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EUROPA-FACHBUCHREIHE
IJI für Chemieberufe

Fachwissen Chemie 2
Erweiterte Oualifikationen für Laborberufe

VERLAG EUROPA-LEHRMITTEL . Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG


Düsselberger Straße 23' 42781 Haan-Gruiten
Europa-Nr.: 69956
Autoren:
Dr. Henrik Althaus StR, Dipl. Chem. Stade
Peter Brackmann Betr. Ausbilder Chemielaboranten Bremen
Dr. Astrid Grote-Wolff Dipl.-Chem. Nottuln
Dr. Heinz Hug OSIR, Dipl.-Chem. Wiesbaden
Helmut Keim OStR, Dipl.-lng. Mülheim a. d. R.
Dr. Heribert Keweloh Priv.-Doz. Oberhausen
Prof. Dr. Peter Kurzweil Dipl.-Chem. Amberg
Dr. Thomas Meyer OStR, Dipl.-Chem. Holzminden

Unter Mitwirkung von Herrn Dr.-lng. Eckhard lgnatowitz, Waldbronn

Leitung des Arbeitskreises:


Dr. Thomas Meyer

Verlagslektorat:
Dr. Astrid Grote-Wolff

Bildbearbeitung:
G raf ische Produ ktionen Jü rgen Neu ma n n, 97 222 Rimpar
Zeichen bü ro des Verlags Eu ropa-Leh rm ittel, 73760 Ostfi ldern

Umschlaggestaltung:
Grafische Produktionen Jürgen Neumann, 97222 Rimpar,
nach dem Entwurf von Dr. Thomas Meyer

1. Auflage 2014
Druck 54321
Alle Drucke derselben Auflage sind parallel einsetzbar, da sie bis auf die Behebung von Druck-
fehlern untereinander unverändert sind.

lsBN 978-3-8085-6995-5

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb
der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

@ 2014 by Verlag Europa-Lehrmittel, Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG, 42781 Haan-Gruiten
http://www.eu ropa- eh rm itte Lde
I

Satz: G rafische Prod uktionen J ü rgen Neu ma nn, 97 222 Rimpar


Druck: M. P. Media-Print lnformationstechnologie, 33100 Paderborn
Vorwort
Mit der rasanten Entwicklung der Wissenschaft Chemie, der chemischen Analytik und der chemi-
schen Verfahrenstechnik geht die zunehmende fachliche SpezialÌsierung der Fachkräfte in Chemie-
laboratorien einher. Bereits während der Ausbildung findet eine Vertiefung der Kenntnisse auf
den im fachpraktischen Teil der Ausbildung relevanten wissensgebieten statt.

Das Lehrbuch ,,Fachwissen Chemie 2: Erweiterte Oualifikationen für Laborberufe" baut auf den
chemischen Grundlagen auf, die im ersten Band dieser Fachbuchreihe vermittelt wurden. Ab-
gestimmt auf den Rahmenlehrplan für die Ausbildung zum Chemielaboranten/zur Chemie-
laborantin sowie angelehnt an die Lehrpläne der höheren Berufsfachschule Chemie bzw. Chemie-
technik für die Ausbildung zum Chemisch-technischen Assistent/zur Chemisch-technischen
Assistentin werden die Oualifikationen der Fachstufe bis zum Teil 2 der gestreckten Ab-
schlussprüfung auf einem an der bundeseinheitlichen Prüfung der Chemielaboranten orien-
tierten Niveau vermittelt. Auch Schüler und Auszubildende añderer naturwissenschaftlicher
Bildungsgänge sowie Studierende an Hochschulen und Universitäten können mit diesem Buch
ihre im Studium zu erwerbenden Fachkenntnisse über ein fundiertes Grundwissen der Chemie
hinaus vertiefen.

Die fachlichen Schwerpunkte des Lehrwerks:

' Oualitätsmanagementsysteme, Oualitätswerkzeuge und mathematisch-statistische Verfah-


ren werden anhand anschaulicher Beispiele und unterstützt durch Grafiken erläutert.
' Auf der Basis der vermittelten grundlegenden Kenntnisse zur Probenahme, Probenbehandlung
und Probenvorbereitung wird der Leser dazu befähigt, sich anhand aktueller Publikationen das
fallspezifische Spezialwissen anzueignen.
' Volumetrische und gravimetrische Analyse sowie chromatografische Trenntechniken, wie GC
und HPLC, werden genauso behandelt wie die Grundlagen spektrometrischer Verfahren, wie
die Atomabsorptionsspektrometrie AAS und die Röntgenfluoreszenzanalyse RFA.
' Auf die systematische Darstellung von Reaktionsmechanismen der organischen Chemie
folgen die Strukturaufklärung organischer Verbindungen mithilfe der uvTvis-, lR-, 1H-NMR-
und 13C-NMR-spektroskopie sowie der Massenspektrometrie.
'Für die Probenahme in großtechnischen Prozessen unerlässlich sind Kenntnisse von
Produktionsprozessen, der Darstellung von Produktionsanlagen in Rl-Fließbildern sowie der
Funktionsweise und Eigenschaften der verschiedenen Anlagenbestandteile.
' lm Kapitel Werkstofftechnik erhält der Leser einen Überblick über Werkstoffarten, moderne
werkstoffprüfverfahren sowie über rheologische Bestimmungen in der praxis.
' Grundlegende Kenntnisse zur Elektrochemie und Elektrotechnik werden schrittweise darge-
stellt. Hierauf aufbauend werden elektrochemische Vorgänge im großtechnischen Prozess, wie
Galvanik und Elektrolyse, sowie die elektrochemischen Analyseverfahren verständlich gemacht.
' Das Kapitel zur Biotechnologie ermöglicht auf der Basis der biologischen Grundlagen einen
Einblick in die modernen Methoden der Mikrobiologie und Biotechnik.
Das Buch ist sowohl als den Unterricht begleitendes Werk als auch zum Selbststudium geeig-
net. Das Verständnis der dargestellten lnhalte wird durch die reichhaltige Bebilderung gefördert,
Während der Ausbildung, zur Prüfungsvorbereitung und nach der Ausbildung kann dãJBuch als
wertvoller, umfangreicher Wissensspeicher genutzt werden. Eine Auswahl der genannten Stoffe
ist mit ihrer Gefahrstoffkennzeichnung nach GHS im Anhang aufgeführt.
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir viel Freude und Erfolg beim Erlernen und Er-
forschen der erweiterten Oualifikationen für Laborberufe. Hinweise und Ergänzungen, die zur
Verbesserung und Weiterentwicklung des Buches beitragen, werden unter der Veriagsadresse
oder per E-Mail (lektorat@europa-lehrmittel.de) dankbar entgegengenommen.
Sommer 2014 Autoren und Verlag
3
ln haltsverzeichnis

1.1 Oualität 11
1.2
1.3 Fehler 16
1.4
1.4.1 Oual itätskontrolle OK u nd Oualitätssicheru ng OS................ ..........19
1.4.2 Oualitätsmanagement OM....,.,.................. 20
1.4.3 Totales Oualitätsmanagement TOM.......... 26
1.4.4 Gute Laborpraxis GLP ...28
1.4.5 G ood M a n ufactu ri n g P ractice G M P.............

1.4.6 CE-Kennzeichnu n9.......... 30


1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und Uberwachung von Oualität.32
1.5.1 32
1.5.2 Arithmetisches Mittel ,[ 33
1.5.3 Varianz d und Standardabweichung s .....,.,......,.... 34
1.5.4 Va riationskoeffizient v ................... 38
1.5.5 Spannweite R............ 39
1.6 07 - Werkzeuge der Oualität....... 39
1.6,1 Fehlersammelliste 40
1.6.2 Oua itätsregel ka rte....,.....
I 41
1.6.3 Histogramm 44
1.6.4 Korrelationsdiagramm ..... 45
1.6.5 Pa reto-Diagra m m............ 46
1.6.6 47
1.6.7 Ursache-Wi rkungs-Diagr4mm ....,........... 49
1.7 Fehlermöglichkeits- und Fehlereinf luss-4na|yse................. 50
1.8 Validierung 52
Aufgaben zu Kapitel 1 56

2.1
2.2 Probenahme 59
2.2.1 Ort und Zeit der Probenahme, Festlegung der Grundgesamtheit...... .,......60
2.2.2 Probenahmeverfahren bei Ortsabhängigkeit der Parameter......,.................................... 61
2.2.3 Probena h meverfah ren bei Zeita bhän g g keit der Para meter..
i 62
2.2.4 Probena megeräte fü r Feststoffe............,......
h 63
2.2.5 Probenahmegeräte für Fl üssigkeiten .............. 64
2.2.6 Probenahmegeräte für Gase 65
2.2.7 Probenmen9e................... 67
2.2.8 Proben gefä ße...,.,............. 69
2.3 Messungen vor Ort 70
2.4 Probenkonservierung und -transport 71
2.5 Probenahmeprotokoll 72
2.6 Probenvorbereitung .. 73
2.6.1 Homogenisierung, Probenverjüngung und Probenteilung....... 74
2.6.2 Lösen der festen Analysenprobe 77
2.6.3 Abtrennen von Analyt und Störsubstanzen 79
4
ln haltsverzeich n is

2.6.4 Einstellen einer geeigneten Analytkonzentration .. 80


2.7 Externe Kalibrierung und Messung 81
2.8 Auswertung, Dokumentation und Oualitätssicherung 82
Aufgaben zu Kapitel 2........ 82

3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen................. 83


3.1.1 Struktur der Alkene... 83
3.1.2 Reaktionen der Alkene.-...... 84
3.1.3 Reaktionen der Alkine.,.. 92
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen................. 94
3.2.1 Struktur des Benzols und Aromatizität ....................... 94
3.2.2 Elektrophile aromatische Substitution und Folgereaktionen........ 96
3.2.3 Zweit- und Mehrfachsubstitution 103
3.2.4 Reaktionen von Diazoniumverbindungen ... 109
3.2.5 Nucleophile aromatische Substitution .............. 112
3.3 Substitution und Eliminierung 113
3.3,1 Substitutionsreaktionen der Halogenalkane ....114
3.3.2 Eliminierungsreaktionen der Halogenalkane .................121
3.3.3 Substitutionsreaktionen der Alkohole
3.3.4 Eliminierungsreaktionen von Alkoholen. 124
3.3,5
3.3.6 Reaktionen der Amine...
3.3.7 Reaktionen der Ether und Oxirane (Epoxide) .................127
3.4.
3.4.1 Reaktionen der Carbonsäuren und deren Derivate,.,.... .......129
3.4.2 Reaktionen der Aldehyde und Ketone .......137
3.5 Stereochemie organischer Stoffe 144
3.5.1 Asymmetrisch substituierte Kohlenstoffatome........ ............. 145
3.5.2 Optische Aktivität....... 146
3.5.3 Verbindungen mit mehreren chiralen Zentren 147
3.6 Makromoleküle 149
3.6.1 Natürliche Makromolekü1e...... .......150
3.6.2 Synthetische Makromoleküle . 151
3.6.3 Synthetisch verä nderte Natu rstoffe .............. 1 56
Aufgaben zu Kapitel 3 ...,.............. 158

4.1 Volumetrische Analyse 161


4.1.1 Äquivalenzpu nkterkennung ............ 162
4.1.2 Maßlösun9en .,................ 165
4.1.3 Ïtrationstech n iken 172
4.1.4 Säure-Base-Ttration 173
4.1.5 Redoxtitration 180
4.1.6 Komplexometrische Ttration ......... 187
4.1.7 Fällungstitration .............. 191
4.1.8 Spezielle ïtrationen 195
5
ln haltsverzeichnis

4.2 Gravimetrische Analyse.. 203


4.2.1 G ravimetrische Fäl lungsa nalyse 203
4.2.2 Feuchtigkeits- u nd Trockengehalt, G lüh rückstand 206
4.2.3 Thermog ravimetrie......... 207
4.2.4 Elektrogravimetrie ............... 208
Aufgaben zu Kapitel 4.................. 209

21n
5.1 Gaschromatografie GC........... 211
5.1 .1 Trägergase.. 211
5.1.2 Probenaufgabe................. 214
5.1.3 I njektionssysteme .............. 216
5.1.4 Säulenofen und Säulen 218
4.1.5 Detektoren 224
5.1.6 Fehlersuche und Optimierung ............. 229
5.2 Hochleistun gs-Flüssigkeits-Chromatografie HPLC. 231
5.2.1 El uentenförderun9........... 231
5.2.2 I njektionssystem .............. 233
5.2.3 Säulen und TrennunS.................. 234
5.2.4 Detektion.. 238
5.2.5 Feh lersuche 240
5,3 Spezielle chromatografische Methoden... 241
5.3.1 lonench romatografie 241
5.3.2 Elektrophorese ................. 244
Aufgaben zu Kapitel 5 .................. 246

tTn¡r! kfirt'llGmEIEEI
6,1 Grundgrößen der Wellenlehre..
-+il1 Ouantenprinzip und Energie......,...
6.2
6.3 Spektrenarten
6.4 Aufbau von Spektralapparaten
6.4.1 Signalauftren nu ng
6.4.2 Detektìon und Auswertung ..............
6.5 Bo u g u er- La m bert- B ee r-Geset2.........
6.6 Atomabsorptionsspektrometrie (AAS)...,.,..........
6.6.1 Aufbau eines Atomabsorptionsspektrometers
6.6.2 Strahlungsquellen.............
6.6.3 AtomisierunS...................
6.6.4 Störungen der Atomabsorptionsmessung.,....,.,.,.
6.6.5 AAS-Ouantifizieru ng mittels Standardadditionsverfah ren .

6.7 Plasma-Emissionsspektrometrie..,.......
6.7.1
6.7.2 Polychromatoren in der Plasma-Emissionsspektroskopie..
6.7.3 Vergleich von AAS und ICP-OES
6.8 Röntgenf luoreszenzanalyse (RFA)

6
lnhaltsverzeich nis

7.1 Organisch-analytische Vorproben... 275


7.2 Elementaranalyse und Molmassenbestimmung......... 278
7.3 UV/Vis-Spektroskopie .............................. 280
7.3.1 Anregung von Elektronen in Molekülen .......,............... 280
7.3.2 UV//is-Spektrometer...... 282
7.3.3 Absorptionsspektroskopie an Molekülen ............... 284
7.3.4 Anwendu ngen der UV/r'is-Spektroskopie 286
7.4 Infrarot-Spektroskopie (lRl 290
7.4.1 Molekülschwingungen und Rotationen ..,.............. 290
7.4.2 Angewandte I R-Spektroskopie ... 291
7.4.3 Auswertung von lR-Spektren.....,.,........ 293
7.4.4 Nahinfrarot-Spektroskopie (NlR) in der Anwendungspraxis 299
7.4.5 Æaman-Spektroskopie 300
7.5 Massenspektrometrie (MS) 301
7.5.1 Molekülpeaks und Fragmente ............. 301
7.5.2 Auswertu ng von Massenspektren........ 304
7.6 Kernspinresonanz-Spektroskopie (NMR) 309
7.6.1 Kernspin und NMR-Signale ... 309
7.6.2 Auswertu ng von H-N MR-Spektren
1
310
7.6.3 Auswertung von 13C-N M R-Spektren 314
7.6.4 Spezielle MR-Techniken in der Anwendu ngspraxis..
N 316
7.7 Strukturaufklärung mit kombinierten Methoden............... 318
7.7.1 Aromastoff.. 318
7.7.2 Weckamin..... 320
7.7.3 321
Aufgaben zu Kapitel 7 322

8.1 Vom Labormaßstab zum chemischen Produktionsprozess 323


8.2 Darstellung eines chemischen Produktionsprozesses 323
8.2.1 Grundfließbild .............324
8.2.2 Rl-Fließbild 324
8.2.3 Rl-Fließbild einer Umkristallisation ,..................326
8.3 Komponenten einer chemischen Produktionsanlage ..........328
8.4 Rohrleitungen .................. .............. 329
8.4.1 Nennweite DN ..................... .......329
8.4.2 Nenndruck PN ................ 329
8.4.3 Kennzeichnung von Rohrleitungen..... 330
8.5 Armaturen .........330
8.5.1 Absperrarmaturen ........... ........................ 331
8.5.2 Sicherheitsarmatu ren
8.5.3 Armaturen mit anderen Aufgaben .........333
8.6
8.6.1 Fördern von Flüssi9keiten.................. 334
8.6.2 Zentrifugalpumpen 334
7
ln haltsverzeichnis

8.6.3 Verd rän gerpu m pen......... 336


8.6.4 Strahlpumpen 338
8.6.5 Fördern und Verdichten von Gasen, Erzeugung von Unterdruck.,............. 338
8.6.6 Fördern von Feststoffen .................. 340
8.7 Zerkleinern von Feststoffen................. 341
8.7.1 Brecher 341
8.7.2 Mühlen,..... 342
8.8 344
8.8.1 Rührbehälter...................... 344
8.8.2 Reaktoren....... 345
8.9
8.9.1
8.9.2 Heizen und Kühlen von Rührbehä|tern................-
8.9.3 Wärmeaustauscher und Kondensatoren ,.........350
8.10 Thermisches Trennen ....................352
8.10.1 Trocknen ........ 352
8.10.2 Verdampfen... 354
8.10.3 Krista I I isieren..............,.,.. 354
8.11 Mechanisches Trennen.... 355
8.1 1.1 Trennen von Feststoffgemischen 355
8.11.2 Trennen von Suspensionen 357
8.1 1.3 Trennen von Emulsionen ........................ 361
8.12 Prozessleittechnik............ 362
8.12.1 Aufbau eines Prozessleitsystems (PLS) ...... 362
8.12.2 Messtechnik 364
8.12.3 Steueru n gstech nik.......... 374
8.12.4 Regelungstechnik...................... 378
Aufgaben zu Kapitel 8......... 381

9.1 Einteilung, Aufbau und Eigenschaften der Werkstoffe 383


9.1.1 Al gemei ne Werkstoffei genschaften
I 383
9.1.2 Polymerwerkstoffe 384
9.1.3 Gläser........... 385
9.1.4 Keramiken.., 385
9.1.5 Verformung der Metalle ...... 386
9.1.6 Gitterdefekte und Gefüge. 386
9.1.7 Legierungen 387
9.2 Zustandsschaubilder 387
9.2.1 Gibbssche Phasenregel 387
9.2.2 Binäre Systeme...... 388
9.2.3 E ise n- Ko h Ie n stoff- Le g ieru n ge n ............ 391
9.2.4 Legierte Stähle.... 394
9.3 Werkstoffprüfung 395
9.3.1 Mech an ische We rkstoff p rüf un 9................... 396
8
ln haltsverzeich n is

9.3.2 Zerstö ru ngsf reie Werkstoff prüf u n9.............. ...,.400


9.3.3 M eta I o g raf i e u n d Ätzve rfa h re n ...,....,....
I .....403
9.3.4 Chemisch-physikalische Analyseverfah ren,............ .................... 406
9.4
9.4.1
9.4.2 Erscheinungsformen der Korrosion ............. 407
9.4,3 Korrosionssch utz 408
9.4.4 Korrosionsbestä nd ge Werkstoffe
i 409
9.5 Rheofogische Bestimmungen in der Praxis .....411
Aufgaben zu Kapitel 9................,.

10.1
10.1.1 Elektrische Ladung O.................. .....413
10.1.2 Elektrische Spannung U,.,.... 415
10.1.3 Elektrischer Strom 1..,.,... 416
10.1.4 Elektrischer Widerstand R...........,.......... 420
10.2 Stromkreis.. 423
10.2.1 423
10.2.2 Messung von Spannung U und Strom 1 423
10.2.3 Reihenschaltung ........,..... 425
10.2.4 Parallelschaltung...................... 427
10.2.5 Brückenschaltu ng 429
10.2.6 Gleich richtu ng 431
10.2.7 Bauelemente ....432
10.3
10.3.1 D a n ie I l-Element...,.................. 439
10.3.2 Elektrodenvorgänge 441
10.3.3 Standardpotentiale und Elektrochemische Spannungsreihe...................... 442
10.3.4 Bezugselektroden............. 446
10.3.5 Nernsf-G leich u n9............ 448
10.4 Galvanische Elemente..... 451
10.4.1 452
10.4.2 Sekundäre1emente............... 453
10,4.3 Bren nstoffzellen 454
10.5 Elektrolyse 455
10.5.1 Prinzipieller 4b1auf.......... 455
10.5.2 Abscheidungspotentiale und Zersetzungsspannung .. 456
10.5.3 Fa raday-Gesetze....... 458
10.6 Großtechnische Anwendungen 461
10.6,1 Ch Ior-Al ka I i-Elektrolyse 461
10.6.2 Ku pfer-Raff i natio n..,......... 463
10.6.3 Alumi nium-Darstell u ng 464
10.7 Korrosion 464
9
ln haltsverzeichnis

10.8 Elektrochemische Analyseverfahren ... 466


10.8.1 Konduktometrie ............... 466
10.8.2 Potentiometrie................. 467
10.8.3 Am perometrie.................. 470
10.8.4 Voltam metrie................... 472
10.8.5 Pola rografie 474
10.8.6 Coulometrie 474
10.8.7 Elektrog ravimetrie ............. 475
Aufgaben zu Kapitel 1 0 ......................... 476

ztrn
11.1 BiologischeGrundlagen..
11.1.1 Lebewesen und Eigenschaften lebender Systeme....
1 1.1.2 Biologische Stoffklassen

1 1.1.3 Biologische Grundstrukturen und -funktionen

11.1.4 Zellen der Prokaryonten


11.1.5 Zellen der Eukaryonten
1 1.1.6 Biologische Membranen

11.1.7 Viren............
11.1.8 Gene als Träger der Erbinformationen............
1 1.1.9 Proteinbiosynthese...................

1 1.1.10 Stoffwechsel und Energieumwandlung

11.2.1 Einordnung und Eigenschaften von Mikroorganismen


11.2.2 Bedeutung der Mikroorganismen für den Menschen...
11.2.3 Wachstum und Vermehrung von Mikroorganismen.... 514
1 1.2.4 W achstumsvoraussetzungen für Mikroorgan ismen ..... 516
11.3 Mikrobiologische und biotechnische Methoden... 520
1 1.3.1 Steriles Arbeiten und Sicherheitsvorkehrungen......... 520
11.3.2 Steril isationstech niken 522
11.3.3 Kultivierung von Mikroorganismen 525
11.3.4 Keimzahlbestimmungen und Wachstumsmessungen 530
11.3.5 Mikroskopische Methoden 532
Aufgaben zu Kapitel 11 ................. 537

4E@ FFEI
A Liste ausgewählter Gefah rstoffe ...................
B Rl-Fließbildsymbole nach DIN EN ISO 10628-2:2013-5
und Kennbuchstaben nach DIN 28000-3:2009-12............
Sachwo rtve rzeich n is........
Bildquellenverzeichnis....
Das Periodensystem der Elemente .................. U msch lagin nenseiten

10
1.1 Oualität

I Oualität und Oual e


Betriebl¡che Abläufe werden von einzuhal-
tenden Vorgaben, Oualitätsdenken oder um-
fassendem Oualitätsmanagement begleitet. Totales
Oualität ist heute überall ein wichtiger Punkt, Oualitäts-
über den immer wieder gesprochen wird. Oualitäts- management
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass management
gute Oualität den Erfolg eines Unternehmens
bestimmt. Hierbei steht nicht nur die Oualität Oualitäts-
der Produkte des Unternehmens im Fokus der sicherung
Oualitätsgedanken, auch betriebsinterne Ab- Oualitäts-
läufe können qualitativ gut sein und auf diese kontrolle
Weise einen betriebswirtschaftlichen Vorteil TOM
erbringen.
1900 1930 Z"itu.h."* 2000
ln allen diesen Überlegungen ist der Begriff Oualität Prozess-
Prozess-
Umfassendes
Oualität enthalten. Er besitzt jedoch in jedem durch verbes- stabi l¡tät
Oualitäts-
und Kunden-
Fall eine andere Bedeutung bzw. unterschied- Prüfen serung prinzip
orientieru ng Null-Fehler-
liche Ausprägung.
Philosophie

lm Laufe der historischen Entwicklung hat si.ch Bild 1: Entwicklungsstufen von der Oualitäts-
das Oualitätsdenken verändert und weiter ent- kontolle zum Total Auafity Management
wickelt. Angefangen bei der Oualitätskontrol-
le (OK) bzw Oualitätsprüfung und schließlich
der Oualitätssicherung (OS), existiert heute in Qualität ist, wenn der
Unternehmen meist ein Oualitätsmanagement Kunde zurückkommt
(OM) oder sogar ein Total Auafity Management und n¡cht das'irôdukt.
(TOM), ein umfassendes 0,ualitätsmanage-
ment (Bild 1).

Der Bereich Oualität und Oualitätssysteme ist


sehr komplex. Daher erfolgt die Einführung in
diese Thematik schrittweise mit internen Ver-
weisen zu weiterfrihrenden Kapiteln, um das
Vertiefen der Kapitelinhalte zu erleichtern.
ffi
1.1 Oualität ølgnung'

Oualität wird in den meisten Fällen unter-


schiedlich verstanden. lm Alltag sprechen wir
von einer guten Oualität, wenn etwas genau
die Eigenschaften besitzt, die wir schätzen.
Jeder Hersteller wird beispielsweise von der Bild2: BeschreibungenfürOualität
Oualität seines Produkts überzeugt sein. Seine
Kunden werden die Oualität gegebenenfalls vollkommen unterschiedlich beurteilen. Deshalb
hängt Oualität mit der Sichtweise oder dem Standpunkt des Beurteilenden zusammen (Bild 2).
Der Begriff Oualität stammt vom lateinischen Wort qualitas ab und bedeutet Merkmal, Eigen-
schaft oder Beschaffenheit. Der eigentliche Begriff Oualität gibt die Eigenschaften eines Stoffs, ei-
nes Stoffsystems (Stoffgemisch), eines Prozesses oder beispielsweise auch einer Dienstleistung
wieder. Oualität ist damit das Gegenstück zur Ouantität (laL. quantitas: Größe, Anzahl, Menge).

Oualität gibt die Eigenschaften e¡nes Stoffes, Systems, Prozesses oder einer Dienstleistung an
Ouantität bezeichnet die Menge oder Anzahl von Stoffen, Objekten oder Vorgängen.

