebsräume zu besichtigen,
. Proben nach ihrer Auswahl zu fordern und zu entnehmen,
. die Vorlage der Unterlagen über Anmeldung und Mitteilung zu verlangen,
. Arbeitseinrichtungen und Arbeitsschutzmittel sowie Herstellungs- und Verwendungsverfahren
zu prüfen und die Konzentration von gefährlichen Stoffen zu messen.
Die oberste Aufsicht in Deutschland führt das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR als nachge-
ordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbrauchersch utz (BMELV).
Die Aufgabe dieser GLP-Bundesstelle ist u. a. die Überwachung bzw. Erteilung von GLP-Bestä-
tigungen bestimmter GlP-Laboratorien im lnland und sogar im Ausland. Die entsprechenden
Behörden der Bundesländer sind im Allgemeinen für die lnspektion von Prüfeinrichtungen im je-
weiligen Bundesland sowie für die Kontrolle der Einhaltung der GLP-Grundsätze verantwortlich.
29
1 Oualität und Oualitätssysteme
Alle Prüflabore und Einrichtungen, die GLP-pflichtige Prüfungen nach GLP-Grundsätzen durch-
führen und deren Prüfeinrichtungen den Vorschriften entsprechen, werden von der obersten Lan-
desbehörde auf Antrag nach GLP akkreditiert. Über die Einhaltung der GLP-Grundsätze wird eine
Bescheinigung nach S 19b ChemG ausgestellt, wobei hierzu eine Untersuchung der Prüfeinrich-
tungen von einer GLP-Kommission bestehend aus Fachkräften sowie Sachverständigen des Che-
mikalien-, Arzneimittel- und Pflanzenschutzbereichs im vierjährigen Abstand auf Einhaltung der
G LP-G rundsätze erfolgt.
Die GLP legt den organisatorischen Ablauf und die Bedingungen fest, unter denen chemisch-
physikalische, toxikologische und ökotoxikologische Laboruntersuchungen geplant, durch-
geführt und überwacht werden.
Durch Standardanweisungen (engl. standard operating procedure, SOP) wird die Vereinheitli-
chung und Nachprüfbarkeit von Ergebnissen gesichert.
Die Aufzeichnungen zur Prüfung und die Berichterstattung der Prüfung müssen dokumen-
tiert und 15 Jahre archiviert werden.
Die Gute Herstellungspraxis bzw. Good Manufacturing Practice (GMPI sichert durch ihre
Regeln die Produktionsabläufe bei der Herstellung von Arzneimitteln, Wirkstoffen, Medizin-
produkten und Lebens- sowie Futtermitteln.
Die GMP legt nicht explizit fest, wie ein Stoff herzustellen ist, sondern zeigt nur grundsätzliche
Prinzipien für die Produktion dieser Produkte auf.
Ein Stoff gilt nach GMP-Grundätzen hergestellt, wenn alle spezifischen Tests für den hergestell-
ten Stoff durchlaufen werden. Weiterhin gehört zu den grundsätzlichen Prinzipien:
' Die Herstellungsprozesse sind festgelegt und kontrolliert. Kritische Prozessabläufe sind so fest-
gelegt, dass die festgelegten Spezifikationen erreicht werden.
' Abweichungen von den festgelegten Prozessen werden festgehalten und nachverfolgt.
' Alle Betriebsanweisungen und betrieblichen Abläufe sind verständlich dokumentiert,
. Die Mitarbeiter sind geschult, alles zu dokumentieren.
' Die Eigenschaften eines Stoffes sind untersucht und damit seine Oualität bekannt.
' Für eine Charge werden alle Dokumente in einer nachvollziehbaren und zugänglichen Form
gesammelt.
' Der Vertrieb der Produkte ist so festgelegt, dass die Oualität nicht leidet, und es existiert ein
entsprechendes System für den Rückruf von Produkten.
1.4.6 GE-Kennzeichnung
Die Abkürzung CE steht für Communautés Européennes (franz. Europäische Gemeinschaften)
oder kann auch mit ,,Conformität mit Europa" übersetzt werden. Bis 1993 wurde von CE-Zeichen
oder auch EG-Zeichen gesprochen, seit der europäischen Richtlinie 93/6S/EWG von 1993 lautet
die offizielle Bezeichnung CE-Kennzeichnung.
30
1.4 Oualitätssysteme
C€
technischen Harmonisierung und Normung für alle Produkte die Über-
einstimmung dieser Produkte mit den EU-Richtlinien zu verdeutlichen.
Demnach sind alle technischen Produkte, die in den Europäischen Wirt-
schaftsraum in Verkehr gebracht werden, mit dem CE-Logo zu kennzeich-
nen (Bild 1), Bild 1: Das CE-Logo
T
Der Europäische Wirtschaftsraum schließt die Staaten der EU sowie lsland, Liechtenstein, Norwe-
gen (Staaten des europäischen Freihandelsraums EFTA, engl. European Free Trade Association)
und die Schweiz ein.Zu den zu kennzeichnenden technischen Produkten gehören beispielsweise
Bauprodukte, elektrische Betriebsmittel, Spielzeug, persönliche Schutzausrüstungen, Explosiv-
stoffe für zivile Zwecke und Messgeräte.
Die CE-Kennzeichnung stellt kein Prüfzeichen oder Gütesiegel im Sinne eines Oualitätszeichens
dar. Mit dem Logo wird nur angezeigt, dass das technische Produkt die gesetzlichen Mindestan-
forderungen der EU-Richtlinien einhält. Die Kennzeichnung macht außerdem nicht deutlich, ob
das Produkt durch unabhängige Stellen auf die Einhaltung dieser EU-Richtlinien überprüft wurde.
Der Hersteller oder der lnverkehrbringer selbst führt ein Konformitätsbewertungsverfahren mit
einer Gefährdungsanalyse oder einer Risikobewertung durch. Das Konformitätsverfahren be-
ginnt mit einer Recherche des Herstellers oder lnverkehrbringers, welche der 23 EU-Richtlinien,
die eine CE-Kennzeichnung fordern, für das Produkt zutreffen.
ln der jeweiligen Richtlinie sind die Anforderungen festgehalten, die Hinweise über den einzuhal-
tenden und zu gewährleistenden Sicherheitsstandard geben, Der anschließenden Untersuchung
des Produkts auf diese Sicherheitsparameter folgt die Risikobeurteilung, die zusammen mit den
technischen Details zu dokumentieren ist. Auf dieser Basis wird die Konformitätserklärung er-
stellt und das CE-Logo auf dem Produkt angebracht. Der Hersteller bestätigt durch seine Prüfung,
dass das Produkt mit den jeweiligen Richtlinien der EU konform ist und dass die Vorschriften
eingehalten werden.
CE-Kennzeichnungen mit einer vierstelligen Kennnummer (ldentifikationsnummer) weisen da-
rauf hin, dass bei der Konformitätsbewertung eine offizielle Prüfstelle beteiligt war. Über die
Kennnummer lässt sich diese Prüfstelle identifizieren. Diese CE-Kennzeichnung besitzt damit
quasi Prüfzeichenqualität.
Die Konformitätserklärung ist eine schriftliche verbindliche Bestätigung nach einer Produkt-
untersuchung und Risikobewertung, dass das Produkt die spezifizierten Eigenschaften besitzt.
Die Bewertung wird daher auch als Konformitätsbewertung bezeichnet.
31
1 Oualität und Oualitätssysteme
!
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und
Überwachung von Oualität
Oualität bezieht sich auf die Erfüllung von Merkmalseigenschaften. Je besser diese Eigenschaf-
ten von Merkmalen erfüllt werden, desto besser ist die Oualität. Bei einem Herstellungsprozess
kann der Sollwert einer Eigenschaft bei allen während eines ganzen Prozesses hergestellten Pro-
dukten meist nicht absolut eingehalten werden.
Die Faktoren Mensch, Maschine und Material
beeinflussen die Oualitätseigenschaften. Auch
Umgebungsparameter sind zufälligen Schwan-
Messwert-Nummer Dicke in pm
kungen unterworfen. Sie wirken sich auf die
Oualitätsmerkmale aus. Schon während ei- 1 178
nes Herstellungsprozesses werden daher
verschiedene qualitätsrelevante Eigenschaf- 2 177
ten gemessen. Hierbei werden nicht nur die
Oualitätsmerkmale einer Stichprobe des Pro- 3 174
duktes zahlenmäßig erfasst, sondern die Merk-
male einer Serie von Proben werden bestimmt. 4 't77
1.5.1 Median m
Der Median m oder Zentralwert einer Datenreihe ist der sogenannte mittlere Wert. Für eine Reihe
von Messwerten ist der Median der Wert, der bei einer aufsteigenden Reihung aller Einzelwerte
in der Mitte steht,
32
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und Überwachung von Oualität
Liegt eine gerade Anzahl von Werten vor, wird der Median als
Mittelwert der beiden mittleren Messwerte berechnet. Hierzu Tabelle 1: Ordinalskala der
müssen alle Messwerte zuerst in eine natürliche Rangordnung, Messergebnisse der
also beispielsweise in eine aufsteigende Reihung der Merk- Dickenmessung
male gebracht werden. Dies wird auch als das Aufstellen einer
Ordinalskala bezeich net.
Nummer Dicke in pm
W
1 x1 167
Für die Messwerte der Dickenmessung ergibt sich die Ordinal-
skala in Tabelle 1. Bei der geraden Anzahl an Werten wie im 2 x2 171
Beispiel der Dickenmessung gibt es kein mittleres Element. ln
der Mitte liegen zwei Werte. ln diesem Fall ist der Median m 3 x3 173
der Mittelwert der beiden in der Mitte liegenden Werte der Auf- 4 x4 174
listung (graue Hervorhebung in Tabelle 1).
5 x5 175
Der Median m oder Zentralwert ist der mittlere Wert bei ei- 6 x6 175
ner aufsteigenden Sortierung aller Einzelwerte, so dass die
Hälfte der Werte unterhalb und die andere Hälfte der Werte 7 x7 176
oberhalb des zentralen Werts liegt.
I xa 177
Werte in der Ordinalskala jeweils 17b pm. Als Mittel dieser bei-
den Zahlen ergibt sich somit ein Median m von 17b ¡rm. Der 10 Xto 178
Median von rn = 175 pm liegt damit 1 pm neben dem Sollwert
der Produktionsvorschrift mit 174 pm. Wie sich die einzelnen Werte verteilen und welchen Ab-
stand sie vom angestrebten Wert haben, gibt der Median nicht an. Hierzu wird das arithmetische
Mittel t berechnet.
x x
= _x1tx2+xg+x4+...+xn
n
n Gl. 1 .1
(wie x)
| (variabel) |
1
Mit Hilfe der mathematischen Schreibweise für eine Summe lässt sich auch schreiben
n
)x. ' x x n
l-i=1 Gt_ 1-2
n (wie x) (variabel) 1
ln der Statistik wird das arithmetische Mittel einer Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsvertei-
lung auch als Erwartungswert bezeichnet. Er gibt an, wie die Lage der einzelnen Werte in Bezug
auf die Messskala aussieht.
Für das Beispiel der Dickenmessung mit den zehn Messwerten (n = 10) in Tabelle l, S.32. ergibt
sich damit ein arithmetisches Mittel von rund 174 ¡tm
10
.2- x.
,='=h
178 pm + 177 ¡tm + 174 m + 177 pm + 176pm + 175 pm + 173pm + 171 pm + 167 pm + 175 pm
10
=tï# = fi4,3 ¡tm = 174 ¡tm
33
1 Oualität und Oualitätssysteme
Geht man davon aus, dass sich für die aufgelisteten Messwerte (die Elemente der Stichprobe)
im Beispiel der Dickenmessung die einzelnen Werte annähernd gleichmäßig um den Mittelwert
verteilen, so kann darauf geschlossen werden, dass eine Dicke von rund 174 pm erwartet wird.
Die einzelnen Messwerte streuen um den Mittelwert. Die Breite dieser Streuung kann ebenfalls
berechnet werden; sie wird als Standardabweichung bezeichnet.
1.5.3 Varianz s2 und Standardabweichung s
Die einzelnen Messwerte streuen um das arithmetische Mittel. Um die Abweichung der einzelnen
Messwerte vom arithmetischen Mittel anzugeben, wird die Streuung der^Messwerte berechnet.
Ein Maß für die Streuung derWerte um den Mittelwert sind die Varianz { bzw. die Standardab-
weichung s. Neben dem Buchstaben swerden oft auch ø (sigma), SDfür standard deviafion (engl.
Standardabweichung) oder m. F. für mittlerer Fehler verwendet. Werden die Varianz und die Stan-
dardabweichung von allen vorliegenden Messwerten bestimmt, wird der Buchstabe o verwendet.
lnsbesondere in der Analytik handelt es sich meist um keine Gesamtuntersuchungen, sondern
nur um einzelne Proben aus einer Grundgesamtheit. Für diese Stichprobenuntersuchungen wird
für die Varianz und die Standardabweichung meist der Buchstabe s eingesetzt.
Die VarianzJ und die Standardabweichung s sind jeweils ein Maß für die Streuung von
Messwerten um den Mittelwert.
Die Berechnung der Varianz s2 erfolgt über verschiedene Formeln. Welche Berechnungsformel
verwendet wird, hängt von der Art der Stichprobe ab.
Handelt es sich um eine Vollerhebung oder Totalerhebung von Messwerten, die beispielsweise
bei einer ständigen Messwertaufnahme im Produktionsprozess erfolgt, kann die so genannte
unkorrigierte Vaiianz 4nkorrisiert berechnet werden. Hierzu muss das arithmetische Mittel aller
Messwerte x-, der so genannten Grundgesamtheit, bekannt sein:
2
þ w,- *t2 o Xi x n
Gl. 1.3
4nkorrigiert lwie x2) | (variabel) | l*i"
n
"t I r
Von jedem Messwert ¡ wird das arithmetische Mittel x abgezogen und das Ergebnis 9lradriert;
die Summe aller Ergebnisse geteilt durch die Anzahl der Messwerte ergibt die Varianz ølnkorrisiert
der Messwerte. Für das Beispiel der Dickenmessung mit einem arithmetischen Mittel von
x = 174,3 ¡rm folgt:
j (178 pm - 174,9 Um)2 + (177 pm - 174,3 ¡rm)2 + ... + (175 ¡rm - 174,3 ¡rm)2
" unKorfrgrert 1 0
Bei einer Vollerhebung von Messwerten wird die Varianz o2 als unkorrigierte Varianz
4ntorrisiert berech net'
34
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und überwachun g von Oualität
lst das arithmetische Mittel der Grundgesamtheit nicht bekannt, d. h. das arithmetische Mittel
kann nur aus einer kleinen Menge an aufgenommenen Messwerten berechnet werden, wird die
korrigierte Varianz oder unverzerrte Varianz, die auch als Stichprobenvarianz oder empirische
Varianz sioruisiert bezeichnet wird, über folgende Gleichung bestimmt:
s2t _ äw,-
xtz t X¡ x n
Gt. 1.4
orrigi".t (wie x2) (variabel) (wie x)
n-1 1
Basiert die Datenanalyse auf e¡nem kleinen Stichprobenumfang, aus dem das arithmetische
Mittel bestimmt wurde, wird die varianz als korrigierte varianz slorr¡g¡".r berechnet.
Unabhängig von der Berechnungsmethode ist die Einheit (Dimension) der Varianz nicht mit der
Einheit der Messwerte identisch. Daher wird statt der Varianz häufig die Standardabwe-ichung s
als absolutes Streumaß angegeben, die sich durch die Ouadratwurzel aus der Varianz s2 ergibi.
s s'
r=F (wie x) (wie l) Gl. 1.5
Die Ouadratwurzel aus der korrigierten Varianz s?orisi".t wird häufig als der mittlere quadratische
Fehler der Einzelmessung bezeichnet.
Die Standardabweichung s ist ein Maß für die Streubreite der Werte rund um das arithmeti-
sche Mittel. Sie besitzt die gleiche Einheit wie die beobachteten Messwerte.
Wird die Dickenmessung von S. 34 als Vollerhebung interpretiert, resultiert die Standard-
abweichung ø, die auch als wahre Standardabweichung bezeichnet wird.
o- 9,9¡rm2=3pm
Eine Standardabweichung o =3 pm bedeutet, dass die Messwerte bezogen auf den arithmeti-
schen Mittelwert x = 174 pm um 3 pm streuen. Auch die Schreibweise 174 pm * 3 pm verdeut-
licht diese Aussage.
=
qiÅt - 1ooo,1 s
6 Probe Masse in g
1 1001,3
Da es sich um eine Stichprobe handelt, ergibt sich über
2 1000,2
Gleichung 1.4 mit dem Mittelwert x= 1000,1 g die Standard-
abweichung s zu. 3 999.8
(x¡ - Rl2
2,96 92
4 999,6
s?orisiurt = 0,769 g
n-1 5 5 1000.7
Der Mittelwert liegt rund 0,1 g über dem Sollwert und die 6 999,2
Standardabweichung beträgt etwa 0,8 g.
35
1 Oualität und Oualitätssysteme
lm Beispiel der Dickenmessung lassen .sich 169 182 175 170 176 176 177 185 179
die zehn Messwerte leicht überblicken. Uber 176 177 171 170 181 174 180 184 181
Messreihen größeren Umfangs kann zunächst 176 176 186 177 186 179 181 177 187
wenig ausgesagt werden. Die Urliste in Bild 1 177 180 167 179 185 173 178 180 172
178 185 177 179 166 183 174 142 175
enthält die unbearbeiteten Ergebnisse von ins-
182 175 168 173 175 177 183 180 178
gesamt 90 Messungen. Das Gesamtergebnis 176 177 169 174 174 183 172 172 171
der Dickenmessung ist unüberschaubar, da der 174 169 174 184 168 179 173 175 186
Stichprobenumfang sehr umfangreich ist. 180 176 174 176 173 181 184 178 171
182 176 170 177 174 177 177 178 175
Aus der Urliste kann durch eine Sortierung
nach Größe eine Rangliste und hieraus eine Bild 1: Urliste einer Dickenmessung
Strichl¡ste als Häufigkeitsliste erstellt werden
(B¡ld 2). ln der Strichliste sind die gemessenen
Foliendicken der Reihe nach vom kleinsten bis 16s 1A2
tltÌtrcra
fl5...
@tr@
166,167,168,168, rOà'i
116 177 111 ... 169, 169, 169, 170,
zum größten Wert untereinander gesetzt. Sie 176 176 186... 170,170,171,171, 168:ll
167: I
Liegt bei einer anderen Messung beispielsweise eine kleinere Standardabweichung ø vor, fällt
die Glockenkurve steiler ab. Mit größerem ø nimmt die Breite der Glockenkurve zu.
Liegt eine Glockenkurve vor, gibt die Standardabweichung ø die Breite im Wendepunkt an
Die Streubreite lässt sich sowohl nach links als auch nach rechts um den Mittelwert bei der Ver-
teilung in Streuintervalle einteilen.
Das erste Streuintervall besitzt einen sogenannten einfachen Streubereich mit einer Bereite von
+ 1ø. Aus dem Mittelwert x und der Standardabweichung d berechnet sich die untere Grenze
dieses lntervalls durch x - ø und die obere Grenze aus .f + ø (Bild 2).
Die Berechnung der Fläche unterhalb der Glockenkurve ergibt insgesamt eine Fläche mit der
Maßzahl 1 oder 100%. Der Flächeninhalt unterhalb der Kurve mit den seitlichen Grenzen t-o
und x + o ergibt rund 68,3 % der Gesamtfläche. Demnach befinden sich etwas mehr als 2/t aller
Messwerte innerhalb dieses einfachen Streubereichs.
37
;;;ru
Streubereich von + 2o mit den Grenzen * - 2o und I + 2o berechnen. Zwischen den beiden Gren-
zen liegen etwa 95,4 o/o der gesamten Fläche der Glockenkurve. Etwa 95,4% aller Messwerte liegen
im zweifachen Streubereich. Nur 100 % - 95,4 % = 4,6 % der Messwerte liegen außerhalb dieses
*
Bereichs: 2,3 To liegen unterhalb der x - 2o-Grenze und 2,3 % liegen oberhalb der Í + 2o-Grenze.
Das Streuintervall von - 3ø bis + 3ø umfasst etwa 99,7 % der Messwerte. Entsprechend liegen
0,3 % der Messwerte außerhalb des dreifachen Streubereichs.
Liegen Messwerte außerhalb der zwei- oder dreifachen Standardabweichung, werden diese als
Ausreißer bezeichnet. Ausreißer weisen auf grobe Fehler hin und werden durch Ausreißertests
verifiziert.
Ein Ausreißer ist ein Messwert, der nicht in eine erwartete Messreihe passt bzw. jenseits des
festgelegten Streuungsbereichs liegt.
ln der Praxis ist die Normalverteilung anwendbar, wenn die Messdaten ungefähr symmetrisch um
den Mittelwert verteilt sind. Die Verteilung der Messwerte muss der Normalverteilung ähnlich sein.
Nur in diesem Fall ist eine Abschätzung der Streuintervalle bzw. der Flächen möglich. Für schiefe
Verteilungen, sogenannte nicht normalverteilte Messdaten, gelten die Eigenschaften nicht.
1.5.4 Variationskoeffizient v
Das arithmetische Mittel und die Standardabweichung zeigen für eine Untersuchung eines be-
stimmten Merkmals wie beispielsweise die Foliendicke, welchen Mittelwert x die gemessenen
Werte ergeben und wie sie um diesen Wert streuen. Ein Vergleich der Streuungen verschiedener
Merkmale wie z. B. die Foliendicke und Zugfestigkeit oder Farbe ist so nicht möglich. Hierzu
ist es notwendig, die berechneten Standardabweichungen als relative Streuungen anzugeben.
Diese relativen Streuungen werden als Variationskoeffizient vbezeichnet und werden in Prozent
angegeben,
Zur Berechnung des Variationskoeffizienten vwird die Standardabweichung s mit dem arithmeti-
schen Mittel Í ins Verhältnis gesetzt. Es gilt:
s x
v=9x 100 % Gl. 1.6
% | twie xt I twie xl
Der Variationskoeffizient v ermöglicht als relative Streuung bei der Untersuchung unter-
schiedlicher Merkmale den Vergleich von Standardabweichungen s von ihren jeweiligen Mit-
telwerten .[.
Je kleiner der Variationskoeffizient 4 desto dichter liegen die einzelnen Messwerte um den
Mittelwert.
1.5.5 Spannweite fl
Anstelle der Standardabweichung swird oft ein anderes, einfach zu berechnendes Maß angege-
ben: die Spannweite, Streubreite oder Variationsbreite F (engl. rangel. Die Spannweite R ist die
Differenz zwischen dem kleinsten Wert und dem größten Wert der aufgenommenen Messwerte:
fl=X."*-X-¡n Æ
| "*u" I ".,n Gt. 1.7
(wie x) | (variabel)
(variabel)
|
Für das Beispiel der Dickenmessung (vgl. Tabelle 1, S. 32) beträgt die Spannweite B damit:
Die Spannweite besitzt die gleiche Einheit wie die Messwerte und gibt einen ungefähren Ein-
druck über die Streuung dieser Werte. Da sie nur von den beiden Extremwerten abhängt, kann
der lnformationsgehalt sehr verzerrt sein. lst einer der Extremwerte ein Ausreißer, ist die Spann-
weite deutlich beeinflusst.
Bei wenigen Messwerten, d. h. einem kleinen Stichprobenumfang, ist die Aussage der Spann-
weite größer als bei einem großen Stichprobenumfang. Deshalb wird die Spannweite vorzugs-
weise bei kleinen Stichprobenumfängen eingesetzt.
Die Spannweite fl eines untersuchten numerischen Merkmals ist der Abstand zwischen dem
größten und dem kleinsten Zahlenwert. Ausreißer beeinflussen die Spannweite deutlich.
Die Spannweite B gibt eine ungefähre untere und eine obere Grenze an, in der sich die Messwer-
te bewegen, so dass hieraus Standardabweichungen abgeschätzt werden können. Die Spannwei-
te wird daher u, a. zur Abschätzung bei den Oualitätswerkzeugen genutzt.
Fehlererfassung
OEG
und grafische ----x--r-oWG
Darstellung
-1-------uwc
UEG
Merkmal 1: l*H ll
Merkmal 2: llll
Merkmal :: l{H llll @ Oualitätsregelkarte
I i
@ Fehlersammelliste @ Histogramm
-:I-t=
:I
I
|
\\l
-lÈ---Èuuatttat
--]JtJ i
Ursache W¡rkung
tE
I
@ Brainstorming @ Pareto-Diagramm
Merkmâl 2 +
No'I¡.+ogro,3Ílo'b.e
lQ$ c¿p t
lûreto i
Mit der Fehlersammelliste, der Oualitätsregelkarte und dem Histogramm werden in der Phase
der Fehlererfassung die lnformationen zu den Fehlerarten, -häufigkeiten sowie -orten gezählt und
grafisch dargestellt.
Auch wenn alle Werkzeuge der 07 aufeinander aufbauen, können sie trotzdem unabhängig von-
einander in der Oualitätsarbeit eingesetzt werden.
Die Sieben Oualitätswerkzeuge oder 07 sind elementare Werkzeuge für die Datenerfassung
und -analyse sowie für das Auffinden von Fehlern in Prozessabläufen und Lösungsstrategien.
Durch die 07 können Reaktionen auf Abweichungen optimiert und Reaktionszeiten minimiert
werden. Die 07 dienen der Sicherstellung von Oualitätsstandards.
1.6.1 Fehlersammell¡ste
Fehlersammellisten, auch Fehlersammelkarten oder Strichsammellisten genannt, sind ein
Oualitätswerkzeug, das über die Art und die Anzahl von Fehlern Auskunft gibt. Mit Fehler-
sammellisten können Fehler auf einfache Weise erfasst werden. Die Darstellung ist leicht ver-
ständlich. Jedes eintretende Ereignis wird durch einen Strich festgehalten
Während sich Untersuchungen mit einem Stichprobenumfang von zehn Messwerten wie im
Beispiel der Dickenmessung (Tabelle 1, S. 32) leicht überblicken lassen, sind Stichprobenum-
40
1.6 07 - Werkzeuge und Oualität
I
fänge von hundert oder mehr Messwerten
zu umfangreich. Hierzu eignet sich eine Feh-
lersammelliste. Mit ihr können sowohl unter-
schiedliche Merkmale (B¡ld 1)als auch Größen-
Temperatu rfehler lr+t ilt II
messwerte erfasst werden (Bild 2). Wägefehler ++fi w|t t]-tt I I I9
Abweichung
Die Fehlersammelliste zur Erfassung von Grö- Wellenlänge ilt +++t ++fi |
ßenwerten kann direkt angefertigt werden,
wenn bekannt ist, welche Werte die kleinsten Reißfestigkeit ilil 7
258 +t+t il il 9
ne Fehlersammelliste, Strichsammelliste
Ei
oder Fehlersammelkarte ist ein Oualitäts- 259 +tif I 6
1 51,915 51,944 3
Die geordnete Liste gibt ein anschaulicheres 2 51,945 51,974 6
Bild der gemessenen Werte als die Urliste und
zeigt sogar eine.Verteilung der Werte zwischen
3 51,975 50,004 ililt 5
Voraussetzung für die Aufnahme einer Fehlersammelliste im Rahmen der Oualitätsarbeit ist,
dass die äußeren Einflussfaktoren konstant sind und damit alle erfassten Fehler den gleichen
grundlegenden Bedingungen unterliegen.
1.6.2 Oualitätsregelkarte
Die Oualitätsregelkarte bzw. Regelkarte wird im Oualitätsmanagement zur bildlichen Veran-
schaulichung und Auswertung von Prüfdaten verwendet, die über einen längeren Zeitraum hin-
weg fortlaufend aufgenommen werden. Sie ist damit eher ein Datenblatt oder ein Schaubild als
eine Karte (B¡ld 1, s.42).
41
1 Oualität und Oualitätssysteme
Eine Oualitätsregelkarte ist eine grafische Darstellung zur Auswertung von Prozessdaten und
zur Prozessbeobachtung.
Die Regelkarte wird ausgehend von der Mittellinie in Zonen eingeteilt. Der Abstand der Zonen
entspricht beispielsweise jeweils dem Abstand einer Standardabweichung o. Die äußerste Gren-
ze sowohl in positiver als auch in negativer Richtung von der Mittellinie stellt die Toleranzgrenze
dar, die die noch tolerierte Abweichung darstellt. Der Bereich innerhalb der 3o-Grenzen wird als
der natürliche Toleranzbereich bezeichnet.
lnnerhalb der Toleranzgrenzen sind im Schaubild Warngrenzen (OWG, UWG) und Eingriffsgren-
zen (OEG, UEG) eingezeichnet. Die jeweilige positive und negative Grenze liegt im betragsmäßig
gleichen Abstand oberhalb und unterhalb des Sollwerts oder des arithmetischen Mittelwerts i.
Jedes Uberschreiten dieser Grenzen weist auf Unregelmäßigkeiten oder Fehler hin.
Folgt die Verteilung der Messwerte der Gaußschen Normalverteilung (s. Kap. 1.5.3., S. 37), kenn-
zeichnen die Warngrenzen den Bereich von t 2o um den Mittelwert. ln diesem Bereich sollten
rund 95,4 Yo aller gemessenen Werte liegen. Ein Wert jenseits der Warngrenze kann auf Ver-
änderungen des Prozessablaufs hinweisen, die durch geeignete Maßnahmen wieder korrigiert
werden können. Ein Eingriff in den Prozess kann notwendig sein, Die beiden Eingriffsgrenzen
stellen dementsprechend den * 3o-Bereich dar, in dem etwa 99,7 o/o aller Messwerte enthalten
sein sollten.
ln der Regelkarte sind neben dem Sollwert auch die Warngrenzen (OWG, UWG) und die
Eingriffsgrenzen (OEG, UEG) eingezeichnet, so dass die Lage der Messwerte zu den Grenzen
deutlich wird.
Liegt ein Messwert jenseits der Eingriffsgrenze, so kann der Prozess außer Kontrolle sein. Es ist
notwendig, in den Prozessablauf einzugreifen, bevor die Toleranzgrenzen überschritten werden.
Die in der Regelkarte gesetzten Grenzen beziehen sich auf statistisch berechnete Werte, so dass
von der Gesamtheit aller hergestellten Produkte (100 %) außerhalb des 3ø-Bereichs (99,7 o/o) rein
rechnerisch insgesamt 100 % - 99,7 % = 0,3 % aller hergestellten Produkte liegen.
42
1.6 07-Werkzeuge und Oualität
-- ---uwc
H
Anderungen von Werkstoffeigenschaften, sind
R -3o
immer ein normaler Bestandteil von Prozessen. ---UEG
Nummer der Messung --->
Bild 1: Trend
Unregelmäßigkeiten zeigen sich jedoch nicht
immer in einem Überschreiten der Warn- oder
Eingriffsgrenze. ln Oualitätsregelkarten kann
auch eine stetige Verschiebung von Messwer- l+3o
x+2o OWG
ten deutlich machen, dass Prozesseinflüsse
vorhanden sind, die nicht regulär sind. Mess- x
wertverschiebungen, wie sie bei einem deutli-
chen Trend oder einer Drift vorliegen, können X -2o
z. B. auf fehlerhafte oder verschlissene Werk- X -3o utc
zeuge hindeuten (Bild 1). - - --"-,.n"r* M";"n *-
Bild 2: Sägezahnverlauf
Regelkarten zeigen aber auch andere Eigen-
tümlichkeiten, die einen Prozesseingriff not-
wendig machen. Liegen mehr als sieben Mess- *+3o
werte auf einer Seite des Mittelwerts, liegt ein F+2o
sogenannter Runvor.
x
r.t 15 3
(Bild 1). Es dient zur Analyse und grafischen Ëo 2
0
1
5
6
7
k n
k=,,[n = úo = 7,75+ 8 G¡- 1-8
1 1
Bei einem Stichprobenumfang von 60 Einzelwerten bieten sich insgesamt 8 Klassen und somit 8
Säulen im Histogramm an.
Die Zusammenfassung der Einzelwerte zu Klassen ermöglicht eine übersichtliche Darstellung
großer Datenmengen in einer Grafik. Aus dieser Darstellung werden sowohl Trends als auch
Anhäufungen von Werten direkt ersichtlich (Bild 1). Werden zu wenige Klassen gebildet, ist das
Histogramm zu grob. Die Aussage ist zu vage. Zu viele Säulen im Diagramm ergeben kein über-
sichtliches Verteilungsbild.
Der kleinste gemessene Einzelwert wird als untere Grenze der
Sollwert
ersten Klasse des Histogramms festgehalten. Wird über die I
B R k
B=E Gl. 1.9
k 1 1 1
c)
Tolera nzgrenzen
Die Häufigkeit der Einzelwerte bestimmt beim grafischen Auf- Bild 2: Histogramm eines
tragen der Säule in das Diagramm die Säulenhöhe. Auf der Ab- a) zentrierten Prozesses,
szisse (waagrechte Achse) wird das gemessene Merkmal auf- b) zu niedrig laufenden
getragen, die Ordinate (senkrechte Achse) trägt die Häufigkeit Prozesses, c) positiv schief
(Bird 2). verteilten Prozesses mit
zu hoherstreuung
Zusätzlich zu den Säulen können im Histogramm der Sollwert
und auch die Toleranzgrenzen eingetragen werden (Bild 2a). Anhand dieser Werte ist die lnter-
pretation des aufgestellten Histogramms einfach möglich. lst das Maximum der Säulen gegen-
über dem Sollwert nach links verschoben (B¡ld 2b), liefert der Prozess im Mittel zu geringe Werte.
Man spricht davon, dass der Prozess zu niedrig läuft.
Liegen die Säulen im Histogramm auch außerhalb der Toleranzgrenzen, ist die Streuung der Mess-
werte zu groß, lm Bild 2c deuten die Säulen außerdem an, dass kein zentrierter Prozess vorliegt. Es
handelt sich im dargestellten Fall um einen schief verteilten Prozess mit zu hoher Streuung.
44
1.6 07 -Werkzeuge und Oualität
Das Histogramm ist ein Säulendiagramm, in dem alle Einzelwerte aufgeteilt in Klassen erfasst
sind. Die Klassen bestimmen die Breite jeder einzelnen Säule. Die Höhe der Säulen ergibt sich
aus der absoluten Häufigkeit für das Auftreten des gemessenen Merkmals.