11
1 Oualität und Oualitätssysteme

Werden die Oualitätseigenschaften gewichtet bzw. gewertet, wird die Oualität beurteilt. Die Güte
der Eigenschaften hängt von den Kriterien ab, nach denen die Oualität von einem Betrachter als gut,
mäßig oder schlecht eingestuft wird. Diese Einstufungen geben den Erfüllungsgrad der Güte wieder.
Anwendungsbeispiel zur Beurteilung von Oualität: Die neutrale Beschreibung eines Stoff-
systems kann qualitativ über die verschiedenen enthaltenen Moleküle geschehen. Die qualitative
Beschreibung kann durch quantitative Angaben ergänzt sein. Enthält beispielsweise ein Wein
12,5 Volumenprozent Ethanol,0,53 g . L-' Methanol ,1,20 g.L-'Weinsäure,20 g. L-' Glucose und
53,4 mg . L-' Catechin, erfolgt anhand bestimmter Merkmale eine bewertende Beschreibung die-
ses Stoffsystems durch Vergabe von Auszeichnungen. Die Oualität des Weines kann hiernach
nach dem Restzuckergehalt als trocken, halbtrocken, lieblich oder süß bezeichnet werden. Nach
anderen gesetzten Kriterien erhält der Wein für die Güte die Auszeichnung als Oualitätswein,
Landwein oder Tafelwein bzw. als Prädikatswein wie Kabinett oder Auslese.
Bei der Beschreibung eines Prozesses oder einer Dienstleistung ist es ebenfalls möglich, nur den
Ablauf festzuhalten. Diese qualitative Beschreibung enthält die einzelnen Prozess- bzw. Ablauf-
schritte. Die bewertende Oualitätsbeschreibung von Prozessen oder Dienstleistungen besteht
aus Begrifflichkeiten wie ,,schonender Prozess" oder ,,hervorragende Maßarbeit".

Die neutrale Bedeutung von Oualität beschreibt die Summe aller Eigenschaften eines Stoffs,
eines Systems, eines Prozesses oder einer Dienstleistung.
Bei einer bewerteten Bedeutung von Oualität wird von der Güte der Eigenschaften gespro-
chen. Die Einstufung in gute oder schlechte Oualität hängt von den gesetzten Kriterien und
deren Erfüllungsgrad ab.

lm Jahr 1984 versuchte der US-amerikanische Forscher David A. Garvin den Begriff Oualität zu
klassifizieren. Oualität kann hiernach aus fünf verschiedenen Blickrichtungen gesehen werden:
. Subjektiver Ansatz oder transzendenter Ansatz: Oualität ist ein Synonym für Hochwertigkeit,
bei der die Eigenschaften von einer Person als besonders bzw. einzigartig verstanden und ent-
sprechend subjektiv eingeordnet werden. Da subjektive Einschätzungen nicht messbar sind,
eignet sich dieser Ansatz nicht für die betriebliche Anwendung.
. Produktbezogener Ansatz: Die Oualität eines Produktes wird nach allgemein festgelegten, ob-
jektiven Anforderungen festgelegt. Der Erfüllungsgrad für diese Anforderungen bestimmt die
Oualität. lst beispielsweise eine Anforderung an ein chemisches Produkt seine Reinheit, bedeu-
tet eine höhere Reinheit eine höhere Produktqualität. Meist steigt allerdings mit der Reinheit
auch der Preis des Produkts. Daher ist der produktbezogene Ansatz differenziert zu betrachten.
. Kundenbezogener Ansatz: Oualität wird aus der Sicht des Kunden oder des Produktanwenders
gesehen. Die wirklichen Kundenwünsche und Anforderungen müssen hierzu genau bekannt
sein. Werden alle Kundenanforderungen und Erwartungen realisiert, ist die Oualität hoch. Feh-
len hingegen Produkteigenschaften bzw. sind diese aus Sicht des Kunden nur ungenügend
umgesetzt, sinkt die Oualität des Produkts. Produkteigenschaften, die aus Kundensicht nicht
erforderlich sind, verbessern aus Sicht des Kunden die Produktqualität nicht.
. Prozessbezogener Ansatz: Die Beurteilung von Oualität erfolgt über die Einhaltung von festge-
legten Grenzwerten oder Normen in der Fertigung bzw. im Prozessablauf. Alle Abweichungen
oder Fehler im Prozessablauf mindern die Oualität.
. Wertbezogener Ansatz: Der Preis eines Produkts wird mit der Leistung ins Verhältnis gesetzt.
Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis entspricht einer hohen Oualität. Voraussetzung hierfür ist,
dass die Leistung des Produkts eine Eigenschaft ist, die für den Kunden relevant ist und für die
der Kunde einen Nutzen erkennt.
ln einem Unternehmen wird jeder Unternehmensbereich seinen passenden Ansatz für Oualität
wählen. lm Bereich der Produktion wird der prozessbezogene Ansatz dominieren, während sich
im Marketing der produktbezogene und im Verkauf der kundenbezogene Ansatz durchsetzen.
12
1.1 Oualität

lm chemischen Labor spielen abhängig von der Ausrichtung unterschiedliche Ansätze eine Rolle.
Einerseits sind bei der Untersuchung von Produkteigenschaften die Kundenanforderungen maß-
gebend, andererseits geben gesetzliche Anforderungen und Vorschriften beim Produkt als auch
beim Produktionsverfahren die Rahmenbedingungen vor. Somit werden sowohl der prozess-
bezogene als auch der produktbezogene Ansatz verfolgt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass
sich die verschiedenen Sichtweisen nicht streng voneinandertrennen lassen.
Normen
Die Definitionen für den Begriff Oualität haben sich auch in den Vorgaben, den so genannten
Normen, verändert und entwickelt, Normen (laï. norma, Maßstab, Regel, Vorschrift; engl, sfan-
dardl definieren Standards. Hierbei besitzen Normen den Charakter von Empfehlungen, deren
Beachtung und Anwendung freigestellt ist. Eine sehr bekannte Norm aus dem Alltag ist die tech-
nische Norm DIN EN ISO 216,in der Papierformate wie DIN A4 mit der Größe 210 mm x297 mm
festgelegt sind.
Das Einhalten der in den Normen festgelegten Regelungen bzw. Leitlinien für Verfahren oder
Erzeugnisse erleichtert sowohl national als auch international die Zusammenarbeit. lm Gegen-
satz zu Gesetzen oder Verordnungen besitzen Normen keine rechtliche Verbindlichkeit (s. Band 1.
Kap. 11). Sie können nur durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Verein-
barungen verbindlich werden.

Normen besitzen keine rechtliche Verbindlichkeit wie Gesetze oder Verordnungen. Durch
Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Vereinbarungen kann eine Norm ver-
bindlich werden.

Normen legen nicht konkret fest, wie und mit welchen Prüfverfahren ein Produkt zu testen ist. Sie
lassen Freiheiten in der betrieblichen Ausgestaltung und Anpassung an individuelle Gegebenhei-
ten. Die Anwender der Normen müssen selbst das spezielle Fachwissen zum Produkt und den
Prüfverfahren besitzen und den Stand der Technik umsetzen. Der Stand der Technik gibt die tech-
nischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt basierend auf gesicherten Erkenntnissen an.

Der Stand der Technik ist ein feststehender Terminus für die technischen Möglichkeiten zu
einem bestimmten Zeitpunkt.

Eine Norm enthält in ihrem Eingangsteil Begriffsdefinitionen. Der Begriff Oualität ist beispiels-
weise in einer Norm der Normenreihe DIN 55350 festgelegt. Die Bezeichnung der Norm zeigt, dass
diese Norm vom Deutschen lnstitut für Normung e. V (DlN) erstellt worden ist und damit für den
Bereich der Bundesrepublik Deutschland gilt, Nach dieser Norm ist Oualität die ,,Beschaffenheit
einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen."
lm Hauptteil einer Norm werden die eigentlichen Regeln und Festlegungen zu Eigenschaften von
Stoffen, Geräten, Bauteilen, Prozessen und Verfahren als Standard bestimmt.

Oualität nach DIN 55350 ist die ,,Beschaffenheit einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, fest-
gelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen."

Eine Verfahrensnorm zum Oualitätsmanage- Europäische Norm


ment ist die Norm DIN EN ISO 9000:2005. Die- Deutsches lnstitut lnternational Organization
se Norm mit der Nummer 9000 und der Neue- für Normu for Standardization
(griech.: rsos, gleich)
rung aus dem Jahr 2005 ist eine europäische
Norm (EN), die von einem nationalen lnstitut
für Normung - in diesem Fall vom Deutschen DTIÑIãNIFI.-EI'III'-FIIÈ
lnstitut für Normung e. V (DlN) - übernommen Nummer der Norm Jahr der Neuerung
worden ist (Bild 1). Der Bezeichnung EN ist da-
her die länderspezifische Bezeichnung voran- Bild 1: Bezeichnung einer Norm am Beispiel der Ver-
gestellt. fahrensnorm f ür Oualitätsmanagementsysteme
13
1 Oualität und Oualitätssysteme

Die Nummer der europäischen Norm bleibt bei


der Ubernahme in die nationale Norm üblicher-
weise erhalten. Abkürzungen von verschiede-
D¡N Deutsches lnstitut für Normung e. V
nen Normenorganisat¡onen enthält Tabelle L
Au stri a n Stan da rds /nstifufe (ASl);
Die Abkürzung ISO in der Normenbezeichnung ehemals:
Öruonnn
stammt vom griechischen Wort ¡sos (gleich) ab Österreichisches Normu ngsinstitut
und zeigt an, dass die lnternationale Organisa-
tion für Normung (engl. International Organiza- SN Schweizerische Normen-Verei n ig u ng
tion for Standardization, ISO) als internationa- EN Europäische Norm
le Vereinigung von Normungsorganisationen
diese Norm als internationale Norm erarbeitet rnatio na I O rg a ni zatí o n fo r
I nte
rso
und übernommen hat. Sta nda rdizati on,' griech. r'sos, gleich

Die ISO bildet zusammen mit der lnternationa- wsc Wo rld Sta nda rds Coo pe ratio n
len Elektrotechnischen Kommission (lEC) für
die Bereiche Elektrik und Elektronik sowie der International Telecommunication lJnion (lTUl lür
den Bereich Telekommunikation die World Standards Cooperation (WSC).
Die Verfahrensnorm für Oualitätsmanagementsysteme DIN EN ISO 9000:2005 ist Teil der Nor-
menreihe DIN EN ISO 9000 ff. Zu dieser Normenreihe gehören die Normen 9000, 9001 und 9004.
Die Normen 9002 und 9003 sind nach mehreren Überarbeitungen der gesamten Normenreihe
nicht mehr existent.
Die Norm DIN EN ISO 9000 definiert Grundlagen und Begrifflichkeiten. Oualität ist hiernach der
,,Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt."
Die Bezeichnung ,,Satz inhärenter Merkmale" meint alle Merkmale, die einem Produkt innewoh-
nen, also zu den eigentlichen Eigenschaften eines Produkts zählen. lnhärente Merkmale sind
objektiv messbar und können z. B. die Länge, Breite, Masse, Siedetemperatur und Farbe eines
Stoffes sowie seine chemischen Eigenschaften, wie Toxizität oder Brennbarkeit sein. lm Gegen-
satz hierzu stehen die nicht-inhärenten Merkmale (zugeordnete Merkmale), wie beispielsweise
der Preis oder die Herstellungskosten.

lnhärente Merkmale sind die einem Produkt innewohnenden Eigenschaften, die die Be-
schaffenheit einer Einheit ausmachen. Sie stellen ein ständiges Merkmal dieser Einheit dar.

Die Wendung ,,Anforderungen erfüllen" bedeutet, dass rechtliche Forderungen an ein Produkt
sowie die erwarteten Eigenschaften eines Kunden erfüllt werden. Die Anforderungen sind in
diesen Fällen explizit definiert. Ein Kunde kann beispielsweise an eine Thermoskanne die Anfor-
derung stellen, dass der eingefüllte Tee mit einer Temperatur von 80 "C nach fünf Stunden noch
mindestens 50 "C heiß ist.
Handelt es sich bei den Kundenanforderungen um eingeschlossene Erwartungen, die aber nicht
ausgesprochen werden, wird dies als implizit definierte Anforderung bezeichnet, Diese Anforde-
rungen setzt der Kunde als feste Erwartungen voraus. Ganz offensichtlich ist, dass beispielsweise
ein Becherglas einen Boden ohne Loch besitzt, sodass dieses Glas Flüssigkeiten aufnehmen kann.

lmplizit definierte Anforderungen an ein Produkt sind nicht ausgesprochene Erwartungen,


die vom Kunden als feste Erwartungen vorausgesetzt werden.

Produkte können weitere Merkmale besitzen, die vom Kunden nicht gewünscht sind. Hierdurch
wird die Produktqualität nicht unbedingt besser, da diese Merkmale für den Kunden ggf. nutzlos
sind und nicht den Kundenerwartungen entsprechen. Fehlende Anforderungsmerkmale können
meist nicht durch die Zugabe anderer Merkmale kompensiert werden.

Oualität nach DIN EN ISO 900012005 gibt an, in welchem Maß die Merkmale eines Produkts
oder einer Dienstleistung den vorhandenen Anforderungen entsprechen.

14
1.2 Oualitätsmerkmale

!
Bei Oualität geht es um das Erfüllen von An-
forderungen, Standen früher nur die Kunden- Kunden-
anforderungen im Vordergrund, erstreckt Umwelt-
gesichts-
anforderungen
Prozess-
sich der Oualitätsbegriff heute durch die Nor- punkte
menreihe DIN EN ISO 9000 ff. über die ganze
Wertschöpfungskette und alle Unternehmens-
u abläufe

bereiche. Hierzu gehören neben den Kunden- OEIffHI


anforderungen das Erfüllen von gesetzlichen der
lnvestoren
Anforderungen und die Oualität der Prozess-
abläufe. Die Bewertung der Prozesse schließt
die Bewertung der Arbeitsbedingungen bei der rffifüä;Ën Mitarbeiter-
Produktherstellung mit ein. Der Grad der Er- Irq,gpr.qlqqd nforderu
füllung dieser Anforderungen wird in die Pro-
duktqual ität mit einbezogen. Bild 1: Ganzheitliche Betrachtung von Oualität
Für den Hersteller eines Produkts ist die Erfüllung aller Anforderungen eng mit seinem wirtschaft-
lichen Erfolg verbunden. Eine zu hohe Oualität eines Produkts oder einer Dienstleistung kann
auch zum wirtschaftlichen Misserfolg führen, da eine hohe Oualität häufig hohe Herstellungs-
kosten nach sich zieht. Diese nicht erwartete Oualität wird vom Käufer finanziell meist nicht ho-
noriert.
Die ganzheitliche Betrachtung von Oualität beinhaltet somit auch die Anforderungen von Mit-
arbeitern und lnvestoren sowie die rechtlichen Forderungen und Umweltgesichtspunkte (B¡ld 1).
Diese Oualitätsbetrachtungen, die alle Unternehmensbereiche umfassen, werden durch Ouali-
tätsmanagementsysteme (OMS; s. Kap. 1.4.2, S.20) zusammengefasst. Werden zusätzlich die
Wirksamkeit und Effizienz der Oualitätsmanagementsysteme betrachtet, führt dieses zu den
TotaLAuality-Konzepten, Unternehmen, die nach diesen Konzepten arbeiten, besitzen ein Total-
Auafity-Managementsystem (TOM; s. Kap. 1.4.3, S.26).

1.2 Oualitätsmerkmale
Jedes Produkt besitzt viele Merkmale, aber nur einige dieser Merkmale sind so wichtig, dass sie
die Oualität eines Produkts ausmachen. Ein Glas ist beispielsweise durchsichtig und hat eine be-
sondere Farbe, Härte und Bruchfestigkeit. Für den lnhaber eines Juweliergeschäftes ist gerade
neben der Durchsichtigkeit die Bruchfestigkeit ein entscheidendes Merkmal für die Oualität. lm
Labor müssen Glasgeräte oft hohen Temperaturen standhalten, so dass auch in diesem Bereich
bestimmte Materialmerkmale erwartet werden und somit für die Oualität entscheidend sind.
Unterschiedliche Kunden beurteilen die Merkmale eines Produkts durchaus anders. Oualitäts-
merkmale können nicht absolut sein, sondern hängen vom Blickwinkel des Anwenders ab.

Ein Merkmal für die Oualität ist eine aus dem Blickwinkel des Anwenders kennzeichnende
Eigenschaft des betrachteten Produkts, des Prozesses oder der Dienstleistung.

Zur Bestimmung von Oualität sind messbare Kriterien erforderlich, die einen Vergleich mit
Standards oder anderen messbaren Leistungen ermöglichen. Daher werden bei der Beurteilung
von Oualität nur inhärente Merkmale (ständige, messbare Merkmale) betrachtet.

Bei den inhärenten Merkmalen können verschiedene Klassen von Merkmalen unterschieden werden:
. Physische Merkmale: chemische, biologische, physikalische, mechanische oder elektrische
Eigenschaften
. Sensorische Merkmale: Merkmale, die sich auf die Sinne wie den Geruch, den Geschmack, das
Gehör oder den Seh- oder Tastsinn auswirken
. Funktionale Merkmale: beziehen sich beispielsweise beim Auto auf die Höchstgeschwindigkeit
und bei chemischen Molekülen auf die Absorptionsfähigkeit von Licht
15
1 Oualität und Oualitätssysteme
. Verhaltensbezogene Merkmale: Eigenschaften wie z. B. Fluoreszenz oder Magnetisierbarkeit
. Zeitbezogene Merkmale: beziehen sich auf Haltbarkeit, Beständigkeit, Verfügbarkeit oder z. B.
bei Verkeh rsm ittel n d ie Pü n ktl ichkeit bzw. Zuverlässi gkeit
. Ergonomische Merkmale: beziehen sich auf die Physiologie (Lehre von den Funktionen des
menschlichen Körpers) oder die Sicherheit beispielsweise von Arbeitsmitteln
Jedes Oualitätsmerkmal kann für die Gesamtqualität eines Produkts entscheidend sein. Aus der
Sicht des Kunden bzw, Anwenders werden daher zuerst die Anforderungen als Soll eines Merk-
mals mit dem lst-Zustand dieses Merkmals verglichen. Wird durch diesen Soll-lst-Vergleich fest-
gestellt, dass Anforderungen (Spezifikationen) nicht erfüllt werden, so weist das Produkt einen
Mangel bzw. einen Fehler auf. Das Produkt ist dann ein fehlerbehaftetes bzw. fehlerhaftes Produkt.

Ein Soll-lst-Vergleich zeigt die Unterschiede zwischen den Anforderungen und den vorhan-
denen Produkteigenschaften.
Das Nichterfüllen von Anforderungen zeigt sich durch eine Diskrepanz im Soll-lst-Vergleich
und weist in Bezug auf die Anforderungen auf ein fehlerhaftes Produkt hin.

1.3 Fehler
Die Oualität eines Produktes kann nicht einfach nur durch Kontrolle erzeugt werden, sondern
muss von Grund auf erarbeitet werden.
Beim vollständigen Einhalten des festgelegten Produktionsablaufs wird ein Produkt hervor-
gebracht, das den erwarteten Eigenschaften entspricht. Alle Abweichungen von diesen fest-
gelegten Eigenschaften werden bei der qualitativen Beurteilung als Fehler bezeichnet.
Nach dem Deutschen lnstitut für Normung (DlN) ist ein Fehler ein ,,Merkmalswert, der die vorge-
gebenen Forderungen nicht erfüllt".
Eine neutrale und aktuelle Definition für einen Fehler enthält die DIN EN ISO 9000:200b, in der ein
Fehler als ,,Nichterfüllung einer Anforderung" gesehen wird.

Ein Fehler ist nach DIN EN ISO 9000:2005 lltÌltÍ


die,,Nichterfüllung einer Anforderung".
ilElfEÍEt¡lltìflllt mil!ÍIEt?tlnlfËfr
Fehlerarten zufällige Fehler
... gleichen sich bei
Bei Fehlern muss zwischen verschiedenen wiederholter
Fehlerarten und Fehlerkategorien unterschie- Messung aus
den werden. Fehlerarten sind erwartete Feh- systematische Fehler
ler und unerwartete Fehler (B¡ld 1). Erwartete ... besitzen gleiche
Fehler sind bereits im Voraus als mögliche Tendenz
Schwachstellen bekannt, sodass zur Behebung + menschliche
Ursachen
derartiger Fehler Maßnahmen vorgesehen + instrumentelle
sind. lm Gegensatz hierzu existieren bei un- Ursachen
erwarteten Fehlern keine Gegenmaßnahmen, + umweltbedingte
da ihr Auftreten nicht vorauszusehen ist. Ursachen
+ sonstige
Ursachen
Zu den Fehlerarten zählen erwartete Fehler grobe Fehler
und unerwartete Fehler. Maßnahmen zur keine Gegenmaßnahmen
Bei erwarteten Fehlern sind Maßnahmen Behebung vorhanden bekannt
zur Fehlerbehebung bekannt.
Bild 1: Einteilung von Fehlern
't6
1 ,3 Feh ler

Hängen erwartete Fehler von bestimmten Vor-


aussetzungen oder Bedingungen ab und he-
ben sich diese bei wiederholter Messung nicht f
durch Mittelung auf, handelt es sich um sys- ø6
ØC
9o
tematische Fehler (engl. sysfem atic errorl. Die-
al
>õ Nummer der Messung +
se Fehler lassen sich reproduzieren. Durch das
Einstellen bestimmter Bedingungen können
sie bewusst hervorgerufen, aber genauso auch t
vermieden werden. øG

Messwerte mit systematischen Fehlern besit- b)


gr
ØC

Nummer der Messung +


zen beispielsweise eine gleiche Tendenz, also
entweder einen zu hohen oder zu niedrigen I Xx x
Messwert. Konstante, systematische Messfeh-
XxX x
øo
ler werden als Offset oder Ablage bezeichnet. -EE

Ein stetig ansteigender oder abfallender Mess- c) Nummer der Messung +
fehler ist ein Trend (engl. bias, Neigung) und I
die langsame, zeitabhängige Änderung eine I
,r"
Drift. Trend und Drift stehen oft im Zusammen- óE
ØÉ
hang mit der Temperatur. 9o)

d) Nummer der Messung +
Zusätzlich zu diesen systematischen Fehlern
kommen weitere Schwankungen im Mess- x gemessenes Signal erwartetes Messsignal
signal, die zusammen den gesamten Fehler -
ausmachen. Gleichen sich Fehler bei einer gro- Bild 1: Beispiele für al systematischen Beitrag,
ßen Anzahl von Messungen im Mittel aus, wird bl zufälligen Beitrag. cl systematischen und
von zufälligen Fehlern gesprochen. zufälligen Beitrag, d) Trend

Bei der Betrachtung der Abweichung des Messwerts vom eigentlich erwarteten Wert ist zwi-
schen dem systematischen Beitrag und dem zufälligen Beitrag zu unterscheiden (Bild 1). Der
systematische Beitrag wird als Messwertabweichung durch systematische Fehler hervorgerufen.
Bei der mathematischen Betrachtung handelt es sich bei diesem systematischen Beitrag um den
Erwartungswert des gesamten Fehlers. Der Erwartungswert ist der Wert, den der Messwert im
Mittel annimmt, d. h., es ist der Wert, der bei mehrfachen Wiederholungen als Durchschnitt aller
Ergebnisse erwartet wird.
Die Ursachen für systematische Fehler sind vielfältig. Eine Einteilung kann folgendermaßen erfolgen:
. Menschliche Ursachen: z. B. falsches Ablesen auf Skalen durch fehlenden Parallaxenausgleich
. Instrumentelle Ursachen: z. B, ungenaue Justierung bzw. Kalibrierung oder thermische Effekte
. Umweltbedingte Ursachen: z. B. thermische Einflüsse oder terrestrische Schwingungen
. Sonstige Ursachen: ohne bekannte Erklärung

Ein Offset oder eine Ablage ist die konstante Abweichung vom Sollwert und somit ein kons-
tanter, systematischer Messfeh ler.
Ein Trend ist ein stetig ansteigender oder abfallender Messfehler. Bei langsamer zeitlicher Ab-
hängigkeit wird dies auch als Drift bezeichnet.

Zu den systematischen Fehlern zählen auch die groben Fehler wie Unachtsamkeit oder Stöße, Die-
se Fehlerart lässt sich häufig an der großen Abweichung deutlich erkennen. Systematische Fehler
sind meist durch Wiederholungsmessungen nicht zu verbessern. Daher muss man sie entweder:
. eliminieren oder verringern durch Justieren, Kalibrieren oder Eichen des Messgeräts, durch
Verwendung eines anderen Messgeräts oder Messen in anderer Umgebung,
. kompensieren beispielsweise durch einen symmetrisch aufgebauten Messvorgang,
. berücksichtigen bei der Datenverarbeitung bzw. Datenanpassung (mathematische Daten-
modellierung) durch Ausgleichsrechnung oder
. akzeptieren und bei der Angabe von Toleranzen mit einbeziehen bzw die Toleranzen vergrößern.
17
1 Oualität und Oualitätssysteme

Zusätzlich zum systematischen Beitrag kommt es zu einem zufälligen Beitrag. Dieser zufällige Bei-
trag ist die Differenz zwischen dem erwarteten Messsignal inklusive des systematischen Beitrags
und dem tatsächlichen Messsignal. Der zufällige Beitrag ist die Streuung um den Erwartungswert
(B¡ld 1b, S. 17). Ein Maß für die Streuung ist die Standardabweichung (s. Kap. 1.5.3, S. 34)
Der wahre Wert ist das Ziel einer Messung. Dieser Wert ist selbst unbekannt und kann nur ange-
strebt werden. ln aller Regel findet man ihn wegen vorhandener Messabweichungen nicht. Mess-
abweichungen wie systematische Fehler, grobe Fehler und zufällige Fehler treten bei Messungen
ständig auf.
Selbst der mit einem sehr präzisen Messgerät gemessene Wert ist immer noch nicht der wahre
Wert. Dieser Wert kann als richtiger Wert bezeichnet werden. Die Abweichung des richtigen Wer-
tes vom wahren Wert ist bei präziser Messung vernachlässigbar.
Ein Messsignal setzt sich damit folgendermaßen zusammen:
Messsignal = wahrer Wert + systematischer Beitrag + zufälliger Beitrag

Systematische Fehler sind reproduzierbar und mitteln sich bei wiederholter Messung nicht
heraus. Systematisch auftretende Fehler, wie z. B. grobe Fehler, lassen sich bei Kenntnis der
Ursache vermeiden. Sie geben einen systematischen Beitrag zum Messsignal.
Zufällige Fehler gleichen sich bei wiederholter Messung im Mittel aus. Sie geben einen
zufälligen Beitrag zum Messsignal.
Der wahre Wert kann durch eine Messung nicht bestimmt werden, da verschiedene Beiträge
Abweichungen hervorrufen. Selbst bei höchster Genauigkeit und somit vernachlässigbar klei-
nen Abweichungen wird nur der richtige Wert erreicht.

Fehlerkategorien
Nicht alle Fehler sind gleich schwer. Die Schwere von Fehlern lässt sich in vier Fehlerkategorien
oder Fehlerklassen einteilen. Diese sind:
. Überkritische Fehler gefährden Menschenleben oder können zu wirtschaftlichen Verlusten führen.
. Kritische Fehler machen ein Produkt für den vorgesehenen Zweck unbrauchbar.
. Nebenfehler schränken die Brauchbarkeit des betreffenden Produkts ein.
. Unwesentliche Fehler schränken die Brauchbarkeit des betreffenden Produktes nicht ein, sie
stellen jedoch eine Oualitätsminderung dar.
Die Einteilung von Fehlern in diese Fehlerkategorien erfolgt durch die Untersuchung der Produkte
bzw. Prozesse mittels verschiedener Prüfverfahren und anhand festgelegter Kennzahlen. Wird
z. B. bei einer Laborwaage festgestellt, dass die Anzeige defekt ist, handelt es sich um einen
kritischen Fehler, da die Waage unbrauchbar ist. Besitzt das Gehäuse der Waage die Farbe Rot
statt Grün, so ist die eigentliche Funktion nicht eingeschränkt. Der Hersteller wird dies als Fehler
deklarieren, aus Kundensicht ist die falsche Farbe unwesentlich; der Kunde erkennt hierin, wenn
überhaupt, einen unwesentlichen Fehler.

Fehler lassen sich anhand ihrer Schwere in Fehlerkategorien einordnen. Fehlerkategorien


reichen von unwesentlichen Fehlern über Nebenfehler bis zu kritischen und überkritischen
Fehlern.

Wird während eines Produktionsprozesses die Oualität des produzierten Produkts untersucht,
kann ein einzelner Fehler bereits dazu führen, dass ein kritischer Fehler vorliegt. Besondere Be-
achtung muss die Ansammlung mehrerer kleiner Fehler finden, die zu einem kritischen Zustand
führen kann.
Die Fehleruntersuchung während eines Produktionsprozesses erfolgt meist an unterschiedlichen
Orten und zu verschiedenen Zeiten. Bei der Bewertung hinsichtlich der Fehlerkategorie muss die
Gesamtheit aller Merkmalsabweichungen einbezogen werden. Für diese Kategorisierung ist es
18
1.4 Oualitätssysteme

notwendig, dass für jedes Produkt eine vollständige und eindeutige Dokumentation vorhanden
ist. Erst diese Dokumentation zeigt alle während des Herstellprozesses bei diesem Produkt fest-
gestel lten Merkm a lsa bweich u n gen.

Bei der Herstellung von Stoffen, die unter gleichen Bedingungen in einem Durchgang erzeugt,
hergestellt oder verpackt wurden, wird von einem Los gesprochen. Jedem Los wird zur ldenti- W
fikation eine eindeutige Losnummer aus Zahlen, Buchstaben oder Buchstaben und Zahlen zu-
gewiesen, die häufig auf den Produkten dieses Loses zur Rückverfolgbarkeit vermerkt wird. lm
Englischsprachigen wird der Begriff /of (engl. /of, Anteil, Abfüllcharge) verwendet.
ln Deutschland dürfen nach der deutschen Los-Kennzeichnungs-Verordnung (LKV) beispielswei-
se Lebensmittel nur in Verkehr gebracht werden, die mit einer Losnummer gekennzeichnet sind.
Von dieser Kennzeichnungspflicht sind allerdings Lebensmittel ausgenommen, die lose an den
Verbraucher abgegeben oder die erst in der Verkaufsstätte auf Anfrage des Käufers verpackt und
dort abgegeben werden, wie z. B. ein Brot (vgl. 5 2 LKV).
ln der Verfahrenstechnik wird statt von Los auch von Batch (engl. batch, abgeteilte Menge,
Ouantum, urspr.: eine Ofenbefüllung) und in der Logistik von Charge (Aussprache: ['lar3e];
lranz. charget beladen; engl. fo charge, belasten) gesprochen. Analog zur Losnummer ist auf
Produkten häufig eine Nummer zusammen mit der Abkürzung Gh.-B. für die Chargenbezeich-
nung angegeben. Bei der Feststellung eines Produktionsfehlers kann das Produkt gezielt zurück-
behalten oder zurückgerufen werden.

Los, Batch oder Charge ist die Menge aller in einem Produktionsdurchgang hergestellten
Produkte.
Diese Produkte erhalten dieselbe Losnummer oder Batch- bzw. Chargen-Bezeichnung.

Die Einteilung von Fehlern zeigt, dass hinter dem Begriff Oualität komplexe Oualitätssysteme
existieren.

1.4 Oualitätssysteme oK os oM TOM


lnsbesondere im vergangenen Jahrhundert hat Umfassendes
Oualitätsdenken
sich aus einer reinen Kontrolle von Oualität ein im gesamten
umfassendes System zur Sicherung bzw. zum unternehmen

Hervorbringen von Oualität entwickelt (B¡ld 1). iUo"r""r,." á"" I


I Kunden-L¡eferan-i
ten-Prinzips in
Die Entwicklung ging von der reinen Oualitäts-
kontrolle OK über die Oualitätssicherung OS
bis zum Oualitätsmanagement OM. Entwicklung I

stabiler Prozese i

1 Prävent¡ve
Oualitätskonzepte, die das gesamte Unterneh- , Maßnahmen
i zur Fehler'
men erfassen und ein weiter gefasstes Ver- I vermeìdung
I

ständnis von Oualität enthalten, führen zum Prozesssteuerung I Einsatz von


über stat¡stische I Oualitätswerk'
weitgefassten Managementsystem, dem um- Aussonieren I Verfahren | /eugen
;
fassenden bzw. totalen Oualitätsmanagement I von fehlêrhaften
I Prorlukten
TOM. Vorbeugen lntegrieren
Sort¡eren

1.4.1 Oualitätskontrolle OK und 1900 1 930 1960 1980 1990 2000


Zeit+
Oualitätssicherung OS
Bild 1: Zeitliche^Entwicklung von der oualitäts-
Zu Beginn des oualitätsdenkens war die unter- umrassenden oualitäts-
suchuñs von ouatirär auf das Endergebnis L'J;:;:ïXfl
gerichtet. Es wurde eine Endkontrolle der Pro-
dukte durchgeführt. Die Produkte wurden am Ende des Produktionsprozesses in einer Oualitäts-
kontrolle (OKl auf ihre Merkmale untersucht. Fehlerhafte Erzeugnisse wurden entweder nachge-
arbeitet oder vollständig aussortiert.
19
1 Oualität und Qualitätssysteme

l Die Kontrolle von Produkten wurde immer weiter verfeinert. Die Fortfrihrung dieser Entwicklung
ist die Oualitätssicherung (OS). Hierbei erfolgen neben der Überwachung des Produkts im Her-
stellungsprozess auch die Wareneingangsprüfung der Edukte und die Endkontrolle der Produkte.
Ein fehlerbehaftetes Produkt durchläuft somit nicht erst den gesamten Produktionsprozess. Auch
die einzelnen Prozessschritte der Produktion werden bei der Oualitätssicherung betrachtet.
Die Ergebnisse der Oualitätsuntersuchungen werden mathematisch bzw. statistisch ausgewertet
und grafisch dargestellt. Einfache Hilfsmittel zur Verarbeitung, Darstellung und Feststellung von
Abweichungen in der Produktqualität sind die so genannten Oualitätswerkzeuge (s. Kap. 1.6, S. 39).

1.4.2 Oualitätsmanagement OM
Die Entwicklung des Oualitätswesens führte in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Oua-
litätsmanagement (OM). Oualitätsmanagement beinhaltet alle Maßnahmen zur Verbesserung
der Produktqualität, der Prozessoptimierung und zur Erhaltung von Oualität. Grundlage eines
Oualitätsmanagements ist, die qualitätsrelevanten Tätigkeiten zur Erfüllung der Kundenanforde-
rungen zu erkennen und zu koordinieren. Hierzu gehören
. die Erfassung aller ausgesprochenen, aber auch der unausgesprochenen Kundenwrinsche,
. die Umsetzung aller Anforderungen an das Produkt in die Unternehmenssprache sowie
. die Realisierung des Produktes bzw. der Dienstleistung.
Die unausgesprochenen Kundenanforderungen sind als
Basisanforderung für den Kunden selbstverständlich und
stellen den Mindeststandard dar (Bild 1). Sie werden auch Bege¡stêrungsanforderungen
- unausgesprochen -
als implizit definierte Anforderungen bezeichnet.
Ausgesprochene Kundenwünsche sind die Leistungen,
Le¡stun gsanf orderungen
die ein Kunde von einem Produkt erwartet. Sie werden {ausgesprochene Kundenwünsche)
als Leistungsanforderung bezeichnet. Diese Wünsche be-
einflussen direkt und meist annähernd proportional zum
Erfüllungsgrad der Leistung die Kundenzufriedenheit. Zu- Basisanforderungen
sätzlich existieren auch Kundenwünsche, an die ein Kun- - unausgesprochen -

de selbst nicht denkt. die jedoch die Produkteigenschaften


deutlich positiv beeinflussen. Diese heißen auch Begeiste- Bild 1: Kundenanforderungen
rungsanforderungen (B¡ld 1 ).
Werden alle diese Anforderungen umgesetzt, kommt es zur Produktrealisierung. Hierzu gehören
die Planung für die Produktion, die Entwicklung sowie die eigentliche Herstellung des Produkts
Der Begriff der Realisierung schließt alle kundenbezogenen Prozesse sowie die Lenkung von
Uberwachungs- und Messmitteln mit ein.

Oualitätsmanagement (OMl beinhaltet alle organisierten Maßnahmen zur Verbesserung der


Produktqualität, der Prozessoptimierung und zur Erhaltung von Oualität.

lm Oualitätsmanagement kommt der Formulierung der Unternehmensziele und der Oualitäts-


politik sowie der Festlegung der Verantwortlichkeiten bzw. Befugnisse eine zentrale Bedeutung
zu. Dies gehört zu den Kernaufgaben der Unternehmensleitung. lm Oualitätsmanagement geht
es weiterhin um die systematische Steuerung und Überprüfung der unternehmensrelevanten
Prozesse. Damit umfasst das Oualitätsmanagement letztendlich alle Führungsebenen im Unter-
nehmen.
Für den Aufbau eines systematischen Oualitätsmanagements, eines Oualitätsmanagement-
systems OMS, gibt es verschiedene Ansätze. Der US-amerikanische Physiker und Statistiker
William Edwards Deming (1900 bis 1993) hat durch seinen prozessorientierten Ansatz in den 40er
Jahren des 20. Jahrhunderts die Entwicklung des Oualitätswesens entscheidend vorangetrieben.
Nach Deming steht der Prozess der Herstellung im Vordergrund der Oualitätsbetrachtungen.
20
1.4 Oualitätssysteme

Das Oualitätsmanagement (QM) bildet ein Rahmenkonzept für Unternehmungen und um-
fasst a le q ualitätsbezogenen, a ufeina nder abgesti m mten Tätigkeiten.
I

Das systematische Oualitätsmanagement wird als Oualitätsmanagementsystem (OMS) be-


zeichnet. Es umfasst mindestens alle Bereiche der Produktherstellung.
Die Unternehmensleitung bestimmt Oualitätspolitik, Oualitätsziele und Verantwortlichkeiten.

Beim prozessorientierten Ansatz wird der Pro-


dadurch
duktionsprozess ganzheitlich betrachtet, Die nl?rEHãtrfira+?JillE
Fertigungsprozesse sind bis zum einzelnen
Handgriff untergliedert und beinhalten auch dadurch
die Eingangs-, Zwischen- und Endkontrollen.
Um Abweichungen von den geforderten Pro-
duktanforderungen schon im Herstellungs-
prozess entgegenzuwirken, existieren Prä-
ventivmaßnahmen. Dies verlangt eine solide
Konzeption aller ablaufenden Prozesse sowie
ffi dadurch
dadurch

aEsFnfltfth
die Entwicklung stabiler Prozesse und den Ein-
satz leistu n gsfä h i ger, präventiv wi rkender Oua-
litätswerkzeuge.
ffi dadurch

Nach Dem¡ng steht jeder Mitarbeiter in seinem


Aufgabengebiet für Oualität ein. Somit gibt es
dad urch
ffi
im Unternehmen niemanden, der nicht mit
Oualität zu tun hat. ffi dadurch

[.füdilrÏEEEEreE[räß
Nach t4l E. Deming steht jeder Mitarbeiter
in seinem Aufgabengebiet für Oualität ein Bild 1: Prozessorientierte Reaktionskette nach
und hat mit Oualität zu tun. Damit haben Deming
alle einen Anteil an der gesamten Oualität.
Verbesserung Ziele planen
Zum Scheitern eines Managementsystems übernehmen
führen nach Deming folgende sieben Punkte:
. Fehlen eines feststehenden Organisations-
zwecks
. Jährliche Bewertung, Leistungsbeurteilung, ALITA
persönliches Beurteil ungssystem
. Hohe Fluktuation in der Organisationsleitung
. Verwendung von Kennzahlen ohne Berück-
sichtigung von nicht-quantifizierbaren Größen
. Betonung kurzfristiger Gewinne Zielerreichung
prüfen Ziele umsetzen
. Überhöhte Sozialkosten
. Überhöhte Produkthaft ungskosten Bild 2: PDCA-Zyklus

Eine Oualitätsverbesserung führt nach Deming in einer prozessorientierten Reaktionskette zur


Sicherung der Organisation und dadurch zu einer Arbeitsplatz- und Gewinnsicherung (B¡ld 1).
Deming hat auch einen vierphasigen Problemlösungsprozess aufgestellt, der genauso mehrfach
durchlaufen werden kann, sodass hieraus ein Zyklus entsteht. Dieser Zyklus wird als Deming-
Kreis oder Deming-Rad bezeichnet (B¡ld 2).

Der Deming-Kreis besteht aus den vier Elementen Plan, Do, Check, Acf (Planen, Tun, Überprüfen,
Umsetzen oder Planen, Umsetzen, Überprüfen, Handeln). Für den Deming-Kreis wird auch der
Beg riff PDCA-Zyklus verwendet.
21
1 Oualität und Oualitätssysteme

Die vier Elemente haben folgende Bedeutung:


. Plan (Planung): Jeder Prozess muss vor seiner Umsetzung geplant werden und umfasst die
Analyse des lst-Zustands und das Erkennen von Verbesserungspotentialen. Auf dieser Basis
werden Konzepte und Abläufe erarbeitet.
. Do (Ausführung): Die geplanten Konzepte und Abläufe werden durch Ausprobieren und Ver-
besserung mit durchaus behelfsmäßigen Mitteln an einem Arbeitsplatz umgesetzt (Vorserien-
fertigung).
. Check (Überprüfung): Die lnformationen und Ergebnisse hinsichtlich der Oualität durch den
veränderten Prozessablaufs werden ausgewertet und damit der Prozess selbst überprüft.
' Act (Anweisungl: Der verbesserte Prozessablauf wird für alle Arbeitsplätze eingeführt und als
neuer Standard übernommen. Hierzu wird in die Arbeitsplatzausstattung investiert und die
bestehende Dokumentation überprüft sowie geändert.

Nach der Phase Acf beginnt der Zyklus mit der Phase Plan wieder von vorne. Durch den gesteuer-
ten, schrittweisen Ablauf wird ein Zugewinn an Oualität erlangt. Die Erfahrungen fließen wieder
zurück in die Planung, sodass ein Regelkreis entsteht, in dem es um die ständige bzw. kontinuier-
liche Verbesseru ng geht.

Der PDCA-Zyklus oder Deming-Kreis ist ein vierphasiger Zyklus zur kontinuierlichen Ver-
besserung von Oualität und für den ständigen Zugewinn an Oualität.

Dieser kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) ist ein Grundprinzip im Oualitätsmanage-


ment und kann sowohl auf Produktqualität als auch auf die Prozess- und die Servicequalität bezo-
gen werden. Die Verbesserungen lassen sich auch auf das Oualitätssystem selbst beziehen. Damit
existiert im Oualitätsmanagementsystem ein Verfahren, das zur Verbesserung des Oualitäts-
managements beiträgt, Das Oualitätsmanagementsystem ist somit ein selbstreferenzielles
System.

Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) ist ein Grundprinzip im Oualitätsmanage-


ment

Der rumänisch-amerikanische Wirtschaftsingenieur Joseph


Moses Juran (1904 bis 2008) leitete die Beurteilung von Oua-
lität aus den gestellten Anforderungen der Kunden ab. Nach
seinem Ansatz ist Oualität nicht auf die Fertigungsprozesse be-
schränkt, sondern berücksichtigt sowohl die Mitbewerber am ti';til?ltilã|ilfiE!
Markt als auch Anderungen im Kundenverhalten.
Über die Oualitätsspirale nach Juran (Bild 1) müssen die lEttíll!ilt*fltllr'cr
qualitätsbezogenen Prozesse identifiziert werden, die ein fif-
ness for use, die Gebrauchstauglichkeit für das Produkt aus
Sicht der Kunden, erreichen. EEffi
Oualität soll durch jährlich durchgeführte Verbesserungs-
programme kontinuierlich gesteigert werden. Hierzu sind auch Wd
umfangreiche Trainingsprogramme auf allen Management-
ebenen erforderlich. Ein Oualitätsmanagementsystem, das in
seinen Grundsätzen auf J. M. Juran zurückzuführen ist, ist die
Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. Bild 1: Oualitätsspirale nach Juran

Eine Oualitätsmanagementnorm beschreibt grundlegende Anforderungen, die ein Oualitäts-


management Ìn einem Unternehmen besitzen muss, um einem bestimmten Standard zu entspre-
chen. Oualitätsmanagementnormen bilden den Rahmen für das System. Abhängig von der Un-
ternehmensbranche existieren zwar spezifische Unterschiede, grundsätzlich geht es immer um:
22
1.4 Oualitätssysteme

. die Erhaltung oder Steigerung der Kundenzufriedenheit,


. die Steigerung der Produktqualität,
. die Verbesserung der Effektivität und Effizienz eines Prozesses,
. die Standardisierung bestimmter Prozesse,
. die Optimieru ng von Kommunikationsstruktu ren,
. die Motivation der Mitarbeiter und deren berufliche Weiterqualifikation sowie
. die Gestaltung von Arbeitsplätzen.
Die Einführung eines Oualitätsmanagementsystems ist für ein Unternehmen eine strategische
Entscheidung. Ein Unternehmen erlangt hiermit Wettbewerbsvorteile, da ein O,ualitätsmanage-
mentssystem ein Nachweis für die Einhaltung bestimmter Standards ist. Der Nachweis wird
durch ein zeitlich befristetes Zertifikat einer unabhängigen Zertifizierungsstelle erbracht.

Ein Oualitätsmanagementsystem (OMSI ist eine Arbeitsmethode zum Leiten und Lenken ei-
ner Organísation, z. B. eines Betriebes, bezüglich der Oualität (DlN EN ISO 9000:2005). Ziel ist
die Einführung eines systematischen (flächendeckenden) Oualitätsmanagements.
Die Oualitätsmanagementnorm beschreibt die Anforderungen an ein Oualitätsmanagement-
system, um bei der Umsetzung des Oualitätsmanagements den Mindeststandard zu erreichen.

Eine sehr bekannte Oualitätsmanagementnorm ist beispielweise die Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff

DtN EN tSO 9000 ff.


Das Oualitätsmanagement nach der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. wird in verschiedenen
lndustriezweigen erfolgreich angewendet und zunehmend auch in Bereiche wie Verwaltungen,
Schulen, Arztpraxen sowie soziale Einrichtungen eingeführt. Die DIN EN ISO 9000 ff. dokumen-
tiert die Grundsätze für die qualitätsrelevanten Maßnahmen eines Oualitätsmanagements und
ist als Leitfaden zu verstehen, nach dem die für das Unternehmen relevanten Punkte zum Aufbau
ei nes Oua itätsma nagementsystems ausgewä h lt u nd ausgefü lt werden.
I I

Die Reihe der Normen DIN EN ISO 9000 ff. be-


steht aus den drei Normen DIN EN ISO 9000. DtN EN tSO 9004
DIN EN ISO 9001 und DIN EN ISO 9004. Alle Leitfaden zur Leistungsverbesserung des
drei Normen dieser Reihe bilden einen Satz Oual¡tätsmanagêmentsystems zum Aufbau
zusammenhängender Normen. B¡ld 1 zeigt eines umfassenden Oual¡tätsmanagement-
systems (TOM)
die Zusammenhänge der 9000er-Normenreihe. Ð
Hieraus geht hervor, dass die DIN EN ISO 9001 DtN EN tSO 9001
und die DIN EN ISO 9004 ein zusammen- o
N
Forderungen an ein
gehöriges Normenpaar bi lden. Oualitätsmanagement-
L
o system
N
lnsgesamt ist die DIN EN ISO 9000 ff. prozess-
orientiert aufgebaut und Oualität wird in Rela-
tion zu den Anforderungen bewertet.
Die DIN EN ISO 9002:1994 beinhaltete nur die
Produktion und Montage eines Produktes. Des- Bild 1: Zusammenhänge der DIN EN ISO 9000 ff.
halb ist diese Norm mit der Revision der Normenreihe zum Oualitätsmanagement im Jahr 2000
mit einer Übergangsfrist bis Ende 2003 ungültig geworden.
Aussagen im Bereich von Verantwortlichkeiten und Fehlerkorrekturen zwischen Zulieferer und
Abnehmer waren in der DIN EN ISO 9003;1994 enthalten. Auch diese Norm hat mit der Revi-
sion der Normenreihe zum Oualitätsmanagement im Jahr 2000 ihre Gültigkeit verloren. Nur in
der Medizintechnik besitzt diese Norm weiterhin Bedeutung, da es für die Norm EN 46003:1999
noch keine Nachfolgenorm gibt.
23
1 Oualität und Oualitätssysteme

DIN EN ¡SO 9OOO


Die Norm DIN EN ISO 9000 enthält die Grundlagen und definiert wichtige Begriffe für das Ouali-
tätsmanagementsystem. Sie dient der Erläuterung, damit der Anwender mit der Normenfamilie
9000 ff. sicher umgehen kann.

Die letzte Revision dieser Norm erfolgte im Jahr 2005, somit lautet die komplette Bezeichnung
DIN EN ISO 9000:2005. Oualität wird in dieser Norm als der Grad definiert, in dem inhärente
Merkmale des Produkts Anforderungen erfüllen (S. 14).

Die DIN EN ISO 9000 enthält Grundlagen und Begriffe für das Oualitätsmanagementsystem
nach der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff.

DtN EN tSO 900r


Die DIN EN ISO 9001:2008 legt die internationalfestgelegten Mindestanforderungen an ein Ouali-
tätsmanagementsystem nach der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. fest. Sie enthält unabhän-
gig von der Branchenzugehörigkeit die wesentlichen lnhalte für den normenkonformen Aufbau
derartiger Systeme.
Die Norm macht Vorgaben und zeigt modellhaft, wie ein Oualitätsmanagement eines Unterneh,
mens mit eigener Entwicklung, Produktion und Kundendienst aufgebaut ist. Auch das System
selbst ist nach dieser Norm kontinuierlich zu verbessern.

Die DIN EN ISO 9001 enthält die Mindestanforderungen an ein Oualitätsmanagementsystem


nach der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. und gibt die wesentlichen lnhalte für den normen-
konformen Aufbau des Systems an.

Für ein Oualitätsmanagementsystem nach


DIN EN ISO 9001 bestehen acht Grundsätze,
Kundenorientierung
die das Handeln nach O,ualítätsmaßstäben be-
einflussen und bei strategischen Entscheidun-
gen eine entscheidende Rolle spielen (Bild 1). Systemorientierter Managementansatz
Der Grundsatz der Kundenorientierung be-
deutet die vollständige Ausrichtung bei allen Einbeziehung der beteiligten Personen
Prozessen ím Unternehmen auf die Anfor-
derungen und Erwartungen der Kunden. Da Kontinuierliche Verbesserung
bei der Herstellung eines Produkts oft mehrere
Arbeitsschritte erforderlich sind, kann jede wei- Verantwortlichkeit der Führung
tere Phase der Wertschöpfungskette als Kunde
des vorhergehenden Arbeitssch ritts aufgefasst L¡eferantenbeziehungen zum
gegenseitigen Nutzen
werden. So erhält auch innerbetriebliches
Denken und Handeln eine Kundenorientierung. Sachbezogener Ansatz zur
Entscheidu ngsfindung
Nach der Norm sind die Wechselwirkungen
zwischen Einzelprozessen zu verdeutlichen, Prozessorient¡erter Ansatz
Häufig wird in diesem Zusammenhang bei den
Geschäftsprozessen zwischen Kernprozessen Bild 1: Die acht Grundsätze für ein Oualitäts-
u nd U nterstützungsprozessen u nterschieden. managementsystem nach DIN EN ISO 9001

Kernprozesse sind gekennzeichnet durch einen direkten Bezug zur Herstellung des Produkts, wie
z. B. die Zuführung der Edukte in einen Reaktionskessel.