1.6.4 Korrelationsdiagramm
Die Eigenschaften eines hergestellten Produkts können von-
einander abhängen bzw. sich gegenseitig beeinflussen oder a
a
a
Mit Korrelationsdiagrammen kann neben der Stärke der Wech-
selbeziehung der einzelnen Merkmale auch die Richtung der
Beziehung grafisch verdeutlicht werden. Die Beziehungsrich-
tung zeigt sich bei eÌnem Diagramm mit zwei Merkmalen mit li- b)
nearem Zusammenhang durch eine positive (Bild 2a) bzw. eine
negative Steigung (Bild 2b) der Ausgleichsgeraden. Das Vorzei-
chen der Steigung der Ausgleichsgeraden bestimmt dann die Bild 2: Korrelationsdiagramme
Bezeichnung der Beziehungsrichtung als positive Korrelation mit a) positiver Steigung
oder negative Korrelation. b) negativer Steigung
45
1 Oualität und Oualitätssysteme
! Bei einer linearen positiven Korrelation nimmt bei der Zunahme des einen Merkmals das
andere Merkmal zu.
Bei einer linearen negativen Korrelation nimmt bei der Zunahme des einen Merkmals das
andere Merkmal ab.
Die Aussage der Korrelationsdiagramme bezieht sich auf die gemessenen Werte und gibt somit
nur an, ob ein statistischer Zusammenhang zwischen den Werten der Wertepaare vorliegt. Eine
logische Abhängigkeit der gegenübergestellten Werte muss zusätzl¡ch überprüft werden.
1.6.5 Pareto-Diagramm
Der italienische lngenieur und Ökonom Vilfredo Frederico Pareto (1848 bis 1923) fand bei der
Untersuchung von Vermögensverteilungen heraus, dass etwa 20o/o der Familien ungefähr 80 %
des Vermögens besitzen.
Aus diesem Ergebnis leitet sich das Pareto-Prinzip ab, nach dem sich viele Aufgaben durch einen
Einsatz von 20 % erledigen lassen, wobei hierdu rch 80 %' der Probleme gelöst werden.
ln der Projektarbeit zeigt das Pareto-Prinzip, dass 80 lo der Ergebnisse in 20 % der gesamten Pro-
jektzeit erreicht werden. Für die übrigen 20 %' der Ergebnisse sind hingegen 80 o/" der gesamten
Projektzeit erforderlich, da diese die meiste Arbeit verursachen. Statt vom Pareto-Prinzip wird
auch vom Pareto-EÍlekl oder der 80/20-Regel gesprochen.
Das Pareto-Prinzip besagt, dass die meisten Auswirkungen eines Problems (80 %) häufig
nur auf eine kleine Anzahl von Ursachen (20 %l zurückzuführen sind. Das Pareto-Prinzip wird
daher auch als 80/20-Regel bezeichnet.
h (x¡) H(¡) n
hlx¡ =!l!'). loo % |
Gt. 1.10
1 1 1
46
1.6 O'7 - Werkzeuge und Oualität
Durch die Anordnung der Kategorien oder pro-
blemursachen im Pareto-Diagramm nach ihrer I 100 100
I
e0
I
Die Pareto-Kurve ist eine Summenkurve über die Absolutwerte oder Prozentwerte.
Das Pareto-Diagramm stellt damit eine wichtige Entscheidungshilfe in der Oualitätsarbeit dar,
um Fehlerquellen einzugrenzen bzw. bereits einen Großteil der Fehler auszuschließen.
Werden verschiedene Ursachen in unterschiedlichen Pareto-Diagrammen dargestellt, kann der
Vergleich der Diagramme aufdecken, welche Ursachen verstärkt zu bearbeiten sind. Beispiels-
weise können in einer Produktion bestimmte Fehler einen besonders großen Anteil besitzen. Mit
dem Pareto-Diagramm kann jedoch gezeigt werden, dass diese Fehler kostenmäßig nicht ins
Gewicht fallen. Die Beseitigung der weniger häufig auftretenden, aber kostenintensiveren Fehler
führt in diesem Fall zu einer Verbesserung der Produktion und zu einem Unternehmenserfolg
durch schnelle KosteneÌnsparung.
Das Pareto-Diagramm lässt aus vielen möglichen Ursachen eines Problems diejenigen er-
kennen, die den größten Einfluss haben. Der Einfluss einer Ursache ist direkt aus dem Dia-
gramm ablesbar.
1.6.6 Brainstorming
Das Brainstorming ist eine Methode zur ldeenfindung. Der Name dieser Methode ist mittlerweile
in die deutsche Sprache eingegangen. Andere Bezeichnungen reichen von Denkrunde bis zu
Geistesblitz oder ldeensammlung.
Einem Brainstorming liegt eine bestimmte Problemstellung zugrunde, zu der neue ldeen oder Lö-
sungsansätze auf Basis von spontanen Einfällen gefunden werden sollen. Das weitere Vorgehen
beim Brainstorming gliedert sich in zwei Phasen. Die Phase 1 dient der eigentlichen ldeensamm-
lung, während in der Phase 2 die Ergebnisse aus der ersten Phase sortiert und bewertet werden.
Brainstorming eignet sich insbesondere bei Gruppen mit 10 bis 20 Personen. Es gelten folgende
Regeln:
. Jeder formuliert seine eigenen ldeen oder Gedanken am besten in kurzen Schlagwörtern.
. Kommentare zu den Gedanken bzw. Korrekturen und Kritik an Äußerungen von anderen sind
nicht erlaubt.
. Phantasieren und Assoziationen sind erwünscht.
47
1 Oualität und Oualitätssysteme
!
Bei der ldeensammlung nennen alle Teilneh-
mer spontan ihre Gedanken zur gestellten ÈistograrÍmç¿hlørsamm¿lliel¿ GL? ì{itfelverf
Frage bzw. ihre Assoziationen zum Thema,
die kommentarlos am besten für alle sichtbar varlationskoefîiz¡en! \{¿inintraltsEloff¿
mitprotokolliert werden. ln Bild 1 ist die ldeen- ?aÀgraPh PD1A
Ko,',elalioÃsdøgranm
sammlung zur Frage: ,,Was gehört zum Thema rrc¿ukÍeinheil
Oualität?" dargestellt.
îarbe Norn ûhskorb¿n
?arelo
Beim Brainstorming ist in der Phase 1 die ge- Bunsenbr¿nner
aeuttsaelÏinnunn
genseitige lnspiration gewollt, da so ganz neue 9øøø
150 fç¡t lehikav¡a
ldeen entstehen können und Ansätze zur Pro- '--
xund¿nwüngcne
blemlösung gefunden werden können. Daher Regelkarle cs lehler Deming
ist eine Unterbrechung des Gedankenflusses oM oualität oulitalssich¿rung
durch Diskussionen. Wertungen oder Kritik an
eingeworfenen Gedanken in dieser Phase des Bild 1: Brainstorming zum Thema Oualität
Brainstorming nicht förderlich und strikt zu Lrn-
terbinden. Alternativ kann jeder Teilnehmer am
Brainstorming seine eigenen Gedanken erst auf Norn,?aragraph,
rso 9ø0ø, 0M, foM, ¿roM,
Karten festhalten. Die Ergebnisse des individu-
ot¡¿lit¿tssich¿rung, C5,
ellen Brainstorm¡ng werden anschließend für
Kund¿nh,ünsch¿
alle sichtbar festgehalten. Auch aus abstrusen fehler, lehlerarlen
Gedanken können sich in der Phase 2 durchaus Y ariationsk o eî I izienl,
kreative Lösungsansätze entwickeln. t'tifi¿ftærh Arithnetisch€s Mitïel
Ein Brainstormingisl eine Methode zur ldeen- und Lösungsfindung bei konkreten Problemen,
die sich in die Phase ldeensammlung und die Phase Ergebnissortierung und -bewertung gliedert.
Brainstorming kann bei vielen Problemarten eingesetzt werden und eignet sich zum Abstecken
des Umfangs bei einem Einstieg in ein neues Themengebiet. Aufgrund der Synergieeffekte beim
Geda nkena usta usch kann B ra i n sto rm i n g innovative ldeen u nd Problem ösu n gen bieten. I
Die Methode Brainstorming ist sehr von den Teilnehmern abhängig, da sowohl Ausschweifun-
gen als auch Konflikte in der Gruppe die neutrale ldeensammlung und den Gedankenaustausch
unterbinden. Sind die Teilnehmer geübt und in der Lage, ldeen von anderen Personen aufzuneh-
men, kann das Brainstorming schnell zu guten Ergebnissen führen. Die Denkprozesse in einem
Brainstorming können auch durch die Beteiligung von nicht direkt involvierten außenstehenden
Personen positiv beeinflusst werden, da diese nicht so stark in bestimmten Strukturen denken.
Neue lmpulse bringen eine veränderte Umgebung und die Art der Durchführung. Beim so ge-
nannten Brainwalking ist die ldeensammlung auf unterschiedlichen Plakaten mit verschiedenen
48
1.6 07 - Werkzeuge und Oualität
Fragestellungen im Raum verteilt, wobei die Teilnehmer unabhängig voneinander die ldeen sam-
meln. Eine schriftliche ldeensammlung ist das Brainwriting, zu dem auch die Methode Kollektiv-
notebook lCollective Notebook, CNB) gehört, die von dem US-amerikanischen Management-
Theoretiker Charles Hutchison Clark 11920 bis2009) eingeführt wurden. Hierbei werden die
ldeen elektronisch erfasst und weitergereicht. Die Teilnehmer müssen hierbei nicht zur gleichen
Zeit und nicht am gleichen Ort ldeen sammeln.
Ein Ursache-Wirkungs-Diagramm kann von einer Person oder von Gruppen aufgestellt werden.
Die Prrifung, ob die richtige Ursache für das Problem ermittelt wurde, Übernehmen abschließend
am besten Fachkräfte. Statistisch kann die Annahme mit statistischen Testverfahren wie einem
Si g n ifikanztest ( Hypothesentest) gestützt werden.
Hauptursachen waren ursprünglich die 4-M-Ursachen: Material, Maschine, Methode und Mensch.
Diese wurden um Management, Milieu (Mitwelt), Messung und Monetäres (Geld; franz. mon-
naiei engl. moneyl zu den 8-M-Ursachen erweitert. Sonstige Einflussgrößen wie beispielsweise
Prozesse oder Umfeld ergänzen die Hauptursachen. Die Ursachen und auch die weitere Eintei-
lung sind nicht vorgegeben. Für jeden Einzelfall wird damit eine individuelle Lösung erarbeitet'
Heute wird diese Technik auf andere Problemfelder wie die Prozessanalyse übertragen. Hierbei
steht an der Spitze des Hauptpfeils statt der Wirkung das Ergebnis des Prozesses oder der Ge-
samtprozess. Die einzelnen Fischgräten stellen die Teilschritte des Prozesses oder die Aktivitäten
dar (Bild 1, S. 50).
49
1 Oualität und Oualitätssysteme
Je später ein Fehler entdeckt wird, desto schwieriger und kostenintensiver ist meist seine
Korrektur. Eine Fehlerbeseitigung in der Entwicklungsphase besitzt das beste Kosten/Nutzen-
Verhältnis.
Die Fehlermöglichkeits- und Fehlereinfluss-Analyse FMEA steht für die vorsorgende Fehler-
verhütung statt für eine nachsorgende Fehlererkennung und Korrektur.
Fehler sollen mithilfe einer FMEA durch frühzeitiges Erkennen der potentiellen Fehler-
ursachen vorbeugend vermieden werden.
Die Durchführung einer FMEA muss von einer Stelle koordiniert werden, die auch den Gesamtab-
lauf einer FMEA kennt. Sie klärt methodische Probleme und unterstützt die Anwender. Die An-
wender selbst müssen aufgrund der Komplexität einer Analyse von Fehlermöglichkeiten und
Fehlereinflüssen fachlich versiert sein und aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen wie
Konstruktion, Einkauf oder Oualitätsmanagement stammen.
Der Analyseprozess selbst wird mithilfe von Formblättern oder entsprechender Software in for-
malisierter Weise durchgeführt. Hierbei ist es unabdingbar notwendig, dass die Daten präzise
erfasst und eine eindeutige sowie einheitliche Ausdrucksweise verwendet wird. Erst durch die-
se Maßnahmen erreicht man eine exakte Beschreibung und Bewertung des lst-Zustandes. Ein
Formblatt könnte wie in Bild 1, S, 52, dargestellt aussehen.
Der Kopf des Formblatts enthält wichtige grundlegende lnformationen. Entsprechend der Eintei-
lung des Formblatts gliedert sich eine FMEA in verschiedene Phasen. ln der ersten Phase steht
die Analyse auf potentielle Fehler. lm Formblatt werden im Abschnitt O die Fehlerart und der
Fehlerort benannt. Daran anschließend erfolgt die Nennung der Fehlerfolge sowie der Ursache
für den Fehler. Hierbei wird noch keine Rücksicht auf die Häufigkeit oder die Schwere des Fehlers
gelegt. Ziel ist es, alle möglichen Fehler zu finden und prägnant zu beschreiben.
Erst im Abschnitt @ erfolgt eine Risikobeurteilung, d. h. es wird für jeden einzelnen Fehler be-
st¡mmt, wie häufig sein Auftreten A ist, welche Auswirkung bzw. Bedeutung B der Fehler ins-
gesamt hat und wie groß seine Wahrscheinlichkeit Wist, nicht entdeckt zu werden. Jede dieser
drei Kategorien erhält eine Bewertungszahl von 1 bis 10, wobei die Zahl 10 für ein hohes Auftre-
ten, eine große Bedeutung des Fehlers und eine hohe Wahrscheinlichkeit steht, nicht entdeckt zu
werden. Erhält ein Fehler dreimal die höchste Bewertung mit der Zahl 10;
f . ist es praktisch sicher, dass der Fehler auftritt,
2. handelt es sich um einen äußerst schweren Fehler und
3. der Fehler bleibt unentdeckt.
Die Bewertung eines Fehlers in drei Kategorien ist keine besonders präzise Bestimmung des
Fehlerrisikos. Eine genauere Bestimmung ist allerdings im Einzelnen auch nicht erforderlich. Ab-
hängig davon, wer an der FMEA arbeitet, werden Punkte anders bewertet. Werden alle Risiken
von den gleichen Personen festgelegt, wirken sich diese Festlegungen nicht auf das Gesamt-
ergebnis der FMEA aus, da insgesamt eine Relativbetrachtung der einzelnen Fehlerrisiken erfolgt.
Das Ergebnis zeigt trotzdem, wo der größte Handlungsbedarf besteht.
Aus den drei Einzelbewertungen kann durch Produktbildung aus Auftretenswahrscheinlichkeit A,
Bedeutsamkeit B und Nichtentdeckungswahrscheinlichkeit l4l die Risikoprioritätszahl RPZ be-
rechnet werden:
RPZ A B W
RPZ= A' B' W Gl- 1.1 I
1 1 1 1
Die Risikoprioritätszahl RPZkann Werte zwischen 1 und 1000 annehmen. Ein kleiner RPZ-Werl
bedeutet, dass ein kleiner Fehler vorliegt, der kaum bedeutsam ist und der gut erkannt wird. Bei
einem großen RPZ-Wert liegt ein sehr häufiger Fehler vor, der zusätzlich große Auswirkung hat,
aber nur schwer erkannt wird.
ln der Phase @ der FMEA werden Maßnahmen- bzw. Lösungsvorschläge für jeden einzelnen
Fehler erarbeitet, die für eine Verringerung des Risikos einzuhalten sind, Teilweise geben die fest-
gehaltenen Fehlerursachen bereits Hinweise auf Lösungen zur Fehlervermeidung.
51
1 Oualität und Oualitätssysteme
ffi
Gegenstand: Datuml
U ntersuchung Abwasser verschiedener Klärbecken 20.07.2014
Abte¡lung/Ansprechpartner: Beteiligte: Datum
Labor OM, Mitarbeiter der Abteilung Labor OM: MeT, PBr, AGw Ùberarbeitung:
Hr. Dr. Maus Fr. Musterfrau (Messprüfwesen), Hr. Mustermann (Einkauf) 10.08.2014
Mögliche Fehler Momentaner^ Empfohlene Zustand nach^
UJ Zustand lÐ Mai3nahmen; G) Maßnahmen LÐ
System, Art Folgen U rsachen Þ @
o
m
- I Verantwortlichkeit @ m a
Kom ponenle,
c T o l T
o o N o N
Prozess c o C
o
- C
l
@ f
l
c
f,
@
c
f
@ a
N¡trat- U nte r- Bakter¡en- Probenah me- 5 1 0 7 350 Úben der Probe- 1 1 7 Áo
bestimmung bestimmung wachstum technik falsch nahme und Varìation
in 100 mL um10% zu groß der Techniken,
Probe aus Laborantìn AGw
Becken 1 und Laborleiter
{Term¡n: 23.07.2014)
Temperatur zu 7 1 0 1 70 Temper¡erung der 3 4 1 12
hoch Probe vor Mess-
vorgang;
Laborantin AGw
und Laborle¡ter
Sauerstoff- Es wird kein Bemessu ng Bestimmu ngs- 4 20 Verwendung des 1 1 1
menge in uerstoff-
Sa Sauerstoff- grenze der Schnelltests mit nied-
100 mL gehalt ge- zufuhr nicht Methode ist r¡gerer Bestimmungs-
Probe aus messen möglich erreicht grenze, W¡ederholungs-
Becken 2 grenze, W¡ederholungs-
messung und regel-
mäßige Kontrolle mit
Onl¡ne-System im
Becken; Laborant PBr
Eine FMEA wirkt präventiv, d. h. schon vor Beginn der Umsetzung. Die FMEA gliedert sich
in die vierPhasen Analyse auf potentielle Fehler, Risikobeurteilung, Maßnahmen- bzw.
Lösungsvorschläge und Restrisikobeurteilung bzw. Bewertung.
1.8 Validierung
Gerade bei einer Neueinführung eines Stoffes oder eines Prozesses muss Oualität überprüft wer-
den. Hierzu ist häufig die Entwicklung neuer Methoden zur Überprüfung der gewünscÍrten bzw.
geforderten Eigenschaft erforderlich. Ein wichtiges Werkzeug im Oualifätsmãnagement ist die
52
1.8 Validierung
Vafidierung (lat. validus, stark, wirksam, bekräftigen, gesund). Nach ihr wird der Beweis geliefert,
dass eine Methode, ein Prozess oder ein System den Anforderungen entspricht und die Eignung
für eine vorgegebene spezifische Aufgabe besitzt.
Für eine neu entwickelte Methode wird hierzu der formelle und dokumentierte Nachweis gefor-
dert, dass diese für den speziellen Einsatzzweck geeignet ist. ln diesem Fall wird von Methoden-
validierung gesprochen. Ein Analyseprozess stellt zwar eine komplexe Einheit bestehend aus
Probenahme, Probenvorbereitung, Messung mit einem bestimmten Messgerät sowie Daten-
auf-nahme und Auswertung dar (B¡ld 1), trotzdem wird dies meist unter dem Begriff Methoden-
validierung zusammengefasst.
Eine Prozessvalidierung wird Unter- Probe- Proben- Proben- Daten- Ergebnis der
für einenProzess wie einen suchungs- nahme vorbe- messung aus- ana lytischen
gesamten Herstellungsverlauf obiekt reitung wertung U ntersuchung
I
I
H I
Durch eine Validierung wird der Nachweis erbracht, dass eine Methode, ein Prozess oder ein
System die Anforderungen im praktischen Einsatz erfüllt und reproduzierbare Ergebnisse liefert.
Es wird zwischen Methoden-, Prozess-, Geräte- und Reinigungsvalidierung unterschieden.
Einer Validierung liegt ein Validierungsplan zugrunde, der zur Oualitäts- und Ablaufsicherung alle
Arbeitsanweisungen enthält. Voraussetzung für die Validierung ist außerdem:
. alle verwendeten Geräte besitzen eine bekannte und akzeptierte Präzision,
. das Personal ist mit dem Ablauf bzw. der Methode vertraut und
. die verwendeten Chemikalien sind von bekannter Oualität.
Nach der durchgeführten Validierung wird ein Validierungsbericht geschrieben, in dem die Er-
gebnisse und Abweichungen dokumentiert und bewertet werden. Hierbei sind die in Normen
und Richtlinien festgelegten Umfänge und Durchführungsbestimmungen für Validierungen ein-
zuhalten. Die Dokumentation und Speicherung von Validierungsplänen, Berichten und zugehöri-
gen Messdaten sind genauso festgelegt, wie die Forderung nach verschiedenen Kennzahlen und
anderer Nachweise.
Abhängig von der Validierungsart und dem Einsatzbereich, wie z. B. bei Lebensmitteln oder phar-
mazeutischen Produkten, werden unterschiedliche statistische Auswertungen zu Richtigkeit und
Präzision sowie die Beachtung und Festlegung von Nachweis- und Bestimmungsgrenzen gefordert.
Statistische Kenngrößen, wie das arithmetische Mittel oder die Standardabweichung, sind im Zu-
sammenhang mit dem Sollwert und den Toleranzwerten bzw. Grenzwerten anzugeben' Gerade
für analytische Untersuchungsmethoden ist die Angabe der Robustheit einer Methode wichtig.
53
1 Oualität und Oualitätssysteme
!
Meist werden in diesem Zusammenhang Angaben zu folgenden Punkten eingefordert:
. Genauigkeit (engl. accuracyl
Die Genauigkeit ist ein Maß für die Abweichung des
Messwertes vom richtigen Wert und damit ein Maß +
für den Gesamtfehleç der sich aus zufälligen und
systematischen Fehlern zusammensetzt.
Bei mehreren Messwerten wird die Abweichung Präzision+Richt¡gkeit=Genauigkeit
der Mittelwerte vom richtigen Wert als Genauig- Bild t: Zusammensetzung von Genauigkeit
keit bezeichnet (engl. accuracy of the mean).
Genauigkeit setzt sich aus der Richtigkeit und der Präzision eines Verfahrens bzw. einer Analyse
zusammen (B¡ld 1).
. Richtigkeit (engl. trueness, biasl
Die Richtigkeit B ist ein Maß für die Abweichung des Messwertes aufgrund eines systemati-
schen Fehlers vom (an sich unbekannten) wahren Wert.
Sie berechnet sich mithilfe des Mittelwerts x nach der Formel R = xso¡¡*un - i
(xsolt*"n- l)
Für die prozentuale Richtigkeit gilt: R = . rco % Maß: wiederfindungsrate
XSollwert
. Präzision lengl. precisionl
Die Präzision ist ein Maß für die Streuung des Messwerts xi um den richtigen Wert aufgrund
zufälliger Fehler. Der statistische Wert ist die Standardabweichung s, die sich nach folgeñder
9,.,1x,- x)2
Formel berechnet: s - n-1
Ma ß: Va riationskoeffizient
. Wiederfindungsrate (engl. recovery ratel
Die Wiederfindungsrate ist ein Kriterium zur Bewertung der Oualität analytischer Verfahren. Sie ist
das Verhältnis aus tatsächlicher Menge eines Anal¡en und gemessener Menge dieses Analyten.
sie dient der Überprüfung der Richtigkeit, ist jedoch kein Validierungsparameter,
. Wiederholpräzision (engl. repeatabilityl
Die Wiederholpräzision ist ein Maß für die Wiederholbarkeit einer Messung unter denselben
Bedingungen am selben Ort, durch dieselbe Person, an denselben Geräten, aber unterschiedli-
chen Tagen. Der statistische Wert ist die Wiederhol-standardabweichung.
. Laborpräzision (en g l. Ia bo rato ry p rec i si o n, i nte rm ed i ate prec i si o nl
Die Laborpräzision ist ein Maß für die Präzision einer Messung unter gleichen Bedingungen inner-
halb eines Labors, durch eine andere Personen, an anderen Geräten und unterschledlichen
Tagen.
. Vergf eichspräzision (engl. re p ro d u c i b i I ityl
Die Vergleichspräzision ist ein Maß für die Vergleichbarkeit einer Messung unter gleichen
Bedingungen am anderen Ort, durch eine andere Person, an anderen Geräten und unterschied-
lichen Tagen. Der statistische Wert ist die Vergleichs-Standardabweichung.
. Messunsicherheit (engl. uncertainty of measurementl
Die Messunsicherheit ist ein Maß für die Größenordnung der Schwankung des Messwerts.
Die Messunsicherheit wird auch als Unsicherheit oder Vertrauensintervall bezeichnet, in dem
der gemessene Wert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegt.
. Robustheit (engl. robusfness)
Die Robustheit ist ein Maß für die relative Unempfindlichkeit eines Verfahrens gegenüber Än-
derungen der Rahmenbedingungen. Die Störanfälligkeit meint als Gegensatz d're Èmpfindlich-
keit eines Verfahrens. Eine Methode ist robust, wenn beispielsweise trotz der Änderung der
Temperatur um einige Grad oder des Wechsels des Analysengeräts das Messergebnis nur un-
wesentlich beeinflusst wird.
. Spezifität (engl. specificityl
Die Spezifität ist ein Maß für die Anfälligkeit eines Verfahren gegenüber Störkomponenten.
Hohe Spezifität besitzt ein Verfahren, das neben vorhandenen Komponenten nur die zu be-
stimmende Komponente erfasst, ohne dass es zur Verfälschung des Messwerts kommt.
54
1.8 Validierung
Die Methodenvalidierung für Messtechniken erfolgt zur Untersuchung der Präzision beispielswei-
se über mehrfache Analysen eines Standards oder die Durchführung einer vollständigen Analyse
inklusive Probenvorbereitung. Ebenso existieren Prüfungen auf Selektivität oder Spezifität, bei
denen Störkomponenten oder eine komplexe Matrix zugegeben werden. Spektrometrische oder
spektroskopische Messergebnisse in Form von Werten oder Diagrammen sind geeignet, das
charakteristische Ergebnis zu belegen; sie können als Muster- oder Vergleichsdiagramm ver-
wendet werden.
Grundsätzlich gilt, dass bei einer Validierung gerade kritische Schritte im Ablauf oder der Metho-
de für eine Sicherstellung von Oualität zu überprüfen sind. Als Basis sollte jedoch gelten, dass
nicht wahl- und kritiklos alles validiert sein muss.
Die Validierung zeigt an, dass eine Methode oder ein Prozess den Anforderungen entspricht und
für eine spezifische Aufgabe geeignet ist.
55
1 Oualität und Oualitätssysteme
I
Aufgaben:
L Beschreiben Sie, was Oualität ist.
2. Geben Sie Beispiele für a) systematische Fehler,
b) grobe Fehler, c) zufällige Fehler.
3. ln Bild I ist mithilfe
einer Zielscheibe und Pfeilen ein
p 9"W
Zusammenhang zwischen dem richtigen Wert und auf- Bíld 1: Darstellung für den
genommenen Messsignalen dargestellt. Klären Sie Zusammenhang von
richtigem Wert und
diesen Zusammenhang und erläutern Sie die Aussage gemessenen Sígnalen
jeder einzelnen Abbildung.
4. Geben Sie an, was man unter den folgenden Begrifflichkeiten versteht,
a) Norm b) lnhärente Merkmale c) Zertifizierung
d) Stand der Technik e) Akkreditierung f) Audit
5' William Edwards Deming hat im Rahmen des Oualitätsmanagements einen prozessorien-
tierten Ansatz verfolgt. Ständige Verbesserung führt nach Deming in einer Reaktionskette
zur Sicherung derArbeitsplätze und des Gewinns. Erläutern Sie, was Deming durch sei-
nen Regelkreis beschreibt.
6. Ein Unternehmen überlegt, ein Oualitätsmanagementsystem einzuführen. Nennen Sie für
die Außenwirkung und die Wirkung nach innen jeweils zwei Gründe für die Einführung.
7. Ein Hersteller eines Billigprodukts überlegt, ein Oualitätsmanagementsystem einzuführen.
Klären Sie anhand den lhnen bekannten Vorgaben und Richtlinien die Frage, ob ein pro-
duzent von Billigprodukten überhaupt ein derartiges System haben kann.
8' Für die Produktion eines Geschmacksstoffes werden Edukte von externen Zulieferern be-
zogen. Welche Bedingungen müssen vorliegen, um auf eine Wareneingangskontrolle ver-
zichten zu können?
9. Bei der Einwaage für mehrere Experimente hat ein Labo-
rant der Reihe nach folgende Messwerte erhalten: 11,2 mg, tffi M
12,7 m9,9,3 mg, 11,8 mg, 12,6m9 und 10,4 mg.
a) Berechnen Sie das arithmetische Mittel dieser Massen.
b) Bestimmen Sie den Median. 84,1 84,7 85,1 85,6 84,8
c) Begründen Sie, welcher der beiden Werte die Mess- 84,9 85,2 83,5 86,3 86,0
reihe besser beschreibt.
10' ln Tabelle I sind die Werte für die Konzentration einer Lösung in der Einheit mg . L-1 gege-
ben. Berechnen Sie aus den aufgeführten Messwerten den arithmetischen Mittèlwert, dón
Median, die Spannweite, die Standardabweichung sowie den Variationskoeffizienten.
11. Für die Überwachung eines Herstellungsprozesses soll eine Oualitätsregelkarte entwickelt
werden. Geben Sie an, welche Vorleistungen zur Erstellung der Karte erforderlich sind.
12.Bei der Fertigung von Glas wird regelmäßig die Här-
te als Schleifhärte nach Rosiwal (August Karl Rosíwal, 259 273 292 280 278
1860 bis 1923) gemessen. Die Messergebnisse mit einem 285 265 283 291 256
250 260 281 268 252
Stichprobenumfang von n = 50 sind in Bild 2 angegeben. 274 262 261 259 249
Klassieren Sie die angegebenen Messergebnisse mit- 280 276 258 276 255
hilfe einer Strichliste in acht Klassen und erstellen Sie 244 280 256 zEE 2E2
286 268 277 25A 248
ein passendes Histogramm. 257 277 256 253 254
271 260 274 284 265
13. Brainstormrng ist eine wichtige Methode, ldeen zu sam- 279 281 278 284 264
meln und hieraus Lösungsansätze zu entwickeln. Ent- (Hänewofte nsch Bog¡walsind dimensionslos.)
56
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
Die Herkunft der zu analysierenden Probe und der Zweck der Untersuchung können sehr unter-
schiedlich sein, wie folgende Beispiele zeigen:
. Die Probe kann einem chemischen Produktionsprozess entnommen werden. ln diesem Fall
dient das vom Labor des Unternehmens erzielte Messergebnis der Steuerung des Prozesses
bzw. der Kontrolle des Produkts.
. Umweltproben von Oberflächengewässern, Grundwasser, Boden und Luft werden ebenso wie
Proben industrieller und kommunaler Abwassereinleitungen, Abfall- und Abluftproben von
Anlagen in den Laboratorien der staatlichen Umweltämter untersucht. Die Analysen dienen
der Umwelt- und der Anlagenüberwachung.
. Proben z. B. von Lebensmitteln, Futtermitteln, kosmetischen Produkten oder auch Lebensmit-
telverpackungen liegen bei Verdacht auf eine chemische Belastung oder bei routinemäßigen
Untersuchungen den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern zur Analyse vor. Das
Ziel besteht darin, die Bürger vor gesundheitlichen Schäden oder Gefahren sowie vor lrrefüh-
rung und Täuschung zu schützen. Auch Proben der Körper von Nutz- oder Heimtieren werden
hier untersucht, um der Ausbreitung von Tierkrankheiten und -seuchen vorzubeugen. Auftrag-
geber der Untersuchungen sind die Städte und Gemeinden sowie das Land.
. Proben der gesamten landwirtschaftlichen Produktionskette werden in den Laboratorien der
Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten (LUFA) untersucht. Landwir-
te und produzierende Gärtner, aber auch Privatpersonen reichen Proben von Boden, Saatgut,
Pflanzen, Futtermitteln, Wirtschaftsdüngern (2. B. Gülle, Stallmist), Biogas und Wasser (2. B.
Trinkwasser, Tränkwasser, Gießwasser) zur Analyse ein. Der Zweck der Untersuchungen be-
steht in der Oualitätssicherung der landwirtschaftlichen Produktion. Darüber hinaus kann
durch eine qualifizierte Düngeempfehlung der Ertrag maximiert werden.
Die Aussagekraft einer Analyse wird maß-
geblich durch die Oualität der Probenahme Labor
bestimmt. Das Ziel der Probenahme besteht
darin, einem zu untersuchenden Stoff eine û
Stichprobe zu entnehmen, die für die Gesamt- Stichprobe
menge des Stoffs repräsentativ ist. Die Gesamt-
menge, auf die das Messergebnis übertragen
wird, wird Grundgesamtheit genan nt.
ffi
Probenlagerung
ändern können, am Ort der Probenahme be-
stimmt. Beispiele für Messungen vor Ort sind
die Bestimmungen von Farbe und Geruch, der
Temperatur sowie des pH-Werts der Probe,
aber auch die Bestimmung der Umgebungs-
temperatur, der Windstärke und der Wetterver-
hältnisse am Ort und zum Zeitpunkt der Pro-
ffi
benahme. Bild 1: Einzelschritte der Analyse einer Probe
Auch zahlreiche, nur mit der modernen Gerätetechnik des Labors bestimmbare Parameter der
Probe unterliegen nach der Probennahme Veränderungen. Mithilfe einer auf die wichtigen Para-
meter abgestimmten Probenkonservierung können mögliche Veränderungen minimiert werden.
Anschließend erfolgt der Probentransport ins Labor.
Alle Aspekte der Probenahme, der Probenkonservierung und des Probentransports sowie die
Ergebnisse der Messungen vor Ort müssen vom Probenehmer im Probenahmeprotokoll sorg-
fältig dokumentiert werden, damit ihre Einflüsse auf die im Labor gewonnenen Messergebnisse
nachvollziehbar sind.
lm Anschluss an eine möglichst kurze Probenlagerung im Labor erfolgt die Probenvorbereitung.
Nur eine Teilmenge der Probe wird der Analyse unterzogen, der Rest wird im Hinblick auf weite-
re Untersuchungen gelagert (Rückstellprobe). Damit die Teilmenge in Bezug auf die zu bestim-
menden Parameter repräsentativ ist, erfolgt vor der Teilung der Probe ihre Homogenisierung.
Feststoffproben müssen vor der Messung zumeist gelöst werden. lst der zu bestimmende Stoff,
der Analyt, schwer löslich, wird er durch einen Aufschluss in eine leicht lösliche Form überführt.
Nach der Probenvorbereitung erfolgen die Kalibrierung des Messgeräts, die Messung, die Aus-
wertung der erzielten Messergebnisse, die Dokumentation sowie die Oualitätssicherung der
gesamten Analyse. Das Probenahmeprotokoll ist Bestandteil der vollständigen Unterlagen zur
Doku mentation der Analyse.
58
2.2 Probenahme
2.2 Probenahme
Das Ziel der Probenahme besteht darin, einer großen Menge an Merkmalsträgern einen kleinen
Teil zu entnehmen, dessen Eigenschaften repräsentativ für die Gesamtmenge sind.