Unterstützungsprozesse umfassen hingegen die Prozesse, die für die eigentliche Produkt-
herstellung nicht direkt erforderlich, die jedoch für den reibungslosen Ablauf notwendig sind.
Hierzu zählen z. B. die Reinigung des Arbeitsplatzes oder das Leeren der Abfallbehälter.
24
1.4 Oualitätssysteme

Auch wenn die relevanten Geschäftsprozes-


se für die Produktrealisierung deutlich betont
werden, so sind die unterstützenden Prozesse
für die Gesamtabläufe aller Prozesse im Unter- Haupt-
Überschrift und Untergliederung
nehmen ebenso wichtig. Erst wenn bei allen kapitel
Mitarbeitern im Betrieb die Oualitätspolitik ver- 4 Oualitätsmanagementsystem
innerlicht ist, dass sowohl das Produkt als auch 4.1 Allgemeine Anforderungen
die Abläufe ständig verbessert werden können, 4.2 Dokumentationsanforderungen
werden die Potenziale aller Mitarbeiter für die 5 Verantwortung der Leitung
Weiterentwickl u ng des Systems genutzt. 5.1 Selbstverpflichtung der Leitung
5.2 Kundenorientierung
Aufgebaut ist die Norm DIN EN ISO 9001:2008 5.3 Qualitätspolitik
aus acht Hauptkapiteln. Die ersten drei Haupt- 5.4 Planung
kapitel enthalten ein Vorwort und Allgemei- 5.5 Verantwortung, Befugnis und
nes. Die folgenden Kapitel beinhalten die in Kommunikation
Tabelle I dargestellten Gliederu ngspunkte. 5.6 Managementbewertung
ln Punkt 4.2 sind alle Anforderungen an die 6 Management und Ressourcen
Dokumentation aufgeführt, zu denen neben 6.1 Bereitstellung von Ressourcen
6.2 Personelle Ressourcen
einem OM-Handbuch auch die Beschreibung 6.3 lnfrastruktur
der Lenkung von Dokumenten und Aufzeich- 6.4 Arbeitsumgebung
nungen gehört. Sie ist die Grundlage bei der
Zerfifizierung des Managementsystems nach 7 Produktrealisierung
der 9000er-Normenreihe. 7.1 Planung der Produktrealisierung
7.2 Kundenbezogene Prozesse
Als Zertifizierung (lat, cerfe, bestimmt, gewiss, 7.3 Entwicklung
sicher; facere, machen, schaffen) eines Ouali- 7.4 Beschaffung
tätsmanagementsystems wird das Verfahren 7.5 Produktion und Dienstleistungs-
erbringung
bezeichnet, mit dessen Hilfe die Einhaltung 7.6 Lenkung von Uberwachungs- und
der in der Norm DIN EN ISO 9001 festgelegten Messmitteln
Anforderungen nachgewiesen wird. Existiert
bei einer Organisation keine Entwicklungsab- I Messung, Analyse und Verbesserung
teilung, kann der Punkt 7.3 (Tabelle 1) bei einer 8.1 Allgemeines
8.2 Überwachung und Messung
Zertilizier ung a usgesch lossen werden.
8.3 Lenkung fehlerhafter Produkte
Bei der Zertifizierung wird das Oualitäts- 8.4 Datenanalyse
8.5 Verbesserung
managementsystem in einem Audit begutach-
tet (lat. audire, hören; audit, auch übersetzt mit:
Anhörung), Während des Audits wird allgemein untersucht, ob die vorhandenen Prozesse im
Unternehmen die Anforderungen der Norm erfüllen.
Drei Arten von Audits sind zu unterscheiden:
1. fnternes Audit (Firsf Level Auditl: Ein Mitarbeiter des eigenen Unternehmens begutachtet auf
Grundlage der Norm ein Unternehmen oder einen Unternehmensbereich und klärt, in wel-
chen Punkten den Vorgaben der Norm nicht entsprochen wird.
2. Lieferanten-Audit (Second Level Auditl: Bei diesem Audit überprüft ein Kunde seinen Liefe-
ranten und stellt fest, ob er nach entsprechenden Normen produziert. Häufig kommt es vor,
dass durch ein Lieferanten-Audit eine Rangfolge von Lieferant A (sehr vertrauenswürdiger
Lieferant) bis Lieferant C (nicht vertrauenswürdiger Lieferant) aufgestellt wird. Diese Rangfol-
ge A-C kann dazu führen, dass der Überprüfungszeitraum der Lieferanten unterschiedlich ist
bzw. die nicht als vertrauenswürdig eingestuften Lieferanten (Lieferant C) ihren Kunden nicht
mehr beliefern dürfen.
3. Zertilizierungs-Audit (Third Level Auditl: Das Audit wird von einem speziell hierfür geschul-
ten Auditor einer unabhängigen Zertifizierungsstelle (Prüfzentrum) durchgeführt. lst das Au-
dit erfolgreich, gilt das Oualitätsmanagementsystem zeitlich befristet (meistens drei Jahre)
als zertifiziert nach DIN EN ISO 9001. Das zertifizierte Unternehmen erhält ein entsprechendes
Zertifikat.
25
1 Oualität und Oualitätssysteme

Ein Zertifikat bescheinigt dem Unternehmen, dass die in der Norm festgelegten Mindestanforde-
rungen an das Oualitätsmanagementsystem erfüllt werden.
Steht ein Unternehmen in Konkurrenz zu anderen Unternehmen, kann einZertilizierungszertifikat
aus marktstrategischer Sicht helfen, die Oualitätsorientierung des Unternehmens nachzuweisen.
Für Hersteller, Zulieferer und große internationale Unternehmen kann ein zertifiziertes System
zwingend erforderlich sein, um überhaupt Aufträge zu bekommen. Ein gut funktionierendes Oua-
litätsmanagementsystem hilft einem Unternehmen auch bei der Weiterentwicklung des eigenen
Potenzials. Mit diesem Vorteil kann ein Unternehmen zukunftssicherer gelenkt werden. Eine An-
leitung, wie beim Auditieren von Oualitäts- und Umweltmanagementsystemen vorzugehen ist,
ist in der Norm DIN EN ISO 19011 festgelegt. Sie enthält den Leitfaden fürAudits.
Bevor eine ZerTilizierungsstelle eineZerüfizierung auf Basis einer Norm durchführen darf, muss
sie zuerst eine formelle Anerkennung der Kompetenz erhalten. Diese Anerkennung wird als
Akkreditierung (lat. accredere, Glauben schenken) bezeichnet. Hierbei erfolgt durch eine an-
erkannte lnstanz eine Prüfung des Prüfzentrums nach den Forderungen, die auf europäischer
Ebene in der Norm ISO IEC 17011 festgelegt sind. ln Deutschland wird die Einhaltung der euro-
päischen Normvorgaben dem Zerli'fizierer durch eine Urkunde beglaubigt, die von der Träger-
gemeinschaft für Akkreditierung (TGA; Körperschaft zur Akkreditierung von Zertifizierungsgesell-
schaften) ausgestel lt ist.

Eine Zertifizierung ist die Uberprüfung eines Unternehmens, von Prozessen oder Produkten
auf die Erfüllung bestimmter Kriterien, die beispielsweise durch eine Norm vorgegeben sind.

Die Anerkennung eines Managementsystems durch eine Zertifizierungsstelle heißt Audit. Es


wird zwischen lnternem Audit, Lieferanten-Audit und Zertifizierungs-Audit unterschieden.
Die Anerkennung einer Zertifizierungsstelle wird als Akkreditierung bezeichnet.

DtN EN tSO 9004


Die Norm DIN EN ISO 9004:2009 ist ein Leitfaden zur Leistungsverbesserung. Sie bietet einen
Ansatz zum Leiten und Lenken für einen nachhaltigen Oualitätserfolg. Damit betrachtet die
DIN EN ISO 9004 sowohl die Wirksamkeit als auch die Effizienz des eingeführten Oualitäts-
managementsystems und gibt auf den Grundsätzen der Norm DIN EN ISO 9001 weitere Emp-
fehlungen bzw Anregungen zum Aufbau eines lofal Quality Managemenf (TOM; s. Kap. 1.4.3).
Das TOM ist ein allumfassendes Oualitätsmanagement und stellt damit die Erweiterung eines
grundlegenden Oual itätsmanagements dar.

Ein Oualitätsmanagementsystem nach der 9000er-Normenreihe schließt gesetzliche Regelungen,


wie z. B. Hygiene-Verordnungen oder das Produkthaftungsgesetz, nicht aus. Branchen-spezifi-
sche Normen, die andere Spezifikationen zum Oualitätsmanagement aufweisen, sind teilweise
als Leitfaden zur DIN EN ISO 9001 und teilweise als Ergänzung verfasst. Welche der Normen für
welches Unternehmen geeignet ist, richtet sich nach dessen Tätigkeitsfeld.

Ein umfassendes, ganzheitliches Oualitätsmanagementsystem im Sinne von Totd Auaïty Mana-


gement ist das EFQM-Modell der European Foundation for Auality Managemenf, bei dem Pro-
zesse einer Selbstbewertung unterzogen werden. Diesem Modell liegt keine Norm zugrunde, son-
dern es ist als System zur umfassenden Verbesserung eines bestehenden OM entwickelt worden.

1.4.3 Totales Oualitätsmanagement TOM


Das Totale Oualitätsmanagement bzw. Total Ouality Managemenf (TOMI wird auch als umfas-
sendes Oualitätsmanagement bezeichnet. Es umfasst durchgängig alle Bereiche eines Unterneh-
mens, sogar Bereiche wie Einkauf, Verkauf, Entwicklung, Konstruktion, Verwaltung und Kunden-
dienst. Ziel des TOM ist, Oualität als Unternehmensphilosophie einzuführen und dauerhaft zu
etablieren, um die kontinuierliche Verbesserung sicherzustellen. Die wesentlichen Punkte und
lnhalte der TOM-Philosophie zeigt Bild 1, 5. 27.
26
1.4 Oualitätssysteme

Tohl Auality Management TOM wird als umfassendes Oualitätsmanagement verstanden.


Es baut auf einem Oualitätsmanagement OM auf.
TOM bindet alle Unternehmensbereiche in das Oualitätsmanagementsystem mit ein.

ln Europa entstand eine Vereinigung für Oualität, die European Foundation for Quatity Manage-
menf (EFOMI. Diese hat 1988 das EFOM-Modell als umfassendes Oualitätsmanagementsystem
entwickelt. Mittlerweile ist das EFOM-Modell eines der bekanntesten Oualitätsmanagement-
Modelle in Europa und ist insbesondere in Deutschland damit das meist verbreitetste TOM-Modell.
Das Ziel dieses Modells der European Foundation for Auality
Managemenf ist das Erreichen betrieblicher Exzellenz. Daher
wird bei diesem Exzellenz-Modell ein Unternehmen ganzheit-
lich betrachtet und gibt Hilfestellung bei der kontinuierlichen
o orientiert sich am Kunden
bezieht sich auf Produkte
Entwicklung eines umfassenden Managementsystems. U und Dienstleistungen
hängt von den Prozessen
Das EFOM-Modell legt den Fokus auf die Selbstbewertung. Auf
dieser Grundlage werden Stärken und Schwächen bzw. Ver-
A zur Produkterzeugung ab

besserungspotentiale ermittelt, die den aktuellen Stand des wird durch Mitarbeiter aller
Unternehmens in den einzelnen Bereichen zeigen. Bei einer
L Bereiche und Ebenen erzielt

kontinuierlichen Stärken-Schwächen-Analyse können die kon- setzt aktives Handeln voraus


und muss erarbeitet werden
tinuierlichen Veränderungen und Trends abgelesen sowie Pro-
zesse permanent angeglichen werden. Das Unternehmen nutzt umfasst viele Dimensionen,
diese Erkenntnisse zur ständigen Verbesserung.
T die durch Kriterien zu
operationalisieren sìnd
Zwar besitzt das EFOM-Modell ebenfalls eine Prozessorientie- A ¡st oberstes Unternehmensziel
rung und das eingeführte System nach EFOM kann durch einen ist kein Ziel, sondern ein
Auditor ein Zertifikat erhalten, jedoch liegt der Ansporn für ein T Prozess, der nie zu Ende geht
Unternehmen für eine stetige Verbesserung eher im Erreichen
einer besseren Punktzahl bei der Eigenbewertung. Bild 1: Die TOM-Philosophie

Das einfache Exzellenz-Modell nach EFOM ruht auf folgenden drei Säulen (B¡ld 1, S. 28):
1. den Mitarbeitern auf der Führungsebene,
2. den Prozessen, Produkten und Dienstleistungen,
3. den Schlüsselergebnissen.
Das erweiterte Exzellenz-Modell nach EFOM kennt insgesamt neun Hauptkriterien, die in fünf
Voraussetzungen, die Befähiger-Kriterien (B¡ld 1, S.28, in Rot) und vier Ergebnis-Kriterien (B¡ld 1,
S. 28, in Grün), unterschieden werden.

Bild 1, S. 28 zeigt die Vernetzung der neun Hauptkriterien. Dies macht deutlich, dass alle Haupt-
kriterien aufeinander einwirken, Die Pfeile ober- und unterhalb der Hauptkriterien spiegeln die
Dynamik des Modells wideç durch die eine ständige Veränderung und damit Verbesserung er-
reicht wird. Jedes der neun Hauptkriterien ist in weitere Teilkriterien unterteilt, so dass hierüber
die eigenen Stärken und Schwächen bzw. Verbesserungspotenziale differenziert erkannt werden
können.

Das EFOM-Modell ist ein Exzellenz-Modell der European Foundation for Auality Management
und stellt e¡n umfassendes Oualitätsmanagementsystem (TOM) dar.

Nach den Kriterien des EFOM-Modells wird in Deutschland der LudwÍg-Erhard-Preis verliehen
-zu Ehren von Ludwig Wilhelm Erhard (1897 bis 1977; deutscher Politiker (CDU) und Wirtschafts-
m¡nister (1949 bis 1963) in der Zeit des Wirtschaftswunders in der Bundesrepublik Deutschland,
Mitbegründer des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft sowie zweiter deutscher Bundeskanzler
(1963 bis 1966)). Der Ludwig-Erhard-Preis besitzt als Auszeichnung für ein funktionierendes TOM
die gleiche Bedeutung wie der US-amerikanische Malcolm-Baldrige-National-Auality-Award und
der japanische Dem i ng-Preis.
27
1 Oualität und Oualitätssysteme

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Bild 1: Das EFOM-Modell mit Gew¡chtung der Befähiger- und Ergebnis-Kriterien


f ür den Europäischen Oualitätspreis

1.4.4 Gute Laborprax¡s GLP


Die Gute Laborpraxis oder im Englischen Good Laboratory Practìce (GLP) stellt ein international
vereinheitlichtes Regelwerk zur Oualitätssicherung bei der Durchführung von Sicherheitsprüfun-
gen von chemischen Stoffen und Zubereitungen in bestimmten Laboren dar. Sie hat nichts mit
der richtigen Handhabung und Verwendung von Laborgeräten zu tun. GLP beinhaltet die Ouali-
tätsstandards für den organisatorischen Ablauf und die Bedingungen von gesundheits- und um-
weltrelevanten Laboruntersuchungen von Chemikalien. Nach den Regeln der Guten Laborpraxis
sind alle Vorgehensweisen und Ergebnisse zu dokumentieren.

Die Gute Laborpraxis bzw. Good Laboratory Practice (GLP) ist ein international vereinheit-
lichtes Regelwerk zur Oualitätssicherung bei Sicherheitsprüfungen von Stoffen und Zube-
reitungen wie Arzneimitteln, Lebensmittelzusatzstoffen, Pflanzenschutzmitteln sowie in der
Umweltanalytik.

Die Gute Laborpraxis wurde der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (OECD: Organisation for Economic Cooperation and Developrnenf) über die EU-Richtlinie
(88/320/EWG von 1988 bzw.2004l9lEG aus dem Jahr 2004) in deutsches Recht übernommen. Die
Laboruntersuchungen für Zulassungs-, Erlaubnis-, Registrierungs-, Anmelde- oder Mitteilungs-
verfahren, die nach diesen GLP-Grundsätzen einheitlich durchgeführt werden, besitzen OECD-
weit ihre Gültigkeit und sind entsprechend vergleichbar.
ln Deutschland ist GLP im Chemikaliengesetz (ChemG) festgeschrieben. Stoffe oder Zubereitun-
gen müssen hiernach unter Labor- oder Umweltbedingungen über ihre Wirkungen auf Mensch
und Natur untersucht werden. GLP schließt keine klinischen Prüfungen mit menschlichen Pro-
banden ein, wohl aber Tierversuche (biologische Prüfsysteme).
lnsbesondere geht es bei GLP um die Planung, Durchführung, Aufzeichnung und Berichterstat-
tung von Laboruntersuchungen über mögliche Auswirkungen der Chemikalien auf Mensch und
Umwelt. Durch das international vereinheitlichte Regelwerk gewährleistet GLP die Vergleichbar-
keit von Untersuchungsergebnissen aus allen nicht-klinischen experimentellen Prüfungen. Alle
Untersuchungen chemischer Stoffe und Zubereitungen, die eine Bewertung des Risikos z. B.
hinsichtlich Entzündbarkeit oder krebserzeugender Eigenschaften ermöglichen sollen, sind nach
GLP durchzuführen.

Neue chemische Produkte müssen vom Hersteller oder lnverkehrbringer im Rahmen von Produkt-
zulassungen auf mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt durch umfangreiche Prüfungen
28
1.4 Oualitätssysteme

ausreichend untersucht und die Ergebnisse bewertet werden. Die Prüfungsergebnisse bilden die
Grundlage für die Abschätzung der Gefährlichkeit, die zu Bedingungen und Auflagen für das
lnverkeh rbringen füh ren.

Die Gute Laborpraxis umfasst die Prüfung von Stoffen und Zubereitungen auf ihre Gefah-
ren für Mensch und Umwelt unter Labor- und Umweltbedingungen, Sie legt die ausführliche
Dokumentation der Untersuchungen fest.

Die GLP-Grundsätze legen den organisatorischen Ablauf von Laboruntersuchungen und die
Bedingungen, unter denen Laborprüfungen geplant, durchgeführt und überwacht werden, fest.
Diese Standardarbeitsanweisungen (engl. sfanda rd operating procedure, kurz: SOP) sichern die
Nach prüfba rkeit der Messergebnisse,

Auch im Nachhinein ist die Nachvollziehbarkeit der Untersuchungen gesichert. Nach GLP beste-
hen umfangreiche Aufzeichnungs- und Archivierungspflichten. Für den Prüfplan, die Rohdaten,
die Rückstellmuster von Prüf- und Referenzgegenständen, die Proben sowie den Abschluss-
bericht jeder Prüfung besteht eine Aufbewahrungszeit im Archiv von 15 Jahren.

Zusätzlich zu diesen Untersuchungsunterlagen sind ebenfalls folgende Nachweise zu archivieren:


. die Aufzeichnungen über die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie praktische Erfahrung des
Personals und deren Aufgabenbeschreibungen,
. die Aufzeichnungen und Berichte über die Wartung und Kalibrierung der Geräte,
. die Validierungsunterlagen für computergestützte Systeme (Validierung: Beweis, dass ein
System die Anforderungen in der Praxis erfüllt),
. die chronologische Ablage aller Standardarbeitsanweisungen,
. die Aufzeichnungen zur Kontrolle der Umweltbedingungen.
Die Archivierungsvorschriften nach GLP zeigen deutlich, dass sowohl die Kontrolle der Prüf-
geräte und die Kalibrierung vor der Laboruntersuchung als auch der Einsatz von qualifiziertem
Personal für die Untersuchungen in geeigneten Räumen festgelegt sind.

Der Vorteil dieser umfangreichen Archivierung besteht darin, dass aufwändige Doppel-
prüfungen von Stoffen und Zubereitungen vermieden werden. Außerdem führt die ausführliche
Dokumentation zur Vergleichbarkeit und gegenseitigen internationalen Anerkennung der Labor-
ergebnisse.

Überwacht wird die Einhaltung der GLP-Grundsätze durch betriebsfremde, beauftragte Personen,
die nach g 21 (4) ChemG befugt sind;
. zu den Betriebs- und Geschäftszeiten die Betriebsräume zu besichtigen,
. Proben nach ihrer Auswahl zu fordern und zu entnehmen,
. die Vorlage der Unterlagen über Anmeldung und Mitteilung zu verlangen,
. Arbeitseinrichtungen und Arbeitsschutzmittel sowie Herstellungs- und Verwendungsverfahren
zu prüfen und die Konzentration von gefährlichen Stoffen zu messen.

Die oberste Aufsicht in Deutschland führt das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR als nachge-
ordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbrauchersch utz (BMELV).

Die Aufgabe dieser GLP-Bundesstelle ist u. a. die Überwachung bzw. Erteilung von GLP-Bestä-
tigungen bestimmter GlP-Laboratorien im lnland und sogar im Ausland. Die entsprechenden
Behörden der Bundesländer sind im Allgemeinen für die lnspektion von Prüfeinrichtungen im je-
weiligen Bundesland sowie für die Kontrolle der Einhaltung der GLP-Grundsätze verantwortlich.
29
1 Oualität und Oualitätssysteme

Alle Prüflabore und Einrichtungen, die GLP-pflichtige Prüfungen nach GLP-Grundsätzen durch-
führen und deren Prüfeinrichtungen den Vorschriften entsprechen, werden von der obersten Lan-
desbehörde auf Antrag nach GLP akkreditiert. Über die Einhaltung der GLP-Grundsätze wird eine
Bescheinigung nach S 19b ChemG ausgestellt, wobei hierzu eine Untersuchung der Prüfeinrich-
tungen von einer GLP-Kommission bestehend aus Fachkräften sowie Sachverständigen des Che-
mikalien-, Arzneimittel- und Pflanzenschutzbereichs im vierjährigen Abstand auf Einhaltung der
G LP-G rundsätze erfolgt.

Die GLP legt den organisatorischen Ablauf und die Bedingungen fest, unter denen chemisch-
physikalische, toxikologische und ökotoxikologische Laboruntersuchungen geplant, durch-
geführt und überwacht werden.
Durch Standardanweisungen (engl. standard operating procedure, SOP) wird die Vereinheitli-
chung und Nachprüfbarkeit von Ergebnissen gesichert.
Die Aufzeichnungen zur Prüfung und die Berichterstattung der Prüfung müssen dokumen-
tiert und 15 Jahre archiviert werden.

1.4.5 Good Manufacturing Practice GMP


Die Herstellung von Arzneimitteln, Wirkstoffen und Medizinprodukten sowie Lebensmitteln und
Futtermitteln soll zur Sicherung der Produktionsabläufe nach den Regeln der Guten Herstel-
lungspraxis bzw. Good Manufacturing Practice (GMPI durchgeführt werden. Gerade in diesen
Bereichen wirkt sich eine Abweichung von der angestrebten Oualität gravierend auf die Gesund-
heit der Konsumenten aus.
ln den USA werden die GMP-Regeln jährlich erneuert und erhalten daher die Bezeichnung cGMp
1ür current Good Manufacturing Practice (engl. laufend Gute Herstellungspraxis).

Die Gute Herstellungspraxis bzw. Good Manufacturing Practice (GMPI sichert durch ihre
Regeln die Produktionsabläufe bei der Herstellung von Arzneimitteln, Wirkstoffen, Medizin-
produkten und Lebens- sowie Futtermitteln.

Die GMP legt nicht explizit fest, wie ein Stoff herzustellen ist, sondern zeigt nur grundsätzliche
Prinzipien für die Produktion dieser Produkte auf.

Ein Stoff gilt nach GMP-Grundätzen hergestellt, wenn alle spezifischen Tests für den hergestell-
ten Stoff durchlaufen werden. Weiterhin gehört zu den grundsätzlichen Prinzipien:
' Die Herstellungsprozesse sind festgelegt und kontrolliert. Kritische Prozessabläufe sind so fest-
gelegt, dass die festgelegten Spezifikationen erreicht werden.
' Abweichungen von den festgelegten Prozessen werden festgehalten und nachverfolgt.
' Alle Betriebsanweisungen und betrieblichen Abläufe sind verständlich dokumentiert,
. Die Mitarbeiter sind geschult, alles zu dokumentieren.
' Die Eigenschaften eines Stoffes sind untersucht und damit seine Oualität bekannt.
' Für eine Charge werden alle Dokumente in einer nachvollziehbaren und zugänglichen Form
gesammelt.
' Der Vertrieb der Produkte ist so festgelegt, dass die Oualität nicht leidet, und es existiert ein
entsprechendes System für den Rückruf von Produkten.

1.4.6 GE-Kennzeichnung
Die Abkürzung CE steht für Communautés Européennes (franz. Europäische Gemeinschaften)
oder kann auch mit ,,Conformität mit Europa" übersetzt werden. Bis 1993 wurde von CE-Zeichen
oder auch EG-Zeichen gesprochen, seit der europäischen Richtlinie 93/6S/EWG von 1993 lautet
die offizielle Bezeichnung CE-Kennzeichnung.
30
1.4 Oualitätssysteme

Die CE-Kennzeichnung wurde im Bereich des Europäischen Wirtschafts-


raums (EWR) im Jahr 1985 eingeführt, um dem Endverbraucher nach der

C€
technischen Harmonisierung und Normung für alle Produkte die Über-
einstimmung dieser Produkte mit den EU-Richtlinien zu verdeutlichen.
Demnach sind alle technischen Produkte, die in den Europäischen Wirt-
schaftsraum in Verkehr gebracht werden, mit dem CE-Logo zu kennzeich-
nen (Bild 1), Bild 1: Das CE-Logo
T
Der Europäische Wirtschaftsraum schließt die Staaten der EU sowie lsland, Liechtenstein, Norwe-
gen (Staaten des europäischen Freihandelsraums EFTA, engl. European Free Trade Association)
und die Schweiz ein.Zu den zu kennzeichnenden technischen Produkten gehören beispielsweise
Bauprodukte, elektrische Betriebsmittel, Spielzeug, persönliche Schutzausrüstungen, Explosiv-
stoffe für zivile Zwecke und Messgeräte.
Die CE-Kennzeichnung stellt kein Prüfzeichen oder Gütesiegel im Sinne eines Oualitätszeichens
dar. Mit dem Logo wird nur angezeigt, dass das technische Produkt die gesetzlichen Mindestan-
forderungen der EU-Richtlinien einhält. Die Kennzeichnung macht außerdem nicht deutlich, ob
das Produkt durch unabhängige Stellen auf die Einhaltung dieser EU-Richtlinien überprüft wurde.
Der Hersteller oder der lnverkehrbringer selbst führt ein Konformitätsbewertungsverfahren mit
einer Gefährdungsanalyse oder einer Risikobewertung durch. Das Konformitätsverfahren be-
ginnt mit einer Recherche des Herstellers oder lnverkehrbringers, welche der 23 EU-Richtlinien,
die eine CE-Kennzeichnung fordern, für das Produkt zutreffen.
ln der jeweiligen Richtlinie sind die Anforderungen festgehalten, die Hinweise über den einzuhal-
tenden und zu gewährleistenden Sicherheitsstandard geben, Der anschließenden Untersuchung
des Produkts auf diese Sicherheitsparameter folgt die Risikobeurteilung, die zusammen mit den
technischen Details zu dokumentieren ist. Auf dieser Basis wird die Konformitätserklärung er-
stellt und das CE-Logo auf dem Produkt angebracht. Der Hersteller bestätigt durch seine Prüfung,
dass das Produkt mit den jeweiligen Richtlinien der EU konform ist und dass die Vorschriften
eingehalten werden.
CE-Kennzeichnungen mit einer vierstelligen Kennnummer (ldentifikationsnummer) weisen da-
rauf hin, dass bei der Konformitätsbewertung eine offizielle Prüfstelle beteiligt war. Über die
Kennnummer lässt sich diese Prüfstelle identifizieren. Diese CE-Kennzeichnung besitzt damit
quasi Prüfzeichenqualität.

Die Konformitätserklärung ist eine schriftliche verbindliche Bestätigung nach einer Produkt-
untersuchung und Risikobewertung, dass das Produkt die spezifizierten Eigenschaften besitzt.
Die Bewertung wird daher auch als Konformitätsbewertung bezeichnet.

Produkte, die nicht den EU-Richtlinien entsprechen, dürfen die CE-Kennzeich-


nung nicht tragen. Obwohl die missbräuchliche Verwendung des CE-Logos
unter Strafe gestellt ist, kommt es trotzdem immer wieder zur Kennzeich-
nung von nicht-gesetzeskonformen Produkten. Oft erfolgt die Kennzeich-
nung auch mit fast nicht von der Original-CE-Kennzeichnung unterscheidba-
ren Aufschriften wie in Bild 2. Hier ist der mittlere Strich des € genauso lang
wie die beiden anderen. So könnten beispielsweise exportierte Produkte
C€
Bild 2: Nachahmung
aus China die Beschriftung ,,CE" tragen - als Abkürzung für ,,China Export". des CE-Logo

Die GE-Kennzeichnung zeigt für Produkte im Europäischen Wirtschaftsraum die Einhaltung


aller grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen sowie produktspezifischen
Sicherheitsanforderungen an.
Der Hersteller oder lnverkehrbringer erklärt, dass ,,das Produkt den geltenden Anforderungen
genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbrin-
gung festg e I egt si n d " ( E U -R ichtl i n i e 7 651 20081.

31
1 Oualität und Oualitätssysteme

!
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und
Überwachung von Oualität
Oualität bezieht sich auf die Erfüllung von Merkmalseigenschaften. Je besser diese Eigenschaf-
ten von Merkmalen erfüllt werden, desto besser ist die Oualität. Bei einem Herstellungsprozess
kann der Sollwert einer Eigenschaft bei allen während eines ganzen Prozesses hergestellten Pro-
dukten meist nicht absolut eingehalten werden.
Die Faktoren Mensch, Maschine und Material
beeinflussen die Oualitätseigenschaften. Auch
Umgebungsparameter sind zufälligen Schwan-
Messwert-Nummer Dicke in pm
kungen unterworfen. Sie wirken sich auf die
Oualitätsmerkmale aus. Schon während ei- 1 178
nes Herstellungsprozesses werden daher
verschiedene qualitätsrelevante Eigenschaf- 2 177
ten gemessen. Hierbei werden nicht nur die
Oualitätsmerkmale einer Stichprobe des Pro- 3 174
duktes zahlenmäßig erfasst, sondern die Merk-
male einer Serie von Proben werden bestimmt. 4 't77

Am Beispiel der Produktion einer Folie soll der 5 176


Einsatz mathematisch-statistischer Methoden
erlä utert werden. Die Produktionsvorsch rift g i bt 6 175
in diesem Beispiel vor, dass die Foliendicke ei-
nen Sollwert von 174 pm hat. Beim Messen der 7 173
Dicke von zehn Kunststoflfolien aus der laufen-
den Produktion mit gleichen Herstellbedingun- I 171
gen, ergaben sich die Messwerte in Tabelle 1.
I 167
Die tabellarische Aufstellung der Messwerte
ermöglicht zwar noch keinen guten Überblick 10 175
über die Mess- oder Prüfergebnisse, die ge-
messenen Werte liegen aber auf jeden Fall im Summe 1743
Bereich des Sollwerts von 174 ¡rm; allerdings
treten Abweichungen auf . Zur Kontrolle der Oualität werden im Weiteren mathematisch-statis-
tische Methoden eingesetzt.

Mathematisch-statistische Methoden werden zu einem wirksamen lnstrument der Qualitätskon-


trolle, wenn sie planmäßig und an den entscheidenden Punkten im Ablauf eines Prozesses steu-
ernd angewendet werden. Hierfür ist es notwendig, dass sie für diesen Einsatzbereich geeignet
sind. Nur dann können vorhandene Prüfdaten korrekt ausgewertet werden.
Damit eine falsch angewendete statistische Methode nicht zu Fehlschlüssen führt, müssen die
Ergebnisse mathematisch-statistischer Methoden auch richtig gelesen, gedeutet und aufgearbei-
tet werden.
Die wichtigsten Maßzahlen zur schnellen Übersicht und zur Beurteilung der Messdaten sind
. die mittlere Lage der Werte, der Median und das arithmetische Mittel,
. die Schwankungen der Einzelwerte um den mittleren Wert, die Varianz
und die Standardabweichung.

1.5.1 Median m
Der Median m oder Zentralwert einer Datenreihe ist der sogenannte mittlere Wert. Für eine Reihe
von Messwerten ist der Median der Wert, der bei einer aufsteigenden Reihung aller Einzelwerte
in der Mitte steht,
32
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und Überwachung von Oualität

Liegt eine gerade Anzahl von Werten vor, wird der Median als
Mittelwert der beiden mittleren Messwerte berechnet. Hierzu Tabelle 1: Ordinalskala der
müssen alle Messwerte zuerst in eine natürliche Rangordnung, Messergebnisse der
also beispielsweise in eine aufsteigende Reihung der Merk- Dickenmessung
male gebracht werden. Dies wird auch als das Aufstellen einer
Ordinalskala bezeich net.
Nummer Dicke in pm
W
1 x1 167
Für die Messwerte der Dickenmessung ergibt sich die Ordinal-
skala in Tabelle 1. Bei der geraden Anzahl an Werten wie im 2 x2 171
Beispiel der Dickenmessung gibt es kein mittleres Element. ln
der Mitte liegen zwei Werte. ln diesem Fall ist der Median m 3 x3 173
der Mittelwert der beiden in der Mitte liegenden Werte der Auf- 4 x4 174
listung (graue Hervorhebung in Tabelle 1).
5 x5 175
Der Median m oder Zentralwert ist der mittlere Wert bei ei- 6 x6 175
ner aufsteigenden Sortierung aller Einzelwerte, so dass die
Hälfte der Werte unterhalb und die andere Hälfte der Werte 7 x7 176
oberhalb des zentralen Werts liegt.
I xa 177

lm Beispiel der Dickenmessung betragen die beiden mittleren xg 177 Õ

Werte in der Ordinalskala jeweils 17b pm. Als Mittel dieser bei-
den Zahlen ergibt sich somit ein Median m von 17b ¡rm. Der 10 Xto 178
Median von rn = 175 pm liegt damit 1 pm neben dem Sollwert
der Produktionsvorschrift mit 174 pm. Wie sich die einzelnen Werte verteilen und welchen Ab-
stand sie vom angestrebten Wert haben, gibt der Median nicht an. Hierzu wird das arithmetische
Mittel t berechnet.

1.5.2 Arithmetisches Mittel F


Für das arithmetische Mittel, das auch synonym als Durchschnitt, Durchschnittswert, Mittel
oder Mittelwert .x (gesprochen: x quer) bezeichnet wird, ergibt sich durch den Ouotient aus der
Summe der gemessenen Werte X1, x2, ... xn und der Anzahl der Messwerte n:

x x
= _x1tx2+xg+x4+...+xn
n
n Gl. 1 .1
(wie x)
| (variabel) |
1

Mit Hilfe der mathematischen Schreibweise für eine Summe lässt sich auch schreiben
n
)x. ' x x n
l-i=1 Gt_ 1-2
n (wie x) (variabel) 1

ln der Statistik wird das arithmetische Mittel einer Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsvertei-
lung auch als Erwartungswert bezeichnet. Er gibt an, wie die Lage der einzelnen Werte in Bezug
auf die Messskala aussieht.
Für das Beispiel der Dickenmessung mit den zehn Messwerten (n = 10) in Tabelle l, S.32. ergibt
sich damit ein arithmetisches Mittel von rund 174 ¡tm
10
.2- x.
,='=h
178 pm + 177 ¡tm + 174 m + 177 pm + 176pm + 175 pm + 173pm + 171 pm + 167 pm + 175 pm
10
=tï# = fi4,3 ¡tm = 174 ¡tm

33
1 Oualität und Oualitätssysteme

Geht man davon aus, dass sich für die aufgelisteten Messwerte (die Elemente der Stichprobe)
im Beispiel der Dickenmessung die einzelnen Werte annähernd gleichmäßig um den Mittelwert
verteilen, so kann darauf geschlossen werden, dass eine Dicke von rund 174 pm erwartet wird.
Die einzelnen Messwerte streuen um den Mittelwert. Die Breite dieser Streuung kann ebenfalls
berechnet werden; sie wird als Standardabweichung bezeichnet.
1.5.3 Varianz s2 und Standardabweichung s
Die einzelnen Messwerte streuen um das arithmetische Mittel. Um die Abweichung der einzelnen
Messwerte vom arithmetischen Mittel anzugeben, wird die Streuung der^Messwerte berechnet.
Ein Maß für die Streuung derWerte um den Mittelwert sind die Varianz { bzw. die Standardab-
weichung s. Neben dem Buchstaben swerden oft auch ø (sigma), SDfür standard deviafion (engl.
Standardabweichung) oder m. F. für mittlerer Fehler verwendet. Werden die Varianz und die Stan-
dardabweichung von allen vorliegenden Messwerten bestimmt, wird der Buchstabe o verwendet.
lnsbesondere in der Analytik handelt es sich meist um keine Gesamtuntersuchungen, sondern
nur um einzelne Proben aus einer Grundgesamtheit. Für diese Stichprobenuntersuchungen wird
für die Varianz und die Standardabweichung meist der Buchstabe s eingesetzt.

Die VarianzJ und die Standardabweichung s sind jeweils ein Maß für die Streuung von
Messwerten um den Mittelwert.

Die Berechnung der Varianz s2 erfolgt über verschiedene Formeln. Welche Berechnungsformel
verwendet wird, hängt von der Art der Stichprobe ab.
Handelt es sich um eine Vollerhebung oder Totalerhebung von Messwerten, die beispielsweise
bei einer ständigen Messwertaufnahme im Produktionsprozess erfolgt, kann die so genannte
unkorrigierte Vaiianz 4nkorrisiert berechnet werden. Hierzu muss das arithmetische Mittel aller
Messwerte x-, der so genannten Grundgesamtheit, bekannt sein:

2
þ w,- *t2 o Xi x n
Gl. 1.3
4nkorrigiert lwie x2) | (variabel) | l*i"
n
"t I r

Von jedem Messwert ¡ wird das arithmetische Mittel x abgezogen und das Ergebnis 9lradriert;
die Summe aller Ergebnisse geteilt durch die Anzahl der Messwerte ergibt die Varianz ølnkorrisiert
der Messwerte. Für das Beispiel der Dickenmessung mit einem arithmetischen Mittel von
x = 174,3 ¡rm folgt:
j (178 pm - 174,9 Um)2 + (177 pm - 174,3 ¡rm)2 + ... + (175 ¡rm - 174,3 ¡rm)2
" unKorfrgrert 1 0

_(3,7 pml2 + 12,7 vml2 + ... + (0,7 vml2 - 98,1f m2


= 9,8
10 10
'.¡mz
Wird der gerundete Wert für das arithmetische Mittel von * = 174 pm eingesetzt, folgt:
(178 pm -174pm)2 +(177 Vm-174pml}2 +... + (175 pm-174pml2
4nkonigiert =
10

_ (4 pm)2 + (3 um)2 + ,., + (1 pm)2 = = e,epmz


Bei der Rechnung
10
"#
mit dem gerundeten arithmetischen Mittel pflanzt sich die Abweichung vom
nicht gerundeten Mittelwert fort. Sie erreicht nach mehreren weiteren Rechnungen eine deutlich
signifikante Größe. Bei jedem Arbeiten mit Messdaten ist daher überlegter Umgang erforderlich

Bei einer Vollerhebung von Messwerten wird die Varianz o2 als unkorrigierte Varianz
4ntorrisiert berech net'

34
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und überwachun g von Oualität

lst das arithmetische Mittel der Grundgesamtheit nicht bekannt, d. h. das arithmetische Mittel
kann nur aus einer kleinen Menge an aufgenommenen Messwerten berechnet werden, wird die
korrigierte Varianz oder unverzerrte Varianz, die auch als Stichprobenvarianz oder empirische
Varianz sioruisiert bezeichnet wird, über folgende Gleichung bestimmt:

s2t _ äw,-
xtz t X¡ x n
Gt. 1.4
orrigi".t (wie x2) (variabel) (wie x)
n-1 1

Basiert die Datenanalyse auf e¡nem kleinen Stichprobenumfang, aus dem das arithmetische
Mittel bestimmt wurde, wird die varianz als korrigierte varianz slorr¡g¡".r berechnet.

Unabhängig von der Berechnungsmethode ist die Einheit (Dimension) der Varianz nicht mit der
Einheit der Messwerte identisch. Daher wird statt der Varianz häufig die Standardabwe-ichung s
als absolutes Streumaß angegeben, die sich durch die Ouadratwurzel aus der Varianz s2 ergibi.

s s'
r=F (wie x) (wie l) Gl. 1.5

Die Ouadratwurzel aus der korrigierten Varianz s?orisi".t wird häufig als der mittlere quadratische
Fehler der Einzelmessung bezeichnet.

Die Standardabweichung s ist ein Maß für die Streubreite der Werte rund um das arithmeti-
sche Mittel. Sie besitzt die gleiche Einheit wie die beobachteten Messwerte.

Wird die Dickenmessung von S. 34 als Vollerhebung interpretiert, resultiert die Standard-
abweichung ø, die auch als wahre Standardabweichung bezeichnet wird.

o- 9,9¡rm2=3pm
Eine Standardabweichung o =3 pm bedeutet, dass die Messwerte bezogen auf den arithmeti-
schen Mittelwert x = 174 pm um 3 pm streuen. Auch die Schreibweise 174 pm * 3 pm verdeut-
licht diese Aussage.

Beispiel 1.1: Berechnung des arithmetischen Mittelwerts und der Standardabweichung


Es sollen jeweils genau 1000 g eines Geschmackstoffes in ein Gebinde abgefüllt werden. Die
Massen von sechs willkürlich gezogenen Gebinden sind in Tabetle I angegeben. Wie groß
sind der arithmetische Mittelwert und die Standardabweichung?
Lösung:
Der Mittelwert berechnet sich nach Gleichung 1.1 zu
(1001,3 + 1000,2 + 999,8 + 999,6 + 1000,7 + 999,2) s
X=

=
qiÅt - 1ooo,1 s
6 Probe Masse in g
1 1001,3
Da es sich um eine Stichprobe handelt, ergibt sich über
2 1000,2
Gleichung 1.4 mit dem Mittelwert x= 1000,1 g die Standard-
abweichung s zu. 3 999.8
(x¡ - Rl2
2,96 92
4 999,6
s?orisiurt = 0,769 g
n-1 5 5 1000.7
Der Mittelwert liegt rund 0,1 g über dem Sollwert und die 6 999,2
Standardabweichung beträgt etwa 0,8 g.

35
1 Oualität und Oualitätssysteme

lm Beispiel der Dickenmessung lassen .sich 169 182 175 170 176 176 177 185 179
die zehn Messwerte leicht überblicken. Uber 176 177 171 170 181 174 180 184 181
Messreihen größeren Umfangs kann zunächst 176 176 186 177 186 179 181 177 187
wenig ausgesagt werden. Die Urliste in Bild 1 177 180 167 179 185 173 178 180 172
178 185 177 179 166 183 174 142 175
enthält die unbearbeiteten Ergebnisse von ins-
182 175 168 173 175 177 183 180 178
gesamt 90 Messungen. Das Gesamtergebnis 176 177 169 174 174 183 172 172 171
der Dickenmessung ist unüberschaubar, da der 174 169 174 184 168 179 173 175 186
Stichprobenumfang sehr umfangreich ist. 180 176 174 176 173 181 184 178 171
182 176 170 177 174 177 177 178 175
Aus der Urliste kann durch eine Sortierung
nach Größe eine Rangliste und hieraus eine Bild 1: Urliste einer Dickenmessung
Strichl¡ste als Häufigkeitsliste erstellt werden
(B¡ld 2). ln der Strichliste sind die gemessenen
Foliendicken der Reihe nach vom kleinsten bis 16s 1A2
tltÌtrcra
fl5...
@tr@
166,167,168,168, rOà'i
116 177 111 ... 169, 169, 169, 170,
zum größten Wert untereinander gesetzt. Sie 176 176 186... 170,170,171,171, 168:ll
167: I

17'1 180 167... 171,172,172,172, 169:lll


sind das beobachtete Merkmal ¡. 174 1AS 177... - 173,173,173,173, 170:lll
ß2 t75 177 1'14, 1i4,1i4,1'14, -Ù vt:lll
Die Häufigkeit H des Vorkommens der Einzel- 182 175 168 ...
176 177 169...
174,176... 1'12:lll
173:llll
werte xi wird durch Striche gekennzeichnet 17s 169 174... | | 174:+lH
ßo 176 174 ... I I 175: +tH
und die entsprechende Spalte der Strichliste
I
I I
1e2 176 11o.. I 176:+tH ilil
_)
erhält die Kennzeichnung H(¡). Eine derartige
Strichliste stellt eine geordnete Liste aller ge- unbea rbeitete Messwerte nach Strichliste für die
messenen Werte dar, die bereits ein anschau- Liste mit der Größe sortiert Häufigkeit des
Messwerten Auftretens
licheres Bild über die gemessenen Werte gibt
(B¡rd 3). Bild 2: Übergang von einer Urliste über eine Rang-
liste zur einer Häufigkeitsliste
Es lässt sich erkennen, wie sich die gemesse-
nen Werte der Foliendicken zwischen dem H lx)
Minimal- und Maximalwert verteilen.
Werden die Merkmalswerte x' und absoluten
Häufigkeiten H(x¡) in ein x-y-Diagramm einge-
tragen, ergibt sich durch Verbinden ein Häufig-
keitspolygonzug (B¡ld 4).
Die Foliendicken wurden nicht auf mehrere
Nachkommastellen genau gemessen. Eine
Folie der Dicke 177 pm besitzt bei genauerer
Messung vielleicht eine Dicke von 177,39 pm
oder auch nur von 176,64 pm. Der Wert kann
demnach zwischen 176,50 pm und 177,49 ¡tm
schwanken. Die gemessenen Werte stellen so-
mit eine Klasse kvon Foliendicken dar, die um
1 pm schwankt und alle Zahlen von 176,50 bis
177,49 pm enthält. Festgehalten wurde in der
Urliste jeweils nur die Mitte des Messintervalls
Bild 3: Häufigkeitsliste als geordnete Liste
von hier 177 pm. Um diesem Umstand Rech-
2
nung zu tragen, wird statt eines Häufigkeits- 1

polygonzugs wie in Bild 4 oft ein Histogramm t 0


q
(Staffelbild) gezeichnet (B¡ld 1, S.37). Die a
I 8
Rechtecke über den Merkmalklassen im His- .Ë 7
o b
togramm sind proportional zu den Höhen der o 5
zugehörigen Häufigkeiten H(x'). l 4

Es ist auch möglich, Einzelwerte eigenstän- -o


¡ñ
3
2
f,
dig zu Klassen k zusammenzufassen. Dies ist 1
0
insbesondere dann notwendig, wenn zu viele -o 1 65 170 175 180 185
Klassen ein zu unübersichtliches Verteilungs- Durchmesser in pm +
bild geben. Als Faustformel für die Anzahl an Bild4: Häufigkeitspolygonzug
36
1.5 Mathematisch-statistische Methoden zur Kontrolle und überwachu ng von Oualität

Klassen wird aus der Gesamtanzahl aller Wer-


te die Ouadratwurzel genommen und auf die
nächstliegende ganze Zahl angepasst. lm Bei- t
spiel der Dickenmessung mit zehn Einzelwer- 5
I
ten wäre die Anzahl der Klassen k = {lO - g,Z .ts
o
+ k = 3 zu klein, so dass sich ein zu grobes F
Verteil ungsbild ergibt. :o
T
Durch Vergrößern des Stichprobenumfangs o
bei der Dickenmessung werden sich die ge- EØ
messenen Zahlen gleichmäßiger über die ge- -o 65 170 175 180 185
Durchmesser in pm +
samte Spannweite verteilen, Die Kurve, die
zusätzlich zum Histogramm in Bild 1 einge- Bild 1: Histogramm m¡t theoretischem Kurven-
zeichnet ist, zeigt den theoretischen Verlauf verlauf
dieser Verteilung.
Liegen sehr viele Messwerte vor, lassen sich Die gelbe Fläche repräsentiert
ihre Abweichungen vom Mittelwert durch ei- rund 68,3 % aller Messwerte
nen Kurvenzug wie den der Normalverteilung Die gelben und die Wendepunkte
exakt oder in sehr guter Näherung beschreiben. t hellgrünen Flächen der Glockenkurve
Nach dem deutschen Mathematikeç Astronom, repräsentieren
F zusammen etwa
Geodät und Physiker Carl Friedrich Gauß 11777 95,4Y" aller
bis 1855) wird die Normalverteilung auch als Messwerte
Gauß-Verteilung bezeich net. 6aßY"
Die grafische Darstellung trägt vorwiegend im 27,1 %
deutschsprachigen Raum auch die Bezeich- rÅ 4,3%
nung Gaußsche Glockenkurve (Bild 2). Der
Graf ist symmetrisch und der Hochpunkt liegt * -3o Í-1o * X+1o x +3o
an der Stelle des arithmetischen Mittelwerts t. x -2o X+2o
Die Messwerte streuen um diesen Mittelwert
und die Anzahl der Messwerte nimmt mit zu- Bíld 2: Grafische Darstellung einer Normalver-
nehmendem Abstand vom arithmetischen Mit- teilung bzw. GaußschenGlockenkurve
telwert ab. Es ergibt sich ein glockenförmiger
Verlauf. Nach beiden Seiten nähert sich die Kurve der Abszisse asymptotisch, d. h. die Kurve
nähert sich der x-Achse immer weiter und berührt sie im Unendlichen.
Die Glockenkurve besitzt zwei Wendepunkte, die im Abstand der Standardabweichung o von der
Senkrechten über dem arithmetischen Mittel xentfernt sind. Da bei normalverteilten Größen für
die Standardabweichung der Buchstabe ø verwendet wird, beträgt der Abstand zwischen den
beiden Wendepunkten damit 2o'.

Liegt bei einer anderen Messung beispielsweise eine kleinere Standardabweichung ø vor, fällt
die Glockenkurve steiler ab. Mit größerem ø nimmt die Breite der Glockenkurve zu.

Liegt eine Glockenkurve vor, gibt die Standardabweichung ø die Breite im Wendepunkt an

Die Streubreite lässt sich sowohl nach links als auch nach rechts um den Mittelwert bei der Ver-
teilung in Streuintervalle einteilen.
Das erste Streuintervall besitzt einen sogenannten einfachen Streubereich mit einer Bereite von
+ 1ø. Aus dem Mittelwert x und der Standardabweichung d berechnet sich die untere Grenze
dieses lntervalls durch x - ø und die obere Grenze aus .f + ø (Bild 2).
Die Berechnung der Fläche unterhalb der Glockenkurve ergibt insgesamt eine Fläche mit der
Maßzahl 1 oder 100%. Der Flächeninhalt unterhalb der Kurve mit den seitlichen Grenzen t-o
und x + o ergibt rund 68,3 % der Gesamtfläche. Demnach befinden sich etwas mehr als 2/t aller
Messwerte innerhalb dieses einfachen Streubereichs.
37
;;;ru
Streubereich von + 2o mit den Grenzen * - 2o und I + 2o berechnen. Zwischen den beiden Gren-
zen liegen etwa 95,4 o/o der gesamten Fläche der Glockenkurve. Etwa 95,4% aller Messwerte liegen
im zweifachen Streubereich. Nur 100 % - 95,4 % = 4,6 % der Messwerte liegen außerhalb dieses
*
Bereichs: 2,3 To liegen unterhalb der x - 2o-Grenze und 2,3 % liegen oberhalb der Í + 2o-Grenze.

Das Streuintervall von - 3ø bis + 3ø umfasst etwa 99,7 % der Messwerte. Entsprechend liegen
0,3 % der Messwerte außerhalb des dreifachen Streubereichs.

Liegen Messwerte außerhalb der zwei- oder dreifachen Standardabweichung, werden diese als
Ausreißer bezeichnet. Ausreißer weisen auf grobe Fehler hin und werden durch Ausreißertests
verifiziert.

Ein Ausreißer ist ein Messwert, der nicht in eine erwartete Messreihe passt bzw. jenseits des
festgelegten Streuungsbereichs liegt.

ln der Praxis ist die Normalverteilung anwendbar, wenn die Messdaten ungefähr symmetrisch um
den Mittelwert verteilt sind. Die Verteilung der Messwerte muss der Normalverteilung ähnlich sein.
Nur in diesem Fall ist eine Abschätzung der Streuintervalle bzw. der Flächen möglich. Für schiefe
Verteilungen, sogenannte nicht normalverteilte Messdaten, gelten die Eigenschaften nicht.

1.5.4 Variationskoeffizient v
Das arithmetische Mittel und die Standardabweichung zeigen für eine Untersuchung eines be-
stimmten Merkmals wie beispielsweise die Foliendicke, welchen Mittelwert x die gemessenen
Werte ergeben und wie sie um diesen Wert streuen. Ein Vergleich der Streuungen verschiedener
Merkmale wie z. B. die Foliendicke und Zugfestigkeit oder Farbe ist so nicht möglich. Hierzu
ist es notwendig, die berechneten Standardabweichungen als relative Streuungen anzugeben.
Diese relativen Streuungen werden als Variationskoeffizient vbezeichnet und werden in Prozent
angegeben,
Zur Berechnung des Variationskoeffizienten vwird die Standardabweichung s mit dem arithmeti-
schen Mittel Í ins Verhältnis gesetzt. Es gilt:

s x
v=9x 100 % Gl. 1.6
% | twie xt I twie xl

Der Variationskoeffizient v ermöglicht als relative Streuung bei der Untersuchung unter-
schiedlicher Merkmale den Vergleich von Standardabweichungen s von ihren jeweiligen Mit-
telwerten .[.
Je kleiner der Variationskoeffizient 4 desto dichter liegen die einzelnen Messwerte um den
Mittelwert.