Der kleine, repräsentative Teil der Merkmalsträger, der untersucht wird, wird Stichprobe ge-
nannt. Die große Menge an Merkmalsträgern, auf die das Ergebnis der Untersuchung übertragen
wird, wird als Grundgesamtheit bezeichnet.
Die Grundgesamtheit ist die Menge aller Merkmalsträger, die sich zu einem bestimmten Zeit-
punkt oder innerhalb eines Zeitraums an einem bestimmten Ort befinden. Alle Merkmals-
träger weisen einen übereinstimmenden Parameter auf.
Nicht alle Merkmalsträger werden untersucht, sondern nur wenige, repräsentative Merkmals-
träger werden zur Analyse ausgewählt. Diese werden als Stichproben bezeichnet.
Bei der Planung der Probenahme müssen zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden (B¡ld 1)
l
me zum Zeitpunkt von etwa 3 Wochen vor der E inzel-
l
l
Eine für die Grundgesamtheit repräsentative Stichprobe wird gewonnen, indem mindestens
20 Probenahmestellen über die Fläche gleichmäßig verteilt werden (Normalverteilung). Alterna-
tiv können die Stellen diagonal oder in Zickzack-Form platziert werden. Die 20 an diesen Stellen
gewonnenen Einzelproben werden gesammelt und gründlich gemischt. Der Mischprobe wird
eine Stichprobe von etwa 500 g entnommen. Diese Laborprobe wird an das Labor geschickt.
Die erzielten Messergebnisse können auf die Grundgesamtheit übertragen werden, d. h. auf den
Ackerboden der Fläche 10000 m2 bis zu einerTiefe von 30cm zum Zeitpunkt der Probenahme.
Soll eine größere Fläche untersucht werden, ist eine größere Anzahl Analysen erforderlich.
Die Laborprobe wird in Abhängigkeit von der Homogenität der Grundgesamtheit hergestellt:
. lst die Grundgesamtheit homogen, besteht die Laborprobe aus einer Einzelprobe.
. lst die Grundgesamtheit heterogen, wird die Laborprobe aus einer Mischprobe gewonnen,
die durch Sammeln und Mischen mehrerer Einzelproben entstanden ist.
. lst die Grundgesamtheit groß und heterogen, werden mehrere Mischproben hergestellt
und untersucht. Mehrere Mischproben können zu einer Sammelprobe vereint werden.
scharfen Schneidekante an der Spitze. ln das Rohr ist auf der Bild 1: al Krumenstecher,
gesamten Länge eine Nut eingeschweißt. Das Rohr füllt sich b) Pürckhauer Bohrstock
beim Einstechen mit Probenmaterial. Vor dem Herausziehen
wird es gedreht, um den Bohrkern vom verbleibenden Ma-
Einstechen Herausziehen
terial abzuscheren. Der Bohrkern wird mithilfe eines spitzen
Auskratzers, der entlang der Nut geführt wird, in ein Sammel-
gefäß abgestreift.
Der für die Entnahme von Bodenproben von 0 cm bis 30 cm
$ t
Tìefe vorgesehene Krumenstecher verfügt über einen Hand- '...:,,
griff und einen Trittsteg, mit deren Hilfe diese Stechlanze mit
Muskelkraft in den Boden gerammt und gefüllt herausgezo-
gen werden kann (Bild 1a).
Sollen Bodenproben bis zu 1 m oder 1,50 m ïefe entnommen
werden, wird der Pürckhauer Bohrstock verwendet (B¡ld 1b). Bild2: Probenehmer Bulky
Dieser Hohlmeißelbohrer mit einem Schlagkopf am obe-
ren Ende wird mithilfe eines speziellen Hammers (Kopf aus Fallrohr
Kunststoff) in den Boden getrieben. Ein in den Kopf des Bohr- mit feinem
Feststoff
stocks gestecktes Hebelzieheisen erleichtert das Drehen und
Probenbehälter
Herausziehen des Bohrers. Das Hebelzieheisen kann anschlie-
ßend als Auskratzer der Bodenschichten verwendet werden.
Bodenproben bis zu 10 m Tefen werden mithilfe einer Ramm'
kernsonde entnommen. Das hohle Stahlrohr wird mit einem Stempel
elektrischen Schlaghammer in den Boden getrieben. Der 1 m
oder 2 m lange Sondeneinsatz innerhalb des Rohrs wird her-
ausgezogen, sobald der Hohlraum vollständig gefüllt ist. Stempel eingeschoben
- Probenbehälter gefüllt
. Probenehmer Bulky, Dieses Gerät dient zur Entnahme von
Zielproben aus Schüttgut. Beim Einstechen in das Schüttgut
verschließt sich die Sammelkammer an der Spitze des Stahl- Stempel
rohres. Hat die Kammer den Zielpunkt der Probenahme er-
reicht, wird der Probenehmer zurückgezogen. Hierbei öffnet
sich die Sammelkammer und füllt sich mit Probe (B¡ld 2).
rialstrom des Fallrohres eingebracht, zurückgezogen und ge- Bild 3: lnlíneProbenehmer mit
kippt. Dabei fällt die Probe in den Entnahmestutzen (B¡ld 3). Free-Glide
63
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitu ng
Sowohl die Emission als auch die Transmission und die lmmission von Luftschadstoffen müssen
bei der Probenahme von Außenluft berücksichtigt werden. Nur bei der Probenahme von Gasen
in kleinen geschlossenen Räumen oder Gefäßen reicht aufgrund der weitgehenden Homogenität
des Gases die Entnahme einer Stichprobe aus. Bei einer größeren, komplexeren Grundgesamt-
heit ermöglichen nur periodische Probenahmen an sorgsam ausgewählten Stellen eine sichere
Beurteilung der Konzentrationen von Luftschadstoffen.
Geräte zur Probenahme von Gasen können aktiv oder passiv eingesetzt werden. Bei der aktiven
Probenahme saugt eine Pumpe ein definiertes Gasvolumen in ein Gefäß oder durch ein Gefäß
hindurch. Dringt das Gas innerhalb eines bestimmten Zeitraums nur durch Diffusion in ein Gefäß
ein, handelt es sich um eine passive Probenahme.
Durch eine Anreicherung der zu bestimmenden Komponente, des Analyten, innerhalb des Probe-
nahmegeräts ist eine periodische Probenahme mit gleichzeitiger Begrenzung der Proben-menge
möglich. Die Anreicherung kann mithilfe eines Adsorptionsmittels erfolgen, an dessen_Oberflä-
che sich die Substanz anlagert. Gebräuchliche Adsorptionsmittel sind Aktivkohle, Tenax@ (Poly-p-
2,6-diphenyl-phenylenoxid), Silicagel, Aluminiumoxid oder Molekularsiebe. lm Labor wird die
zu bestimmende Komponente mithilfe eines Lösemittels oder durch Erhitzen desorbiert und ge-
messen. Alternativ zum Adsorptionsmittel kann ein Absorptionsmittel eingesetzt werden, in dem
sich der Analyt löst.
65
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
Folgende Geräte werden bei der Probenahme von Gas ohne Anreicherung eingesetzt
. Gasmaus: Dieser Glaszylinder mit zwei Ventilen kann zur pas-
Se
siven Entnahme von Gasproben eingesetzt werden, indem er
vor der Probenahme evakuiert wird. Wird ein Ventil geöffnet,
strömt das Gas ein. Bei der aktiven Probenahme wird mit ei- a)
Hahn
ner Pumpe ein Gasstrom durch eine Gasmaus geleitet. Durch Stempel
ein Septum können mit einer Spritze Gasproben entnommen
werden (Bild 1a). u 1.,..t,,,.t,,,.t,,,,1.,.,t,..,t,,,.,,,,,1..,,t,,,,t,.,,t,,,,t
2.2.7 Probenmenge
Bei einer Probenahme werden in Abhängigkeit
l3@
von der Homogenität und Größe der Grundge-
samtheit Einzelproben gewonnen. Diese kön-
nen als einzelne Laborproben herangezogen
werden oder zu einer Mischprobe bzw. Sam-
melprobe vereint werden, der die repräsentati-
ve Laborprobe entnommen wird (B¡ld 1).
homogene
Grund-
gesamtheit
\l/ heterogene
Grund-
gesamtheit
E@E@
Die Laborprobe wird in das zuständige Labor Durchmischung,
transportiert, wo aus ihr Analysenproben für Verjüngung
die Untersuchung der relevanten Parameter
sowie eine Rückstellprobe gewonnen werden. rãtt+E[E
Die Mindestmenge einer repräsentativen
Einzelprobe hängt von der Homogenität der
Grundgesamtheit und somit vom Aggregat-
zustand des Prüfguts ab. Je homogener die
Trocknung.
Homogeni-
sierung
^/11 ! \
Grundgesamtheit ist, umso geringer kann die Bild 1: Probenherstellung in Abhängigkeit von der
Menge einer repräsentativen Einzelprobe sein. Homogen¡tät der Grundgesamtheit
Auch die Mindestmenge einer repräsentativen Laborprobe wird durch die Homogenität bzw. die
Beschaffenheit der Grundgesamtheit bestimmt. Darüber hinaus müssen bei der Festlegung der
erforderlichen Menge der Laborprobe die Anzahl und Menge der daraus gewonnenen Analysen-
proben sowie die Menge der Rückstellprobe berücksichtigt werden.
Die Mindestmenge einer Analysenprobe hängt von der gewählten Messmethode ab. Jede Me-
thode eignet sich ftir die Bestimmung eines Analyten innerhalb eines bestimmten Messbereichs.
Die Konzentration des Analyten in der Messlösung muss durch Verdünnung oder Anreicherung
auf diese Bestimmungsgrenzen abgestimmt werden. Soll ein in hoher Konzentration vorliegen-
der Analyt bestimmt werden, reicht eine geringe Probenmenge aus. Liegt der Analyt in geringer
Konzentration vor, ist eine größere Probenmenge erforderlich.
Die Mindestmenge einer Laborprobe hängt von der Homogenität der Grundgesamtheit, der
Art und dem Umfang der geplanten Untersuchungen sowie von den jeweiligen anal¡ischen
Bestimmu ngsgrenzen ab.
Tabelle 2 zeigt den Probenahmeplan für eine heterogene 400 ... 500 5b I q
ben Laborproben (L) gewonnen. Die zusätzlichen zwei Misch- 900 ... 1000 56 10 2 12
proben werden zu einer Sammelprobe (S) zusammengeführt. 1 000 ... 1 100 60 10 2 12
Ab 800 m' werden drei Mischproben zu einer Sammelprobe 1 100 ... 1 200 64 10 2 12
vereint, der eine Laborprobe entnommen wird.
Die Masse einer aus vier Einzelproben bestehenden Mischprobe beträgt das 4-Fache der Masse
einer Einzelprobe, die Masse einer Sammelprobe das 8- bis 12-Fache.
Die Mindestmasse einer Laborprobe wird ebenso wie die Mindestmasse einer Einzelprobe nach
Gleichung 2.1 berechnet. Zur Herstellung einer repräsentativen Laborprobe aus einer Misch- oder
Sammelprobe ist somit eine Probenverjüngung erforderlich. Diese Reduktion der Probenmenge
erfolgt zunächst durch eine AliquotierunS, d. h. die großvolumige Probe wird in volumengleiche
Teilproben geteilt. Dann wird jede zweite Teilprobe verworfen.
Bei der Probenverjüngung wird das Proben-
verwerfen verwerfen
material auf einer sauberen, glatten Unterla-
ge aufgebracht und sorgfältig durchmischt M isch- Kreuz- Labor-
(Bild 1). Dann wird das Material zu einem Ke- probe teiler probe
gel angehäuft und mit einem Kreuzteiler in vier
gleiche Teile geteilt (aliquotiert). Zwei einander
gegenüber liegende Teile werden verworfen. à
Der verbleibende Rest wird erneut aufgekegelt
und geviertelt, bis die Probenmenge der be- Aufkegeln I vi"rr"tn I nuftegetn I viertetn I Auftegetn
rechneten Mindestmasse der Laborprobe ent-
spricht. Die Probenteilung stark heterogener Bild 1: Prinzip der Probenverjüngung mit einem
Proben erfolgt erst im Labor. Kreuzteiler
6B
2.2 Probenahme
2.2.8 Probengefäße
Gasförmige Proben verbleiben bis zur Unter-
suchung in dem Gefäß, in dem sie gewonnen
Probengefäß Eignung
wurden, z. B. in einer Gasmaus. Diffusions-
sammler werden nach der Probenahmezeit G las-Sch iff-Standflasche
I . Anorganische
von 1 Woche bis zu 1 Monat mit einem Kunst- mit Glasstopfen Parameter
stoffdeckel verschlossen und zur Desorption (Borsilikat-Glas, klar oder außer Al
und Analyse ins Labor transportiert. braun) . Organische
Parameter
Feste oder flüssige Proben werden nach der . Gelöste Gase
Probenahme in Probengefäße aus Kunststoff
. Leichtflüchtige
oder Glas gefüllt. Für bakteriologische Unter-
Bestandteile
suchungen sollte das Gefäß nicht randvoll mit
der Probenflüssigkeit gefüllt werden, ein Luft- Glas-Gewindeglas, . Anorganische
raum sollte verbleiben. Für chemische Unter- Verschlusskappe mit Parameter
suchungen muss das Gefäß randvoll gefüllt Polyethylen-Einlage außer Al
(Kalk-Soda-Glas, klar .
und I uft blasenfrei verschlossen werden. Organische
oder braun) Parameter, nicht
Jedes Probenahmegerät und Probengefäß, mit leichtflüchtig
dem die Probe in direkten Kontakt kommt, muss Weck-Glas mit Gummi- . Anorganische
sauber und chemisch inert gegenüber den ln- oder Teflon-Dichtung und Pa ra meter
haltsstoffen der Probe sein. Die Probe darf we- Metallbügel-Spa n ner außer Al
der durch anhaftende Substanzen noch durch . Organische
das Gefäßmaterial selbst verunreinigt werden. Parameter. nicht
Die Oberfläche sollte glatt sein, damit keine Ad- leichtflüchtig
sorption der Bestandteile der Probe stattfindet
und das Gefäß leicht zu reinigen ist. Das Gefäß Hea dspace-Gläschen mit . Leichtflüchtige
sollte auch leicht und stabil sein, damit es beim Septum Pa rameter
Probentransport nicht beschädigt wi rd. . Gelöste Gase
Flasche aus Hochdruck- . Alle anorganischen
Wenn sich der Analyt während des Zeitraums polyethylen (HDPE,
zwischen Probenahme und Messung verän- stabil: - 50'C ... + 105'C)
Parameter
dern kann, wird die Probe im Probengefäß
einer physikalischen oder chemischen Kon- Flasche aus Poly-4-Me- . Alle anorganischen
servierung unterzogen. Das Material des Pro- thylpenten-1 (PMB
Parameter
stabil 0 'C ... + 175 "C)
bengefäßes sollte somit stabil bei niedrigen
Temperaturen und chemisch inert gegenüber . Alle anorganischen
Polypropylen-Dose
Konservierungsmittel n sei n. Parameter
. Alle anorganischen
ln Tabelle 1 sind Probengefäße sowie ihre Ver- Polyethylen-Fass
Parameter
wendungszwecke aufgefü h rt.
An das Probengefäß, in dem die Probe bei Bedarf konserviert, transportiert und bis zur Pro-
benvorbereitung gelagert wird, sind besondere Anforderungen zu stellen:
. Es muss sauber sowie schnell und einfach zu reinigen sein.
. Es sollte leicht sowie stabil sein und darf keine Beschädigungen aufweisen.
. Die Oberfläche des Probengefäßes muss besonders glatt sein. Die Gefäßwandung darf den
Anal¡en nicht durch Adsorption verändern.
. Das Gefäß muss aus einem inerten Werkstoff bestehen. Zwischen Gefäßmaterial und
Probe darf kein Stoffaustausch stattfinden.
. Das Material des Probengefäßes darf durch die erforderliche Konservierung der Probe nicht
verändert oder zerstört werden.
69
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
E Ab dem Zeitpunkt der Probenahme setzen jedoch physikalische, chemische und biologische Vor-
gänge ein, durch die die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Probe verändert wer-
den. Dazu zählen der Gasaustausch mit der Umgebungsluft, die Fällung von Salzen infolge einer
Temperaturänderung. die Adsorption von Stoffen an Schwebstoffen in der Probe oder an der
Gefäßwandung, die Oxidation von Bestandteilen der Probe durch Luftsauerstoff sowie die Verän-
derungen der Parameter infolge von Stoffwechselvorgängen der Mikroorganismen,
Die Veränderung mancher Parameter kann durch Konservierungsmaßnahmen nicht hinreichend
verlangsamt werden. Diese Parameter müssen vor Ort bestimmt werden. Die Methoden der
Vor-Ort-Analytik (Feldmethoden) sind mit einem nur geringen apparativen Aufwand verbunden,
die Messgeräte sind klein, leicht und einfach zu bedienen. Die Messwerte liegen zeitnah und am
Ort der Probenahme vor. Deshalb werden Feldmethoden auch zum ,,Field Screening" (engl. Feld-
Abtastung) genutzt. ln Gebieten mit einem besonderen Gefährdungspotenzial wird die Dichte der
Probenahmestellen erhöht. Die Ergebnisse der Vor-Ort-Analytik sind jedoch weniger genau als
die mit aufwändigen Verfahren im Labor erzielten Messwertê.
Beispiele für die vor Ort zu bestimmenden Parameter eines natürlichen Gewässers sind:
. Sinnesprüfung: Art und lntensität des Geruchs werden direkt nach der Probenahme bestimmt,
weil geruchsbildende Gase entweichen können. Eine Prüfung des Geschmacks erfolgt nur,
wenn kein Verdacht auf Gesundheitsgefährdung besteht. Die Bestimmung der Färbung betrifft
sowohl den Farbton als auch die Farbintensität. Auch die Bestimmung der Trübung wird visuell
vorgenommen. Dazu wird ein genormter Glaszylinder verwendet.
. Temperatur: Die Veränderung der Temperatur der Probe beeinflusst zahlreiche physikalische
und chemische Parameter, Durch die Verwendung einer Pumpe zur Entnahme der Probe kann
die Temperatur bereits um 0,5 "C bis 2 "C erhöht werden. ln diesem Fall sollte die Tenìperatur
in situ, d. h. ohnevorherige Entnahme der Probe, bestimmtwerden, Die Messung erfolgt mit
einem geeichten Thermometer oder mit einem Temperatursensor.
. pH-Wert: Der pH-Wert wird durch aus-
gasendes oder aus der Luft aufgenommenes Mess- und
Kohlenstoffdioxid verändert. Die Messung Referenz-
erfolgt elektrometrisch mit einer pH-Mess- elektrode
und Referenzelektrode (B¡ld 1).
. Elektrische Leitfähigkeit: Die elektrische Leit-
l'"ï"' /
fähigkeit ist ein Maß für die Konzentration
der im Wasser gelösten lonen. Sie wird eben-
ffiF
-tr:r-ïT+r1
so wie der pH-Wert durch das Ausgasen oder
die Aufnahme von Kohlenstoffdioxid verän-
dert, Die Messung erfolgt mit einer Leitfähig-
keits-Messzelle. Bild 1: pH-Meter mit Mess- und Referenzelektrode
. Redoxpotential: Das Redoxpotential ist ein Maß für die Konzentration der Redox-Paare. Es wird
wesentlich durch den in der Wasserprobe gelösten Sauerstoff bestimmt. Die Messung erfolgt
mit einer Redox-Elektrode.
. Sauerstoff-Konzentration: Diese ist entscheidend für die biochemischen Vorgänge in einem
natürlichen Gewässer. Die Messung erfolgt mit einer Sauerstoff-selektiven Elektrode.
70
2.4 Probenkonservierungen und -transport
Das Ziel der Probenkonservierung besteht darin, die Veränderung der betreffenden Parameter
auf unter 10 % im Vergleich zum Messwert zum Zeitpunkt der Probenahme zu reduzieren.
Die gekühlten, abgedunkelten und ggf. chemisch konservierten Proben müssen schnell, aufrecht
stehend und möglichst erschütterungsfrei zum Labor transportiert werden. Während des Trans-
ports ist auf eine geschlossene Kühlkette zu achten. Die weitere Lagerung der Proben sollte nur
über kurze Zeit, nicht länger als 24 Stunden, im Kühlschrank erfolgen.
71
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
2.5 Probenahmeprotoko¡l
Alle vom Zeitpunkt der Probenahme bis zur Abgabe der Probe im Labor durchgeführten Maß-
nahmen und erzielten Ergebnisse werden gemäß DIN EN ISO 17025 in einem Probenahme-
protokoll festgehalten.
Bild 1 zeigt ein Beispiel für das Protokoll zur Entnahme der Wasserprobe eines Fließgewässers.
Durch die Vorgabe unterschiedlicher Probenahmeprotokolle für Fließgewässer, Stillgewässer,
Grundwasser, Sediment, Ackerboden, Waldboden, Abfall, Außenluft, lnnenraumluft usw. stellt
das zuständige Labor sicher, dass alle das Analysenergebnis beeinflussenden lnformationen auf-
genommen und an das Labor übermittelt werden.
Das Probenahmeprotokoll zu einer Umweltprobe wird zumeist durch Fotos vom Probenahmeort,
der konkreten Probenahmestelle sowie der Umgebung ergänzt. Auf den Fotos sind möglicher-
weise Details zu sehen, die nicht ins Protokoll aufgenommen wurden. Gegebenenfalls können
auch Fotos als Beweis für umweltrechtliche Vergehen herangezogen werden.
Wenn aufgrund des Analysenergebnisses mit rechtlichen Konsequenzen zLt rechnen ist, ist es
von Vorteil, einen Zeugen für die Probenahme benennen zu können oder die Probenahme in
einem Team von mindestens zwei fachkundigen Probenehmern durchzuführen.
72
2.6 Probenvorbereitung
2.6 Probenvorbereitung
Das Ziel der Probenvorbereitung besteht in der Überführung der zu bestimmenden Komponente
der Grundgesamtheit, d. h. des Analyten, in eine für die chemische Analyse geeignete Form. Nur
bei manchen gasförmigen Proben kann auf eine Probenvorbereitung verzichtet werden, die auf
den Analyten und das geplante Messverfahren abgestimmt ist. Häufig werden sogar mehrere
Techniken nacheinander angewendet, bevor die Kalibrierung und Messung erfolgen können.
Folgende Maßnahmen zur Probenvorbereitung werden in Folge oder auch einzeln durchgeführt:
' Überführen der Analyten in ein für die Messmethode geeignetes Lösemittel sowie Einstellen
der geeigneten Konzentration der Messlösung.
Probenteilu ng in Analysenproben
und R ückstel I probe
rl
großvolumige, stark heterogene Misch- oder
Sammelproben müssen zunächst getrocknet, Abtrennen von
fein zerkleinert und homogenisiert werden. Bei Vollständioes oder
Analyt und - selektives Lösen
zu großem Volumen werden die Proben durch Störsubstanzen
eine Aliquotierung verjüngt und anschließend
in volumengleiche Analysenproben sowie eine
Rückstel I probe getei lt.
i{+
Einstellen einer auf die Messmethode
abgestimmten Analyt-Konzentration
ilt
¡n einem geeigneten Lösemittel
Die schwer löslichen Bestandteile fester Pro-
ben werden durch einen Aufschluss gelöst.
Wurde die Probe zuvor sehr fein gemahlen,
besteht die Möglichkeit, die Analyten und we-
nige weitere Bestandteile der Probe selektiv in
ffi
Bild 1: Maßnahmen der Probenvorbereitung
Lösung zu bringen.
Nachdem die Analyten und in der Probe enthaltene Störsubstanzen abgetrennt wurden, werden
sie in ein für die anschließende Untersuchung geeignetes Lösemittel überführt. Durch Aufkon-
zentrieren oder Verdünnen wird eine Konzentration eingestellt, die innerhalb der Bestimmungs-
grenzen der Messmethode liegt.
Erst wenn die Analyten durch diese Maßnahmen der Probenvorbereitung in eine geeignete Form
überfúhrt wurden, kann die Messung inklusive der Kalibrierung des Messgeräts erfolgen.
73
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
Die eventuell erforderliche Probenverjüngung sowie die Teilung der flüssigen Laborprobe in die
Analysenproben und eine Rückstellprobe erfolgen mit einer Pipette unter intensivem Rühren der
Probe, z. B. mit einem Magnetrührer.
Feste Laborprobe
Die Probenvorbereitung fester Umweltproben, z. B. Bodenproben, beginnt mit der Trocknung.
Die Auswahl eines geeigneten Trocknungs-Verfahrens erfolgt abgestimmt auf den Analyten
(Tabelle 1).
Trocknungs-
Durchführung Eignung
Verfahren
Trocknungsmittel z. B. Silikagel, Phosphor-
Chemische pentoxid, Natriumsulfat Nicht für leichtflrichtige und einige mit-
Trocknung Durchmischung von Trocknungsmittel und telflüchtige organische Verbindungen
Probe oder Trocknung im Exsikkator
Nicht für leichtflüchtige und einige
Lufttrocknung Trocknung bei Raumtemperatur im Abzug
mittelflüchtige org. Verbindungen
Trocknung bei Schnelle und schonende Trocknung im Nicht für leichtflüchtige und einige
40'c U mluft-Trockenschrank mittelflüchtige org. Verbindungen
Nicht für wasserdampfflüchtige Ver-
Gefrier- Trocknung im gefrorenen Zustand unter
bindungen, leichtflüchtige und einige
trocknu ng Vakuum
mittelflüchtige org. Verbindungen
Trocknung bei Für Bestimmung von Schwermetallen
Schnelle Trocknung im Trockensch rank
105'C außer Quecksilber
74
2.6 Probenvorbereitung
lm nächsten Schritt werden die Fraktionen zerkleinert. Die Tabelle 1: Einteilung der Zer-
Korngröße einer Analysenprobe sollte kleiner als 65 ¡.rm sein. kleinerungsarten
Die Zerkleinerung erfolgt aus folgenden Gründen: nach der Endfeinheit
. Die Bestandteile der Probe erhalten eine einheitlichere Korn- Korngröße
Zerkleinerung
größe und -form. Die Probe wird homogen und rieselfähig, in mm
sie kann in repräsentative Einzelproben geteilt werden. Grobbrechen >50
. Das Zerkleinern dient der Vorbereitung anschließender Fei n brechen 5 ... 50
Trennvorgänge und chemischer Umsetzungen. Durch die
Vergrößerung der Oberfläche können die Bestandteile der Sch roten 0,5 ... 5
Probe schneller gelöst und voneinander getrennt werden. Feinmahlen 0,05 ... 0,5
75
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
Um ein Zusammenhaften des Mahlguts zu verhindern und die Zerkleinerung zu fördern, können
dem Mahl gut Mahl hilfsstoffe (Mahlhi lfsmittel) zugegeben werden:
. Abrasive Mahlhilfsstoffe fördern die Mahlung mechanisch (2. B. Ouarzsand 0,1 mm bis 2 mm,
Korund 300 pm bis 500 pm). Die zugegebene Menge liegt zwischen 2% l>is 1O %.
. Ghemische Mahlhilfsstoffe, wie Ethylenglykol oder Stearinsäure, benetzen die Oberfläche des
Mahlguts und verhindern dadurch ein Verklumpen.
lm Anschluss an die Homogenisierung der festen Laborprobe erfolgt die Aliquotierung, die Auf-
teilung in volumengleiche, repräsentative Einzelproben. Durch das Verwerfen jeder zweiten Teil-
probe wird die Menge reduziert. Anschließend wird die verjüngte Probe durch eine oder mehrere
Aliquotierungen in volumengleiche Analysenproben sowie eine Rückstellprobe geteilt.
Bei der Aliquotierung muss jedem Korn des zu teilenden Gutes die gleiche Wahrscheinlich-
keit gegeben sein, Bestandteil einer der Teilproben zu werden.
Die Aliquotierung wird zur Probenverjüngung und zur Teilung der Laborprobe in repräsen-
tative Analysenproben und eine Rückstellprobe eingesetzt.
Für die Bestimmung der meisten anorganischen Parameter fester Proben ist die Vorbehandlung
mittels eines Aufschlusses erforderlich. Bei einem Aufschluss werden schwerlösliche Stoffe mit-
hilfe eines Aufschlussmittels in wasser- oder säurelösliche Stoffe überführt.
Organische Parameter werden nach der Extraktion des Analyten aus der fein gemahlenen Probe
mit einem auf den Analyten abgestimmten Lösemittel untersucht. Bei einer Extraktion werden
ein oder mehrere Stoffe mithilfe eines Extraktionsmittels aus einem Stoffgemisch herausgelöst.
Zur Beurteilung, ob feste Umweltproben, z. B. Bodenproben oder Abfälle, Substanzen ins Grund-
wasser abgeben, wurden spezielle Elutionsverfahren entwickelt. Bei einer Elution erfolgt die
Trennung von Stoffen aufgrund ihrer Löslichkeit in dem Elutionsmittel Wasser.
Aufschluss
Bei einem Aufschluss findet eine chemische Reaktion zwischen dem schwerlöslichen Ausgangs-
stoff und dem Aufschlussmittel zu einem wasser- oder säurelöslichen Stoff statt.
Folgende Aufschlusstechniken werden bei der Probenvorbereitung eingesetzt:
. Beim nasschemischen Aufschluss werden oxidierende Säuren (2. B. HNOr, H2SO4), nicht oxi-
dierende Säuren (HCl, HF) oder Basen (NaOH) in wässriger Lösung als Aufschlussmittel ein-
gesetzt. Ein Nassaufschluss kann in einem offenen System unter Luftdruck oder in einem ge-
schlossenen System unter Hochdruck sowie unter Erhitzen, z. B. durch Mikrowellen, erfolgen.
. Beim Schmelzaufschluss erfolgt die Umsetzung der Analysenprobe mit einem festen Auf-
schlussmittel in der Schmelze. Die bei der Reaktion entstehenden Stoffe sind säurelöslich.
Für die Vorbereitung von Boden- oder Abfallproben zur Bestimmung von Metallen ist ein Kö-
nigswasseraufschluss vorgesehen. Nach dem klassischen Nassaufschluss-Verfahren wird das
Gemisch von fein gemahlener Probe (Korngröße< 150 ¡rm) und Königswasser (1 Teil konzen-
trierte Salpetersäure HNOs,3 Teile konzentrierte Salzsäure HCI) für 1,5 Stunden unter Rückfluss ge-
kocht. Nachteilig sind die lange Aufschlussdauer, weil die Temperatur durch die Siedetemperatur
des Aufschlussmittels begrenzt ist, sowie der Verlust flüchtiger Analyte, wie Ouecksilber oder Blei-
salze, durch das Erhitzen im offenen System. Deshalb werden heute vorwiegend Druckaufschluss-
verfahren eingesetzt, die mit einer höheren Temperatur und einem erhöhten Druck arbeiten.
Zu den modernen Druckaufschlussverfahren zählt der Mikrowellenaufschluss. Die feste Probe
und das flüssige Aufschlussmittel, meist HNO3/H2O2, werden in einem für Mikrowellen durch-
lässigen Reaktionsgefäß fest verschlossen. Das Material des Gefäßes ist gegenüber aggressiven
Reagenzien besonders inert. Das Reaktionsgefäß wird in einem druckstabilen Edelstahl-Mikro-
wellenofen auf 200'C bis 250 "C erhitzt. Nach dem Auskühlen wird unter dem Abzug der im
Reaktionsgefäß aufgebaute Druck vorsichtig über ein Ventil abgelassen. Der Vorteil des Verfah-
rens besteht in der hohen Ellizienz und kurzen Aufschlusszeit von 20 bis 90 Minuten, da die Mikro-
wellen das Reaktionsgemisch direkt ,,im lnnern" aufheizen.
Ein anderes Druckaufschlussverfahren erfolgt in der Tölg-Bombe. Sie besteht aus einem druck-
festen Edelstahlmantel, in den ein Behälter eingesetzt ist, der das Gemisch aus fester Probe und
flüssigem Aufschlussmittel aufnimmt. Nach dem Verschließen wird die lölg-Bombe in einem
Heizblock auf bis zu 260 "C erhitzt. Der Druck im Reaktionsgefäß steigt bis auf 200 bar. Da im Ge-
gensatz zum Mikrowellenaufschluss nicht direkt ,,im lnneren" der Aufschlussmischung geheizt
wird, dauert der Aufschluss mit diesem Verfahren etwa 2 bis 5 Stunden.
77
2 Probenahme, Probenbehandlun und Probenvorbereitun
Extraktion
Die Untersuchung fester Umweltproben auf organische Stoffe
erfolgt in der Regel nach einer Extraktion der zu bestimmenden Intensiv-
Komponenten mit einem geeigneten Lösemittel. Den Vorschrif- kühler
ten zu den jeweiligen Untersuchungsmethoden sind lnformati- über-
laufendes
onen zur Beschaffenheit der Probe (feldfrische, luftgetrocknete Extra ktions-
oder gefriergetrocknete Probe) sowie zum Lösemittel bzw. mittel mit Extraktor
Lösemittelgemisch zu entnehmen. Analyt Dampf-
ableitungs-
Die Extraktion fester Proben wird mit einer Extraktionsap- rohr
paratur nach Soxhlef durchgeführt (s. Bild 1 sowie Band 1, Analyt
Kap. 2.5.1, S. 65). Eine abgewogene Menge der fein gemahle-
nen, getrockneten Probe wird in die Extraktionshülse aus Zellu- festes
lose gefüllt. Der Dampf des im Rundkolben zum Sieden erhitz- Extraktions-
gut
ten Lösemittels steigt auf und kondensiert am lntensivkühler,
Das Lösemittel tropft auf die Probe und extrahiert die löslichen Extrâtions-
Komponenten. Das Heberrohr füllt sich immer mehr mit Löse- mitteldampf
mittel, bis dieses komplett in den Rundkolben zurückfließt. Weil
nur das Lösemittel verdampft, kommt die Probe ausschließlich
mit frischem Lösemittel in Kontakt. Die Analyten reichern sich ittel
in der Lösung im Rundkolben an. Die sehr effiziente Soxhlet- Bild 1 : Soxålef-Extraktions-
Extraktion dauert zumeist mehrere Stunden. Apparatur
Elution
Für die Beurteilung der von einer Ablagerung ausgehenden Gefahren für das Grund- und Ober-
flächenwasser insbesondere durch Schwermetalle wurden verschiedene Elutionsverfahren ent-
wickelt. Bei der Elution wird die feste, nicht gemahlene Probe 24 Stunden lang mit destilliertem
Wasser bei 15 "C bis 25 "C unter Schütteln oder Rühren ausgelaugt. Das Volumenverhältnis von
Feststoff und Flüssigkeit ist den jeweiligen Verfahrensvorschriften zu entnehmen. lm Anschluss
an die Elution erfolgt die Trennung von Feststoff und Flüssigkeit durch Absetzen, Zentrifugieren
oder Membranfiltration.
Bei der Beurteilung der durch die Untersuchung eines Eluats erzielten Ergebnisse muss berück-
sichtigt werden, dass die Sickerwasserkonzentration von zahlreichen Standortparametern ab-
hängt, wie z, B, von der Bodenart, der Korngrößenverteilung, dem pH-Wert und der mikrobio-
logischen Aktivität. Trotzdem stellen die Eluat-Analysen eine wichtige lnformationsquelle dar.
78
2.6 Probenvorbereitung
Die häufigste Extraktion, die auch für größere Probenmengen geeignet ist, ist die Flüssig-Flüssig-
Extraktion (engl. liquid liquid extraction, LLE). Die in wässriger Lösung vorliegende Analysen-
probe wird mit einem nicht mischbaren organischen Lösemittel extrahiert. Als Extraktionsgerät
kann ein Scheidetrichter eingesetzt werden, mit dem mit kleinen Volumina des Extraktionsmittels
mehrfach nacheinander ausgeschüttelt wird. Weniger arbeitsintensiv und effizienter ist der Ein-
satz von kontinuierlich arbeitenden Flüssigextraktionsgeräten, den Perforatoren.
79
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung
Das Lösemittel der Analytlösung sollte mit dem Rotationsverdampfer nicht vollständig entfernt
werden, weil beim Verdampfen einer zu konzentrierten Lösung Teile der Analyten mitgerissen
werden können. Die Destillation kann mit einer kleinen Destillationsanlage vorsichtig fortgesetzt
werden. Alternativ kann das Verdunsten von Resten des Lösemittels bei Raumtemperatur durch
Zuführen eines kontinuierlichen Stickstoffstroms beschleunigt werden. Zum Einengen wird die
Analytlösung in einen kleinen Spitzkolben überführt. Dann wird durch einen dünnen Schlauch
oder mittels einer Pasteurpipette Stickstoff über die Oberfläche der Lösung geleitet.
80
2.7 Externe Kalibrierung und Messung
Nur wenn die Messwerte der Standardlösung mit der ge- Leer-
we rt
ringsten und der höchsten Konzentration bei jeweils 10-facher
der
Messung wenig voneinander abweichen (99 % statistische Konzentration des Analyten +
Sicherheit), darf innerhalb dieses Konzentrationsbereichs eine
Kalibiergerade gezeichnet werden. Bild 1: Kalibrierkurve
Bei den meisten Messverfahren erzielt auch eine Leerprobe, d. h. eine Lösung, die keinen Ana-
lyt enthält, einen von 0 abweichenden Messwert. Dieser Leerwert entspricht dem Ordinaten-
abschnitt der Kalibiergeraden (B¡ld 1).
Zur Vermeidung von Fehlern werden externe Standardlösungen durch eine arithmetische Ver-
dünnung hergestellt. Aus einer Maßlösung mit bekannter Analytkonzentration werden genau
abgemessene Volumina in Messkolben abgefüllt und mit Lösemittel aufgefüllt (Bild 2a). Bei einer
geometrischen Verdünnung, bei der die Analytmenge der vorangegangenen Verdünnungsstufe
entnommen wird, könnte eine Fehlerfortpflanzung aufgrund von Ungenauigkeiten bei der Volu-
menmessung auftreten (Bild 2b). Sie wird deshalb nicht empfohlen'
Systematische Fehler durch den Einfluss von nicht vor der Messung abgetrennten Bestandteilen
der Analysenprobe können durch eine Matrixanpassung berücksichtigt werden. Hierbei werden
sowohl den externen Standardlösungen als auch der Leerprobe Probenbestandteile (Matrix) in
der in der Probe vorliegenden Konzentration zugesetzt. Die Matrixanpassung ist oft schwierig,
weil die Zusammensetzung der Probe nicht genau bekannt ist.
81
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitu ng
Aufgaben:
L Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Einzelprobe b| Mischprobe cl Sammelprobe
d) Laborprobe e| Analysenprobe f) Oualifizierte Stichprobe
g) Ouerschnittsprobe h) Zielpunktprobe il Muttitayer-probe
2. Der Gehalt an leichtlöslichem, pflanzenverfügbarem Stickstoff N,n¡n des Bodens eines
Ackers soll bestimmt werden.
Erläutern Sie den Begriff ,,Grundgesamtheit" und übertragen Sie ihn auf dieses Beispiel.
3. Das durch ein Rohr einem Fließgewässer zulaufende Wasser soll untersucht werden. Der
Durchfluss des Rohres unterliegt starken Schwankungen. Bei einem geringen Volumen-
strom ist eine starke Verfärbung des Wassers erkennbar,
al Erläutern Sie die Verfahren der diskontinuierlichen Probenahme sowie ihre Anwen-
dung in Abhängigkeit vom Volumenstrom anhand je einer Skizze.
b) Bewerten Sie die Eignung dieser Verfahren für die Gewinnung einer repräsentativen
Probe in dem geschilderten Fall.
4. Mehrere Diffusionssammler sollen zur Untersuchung der Luftqualität an einer stark be-
fahrenen Straße platziert werden,
al Erläutern Sie die Funktionsweise eines Diffusionssammlers.
bl Erklären Sie im Zusammenhang mit dem Praxisbeispiel die Begriffe ,,Emission",
,,Transmission" und ,,lmmission". Wo sollten die Diffusionssammler platziert werden?
5. Erläutern Sie, weshalb eine besonders feine Zerkleinerung bei der Probenvorbereitung
einer festen, heterogenen Probe wichtig ist.
6. Worin bestehen die Vorteile des Mikrowellenaufschlusses im Vergleich zu einem nass-
chemischen Aufschluss und anderen Druckaufschlussverfahren?
7. Erläutern Sie den Unterschied zwischen einer externen und einer internen Kalibrierung.
I' Bewerten Sie die Folgen von Fehlern bei der Probenahme und -behandlung, der proben-
vorbereitung und der externen Kalibrierung auf das Ergebnis der Analyse.
82
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen
Die ¡-Elektronen bilden nun eine o-Bindung zwischen dem zweiten Kohlenstoffatom der Doppel-
bindung und dem Wasserstoffatom aus dem HBr-Molekü|. Bei dieser Reaktionszwischenstufe
ist das andere C-Atom der Doppelbindung positiv geladen. Diese Zwischenstufe, die auch expe-
rimentell nachweisbar ist, stellt ein Carbokation dar. lm nächsten Schritt bildet ein freies Elektro-
nenpaar des negativ geladenen Brom-lons über einen weiteren Übergangszustand eine Bindung
mit dem positiv geladenen Kohlenstoffatom des Carbokations.
ô- +
CH3CH:CHCH3 + HBr CH.CH:CHCH. CH3CHCH2CH. + Br-
H
Carbokat¡on als Zwischenstufe
ôBr
Übergangszustand I
+ ò
CH3CHCH2CH3 + Br- cH3cHcH2cH3 cH3cHcHrCH3
dBr Br
übergangszustand II
ln verschiedenen Literaturquellen erscheint für das Carbokation auch der Begriff Carbenium-lon.
Carbenium-lonen (mit dreifach koordiniertem Kohlenstoff, z. B. CHr*) und Carbonium-lonen (mit
fünffach koordiniertem Kohlenstoff, z. B. CH5.) werden zusammengefasst als Carbokationen be-
zeichnet. Da Carbonium-lonen nur als extrem reaktionsfähige Teilchen in supersauren Medien
existieren, werden Carbenium-lonen im Folgenden nur noch als Carbokationen bezeichnet.
ln Bild 1 ist der energetische
Verlauf der elektrophilen Addi- übergangs-
tion zu verfolgen. Ausgehend ô* zustand I ð*
cH3cH cHrcH3
von But-2-en und Bromwas- cH3cH -
î " Br
serstoff wird nach der Zufuhr .9
g H
Übergangszustand II
von Aktivierungsenergie der !
o ðd,
Übergangszustand I erreicht. c
o
lm Ubergangszustand I wer-
ø
c
CH3CHCH2CH! (Carbo-
den die Bindungen zwischen 'F
kation) HsC.H-C-
H)
Bei der Durchführung der Addition von HBr an But-1-en wird fast ausschließlich 2-Brombutan er-
halten. Da die Bildung des Carbokations der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist, muss die
Reaktion vor allem über das sekundäre Carbokation laufen, bei der 2-Brombutan entsteht. Das
sekundäre Carbokation bildet sich schneller und ist stabiler als das primäre Carbokation, so dass
das sekundäre Carbokation länger für eine weitere Reaktion zur Verfügung steht.
Neben den bereits erwähnten primären und sekundären Carbokationen können auch noch ter-
tiäre Carbokationen entstehen. Bei ihnen befindet sich die positive Ladung am tertiären C-Atom.
Ein tertiäres Carbokation ist
Carbokationen
stabiler als ein sekundäres.
Carbokationen sind keine sta-
R
,r'R
R-C*
,r'R
> R-C*\
./ H >H
H
Der Grund für diese verschiedenen Stabilitäten besteht in der Eigenschaft von Alkylgruppen, die
positive Ladungsdichte an dem Kohlenstoffatom zu verringern, an dem sie selbst gebunden sind.
Anders formuliert: Alkylsubstituenten liefern teilweise Elektronen zur Stabilisierung der positiven
Ladung am C-Atom, weil Alkylgruppen größer und leichter polarisierbar sind. Diese Tendenz zur
Ladungsverschiebung wird +I-Effekt genannt. Eine geringere positive Ladungsdichte erhöht die
Stabilität des Carbokations, weil ein geladenes Teilchen (positiv oder negativ) stabiler ist, wenn
seine Ladung über mehr als ein Atom delokalisiert (verteilt) werden kann.
Je größer die Zahl der Alkylsubstituenten, die am positiv geladenen C-Atom gebunden sind,
desto stabiler ist das Carbokation.
Die relative Stabilität von Carbokationen nimmt von tertiär über sekundär zu primär ab.
Eine Reaktion, bei der zwei (oder auch mehr) Konstitutionsisomere entstehen, von denen
eines überwiegt, wird regioselektive Reaktion genannt. Die Regioselektivität kann verschie-
dene Grade annehmen, je nachdem, wie vollständig ein Produkt entsteht.
Eine Addition von Halogenwasserstoff an ein Alken, bei der zwei verschiedene sekundäre Carbo-
kationen gebildet werden können, ist wenig regioselektiv, da von beiden Produkten etwa gleich
viel entsteht.
Bei der elektrophilen Addition an Alkene wird das Elektrophil (2. B. H*) an das Kohlenstoffatom
der C-C-Doppelbindung addiert, das die größere Anzahl an Wasserstoffatomen gebunden hat
Diese Erkenntnis wird nach ihrem Entdecker Wladimir Markownikow (russ. Chemiker, 1g37 bis
1904) Markownikow-Regel genannt.
86
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen
Außer beim Ethen wird das Halogenatom bei der elektrophilen Addition nicht endständig addiert.
Gibt man allerdings einen Radikalbildner in Form z. B. eines Peroxids zu, verläuft die radikalische
Addition A¡ folgendermaßen: Das Radikal R. bindet das H-Atom des Bromwasserstoffs, wobei
ein Bromradikal entsteht:
R.+H-Br+R-H+Br.
H,
H3c\.
-,c\-
CBr I sekundäres Radikal
H3C..'c' + lBr'
H-
--CH2 -Y--, H3ct.¡1rðHz
H
c primäres Radikal
I
lBrl
Dieses hochreaktive Bromradikal addiert an die Doppelbindung und zwar so, dass das sekundäre
Radikal entsteht und nicht das instabilere primäre Radikal (B¡ld 1). Das sekundäre Radikal ent-
reißt dem Bromwasserstoff ein H-Atom und wird zum 1-Bromalkan.
Die elektrophile Addition von Wasser an Alkene läuft nicht spontan ab, weil die starken Bin-
dungskräfte zwischen Sauerstoff und Wasserstoff die Bildung eines Elektrophils verhindern. Gibt
man eine starke Säure in das Wasser, entsteht das Elektrophil H3O*. ln einem Lösemittel, z. B.
Dimethylsulfoxid, das sowohl das Alken als auch das Wasser in einer Phase vereint, überträgt
das Hydroniumion H.O* ein Proton H* auf das C-Atom der Doppelbindung mit der größeren
Anzahl Wasserstoffatome (Bild 2). Dieser erste und langsamste Reaktionsschritt ist geschwindig-
keitsbestim mend.
Propen
I
H tiou
\1.--------=-
roH
H HrOl propan-2-ol
Dann addiert Wasser als Nucleophil mit seinen freien Elektronenpaaren an das positive C-Atom
des Carbokations, wobei als Zwischenstufe ein proton¡erter Alkohol entsteht. Durch Abspaltung
des Protons an ein Wassermolekül entstehen ein Hydroniumion HrO* und ein Alkoholmolekül
(hier Propan-2-ol).
Die Hydroniumionen, die vor der Reaktion zugegeben wurden, liegen am Reaktionsende wieder
unverändert vor. Sie beschleunigen die Reaktion und wirken deshalb als Katalysator.
Die elektrophilen Additionen von Halogenwasserstoffen und Wasser verlaufen nach der
Regef von Markownikow, wonach sich der Wasserstoff immer am wasserstoffreicheren
C-Atom der C-C-Doppelbindung addiert.
Bei radikalischen Additionen wird das Halogenatom endständig gebunden. Man spricht dann
auch von ei ner Anti-Ma rkownikow-Reaktion.
87
3 Reaktionen organischer Prä pa rate
cHcH3
I
Eine Hydridverschiebung ist mit der Wanderung eines Hydridions H- von einem Kohlenstoff-
atom eines Moleküls zu einem benachbarten C-Atom desselben Moleküls verbunden.
Da bei der Addition von Brom oder Chlor kein HrC' cH"
Carbokation gebildet wird. tritt bei diesen Re- r
aktionen auch keine Umlagerung dieser Teil- Bromoniumion 1,2-Dibromethan
chen auf. Bild 3: Reaktionsmechanismus der Bromierung
Eine bei der Halogenaddition
häufig auftretende Nebenreak- tc :CH-CHz-R c: CH-CH-R
+ Br, -----+ + HBr
tion ist die Substitutionsreak- I
Allyl-Gruppe
tion am benachbarten C-Atom Br
zur Doppelbindung, in Allyl-
Stellung. Sie läuft ab, wenn Bild 4: Substitution in Allyl-Stellung
die Bildung des Bromonium- bzw. Chloroniumions aus sterischen Gründen erschwert ist, so-
dass bei verzweigten Alkenen durch Abspaltung eines Protons aus tertiären Carbokationen die
Substitutionsprodukte entstehen (B¡ld 4).
88
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen
Eine zweite Variante, bei der das Substitutionsprodukt als Hauptprodukt entstehen kann, verläuft
über mesomeriestabilisierte Allylradikale.
Der Versuch der Addition von Fluor F, erfolgt unter Zerstörung des Alkens, die Addition des Iods
I, läuft häufig nicht ab.
H/ \c: c"6'
c c H
Bei den Reaktionen der Alkandiene muss man unterscheiden zwischen denen der isolierten, kon-
jugierten und kumulierten Diene. Ein Vergleich der Bindungsdaten in Tabelle 1 auf S. 89 zeigt den
verschiedenen Molekülbau und die Bindungsverhältnisse dieser Verbindungen. Die Bindungs-
längen im Penta-1,4-dien (mit isolierten Doppelbindungen) entsprechen denen der C-C-Einfach-
und der C-C-Doppelbindung der Alkane bzw. der Alkene. Beim Penta-1,3-dien mit konjugierten
Doppelbindungen fällt auf, dass die C-C-Einfachbindung kürzer und die C-C-Doppelbindung
länger als im Penta-1,4-dien sind. Der Vergleich der Hydrierungswärmen zeigt, dass konjugierte
Doppelbindungen eine höhere Stabilität als die isolierten Doppelbindungen besitzen.
Eine Erklärung der experimentellen Daten für
Penta-1,3-dien ergibt die Hybridisierung der 4
Mesomerie bezeichnet den Zustand eines Moleküls, das delokalisierte Elektronen enthält.
Der wahrscheinlichste Bindungszustand liegt zwischen mehreren Grenzformeln.
90
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen
:.r,
sich am schnellsten bildende Reaktionspro- " " primäres Garbokation
\ +H*
dukt kinetisch kontrolliert. Entsteht das stabils-
te Produkt, ist die Reaktion thermodynamisch H
\
-H c-1fr) ç¡1, <--+ H.c - cH
I
kontrolliert. :cr-{
HrC
- cHz*
Die elektrophilen Additionen der Alkandiene mit isolierten Doppelbindungen verlaufen wie die
der Alkene.
Besonders wertvolle Reaktionen sind solche, bei denen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen und
damit größere Kohlenstoffgerüste entstehen. Eine davon ist die Drels-Alder-Reaktion (Otto Diels,
1876 bis 1954; Kurt Alder, 1902 bis 1958; deutsche Chemie-Nobelpreisträger), bei der zwei neue
Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen gebildet werden. Dabei entsteht ein ringförmiges (zykli-
sches) Molekü1.
Bei einer Diels-Alder-Reaktion reagiert ein kon-
jugiertes Dien mit einem Dienophil, welches HzC\ R
R
eine C-C-Doppelbindung enthält (Bild 2). Es CH HC/
---------+
läuft eine 1, -Addition ab, die im Gegensatz H c/\.r, tl
CHz
zur obenstehenden 1,4-Addition in einem ein-
zigen Schritt als konzertierte Reaktion abläuft. koniugiertes Dien Dienophil
Die Addition des Elektrophils und des Nucleo-
phils erfolgt in einem Reaktionsschr¡tt. D¡e Bild2 Diets-A/der-Reaktion
Diels-Alder-Reaktion ist eine perizyklische Re-
aktion, die durch Elektronenverschiebung (B¡ld 3l in einem Schritt abläuft, Sie kann auch als
Cycloaddition bezeichnet werden, da bei der Reaktion zwei der Reaktionspartner ein zyklisches
Produkt bilden. Es handelt sich im Bild 3 um eine [4+2]-Cycloaddition, weil ein vieratomiges,
konj u giertes n-Elektronensys-
tem mit einem zweiatomigen N ucleoohil elektronenz¡ehende Gruppe
n-Elektronensystem reagiert. \' ^,"
t., " \
4
o
Dabei entstehen zwei neue C-
Ï
'tlrtl'\;*-cc"
o H CHz
il
die den
C-Einfachbindungen, il 3C c H-CCH3
Ringschluss bewirken und il I
coocH3
ln Bild 1 sind einige Beispiele //cH'
lür Diels-Alder-Reaktionen dar- CH
gestellt. l+
CH 35 "C
oa*, (Benzol)
Die Diels-Alder-Reaktion o
ist eine [4 + 2]-Cycloaddi-
tion, bei der ein Ring durch
Verknüpfung eines konju-
gierten Diens mit einem L 15 "C
(Benzol)
substituierten Alken (Die-
nophil) aus sechs Kohlen- o
stoffatomen gebildet wird,
Bild 1: Beispiele Íür Diels-Alder-Reaktionen
Die Halogene Chlor Cl, und Brom Br, addieren ebenfalls an die Dreifachbindung der Alkine. Da-
bei entsteht im ersten Schritt vicinales Dichlor- bzw. Dibromalken. Bei einem Überschuss an Ha-
logen verläuft die Reaktion bis zum jeweiligen Tetrahalogenalkan.
92
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen
.c.
Die säu rekatalysierte Addition \\ c.
-H*
,/\
CHS CHZ
CHs H CHs c -H ---------+
beginnt mit dem elektrophilen I I Propen-2-ol
Angriff des Protons, wobei ein H H (Enol)
Carbokation entsteht, an wel-
ches sich das Wassermolekül Bild t: Addition von Wasser an Propin
bindet. Durch Abspaltung des
Protons bildet sich ein Enol, in diesem Fall ist es Propen-2-ol. Das Propen-2-ol lagert sich sofort
und überwiegend zum Keton Propanon um. Diese Erscheinung wird Keto-Enol-Tautomerie ge-
nannt. Die beiden Keto-Enol-Tautomere liegen in einem Gleichgewicht vor, wobei das Gleich-
gewicht stark auf der Seite der Keto-Form (hier Propanon) liegt.
Bei der Keto-Enol-Tautomerie stehen ein Keton und ein Enol miteinander im dynamischen
Gleichgewicht. Das Keton kann durch die gleichzeitige Wanderung eines Protons und einer
Doppelbindung teilweise in ein weniger stabiles Enol umgewandelt werden.
Ethanal (Acetaldehyd) wird durch Addition von Wasser an Ethin mit HgSOo als Katalysator her-
gestellt. Bei der elektrophilen Addition von Cyanwasserstoff an Ethin erhält man Prop-2-ennitril
(Acrylnitril).
Die Hydrierung von Alkinen führt in Gegenwart von metallischen Katalysatoren wie Palladium,
Platin oder Nickel über das entsprechende Alken zum Alkan. Mit den oben genannten, hoch
aktiven Katalysatoren ist es schwierig, die Hydrierungsreaktion des Alkins beim Alken anzuhalten,
da dieses in gleicher Weise mit Wasserstoff zum Alkan weiterreagiert.
Für die gezielte Hydrierung der Alkine zu Alkenen setzt man deshalb teilweise desaktivierte
Metallkatalysatoren, wie den so genannten Lindlar-Katalysator (Herbert Lindlar, Schweizer
Chemiker, geb. 1909) ein.
Die Trimerisierung ist eine Cyclisierung, bei der sich drei Ethin-Moleküle untereinander zu
Benzol addieren.
Ethin bildet im Gegensatz zum Ethen oder Ethan salzartige Verbindungen, die sogenannten Ace-
tylide, wobei Calciumacetylid CaC, (Calciumcarbid) am wichtigsten ist. lm Calciumcarbid besteht
eine annähernd ionische-Bindun! zwischen den Calcium-lonen Ca2* und den Acetylid-lonen
o[C C]o.
=
Das bedeutet, dass Ethin die Säureeigenschaft besitzen muss, Protonen abzuspalten. Der pKs-
Wert des Ethins von 25 zeigt, dass es eine äußerst schwache Säure ist. Zum Vergleich: Der
pKr-Wert von Wasser beträgt 15,5. Die Abspaltung des Protons wird durch die erhöhte Elektro-
negativität der sp-hybridisierten C-Atome und dem damit ver-
bundenen erhöhten lonenbindungsanteil begünstigt (B¡ld2).
Da sp2- und sp3-hybridisierte C-Atome weniger elektronegativ H. + -lC=Cl-+ H-
als sp-hybridisierte Kohlenstoffatome sind, kann man bei Ethen
und Ethan keine nennenswerte Protolyse und keine Salzbildung Bíld 2: Protolyse von Ethin
feststellen.
93
3 Reaktionen organischer Prä parate
Aus Calciumacetylid wird durch Reaktion mit Wasser Ethin gewonnen. Bei dieser stark exo-
thermen Reaktion entsteht zusätzlich Calciumhydroxid:
CaC2 + 2H"O --+ H-C=C-H + Ca(OH)z
Bei dieser Säure-Base-Reaktion überträgt das in diesem Fall als schwache Säure wirksame
Wasser zwei Protonen auf die starke Base Acetylid C,-. fs bilden sich die extrem schwache
Säure Ethin CrH, und die extrem starke Base Hydroxid OH-.
Weitere Herstellungsmethoden für Ethin sind das Flammen-Verfahren, bei dem man Methangas
CHo mit einer für eine vollständige Verbrennung nicht ausreichenden Menge Luftsauerstoff bei
ca. 1500 oC reagieren lässt:
4CHo+ Oz+CzHz+2CO +7H2
Beim Lichtbogen-Verfahren wird Methan mit einer sehr kurzen Verweilzeit in einen 2OO0 "C
heißen Lichtbogen gebracht. Dabei entstehen Ethin und Wasserstoff:
2 CHo --+ C2H2 + 3 H,
Ethin (Acetylen) wird durch die Umsetzung von Calciumcarbid mit Wasser, durch das
Flammenverfahren und nach dem Lichtbogen-Verfahren gewonnen.
Das Benzolmolekül ist planar, das heißt alle Kohlenstoff- und Wasserstoffatome liegen in einer
Ebene und sind durch ø-Bindungen miteinander verbunden. Die sechs Kohlenstoffatome bilden
ein regelmäßiges Sechseck. Die Bindungswinkel zwischen allen C-Atomen betragen 120., die
zwischen den C-C- und den C-H-Bindungen ebenfalls. Die Bindungslängen der C-C-Bindungen
sind alle gleich und messen 139 pm. Aus diesen Messwerten ergibt sich, dass alle sechs Kohlen-
stoffatome sp'-hybridisiert sind. Jedes Kohlenstoffatom besitzt drei sp2-Hybridorbitale, welche
mit den beiden sp"-Hybridorbitalen der benachbarten C-Atome und mit je einem s-Orbital eines
Wasserstoffatoms ü berlappen.
Jedes Kohlenstoffatom besitzt noch ein nicht-hybridisiertes p-Orbital, wobei jedes dieser
p-Orbitale mit den beiden p-Orbitalen der benachbarten C-Atome zur fi-Bindung überlappt.
94
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen
Benzol ist eine durch Mesomerie stabilisierte Verbindung, bei der alle sechs Kohlenstoff-
atome spt-hybrisiert sind. Mit Benzol lassen sich vor allem Halogenierungen, Nitrierungen,
Sulfonierungen, Acylierungen und Alkylierungen als Substitutionsreaktionen durchführen.
Benzol ist der bekannteste Vertreter der aromatischen Verbindungen. Anfänglich wurde Aroma-
tizität nach dem Geruch beurteilt. Nach der Hücket-Regel (deutscher Physiker, 1896 bis 1980)
müssen für eine aromatische Verbindung folgende eindeutige Kriterien erfüllt sein:
. Es muss ein planares, cyclisches System (Ringsystem) vorliegen.
. Alle Kohlenstoffatome des Moleküls müssen sp'-hybridisiert sein.
. Das Ringsystem muss (4n + 2) ¡-Elektronen enthalten. Dabei steht n für eine natürliche Zahl
(0, 1,2,3, 4 ...1. Anders ausgedrückt: Das Ringsystem muss eine ungerade Anzahl von
n-Elektronenpaaren besitzen.
Beispiele für aromatische Stoffe sind außer Benzol das Cyclopropenkation CaH3* (2 a-Elektronen),
das Pyridin CsHsN (6 ¡¡-Elektronen) oder das Naphthalin CloHs (10 ¡-Elektronen).
Eine Verbindung ist dann aromatisch, wenn sie cyclisch-planar gebaut ist und aus einem
konj u gierten ¡-E lektronensystem besteht, welches der Hückel-Regel fol gt.
95
3 Reaktionen organischer Präparate
+HN
das zum Elektrophil zugehörige Nucleophil carbokat¡on¡sche
Zw¡schenstufe
N-addiert sich an das zum Elektrophil benach- aromatisches
barte C-Atom (elektrophile Addition) oder das Substitut¡onsprod ukt
Proton vom Kohlenstoffatom des elektrophilen Bild 1: Schema der elektrophilen aromatischen
Angriffs wird abgespalten und verbindet sich Substitution (N-: Nucleophil, E+: Electrophil)
mit dem Nucleophil (B¡ld 1).
E E E
E
. F+ langsam H
€ H
€ sch nel I
+ HBt
+ -------)
,]
Bild 3: Reaktionsmechanismus der elektrophilen aromatischen Substitution
Das Benzol reagiert mit dem Elektrophil E* unter Bildung einer carbokationischen Zwischenstufe,
deren positive Ladung delokalisiert ist. Diese Delokalisierung wird durch die drei mesomeren
Grenzstruktu ren veranschaulicht.
Das Proton H* des Kohlenstoffatoms, an dem das Elektrophil E gebunden ist, verbindet s¡ch mit
einer Base B in der Reaktionsmischung zu HB*. Das Elektronenpaar, welches zur Bindung des pro-
tons diente, wandert in den Ring und stellt den aromatischen Zustand mit 6 n-Elektronen wieder
her. Für die direkte Halogen¡erung des Benzols istwegen seiner geringeren Reaktivität im Vergleich
zu e¡nem Alken ein Katalysator erforderlich. Dieser Katalysator muss eine Ler¡zis-Säure sein-, also
ein Stoff, dessen Moleküle mindestens eine Elektronenpaarlücke besitzen. Überträgt ein Chlor-
oder Brom-Molekül eines der freien Elektronenpaare auf diese Elektronenpaarlücke,so entsteht
ein elektrophiles, positiv geladenes, instabiles Halogenkation (Cl* bzw. Br*). Den Ablauf zeigt
B¡ld 1, S. 97, am Beispiel der Bromierung mit Eisen(lll)-bromid als Katalysator.
96
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindu ngen
Die Halogene Chlor und Brom bilden mit Benzol in Anwesenheit einer Lewis-Säure (meistens
AlX, mit X = Cl, Br) als Katalysator Halogenbenzole (Halogenaryle).
Die Nitrierung des Benzols erfolgt mit Salpetersäure wenn überhaupt, dann nur unter Bildung
unerwünschter Nebenprodukte. Salpetersäure enthält nicht das benötigte Elektrophil NOrY
Durch Zugabe von konzen-
trierter Schwefelsäu re entsteht
die sogenannte Nitriersäure, H
ein Gemisch aus Salpeter- und
-z-----\
HO-NO2 + HLoSo3H + HO.- NO, + ¡1560- ê NOz*+ H2Ol + HSO;
Schwefelsäure im Stoffmen- Salpeter-
säure
Schwefel- Nitro-
säure niumion
genverhältnis von etwa 1:1. ln HS04-
Nou
diesem Gemisch bilden sich NO"
die Nitronium-lonen NOr* nach
+ NOr++ ¡156o-. ' + H2SO4
folgendem Reaktionsschema
(Bild 2): Die Schwefelsäure Bitd 2: Nitrierung von Benzot
proton¡ert die Salpetersäure,
wobei Wasser abgespalten wird. Das elektrophile Nitronium-lon NOr* greift dann das Benzol an.
Nach dem im Bild 3, S. 96 dargestellten Reaktionsmechanismus wirð Ñitrobenzol gebildet.
Die Aminogruppe - NH, lässt sich nur durch Reduktion der Nitrogruppe erhalten, da Ammoniak
NH. als nucleophile Verbindung nicht direkt elektrophil am Benzol substituiert werden kann.
Die Reduktion wird mit einem unedlen Metall wie Zink oder Eisen mit einer starken Säure (2. B.
Salzsäure) durchgeführt. Der bei diesen Reaktionen kurzfristig entstehende atomare Wasserstoff
[H] reduziert die Nitro-Gruppe. Die Reduktion mit Wasserstoff und Platin-Katalysator ist eine an-
dere Möglichkeit, um Aminobenzol herzustellen (B¡ld 3).
Noz NHz
Zn' HGt,
+ 6 tHr + 2HzO + 3 Hz
Pt
+2HzO
----->
Nitrobenzol Anilin
Die Nitrierung ist eine wichtige elektrophile Substitutionsreaktion am Aromaten, Für prä-
parative Zwecke wird die Nitriersäure verwendet, ein Gemisch von konzentrierter Salpeter-
säure und konzentrierter Schwefelsäure. Eine Aminogruppe am Benzol wird durch die Reduk-
tion der eingeführten Nitrogruppe erreicht.
97
3 Reaktionen organischer Präparate
Die Sulfonierung ist wie die Nitrierung von großer technischer Bedeutung, da Sulfonsäuren
starke Säuren sind. Außerdem ist die polare Sulfonsäure-Gruppe-SO3H hydrophil, so dass sie,
an einen substituierten Benzolring gebunden, die Wasserlöslichkeit dieser Verbindung erhöht.
Außerdem ist die Sulfonsäure-Gruppe leicht reversibel, das heißt, sie ist leicht austauschbar
gegen andere Substituenten (2.8.-OH, -H). Das Elektrophil bei der Sulfonierung von Benzol
ist Schwefeltrioxid SOr, das in Oleum gelöst vorliegt. Die Sulfonierung von alkylsubstituiertem
Benzol gelingt schon mit konzentrierter Schwefelsäure, da das SO. entsprechend dem Auto-
protolyse-Gleichgewicht in geringerer, aber ausreichender Konzentration vorliegt:
H2SO4 + H2SO* S SO3 + HSO| + H3O*
!
Beim Angriff des SO3 an den Benzolkern bildet
sich als Zwischenstufe ein Zwitter-lon, aus wel-
H so3H
chem sich durch Umlagerung des Protons vom Sos .
Kern zum Sauerstoff-lon des Sulfonat-lons --+
il
Benzolsulfonsäure bildet (Bi¡d 1). o
Zwitter-lon als Zwischenstufe
Benzolsulfonsäure ist mit einem pKs-Wert von
0,7 eine starke Säure, sie ist wasserlöslich und Bild 1: Sulfonierung des Benzols
dissoziiert in Wasser nach folgendem Schema
(Bird 2): o
Die Sulfonierung ist die einzige elektrophile o: -oH o :S
il
ol
aromatische Substitution, die umkehrbar (re-
versibel) ist. Beim Erhitzen der Benzolsulfon- + H2O * HeQ*
säure in verdünnter Säure wird die Sulfon- -
säu regruppe abgespalten. Benzolsulfonsäure Benzolsulfonat-lon
Man kann deshalb die Sulfonsäuregruppe als Bild 2: Dissoziation von Benzol-Sulfonsäure
Schutzgruppe für eine bestimmte Position am
Benzolring benutzen, die nicht substituiert werden darf. lm Bedarfsfall kann diese Position durch
Abspaltung der Sulfonsäuregruppe wieder frei gemacht werden.
Bei der Sulfonierung wird heiße, konzentrierte Schwefelsäure benutzt. Wesentlich besser
läuft diese Reaktion, wenn anstelle der Schwefelsäure mit SO3 angereicherte konzentrierte
Schwefelsäure (Oleum) verwendet wird. Die Sulfonsäure-Gruppe kann leicht durch andere
Substituenten ausgetauscht werden.
Die Produkte dieser Reaktionen sind gemischt aliphatisch-aromatische Ketone sowie Chlor-
wasserstoff bzw. eine Carbonsäure.
Das erforderliche Elektrophil wird durch die Reaktion zum Beispiel des Carbonsäurechlorids mit
dem Aluminiumchlorid erhalten. Dabei bindet sich das leicht a'bspaltbare Chlor-lon Cl- des Car-
bonsäurechlorids komplex an die Lewis-Säure Aluminiumchlorid AlClr. Es entsteht das elektro-
phile Acylium-lon IR-C=O]* und Tetrachtoridoaluminat [AtClaJ- (Bitd 1ai.