Anwendungsbeispiel: Die stichprobenartige Untersuchung einer Foliendicke hat ergeben, dass


eine Standardabweichung von s = 3 Um vorliegt. Als Sollwert ist eine Dicke von 174 pm vorgege-
ben. Bei einer Untersuchung der Zugfestigkeit für diese Folien ergibt sich ein Zugfestigkeitswert
von 750 MPa mit einer Streuung um den Mittelwert von 14 MPa.
Ein direkter Vergleich der Streuungswerte für die Untersuchungen von Foliendicke und Zug-
festigkeit ist aufgrund der unterschiedlichen Einheiten nicht möglich. Der Vergleich der Varia-
tionskoeffizienten hingegen zeigt, dass sowohl für die Dicke mit vD¡"k" o Q,2To als auch für die
Zugfestigkeit mit v7rn1".1¡ gkeft=O,2 % etwa dieselben relativen Streuungen vorliegen. Die beiden
Merkmale Foliendicke und Zugfestigkeit streuen ungefähr gleich stark um ihr arithmetisches Mit-
tel. Diese beiden Merkmale sind mit vergleichbarer Unsicherheit gemessen.
38
1.6 07 - Werkzeuge und Oualität

1.5.5 Spannweite fl
Anstelle der Standardabweichung swird oft ein anderes, einfach zu berechnendes Maß angege-
ben: die Spannweite, Streubreite oder Variationsbreite F (engl. rangel. Die Spannweite R ist die
Differenz zwischen dem kleinsten Wert und dem größten Wert der aufgenommenen Messwerte:

fl=X."*-X-¡n Æ
| "*u" I ".,n Gt. 1.7
(wie x) | (variabel)
(variabel)
|

Für das Beispiel der Dickenmessung (vgl. Tabelle 1, S. 32) beträgt die Spannweite B damit:

R = X-u*- Xmin = 178 ¡rm - 167 pm = 11 um

Die Spannweite besitzt die gleiche Einheit wie die Messwerte und gibt einen ungefähren Ein-
druck über die Streuung dieser Werte. Da sie nur von den beiden Extremwerten abhängt, kann
der lnformationsgehalt sehr verzerrt sein. lst einer der Extremwerte ein Ausreißer, ist die Spann-
weite deutlich beeinflusst.
Bei wenigen Messwerten, d. h. einem kleinen Stichprobenumfang, ist die Aussage der Spann-
weite größer als bei einem großen Stichprobenumfang. Deshalb wird die Spannweite vorzugs-
weise bei kleinen Stichprobenumfängen eingesetzt.

Die Spannweite fl eines untersuchten numerischen Merkmals ist der Abstand zwischen dem
größten und dem kleinsten Zahlenwert. Ausreißer beeinflussen die Spannweite deutlich.

Die Spannweite B gibt eine ungefähre untere und eine obere Grenze an, in der sich die Messwer-
te bewegen, so dass hieraus Standardabweichungen abgeschätzt werden können. Die Spannwei-
te wird daher u, a. zur Abschätzung bei den Oualitätswerkzeugen genutzt.

1.6 O7 - Werkzeuge der Oualität


Bei jedem Prozess wird angestrebt, die gesetzten Soll-Werte zu erreichen, um geforderte Pro-
dukteigenschaften zu erzeugen. Nach dem Oualitätsdenken und -streben führt jede Abweichung
vom Soll-Wert zu einer Nichterfüllung von Merkmalen und somit zur Nichterfüllung von Kunden-
wünschen.
Ziel darf es daher nicht sein, Abweichungen in einem Prozess nur zu berechnen, sondern Abwei-
chungen direkt und leicht zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Diesen Grundsatz vertrat
der Japaner Karou lshikawa (1915 bis 1989), der mathematische und statistische Berechnungen
zum Erkennen von Prozessabweichungen einsetzte. Ergänzend hierzu visualisierte er die Ergeb-
nisse anschaulich und legte damit die Grundlagen, Fehlerquellen aufzudecken, zu verstehen und
zu beseitigen,
Auf lshikawa gehen die Sieben Oualitätswerkzeuge zurück, die sogenannten 07, die auch heute
in der Oualitätsarbeit eine große Rolle spielen (B¡ld 1, S. 40). Die 07 bauen aufeinander auf, er-
gänzen sich und umfassen im gemeinsamen Zusammenspiel die volle Bandbreite in der Ouali-
tätsarbeit. Deshalb werden diese Methoden als elementare Werkzeuge der Oualität bezeichnet.
Die Sieben Oual itätswerkzeu ge u nterstützen bei :

. der numerischen Datenerfassung und Datenanalyse,


. der Eingrenzung von Problemen,
. dem Auffinden von Fehlern,
. der Einschätzung von Fehlereinflussgrößen.
Durch diese elementaren Werkzeuge werden das Vorgehen bei auftretenden Abweichungen so-
wie die Dokumentation vereinheitlicht. Mithilfe dieser Werkzeuge ist es daher möglich, die Reak-
tionen auf Abweichungen zu optimieren und Reaktionszeiten zu verringern.
39
1 Oualität und Oualitätssysteme

Fehlererfassung
OEG
und grafische ----x--r-oWG
Darstellung

-1-------uwc
UEG
Merkmal 1: l*H ll
Merkmal 2: llll
Merkmal :: l{H llll @ Oualitätsregelkarte
I i

@ Fehlersammelliste @ Histogramm

@ Ursache-Wirkungs-Diagramm @ Kor relationsdiagramm

-:I-t=
:I
I
|

\\l
-lÈ---Èuuatttat
--]JtJ i
Ursache W¡rkung
tE
I
@ Brainstorming @ Pareto-Diagramm
Merkmâl 2 +

No'I¡.+ogro,3Ílo'b.e
lQ$ c¿p t
lûreto i

Fehleranalyse QM tso ,oo:__)


und Lösungsfindung

Bild 1: Die sieben Oualitätswerkzeuge als elementare Werkzeuge der Oualität

Mit der Fehlersammelliste, der Oualitätsregelkarte und dem Histogramm werden in der Phase
der Fehlererfassung die lnformationen zu den Fehlerarten, -häufigkeiten sowie -orten gezählt und
grafisch dargestellt.

Die elementaren Werkzeuge Korrelationsdiagramm, Pareto-Diagramm, Brainstorming sowie


Ursache-Wirkungs-Diagramm werden zur Analyse von Fehlern eingesetzt. Außerdem können
mit diesen Werkzeugen die Bedeutung einzelner Fehler sowie die Wechselwirkungen von Fehlern
untereinander ausgemacht werden. Diese Werkzeuge dienen somit der Lösungsfindung, um zum
q ual itativ hochwertigen Prozess zurückzukeh ren.

Auch wenn alle Werkzeuge der 07 aufeinander aufbauen, können sie trotzdem unabhängig von-
einander in der Oualitätsarbeit eingesetzt werden.

Die Sieben Oualitätswerkzeuge oder 07 sind elementare Werkzeuge für die Datenerfassung
und -analyse sowie für das Auffinden von Fehlern in Prozessabläufen und Lösungsstrategien.
Durch die 07 können Reaktionen auf Abweichungen optimiert und Reaktionszeiten minimiert
werden. Die 07 dienen der Sicherstellung von Oualitätsstandards.

1.6.1 Fehlersammell¡ste
Fehlersammellisten, auch Fehlersammelkarten oder Strichsammellisten genannt, sind ein
Oualitätswerkzeug, das über die Art und die Anzahl von Fehlern Auskunft gibt. Mit Fehler-
sammellisten können Fehler auf einfache Weise erfasst werden. Die Darstellung ist leicht ver-
ständlich. Jedes eintretende Ereignis wird durch einen Strich festgehalten
Während sich Untersuchungen mit einem Stichprobenumfang von zehn Messwerten wie im
Beispiel der Dickenmessung (Tabelle 1, S. 32) leicht überblicken lassen, sind Stichprobenum-
40
1.6 07 - Werkzeuge und Oualität

I
fänge von hundert oder mehr Messwerten
zu umfangreich. Hierzu eignet sich eine Feh-
lersammelliste. Mit ihr können sowohl unter-
schiedliche Merkmale (B¡ld 1)als auch Größen-
Temperatu rfehler lr+t ilt II
messwerte erfasst werden (Bild 2). Wägefehler ++fi w|t t]-tt I I I9
Abweichung
Die Fehlersammelliste zur Erfassung von Grö- Wellenlänge ilt +++t ++fi |
ßenwerten kann direkt angefertigt werden,
wenn bekannt ist, welche Werte die kleinsten Reißfestigkeit ilil 7

und die größten Messwerte annehmen. Ohne Sonstiges il


diese Extremwerte sind die Messwerte in einer
Gesamt: 2l (Ã
Urliste zusammen zu tragen und anschließend. 2ò

der Größe nach zu ordnen sowie zu klassieren.


Dies kann dann in eine Strichsammelliste um- Bild 1: Fehlersammelliste für unterschiedliche
gesetzt werden (B¡ld 3). Merkmale

ln der Strichsammelliste werden alle Werte


vom Minimal- bis zum Maximalwert unterein-
ander gesetzt und die Häufigkeit des Vorkom-
253 +t+t il 7
mens der beobachteten Messwerte durch Stri-
che markiert. Diese geordnete Liste enthält alle 254 ]+tt ]+ff il T2

beobachteten Werte ¡ mit den zugehörigen 255 l]-tt +t+t +l+t il 17


absoluten Häufigkeiten Hlxil bzw. den Beset-
zungszahlen.
256 ]+tt#tt ilil 14

257 +l+t +l1t il T2

258 +t+t il il 9
ne Fehlersammelliste, Strichsammelliste
Ei
oder Fehlersammelkarte ist ein Oualitäts- 259 +tif I 6

werkzeug zur Erfassung und Darstellung Bild 2: Fehlersammelliste für Größenwerte


von Ereignissen nach Art und Anzahl. Je-
des Ereignis wird durch einen Strich festge-
halten.

1 51,915 51,944 3
Die geordnete Liste gibt ein anschaulicheres 2 51,945 51,974 6
Bild der gemessenen Werte als die Urliste und
zeigt sogar eine.Verteilung der Werte zwischen
3 51,975 50,004 ililt 5

dem Minimal- und Maximalwert (Bild 3). Die 4 52,005 52,034 tl


Fehlersammelliste liefert damit bereits Hinwei- 5 52,035 52,064 ilil1 ililt il TL

se zu Prozessabläufen und bildet die Basis für 6 52,065 52,094 6


weitere Berechnungen und statistische Analy- 7 52,095 52,124 6
sen. Aus den Fehlersammellisten können oft I 52,125 52,155 I
auch schon Rückschlüsse auf mögliche Fehler-
ursachen gezogen werden, so dass eine Ver- Bíld 3: Fehlersammelliste mit klassierten und ge-
besserung des Prozesses erfolgen kann. ordneten Werten aus der Urliste

Voraussetzung für die Aufnahme einer Fehlersammelliste im Rahmen der Oualitätsarbeit ist,
dass die äußeren Einflussfaktoren konstant sind und damit alle erfassten Fehler den gleichen
grundlegenden Bedingungen unterliegen.

1.6.2 Oualitätsregelkarte
Die Oualitätsregelkarte bzw. Regelkarte wird im Oualitätsmanagement zur bildlichen Veran-
schaulichung und Auswertung von Prüfdaten verwendet, die über einen längeren Zeitraum hin-
weg fortlaufend aufgenommen werden. Sie ist damit eher ein Datenblatt oder ein Schaubild als
eine Karte (B¡ld 1, s.42).
41
1 Oualität und Oualitätssysteme

Oualitätsregelkarten werden auch häufig bei


der Prozessbeobachtung eingesetzt, um einen
laufenden Prozess zu überwachen. Unregel- t
E l+3o
mäßigkeiten im Prozessablauf werden hierin F
o
obere Eingriffsgrenze
----oEG
schon früh deutlich, so dass zur Vermeidung c i+2o
Warn- obe re #;n¿;;o*o
o
von Fehlern und Ausschuss entsprechend ein- N
c l+1o be reich
Kontrol!- .9
gegriffen werden kann. o t20 bereich o
\Z !3ø !
--> x
Mittelwert c
ln der ist für jede
Oualitätsregelkarte Stich- U I
probeneinheit der gemessene Wert eines l-1o 0/o F
-99,7
Merkmals eingetragen, so dass sich ein fort- x -2o --------- UWG
untere Warngrenze
laufendes x-y-Achsendiagramm ergibt. Zur
Orientierung sind statistische Werte wie der -3o untere Erngflttsgrenze
Sollwert oder der arithmetische Mittelwert.[
als Mittellinie und auch die Standardabwei- Nummer der Messung oder +
chungen mit in die Regelkarte eingezeichnet. Zeitpunkt der Messung
Die Lage der Messwerte kann somit direkt in
Relation zu diesen statistischen Werten und Bild 1: Oualitätsregelkarte
den anderen eingetragenen Messwerten beur-
teilt werden. lm Einsatz sind unterschiedliche Regelkarten, die von den verfügbaren statistischen
Größen und die Stichprobengrößen abhängig sind. Allgemein dienen Regelkarten der Analyse
von Messwertlagen und dem Erkennen von Prozessabläufen.

Eine Oualitätsregelkarte ist eine grafische Darstellung zur Auswertung von Prozessdaten und
zur Prozessbeobachtung.

Die Regelkarte wird ausgehend von der Mittellinie in Zonen eingeteilt. Der Abstand der Zonen
entspricht beispielsweise jeweils dem Abstand einer Standardabweichung o. Die äußerste Gren-
ze sowohl in positiver als auch in negativer Richtung von der Mittellinie stellt die Toleranzgrenze
dar, die die noch tolerierte Abweichung darstellt. Der Bereich innerhalb der 3o-Grenzen wird als
der natürliche Toleranzbereich bezeichnet.

lnnerhalb der Toleranzgrenzen sind im Schaubild Warngrenzen (OWG, UWG) und Eingriffsgren-
zen (OEG, UEG) eingezeichnet. Die jeweilige positive und negative Grenze liegt im betragsmäßig
gleichen Abstand oberhalb und unterhalb des Sollwerts oder des arithmetischen Mittelwerts i.
Jedes Uberschreiten dieser Grenzen weist auf Unregelmäßigkeiten oder Fehler hin.

Folgt die Verteilung der Messwerte der Gaußschen Normalverteilung (s. Kap. 1.5.3., S. 37), kenn-
zeichnen die Warngrenzen den Bereich von t 2o um den Mittelwert. ln diesem Bereich sollten
rund 95,4 Yo aller gemessenen Werte liegen. Ein Wert jenseits der Warngrenze kann auf Ver-
änderungen des Prozessablaufs hinweisen, die durch geeignete Maßnahmen wieder korrigiert
werden können. Ein Eingriff in den Prozess kann notwendig sein, Die beiden Eingriffsgrenzen
stellen dementsprechend den * 3o-Bereich dar, in dem etwa 99,7 o/o aller Messwerte enthalten
sein sollten.

ln der Regelkarte sind neben dem Sollwert auch die Warngrenzen (OWG, UWG) und die
Eingriffsgrenzen (OEG, UEG) eingezeichnet, so dass die Lage der Messwerte zu den Grenzen
deutlich wird.

Liegt ein Messwert jenseits der Eingriffsgrenze, so kann der Prozess außer Kontrolle sein. Es ist
notwendig, in den Prozessablauf einzugreifen, bevor die Toleranzgrenzen überschritten werden.

Die in der Regelkarte gesetzten Grenzen beziehen sich auf statistisch berechnete Werte, so dass
von der Gesamtheit aller hergestellten Produkte (100 %) außerhalb des 3ø-Bereichs (99,7 o/o) rein
rechnerisch insgesamt 100 % - 99,7 % = 0,3 % aller hergestellten Produkte liegen.
42
1.6 07-Werkzeuge und Oualität

Anhand der grafischen Darstellung der einzel-


nen Messwerte in der Oualitätsregelkarte ist x+ 3a OEG
direkt ersichtlich. ob der Prozess regulär ver- R+2o --- owc
läuft. Streuungen der Messwerte um den Mittel-
wert, beispielsweise hervorgerufen durch ge-
ringfügige Temperaturschwankungen oder
R -2o
X

-- ---uwc
H
Anderungen von Werkstoffeigenschaften, sind
R -3o
immer ein normaler Bestandteil von Prozessen. ---UEG
Nummer der Messung --->
Bild 1: Trend
Unregelmäßigkeiten zeigen sich jedoch nicht
immer in einem Überschreiten der Warn- oder
Eingriffsgrenze. ln Oualitätsregelkarten kann
auch eine stetige Verschiebung von Messwer- l+3o
x+2o OWG
ten deutlich machen, dass Prozesseinflüsse
vorhanden sind, die nicht regulär sind. Mess- x
wertverschiebungen, wie sie bei einem deutli-
chen Trend oder einer Drift vorliegen, können X -2o
z. B. auf fehlerhafte oder verschlissene Werk- X -3o utc
zeuge hindeuten (Bild 1). - - --"-,.n"r* M";"n *-
Bild 2: Sägezahnverlauf
Regelkarten zeigen aber auch andere Eigen-
tümlichkeiten, die einen Prozesseingriff not-
wendig machen. Liegen mehr als sieben Mess- *+3o
werte auf einer Seite des Mittelwerts, liegt ein F+2o
sogenannter Runvor.
x

Auch bei einem systematischen Wechsel, wie * -2o


bei einem Sägezahnverlauf, bei dem aufjeden R -3o --- UEG
tiefen Punkt ein hoher Punkt folgt oder umge- Nummer der Messung +
kehrt (Bild 2), oder wenn zwei Drittel der Mess-
werte zu nah am Mittelwert (Bild 3) bzw. zu Bild 3: Messwerte zu nah am Mittelwert
nah an den Eingriffsgrenzen (B¡ld 4) liegen, ist
ein Eingriff in den Prozess notwendig.
R+3o OEG
R +2o
------owc
lm Fall von großen Schwankungen zwischen
den Eingriffsgrenzen kann es sich um eine x
lnstabilität (unbeherrschter Prozess) handeln.
Ein Sprung in den Messwerten zeigt sich in der * -2o -_UWG
* -3o _ UEG
Fehlersammelliste durch eine sprunghafte Ver- Nummer der Messung +
schiebung der Werte in eine Richtung (Bild 5).
Bild 4: Messwerte zu nah an den Grenzen

Die grafische Darstellung eines Messwert-


sprungs ist sehr markant. Sie lässt sich auf eine
x +3o
neue Einflussgröße im Prozess zurückführen.
x +2o - OWG

Für die Verwendung von Oualitätsregel-


karten gilt wie für Fehlersammellisten, dass I -2o _-_UWG
die Stichproben unter gleichen Voraussetzun- x -3t¡ UEG
gen genommen worden sein müssen, um ver- Nummer der Messung +
wertbare Ergebnisse für die Sicherstellung der
Oualität zu erhalten. Bild 5: Sprung
43
1 Oualität und Oualitätssysteme

1.6.3 Histogramm 120 4


Ein Histogramm ist ein Säulendiagramm
I

r.t 15 3
(Bild 1). Es dient zur Analyse und grafischen Ëo 2

T Darstellung von Daten. Um die Anzahl an Säu-


len im Diagramm zu reduzieren, werden die Da-
ten zuerst in Klassen gruppiert. Jede Klasse von
õo
øE
<f
¡f
10

0
1
5

6
7

Daten wird dann durch eine Säule repräsentiert. 789 10 11 12 13 14 15


Damit bei dieser Zusammenfassung der Daten Durchmesser in mm +
keine lnformationen verloren gehen, ist mit Bild 1: Histogramm
Vorsicht vorzugehen. Die DIN 55 302 empfiehlt
in Abhängigkeit vom Stichprobenumfang eine unterschiedliche Anzahl an Säulen. Grundsätzlich
sollen mindestens fünf und höchstens 25 Klassen im Diagramm dargestellt werden.
Als Faustregel kann die Anzahl der Klassen k über die Ouadratwurzel aus dem Stichproben-
umfang n berechnet werden, wobei auf die nächstliegende ganze Zahl gerundet wird. Für einen
Stichprobenumfang n = 60 ergibt sich für die Klassenanzahl k

k n
k=,,[n = úo = 7,75+ 8 G¡- 1-8
1 1

Bei einem Stichprobenumfang von 60 Einzelwerten bieten sich insgesamt 8 Klassen und somit 8
Säulen im Histogramm an.
Die Zusammenfassung der Einzelwerte zu Klassen ermöglicht eine übersichtliche Darstellung
großer Datenmengen in einer Grafik. Aus dieser Darstellung werden sowohl Trends als auch
Anhäufungen von Werten direkt ersichtlich (Bild 1). Werden zu wenige Klassen gebildet, ist das
Histogramm zu grob. Die Aussage ist zu vage. Zu viele Säulen im Diagramm ergeben kein über-
sichtliches Verteilungsbild.
Der kleinste gemessene Einzelwert wird als untere Grenze der
Sollwert
ersten Klasse des Histogramms festgehalten. Wird über die I

Spannweite Ædie Breite B berechnet und zu diesem Einzelwert


addiert, ergibt sich die obere Grenze der ersten Klasse. Die
nächstgrößeren Werte gehören dann zur zweiten Klasse, deren
obere Grenze sich ebenfalls durch Addition der Klassenbreite B
ergibt, Entsprechend werden alle Einzelwerte den Klassen zu-
geordnet.
b)

B R k
B=E Gl. 1.9
k 1 1 1
c)
Tolera nzgrenzen
Die Häufigkeit der Einzelwerte bestimmt beim grafischen Auf- Bild 2: Histogramm eines
tragen der Säule in das Diagramm die Säulenhöhe. Auf der Ab- a) zentrierten Prozesses,
szisse (waagrechte Achse) wird das gemessene Merkmal auf- b) zu niedrig laufenden
getragen, die Ordinate (senkrechte Achse) trägt die Häufigkeit Prozesses, c) positiv schief
(Bird 2). verteilten Prozesses mit
zu hoherstreuung
Zusätzlich zu den Säulen können im Histogramm der Sollwert
und auch die Toleranzgrenzen eingetragen werden (Bild 2a). Anhand dieser Werte ist die lnter-
pretation des aufgestellten Histogramms einfach möglich. lst das Maximum der Säulen gegen-
über dem Sollwert nach links verschoben (B¡ld 2b), liefert der Prozess im Mittel zu geringe Werte.
Man spricht davon, dass der Prozess zu niedrig läuft.
Liegen die Säulen im Histogramm auch außerhalb der Toleranzgrenzen, ist die Streuung der Mess-
werte zu groß, lm Bild 2c deuten die Säulen außerdem an, dass kein zentrierter Prozess vorliegt. Es
handelt sich im dargestellten Fall um einen schief verteilten Prozess mit zu hoher Streuung.
44
1.6 07 -Werkzeuge und Oualität

Das Histogramm ist ein Säulendiagramm, in dem alle Einzelwerte aufgeteilt in Klassen erfasst
sind. Die Klassen bestimmen die Breite jeder einzelnen Säule. Die Höhe der Säulen ergibt sich
aus der absoluten Häufigkeit für das Auftreten des gemessenen Merkmals.

1.6.4 Korrelationsdiagramm
Die Eigenschaften eines hergestellten Produkts können von-
einander abhängen bzw. sich gegenseitig beeinflussen oder a
a

vollkommen unabhängig voneinander sein. Betrachtet man ein a


a
chemisches System, so wird die Farbe dieses Systems von den
a
Mengenanteilen der enthaltenen Stoffe abhängen. Genauso
kann es sich mit dem Stoffmengenanteil und beispielsweise a)
der Festigkeit oder einer anderen Eigenschaft verhalten. Zwi-
schen den verschiedenen Merkmalen besteht eine wechselsei-
tige Beziehung oder Abhängigkeit, eine Korrelation (lal. corre-
/afio, Wechselbeziehung). I

Die wechselseitige Beziehung kann mithilfe eines Korre- b)


lationsdiagramms aufgedeckt und dargestellt werden. Hierzu
werden zwei oder mehr Merkmale eines Produkts gemessen
und in einem Koordinatensystem als Wertepaar gegeneinan-
der aufgetragen. Die Darstellung aller gemessenen Wertepaare a
zeigt dann an, ob zwischen diesen Merkmalen eine Abhängig- a
keit besteht bzw. wie stark die Wechselbeziehung dieser Merk-
c)
male ist. Mit der Anzahl der eingetragenen Wertepaare steigt
die Aussagekraft des Korrelationsdiagramms. Voraussetzung
für die Vergleichbarkeit der gemessenen Wertepaare sind un- Bild 1: Korrelationsdiagramme
a) ohne Korrelation,
verä nderte Messbedi n g u n gen.
b) mit starker Korrelation,
cl mit schwacher Korre-
Besteht zwischen den Merkmalen keine Korrelation, so sind die
lation der aufgetra-
für die Wertepaare eingetragenen Punkte im Diagramm wahl- genen Merkmale
los verteilt (Bild 1a). Eine starke Abhängigkeit zeigt sich hinge-
gen durch ein Muster, wie es beispielsweise in Bild 1b vorliegt.
Die Punkte sind gut durch eine Regressionsgerade anzupassen.
Schwache Korrelationen äußern sich in einem Muster, das zwi-
schen den beiden dargestellten Extremen liegt. ln diesem Fall
scharen sich die Punkte nicht direkt um die eingezeichnete Aus-
gleichsgerade (Bild 1c).

Je näher die Punkte im Korrelationsdiagramm an der Aus- a)


gleichsgeraden liegen, desto stärker ist die Wechselbezie-
hung zwischen den aufgetragenen Merkmalen.
a

a
Mit Korrelationsdiagrammen kann neben der Stärke der Wech-
selbeziehung der einzelnen Merkmale auch die Richtung der
Beziehung grafisch verdeutlicht werden. Die Beziehungsrich-
tung zeigt sich bei eÌnem Diagramm mit zwei Merkmalen mit li- b)
nearem Zusammenhang durch eine positive (Bild 2a) bzw. eine
negative Steigung (Bild 2b) der Ausgleichsgeraden. Das Vorzei-
chen der Steigung der Ausgleichsgeraden bestimmt dann die Bild 2: Korrelationsdiagramme
Bezeichnung der Beziehungsrichtung als positive Korrelation mit a) positiver Steigung
oder negative Korrelation. b) negativer Steigung
45
1 Oualität und Oualitätssysteme

! Bei einer linearen positiven Korrelation nimmt bei der Zunahme des einen Merkmals das
andere Merkmal zu.
Bei einer linearen negativen Korrelation nimmt bei der Zunahme des einen Merkmals das
andere Merkmal ab.

Die Aussage der Korrelationsdiagramme bezieht sich auf die gemessenen Werte und gibt somit
nur an, ob ein statistischer Zusammenhang zwischen den Werten der Wertepaare vorliegt. Eine
logische Abhängigkeit der gegenübergestellten Werte muss zusätzl¡ch überprüft werden.

Korrelationsdiagramme verdeutlichen, ob zwischen verschiedenen Merkmalen eine Wechsel-


beziehung bzw. Abhängigkeit vorliegt.
Eine Korrelation ist damit nicht zwingend bewiesen.

1.6.5 Pareto-Diagramm
Der italienische lngenieur und Ökonom Vilfredo Frederico Pareto (1848 bis 1923) fand bei der
Untersuchung von Vermögensverteilungen heraus, dass etwa 20o/o der Familien ungefähr 80 %
des Vermögens besitzen.