Das Acylium-lon greift dann das Benzol elektrophil an, bildet den positiv geladenen ø-Komplex,
der sich unter Abgabe des Protons an ein Chlor-lon des Tetrachloridoalumlnats zum aromatisch-
aliphatischen Keton, Chlorwasserstoff und Aluminiumchlorid stabilisiert (Bild lb).
Die Lewis-Säure Aluminiumchlorid benutzt ein freies Elektronenpaar der Carbonyl-Gruppe (- C=O)
zur komplexen Bindung an diese funktionelle Gruppe. Das wähiend der Reaktion gebiiáete Keton
bindet das Aluminiumchlorid. Um genügend Aluminiumchlorid in seiner Funktiorials Katalysator
zur Verfügung zu haben, muss davon mehr als die entstehende Stoffmenge Keton zugegeben
werden. Nach Ablauf der Reaktion spaltet man das Aluminiumchlorid durch-Hydrolyse a6, wobei
Chlorwasserstoff HCI und Aluminiumhydroxid Al(OH)3 entsteht.
Für die Herstellung von Benz-
aldehyd müsste das Säure- /o\ /o\ /o\
chlorid der Methansäure ver- il
c
+ AlCl3 il-
C AlClc - tAlcl4l- il
wendet werden. Methansäu re- c*
chlorid HCOCI isr instabil. Des- a) R -\cr I R'/ \cr-'/ I
R
halb wird Benzaldehyd nach
Gattermann/Koch aus Benzol
- -
und einem Kohlenstoffmono- /o\ ct /o\
xid-/Ch orwasse rstoff-Gasge- /o\ H II
+ AlCl3- il
+
misch unter katalytischer Wir- c -------------) c
kung von Aluminiumchlorid + +c --------+ R - Atct3
R
- HCr
hergestellt. Das elektrophile I
R
Teilchen ist wahrscheinlich das b)
Formylium-lon [H-C=O]+. Der
Reaktionsmechanismus ist der Bild 1: Reaktíonsmechanismusder Friedel-Craffs-Acylierung
Gleiche wie in Bild 1, nur dass
der Alkylrest R durch ein Wasserstoffatom H ersetzt ist.
99
3 Reaktionen organischer Präparate
Bindung zwischen Kohlenstoff- und Halogen-Atom weiter polarisiert. Dafür eignen sich kataly-
tische Mengen von Lewis-Säuren, wie Aluminiumchlorid AlCl3, Aluminiumbromid AIBrr, Bortri-
fluorid BF3 oder Eisen(lll)-chlorid FeCl., um die am häufigsten verwendeten Stoffe zu nennen.
Der Polarisierungsgrad des Alkylhalogenid-Lewis-Säure-Komplexes hängt von der Lerøis-Säure
und vom Alkyl-Rest ab. So bildet sich bei der Verwendung von 2-Brom-2-methylpropan mit AlBr,
der elektrophile, relativ stabile ferf-Butyl-Rest C(CH3)3* und AlBro-.
ln Bild 2 auf S. 99 bildet das Aluminiumbromid mit dem Brom-Atom des Bromethans einen Kom-
plex, dessen positiviertes C-Atom den Benzolkern elektrophil angreift. Aus dem o-Komplex bildet
sich dann unter Abspaltung eines Protons das Ethylbenzol und Bromwasserstoff HBr. Der Kataly-
sator AlBrr liegt am Ende der Reaktion unverändert vor.
(Bird 1).
elektroohiles
Propan-2-ol FroPen
Eine wichtige Anwendung stellt Garbokation \---J
die Protonierung von Propen
mit anschließender elektrophi- Bild 1: Carbokation aus Alkohol oder Alken
ler Substitution an Benzol zu
lsopropylbenzol (Cumol) dar. lsopropylbenzol ist ein wichtiges Edukt der Hock-Synthese, bei der
großtechnisch Phenol und Aceton hergestellt wird.
Auch Alkohole, wie Propan-2-ol (B¡ld 1), deren Hydroxy-Gruppe protoniert wird, bilden durch
Abspaltung von Wasser Carbokationen.
Das Benzol wird vorwiegend mehrfach alkyliert, da eine bereits am Benzolring gebundene Alkyl-
gruppe, z. B. die Methylgruppe des Toluols (heute auch Toluen genannt), die Elektronendichte
des Benzolkerns durch einen induktiven Effekt erhöht (s. S. 86). Man spricht dann von der Akti-
vierung des Benzolringes durch die Methyl-Gruppe, welche die weitere elektrophile Substitution
am Aromaten erleichtert.
Zur Friedel-Crafts-Alkylierung
mit ihren nachteiligen Neben- o
reaktionen gibt es noch einige o il
ccH2cH3
Alternativen. Um eine unver-
zweigte Alkyl-Gruppe an den
II
+ CH3CH2CCI +
Alcl3
_)
+2H2
+ H2O
- HCr Pd
Benzolring a) substituieren,
wird zuerst wie in Bild 1 zu Fríedel-Craîts- Ethylphenylketon Reduktion Propylbenzol
erkennen ist, eine Acylierung Acylierung
nach Friedel-Crafts durchge-
führt. Bei der Friedel-Crafts- Bild 1: Alkylíerung von Benzol durch Reduktion der Acylverbindung
Acylierung treten die Probleme
der Friedel-Crafts-Alkylierung (lsomerisierung, Mehrfachacylierung) nicht auf. ln einem zweiten
Reaktionsschritt kann dann die Carbonyl-Gruppe mit Wasserstoff und Palladium als Katalysator
reduziert werden.
Zwei weitere Reduktionsmethoden mit denen alle Carbonyl-Gruppen reduziert werden können,
sind die Clemmensen-Reduktion (dän. Chemiker, 1876 bis 1941) und die Wolff-Kishner-Reduk-
tion (deutscher Chemiker, 1857 bis 1919 bzw. russ. Chemiker, 1867 bis 1935).
Bei der Clemmensen-Reduktion wird als Reduktionsmittel Zinkamalgam mit Salzsäure benutzt,
während man nach Wolff-Kishnermit Hydrazin HrN-NH, in alkalischem Medium reduziert.
c -Br
dehitze, Sonnenlicht). ln Bild 1 sind diese Be- + I + HBr
dingungen am Beispiel der Halogenierung sss H
von Toluol erkennbar, wobei der Weg a) die Bromphenylmethan
Kernsubstitution und Weg b) die Seitenketten-
substitution darstel lt. Bild 1: KKK- und SSS-Regel
a) bl
G
Br Noz ocHs so3H
C:N
Brombenzol Nitrobenzol Methoxybenzol Benzolsulfonsäure Benzonitril
Anisol
o o
il il
cHs OH NHz c c
H OH
6 2 6 2
Sind zwei gleiche Substituenten benachbart,
stehen sie in orfho-Stellung (1,2-Stellung) zu- 5 3 5
Br
5
4
3
Br OH
klein sein. lhre Nennung erfolgt alphabetisch -Brom-4-chlor-2-nitrobenzol
1 3-Brom-4-chlorphenol
(Bird 3b).
Bild 3: Nomenklatur mehrfach substituierter Benzole
103
3 Reaktionen o anischer Prä rate
Wird an einem monosubstituierten Benzol eine zweite Substitution durchgeführt, dann können
d rei Su bstitutionsprod ukt e (o rth o-, m eta-, pa ra-P r odukt) entstehen.
Wegen der ,,doppelt vorhandenen" o- und m-Stellungen sollte die Verteilung der Produktausbeu-
ten theoretisch immer 4QV" ortho-,40o/o meta- und 20 V" para-Produkt sein. Tatsächlich findet
man völlig andere Ergebnisse (Tabelle 1). Bei der Nitrierung von Benzoesäure entsteht zum Bei-
spiel 19 o/o ortho-,80/" meta- und 1lo para-Nitrobenzoesäure, während die Produkt-Verteilung
bei der Nitrierung von Methylbenzol o:m:p = 59:4:37 ist. Offensichtlich hat der Erstsubstituent
einen Einfluss auf den Ort der Zweitsubstitution.
Entscheidend ist der langsame, geschwin-
digkeitsbestimmende Schritt der Bildung des
Carbokations. Alle Substituenten, die tenden-
ziell Elektronen an den Benzolring abgeben,
Benzoesäure
o/o
19
o' Vo
80
m- Vo P'
1
Die Wasserstoff-Atome von Alkyl-Gruppen bzw. die Alkyl-Gruppen selbst geben teilweise
Elektronen an die sie umgebenden Molekülgruppen ab. Dieser +I-Effekt erhöht zum Beispiel im
Benzolring die Elektronendichte und führt zur Stabilisierung des Carbokations. Substituenten mit
+I-Effekt aktivieren den Benzol ri ng (s. F ri ede I - Crafts- Alkyl ieru n g ).
Substituenten wie -NHr, -OH, + +
-OCH3 oder Halogene, die
über mindestens ein freies
Elektronenpaar verfügen, kön- e <----+ t e +--+
nen dieses teilweise dem Ben-
zolkern zur Verfügung stellen
und einen mesomeren Elek- _J-\
tronenschub ausüben. Die- lo q ot o ot
-to / ol o
+/- \+-N /91
I
Die genannten Substituenten üben gleichzeitig einen -I-Effekt aus. Ob ein Substituent auf den
Benzolring aktivierend oder desaktivierend wirkt hängt letztlich davon ab, welcher der beiden
Effekte stärker ist.
Der -M-Effekt ist mithilfe der mesomeren Grenzstrukturen des Nitrobenzols dargestellt (Bild 1,
S. 104). Bei dieser Verbindung wirken beide Effekte in die gleiche Richtung: Es werden Elekt-
ronen eus dem Benzolsystem gezogen. Die Nitro-Gruppe wirkt deshalb extrem desaktivierend.
Der -M-Effekt tritt bei Substituenten auf, die ø-Bindungen in Konjugation zu den ru-Bindungen
des Benzolringes besitzen oder eine positive Ladung tragen,
Stellung. o o
il il
. desaktivierende Substituenten, sie dirigieren o_ -cH -coH
einen Zweitsubstituenten in rnefa-Stellung, n o
ot il
måßi9
õ9 il
Alle Substituenten, die dem Benzolring Elektronen entweder durch +M- oder +I-Effekt zur
Verfügung stellen, sind Substituenten 1. Ordnung und wirken aktivierend sowie ortho- und
para-dirigierend. Die Halogene desaktivieren den Benzolring, weil sie elektronenziehend wir-
ken (-I-Effekt). Durch ihren stärkeren +M-Effekt dirigieren sie aber Zweitsubstituenten in die
Position ortho und para.
Substituenten, welche die Elektronendichte im Benzolkern durch -I- und -M-Effekt senken,
sind Substituenten 2. Ordnung und wirken mefa-dirigierend.
HO
Noz NHz
ttl
N-C- CH3
+ HNO3 . ZnlHCl + (CHgGOlzO
(H2S04) - Hzo - cH3cooH
Nitrobenzol Aminobenzol Acetanilid
- ->
HO
NHz
til
N-C CH.
H2O/H" + HNO3
- cH3cooH (H2504)
N
p-Nitroanilin p-Nitroacetanilid
Br Br
Nitrobenzol 1-Brom-3-nitrobenzol 1-Amino-3-brombenzol
107
3 Reaktionen organischer Präparate
Lösung:
Da die Propyl-Gruppe endständig am Benzolring gebunden werden soll, kommt die Friedel-
Crafrs-Alkylierung wegen der zu erwartenden lsomerisierung nicht in Betracht. Deshalb
kann zuerst eine Friedel-Crafts-Acylierung mit Propansäurechlorid durchgeführt werden,
bei der Ethylphenylketon entsteht. lm Anschluss daran reduziert man die Keto-Gruppe nach
Clemmensen und erhält Propylbenzol. lm dritten Schritt erfolgt die Sulfonierung mit kon-
zentrie rter Schwefelsä u r e zur 4-P r opyl benzolsu lfonsä u re.
o
o il
tl ccH2cH3 cH2cH2cH3 cH2cH2cH3
+ CH3CH2CCI. Zn(Hg) . + H2SO..
Atct3 HCt
HO3S
-
- Ethylphenylketon Propylbenzol p-Propylbenzolsulf onsäure
Lösung:
Zunächst muss die Nitrierung durchgeführt werden, um einen m-dirigierenden Erstsubstitu-
enten einzuführen. lm zweiten Schritt erfolgt eine Friedel-Crafrs-Alkylierung mit Chlormethan,
bei der rn-Nitrotoluol entsteht. Nach der Oxidation der Methyl- zur Carbonsäuregruppe liegt
m-N itrobenzoesäu re vor.
Noz Noz
+ HNO3 . + CH"CI KMnOa
(H2S04) (Alcl3)
- Hzo
Kommt ein dritter Substituent ins Spiel, dann müssen die dirigierenden Effekte beider bereits
vorhandener Substituenten berücksichtigt werden.
108
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen
Sind zwei Substituenten vor- Bild 2: Sterische Hinderung bei der Drittsubstitution
handen, von denen jeder in
eine andere Stellung dirigiert, wie zum Bei-
spiel die OH-Gruppe und die Methyl-Gruppe OH
des p-Methylphenols (Bild 3), dann bestimmt Br
hauptsächlich der stärker aktivierende Erst- + Br2 Fe
---------+
substituent (OH-Gruppe) den Ort des neuen
Substituenten.
p-Methylphenol 2-Brom-
Aktivieren die beiden Substituenten den Ben- 4-methylphènol
zolring ähnlich stark, wie zum Beispiel eine (Hauptprodukt)
Methyl- und eine Ethyl-Gruppe, entsteht ein
Produktgemisch. Bild3: 2-Brom-4-methylphenol
Diese Art der radikalischen Substitution läuft mit den Nucleophilen Cl-, Br- und CN- ab, wenn ein
passendes Kupfer(l)-Salz an der Reaktion teilnimmt. Die Reaktionen von Benzoldiazoniumsalzen
mit Kupfer(l)-Verbindungen sind nach Traugott Sandmeyer (schweiz. Chemiker, 1854 bis 1922)
als Sandmeyer-Reaktion benannt. Man nimmt an, dass das Kupfer(l)-lon ein Elektron an das
Diazonium-lon abgibt, wobei ein Stickstoffmolekül und ein Phenylradikal gebildet werden:
Cu* + [Ph-N-N]* + Cu2* + Ph. + N,
Das angreifende Chlorid-lon bindet sich an den Phenylrest unter Abgabe eines Elektrons an das
LU
Das entstandene Cu*-lon steht dann wieder zur Elektronenübertragung zur Verfügung.
Cl- + Ph. + cu2* -+ Ph-Cl + Cu*
Aufgrund der Azo-Gruppe (-N:N-), die sich zwischen zwei Benzolresten CuHu befindet, kommt
es zu einer stärkeren Delokalisierung aller n-Elektronen, welche leicht anregbar sind. Diese An-
regung der ø-Elektronen erfolgt mit elektromagnetischer Strahlung des sichtbaren Bereichs.
Deshalb sind Azoverbindungen farbig. Sie werden als Farbstoffe eingesetzt.
Bild la, S. 111, zeigt eine Kupplungsreaktion des Benzoldiazonium-lons mit einem N,N-substi-
tuierten (d. h. beide Methyl-Gruppen sitzen am Stickstoff) Dimethylaminobenzol (A/,lV-Dimethyl-
anilin), die als elektrophile aromatische Substitution abläuft. Auch am stark aktivierten Benzol-
ring des Phenols (Hydroxybenzol) findet die Kupplungsreaktion statt (Bild 1b, S. 111).
110
3,2 Reaktionen aromatischer Verbindungen
CHs
Die gebildete -CHClr-Gruppe CHs
- -H cH3-c -ooH OH
Phenol Aceton
am Phenolat wird durch die CHs CHg
I
Phenol ist eine wichtige Ausgangschemikalie für Synthesen und wird überwiegend nach dem
Hock-Yerlahren hergestellt. Phenol ist eine schwache Säure und dirigiert Zweit-Substituenten
in die ortho- oder para-Stellung.
Der S*Ar-Reaktionsmechanismus verläuft in zwei Schritten (B¡ld 1). Zuerst greift das Nucleophil
das Kohlenstoffatom an, an welchem die Abgangsgruppe gebunden ist. Dieser nucleophile An-
griff führt zur Bildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions. Die nicht isolierbaren Zwischen-
stufen der nucleophilen aromatischen Substitution werden als Meisenheimer-Komplex-analoge
Zwischenverbindungen bezeichnet. Stabile, isolierbare Carbanionen dieses Strukturtyps werden
Meisenheimer-Komplexe genannt (J. Meisenheimer, dt. Chemiker, 1876 bis 1934).
+
langsam
---------------- <-----+ €L <----+
schnell
---=+
+X- E
Noz Noz Noz Noz
_o/ -o,,N<l
o-
Bild 1: Reaktionsmechanismus einer S¡Ar-Reaktion
Die Abgangsgruppe verlässt im zweiten Schritt das Carbanion, wobei der aromatische Zustand
zurückgebildet wird. Man spricht von einem Additions-Eliminierungs-Mechanismus.
Bei einer nucleophilen aromatischen Substitution muss das angreifende, verdrängende Nucle-
ophil stärker basisch sein als die Abgangsgruppe. Außerdem muss der elektronenziehende Sub-
stituent in o- oder p-Stellung zum Ort des nucleophilen Angriffs stehen, weil nur dann die Ein-
beziehung des Nucleophils in die Delokalisierung der negativen Ladung wirksam werden kann.
Heterocyclische Verbindungen wie Pyridin sind häufiger gegenüber Benzol für elektrophile Subs-
titutionen desaktiviert, während nucleophile Substitutionen am Pyridinring relativ leicht möglich
sind.
Bei der Substitution, die genauer als nucleophile Substitution bezeichnet wird, wird ein elek-
tronegatives Atom oder eine elektronenziehende Molekülgruppe durch ein anderes Atom oder
eine Molekü lgruppe ausgetauscht (substituiert).
Bei der Eliminierung wird ein elektronegatives Atom oder Molekülgruppe zusammen mit einem
Wasserstoffatom ei nes benach barten C-Atoms entfernt.
Das Atom oder die Molekülgruppe, die bei der
N ucleo ph
Substitution oder bei der Eliminierung entfernt i I
Reaktionstyp läuft bevorzugt mit tertiären Carbokationen ab, Bild 2: Schema Sr1 und Sr2
da sie die stabilsten Carbokationen sind (s. S. 86). Der Mecha-
nismus der Reaktion A --+ Produkte verläuft in zwei Schritten. Bei dieser S*l-Reaktion hängt die
Reaktionsgeschwindigkeit nur von der Konzentration des Alkylhalogenids ab. Die Reaktionsord-
nung dieses Reaktionstyps ist eins (1: unimolekular),
b) Das Nucleophil Nu- wird
vom positiv polarisierten C- H
Atom angezogen. ln dem Maß,
t"1.-Br--+
H
"t".
Hoa-- cr-- af
/ + Br-
--t HO-C.
H
Die Ursache für diese Beobachtungen sind sterische Effekte der Alkylgruppen. Das heißt, Alkyl-
gruppen beanspruchen mit steigender Anzahl auch mehr Raum am Substitutions-C-Atom und
behindern zunehmend den Rückseiten-Angriff des Nucleophils. Diese sterische Hinderung ist der
Grund für die Abnahme der relativen Reaktivitäten bei Sr2-Reaktionen.
Bei der Untersuchung des Einflusses der Abgangsgruppe auf den Ablauf einer S¡2-Reaktion zeigt
sich, dass bei den in Tabelle I genannten Reaktionen die Substitution von lod am Iodalkan mit
Hydroxidionen am schnellsten verläuft.
Beim Vergleich der Halogene ist das Iodid-lon die beste und das Fluorid-lon die schlechteste Ab-
gangsgruppe. Das Iodid-lon ist unter den Halogenid-lonen die schwächste Base. Je schwächer
die abgehende Base ist, desto leichter ist ihre Substitution, da sie weniger stark am Kohlenstoff
gebunden ist als eine stärkere Base (2. B. Chlorid). Die Basenstärke des Fluorid-lons bzw. die
Bindungsstärke des Fluor-Atoms zum C-Atom ist so groß, dass Fluoralkane praktisch keine S¡2-
Reaktionen eingehen.
115
3 Reaktionen organischer Präparate
Eine Sr2-Reaktion verläuft umso glatter, je nucleophiler das angreifende Teilchen ist. Hier gibt es
einen direkten Zusammenhang mit der Basenstärke: Stärkere Basen sind bessere Nucleophile.
Die Basenstärke eines lons oder Moleküls lässt sich auch durch Betrachtung der Stärke der jewei-
ligen korrespondierenden Säuren abschätzen. So ergibt ein Vergleich der Säurestärke folgende
aufsteigende Reihenfolge: NH3 < CH3OH = HzO < HF < HI. Die aufsteigende Reihenfolge der
Stärke ihrer korrespondierenden Basen lautet: l- < F- < OH- = CH3O-. NHr-. Das heißt, das Amid-
lon NHr-ist das beste und das Iodid-lon I- das schlechteste Nucleophil.
Diese Reihenfolge gilt in so genannten aprotischen Lösemitteln. Das sind Lösemittel, in denen
alle Wasserstoff-Atome kovalent an Kohlenstoff gebunden sind und dementsprechend nicht oder
nur sehr schwer als Protonen abgespalten werden können. Man unterscheidet sie weiterhin in
aprotisch-unpolar (Beispiele: Alkane) und aprotisch-polar (Beispiele: Aceton, Diethylether).
Ein Beispiel für den Halogenaustausch an einem Halogenalkan stellt die Finkelstein-Reaktion
dar (H. Finkelstein, dt. Chemiker, 1885 bis 1935). Dabei reagiert Natriumiodid NaI in Aceton als
aprotischem Lösemittel vor allem mit primären Chlor- oder Bromalkanen zum Iodalkan. Bei dieser
S*2-Reaktion greift das schlechte Nucleophil I- das Halogenalkan an. Dass diese Reaktion trotzdem
in guter Ausbeute abläuft, liegt an der Gleichgewichtslage der Reaktion. So führt der Umsatz von
Brom- und Chloralkanen mit dem in Aceton löslichen KI problemlos zu den gewünschten Produkten,
da KCI und KBr in Aceton unlöslich sind und deshalb das Gleichgewicht zur Produktseite verschoben
wird. Eine wichtige andere Möglichkeit des Einsatzes der Finkelstern-Reaktion ist die Synthese von
Fluoralkanen durch Erhitzen eines Gemisches aus Halogenalkan und Kaliumfluorid KF.
Protische Lösemittel können
Protonen abspalten und/oder
Wasserstoff-Brücken ausbil- Dielehrizitäts-
den. Beispiele hierfür sind: Lösemittel Forrnel Abfttirzung
konstante e
Wasser, Ethanol, Ammoniak.
Protische
Läuft eine S¡2-Reaktion in die-
sen Lösemitteln ab, so kehrt Wasser HrO 79
sich die Nucleophilie der an- Methansäure HCOOH 59
greifenden Teilchen um. Der Methanol cH30H MeOH 33
Grund ist die Umhüllung der Ethanol cH3cH2oH EtOH 25
Nucleophile mit Lösemittel- ferf-Butanol (cH3)3coH fert-BuOH 6
molekülen, zum Beispiel die Aprotische
Hydratation bei Wassermole- Dimethylsu lfoxid (cH3)2so DMSO 47
külen. Diese Lösemittelhülle Acetonitril cH3cN MeCN 38
schwächt die kernanziehende Dimethylformamid (cH3)2NCHO DMF 37
Wirkung des Nucleophils. Al-
Aceton cH3cocH3 MerCO 21
lerdings kommt es auch darauf
Diethylether c2H5oc2H5 Et2O 4,3
an, wie stark die Lösemittel-
Benzol coHo 2,3
moleküle vom Nucleophil an-
gezogen werden. So werden n-Hexan coHro 1,9
zum Beispiel Wassermoleküle
vom Iodid-lon nicht so stark angezogen wie vom Fluorid-lon. Aus diesem Grund kann sich das
Iodid-lon besser von der Hydrathülle lösen und ist deshalb in Wasser ein besseres Nucleophil als
das Fluorid-lon. ln Tabelle 1 sind einige der wichtigsten Lösemittel mit ihren Dielektrizitätskons-
tanten aufgelistet. Die Dielektrizitätskonstante e ist ein Maß dafür, wie gut ein Lösemittel in der
Lage ist, zwei entgegengesetzte Ladungen zu trennen.
Sterische Effekte beeinflussen die Basenstärke weniger, umso mehr aber werden die nucleophi-
len Eigenschaften von der Ausdehnung des Nucleophils geprägt. Das voluminösere ferf-Buta-
nolat-lon (CH3)3CO- zum Beispiel ist zwar die stärkere Base, aber das bessere Nucleophil ist das
weniger raumfüllende Ethanolat-lon CH3CH2O-.
Wird die Kinetik der Reaktion von 2-Brom-2-methylpropan mit Wasser untersucht, so stellt man
fest, dass diese Reaktion überraschend schnell verläuft. Die Reaktionsgeschwindigkeit des ge-
116
3.3 Substitution und Eliminierung
---------+
l* schnell t_
CH3C-OH + H3Ol*
CH3C
CHs
- I
CHs
Nucleophil "'12?'
cH¡ H*l
t-
CHs
+ Br- tõ H
I
CHs
Halogenmethane sind häufig zu wenig reaktiv, + H-
Die drei Methyl-Gruppen der carbokationischen Zwischenstufe bilden mit dem zentral gelegenen,
positiv geladenen C-Atom ein planares, gleichseitiges Dreieck, was auf eine sp'-Hybridisierung
des positiv geladenen C-Atoms hindeutet. Der Angriff des Nucleophils kann von beiden Seiten
erfolgen. Als Reaktionsprodukt können sowohl die gleiche (Bild 3a) wie auch die umgekehrte
(B¡ld 3b) Konfiguration des Halogenalkan-Moleküls entstehen.
+ H2O ---+
die S^1-Reaktion: .rc('c.H 7 .rcç'c.u,
+
csHrtt';C.. + HBr
. die Abgangsgruppe,
HgC
Br
HsC
OH HO. CHS
. das Nucleophil, 3-Brom-3-methylhexan a) bl
. das Lösemittel. Bild 3: Konfigurationen der S¡1-Reaktion
Die Leichtigkeit, mit der sich ein Halogenatom aus dem Halogenalkan abspalten kann, hängt
wie bei der S*2-Reaktion von seiner Basizität ab. So löst sich die Kohlenstoff-Halogen-Bindung
117
3 Reaktionen organischer Präparate
umso leichter, je größer der Bindungsabstand zwischen Halogen- und Kohlenstoffatom, bzw. je
schwächer die entstehende Base ist, Die Reaktivität unter den Halogenalkanen ist beim Iodalkan
am größten und beim Fluoralkan am geringsten.
Bei den meisten S¡1-Reaktionen ist das Nucleophil gleichzeitig das Lösemittel (Solvolysen).
Das Nucleophil hat aber keinen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit, weil es nicht am
geschwindigkeitsbestimmenden Schritt beteiligt ist. Trotzdem ergeben sich bedingt durch ver-
schiedene Nucleophilie der angreifenden Teilchen Unterschiede beim zweiten Reaktionsschritt.
Dann bevorzugt das Carbokation das schwächste Nucleophil, das die größte Elektronendich-
te aufweist bzw. die schwächste Base ist. Für die Bildung der Zwischenstufe, das Carbokation,
wirkt das Lösemittel begünstigend. Für die Sr1-Reaktion eignen sich polare protische Lösemittel
am besten, da sie die Carbokationen stabilisieren können. ln unpolaren Lösemitteln laufen Sr1-
Reaktionen n¡cht ab.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Nebenreaktionen durch Umlagerungen stattfinden.
Dabei wandeln sich primäre
oder sekundäre Carbokationen
in tertiäre Carbokationen um. cHs CHs
c HzC H3 cH2cH3
lons H- (Bild 1a) oder eines
Carbanions (in Bild 1b CH3-). Bild 1: Verschiebung von Hydríd-lon und Carbanion
Monosubstituierte Benzyl- und Allylhalogenide reagieren mit OH- bzw. mit HrO je nach den vor-
herrschenden Reaktionsbedingungen nach dem Sr1- oder nach dem S^2-Mechanismus (Bild 1,
S. 119). Dabei kann sowohl das Carbokation (bei S¡1) als auch der Zwischenzustand (bei S^2)
durch die Benzyl- bzw. die Allyl-Gruppe stabilisiert werden.
118
3.3 Substitution und Eliminierung
Sru1 ++ + H2O
CH2: CHCH2BT CHz: ç¡1at, * tr- € CH2CH : CH2 + Br- CH2: ç¡1ç*rO*
3-Bromprop-1-en - HBr
Prop-2-en-1-ol
Allylbromid Allylkation -)
CH3CH: CHCH2BT + OH S¡¡2-Bedingungen CH3CH: CHCH2OH + Br
1-Brombut-2-en But-2-en-1-ol
Allylbromid
l-\ sru1 l--\
+.- L,>öttr*ct- €
+ H2O
(:,f cHzct +
CH2 + Cl-
- HCt
cH2oH
Chlorphenylmethan
Benzylchlorid
Benzylkation - Phenylmethanol
Benzylalkohol
Benzalchlorid (Dichlorphenyl-
methan) hyd.rolysiert zum a) \.o--\
)/- H+H*+Cl-
Benzaldehyd. Uber diese Reak- + HzQ ---------+ CH
tion wird großtechnisch Benz- (*cl
aldehyd hergestellt (Bild 2a).
Benzotrichlorid (Trichlorphe- I
nylmethan) reagiertwie andere CH:Ò+H*+Ct-
1,1,1 -Trihalogenverbindungen b)
(2. B. Trichlormethan CHCI3) zu RCX3 + 2HzO ------+ RCOOH + 3HX X=Halogen;R=H,Alkyl,Aryl
Carbonsäuren (Bild 2b).
Bild 2: Hydrolyse von Di- und Trihalogenverbindungen
Bei der Williamson-Ethersynthese lA. W. Williamson, brit. Chemiker, 1824 bis 1904) substituiert
man das Halogenatom des Halogenalkans durch eine Alkoholat-Gruppe (Alkoxy-Gruppe) R-O-.
Das Alkoholat entsteht bei der Umsetzung von wasserfreiem Alkohol mit Alkalimetallen, vor-
zugsweise mit Natrium:
2R-OH + 2Na --+ 2R-O- + 2Na+ + H2
Die eigentliche Ether-Synthese
CHs
läuft nach dem Schema in a) ÇHe
Bild 3 ab. Dabei wird ein
I I
CH3Br + Na+ -O
-C- CH3 CH3-O-C-CH3
Halogenalkan oder ein sub- -----+ I I
Et
entstehen durch Eliminierung ausschließlich Alkene.
Bei dieser ,,Alkylierung" von Acetessigester beziehungsweise
Bild 1: Acetessiffi::l#'
Malonester wird der Wasserstoff des C-Atoms zwischen den
Carbonyl-Gruppen durch die Alkyl-Gruppen der Halogenalkane ersetzt (B¡ld 2).
Acetessi gestercarban ion CHs
-oE x, -oEt
, - I
+
H3C - C-
lt
CH
-cooEt * Hsc-ç/ H.c-c -cH-cooEt
-HX
HsC
ilt- -cooEt
c c
o o cHs o cHs
H cooEt R'\ cooEt
H + R-X -oEt + R-- X, -OEt
(-/ ---------) c c
cooEt -HX
Malonestercarbanion R cooEt R cooEt
Bild 2: ,,Alkylierung" von Acetessigester und Malonester
Die Williamson-Synthese ist eine wichtige Möglichkeit, um Ether aus Halogenalkanen und
Alkoholaten zu synthetisieren.
Die Hofmann-Alkylierung und die Gabriel-Synthese erlauben es, aus Ammoniak und Halo-
genalkanen bzw. aus Phthalimid und Halogenalkanen Amine herzustellen.
Mithilfe der Kolbe-Synthese reagieren primäre Halogenalkane mit Cyaniden zu Nitrilen.
Das dabei entstandene freie Bindungselektronenpaar orientiert sich zwischen die C-Atome und
bildet eine Doppelbindung aus. Gleichzeitig löst sich die Bindung zum Halogenatom (hier: Brom-
atom), welches unter Mitnahme des Bindungselektronenpaars als Halogenid-lon (Brom-lon) das
Molekül verlässt. Dieser beschriebene Vorgang läuft in einem Schritt ab. Da die Eliminierung von
einem B-C-Atom ausgeht, wird diese Reaktion auch B-Eliminierung genannt.
Man verwendet auch den Begriff der 1,2-Eliminierung, weil die Atome oder Molekülgruppen, die
aus dem Molekül entfernt werden, an 1,2-ständigen (benachbarten) C-Atomen gebunden sind.
Unter den Halogenalkanen nimmt die Reaktivität vom Iod- zum Fluoralkan ab, da das lodid-lon
als schwächste Base unter den Halogenid-lonen die bessere Abgangsgruppe ist.
Bei der Eliminieru ng von HBr aus 2-Brompropan
entsteht außer den Nebenprodukten nur Pro- Übergangszustand
pen. Eliminiert man aber HBr mithilfe der Base
Ethanolat C2HbO- aus 2-Brombutan, so werden I
.o
zwei verschiedene Produkte mit signifikant _o
verschiedenen Anteilen gebildet: 80 % E- und so
c
Z-BuT-2-en sowie 20 % But-1-en. Das heißt, die- U
.g
se E2-Reaktion verläuft regioselektiv. o
But-1-en+CrHuOH+Bi
2-Brombutan + C2H50-
But-2-en + + Br
Die Ursache dafür liegt in der unterschiedli-
chen Stabilität (B¡ld 1) der Übergangszustände Reaktionsverlauf +
ó
sowie der entstehenden Alkene. Das But-2-en oCz H 5
''9c'Hu
ist aufgrund seiner größeren Anzahl von Alkyl- H H
I
cH3-c-cH3
t--l
:l',:7* { -.t, 9195 cur: å -.r. + H3o*
Mit primären Halogenalkanen laufen nur E2-Reaktionen ab. Sekundäre und tertiäre Halo-
genalkane gehen sowohl E2- als auch E1-Reaktionen ein.
E2-Reaktionen werden wie S¡2-Reaktionen durch hohe Basenkonzentrationen und durch
polare aprotische Lösemittel begünstigt. E1-Reaktionen werden wie S¡1-Reaktionen durch
schwache Basen und protische Lösemittel begünstigt.
ln Bild I erkennt man den Reaktionsmechanismus der E1-Reaktion von Propan-2-ol. Die Schwe-
felsäure protoniert die am stärksten basisch reagierende Atomgruppe des Eduktes, Dabei erfolgt
wieder die Umwandlung von einer schlechten (OH-) zu einer guten Abgangsgruppe (H2O). Das
Wassermolekül wird abgestoßen, dadurch entsteht ein Carbokation. Die Base Wasser bindet ein
B-ständiges H*-lon, Propen (Alken) und H.O*-lonen werden gebildet.
CH3CHCH3 +
-?oso3H cH3cHcH3 H16ÈcHcH. CH2:ç¡1çt'
(--l /'+
I
Da die Reaktion umkehrbar (reversibel) ist, muss das Alken entsprechend dem LeChatelier-
Prinzip ständig durch Destillation abgetrennt werden. Das ist möglich, da die Alkene wesentlich
niedrigere Siedetemperaturen aufweisen als die ihnen entsprechenden Alkohole.
Vor allem bei primären Alko-
holen wie Ethanol kann die E2 bei 170 'C
CH2:ç¡, + H3O*
f\.r
Eliminierung neben der Sub-
stitution zur Hauptreaktion
curcurl\ cH3cH>o-H +
Ethen
1.,
I
CH3CH2OSO3H + H2O
werden, wenn die Temperatur Ethanol l- H
Ethylhydrogensulfat
hoch genug ist. Bei einer Tem- s*zl1
peratur von mehr als 170 "C lot
entsteht aus Ethanol und kon- lT
zentrierter Schwefelsäure fast *J
cH3cH2ocH2cH3 + H2O CH3CH2OCH2CH3 + H3O*
ausschließlich Ethen, wäh-
rend bei niedrigen Tempera-
I
----+ Diethylether
H
turen Ethylhydrogensulfat als
Hauptprodukt entsteht (Bild 2). Bild 2: Reaktionen von Ethanol
Bei einem Überschuss an Alkohol tritt eine weitere S¡2-Reaktion mit sich selbst, die Etherbildung,
als Konkurrenzreaktion auf (Bild 2). Auf diese Weise wird in der Technik bei geeigneten Reaktionsbe-
dingungen (kontinuierliche Zugabe von Alkohol und Erhitzen) aus Ethanol Diethylether hergestellt.
ln Bild 3b wird deutlich, dass sekundäre Alkohole mit starken Oxidationsmitteln zu Ketonen oxi-
diert werden.
125
3 Reaktionen organischer Präparate
Eine für sekundäre Alkohole selektive Oxidationsmethode ist die Oppenauer-Oxidation (Rupert
Viktor Oppenauer, österr. Chemike.r, 1910 bis 1969), Der sekundäre Alkohol R2CH-OH wird mit
Aluminium-ferf-butylat in einem Überschuss an Aceton oxidiert. Dadurch wird das Gleichge-
wicht zur Produktseite verschoben:
R2CH-OH + (CH.)2C:O + RzC:O + (CH3)2CH-OH
Diese schonende Oxidationsmethode greift andere funktionelle Gruppen, wie z. B. Doppelbin-
dungen oder phenolische Hydroxyl-Gruppen, nicht an.
Tertiäre Alkohole und Phenol sind ohne Zerstörung des Kohlenstoffgerüstes nicht oxidierbar, Das
heißt, sie lassen sich nur zu Wasser und Kohlenstoffdioxid oxidieren.
CHs
nes Nucleophils eingeleitet Butyltrimethylammoniumhydroxid But-l-en Trimethylamin
wird. ln Bild 1 ist die Base
OH- das Nucleophil. lst die Ab- Bild 1: Hofmann-Eliminierung
spaltung des Protons von zwei
verschiedenen B-Kohlenstoffa- Oxidation
tomen möglich, so erfolgt die- R-NH2 -------+ R-NH-OH ------+
Oxidation
R-N:O -
Oxidat¡on
p-¡ , //O
se vom wasserstoffreicheren pflmares Hydroxylamin Nitroso- Nitroveò o-
Amin verbindung bindung
B-C-Atom.
Die Hofma nn-Eliminierung
RRR
kann nicht mit quartären Am-
l¡rll
R-NH + HOL-OH -----+ R-.NH
*l + OH- -----+ R-ñl + HrO
moniumhalogeniden R4N*X- -t-__-/ I '-
durchgeführt werden. Amine Wasserstoff-
sekundåres OH OH
Amin perox¡d sekundäres Hydroxylamin
lassen sich zum Beispiel durch
Wasserstoff peroxid HrO, leicht RRR
oxidieren. Die Oxidation pri- lrrll
R-N-R + HO-OH -----+ R-,N-R + OH- -----+ R-N-R
märer Amine verläuft über die -,-/ "l *l + H,O '-
Oxidationsstufen des Hydro- tert¡äres Wasserstoff- OH O-
xylamins, der Nitrosoverbin- Amin peroxid tert¡äres Am¡nox¡d
dungen bis zu den Nitrover- Bíld 2: Oxidationsprodukte der Amine
bindungen. Sekundäre Amine
werden zum sekundären Hydroxylamin, tertiäre Amine zu tertiären Aminoxiden oxidiert (B¡ld 2)
126
3.3 Substitution und Eliminierung
Die meisten Ether sind relativ reaktionsträge und werden daher oft als Lösemittel in der prä-
parativen organischen Chemie verwendet. Die Ether besitzen wie die Alkohole eine stark basi-
sche und damit schlechte Abgangsgruppe. Die Abgangsgruppe -OR kann durch Protonierung
aktiviert werden. Ether reagieren mit Brom- oder Iodwasserstoff unter Erhitzen zu Brom- oder
Iodalkan und Alkohol.
Entsteht wie in Bild 2a nach der Abstoßung der Abgangsgruppe CH.OH ein tertiäres Carbokation,
so kommt es zu einer S^1-Reaktion.
Kommt es jedoch zu einem Methyl-, Vinyl-, Aryl- oder zu einem primären Carbokation, läuft die
Substitution als Sr2-Reaktion ab (B¡ld 2b). Das Nucleophil (Halogenid-lon Br-, I-) greift dann das
weniger sterisch gehinderte C-Atom der beiden Alkylgruppen an.
a) cHs
1t'-.---\
CH3C-OCH3 + CH.C
CHs
lu Sru1
9H.
t'.1-
u-ìl¿¡
^ -
c'.l-lt
H+
"t -*OCH"
I
CH:
u-
CHs -)
tl
cHg cHs
+ CH3QH
Abgangsgruppe
b) H
- ,
Sru2
CHgOCHzCHzCH3 + H* CH3-dCH2CH2CH3 CH3II + CH3CH2CH2OH
-_-+
Bild 2: S¡1- und S¡2-Reaktionen von Ethern
Ether sind flüchtiger als Alkohole vergleichbarer Molekülmasse, da ihre Moleküle untereinan-
der keine Wasserstoffbrückenbindungen bilden können. Ether sind als aprotische Lösemittel von
großer Bedeutung.
An dieser Stelle muss auf die extreme Brandgefahr hingewiesen werden, die von Ethern ausgeht.
Ether bilden bei längerem Kontakt mit Luft-
Sauerstoff und unter Lichteinwirkung geringe R-O-CHz-R ++oz R-O-CH-R
Mengen Hydroperoxid (B¡ld 3). Wird der per- (Licht)
I
+ H2O H'
cH"- cH" -------) cH,-cH,
t' t' l-t'
H .)ar OH OH OH
t_ HH Ethan-1,2-diol
.ol
z0r
cH2
-
cH2
* H* , .rf-)r, + ROH
1H'-1H'
-
"* ' cH"-cH,
Oxiran Protonierung OH
l-t'
OR OH
2a...
RH 2-Alkoxyethanol
+ HCI
CH r-
-j- CH, + H'
I
ct OH
I -Chlor-2-hydroxyethan
Die relativ reaktionsträgen und flüchtigen Ether werden als Lösemittel in der präparativen
organischen Chemie verwendet. Ether sind hochentzündliche Flüssigkeiten, die explosive
Hydroperoxide bilden können.
Sogenannte Kronenether sind cyclische Ether mit relativ wenigen Ringatomen bei variabler
Ringgröße, die in der Lage sind, Kationen zu komplexieren.
Oxirane (Epoxide) sind ebenfalls cyclische Ether, deren Ring aber aus zwei Kohlenstoff- und
einem Sauerstoffatom besteht. Die dadurch existierende Ringspannung führt zu einer hohen
Reaktivität dieser Verbindungen. Epoxide sind kanzerogen.
128
3.4 Carbonylverbindun gen
3.4 Carbonyl- a) o o o
verbindungen ll
,c.
il
c\
tl
Rrc-
Die Garbonyl-Gruppe, bei der Carbonylgruppe Acylgruppen
eine Doppelbindung zwischen b) o o o o
einem Kohlenstoffatom und
tl
_c_.OH
il
(.\
il
t, to'
ll
c -R'
R. R. 'oR R.
einem Sauerstoffatom besteht
(Bild 1a), ist das gemeinsame Carbonsäure Garbonsäureester Garbonsäureanhydrid
o (, o o o
Strukturelement der Carbo-
nyl-Verbindungen. Eine Acyl- R.
il
c tcr
R'
t'u. il II
c -NH,
tl
C-NHR
II
.C- NR'z
R. R, R
Gruppe besteht aus einer Car- Carbonsäure- Carbonsäure-
bonyl-Gruppe, die an einem chlorid bromid
Alkylrest R oder einen Aryl- Carbonsäurehalogenide Carbonsäureamide
rest Ar gebunden ist (Bild 1a). c) rì o
Eine Arylgruppe ist hinge- il il
Die Stärke der Carbonsäuren hängt von der Struktur der Alkyl-Gruppe -R bzw. von dort gebun-
denen S ubstituenten (a kylsu bstitu ierte Ca rbonsäu ren) ab.
I
129
3 Reaktionen organischer Präparate
Die Mesomeriestabilisierung des Carbonsäureanions ist die Hauptursache für die Säureeigen-
schaft der Garbonsäuren. Die Säurestärke steigt, wenn elektronegative Substituenten, wie
zum Beispiel Halogenatome, in der Nähe der Carboxylgruppe gebunden sind. Sind elektro-
nenspendende Substituenten, wie zum Beispiel Methylgruppen, zur Carboxylgruppe benach-
bart, sinkt die Säurestärke.
Die Hydroxycarbonsäuren enthalten neben der Carboxyl-Gruppe eine oder mehrere Hydroxyl-
Gruppen im Alkylrest. Entsprechend ihrer Stellung in der Alkylkette der Carbonsäure unterschei-
det man a-, B-, usw. Carbonsäuren. Bei der a-Hydroxy-Carbonsäure sitzt die OH-Gruppe an
dem C-Atom (a-C-Atom), das direkt zur Carboxyl-Gruppe benachbart ist (s. S. 121). So ist die 2-
Hydroxypropansäure (Milchsäure) eine o-Hydroxycarbonsäure. Die 3-Hydroxybutansäure ist ein
Beispiel für eine B-Hydroxycarbonsäure.
ø-Hydroxycarbonsäuren wer-
den entweder durch eine cH3-cH-cooH
+ OH-, - Bi cH3-cH-cooH
nucleophile Substitution (Sru-
Reaktion) aus a-Halogencar- l)" c o,on,. l)"-c-n o-
2-Brompropansäure 2-Hydroxypropansäure
bonsäuren mit OH--lonen oder
aus Carbonylverbindungen
über die Zwischenverbindun- R. /.----\ R CN
+2H2O,
R cooH
'i:o + HõN ---------) c/ -NH¡ c
gen der Cyanhydrine erhalten
(Bild 1). Die Cyano-Gruppe R'/ \--l R'/ OH (+ H+ oder OH-l R, OH
Carbonyl- Cyanhydrin Hydroxycarbon-
kann dann durch Hydrolyse verbindung säure
in die Carboxyl-Gruppe umge-
wandelt werden (s. S. 129). Bild 1: Darstellung von Hydroxycarbonsäuren
ø-Aminocarbonsäuren, oder kurz Aminosäuren, kommen als Bausteine der Eiweiße (Proteine)
in der Natur vor. Sie sind bis auf das Glycin alle optisch aktiv und Feststoffe mit relativ hohen
Schmelztemperaturen, die sich oft leicht in Wasser lösen, da sie ein
hohes Dipolmoment besitzen. Freie Aminosäuren existieren als di-
polare lonen (,,Zwitterionen"), weil das Proton der Carboxyl-Grup- R-CH-COO-
I
pe von der Amino-Gruppe gebunden wird (Bild 2). Dieses Verhalten NHs*
erklärt die hohen Schmelztemperaturen und die relativ geringen
Säure- und Basenstärken (pKs = 10 und PKe - 10). Bild 2: Aminosäure
130
3.4 Carbonylverbindungen
Wässrige Aminosäu re-Lösungen reagieren schwach basisch oder schwach sauer, Entscheidend
dafür ist, ob der sa ure Charakter der -NH.*-Gruppe oder der basische Charakter der -COO--
Gruppe überwiegt.
Aminosäuren sind Ampholyte. + +OH- . +OH-
H3N-CH-COOH - :.+ H3N-CH*COO----? H2N-CH-COO
Wird eine wässrige Amino- I +H- - +H* - | |
säure-Lösung vollständig mit a)Rb)RclR
Salzsäure umgesetzt, dann Bild 1: Ampholyt¡scher Charakter von Aminosäuren
wird die -COO--Gruppe voll-
ständig zum Aminosäurehydrochlorid protoniert (Bild 1a). Bei Zugabe von Hydroxid-lonen mit-
tels einer Lauge reagieren stufenweise zuerst das Carboxyl-Proton und dann das -NHr*-Proton
mit den OH--lonen zu Wasser (Bild 1b und lc).
Wird das zweiprotonige Glycin-Hydrochlorid
mit Natronlauge titr¡ert (B¡ld 2), so liegt zu Ti- 14
Äquivalenzpunkt 2
trationsbeginn nur Glycin-Hydrochlorid vor. I 'tz
Am ersten Aquivalenzpunkt Äp., bei pH = 6,07 H2N-CH2-COO-
I
Der isoelektrische Punkt (auch IEP oder pI) ist der pH-Wert einer wässrigen Lösung, bei dem
sich bei den Aminosäuren die positiven und negativen Ladungen ausgleichen. Der isoelektrische
Punkt ist eine für jede Aminosäure charakteristische Größe. Die Aminosäure-Moleküle besitzen
bei diesem pH-Wert keine nach außen wirksame Ladung mehr. Diese Moleküle richten sich zwar
am IEP in einem elektrischen Feld entsprechend entgegengesetzter Ladung zur Kathode und
Anode aus, bewegen sich aber nicht mehr zu einem dieser Pole. Bei einer Elektrophorese kann
man die Wanderungsrichtung von Aminosäuren beeinflussen: Bei pH-Werten oberhalb des iso-
elektrischen Punktes sind Aminosäure-Moleküle negativ geladen und wandern zur Anode, unter-
halb des IEP tragen sie positive Ladung und wandern zur Kathode.
Der isoelektrische Punkt kann bei Kenntnis der pKr-Werte leicht mit folgender Formel berechnet
werden: IEP = (pKsr + pKs2ll2.
Enthält der Molekül-Rest -R noch eine oder mehrere Carboxyl-Gruppen, so wird der IEP dieser
Aminosäure im sauren Bereich liegen. Entsprechend befindet sich der isoelektrische Punkt im Al-
kalischen, wenn ein oder mehrere basische Gruppen im Molekül-Rest vorhanden sind (s. Kap. 11,
B¡td 1, s.484).
Zur Herstellung von Amino-
säuren kann man a-Halogen- al NHz
R-CH-COOH + NH3
carbonsäuren mit Ammoniak -l'Br _> R-
I
CH-COOH
substituieren (Bild 3a). Die - HBr
zweite Darstellungsmethode a-Halogencarbonsäure
ist die Strecker-Synthese (,4. b)
Strecker, dt. Chemiker, 1822 R-CH-CN
+ NH3
R-CH-CN
+ H2O (H*)
R-CH-COOH
#
bis 1872) bei der Cyanhydrine - Hzo - NH¡
130) mit Ammoniak in
I I I
(s. S. OH -> NHz NHz
a-Aminonitrile überführt und Cyanhydrin a-Aminonitril
diese anschließend mit Wasser
umgesetzt werden (Bild 3b). Bild 3: Darstellung von Aminosäuren
131
3 Reaktionen organischer Präparate
Aminosäuren sind bifunktionelle, ampholytische Verbindungen, die sowohl als Säure als auch
als Base reagieren können. Sie existieren als dipolare lonen (,,Zwitterionen"). Eine wichtige
Kenngröße von Aminosäuren ist der isoelektrische Punkt. Der IEP entspricht dem pH-Wert
bei dem sich Zwitterionen nicht im elektrischen Gleichspannungsfeld bewegen. Aminosäuren
kommen als ø-Aminosäuren in der Natur vor. Synthetisiert werden Aminosäuren mithilfe der
Sfrecker-Synthese.
Das Carbonylkohlenstoffatom kann aufgrund seiner positiven Polarisierung leicht von Nucleo-
philen (Nu-) angegriffen werden (B¡ld 1). Die ¡-Bindung der CO-Doppelbindung wird dabei gelöst.
Damit ändert sich der Hybridisierungszustand des Carbonyl-C-Atoms von spz nach sp". Dieser
sps-Hybridisierungszustand in der Zwischenstufe ist aufgrund des negativ geladenen Sauer-
stoff-Atoms nicht stabil. Die Zwischenstufe kann sich durch Abspaltung von Nu- oder Y- stabi-
lisieren. Entscheidend dafür ist die Basizität der Abgangsgruppe. Je geringer die Basizität der
abgehenden Gruppe ist, desto besser sind ihre Abgangseigenschaften. Durch die Abspaltung der
schwachen Base erhält das Carbonyl-C-Atom seinen ursprünglichen sp'-Hybridiserungszustand
zurück. Diese im Reaktionsmechanismus (Bild 1) dargestellte Reaktion wird nucleophile Acylsub-
stitution genannt. Greift ein neutrales Nucleophil, wie zum Beispiel ein Alkohol ROH am positi-
vierten C-Atom an, so entsteht eine protonierte, sp"-hybridisierte Zwischenstufe, die ein Proton
abspaltet. ln Bild 2 ist der Reaktionsmechanismus der Esterbildung aus einem Säurechlorid und
einem Alkohol dargestellt.
H------lB HB*
Bild 3 zeigt die Rangfolge der relativen Basizitäten der Abgangsgruppen (Bild 3a) sowie der rela-
tiven Reaktivitäten der Carbonsäurederivate (B¡ld 3b).
a) O
Cl- *OCR
il
OR- = OHz NH;
b) ooo o o o
illlll
ccc c
tl
./\//\
il
c
lt
c
R NHz R,/\,/\OR'= R OH ROR RCt
Amid Ester Carbonsäure Säureanhydrid Säurechlorid
Zunahme der Reakt¡vität
Deshalb kann ein angreifendes Alkoholat-lon das Chlorid aus einem Säurechlorid ersetzen und
einen Ester bilden, da die austretende Base Cl- im Vergleich zum Alkoholat-lon die schwächere
Base ist. Umgekehrt kann ein
schwach basisches Chlorid o o o o
keine Alkoholat-Gruppe aus ei- il il
-----+ .c- .c- il il
-c- ct + c- + Cl-
nem Ester substituieren, cHs cHs o- cH¡ o cH3
Ethanoylchlorid Ethanoat Ethansäureanhydrid
Carbonsäurechloride sind sehr o o
reaktive Verbindungen, da das il il
c c
Chlor-lon eine gute Abgangs- ct ocH3 + HCr
gruppe darstellt. So reagieren + CH3OH ------------+
Säurechloride mit Carboxylat- Benzoylchlorid Methanol Benzoesäuremethylester
lonen zu Anhydriden, mit Alko- o o
il
holen zu Estern und mit Ami- il
+ OH -----) + HCI
nen zu Amiden. Mit Wasser -c- ct
cH3cH2 -C- o
cH3cH2
hydrolysieren Säurechloride Propanoylchlor¡d Phenol Propansäure-
zur entsprechenden Carbon- phenylester
Phenylpropanoat
säure und Chlorwasserstoff o ô
(Bird 1). +-
il
Butanoylchlorid Butansäure
Säureamiden und Carbon-
säuren (Bild 2c). Die Reaktion Bild 1: Reaktionen der Carbonsäurechloride
von Ethansäureanhydrid mit
Aminobenzol dient häufig dem aIOOO o
Schutz der Amino-Gruppe bei ll ilil ìl
hol, so bildet sich der Ester des Alkohols und ocH3 ocH2cH3
der Alkohol des eingesetzten Esters wird frei- Methylbenzoat Ethylbenzoat
gesetzt. Diese Reaktion ist ein Beispiel für eine Benzoesäuremethylester BenzoesäuÍeethylester
Alkoholyse, die in dieser speziellen Form auch Bild 3: Hydrolyse und Alkoholyse von Carbon-
als Umesterung bezeichnet wird (Bild 3b). säureestern
133
3 Reaktionen organischer Präparate
gen Carbonsäuren, die auch eine oder mehrere cHo-c- R2 CHOH + R2-C- O-Na*
Doppelbindungen enthalten können, als gesät- o ---) o
tigte bzw. ungesättigte Fettsäuren. CH2O-C- R3 CH2OH R3-C- O-Na*
Triglycerid Glycerin Natriumsalze
Bei der alkalischen Hydrolyse von Fetten ent- R1, R2, R3: langkettige Alkyl- Propan- von Fettsäuren
stehen Glycerin und die Alkalisalze der Fettsäu- bzw.Alkenylkette 1,z,3-triol (Seifen)
ren, die Seifen (Bild 2). Diese Stoffe bestehen
Bild 2: Hydrolyse eines Triglycerides
aus einem unpolaren Alkylrest, der hydrophob
(wasserabweisend) und aus dem polaren Car-
boxylat-Rest, der hydrophil (wasseranziehend) H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2
ist (Bild 3). H"CCCCCCCCO
" \,/
cccccccc-
\,/ \./ \,/ \ /\ / \ / \ /t-
Das entstandene Carboxylat-lon CH3COO- ist unreaktiv und das protonierte Amin ist nicht mehr
nucleophil.
134
3.4 Carbonylverbindungen
,/ cl
il
c
PC13 in Säurechloride über- + PBr3
-----+ \ + H3PO3
führt werden, Säurebromide 3 CH3CH2CH2 OH 3 CH3CH2C H2 Br
erhält man durch die Reaktion Butansäure Phosphor- Butanoyl- phosphorige
von Carbonsäuren mit Phos-
(Butte¡säure) tribromid bromid Säure
phortribromid PBrr (B¡ld 2). Bild 2: Darstellung von Säurechloriden aus Carbonsäuren
An dieser Stelle muss auf die Nomenklatur der oben genannten Carbonsäurederivate eingegan-
gen werden. Carbonsäurehalogenide bekommen den Stammnamen der längsten Kette inklusive
des Carbonyl-C-Atoms und die Endung ,,-oylhalogenid" (B¡ld 2).
Bei den Carbonsäureanhydriden wird an den Namen der Carbonsäure die Endung ,,-anhydrid"
angehängt (Bild 3a). Bei gemischten Anhydriden stellt man die Namen beider Säuren voran
(B¡rd 3b).
Zwei Methoden sind erlaubt, um Ester zu be-
nennen. Nach der neuesten IUPAC-Nomen-
a) OO d) o
il ll il
klatur bezeichnet man Ester als Alkylalkanoat. ,c.. ,c..
cH3cH2 o cH2cH3 cH3cH2
,c..
ocH2cH3
Danach wird zuerst der Alkylrest des Alkohols
genannt, dann der Name des Alkans von dem Propansäureanhydrid Propansäurethylester
sich die Säure ableitet sowie der Endung bloo ilil
e) o
tl
,,-oat" (B¡ld 3c). Die zweite Möglichkeit besteht ,rc., ,c., ,,C..
in der Nennung des entsprechenden Namens CH¡OH CH: NHZ
der Carbonsäure sowie des Alkohol-Alkylres- Ethansäuremethan- Ethanamid
tes und dem Anhängen der Endung ,,-ester" säureanhydrid
(Bild 3d). Carbonsäureamide bekommen den c) o Í) o
Stammnamen der längsten Kette inklusive des il il
OH il
sprechend ist diese Verbindung ein Aldehyd cH"
\",/c\,,, cH"
und erhält die Endung (Suffix) ,,-a1". Zur Be- cH2 cH
nennung der OH-Gruppe wählt man die Vor- I
NHz
bl
silbe (Präfix) ,,Hydroxy-", welche die Ziffer 2
erhält. Der Name, welcher der Strukturformel CHO CH CH"
\"/ ls'CH
,/ \'
in Bild 1a entspricht, ist 2-Hydroxypropanal. CH COOH cH"
I t"
b) Längste C-Kette mit fünf C-Atomen: Pen- c) OH CH"
\-,/
C CH CH" n
\./ \./ \'7"
tan. Die Keto-Gruppe C=O bestimmt die En- cH2 cH cH
î
dung (,,-on") und die Bezifferung (3). Die un- o
tergeordnete Amino-Gruppe erhält die Ziller d) tar,
,,2" : 2-Aminopentan-3-on.
Bild 1: Benennung von vier Strukturformeln
136
3.4 Carbonylverbindungen
c) Die längste zusammenhängende Kohlenstoffkette entspricht einem Hexen mit der Dop-
pelbindung nach dem dritten C-Atom. Die Carboxyl-Gruppe COOH bestimmt die Endung
(,,säure") und die Bezifferung. Daher erhält die untergeordnete Hydroxy-Gruppe die Ziffer ,,5":
5-Hyd roxyhex-3-ensä u re.
d) Die längste zusammenhängende Kohlenstoffkette entspricht einem Octen mit der Dop-
pelbindung nach dem dritten und fünften C-Atom. Die den Namen bestimmende Gruppe ist
ein Ester mit der Endung ,,-oal". Der Methylrest der Estergruppe wird zuerst genannt, dann
die Methylgruppe am sechsten C-Atom. Das Oct-3,5-dien erhält die Endung ,,-oat": Methyl-6-
methyloct-3,5-d ienoat.
verlaufen die
I
CH3CCH2CH2CH3
+ Hro
cH,ccH,cH"cH,
Gruppe nucleophil an. Da- -> -Ms(OHlBr "l
cH( I
cH2cH3 cH2cH3
bei entsteht als Addukt ein
Pentan-2-on 3-Methylhexan-3-ol
Alkoholat-lon. Deshalb muss
diese erste Reaktionsstufe in elr\ +H'o'-Mg(oHlBr,
oo
wasserfreiem Ether durchge- O:C:O + CH.CH,CH,; MgBr ------+ Ï
führt werden. lm zweiten Re- r___ _.-__z cH3cH2cH2 /\*CH3CH2CH2oH
o MgBr
,å..
aktionsschritt wird das Alko- Kohlenstoffdioxid Butansäure
holat hydrolysiert, wobei aus
Methanal primäre (B¡ld 1b), Bild 1 : G ri g nard-Rea ktionen von Carbonyl-Verbindungen
aus allen anderen Aldehyden
sekundäre (Bild 1c), aus Keto- lõl-.rvröe'
nen tertiäre Alkohole (B¡ld 1d) l') -olll
\-
C Br --) R-C¡ *
entstehen. Aus Kohlenstoffdi-
oxid und G rig na rd-Reagenzien *'\{l' + CH"-
cHs
| \_/
OCH3 -----+
R
,,9,.
I CH¡
Mg(ocH¡)Br
RCCH3
+ H2O
RCCH3
Acyl-Substitution der Aus- I
138
3.4 Carbonylverbindun gen
HOH
I
o OR
folgt in zwei Schritten. Zuerst
bildet sich unter nucleophiler R'= H ----------) Acetal
Addition eines Alkoholmo- R'= Alkyl + Ketal
leküls ein Halbacetal. Diese
Zwischenverbindung reagiert Bild2: Acetalbildung
in einer Sr1-Reaktion wei-
ter zum Acetal beziehungsweise Ketal. Diese
Gleichgewichtsreaktion kann durch Abdestil-
lieren des Wassers zur Produktseite (Acetal) P -.o.r" i'-tf'
verschoben werden. Acetale beziehungsweise ("¿ * ro.r,.r,o, ;+5 4Ç["tt'
Ketale sind gegenüber Oxidations- und Re- Methyt-3- Ethan-
(Hcl)
duktionsmitteln sowie Basen chemisch inert. oxopenianoat 1,2-diol I
Diese Eigenschaft wird genutzt, wenn nur eine
| ,-,o,ro
von zwei Carbonylgruppen reduziert oder eine
von zwei Hydroxygruppen oxidiert werden soll. ol
ln Bild 3 soll nur die Estergruppe des Methyl-
ú
_ cH2oH J
3-oxopentanoats mithilfe von Hydridionen I c lz-ÇHz
des Lithiumaluminiumhydrids LiAlHo, einem 1-Hydroxypenran-3-on ó¡ò-.rro,
sehr starken Reduktionsmittel, zum Alkohol + HOCH2CH2OH
i# -
reduziert werden. Die Keto-Gruppe muss vor
I
Ethan_1,2_diol I + CH3OH
der Reduktion durch Umwandlung der Keto-
Gruppe mithilfe eines Alkan-1,2-diols (hier: Bild 3: Acetal- und Ketal-Schutzgruppen
Ethan-1,2-d¡ol) in ein Ketal geschützt werden.
Nach der Reduktion der Estergruppe zum primären Alkohol wird die Ketal-Schutzgruppe als
Alkan-1,2-diol mithilfe von Säure wieder abgespalten.
Besonders kurzkettige Aldehyde, wie Methanal und Ethanal, neigen unter der Wirkung von
Säuren zur Polymerisation. Dabei bilden sich ringförmige Acetale wie das Trioxan bei der Trime-
risierung von Methanal,
139
3 Reaktionen o anischer Prä rate
Methannitril (Cyanwasserstoff)
und Ethin (Acetylen) sind R RCN
Hydroxynitril
durch Abspaltung des Protons a) C:O +HCN ¡J
in der Lage, Anionen zu bilden. R R
,/\C OH
Cyanhydrin
Die Strecker-Synthese in Bild 2c ist eine Variante der Cyanhydrin-Reaktion von Seite 130. Sie
dient zur Darstellung von Aminosäuren. Dabei bildet sich als Zwischenprodukt Aminonitril,
welches anschließend zur Aminosäure hydrolysiert werden kann.
Besitzt ein Aldehyd oder ein Keton an dem zur
Carbonyl-Gruppe ø-ständigen C-Atom min-
û-ständig es /o\
destens ein Wasserstoffatom, wie in Bild 3
C-Atom (î tot
Hr-B
mesomeriestabilisiertes Carbanion
tonenübergang statt und das Bindungselekt-
ronenpaar bleibt am Kohlenstoffatom zurück. Bild3: C-H-acideCarbonyl-Verbindung
Diese negative Ladung kann durch Mesomerie
unter Einbeziehung der Carbonyl-Gruppe stabilisiert werden (B¡ld 3), so dass eine im Vergleich
zu einer C-H-Bindung in einem Alkan deutlich höhere Acidität registriertwird (pK, - 16 bis 20).
Hier besteht eine Parallelität zur Säureeigenschaft der Carbonsäuren. Eine Steigerung der Säure-
stärke tritt dann auf, wenn sich eine -CHr-Gruppe zwischen zwei Carbonyl-Gruppen befindet, wie
zum Beispiel im Pentan-2,4-dion (triv.: Acetylaceton). Der pKr-Wert von Pentan-2,4-dion beträgt
8,9. Der Grund dafür liegt in der besseren Mesomerie-Stabilisierung des Carbokations.
140
3.4 Carbonylverbindungen
Keto-Form il Enol-Form
wenn sich lsomere, die im Gleichgewicht mit- Propanon
c
I
c Propen-2-ol
einander stehen, durch die Stellung einer Dop- cH{ -cH. CHz CHs
pelbindung und eines H-Atoms unterscheiden,
H
wird Keto-Enol-Tautomerie genannt (s. S. 93). o o o -o
Das Gleichgewicht liegt beim Propanon prak- il il II I
tisch vollständig auf der Keto-Seite, während c c c
es beim Pentan-2,4-dion zu etwa 15o/, auf HSC -c'r
CHZ CHS HgC c
z/z
'cH 3
der Enol-Seite liegt. Zusätzlich wird
dieses H
Enol noch durch intramolekulare Wasserstoff- 85 % Keto-Form 15 % Enol-Form
Pentan-2,4-dion 4-Hydroxypent-3-en-2-o n
brückenbindungen stabilisiert.
Bild 1: Keto-Enol-Tautomerie
Die Additionen c-H-acider Verbindungen an
Carbonyl-Gruppen führen zur Bildung von C-C-Verknüpfungen. Solche Reaktionen sind für die
präparative Chemie besonders wertvoll, da sie zum Aufbau von Kohlenstoff-Gerüsten führen.
Aldehyde und Ketone mit Wasserstoff-Atomen am o-ständigen C-Atom können in einer Aldol-
Addition mit sich selbst solche C-C-Verknüpfungen ausbilden. Voraussetzung dafür ist die Bil-
dung eines Carbanions, welches über die Abspaltung eines Protons vom a-C-Atom durch eine
starke Base entsteht (Bild 2). Dieses durch Mesomerie stabilisierte Carbanion ist ein Nucleophil
und kann den positivierten Carbonyl-Kohlenstoff eines zweiten Aldehyd- bzw. Keton-Moleküls
angreifen, Das negativ geladene Sauerstoff-Atom erhält ein Proton des Lösemittels Wasser. Bei
einer Aldol-Addition entstehen Hydroxyaldehyde (,,Aldole") bzw. Hydroxyketone unter Verdop-
pelung der Kohlenstoffzahl im Vergleich zur eingesetzten Carbonyl-Verbindung. Die Reaktivität
der Aldehyde ist höher als die der Ketone.
.ï- î Carbanion
/o\
-è. ll + H2O
cH3cH2 '\, 1 r-
lol
CH3CH2CH
I
CH
-
C.-
il
U
+ H2O
J
I
cH3cH2cH
- cH
I
-c-r
+ oH
H
+
L-,.c- H -
I
òr=
Carbanion cH3cH CHg 3-Hydroxy-2-methylpentanal
Eine Aldol-Addition ist eine Reaktion zwischen zwei Aldehyd- oder Keton-Molekülen mit je-
weils einem ø-ständigen H-Atom zur Carbonyl-Gruppe in alkalischem Medium.
Cannizzaro-Reaktionen laufen mit Aldehyden ohne a-ständigem H-Atom zur Carbonyl-Grup-
pe in alkalischem Medium ab. Die Aldehyde disproportionieren dabei zu einem entsprechen-
den Alkohol und einer Carbonsäure.
141
3 Reaktionen organischer Präparate
Über die Reduktionsfähigkeit kann man Aldehyde und Ketone voneinander unterscheiden. So re-
duzieren Aldehyde die Agt-lonen des Diaminsilber-Komplexes [Ag(NH3)2]* zum metallischen Silber
(,,Silberspiegel") und werden dabei zum Carbonsäuresalz in alkalischer Lösung oxidiert:
R-CHO + 2[Ag(NH.)2I* + 3OH- --+ R-COO- + 2Ag + 2HrO + 4NH,
Ketone zeigen mit dem Diaminsilber-Reagenz keine Reaktion, da sie selbst nicht oxidierbar sind.