Aus diesem Ergebnis leitet sich das Pareto-Prinzip ab, nach dem sich viele Aufgaben durch einen
Einsatz von 20 % erledigen lassen, wobei hierdu rch 80 %' der Probleme gelöst werden.

ln der Projektarbeit zeigt das Pareto-Prinzip, dass 80 lo der Ergebnisse in 20 % der gesamten Pro-
jektzeit erreicht werden. Für die übrigen 20 %' der Ergebnisse sind hingegen 80 o/" der gesamten
Projektzeit erforderlich, da diese die meiste Arbeit verursachen. Statt vom Pareto-Prinzip wird
auch vom Pareto-EÍlekl oder der 80/20-Regel gesprochen.

Das Pareto-Prinzip besagt, dass die meisten Auswirkungen eines Problems (80 %) häufig
nur auf eine kleine Anzahl von Ursachen (20 %l zurückzuführen sind. Das Pareto-Prinzip wird
daher auch als 80/20-Regel bezeichnet.

Auf dem Prinzip von Pareto basiert das Pareto-


Diagramm (B¡ld 1). Es ist ein Säulendiagramm, ¡ 100

in dem die darzustellenden Kategorien, wie lno


z. B. Fehlerarten oder Ursachen für Probleme, T80
nach ihrer Bedeutung absteigend geordnet auf
der Abszisse (waagerechte Achse) aufgetragen tro
werden. Uber jeder Kategorie wird eine Säu- È60
o
le eingezeichnet. Die Säulenhöhe spiegelt die .9ì 50
f
Größe des Problems wider.
Ê40
o
Meist wird für die Säulenhöhe für eine be-
I=30
o
stimmte Fehlerart idie relative Häufigkeit h(4) a2O
des Auftretens dieses Fehlers in Prozent bzw. i! 10
die Wahrscheinlichkeit des Auftretens verwen- o

det. Die relative Häufigkeit fr(¡) ergibt sich aus 123 45678910
der absoluten Häufigkeit der jeweiligen Fehler- Nummer des Fehlers +
art H(x) und der Gesamtmenge des Stich-pro-
benumfangs n: Bild 1: Pareto-Diagramm

h (x¡) H(¡) n
hlx¡ =!l!'). loo % |
Gt. 1.10
1 1 1

46
1.6 O'7 - Werkzeuge und Oualität
Durch die Anordnung der Kategorien oder pro-
blemursachen im Pareto-Diagramm nach ihrer I 100 100
I
e0
I

Bedeutung, lassen sich die Hauptfehlerquellen 190 I

und deren Einfluss schnell ausmachen. Je hö- to


her die Säule im Pareto-Diagramm ist, desto Ëro .'r*

wichtiger ist die Kategorie. Wird diese Kate- E70 to ..E

gorie bearbeitet bzw. diese Ursache beseitigt, .r-


o
60 Grafisches oo -9ô
kommt es zu einer deutlichen Verbesserung. Addieren ç
.9 50
der Säulen
50 ,e
Mit Hinblick auf die 80/20-Regel ist es dem Un- l s
ternehmen direkt möglich, einen Großteil der i40 ergibt ¿obc
o die Summen-
Probleme durch die Beseitigung weniger Ursa- gO
=30
o Kurve 'l
20-()o
L
chen zu lösen. a20
c
Schrittweises Aufsummieren aller Säulenhö- Ëlo
o
10 tr:
hen von links nach rechts ergibt eine Sum- É, f
(n
men-Kurve (Bild 1). Diese Pareto-Kurve kann 1 2 3 4 5 6 7 I I 10
Nummer des Fehlers +
zusätzlich in das Pareto-Diagramm eingezeich-
net werden, um über die Summen der Abso- Bildl: Pareto-DiagrammmitParefo-summenkurve
lutwerte bzw. der Prozentwerte den Einfluss
der Kategorien weiter zu verdeutlichen. Eine steile Summenkurve kommt durch wenige große
Ursachen zustande. Eine flach verlaufende Summenkurve ist auf viele gleichwertige Ursachen
zurückzuführen.

Die Pareto-Kurve ist eine Summenkurve über die Absolutwerte oder Prozentwerte.

Das Pareto-Diagramm stellt damit eine wichtige Entscheidungshilfe in der Oualitätsarbeit dar,
um Fehlerquellen einzugrenzen bzw. bereits einen Großteil der Fehler auszuschließen.
Werden verschiedene Ursachen in unterschiedlichen Pareto-Diagrammen dargestellt, kann der
Vergleich der Diagramme aufdecken, welche Ursachen verstärkt zu bearbeiten sind. Beispiels-
weise können in einer Produktion bestimmte Fehler einen besonders großen Anteil besitzen. Mit
dem Pareto-Diagramm kann jedoch gezeigt werden, dass diese Fehler kostenmäßig nicht ins
Gewicht fallen. Die Beseitigung der weniger häufig auftretenden, aber kostenintensiveren Fehler
führt in diesem Fall zu einer Verbesserung der Produktion und zu einem Unternehmenserfolg
durch schnelle KosteneÌnsparung.

Das Pareto-Diagramm lässt aus vielen möglichen Ursachen eines Problems diejenigen er-
kennen, die den größten Einfluss haben. Der Einfluss einer Ursache ist direkt aus dem Dia-
gramm ablesbar.

1.6.6 Brainstorming
Das Brainstorming ist eine Methode zur ldeenfindung. Der Name dieser Methode ist mittlerweile
in die deutsche Sprache eingegangen. Andere Bezeichnungen reichen von Denkrunde bis zu
Geistesblitz oder ldeensammlung.
Einem Brainstorming liegt eine bestimmte Problemstellung zugrunde, zu der neue ldeen oder Lö-
sungsansätze auf Basis von spontanen Einfällen gefunden werden sollen. Das weitere Vorgehen
beim Brainstorming gliedert sich in zwei Phasen. Die Phase 1 dient der eigentlichen ldeensamm-
lung, während in der Phase 2 die Ergebnisse aus der ersten Phase sortiert und bewertet werden.
Brainstorming eignet sich insbesondere bei Gruppen mit 10 bis 20 Personen. Es gelten folgende
Regeln:
. Jeder formuliert seine eigenen ldeen oder Gedanken am besten in kurzen Schlagwörtern.
. Kommentare zu den Gedanken bzw. Korrekturen und Kritik an Äußerungen von anderen sind
nicht erlaubt.
. Phantasieren und Assoziationen sind erwünscht.
47
1 Oualität und Oualitätssysteme

!
Bei der ldeensammlung nennen alle Teilneh-
mer spontan ihre Gedanken zur gestellten ÈistograrÍmç¿hlørsamm¿lliel¿ GL? ì{itfelverf
Frage bzw. ihre Assoziationen zum Thema,
die kommentarlos am besten für alle sichtbar varlationskoefîiz¡en! \{¿inintraltsEloff¿
mitprotokolliert werden. ln Bild 1 ist die ldeen- ?aÀgraPh PD1A
Ko,',elalioÃsdøgranm
sammlung zur Frage: ,,Was gehört zum Thema rrc¿ukÍeinheil
Oualität?" dargestellt.
îarbe Norn ûhskorb¿n
?arelo
Beim Brainstorming ist in der Phase 1 die ge- Bunsenbr¿nner
aeuttsaelÏinnunn
genseitige lnspiration gewollt, da so ganz neue 9øøø
150 fç¡t lehikav¡a
ldeen entstehen können und Ansätze zur Pro- '--
xund¿nwüngcne
blemlösung gefunden werden können. Daher Regelkarle cs lehler Deming
ist eine Unterbrechung des Gedankenflusses oM oualität oulitalssich¿rung
durch Diskussionen. Wertungen oder Kritik an
eingeworfenen Gedanken in dieser Phase des Bild 1: Brainstorming zum Thema Oualität
Brainstorming nicht förderlich und strikt zu Lrn-
terbinden. Alternativ kann jeder Teilnehmer am
Brainstorming seine eigenen Gedanken erst auf Norn,?aragraph,
rso 9ø0ø, 0M, foM, ¿roM,
Karten festhalten. Die Ergebnisse des individu-
ot¡¿lit¿tssich¿rung, C5,
ellen Brainstorm¡ng werden anschließend für
Kund¿nh,ünsch¿
alle sichtbar festgehalten. Auch aus abstrusen fehler, lehlerarlen
Gedanken können sich in der Phase 2 durchaus Y ariationsk o eî I izienl,
kreative Lösungsansätze entwickeln. t'tifi¿ftærh Arithnetisch€s Mitïel

Nach dem eigentlichen Brainstorming wer- ?r o ùktr einheit, ç arb e,


den in der Phase 2 die Ergebnisse sortiert, zu G elvll sb estinnung, Weininløltsstof 1¿

thematischen Gruppen zusammengefasst und Dening,?DCh


bewertet (B¡ld 2). Hier können absonderliche lshik aw a, 07, Hietogranrrì,
Schlagwörter aussortiert sowie unverständ- Kor r el alionsdiagr ann, I ehler sanmellisl e,
liche Begriffe näher erläutert und umbenannt Regelkarle, ?areto
werden. ln dieser Phase dürfen auch weitere
,Hi€'¿tbFéñn€R e¡laslolþr.r¡
Punkte mit aufgenommen werden, so dass die
ldeensamml ung komplettiert wird.
Bild 2: Brainstorming - Phase 2:
Ein Brainstorming in einer Gruppe wird am Sortierte Ergebnisse des Brainstorming
besten durch einen Gruppenleiter oder Proto- zum Thema Oual¡tät
kollanten geleitet, so dass die unterschiedli-
chen Phasen des Brainstorming nichf. zu lange dauern. Auch die anschließende Bewertung oder
Auswertung des Brainstorming im Rahmen einer Diskussion braucht einen Diskussionsleiter, der
schließlich die Ergebnisse der ldeensammlung in die weitere Oualitätsarbeit überträgt.

Ein Brainstormingisl eine Methode zur ldeen- und Lösungsfindung bei konkreten Problemen,
die sich in die Phase ldeensammlung und die Phase Ergebnissortierung und -bewertung gliedert.

Brainstorming kann bei vielen Problemarten eingesetzt werden und eignet sich zum Abstecken
des Umfangs bei einem Einstieg in ein neues Themengebiet. Aufgrund der Synergieeffekte beim
Geda nkena usta usch kann B ra i n sto rm i n g innovative ldeen u nd Problem ösu n gen bieten. I

Die Methode Brainstorming ist sehr von den Teilnehmern abhängig, da sowohl Ausschweifun-
gen als auch Konflikte in der Gruppe die neutrale ldeensammlung und den Gedankenaustausch
unterbinden. Sind die Teilnehmer geübt und in der Lage, ldeen von anderen Personen aufzuneh-
men, kann das Brainstorming schnell zu guten Ergebnissen führen. Die Denkprozesse in einem
Brainstorming können auch durch die Beteiligung von nicht direkt involvierten außenstehenden
Personen positiv beeinflusst werden, da diese nicht so stark in bestimmten Strukturen denken.

Neue lmpulse bringen eine veränderte Umgebung und die Art der Durchführung. Beim so ge-
nannten Brainwalking ist die ldeensammlung auf unterschiedlichen Plakaten mit verschiedenen
48
1.6 07 - Werkzeuge und Oualität

Fragestellungen im Raum verteilt, wobei die Teilnehmer unabhängig voneinander die ldeen sam-
meln. Eine schriftliche ldeensammlung ist das Brainwriting, zu dem auch die Methode Kollektiv-
notebook lCollective Notebook, CNB) gehört, die von dem US-amerikanischen Management-
Theoretiker Charles Hutchison Clark 11920 bis2009) eingeführt wurden. Hierbei werden die
ldeen elektronisch erfasst und weitergereicht. Die Teilnehmer müssen hierbei nicht zur gleichen
Zeit und nicht am gleichen Ort ldeen sammeln.

Für die Methode Brainstorming existieren viele verschiedene Durchführungsvarianten, die


alle das Ziel des gegenseitigen Gedankenaustauschs und der Findung von Lösungsansätzen
zu einer Problemstellung haben.

1.6.7 Ursache-Wirkungs-Diagramm lüt!ÍillrE rütEErififfÌE lìrilltñtn [vEtEtftT


Das Ursache-Wirkungs-Diagramm wurde 1943 Werkstoff
von dem japanischen Chemiker Kaoru lshika-
Pompe Fluss- Re¡nhe¡t
wa (1915 bis 1989) entwickelt. Andere Bezeich- rate

nungen sind Ishikawa-Diagramm oder Fisch- Bestimmungs-


grenze
Alter Stress

gräten-Diagramm (engl. Fishbone-Diagraml,


da sich eine fischgrätenähnliche Darstellung Mess-
ergibt (Bild 1). un-
sicher-
Das Diagramm dient der grafischen Veran- hêit
schaulichung von Ursachen und ihrer Wirkung.
Hierbei steht die Wirkung oder das Problem
Standard
statung
L-
L SchìchF
planung

rechts am Ende eines Pfeils. Alle Hauptursa- Lósemitel


kl¡mâ
Fach-
krätte-'
unter-
we¡sung
chen, die auf die Wirkung als Einflussgrößen Reprodu- Arbe¡ts-
plâtz
z¡erbarke¡t
bekannt sind, werden mit Hilfe von Pfeilen q@ füf,ul -rr/EilllËltE
Wir-
dargestellt, die auf den Ausgangspfeil weisen. kung
Haupt- und Nebenursachen
Die potentiellen Ursachen werden weiter un-
tersucht, so dass die Hauptursachen weiter in Bildl: Ishikawa-Diagramm
Nebenursachen aufgegliedert werden. Diese
weisen in Form von kleineren Pfeilen auf die Pfeile der jeweiligen Haupteinflussgröße (B¡ld 1).
Jede Ursache wird weiter zerlegt und jede Gräte weiter verzweigt, so dass sich feinere Ver-
ästelungen ergeben. Die Pfeile bedeuten jeweils: ,,...trägt dazu bei, dass...".
Schrittweise entsteht ein Diagramm mit Kausalitätsbeziehungen (Abhängigkeiten), das die ge-
samten Ursachen mit ihrer Wirkung visualisiert. Da Ursachen auf die untersuchte Wirkung unter-
schiedliche Einflüsse besitzen, werden die Ursachen bezogen auf ihre Einflussnahme gewichtet.
So wird systematisch nach der Ursache mit der größten Einflusswahrscheinlichkeit gesucht.

Ein Ursache-Wirkungs-Diagramm kann von einer Person oder von Gruppen aufgestellt werden.
Die Prrifung, ob die richtige Ursache für das Problem ermittelt wurde, Übernehmen abschließend
am besten Fachkräfte. Statistisch kann die Annahme mit statistischen Testverfahren wie einem
Si g n ifikanztest ( Hypothesentest) gestützt werden.

Hauptursachen waren ursprünglich die 4-M-Ursachen: Material, Maschine, Methode und Mensch.
Diese wurden um Management, Milieu (Mitwelt), Messung und Monetäres (Geld; franz. mon-
naiei engl. moneyl zu den 8-M-Ursachen erweitert. Sonstige Einflussgrößen wie beispielsweise
Prozesse oder Umfeld ergänzen die Hauptursachen. Die Ursachen und auch die weitere Eintei-
lung sind nicht vorgegeben. Für jeden Einzelfall wird damit eine individuelle Lösung erarbeitet'
Heute wird diese Technik auf andere Problemfelder wie die Prozessanalyse übertragen. Hierbei
steht an der Spitze des Hauptpfeils statt der Wirkung das Ergebnis des Prozesses oder der Ge-
samtprozess. Die einzelnen Fischgräten stellen die Teilschritte des Prozesses oder die Aktivitäten
dar (Bild 1, S. 50).
49
1 Oualität und Oualitätssysteme

Prinzipiell wird ein Beziehungsgeflecht kom-


plexer Strukturen visualisiert, um ein besseres twF¡tiï!'t! titllifr¡ mlFlrfl:fl
recht-
Verständnis von Ursachen und ihrer Wirkung Krânkhe¡ts-
tage zeitige
zu erhalten. Bei umfangreichen und komple- mögl¡ch fach¡iche
Beschaf-
fung
Reinheit
Pro-
xen Problemen wird ein Ursache-Wirkungs- We¡tetr
b¡ldung Oual¡ dukti-
Diagramm allerdings leicht unübersichtlich. tät
vitäts-
Außerdem lassen sich bei bestimmten Zu- ste¡ge-
sammenhängen keine Vernetzungen oder Ab- rung
im Her-
hängigkeiten darstellen. Trotzdem gibt das stell-
Ursache-Wi¡kungs-Diagramm einen guten Ëntfêrnung prozess
Uberblick bei einer lst-Analyse. zueinander klima Testen von Pro-
Lärm
dukt A
Das Ursache-Wirkungs-Diagramm oder Tempe- Schicht-
Ishikawa- bzw. Fischgräten-Diagramm ratur planung

dient zur systematischen und vollständigen MNftl¡ IIIEITTTTE u@'rffi


Ermittlung von Ursachen sowie zur Analyse
Bild 1: Beispiel eines Ursache-Wirkungs-
von Prozessen.
Diagramms zur Prozessanalyse

1.7 Fehlermöglichkeits- und Fehlereinfluss-Analyse


Jeder Fehler, der in der Herstellung eines Produkts oder bei einer Dienstleistung auftritt, erzeugt
bei seiner Beseitigung Kosten. Die sogenannten Fehlerkosten aufgrund von Ausschuss, Nachar-
beit oder Reklamationsbearbeitung können beträchtlich sein. Gravierende Fehler können sogar
das Vertrauen des Kunden in das Produkt oder sogar das Unternehmensimage stark schädigen.
Die Vermeidung von Fehlern schon im Vorfeld kann zu einer Kosteneinsparung führen. Diese vor-
beugende Fehlerverhütung besitzt deutliche Vorteile gegenüber der nachsorgenden Fehlerkor-
rektur. Je später ein Fehler im Gesamtprozess erkannt wird, desto teurer ist dessen Beseitigung.
Fehler können vermieden werden, wenn die Fehler erkannt werden und die Fehlerursachen be-
kannt sind. Eine Methode hierfür bietet die Fehlermöglichkeits- und Fehlereinfluss-Analyse (engl.
Failure Mode and Effects Analysisl, kurz FMEA. ln den 1960er Jahren wurde die FMEA von der
NASA (lVafional Aeronautics and Space Administration, Nationale Luft- und Raumfahrtbehörde
in den USA) entwickelt. Bei einer FMEA werden alle Fehler zielgerecht ermittelt, deren Auftreten
sowie deren Risiko bzw. Bedeutung bewertet und anschließend der Entdeckungsgrad für den
jeweiligen Fehler abgeschätzt. Eine hieraus berechnete Risikoprioritätszahl verdeutlicht, welche
Priorität die Vermeidung oder das Ergreifen von Gegenmaßnahmen hat.

Je später ein Fehler entdeckt wird, desto schwieriger und kostenintensiver ist meist seine
Korrektur. Eine Fehlerbeseitigung in der Entwicklungsphase besitzt das beste Kosten/Nutzen-
Verhältnis.

Vorbeugungsmaßnahmen zur Fehlervermeidung setzen bereits bei der Produktentwicklung und


Planung eines Herstellungsprozesses an. Unterschieden werden daher Konstruktions-FMEA und
Prozess-FMEA.Zur Betrachtung übergeordneter Strukturen kann auch eine System-FMEA durch-
geführt werden.
Eine Konstruktions-FMEA untersucht die Konstruktion bzw. die Produkte schon in ihrer Entwick-
lung auf mögliche Schwachstellen, um Entwicklungsfehler zu vermeiden. Bei Änderungen am
Produkt oder beim Einsatz neuer Maschinen bzw. Werkstoffe wird eine FMEA zur über[rüfung
der Änderungen und Erkennen von Fehlermöglichkeiten durchgeführt. Die Ergebnisse åer Kon-
struktions-FMEA sind Grundlage für einen funktionierenden Herstellungsprozess, der für sich auf
Fehler und Schwachstellen untersucht wird. Diese Prozess-FMEA überprüft den prozessablauf
und schließt hierbei beispielsweise die Prüfmaßnahmen und den Werkzeugverschleiß mit ein.
Eine Prozess-FMEA hat damit das Ziel, Fehler im Herstellprozess vorbeugend zu vermeiden. Wir-
ken mehrere Prozesse aufeinander ein bzw. hängen voneinander ab, können insbesondere die
Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen Schwachstellen enthalten, die in einer System-
FMEA aufgedeckt und denen entgegengesteuert werden kann.
50
1.7 Fehlermöglichkeits- und Fehlereinfluss-Analyse

Die Fehlermöglichkeits- und Fehlereinfluss-Analyse FMEA steht für die vorsorgende Fehler-
verhütung statt für eine nachsorgende Fehlererkennung und Korrektur.
Fehler sollen mithilfe einer FMEA durch frühzeitiges Erkennen der potentiellen Fehler-
ursachen vorbeugend vermieden werden.

Die Durchführung einer FMEA muss von einer Stelle koordiniert werden, die auch den Gesamtab-
lauf einer FMEA kennt. Sie klärt methodische Probleme und unterstützt die Anwender. Die An-
wender selbst müssen aufgrund der Komplexität einer Analyse von Fehlermöglichkeiten und
Fehlereinflüssen fachlich versiert sein und aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen wie
Konstruktion, Einkauf oder Oualitätsmanagement stammen.
Der Analyseprozess selbst wird mithilfe von Formblättern oder entsprechender Software in for-
malisierter Weise durchgeführt. Hierbei ist es unabdingbar notwendig, dass die Daten präzise
erfasst und eine eindeutige sowie einheitliche Ausdrucksweise verwendet wird. Erst durch die-
se Maßnahmen erreicht man eine exakte Beschreibung und Bewertung des lst-Zustandes. Ein
Formblatt könnte wie in Bild 1, S, 52, dargestellt aussehen.
Der Kopf des Formblatts enthält wichtige grundlegende lnformationen. Entsprechend der Eintei-
lung des Formblatts gliedert sich eine FMEA in verschiedene Phasen. ln der ersten Phase steht
die Analyse auf potentielle Fehler. lm Formblatt werden im Abschnitt O die Fehlerart und der
Fehlerort benannt. Daran anschließend erfolgt die Nennung der Fehlerfolge sowie der Ursache
für den Fehler. Hierbei wird noch keine Rücksicht auf die Häufigkeit oder die Schwere des Fehlers
gelegt. Ziel ist es, alle möglichen Fehler zu finden und prägnant zu beschreiben.
Erst im Abschnitt @ erfolgt eine Risikobeurteilung, d. h. es wird für jeden einzelnen Fehler be-
st¡mmt, wie häufig sein Auftreten A ist, welche Auswirkung bzw. Bedeutung B der Fehler ins-
gesamt hat und wie groß seine Wahrscheinlichkeit Wist, nicht entdeckt zu werden. Jede dieser
drei Kategorien erhält eine Bewertungszahl von 1 bis 10, wobei die Zahl 10 für ein hohes Auftre-
ten, eine große Bedeutung des Fehlers und eine hohe Wahrscheinlichkeit steht, nicht entdeckt zu
werden. Erhält ein Fehler dreimal die höchste Bewertung mit der Zahl 10;
f . ist es praktisch sicher, dass der Fehler auftritt,
2. handelt es sich um einen äußerst schweren Fehler und
3. der Fehler bleibt unentdeckt.
Die Bewertung eines Fehlers in drei Kategorien ist keine besonders präzise Bestimmung des
Fehlerrisikos. Eine genauere Bestimmung ist allerdings im Einzelnen auch nicht erforderlich. Ab-
hängig davon, wer an der FMEA arbeitet, werden Punkte anders bewertet. Werden alle Risiken
von den gleichen Personen festgelegt, wirken sich diese Festlegungen nicht auf das Gesamt-
ergebnis der FMEA aus, da insgesamt eine Relativbetrachtung der einzelnen Fehlerrisiken erfolgt.
Das Ergebnis zeigt trotzdem, wo der größte Handlungsbedarf besteht.
Aus den drei Einzelbewertungen kann durch Produktbildung aus Auftretenswahrscheinlichkeit A,
Bedeutsamkeit B und Nichtentdeckungswahrscheinlichkeit l4l die Risikoprioritätszahl RPZ be-
rechnet werden:

RPZ A B W
RPZ= A' B' W Gl- 1.1 I
1 1 1 1

Die Risikoprioritätszahl RPZkann Werte zwischen 1 und 1000 annehmen. Ein kleiner RPZ-Werl
bedeutet, dass ein kleiner Fehler vorliegt, der kaum bedeutsam ist und der gut erkannt wird. Bei
einem großen RPZ-Wert liegt ein sehr häufiger Fehler vor, der zusätzlich große Auswirkung hat,
aber nur schwer erkannt wird.
ln der Phase @ der FMEA werden Maßnahmen- bzw. Lösungsvorschläge für jeden einzelnen
Fehler erarbeitet, die für eine Verringerung des Risikos einzuhalten sind, Teilweise geben die fest-
gehaltenen Fehlerursachen bereits Hinweise auf Lösungen zur Fehlervermeidung.
51
1 Oualität und Oualitätssysteme

und Fehlereinf luss-Analyse Fâ. Mustermann GmbH


N4ax-lVIustermônn-Straße
û Konstruktions-FMEA EA -FMEA lvlusteron

ffi
Gegenstand: Datuml
U ntersuchung Abwasser verschiedener Klärbecken 20.07.2014
Abte¡lung/Ansprechpartner: Beteiligte: Datum
Labor OM, Mitarbeiter der Abteilung Labor OM: MeT, PBr, AGw Ùberarbeitung:
Hr. Dr. Maus Fr. Musterfrau (Messprüfwesen), Hr. Mustermann (Einkauf) 10.08.2014
Mögliche Fehler Momentaner^ Empfohlene Zustand nach^
UJ Zustand lÐ Mai3nahmen; G) Maßnahmen LÐ
System, Art Folgen U rsachen Þ @
o
m
- I Verantwortlichkeit @ m a
Kom ponenle,
c T o l T
o o N o N
Prozess c o C
o
- C
l
@ f
l
c
f,
@
c
f
@ a
N¡trat- U nte r- Bakter¡en- Probenah me- 5 1 0 7 350 Úben der Probe- 1 1 7 Áo
bestimmung bestimmung wachstum technik falsch nahme und Varìation
in 100 mL um10% zu groß der Techniken,
Probe aus Laborantìn AGw
Becken 1 und Laborleiter
{Term¡n: 23.07.2014)
Temperatur zu 7 1 0 1 70 Temper¡erung der 3 4 1 12
hoch Probe vor Mess-
vorgang;
Laborantin AGw
und Laborle¡ter
Sauerstoff- Es wird kein Bemessu ng Bestimmu ngs- 4 20 Verwendung des 1 1 1
menge in uerstoff-
Sa Sauerstoff- grenze der Schnelltests mit nied-
100 mL gehalt ge- zufuhr nicht Methode ist r¡gerer Bestimmungs-
Probe aus messen möglich erreicht grenze, W¡ederholungs-
Becken 2 grenze, W¡ederholungs-
messung und regel-
mäßige Kontrolle mit
Onl¡ne-System im
Becken; Laborant PBr

Bild 1: Beispiel für ein Formblatt e¡ner FMEA


lm Sinne eines funktionierenden Oualitätsmanagements werden hier auch die konkreten Verant-
wortlichkeiten festgelegt und ggf. ein konkreter Termin der Umsetzung eingetragen. Maßnah-
men zur Fehlervermeidung erhalten eine höhere Priorität als Maßnahmen, die auf eine bessere
Fehlerentdeckung abzielen. Bild 1 zeigt ein Vergleich der verschiedenen RPZ-Werte zum momen-
tanen Zustand, dass insbesondere bei der Ursache der Probenahmetechnik Maßnahmen erfol-
gen müssen.
Die Phase @ steht für die Beurteilung des Restrisikos und die Bewertung des FMEA-Ergebnisses.
Bereits im Vorfeld wird abgeschätzt, wie groß der Erfolg und damit das Restrisiko sind. Hierbei
erfolgt eine Bewertung für alle drei Kategorien. Die berechnete Risikoprioritätszahl gibt dann
das bestehende Restrisiko für Fehler an. Ein Vergleich der RPZ-Werte vor und nach eingeleiteten
Maßnahmen zur Fehlervorbeugung zeigt den Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen.
Für die Durchführung einer FMEA sind Objektivität und Genauigkeit erforderlich, die auch für die
Bewertung der eigenen Arbeit gilt. Bei jeder Anderung im Verfahrensablauf oder einer produkt-
änderung muss eine FMEA aktualisiert werden. Das Gesamtverfahren für eine aussagekräftige
FMEA ist aufwendig, allerdings kann der Nutzen für den Unternehmenserfolg groß seiñ.