Die Knoevenagel-Reaktion (E. Knoevenagel,i -H"o
] cuHucHo cH:Noz (-rt-t H5c6-cH:cH-*o,
I
I
Reaktionsschema wie die Aldol-Addition. Alde- I
.H3c\c/'ccl3
'i, I
Auch Ethansäureanhydrid ist eine C-H-acide Verbindung, die im Gemisch mit Acetat-lonen als
Base an der Carbonyl-Gruppe des Benzaldehyds addiert werden kann. Bei dieser nach W, Perkin
(brit. Chemiker, 1838 bis 1907) benannten Reaktion entstehen Zimt- und Essigsäure (Bild 2a).
cN-
b) H^C6CHO + HsC6CHO ---J HsCo-CH-C-C6H5
Benzaldehyd år å
2-Hy droxy-1,z-diphenylethanon (Benzoin)
N CoHs hydrazin
I
Phenylhydrazon
Zwischenprodukt ist nicht stabil - ,C:N-N-C6Hb
genug und spaltet zu seiner Sta-
bilisierung Wasser ab, so dass -NHz Hydrazin
,C:
N
- NHz Hydrazon
ein lmin bzw. ein lmin-Derivat
entsteht. Die Gesamtreaktion Hydroxyl-
C: N-OH
setzt sich zusammen aus einer -oH am in Oxim
NR'i
reduktive Aminierung von Alde- Aldehyd R' = H tertiäres Amin
Keton R' = Alkyl
hyden und Ketonen mit Wasser-
stoff und einem Hydrierungs- Bildl: EnamineundreduktiveAminierung
katalysator. Mit Ammoniak, pri-
E
mären oder sekundären Aminen entstehen primäre, sekundäre und tertiäre Amine
Die Carbonylgruppe von Aldehyden und Ketonen reagiert in einer nucleophilen Additions-
Eliminierungs-Reaktion mit Ammoniak-Derivaten wie Hydroxylamin, Semicarbazid oder
Phenylhydrazin.
Die Wittig-Reakt¡on ist eine Methode zur Darstellung von Alkenen durch Reaktion eines
Aldehyds oder Ketons mit einem Phosphoniumylid.
Bild 1: Benzilsäure-Umlagerung
Konstitutionsisomere besitzen die gleiche Summenformel, sie unterscheiden sich jedoch in der
Art und Weise, wie die Atome miteinander verknüpft sind. So sind Konstitutionsisomere häufig
chemisch völlig verschieden, wie die Beispiele Propanon/Propanal (Summenformel: C.HuO) oder
Ethanol/Dimethylether (Sum menformel: C2H60) zeigen.
Konfigurations¡somere werden auch Stereoisomere genannt. Sie unterscheiden sich nicht in der
Art und Weise der Verknüpfung der Atome untereinander. Der Unterschied zweier Stereoisomere
wird erst bei ihrer räumlichen Betrachtung sichtbar.
Die Konfigurationsisomerie unterteilt man in die geometrische (crsltrans- bzw E/Z-lsomerie) und
in die optische lsomerie von Verbindungen.
Durch die Aufhebung der freien Drehbarkeit zwischen den C-Atomen der C-C-Doppelbindung
kommt es zu cisltrans-, auch E/Z-lsomeren (s. S. 83).
Gegenstände, auch Moleküle, von denen zwei Formen existieren, die sich wie Bild und Spiegel-
bild verhalten, werden chiral genannt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die rechte und linke Hand.
Chirale Gegenstände lassen sich durch Übereinanderlegen nicht zur Deckung bringen.
Geometrische lsomere sind cisltrans-lsomere. Opt¡sche lsomere verhalten sich wie Bild und
Spiegelbild und erhalten die Bezeichnung chiral,
Die Konformation eines organischen Moleküls beschreibt die räumliche Anordnung der Atome,
die durch Drehung um Einfachbindungen entstehen.
144
3.5 Stereochemie organischer Stoffe
Bei der Rotation um die Bindungsachse eines Ethan-Moleküls ergeben sich die gestaffelte
(Bild la) und die verdeckte (ekliptische) Konformation (Bild 1b). Dadurch entstehen Rotations-
isomere. Diese beiden Extrem-
positionen der Konformation H H H H HHb)
werden entweder durch die a)
Blick- Blick-
perspektivische Sägebock- richtung r¡chtung
Proiektion oder die schemati- H
H H
.c
bezeichnet. Ein Molekül mit einem asymmet- Hs"r'.'cHrcH.
risch substituierten C-Atom ist chiral, 2-Chlor- cftcLl \" /
CHs CHs
butan ist ein chirales Molekü|. Von ihm existie-
ren zwei nicht deckungsgleiche Spiegelbilder Stereoisomere des 2-Chlorbutans
Enantiomere
(B¡ld 2). Diese beiden Stereoisomere werden
Enantiomere genannt. Bild 2: Stereoisomere des 2-Chlorbutans
Die räumlichen Verhältnisse a) H blH c) o
von Stereoisomeren werden \// O tgr,O H
\ c //.o d) H
,//
anschaulich. aber aufwän-
dig durch die Keilstrich- oder
Raumformel wiedergegeben,
t+ H-Ç-.oH
+
H- c -oH
I
HO
-c
c
I
H
'zci""oH
HoH2c t, I I
Das R,S-System ist auf alle Verbindungen mit asymmetrisch substituierten Kohlenstoffatomen
anwendbar. Mit diesem Nomenklatur-System, das nach R. Cahn (engl. Chemiker, 1899 bis 1981),
C. lngold (engl. Chemiker, 1893 bis 1970) und l4l. Prelog (bosn. Chemiker, 1906 bis 1998) auch
CIP-Nomenklatur genannt wird, kann die absolute Konfiguration aller chiralen Zentren einer Ver-
bindung bestimmt werden.
Dazu werden alle vier Substituenten eines Chi-
ralitätszentrums nach ihrer Priorität (Bedeu- e ct e
tung; Rangfolge) geordnet. Die Priorität steigt ct
mit steigender Ordnungszahl der Atome, die I I
c c
direkt an das chirale C-Atom gebunden sind.
Sind an das Chiralitätszentrum zwei gleiche ctucLl {"r @ @ ru7 \ cH2cH3
Atome gebunden, entscheidet die Ordnungs- CHs CHg
zahl der nachfolgend gebundenen Atome. ln @@
Bild 1 entscheidet das C-Atom der Methyl- (Sl-2-Chlorbutan (ß)-2-Chlorbutan
Gruppe. Doppelbindungen zählen doppelt. ln
Bild 1 entscheidet das Chlor-Atom die höchste Bitd t: CtP-Nomenktatur
Priorität, gefolgt von der Ethyl-, der Methyl-
Gruppe und schließlich dem H-Atom. Danach wird das Molekül so ausgerichtet, dass der Substi-
tuent mit der niedrigsten Priorität (H-Atom) vom Betrachter weg weist und der mit der höchsten
Priorität (Chlor-Atom) nach oben zeigt. Dann ergibt sich die Drehrichtung aus der prioritäten-
Reihenfolge (B¡ld 1).
Chiralität heißt die Eigenschaft, wenn zwei Gegenstände sich wie Bild und Spiegelbild verhal-
ten. Verbindungen mit asymmetrisch substituierten Kohlenstoffatomen sind chiral. Das mit
vier verschiedenen Substituenten verbundene Kohlenstoffatom ist das Chiralitätszentrum.
Zwei Moleküle, die zueinander chiral sind, nennt man ein Enantiomerenpaar.
Die Benennung erfolgt entweder durch CIP-Nomenklatur oder nach der Fischer-Projektion.
d a, I c T A
al= Gt. 3.1
' lc'll srao I om I mor.r--' I
K nm
a) Perspek-
tivische
Hooc\ø @JH Hooc\ø G).soH Hooc\@@.sH H
o cooH
Formeln ..,.C-C<H .,.C-C-H .,'C-C'-OH HO-
i"/ 'coo, i"/ '.oo, ly
{2F,3s)-Weinsäure (2F, 3s)-Weinsäure (2F,
'.oo,
3B)-Weinsäure
HO
H
(2S,3s)-We¡nsäure
meso-We¡nsäure Enant¡omerenpaar
cooH cooH cooH cooH
H OHø HO Hø H-f oHø Ho-l-- H@
bl F¡scher-
H oH@
cooH
HO HO Ho--]-H @ H+ oHo
Proiektionen cooH cooH co OH
Bild 1: Stereoisomere der Weinsäure
Eine sehr große Verbindungsgruppe, deren Einzelvertreter mehrere chirale ZenlÍen besitzen, sind
die Kohlenhydrate, oft alternativ als Saccharide oder Zucker bezeichnet. Man unterscheidet die
Monosaccharide (einfache Kohlenhydrate) von den Disacchariden (zwei miteinander verknüpfte
Monosaccharid-Einheiten), den Oligosacchariden (zirka drei bis zehn verknüpfte Monosaccharid-
Einheiten) und den Polysacchariden (mehr als zehn miteinander verbundene Zuckereinheiten).
Der strukturelle Aufbau eines Monosaccharids kann entweder ein Polyhydroxyaldehyd (zum Bei-
spiel D-Glucose) oder ein Polyhydroxyketon (2. B. D-Fructose) sein. Polyhydroxyaldehyde wer-
den als Aldosen, Polyhydroxyketone als Ketosen bezeichnet. Die Bezeichnung kann auch nach
der Anzahl der Kohlenstoffatome erfolgen: Monosaccharide mit vier C-Atomen nennt man Tet-
rosen, solche mit fünf Kohlenstoff-Atomen Pentosen und solche mit sechs C-Atomen Hexosen.
Für Zucker ist bis heute die D/L-Nomenklatur nach Emil Fischer üblich. Als ,,Bezugssubstanz"
benutzte er die einfachste Aldose, den Glycerinaldehyd (s, S. 145). Er gab der R-Konfiguration
des Glycerinaldehyds willkürlich die Bezeichnung D-Glycerinaldehyd, da dieses Glycerinald ehyd-
Enantiomer das linear polarisierte Licht nach rechts drehte. Er nahm deshalb an, dass die Hvd-
roxylgruppe am Chiralitätszentrum in der Fischer-Projektion nach rechts zeigt. Die Bezeichn ung
,,D" oder ,,L" richtet sich nach der Stellung der
OH-Gruppe an dem am weitesten vom höchst HC:O HC:O
D-Glycerin- L-Glycerin-
oxidierten C-Atom entfernten ch i ralen C-Atom. aldehyd Hl-oH aldehyd Ho-+-H
Liegt diese OH-Gruppe wie in der Fischer-Pro- CH2OH CH2OH
jektion (Bild 2) auf der rechten Seite, handelt es
sich um einen D-Zucker. Liegt diese OH-Grup- HC:O HC:O CH2OH CH2OH
pe auf der linken Seite der Fischer-Projektion,
handelt es sich um einen L-Zucker (Bild 2). Die
t I or r--l-;
Ho-l-H Ho-FH Ho--f-u Ho--]-H J:o å:o
Bezeichnung ,,D" bzw.,,L" wird immer für das H--f--oH H-l--oH H-loH H-_|_on
ganze Molekül angegeben. Fast alle natürlich
ufoH no-f-u nfoH
uoJ-H
cH2oH CH2OH CH2OH
vorkommenden Zucker sind D-Saccharide, D-Glucose L-Glucose D-Fructose
CH2OH
L-Fructose
Bild 2 zeigt die Enantiomerenpaare der Gluco-
se als Beispiele für Aldosen. D- und L-Fructose Aldosen Ketosen
sind Beispiele für Ketosen. Bild 2: Benennung von Zuckern
Zucker sind Kohlenhydrate, die als Mono-, Di-, Oligo- oder Polysaccharid-Einheiten vorkom-
men. Eine Saccharid-Einheit kann entweder als Aldose oder als Ketose vorkommen. ln Abhän-
gigkeit von der Länge der Ketten unterscheidet man Tetrosen, Pentosen oder Hexosen.
148
3.6 Makromoleküle
Die Benennung der Saccharide erfolgt nach der D/L-Nomenklatur von Fischer. Als Bezugs-
substanz dient als einfachste Aldose der Glycerinaldehyd.
Bei Aldosen stehen die Halbacetale im Gleichgewicht mit den entsprechenden offenkettigen For-
men, welche eine freie Aldehyd-Gruppe tragen. Diese freie Aldehyd-Gruppe wirkt reduzierend,
zum Beispiel auf Fehling-Reagenz. Dabei werden Cu'*-lonen in alkalischer Lösung zum Kupfer(l)-
oxid CurO reduziert.
Das Halbacetal eines Monosaccharids kann
zoH
mit der einer Hydroxy-Gruppe eines zweiten o Maltose
Monosaccharids unter Bildung eines Disac- HO
charids ein Vollacetal bilden. Maltose, auch HO 1 CH zoH
Malzzucker genannt, besteht aus zwei D-Glu- o
cose-Einheiten, die über ein Sauerstoff-Atom
(Acetal-Brücke) miteinander verbunden sind glycosidische HO
Bindung HO
(B¡ld 2). Man nennt diese Art der Verknüpfung OH
a-1,4'-glycosidische Bindung. Dieses Glycosid
wirkt nicht mehr reduzierend. Bild 2: Maltose
Von der Glucose existieren eine offenkettige und zwei ringförmige Formen. Die ringförmi-
gen Strukturen können über glycosidische Bindungen (Sauerstoff-Brücken) miteinander ver-
bunden sein.
3.6 Makromoleküle
Moleküle, deren Molekülmasse größer als 1000 u ist, werden als Makromoleküle bezeichnet'
Diese Definition geht au't H' Staudinger (dt' Chemiker, 188'l bis 1965) zurück, dem Begründer
der makromolekularen Chemie. Er leistete wichtige Beiträge zur Strukturaufklärung der Makro-
moleküle Cellulose, Stärke, Kautschuk und Polystyrol.
Makromoleküle sind in der Natur weit verbreitet, wie zum Beispiel die Polysaccharide Cellulose
und Stärke. Proteine bzw. Polypeptide und Polynucleotide (s. Kap. 11, S.483) kommen ebenfalls
in der Natur sehr häufig vor. Natürliche Makromoleküle werden Biopolymere genannt.
Synthetische Makromoleküle werden als Polymere (griech. polys,vielel (griech. meros, Teil) oder
Kunststoffe bezeichnet. Diese werden durch chemische Verknüpfung kleinerer, meist gleicher
Bauteile, Monomere genannt, zusammengesetzt. Die Reaktion, welche zu einem Polymer führt,
wird ganz allgemein als Polyreaktion bezeichnet.
Synthetisch veränderte Naturstoffe haben als Makromoleküle in der modernen Technik eine
hohe Bedeutung erlangt.
149
3 Reaktionen organischer Präparate
c c
art, sondern ein besonderes Strukturelement, +/ Z:o
H:N c N c
das bei der Verbindung von mindestens zwei
Aminosäuren entsteht. M¡t Peptid-Bindung o
il /t
HRz
I
H
li
o
wird die kovalente Bindung zwischen der NH-
und der CO-Gruppe bezeichnet, wenn sich gen
Aminosäuren untereinander zu einem Peptid
oder einem Protein verbinden. Bild 2: Peptidbindung
Die Polysaccharide und die Polypeptide sind wichtige Biopolymere, die in der Natur als
Makromoleküle vorkommen,
150
3.6 Makromoleküle
Di-fert-butylperoxid cHs - c-
I
CHs
"s -1-tt' CH¡
I
CHs
Azo-bis- AT
(iso butyro n itril) t.r.r,./èg-.{.r.), _> 2 .C(CH3)2
I
+ N2
(AIBN) CN CN CN
00
NaNH2 oder Butyllithium NH2-CH2CH - CHrCH
Phenyl-Reste beim Polystyrol oder Methyl- ,--\ a.'-\ a -"'r a -c-r a -t\ a -\
gruppen beim Polypropen, können diese ver-
schieden angeordnet sein, was die Polymer-
1 "A 1"A Hl'îr""H3C
HgC HgC
17 Hl'îr"
- "Hli,.
"-
c) ataktisches Polypropylen
eigenschaften beeinflusst. Man unterscheidet
drei Konfigurationen der Polymere (Bild 3). Bild3: Polymerkonfigurationen
152
3.6 Makromoleküle
Verwendet man nur eine Verbindung als Monomer, so entsteht daraus ein Homopolymer. Häufig
werden aber zwei oder noch mehr verschiedene Monomere miteinander zu einem Copolymer
verknüpft, um beispielsweise bestimmte Werkstoffeigenschaften zu erhalten. Durch eine Copo-
lymerisation lassen sich für einen vorgegebenen Zweck maßgeschneiderte Werkstoffe synthe-
tisieren.
Copolymerisate wie Styrol (Phenylethen) und Acrylnitril (Propennitril) eignen sich für spül-
maschinenfeste Gebrauchsteile. Aus Acrylnitril, Styrol und Butadien werden Stoßstangen und
Sturzhelme hergestellt, aus lsobuten und lsopropen Reifenschläuche und Bälle.
Bei isotaktischen Polymeren befinden sich alle Substituenten auf der gleichen Seite der C-
Kette. Syndiotaktische Polymere tragen die Substituenten abwechselnd, während sie bei
ataktischen Polymeren regellos verteilt sind.
Homopolymere bestehen aus aus einer Monomerenart, Copolymere aus mehreren ver-
schiedenen Monomerenarten.
lm Jahr 1953 entdeckten Karl Ziegter (dt. Chemiker und Nobelpreisträger, 1898 bis 1973) und
Giulio Natta (it. Chemiker und Nobelpreisträger, 1903 bis 1979) Katalysatoren, die es erlaubten,
maßgeschneiderte Polymere durch stereospezifische Polymerisation zu synthetisieren.
Bei diesen Ziegler-Natta-Polymerisationen werden Ziegler-Naffa-Katalysatoren verwendet.
Das sind Kombinationen von zum Beispiel lltantriohlorid TClr mit Diethylaluminiumchlorid
(C2Hb)2AlCl oder Ttantetrachlorid TClo mit Aluminiumtriethyl Al(C2H5)3'
Vereinfacht lässt sich der Reaktionsmechanismus als koordinative Polymerisation bezeichnen, bei
der eines der an das Ttan koordinierten Chloratome durch eine Ethylgruppe ersetzt wird. Das Mo-
nomere schiebt sich dann bei jedem Reaktionsschritt zwischen das Metallatom und die wachsen-
de Kette. Man bezeichnet diesen Vorgang als Insertion. Da sich bei der lnsertion des Monomers
am Ttanatom eine neue Koordinationsstelle bildet, kann sich der Vorgang immer wiederholen.
Ziegler-Natta-Polymerisationen verlaufen bei relativ niedrigen Temperaturen und leicht erhöhtem
Druck beziehungsweise Normaldruck und führen zu Polyethen mit hoher Dichte (HDPE, High Den-
sity Polyethen), isotaktischem Polypropen (PP) oder zu Copolymeren aus Ethen und Propen (EPM).
Daneben können auch Ethen-Propen-Dien-Kautschuk (EPDM) und cis-1,4-Polybutadien hergestellt
werden. Mil Ziegter-Naffa-Katalysatoren wird Ethin zu Polyethin polymerisiert, welches aufgrund
seiner konjugierten Doppelbindungen in der Lage ist, den elektrischen Strom zu leiten.
153
3 Reaktionen organischer Präparate
Bild 1 zeigt einen Strukturausschnitt aus zwei Polyamidketten. Diese Makromoleküle können
nicht wie bei der Polymerisation durch die Öffnung von Doppelbindungen entstanden sein. Ur-
sache für die Kettenbildung sind Monomere, die jeweils zwei gleiche oder verschiedene funk-
tionelle Gruppen besitzen. Diese bifunktionellen Moleküle reagieren unter Abspaltung kleiner,
energiearmer Moleküle (zum Beispiel Wasser HrO, Chlorwasserstoff HCl, Alkohol R-OH) zu Poly-
mermolekülen. Diese Art der Polyreaktion wird Polykondensation genannt.
a)-?
6-Aminohexansäure n+2 H3N(CH2)5CO- -n Hzo
AT H o HO o
I il lil il
-N- c(cH2)sc N - (CHz)sC (cH2)5c
e-Caprolactam n+2
H
oH-
AT
lJ
Polyamid Nylon-6
b) oo
ilil
o olu
Àrr-ë,.r,,,81'{,-,. HI orr olu rr rr
H
- n H2o
H2N(CH2)6NH2
Hexandisäure
Adipinsäure
1,6-Hexandiamin L ,.i'jl.', r,'::'.:,i"Ï)
Bild 1: Entstehung von Polyamiden
Wie in Bild 1a dargestellt, kann ein Polyamid, wie z. B. Nylon-6 (Handelsname Perlon@), aus
einem Monomeren auf zwei verschiedenen Wegen gebildet werden. Einmal können sich die
Moleküle der G-Aminohexansäure über Kondensationsreaktionen der beiden verschiedenen
funktionellen Gruppen (Amino- und Carboxyl-Gruppe) unter Wasserabspaltung verknüpfen. Die
zweite Möglichkeit, Nylon-6 zu bilden, wird in der Technik angewandt. Als Monomer kommt ¿-
Caprolactam zum Einsatz, eine ringförmige Verbindung, welche bei der Beckmann-lJmlagerung
von Cyclohexanonoxim entsteht (s. Kap.3.4.2,5.143), Bevor das e-Caprolactam das Polyamid
Nylon-6 bildet, wird der Ring unter Baseneinwirkung und Erwärmung aufgebrochen.
B¡ld 1b zeigt die Synthese des Polyamids Nylon-6,6, welches aus zwei verschiedenen Cu-Mono-
meren (Hexandisäure und 1,6-Hexandiamin) entstanden ist. Hier kommt es zu Kondensations-
reaktionen zwischen den Amino- und Carboxyl-Gruppen der beiden verschiedenen Molekülarten.
Treten Phenylreste an die Stelle der Hexandiyl-Reste, entstehen aromatische Amide, die auch als
Aramide bezeichnet werden. Sie zeichnen sich durch eine außerordentlich hohe Festigkeit aus.
Eine weitere Gruppe synthetischer Makromoleküle, die durch Polykondensation gebildet werden,
sind die Polyester. Sie können analog zu den Polyamid-Synthesen aus zwei verschiedenen Mo-
nomeren oder aus einer Monomerenart hergestellt werden.
Für die erste Synthese-Variante benötigt man eine Carbonsäurekomponente, wie zum Beispiel
Adipinsäure, Nonandisäure, Decandisäure, Dodecandisäure, Phthalsäureanhydrid, lso- und
Terephthalsäure oder deren Ester. Als Diol werden hauptsächlich Ethylenglycol, Diethylengly-
col, 1,2-Propylenglycol, Butan-1,3-diol, Butan-1,4-diol, Neopentylglycol, Hexan-1,6-diol oder
Ethan-1,2-diol ei ngesetzt.
ln Bild 2 ist die Bildungsreaktion von Polyethylenterephthalat (PET) aus Terephthalsäure und
Ethan-1,2-diol exemplarisch dargestellt. Entsprechend den allgemeinen Esterbildungsreaktio-
nen entsteht bei der Verwendung von Anhydriden als Nebenprodukt eine Carbonsäure bezie-
hungsweise bei Estern ein Alkohol. Polyester können auch aus nur einer Monomerenart hergestellt
werden. Dabei kommen Lactone (intramolekulare, cyclische Ester von Hydroxycarbonsäuren) und
Hydroxycarbonsäuren zum Einsatz.
o oo
\ c 4-Yra! o+ nHo-cH2-cH2-oH -2nBzo, ll r:r
o-c{r ll
HO
\__/ \ou
Terephthalsäure 1,2-Ethandiol
L/ />-c-o-cH2-cH2
Polyethylenterephthalat (PET) I
Bild 2: Bildungsreaktionvon Polyethylenterephthalat
154
3.6 Makromoleküle
o
il 1t' -2nHX
D¡phenyl- X
= o
nX- c -X + nH c OH ------------l carbonat
Diphenylcarbonat I
OH
a) Novolak b) Resol
Bei Hinzufügen von Formalde- (vernetztes OH
hyd (aus Hexamethylentetra- Duromer)
min) härten Novolake bei Tem- CHr*al
peraturen oberhalb von 100'C
OH
zu unschmelzbaren, duroplas-
tischen Stoffen aus (Bild 3a). Bild 3: Novolake und Resole
Polykondensat¡onen sind Polyreaktionen, bei denen lineare, verzweigte oder vernetzte Poly-
kondensate gebildet werden.
155
3 Reaktionen organischer Präparate
Die dritte Gruppe der Polyreaktionen sind die Polyadditionen von bifunktionellen Verbindun-
gen. Während die Verknüpfung der oben beschriebenen Polymerisationsreaktionen durch ,,Um-
klappen" von Doppelbindungen erfolgt, werden bei der Polyaddition die OH-Bindungen eines
Alkandiols gelöst. Die Addition des Protons sowie des Alkoholat-lons erfolgt an eine polarisierte
Doppelbindung ohne Abspaltung eines Nebenproduktes.
Ein Beispiel für eine Polyaddition zeigt Bild 1. Hier reagiert ein Diol (1,2-Ethandiol) mit einem Di-
isocyanat (m-Benzoldiisocyanat) zu einem Polyurethan. Polyurethan-Schaum entsteht durch Re-
aktion eines Teils des Diisocyanats mit zugefügtem Wasser, wobei Kohlenstoffdioxid CO, frei wird.
OH
r 1[ ocHrcHro-c- OH Hol o
O=C= N=C=O ---------+ -
il
1_ --'t ilr r ill
N- C+ ocH2cH2o- c -
il
n+1 hììo.,,.,,o, l n
m-Benzoldiisocyanat 1,2-Ethandiol Polyurethan
B¡Id 1 Polyurethan
Bei der Polyaddition entstehen durch sich vielfach wiederholende und voneinander unabhän-
gige Verknüpfungsreaktionen von bifunktionellen Monomeren Polymere, ohne dass Neben-
produkte entstehen.
spinnen lässt.
HO
')n
)/
H o
OH OH
Celluloseacetat ist ebenfalls
eine halbsynthetische Faser, Na*S-
die durch Veresterung der an Bild 1: Cellulosexanthogenat
den Cellulosemolekülen ge-
bundenen Hydroxylgruppen
!
mit Essigsäure gewonnen wird (Bild 2). o HO
o oh
Das Naturprodukt Kautschuk ist ein Polymer OH
des lsoprens (2-Methylbuta-1,3-dien). Alle OH
Cellulose
Doppelbindungen des cis-Poly-(2-methylbuta-
+ 6n CH3COOH
1,3-dien) sind cis-konfiguriert (B¡ld 3).
- 6n H2O
Synthetischer Kautschuk wird hauptsächlich o-cocH3 cocH3
durch Polymerisation von Styrol (Phenylethen) o - cocH3
und Buta-1,3-dien als Copolymerisat herge- o o1,
stellt. Die Polymerketten sind üblicherweise
aus Kohlenwasserstoffgerüsten oder auf der H.COC- cocH3
o-cocH3
Basis von Silikonen aufgebaut. Die wichtigs-
ten Sorten synthetischen Kautschuks sind: Bild 2: Celluloseacetat
Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR), Polybuta-
H"C H"C HsC.
dien-Kautschuk (BR), Nitrilbutadienkautschuk H H H
(NBR), Chloropren-Kautschuk (CR) und das Co- /7
c- c\\ +n
2
c _C
\ cHz +
// c
\
polymerisat Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk HzC CHz HzC HzC CHz
(EPDM). Beim Nitrilkautschuk ist die Methyl- lsopren-Monomere
Gruppe des lsoprens durch eine Nitril-Gruppe Hsc\ H H.c., H
HsCl H
ersetzt. Das Chloropren leitet sich analog vom C: C
----+ //\r/ C c c
lsopren ab. H.C C +C c+c c -cH3
H, H"I n, H2
Sowohl natürlicher als auch synthetischer Ls, ln-
crs-Poly-(2-methylbuta-1,3-dien)
Kautschuk kann aufgrund seiner Weichheit Kautschuk
und Klebrigkeit nicht z. B. zu Autoreifen verar-
beitet werden. Um die einzelnen Makromole- Bild 3: Polyisopren
külketten untereinander zu
Hsc\. Hrcl H Hrc.. H'c.,^
vernetzen, wird Kautschuk H"C
IU
H"C
H
I
mit Schwefel erhitzt. Durch H"c/ /
ta-a' ta-c' t.-.' c
\^U-U^/\ L-L
\ c CH"
diesen Vorgang der Vulka-
l
SH"H"H,H" SH" H. H2 H2 H"H"S H2
Vulkanisierter Kautschuk hat dauerelastische Eigenschaften, welche durch den Einbau von
Schwefelbrücken in das weitmaschige Polyisopren-Netz zustande kommen. Die Elastizität
und Härte des Gummiwerkstoffs ist abhängig von der Anzahl der Schwefelbrücken.
157
3 Reaktionen organischer P rä pa rate
Aufgaben:
1. a) Beschreiben Sie den geometrischen Bau des Ethenmoleküls.
b) Vergleichen und erklären Sie die Bindungsstärken und Bindungslängen des Ethans
und des Ethens.
2. Zeichnen Sie von allen Konstitutions- und Konfigurationsisomeren des Pentens die
Strukturformeln und benennen Sie diese.
3. Zeichen Sie alle Strukturformeln von Dichlorethen und benennen Sie diese. Welche dieser
Strukturen besitzt ein Dipolmoment und welche nicht. Begründen Sie lhre Antworten.
4. Stellen Sie am Beispiel der Reaktion von Chlorwasserstoff mit Ethen den Reaktions-
E 5.
mechanismus der elektrophilen Addition dar.
Nennen Sie den Namen und die Strukturformel des Hauptproduktes, welches bei der Addi-
tion von Bromwasserstoff HBr an die genannten Verbindungen entsteht (mit Begründung):
a) But-1-en b) 2-Methylbut-2-en c) 2-Methylbut-1-en d) But-2-en e) 3-Methylbut-1-en.
9. 1-Propoxybutan soll nach der Williamson-Synthese hergestellt werden. Stellen Sie an-
hand von Reaktionsgleichungen zwei Reaktionswege dar. Benennen Sie jeweils die Reak-
tionsprodukte,
10. Formulieren Sie für die Synthese von Propansäuremethylester (Methylpropanoat) aus
a) einem Säurechlorid b) einem Säureanhydrid c) einer Carbonsäure
jeweils die Reaktionsgleich ung.
11. Geben sie die Formeln der Produkte folgender Diels-Atder-Reaktionen an:
a) Maleinsäureanhydrid + lsopren (2-Methylbuta-1,3-dien)
b) Buta-1,3-dien + Methylvinylketon
12. Welche Produkte sind bei der HBr-Abspaltung aus folgenden Verbindungen zu erwarten:
a) 1- Bromhexan b) 2-Bromhexan
c) 2-Brom-2-methylpentan d) 4-Brom-2-methylpentan
13. Geben Sie die Strukturformeln für das Haupt- und Nebenprodukt der säurekatalysierten
Dehydratisierung von Pent-4-en-2-ol und begründen Sie kurz.
14. Geben sie ein Beispiel für eine Hofmann-orientierung bei E2-Reaktionen.
15. Ordnen Sie folgende Alkansäuren nach ihrer Säurestärke:
2-chlorpropansäure, Trichlorethansäure, Propansäure,3-chlorpropansäure.
Kennzeichnen Sie lhre Reihenfolge eindeutig. Begründen Sie lhre Reihenfolge und
benutzen Sie dazu die Strukturformeln.
158
3 Aufgaben
16. Wann laufen bei Aldehyden etne Cannizzaro-bzw. eine A/dol-Reaktion ab?
Beide Reaktionen sind von ihrem Typus her verschieden. Benennen Sie jeweils die
Reaktionstypen.
18. Welche Verbindung ist isomer zu Aceton? Wie sind die beiden Stoffe durch zwei chemi-
sche Nachweise voneinander zu unterscheiden? Beschreiben Sie kurz diese Nachweise.
22.a) Welches ist die geringste Molekülmasse, die ein chiralesAlkan besitzen kann? Zeich'
nen Sie stereochemische Formeln der Enantiomeren und klassifizieren Sie sie als Æ
oder S.
b) Gibt es ein weiteres Alkan mit der gleichen Molekülmasse, das ebenfalls chiral ist?
Wenn ja, geben Sie seine Struktur und seinen Namen an und kennzeichnen Sie die
Enantiomeren als F oder S.
23.Stellen Sie die folgende 55u¡s (CH3)3C-COOH durch Kettenverlängerung aus dem ent-
sprechenden Alkylhalogenid her.
26. Stellen Sie ein Reaktionsschema für die Polymerisation von Vinylchlorid auf.
Geben Sie alle wichtigen Schritte der Radikalkettenpolymerisation in Gleichungen an.
lnitiator soll ein Stoff der Formel R-N:N-R sein.
27.|n welchen Kunststoffen tritt die Peptid-Gruppe als Strukturelement auf? Skizzieren Sie
einen Formelausschnitt.
23.Skizzieren Sie die Bildungsreaktion der Makromoleküle, die aus Diisocyanat und Diolen
gebildet werden. Zu welcher Gruppe der Bildungsreaktionen gehört sie. Begründen Sie,
159
3 Reaktionen organischer Präparate
34.Geben Sie für die Eliminierung von Chlorwasserstoff aus folgenden Stoffen jeweils die
Namen der Hauptprodukte sowie den Reaktionstyp an;
a) 1-Chlorpentan
b) 2-Chlorpentan
36. Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der Bromierung, Nitrierung und Sulfonie-
rung von Benzol. Benennen Sie alle Stoffe und nennen Sie die Reaktionsbedingungen.
37. a) ln welche Stellung(en) am Benzolring dirigiert ein Substituent 1. Ordnung einen Zweit-
substituenten?
b) Nennen Sie drei Beispiele für Substituenten 1. Ordnung.
38.Ein Student sollte Toluol mit elementarem Chlor Cl, zu Chlortoluol umsetzen. Als die Re-
aktion beendet war, war er den Tränen nahe: Er hatte nämlich Dämpfe des als Tränengas
wirkenden Benzylchlorid C6HbCH2Cl in die Augen bekommen.
Was hat er falsch gemacht? Wie hätte er die Reaktion fahren sollen, um das gewünschte
Präparat zu erhalten?
39'a) Wie viele Elektronen sind an jedem C-Atom des Benzol-Moleküls lokalisiert, wie viele
delokalisiert?
b) Durch welche Voraussetzungen der Molekülstruktur wird die Delokalisierung der ø-
Elektronen im Benzolmolekül erst möglich?
c) Welche Folgen hat die Delokalisierung der ¡-Elektronen?
40. Skizzieren Sie ausgehend von Benzol mithilfe von Reaktionsgleichungen die Synthese
von a) 1-Amino-3-brombenzol b) m-Nitro-benzoesäure.
43' Nennen Sie zwei Kupplungskomponenten bei der Herstellung von Azofarbstoffen.
Formulieren Sie eine Kupplungsreaktion.
44. stellen Sie die Alkylierungsmethoden am Benzol dar und vergleichen sie sie.
160
4,1 Volumetrische Analyse
Der umzusetzende Analyt wird als Titrand und Äquivalenz- Chemisch äquivalente Stoff-
der zur Ouantifizierung eingesetzte Stoff als pu nkt mengen von Titrand und Ïtrator
ïtrator bezeichnet (Tabelle 1). Der Punkt an
dem beide Stoffe in chemisch äquivalenten Stoffmengen vorliegen, ist der Äquivalenzpunkt.
Andere Bezeichnungen sind stöchiometrischer Punkt oder theoretischer Endpunkt.
Zur Bestimmung liegt der Ttrator in Form einer Lösung mit exakt bekannter Konzentration vor
die als Maßlösung bezeichnet wird. Bei der volumetrischen Analyse wird einer gelösten definier-
ten Stoffportion der Probe soviel an Maßlösung zugesetzt, bis der Äquivalenzpunkt erreicht ist.
Die Stoffmenge des Analyten wird anhand des eingesetzten Volumens an Maßlösung berechnet.
Der Aquivalenzpunkt kann durch Zugabe von Farbindikatoren oder durch elektrochemische oder
optische Methoden angezeigt werden.
Andere Bezeichnungen für die volumetrische Analyse sind Volumetrie, Maßanalyse oder
Titrimetrie. Die Durchführung einer Volumetrie ist die Ttration.
Für eine Maßanalyse müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
.eine eindeutig nach der angegebenen Reaktionsgleichung ablaufende Reaktion,
.eine quantitative chemische Umsetzung des Analyten,
.eine ausreichend schnelle chemische Umsetzung des Analyten,
.keine Nebenreaktionen mit anderen Stoffen (selektive Reaktion),
. ein eindeutig zu bestimmender Äquivalenzpunkt.
Ein einfaches Beispiel ist die Titration von Natronlauge NaOH (aq) (Titrand) mit Salzsäure HCI (aq)
(Titrator). Dieser Säure-Base-Ttration liegt folgende Reaktion zugrunde:
NaOH (aq) + HCI (aq) --+ NaCl (aq) + HrO
Anhand dieses Beispiels kann der prinzipielle Ablauf einer lltration wie folgt beschrieben
werden:
. Herstellen der HCI (aq)-Maßlösung
. Vorlegen einer definierten Stoffportion der NaOH (aq)-Probelösung
. Zugabe der HCI (aq)-Maßlösung aus einer Bürette bis zum Äquivalenzpunkt
. Berechnung der Analytkonzentration über das verbrauchte Volumen an HCI (aq)-Maßlösung
161
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
Die Volumetrie, auch Maßanalyse, ist ein quantifizierendes Analyseverfahren für einen
gelösten Analyten.
Das Verfahren beruht auf der Bestimmung des zum Erreichen des Äquivalenzpunktes ein-
zusetzenden Volumens an Maßlösung.
Säure-Base-Titration Säure-Base-Reaktion
4.1.1 Aquivalenzpunkterkennung Oxidations-Reduktions-
Redoxtitration
Die Möglichkeit, den Äquivalenzpunkt bei einer Reaktion (Redox-Reaktion)
Maßanalyse zu erkennen, ist Grundvorausset- Ko m p lexometrische
zung für eine quantitative Analyse. Grundsätz- Titration
Komplexbi ldungsreaktion
lich gibt es dazu zwei Verfahren: die chemische
Bestimmung mithilfe von Farbindikatoren oder Reaktion unter Bildung
physikalische Methoden, wie z. B. die Messung Fäl I ungstitration einer schwerlöslichen
Verbindung
des pH-Werts oder der Leitfähigkeit L.
Das Fortschreiten einer Titration kann über den Ttrationsgrad z (tau) angegeben werden.
Der Ttrationsgrad beschreibt das Äquivalentstoffmengenverhältnis vom Titrator und Titranden.
ú- lEgfglgg
f,Iit¡ator' Z* Gtrraror,eq
_ CTit ato¡' Z* T c lr* n
-
nïtrand,eq D'litrand ' Z*
-
clitrand,eq G'fitrund ' Z* r lmor .r.'l;Jl 1
Gt.4.1
Der lndex eq sowie die Größe z* berücksichtigen die stöchiometrische Wertigkeit des Reaktions-
partners (s. S. 165). Entsprechend kann der ïtrationsgrad z folgende Werte annehmen:
Bis zum Äquivalenzpunkt: r <1
AmÄquivalenzpunkt: t = 1
Farbindikatoren
Farbindikatoren (lat. indicare: anzeigen) sind Stoffe, die durch einen Farbwechsel die Zustands-
änderung eines bestimmten Teilchens anzeigen. Sie ermöglichen ein visuelles Erkennen des
Äquivalenzpunktes. Die Färbung unverdünnter lndikatoren ist zu intensiv, so dass sie verdünnt in
Form von Lösungen oder Verreibungen eingesetzt werden.
Dabei geht ein der Analytlösung in Spuren zugesetzter lndikator mit einem an der chemischen
Reaktion beteiligten Stoff eine Bindung oder eine chemische Reaktion ein, die eine bestimmte
Färbung zur Folge hat. Während der Titration werden die gleichen, aber vom lndikator nicht
gebundenen Teilchen umgesetzt. Sind keine entsprechenden frei zugänglichen Teilchen mehr
vorhanden, wird dem lndikator das gebundene Teilchen entzogen, was mit einer Farbänderung
des lndikators einhergeht. Das bis zum Erreichen des Farbumschlags zugegebene Volumen an
Maßlösung ist Grundlage für die Ergebnisberechnung.
Je nach Art der zugrunde liegenden chemischen Reaktion wird zwischen pH-lndikatoren, Re-
dox-lndikatoren und Metall-lndikatoren unterschieden. ln einigen Fällen ist ein Farbumschlag
eines lndikators nicht exakt zu erkennen. Durch Mischen verschiedener lndikatoren lässt sich in
manchen Fällen die Aquivalenzpunkterkennung verbessern. Solche Kombinationen werden als
Mischindikator bezeichnet. Die für eine ïtrationsart spezifischen Farbindikatoren werden in den
entsprechenden Kapiteln behandelt.
162
4.1 Volumetrische Analyse
In manchen Fällen kann die Anzeige des lndikators fehlerhaft sein. Dann ist eine in mL ange-
gebene lndikatorkorrektur anzuwenden. Ursachen können z. B. sein:
. Verbrauch von beteiligten Reaktanden durch den lndikatot
. Veränderung der lndikatoraktivität bei hohen Salzkonzentrationen,
. Adsorption des lndikators an Eiweißmoleküle.
Bei manchen Ttrationen ist die Zugabe eines lndikators nicht erforderlich, da der Analyt oder
das Reagenz der Maßlösung durch die chemische Umsetzung selbst die Farbe ändert und da-
durch den Äquivalenzpunkt anzeigt. Dies ist im Besonderen beieinigen Redoxtitrationen wie der
Permanganometrie der Fall. ln den entsprechenden Kapiteln wird auf diese Möglichkeiten sowie
die entsprechenden lndikatoren vertiefend eingegangen.
Farbindikatoren sind Stoffe die durch einen Farbwechsel die Zustandsänderung eines Teil-
chens anzeigen und dadurch eine visuelle Bestimmung des Aquivalenzpunktes ermöglichen.
Physikalische Methoden
Bürette mit
Zur physikalischen Äquivalenzpunkterken- Maßlösung
nung kommen je nach Messgröße elektrische (ïtrator)
und optische Methoden infrage. Je nach Art
der ïtration werden dazu z. B. die Potentiome- pH-Elektrode
trie, die Konduktometrie, die Voltametrie, die
Amperometrie oder die UV/Vis-Spektroskopie
(s. Kap, 7.3, S. 280) eingesetzt. Ein Vorteil der
physikalisch-instrumentel len lndikationsmetho-
den liegt in der Möglichkeit, Analysen zu au-
Probelösung
tomatisieren. Außerdem wird eine Störung (ïtrand)
durch den Zusalz von lndikatoren vermieden,
Die für eine Ttrationsart spezifischen Möglich-
keiten einer physikalischen Äquivalenzpunkt- Rührstäbchen
erkennung werden in den entsprechenden
Kapiteln behandelt. Eine weiterführende Er-
Magnetrüher
lä uteru n g der arten elektrochem ischen
ufgef üh
Methoden erfolgt in Kapitel 10.8, S.466, Bild 1: Aufbau einer potentiometrischen ïtrat¡on
Bei einer potentiometrischen Ttration wird die Potentialänderung einer für die entsprechenden
lonen sensitiven bzw. selektiven lndikatorelektrode gegen eine Referenzelektrode mit konstan-
tem Potential gemessen. Bild 1 zeigt einen möglichen Aufbau am Beispiel einer pH-Elektrode.
Nach der Nernsf-Gleichung (s. Kap. 10.3.5, S. 448) ist die Potentialänderung proportional zum de-
kadischen Logarithmus der Konzentration des Analyten. Für I= 298,15 K und p = 1013,25 hPa gilt:
E = Eo + 0,059 lo
Go* El c z
Z ' cr"d Gt.4.2
v lmol.l-1 | 1
v
3. Weiterhin ist eine Auswertung über die
1. Ableitung der Titrationswerte möglich Leitfä hi Bürette mit
(Bild 1, grüne Kurve), wobei das Maximum EI Maßlösung
dieser Kurve den Aquivalenzpunkt definiert. (ïtrator)
Eine numerische Aquivalenzpunkterken-
nung kann z. B. über die Auswertung nach T
KolthoflHahn, die Fortuin-Näherung oder
über die Gran-Auswertung erfolgen.
Probelösung
(Titrand)
Rührstäbchen
Aus den unter 1. bis 3. aufgeführten Methoden
resultiert das notwendige Volumen an Maß- Leitfäh i
164
4.1 Volumetrische Analyse
4.1.2 Maßlösungen
Bezugsgröße und Voraussetzung für eine volumetrische Analyse ist eine Lösung mit exakt
bekannter Konzentration des erforderlichen Reaktionspartners, die Maßlösung.
Eine Maßlösung ist eine Lösung des erforderlichen Reaktionspartners (Ttrator) in exakt
bekannter Konzentration.
Konzentrationsangaben
Da es bei der Titration um die stöchiometrische Umsetzung bestimmter Stoffmengen geht, ist
eine Konzentrationsangabe in Form der Stoffmengenkonzentration c zweckmäßig. Definiert ist
die Stoffmengenkonzentration c als der Ouotient aus der Stoffmenge n(X) des gelösten Stoffes
Xund dem Volumen der Lösung V¡"n.
n(X) C n
c(Xl= G|.4.3
vt.n mol 'L-1 mol L
Die Konzentration einer Maßlösung kann auch als Äquivalentkonzentration c"o angegeben wer-
den. Dabei wird die Aquivalentzahl z*, d. h. die Anzahl der wirksamen Teilché-n (Aquivalentteil-
chen, Äquivalent) einer betrachteten Reaktion, berücksichtigt. Ein älterer nicht mehr gebräuchli-
cher Begriff für die Äquivalentkonzentration ist die Normalität /V.
Je nach Reaktion sind folgende Arten von Äquivalenten zu unterscheiden:
. Neutralisations-Äquivalente: Berücksichtigt wird die Anzahl der Protonen H* 2", die bei einer
Säure-Base Reaktion pro Teilchen abgegeben oder aufgenommen werden (2, B. HrSOa, z* =2l,.
. Redox-Äquivalentel Berücksichtigt wird die Anzahl von Elektronen z*, die bei einer Elektronen-
übertragungsreaktion aufgenommen oder abgegeben werden (2. B. MnOf, z" =5l,.
. fonen-Äquivalente: Die Äquivalenlzahl zx entspricht dem Betrag der Ladungszahl des lons
(2. B. Mg'*, zx =21.
Die Beziehung zwischen der Stoffmenge einer Stoffportion n(X) und der Stoffmenge seiner
Aquivalentteilchen
' nl-f l lässt sich folqendermaßen beschreiben:
\z^I
n zx
n(X) Gl- 4.4
"[4]txt = '" mol 1
Soll beispielsweise die Konzentration einer Natronlauge NaOH (aq) durch Titration bestimmt
werden, kann dies mit einer Salzsäurelösung HCI (aq) oder einer Schwefelsäurelösung HrSOo (aq)
durch eine Neutralisationsreaktion nach folgenden Reaktionsgleichungen geschehen:
NaOH (aq) + HCI (aq) --+ NaCl (aq) + HrO
bzw. in lonenschreibweise: Na* + OH- + H* + Cl- -+ Na* + Cl- + HrO
2 NaOH (aq) + H2SO4 (aq) --+^NarSOo (aO) + 2H2O
bzw.inlonenschreibweise: 2Na* + 2OH- + 2H* + SOo'--+ 2Na* + SOo'- + 2H2O
Die beiden Edukte der ersten Reaktion reagieren im Verhältnis 1 : 1 und die Edukte der zweiten
Reaktion im Verhältnis 2 : 1. Die Schwefelsäure ist in der Lage, zwei H*-lonen zur Neutralisations-
reaktion abzugeben, d. h. die Äquivalentzahl z* ist gleich 2.
Die Aquivalentkonzentration c"o wird erhalten, indem die Stoffmengenkonzentration c mit der
Aquivalentzahl z* multipliziert wird.
ceq= c'zx
c"q I
c zx
G!.4.5
mol'L-1 | mor .11 |
1
165
4 Volumetrische und ravimetrische Analyse
c"q
zx
c"q c lt* Gt.4-6
mol.L-1 | mor'11 |
1
Außerdem lässt sich die.Äquivalentkonzentration c"o über die molare Masse ihrer Aquivalente
M"o und weiter über die Äquivalentstoffmenge n"o berechnen.
Mtxl M | *"o zx
M.rlxl = Gl.4.7
zx g.mol-1 | s..or-' I
1
mlXl'z* tr"q m M zx
n-^(Xl = Mtxl Gl.4.a
E mol I
Darüber kann dann weiter die Aquivalentkonzentration berechnet werden
I o'-or' I
1
n"o(X) _ mlXl' zx V m M zx
c"o (Xl = Gt.4.9
va"n M{Xl . ylss mol 'L-1 mol L s s mol-1 1
Um bei einer Titration mit verschiedenen ïtratoren möglichst ähnliche Volumina zu verbrau-
chen, werden Maßlösungen mit gleichen Äquivalentkonzentrationen verwendet. Dadurch ent-
halten gleiche Volumina von Maßlösungen entsprechend ihrer Reaktionsfähigkeit äquivalente
Stoffmengen. Gekennzeichnet istpie Äquivalentkonzentration durch Angabe eines Bruchs mit 1
im Zähler und z* im Nenner (+Xl,z.B. c(; H2SO4)= 0,1 mot .L-
"=
Am Beispiel einer Säure-Base-Titration müssen folgende Volumina V verschiedener Säuren
für die Umsetzung von 10 mL NaOH (aq) c = 0,1 mol . L-l bis zum Äquivalenzpunkt eingesetzt
werden {Tabelle 1).
Die Stoffmengenkonzentrat¡on c ist der Ouotient aus der Stoffmenge eines gelösten Stoffes
und dem Vorumen der Lösuns, z. B. c(Hrsoo) = i1l,:9.1
y(H2so4) - o,t1 mõl
L
= o,r LroL.l--'
Die Äquivalentkonzentratlon c"o ist die Stoffmengenkonzentration c eines gelösten Stoffes
multipliziert mit der für die entsprechende Reaktion geltenden Aquivalentzahl 2". Die Aqui-
valentkonzentration ist gekennzeichnet durch die Angabe eines Bruchs
0,1 mol 'L-1.
*r.8. c(; H2SO4) =
Eingesetzto Såure
Stoffmengenkonzentrat¡on c Vin vin
in mol . L-' mL ,mL
Phosphorsäure c(H.PO.) = 0,1 3.33 c(å H3Po4) = 0,1 10
166
4.1 Volumetrische Analyse
r(Xl = tatsäclrliglesloffmengenkonzentration
angestrebte Stoffmengenkonzentration
{Il= a"t(-I-) elxl
(Xl c"o¡¡(Xl= õ(Xl ". "l t,
mot f1
ct.4.1o
E
|
Der Titer f kann demnach auch als eine Art Wirkungsgrad einer Maßlösung beschrieben wer-
den. lst der Titer kleiner als 1, dann ist die tatsächliche Stoffmengenkonzentration und damit der
Wirkungsgrad geringer als die angestrebte Stoffmengenkonzentration. lst der Tter größer als 1,
dann ist die tatsächliche Stoffmengenkonzentration und damit der Wirkungsgrad größer als die
a n gestrebte Stoff men gen konzentration.
Die exakte Stoffmengenkonzentration einer Maßlösung kann durch die angestrebte Stoff-
mengenkonzentration ã und einen dimensionslosen Korrekturfaktor, den Tter t, angegeben
werden.
c c t
c(Xl =ã(X) 'f(X) Gl. 4-11
mol.L-1 | mor.11 |
1
167
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
fr1,eq D2,"q
lnl Gt.4-12
=
lmot I
Die bei einer Maßanalyse umgesetzte Stoffmenge n(X) lässt sich berechnen, indem das ver-
brauchte Volumen an Maßlösung V(X) mit der Stoffmengenkonzentration c(X) multipliziertwird.
Obwohl der Verbrauch an Maßlösung in Milliliter abgelesen wird, wird er aus praktischen Grün-
den oft in Liter umgerechnet und in die weiteren Berechnunen mit einbezogen
n c
n(X) =c(X).V(X) Gl. 4.13
mol lmol .L-1 | L
Bei der Verwendung eines Titers wird die Gleichung entsprechend erweitert.
õ.,.tr.V.t=ë2.t2.V2 c t
G|.4.15
mol .L- 1 L
Dies gilt nur für Reaktionen. bei denen das stöchiometrische Verhältnis 1:'l ist. Für ungleiche
stöchiometrische Reaktionsverhältnisse, bei denen die Anzahl der wirksamen Teilchen Berück-
sichtigung findet, gibt es folgende drei Möglichkeiten:
1. Einsetzen der Äquivalentkonzentration c"o
c t
õr,.o, tr, vt = õ2,rq, t2, v2 G|.4.16
mol .L-1 1 L
3. Weiterhin erhält man durch Umstellen der Gleichung die Möglichkeit, die Stöchiometrie einer
Reaktion direkt aus der Reaktionsgleichung abzulesen und in die Formel einzutragen.
168
4.1 Volumetrische Analyse
Beispiel 4.5: Tterbestimmung einer Schwefelsäure mit ã(HrSOo) = 0,05 mol ' L-l
Für die Tterbestimmung einer Schwefelsäure mit õ(HrSOa) = 0,05 mol .L-1 wurden 0,02500 L
der Säure vorgelegt. Für die Neutralisation der Säure wurden 0,02450 L einer Natronlauge mit
õ(NaOH) = 0,1 moi ' L-1 und einem Titer von f (NaOH) = 1,0234 verbraucht.
Berechnen Sie den Tter t(HrSOo) der Schwefelsäure nach den Gleichungen 4.16,4.17 und 4.18.
H2SO4 (aq) + 2 NaOH (aq) --+ NarSOa (aq) + 2 HrO
Lösung:
ceq=c'zx c(;H2so4) =2'c(H2soa) =0,05mo1 L-1 .2=0,1mol L-1
c(+NaOH) = 1 ' c(NaOH) =0,1 mol L-1 '1 = O,1mol L-1
Durch Einsetzen der Äquivalentkonzentration c"o ergibt sich nach Gleichung 4.16:
õ(;H2SO4) . f(H2SO4) , y(H2SO4) = õ(f NaOH) . f(NaOH) . V(NaOH)
169
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
lst die Masse m(X) eines Stoffes zu bestimmen, kann die Stoffmenge n"o(X) ersetzt werden durch:
n"o(X) =
mlXl
Mlxt
z*
mol
n m lr"l lro. M I mol
Gl. 4.19
s 1
Für die maßanalytische Berechnung mit einer Maßlösung (ML) ergibt sich dann
m(X)
cML,"q VML' MlXl Z*ML c'lu . Vlvll_ ' MlXl
= Gl.4-21
z*lXl z*(X)
W Für viele maßanalytische Bestimmungen ist das Ergebnis dieser Berechnung in Bezug auf
1 mL Maßlösung als maßanalytische Aquivalentmasse Á(X) tabellarisch aufgeführt (Tabelle 1).
W
A(X)
crr.
"o
M(X) A c l'"1 M
G,- 4-22
rnl-t I t l-n
=
z*(X) mg' mL-1 lmmot . rnrnol
Die maßanalytische Äquivalentmasse Ä(X) gibt die Masse des gesuchten Stoffes an, die
der äquivalenten Stoffmenge in.. einem Milliliter der einBesetzten Maßlösung entspricht.
Die Einheit der maßanalytischen Aquivalentmasse ist g . L-r oder mg . mL-l.
Für Berechnungen mit der maßanalytischen Äquivalentmasse Ä(X) wir¿ das verbrauchte
Volumen an Maßlösung eingesetzt.
m A t
m(Xl = A(X) ' Vvt' t -1 Gt.4_23
s mg'mL mL 1
170
4.1 Volumetrische Analyse
Lösung:
Aus Gleichung 4.23 ergibt sich:
m(NaoH) = Á(ruaoH) . y(H2So4) = 4,000 mg . mL-1 .22,25 mL = 89,00 mg
ln 25,00 mL der Abwasserprobe sind 89,00 mg NaOH enthalten. Hieraus errechnet sich die
Massenkonzentration É(NaOH) nach:
'
É(NaoH) = ilf"9t,)
V(Probe)= 9'9!:999
0,02500 L
= 3,b60g.1-1
171
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
Das Herstellen einer Maßlösung aus Stoffen, die keine Urtitersubstanzen sind, kann durch Ein-
waage des Stoffes, Lösen und anschließende Titerbestimmung mit einer eingestellten Maß-
lösung oder gegen eine eingewogene und gelöste Urtitersubstanz erfolgen. Dies können z. B.
Stoffe mit einer nicht ausreichenden Reinheit (2. B. chemisch rein) oder aus konzentrierten
Lösungen. z. B. Säuren, hergestellte Verdünnungen sein.
r(Hct) = õ(Ko[).rlKoH)'V(KOH).2*(KoH)
õ(HCl) ' v(HCl) . 2"(HCl)
- 0,1000mo|.1-1 '1'0,025701.1= 1,0280
0,1 mot . L-l .O,OzSOO L. r
Maßlösungen werden erhalten durch den Kauf einer fertigen Maßlösung oder einer Konzen-
tratampulle, durch Einwaage e¡ner Urtitersubstanz oder durch Tterbestimmung gegen eine
gelöste U rtitersu bsta nz oder ein gestel lte M a ßl ösu n g.
c
ct' Vt t cz' V2 = c¡¡1' lV1 + V2l Gt.4-24
mol L-' I
L
Die zum Einstellen einer Maßlösung auf einen Tter von 1,000 einzusetzenden Volumina
lassen sich mit der stoffmengenbezogene Mischungsgleichung berechnen:
ct' V.t t cz. Vz = ct¡' (V.t + V2l
4.1.3 Titrationstechn¡ken
Bei einer Maßanalyse erfolgt die Ouantifizierung eines Stoffes in den meisten Fällen durch di-
rekte Zugabe der Maßlösung zur Probe. ln einigen Fällen ist dies jedoch nicht möglich, wenn
z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit zu gering ist oder der Stoff sich nur schlecht löst. ln manchen
Fällen kann dann eine Ouantifizierung mithilfe einer anderen Titrationstechnik erfolgen. Grund-
sätzlich wird zwischen einer direkten und einer indirekten Titration unterschieden.
Bei einer direkten ïtration wird der Analyt in der Probelösung unmittelbar mit der Maß-
lösung umgesetzt. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten:
. Für eine direkte ïtration wird die Probe vorgelegt und mit der Maßlösung titriert.
. Eine inverse ïtration erfolgt mit getauschten Lösungen. Die Maßlösung wird vorgelegt und
mit der Probelösung wird titriert (s. Beispiel 4.16, S. 185).
172
4.1 Volumetrische Analyse
.
I
,l
Tren n-
Stoff durch eine stöchiome- Fällung filtrat¡on ïtration
trisch ablaufende Reaktion
gezielt quantitativ umgesetzt
i'..,.1 o
N iedersch
und das Produkt durch Ïtra-
tion quantifiziert. Beispiels- Bitd 1: tndirekte Titration
weise kann Sulfat als Bari-
umsulfat gefällt werden. Nach Abfiltrieren und
Maß-
anschließendem Lösen wird das Barium ersatz- lösung (2)
.
weise titriert (Bild 1, s. Beispíel 4.22, S. 191).
Bei einer Substitutionstitration reagiert der E
zu bestimmende Stoff stöchiometrisch und
quantitativ mit einer zugegebenen Kom-
ponente unter Freisetzung eines anderen
Stoffes. Dieser ist dann durch Titration quan-
fl Maß-
lösung (1 )
Überschuss an
Maßlösung (1)
4.1.4 Säure-Base-ïtration
Die Säure-Base-Ttration dient der Ouantifizierung von Säuren oder Basen und beruht auf dem
Übergang von Protonen H* zwischen den Reaktionspartnern. Die Säure-Base-Titration wird auch
als Neutralisationstitration bezeichnet. Die durch Dissoziation in wässriger Lösung freigesetzten
Protonen einer Säure und die Hydroxid-lonen einer Base reagieren nach folgender Gleichung
miteinander:
H*A- (aq) + B*OH-(aq) S B*A-(aq) + HrO
Säure Base Salz Wasser
Diese Reaktion, bei der undissoziertes Wasser und ein dissoziertes Salz entsteht, wird als Neutra-
lisation bezeichnet. Die Titration einer Säure als Probelösung mit einer Base als Maßlösung wird
als Alkalimetrie, die Titration einer Base mit einer Säure als Maßlösung wird als Acidimetrie
bezeich net.
Die Säure-Base-Ttration beruht auf dem Übergang von Protonen H* zwischen den Reaktions-
partnern.
173
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
4
Bei der Titration einer schwachen Säure mit einer starken Base
p
bzw. einer schwachen Base mit einer starken Säure fällt der 2
4
Äqu ivalenz-
punkt
nem pH > 12 nicht zu erreichen. Die für die Aquivalenzpunkt- B¡Id 3 Potentiometrische Ïtra-
erkennung bei einer Säure-Base-Titration eingesetzten lndika- tion einer Phosphorsäure
toren sind schwache organische Säuren oder Basen. Die Farbe c(å H3POJ = 0,1 mol . L-1
dieser Stoffe ändert sich durch Protonierung bzw Deprotonie- mit einer Natronlauge
rung innerhalb eines bestimmten pH-Wert-Bereiches. c(NaOH) = 0,1 mol ' L-1
175
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse
Da die als lndikatoren eingesetzten Säuren und Basen ebenfalls Maßlösung umsetzen und da-
durch das Ergebnis verfälschen können, müssen diese möglichst sparsam eingesetzt werden.
Aufgrund des steilen Verlaufs derTitrationskurve bei derTitration starker Säuren mit starken Basen
und den dadurch bedingten schmalen Umschlagsbereich (Bild 2,5. 175) sind nicht nur lndikato-
ren mit einem Umschlagsbereich bei pH 7 geeignet, sondern mit einem zu tolerierenden Fehler
auch lndikatoren mit einem Umschlagsbereich der darunter oder darüber liegt (Bild 1). Dieser
Umschlagsbereich ist konzentrationsabhängig und liegt bei verwendeten Stoffmengenkonzen-
trationen Vofl c= 0,1 mol .L-' zwischen pH 4 und pH 10 und bei Stoffmengenkonzentrationen
von c = 0,01 mol . L-1 zwischen pH 5 und pH 9. Bei der Titration einer schwachen Säure mit einer
starken Base bzw. einer schwachen Base mit einer starken Säure ist jedoch durch den flachen
Verlauf der Titrationskurve und den dadurch breiten Umschlagsbereich ein lndikator zu wählen.
der in diesem Umschlagsbereich liegt (s. Bild 1 und 3. S. 175). Das bedeutet:
Schwache Säure mit starker Base: Ein lndikatot der im schwach alkalischen Bereich umschlägt.
Schwache Base mit starker Säure: Ein lndikator, der im schwach sauren Bereich umschlägt.
Die Titration einer mehrwertigen Säure bzw. Base (s. B¡ld 3, S. 175) erfolgt bis zum Äquivalenz-
punkt einer Dissoziationsstufe unter Berücksichtigung der Äquivalentzahl z*. Dabei wird ein
lndikator benutzt, dessen Umschlagsbereich im entsprechenden pH-Bereich liegt (Bild 1).
Thymolphthale¡n
-
farblos I blassrosa s blau: pH-Wert:9,3... 10... 10.5 f---il
Lösungl
Reaktionsgleich ung:
H2SO4 + 2 NaOH --+ Na2SOa + 2H2O
Der ïter t( H2SO4) der Schwefelsäure-Maßlösung mit õ(å H2SO4) = 0,1 mol ' L-1 beträgt 1,0144'
Lösung:
Reaktionsgleichung:
H2C2O4 + 2 NaOH --+ NazCzO+ + 2H2O
n(HrCrOal z*(H2C2Oal = n(NaOH) . z*(NaOH)
177
4 Volumetrische und gravimetrische Ana lyse
Oleum-Ttration
Oleum (lat. oleum: Öl), auch als rauchende Schwefelsäure bezeichnet, ist eine konzentrierte
Schwefelsäure mit gelöstem Schwefel(Vl)-oxid SO, in veränderlichen Konzentrationen. Konzen-
trationsangaben bei Oleum beziehen sich immer auf den Massenanteil an SO3 in Schwefelsäure.
Beispielsweise enthält oleum mit w(So3) = 30 % 30 g So, und 70 g HrSoa in 100 g Lösung.
Als Oleum wird eine Lösung von Schwefel(Vl)-oxid SO. in konzentrierter Schwefelsäure
bezeichnet.
Aus der Reaktionsgleichung SO3 + HrO --+ HzSO+ ist zu erkennen, dass das Reaktionsverhältnis
1:1 beträgt, d. h. für die Umsetzung eines SO.-Moleküls ist ein HrO-Molekül erforderlich.
178
4.1 Volumetrische Analyse
Entsprechend lässt sich die Masse von SO. im Oleum über die umgesetzte Masse Wasser berechnen:
ms""u.1(H2SOa) =
0,1 mol .L-1 ' l,ozl1 ' 0,02135 L' 1 98,08 g . mol-1
- 0,1069 g
2
179
4 Volumetrische und gravimetrische An alyse
Wird der aufgeführte Lösungsweg zusammengefasst ergibt sich nach Gleichung 4.25
| õ(NaOH) . f(NaOH) ' V(NaOH) M(H2SO4) _ rnEinwaase((Jleum) .M(SO3)
w(SOs) =
t ,
M(H2Ol rn.,n*uun"(Oleum)
4.1.5 Redoxtitration
Die Redoxtitration hat chemische Reaktionen zur Grundlage, die auf der Übertragung von Elek-
tronen e- beruhen. Diese werden als Oxidations- bzw. Reduktionsreaktionen bezeichnet. Die Re-
doxtitration wird auch als Oxidimetrie bezeichnet. Durch Redoxtitration können folge¡de Stoffe
quantifiziert werden: Eisen(ll)-lonen Fe2*, Kupfer(ll)-lonen Cu2*, Chrom(Vl)-lonen Cóo2-, BleiilV)-
lonen Pb"*, Oxalat-lonen C2O4'-, Wasserstoffperoxid H2O2, Nitrit-lonen NOr-, Sulfit-lonen SOr2-.
Der Begriff Redox ist zusammengesetzt aus den Begriffen Reduktion und Oxidation.
Oxidation: Die Abgabe von Elektronen Beispiel: Fe2* --+ Fe3* + e-
Reduktion: Die Aufnahme von Elektronen Beispiel: Cu2* + e- --+ Cu+
Eine Redoxreaktion besteht immer aus einer Reduktions- und Oxidationsreaktion.
Zwei Formen eines Stoffes, die sich durch die Anzahl der Elektronen unterscheiden, werden als
korrespondierendes Redoxpaar bezeich net.
Für eine Reduktion-Oxidationsreaktion, kurz Redoxreaktion, muss ein korrespondierendes
Redoxpaar vorhanden sein, von dem Elektronen abgegeben werden sowie ein Redoxpaar,
welches die Elektronen aufnimmt.
Die Redoxtitration beruht auf dem Übergang von Elektronen zwischen den Reaktionspartnern
Aquivalenzpunkterkennung
Eine Aquivalenzpunkterkennung kann mit Farb-
indikatoren oder potentiometrisch erfolgen. lndikato¡ Farbumschlag
go ¡n vott
Eine konduktometrische Äquivalenzpunktbe- bei pH 7
stimmung isr nicht möglich, da die Leitfähigkei- Neutralrot farblos - 0,29
ten der meisten Redoxpaare sehr ähnlich sind.
Eine Besonderheit ist eine Aquivalenzpunkt- Safranin farblos - 0,29
erkennung durch Eigenindikation, bei der ei-
nige in der Redoxtitration als Maßlösungen Methylenblau farblos 0,01
eingesetzten Stoffe in ihren unterschiedlichen
Diphenylamin farblos 0,76
Oxidationsstufen verschiedene Färbungen
besitzen. Beispielsweise hat eine Kaliumper-
Ferroin 1,06
manganat-Lösung KMnOo (aq) eine tiefviolette
Farbe, das bei einer Titration im sauren Medi-
um entstehende Mn2* ist jedoch farblos. Selbst ein geringer Überschuss an Kaliumpermanganat
(10-6 mol . L-1) ist am Äqúivalenzpunkt durch eine Rãsafä-rbung zu erkennen.
Bei der Titration mit einer Iod-Maßlösung findet ein Farbumschlag von braun/gelb (I2) zu farblos
(I-) statt. Dieser Farbumschlag ist jedoch nicht gut erkennbar. Durch Zugabe einiger Tiopfen einer
Stärke-Lösung kann aus der Braunfärbung der lod-Lösung eine tiefblaue Färbung erhalten wer-
den, wodurch der Farbumschlag bis zu einer Iodkonzentration von 10-5 mol . L-1 zu erkennen ist.
180
4.1 Volumetrische Analyse