Eine FMEA wirkt präventiv, d. h. schon vor Beginn der Umsetzung. Die FMEA gliedert sich
in die vierPhasen Analyse auf potentielle Fehler, Risikobeurteilung, Maßnahmen- bzw.
Lösungsvorschläge und Restrisikobeurteilung bzw. Bewertung.

1.8 Validierung
Gerade bei einer Neueinführung eines Stoffes oder eines Prozesses muss Oualität überprüft wer-
den. Hierzu ist häufig die Entwicklung neuer Methoden zur Überprüfung der gewünscÍrten bzw.
geforderten Eigenschaft erforderlich. Ein wichtiges Werkzeug im Oualifätsmãnagement ist die
52
1.8 Validierung

Vafidierung (lat. validus, stark, wirksam, bekräftigen, gesund). Nach ihr wird der Beweis geliefert,
dass eine Methode, ein Prozess oder ein System den Anforderungen entspricht und die Eignung
für eine vorgegebene spezifische Aufgabe besitzt.
Für eine neu entwickelte Methode wird hierzu der formelle und dokumentierte Nachweis gefor-
dert, dass diese für den speziellen Einsatzzweck geeignet ist. ln diesem Fall wird von Methoden-
validierung gesprochen. Ein Analyseprozess stellt zwar eine komplexe Einheit bestehend aus
Probenahme, Probenvorbereitung, Messung mit einem bestimmten Messgerät sowie Daten-
auf-nahme und Auswertung dar (B¡ld 1), trotzdem wird dies meist unter dem Begriff Methoden-
validierung zusammengefasst.
Eine Prozessvalidierung wird Unter- Probe- Proben- Proben- Daten- Ergebnis der
für einenProzess wie einen suchungs- nahme vorbe- messung aus- ana lytischen
gesamten Herstellungsverlauf obiekt reitung wertung U ntersuchung

durchgeführt. Der Prozess '; *-


muss unter bestimmten Be-
dingungen immer ein hin-
reichend konstantes Ergeb-
â, m+ IIL -*e

I
I
H I

nis hervorbringen. Bei einer


I
I I
I

Veränderung des Prozesses I


I
I
I I Mess-
I I
prinzip
oder der Verwendung ande- I

rer Edukte oder Geräte muss L Analysenmelnooe


die Prozessvalidierung erneut Ana lyseverfa hren
durchgeführt werden, Entspre-
Bild 1: Komplexität eines Analyseprozesses
chend können einzelne Geräte
und auch Reinigungsvorgänge validiert sein.
Die Validierung dient gerade in sensiblen Bereichen, wie der Umweltanalytik oder der Pharma-
zeutik, zur Sicherung der Oualität und wird im Rahmen von Zulassungsverfahren eingefordert.

Durch eine Validierung wird der Nachweis erbracht, dass eine Methode, ein Prozess oder ein
System die Anforderungen im praktischen Einsatz erfüllt und reproduzierbare Ergebnisse liefert.
Es wird zwischen Methoden-, Prozess-, Geräte- und Reinigungsvalidierung unterschieden.

Einer Validierung liegt ein Validierungsplan zugrunde, der zur Oualitäts- und Ablaufsicherung alle
Arbeitsanweisungen enthält. Voraussetzung für die Validierung ist außerdem:
. alle verwendeten Geräte besitzen eine bekannte und akzeptierte Präzision,
. das Personal ist mit dem Ablauf bzw. der Methode vertraut und
. die verwendeten Chemikalien sind von bekannter Oualität.

Nach der durchgeführten Validierung wird ein Validierungsbericht geschrieben, in dem die Er-
gebnisse und Abweichungen dokumentiert und bewertet werden. Hierbei sind die in Normen
und Richtlinien festgelegten Umfänge und Durchführungsbestimmungen für Validierungen ein-
zuhalten. Die Dokumentation und Speicherung von Validierungsplänen, Berichten und zugehöri-
gen Messdaten sind genauso festgelegt, wie die Forderung nach verschiedenen Kennzahlen und
anderer Nachweise.
Abhängig von der Validierungsart und dem Einsatzbereich, wie z. B. bei Lebensmitteln oder phar-
mazeutischen Produkten, werden unterschiedliche statistische Auswertungen zu Richtigkeit und
Präzision sowie die Beachtung und Festlegung von Nachweis- und Bestimmungsgrenzen gefordert.
Statistische Kenngrößen, wie das arithmetische Mittel oder die Standardabweichung, sind im Zu-
sammenhang mit dem Sollwert und den Toleranzwerten bzw. Grenzwerten anzugeben' Gerade
für analytische Untersuchungsmethoden ist die Angabe der Robustheit einer Methode wichtig.
53
1 Oualität und Oualitätssysteme

!
Meist werden in diesem Zusammenhang Angaben zu folgenden Punkten eingefordert:
. Genauigkeit (engl. accuracyl
Die Genauigkeit ist ein Maß für die Abweichung des
Messwertes vom richtigen Wert und damit ein Maß +
für den Gesamtfehleç der sich aus zufälligen und
systematischen Fehlern zusammensetzt.
Bei mehreren Messwerten wird die Abweichung Präzision+Richt¡gkeit=Genauigkeit
der Mittelwerte vom richtigen Wert als Genauig- Bild t: Zusammensetzung von Genauigkeit
keit bezeichnet (engl. accuracy of the mean).
Genauigkeit setzt sich aus der Richtigkeit und der Präzision eines Verfahrens bzw. einer Analyse
zusammen (B¡ld 1).
. Richtigkeit (engl. trueness, biasl
Die Richtigkeit B ist ein Maß für die Abweichung des Messwertes aufgrund eines systemati-
schen Fehlers vom (an sich unbekannten) wahren Wert.
Sie berechnet sich mithilfe des Mittelwerts x nach der Formel R = xso¡¡*un - i
(xsolt*"n- l)
Für die prozentuale Richtigkeit gilt: R = . rco % Maß: wiederfindungsrate
XSollwert
. Präzision lengl. precisionl
Die Präzision ist ein Maß für die Streuung des Messwerts xi um den richtigen Wert aufgrund
zufälliger Fehler. Der statistische Wert ist die Standardabweichung s, die sich nach folgeñder
9,.,1x,- x)2
Formel berechnet: s - n-1
Ma ß: Va riationskoeffizient
. Wiederfindungsrate (engl. recovery ratel
Die Wiederfindungsrate ist ein Kriterium zur Bewertung der Oualität analytischer Verfahren. Sie ist
das Verhältnis aus tatsächlicher Menge eines Anal¡en und gemessener Menge dieses Analyten.
sie dient der Überprüfung der Richtigkeit, ist jedoch kein Validierungsparameter,
. Wiederholpräzision (engl. repeatabilityl
Die Wiederholpräzision ist ein Maß für die Wiederholbarkeit einer Messung unter denselben
Bedingungen am selben Ort, durch dieselbe Person, an denselben Geräten, aber unterschiedli-
chen Tagen. Der statistische Wert ist die Wiederhol-standardabweichung.
. Laborpräzision (en g l. Ia bo rato ry p rec i si o n, i nte rm ed i ate prec i si o nl
Die Laborpräzision ist ein Maß für die Präzision einer Messung unter gleichen Bedingungen inner-
halb eines Labors, durch eine andere Personen, an anderen Geräten und unterschledlichen
Tagen.
. Vergf eichspräzision (engl. re p ro d u c i b i I ityl
Die Vergleichspräzision ist ein Maß für die Vergleichbarkeit einer Messung unter gleichen
Bedingungen am anderen Ort, durch eine andere Person, an anderen Geräten und unterschied-
lichen Tagen. Der statistische Wert ist die Vergleichs-Standardabweichung.
. Messunsicherheit (engl. uncertainty of measurementl
Die Messunsicherheit ist ein Maß für die Größenordnung der Schwankung des Messwerts.
Die Messunsicherheit wird auch als Unsicherheit oder Vertrauensintervall bezeichnet, in dem
der gemessene Wert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegt.
. Robustheit (engl. robusfness)
Die Robustheit ist ein Maß für die relative Unempfindlichkeit eines Verfahrens gegenüber Än-
derungen der Rahmenbedingungen. Die Störanfälligkeit meint als Gegensatz d're Èmpfindlich-
keit eines Verfahrens. Eine Methode ist robust, wenn beispielsweise trotz der Änderung der
Temperatur um einige Grad oder des Wechsels des Analysengeräts das Messergebnis nur un-
wesentlich beeinflusst wird.
. Spezifität (engl. specificityl
Die Spezifität ist ein Maß für die Anfälligkeit eines Verfahren gegenüber Störkomponenten.
Hohe Spezifität besitzt ein Verfahren, das neben vorhandenen Komponenten nur die zu be-
stimmende Komponente erfasst, ohne dass es zur Verfälschung des Messwerts kommt.
54
1.8 Validierung

. Sefektivität (engl. selectivityl


Die Selektivität ist ein Maß für ein Verfahren, mehrere nebeneinander vorliegende Komponen-
ten ohne gegenseitige Störung zu erfassen.
. Empfindlichkeit (engl. sensitivity)
Die Empfindlichkeit ist ein Maß für die Anderung des zu abzulesenden Wertes gegenüber dem
zu messenden Wert. Ein Messverfahren ist demnach empfindlich, wenn eine kleine Anderung
des zu messenden Wertes eine große Änderung des Messwertes hervorruft.
. Linearität (engl. linearityl
Linearität liegt in dem Bereich vor, in dem das Messsignal direkt proportional zur Konzentration ist,
. Nachweisgrenze (engl. limit of detectionl
Die Nachweisgrenze ist ein Maß für die kleinste Konzentration, die sich qualitativ noch erfassen
lässt. Die Nachweisgrenze ist eine Entscheidungsgrenze für das Vorhandensein eines Bestandteils.
. Bestimmungsgrenze (engl. limit of determination, limit of quantitationl
Die Bestimmungsgrenze ist ein Maß für die kleinste Konzentration, die sich quantitativ erfassen
lässt.
. Kalibrierung (engl. calibrationl
Die Kalibrierung ist ein Messprozess zur Überprüfung der Abweichung eines Messgerätes zu
einem anderen Gerät oder Maßkörper, der als Normal bezeichnet wird.
Bei einer internen Kalibrierung ist das Normal in das Messgerät eingebaut. Hierbei wird ein Zu-
sammenhang zwischen einem Signal und seinem Messwert z. B. der Konzentration hergestellt.
. Arbeitsbereich (engl. range)
Der Arbeitsbereich ist der Messbereich, für den - aufgrund der gewählten Bedingungen oder
einer Kalibrierung - die Gültigkeit einer Methode festgelegt und experimentell überprüft ist.
. Eichung (engl. official verification, gaging)
Die Eichung ist eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung eines Messgerätes auf Einhaltung der
Eichfehlergrenzen und anderer eichrechtlicher Vorschriften durch staatlich anerkannte Prüfstel-
len. Eine Eichung ist eine Kalibrierung nach nationalen Standards mit einer entsprechenden
Kennzeichnung des geeichten Objekts durch die staatlich anerkannte Prüfstelle. Bei einer Vali-
dierung werden zertifizierte Substanzen zu r Kalibrierung eingesetzt.
. Justierung (engl. adjustment)
Eine Justierung ist das Einstellen oder Abgleichen eines Messgerätes zur Beseitigung von sys-
tematische Meisabweichungen, die das Messgerät bleibend verändert. Justierung ist so weit
erforderlich, wie es für die vorgesehene Anwendung notwendig ist.
Für die Erfassung oder Überprüfung der geforderten Kenngrößen für eine Validierung gibt es
verschiedene Möglichkeiten. Prüfungen auf Richtigkeit sind durch einen Soll-lst-Vergleich der
Analysenergebnisée mit einer zertifizierten Referenz möglich. Außerdem kann eine andere vali-
dierte Methóde eingesetzt oder ein Laborvergleich mit dem Ziel der Vergleichspräzision durchge-
f ü h rt werden ( Ri n gversuch oder Laborleistu n gstest).

Die Methodenvalidierung für Messtechniken erfolgt zur Untersuchung der Präzision beispielswei-
se über mehrfache Analysen eines Standards oder die Durchführung einer vollständigen Analyse
inklusive Probenvorbereitung. Ebenso existieren Prüfungen auf Selektivität oder Spezifität, bei
denen Störkomponenten oder eine komplexe Matrix zugegeben werden. Spektrometrische oder
spektroskopische Messergebnisse in Form von Werten oder Diagrammen sind geeignet, das
charakteristische Ergebnis zu belegen; sie können als Muster- oder Vergleichsdiagramm ver-
wendet werden.

Grundsätzlich gilt, dass bei einer Validierung gerade kritische Schritte im Ablauf oder der Metho-
de für eine Sicherstellung von Oualität zu überprüfen sind. Als Basis sollte jedoch gelten, dass
nicht wahl- und kritiklos alles validiert sein muss.

Die Validierung zeigt an, dass eine Methode oder ein Prozess den Anforderungen entspricht und
für eine spezifische Aufgabe geeignet ist.
55
1 Oualität und Oualitätssysteme

I
Aufgaben:
L Beschreiben Sie, was Oualität ist.
2. Geben Sie Beispiele für a) systematische Fehler,
b) grobe Fehler, c) zufällige Fehler.
3. ln Bild I ist mithilfe
einer Zielscheibe und Pfeilen ein
p 9"W
Zusammenhang zwischen dem richtigen Wert und auf- Bíld 1: Darstellung für den
genommenen Messsignalen dargestellt. Klären Sie Zusammenhang von
richtigem Wert und
diesen Zusammenhang und erläutern Sie die Aussage gemessenen Sígnalen
jeder einzelnen Abbildung.
4. Geben Sie an, was man unter den folgenden Begrifflichkeiten versteht,
a) Norm b) lnhärente Merkmale c) Zertifizierung
d) Stand der Technik e) Akkreditierung f) Audit
5' William Edwards Deming hat im Rahmen des Oualitätsmanagements einen prozessorien-
tierten Ansatz verfolgt. Ständige Verbesserung führt nach Deming in einer Reaktionskette
zur Sicherung derArbeitsplätze und des Gewinns. Erläutern Sie, was Deming durch sei-
nen Regelkreis beschreibt.
6. Ein Unternehmen überlegt, ein Oualitätsmanagementsystem einzuführen. Nennen Sie für
die Außenwirkung und die Wirkung nach innen jeweils zwei Gründe für die Einführung.
7. Ein Hersteller eines Billigprodukts überlegt, ein Oualitätsmanagementsystem einzuführen.
Klären Sie anhand den lhnen bekannten Vorgaben und Richtlinien die Frage, ob ein pro-
duzent von Billigprodukten überhaupt ein derartiges System haben kann.
8' Für die Produktion eines Geschmacksstoffes werden Edukte von externen Zulieferern be-
zogen. Welche Bedingungen müssen vorliegen, um auf eine Wareneingangskontrolle ver-
zichten zu können?
9. Bei der Einwaage für mehrere Experimente hat ein Labo-
rant der Reihe nach folgende Messwerte erhalten: 11,2 mg, tffi M
12,7 m9,9,3 mg, 11,8 mg, 12,6m9 und 10,4 mg.
a) Berechnen Sie das arithmetische Mittel dieser Massen.
b) Bestimmen Sie den Median. 84,1 84,7 85,1 85,6 84,8
c) Begründen Sie, welcher der beiden Werte die Mess- 84,9 85,2 83,5 86,3 86,0
reihe besser beschreibt.
10' ln Tabelle I sind die Werte für die Konzentration einer Lösung in der Einheit mg . L-1 gege-
ben. Berechnen Sie aus den aufgeführten Messwerten den arithmetischen Mittèlwert, dón
Median, die Spannweite, die Standardabweichung sowie den Variationskoeffizienten.
11. Für die Überwachung eines Herstellungsprozesses soll eine Oualitätsregelkarte entwickelt
werden. Geben Sie an, welche Vorleistungen zur Erstellung der Karte erforderlich sind.
12.Bei der Fertigung von Glas wird regelmäßig die Här-
te als Schleifhärte nach Rosiwal (August Karl Rosíwal, 259 273 292 280 278
1860 bis 1923) gemessen. Die Messergebnisse mit einem 285 265 283 291 256
250 260 281 268 252
Stichprobenumfang von n = 50 sind in Bild 2 angegeben. 274 262 261 259 249
Klassieren Sie die angegebenen Messergebnisse mit- 280 276 258 276 255
hilfe einer Strichliste in acht Klassen und erstellen Sie 244 280 256 zEE 2E2
286 268 277 25A 248
ein passendes Histogramm. 257 277 256 253 254
271 260 274 284 265
13. Brainstormrng ist eine wichtige Methode, ldeen zu sam- 279 281 278 284 264
meln und hieraus Lösungsansätze zu entwickeln. Ent- (Hänewofte nsch Bog¡walsind dimensionslos.)

nehmen Sie dem lnhaltsverzeichnis dieses Buches die


Kapitelüberschriften und führen Sie zu jedem Begriff ein
Bild 2: Messergebnisse eines
Schleífhärtetests nach
Brainstorming durch - was fällt lhnen zu den einzelnen Rosiwal
Kapiteln inhaltlich ein?

56
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2 Probenahme Probenbehandlun und Probenvorbere¡tun


Mit den stetig steigenden Anforderungen an chemische Produkte, gesunde Nahrungsmittel und
eine saubere Umwelt geht eine rasante Weiterentwicklung der lnstrumentellen Analytik einher.
Durch moderne Gerätetechnik werden innerhalb kurzer Zeit genaue lnformationen über die Zu-
sammensetzung einer Probe erzielt.

Die Herkunft der zu analysierenden Probe und der Zweck der Untersuchung können sehr unter-
schiedlich sein, wie folgende Beispiele zeigen:
. Die Probe kann einem chemischen Produktionsprozess entnommen werden. ln diesem Fall
dient das vom Labor des Unternehmens erzielte Messergebnis der Steuerung des Prozesses
bzw. der Kontrolle des Produkts.

. Umweltproben von Oberflächengewässern, Grundwasser, Boden und Luft werden ebenso wie
Proben industrieller und kommunaler Abwassereinleitungen, Abfall- und Abluftproben von
Anlagen in den Laboratorien der staatlichen Umweltämter untersucht. Die Analysen dienen
der Umwelt- und der Anlagenüberwachung.
. Proben z. B. von Lebensmitteln, Futtermitteln, kosmetischen Produkten oder auch Lebensmit-
telverpackungen liegen bei Verdacht auf eine chemische Belastung oder bei routinemäßigen
Untersuchungen den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern zur Analyse vor. Das
Ziel besteht darin, die Bürger vor gesundheitlichen Schäden oder Gefahren sowie vor lrrefüh-
rung und Täuschung zu schützen. Auch Proben der Körper von Nutz- oder Heimtieren werden
hier untersucht, um der Ausbreitung von Tierkrankheiten und -seuchen vorzubeugen. Auftrag-
geber der Untersuchungen sind die Städte und Gemeinden sowie das Land.
. Proben der gesamten landwirtschaftlichen Produktionskette werden in den Laboratorien der
Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten (LUFA) untersucht. Landwir-
te und produzierende Gärtner, aber auch Privatpersonen reichen Proben von Boden, Saatgut,
Pflanzen, Futtermitteln, Wirtschaftsdüngern (2. B. Gülle, Stallmist), Biogas und Wasser (2. B.
Trinkwasser, Tränkwasser, Gießwasser) zur Analyse ein. Der Zweck der Untersuchungen be-
steht in der Oualitätssicherung der landwirtschaftlichen Produktion. Darüber hinaus kann
durch eine qualifizierte Düngeempfehlung der Ertrag maximiert werden.
Die Aussagekraft einer Analyse wird maß-
geblich durch die Oualität der Probenahme Labor
bestimmt. Das Ziel der Probenahme besteht
darin, einem zu untersuchenden Stoff eine û
Stichprobe zu entnehmen, die für die Gesamt- Stichprobe
menge des Stoffs repräsentativ ist. Die Gesamt-
menge, auf die das Messergebnis übertragen
wird, wird Grundgesamtheit genan nt.

Die Probe muss in Bezug auf den zu mes-


senden Parameter repräsentativ sein, nur
dann kann das Messergebnis auf die Grund-
gesamtheit übertragen werden.
Bild 1: Grundgesamtheit und Stichprobe
Probenehmer müssen über die erforderliche Sachkunde verfügen. Sie werden in regelmäßigen
Schulungen über aktuelle Anforderungen sowie neue Vorschriften und Verfahren informiert.
Privatpersonen, z. B. Landwirte, müssen bei der Probenahme die detaillierten Anweisungen des
beauftragten Labors beachten. Die meisten Laboratorien bieten auch die Probenahme als zusälz-
liche Dienstleistung an.
57
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.1 Analyse von Proben


Unter dem Begriff Analyse wird eine systematische Untersuchung verstanden, bei der die Eigen-
schaften eines Objekts sowie seine Beziehungen und Wechselwirkungen mit anderen Objekten
bestimmt werden.
Das Ziel einer chemischen Analyse besteht in der Bestimmung der qualitativen und quantitati-
ven Zusammensetzung eines Stoffs, also seiner chemischen Parameter. Ein Stoff, z. B. eine Bo-
denprobe, hat jedoch zahlreiche weitere Eigenschaften, die Auskunft über seine Beschaffenheit
und seine Wechselwirkungen mit seinem Umfeld geben. Auch seine sensorischen Parameter,
wie z. B. der Geruch und die Farbe, seine physikalischen Parameter, wie z. B. seine Temperatur
am Ort der Probenahme, und seine biologischen Parameter, wie z. B. seìne Besiedelung mit Lebe-
wesen, lassen wertvolle Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit, der die Probe entnommen wurde,
zu. Alle erzielten Messwerte und Angaben zu den Charakteristika der Probe sollten sich auf die
Probe in ihrem ursprünglichen Zustand, also am Ort und zurZei't der Probenahme beziehen.

Die vollständige Analyse einer Probe be-


trifft nicht nur die Bestimmung der charak- @
teristischen Parameter. Sie umfasst alle Ar-
beitsschritte von der Probenahme bis hin zur
Auswertung, Dokumentation der erzielten Er-
gebnisse und Oualitätssicherung der Analyse
(Bird 1). Probenkoniervierung
nffi
t
Zeitnah zur Probenahme werden die Parame- Piogeñtrarspoii
ter, die sich in Abhängigkeit von der Zeit, der
Temperatur oder/und dem Luftdruck stark ver- I

ffi
Probenlagerung
ändern können, am Ort der Probenahme be-
stimmt. Beispiele für Messungen vor Ort sind
die Bestimmungen von Farbe und Geruch, der
Temperatur sowie des pH-Werts der Probe,
aber auch die Bestimmung der Umgebungs-
temperatur, der Windstärke und der Wetterver-
hältnisse am Ort und zum Zeitpunkt der Pro-
ffi
benahme. Bild 1: Einzelschritte der Analyse einer Probe

Auch zahlreiche, nur mit der modernen Gerätetechnik des Labors bestimmbare Parameter der
Probe unterliegen nach der Probennahme Veränderungen. Mithilfe einer auf die wichtigen Para-
meter abgestimmten Probenkonservierung können mögliche Veränderungen minimiert werden.
Anschließend erfolgt der Probentransport ins Labor.
Alle Aspekte der Probenahme, der Probenkonservierung und des Probentransports sowie die
Ergebnisse der Messungen vor Ort müssen vom Probenehmer im Probenahmeprotokoll sorg-
fältig dokumentiert werden, damit ihre Einflüsse auf die im Labor gewonnenen Messergebnisse
nachvollziehbar sind.
lm Anschluss an eine möglichst kurze Probenlagerung im Labor erfolgt die Probenvorbereitung.
Nur eine Teilmenge der Probe wird der Analyse unterzogen, der Rest wird im Hinblick auf weite-
re Untersuchungen gelagert (Rückstellprobe). Damit die Teilmenge in Bezug auf die zu bestim-
menden Parameter repräsentativ ist, erfolgt vor der Teilung der Probe ihre Homogenisierung.
Feststoffproben müssen vor der Messung zumeist gelöst werden. lst der zu bestimmende Stoff,
der Analyt, schwer löslich, wird er durch einen Aufschluss in eine leicht lösliche Form überführt.

Nach der Probenvorbereitung erfolgen die Kalibrierung des Messgeräts, die Messung, die Aus-
wertung der erzielten Messergebnisse, die Dokumentation sowie die Oualitätssicherung der
gesamten Analyse. Das Probenahmeprotokoll ist Bestandteil der vollständigen Unterlagen zur
Doku mentation der Analyse.

58
2.2 Probenahme

2.2 Probenahme
Das Ziel der Probenahme besteht darin, einer großen Menge an Merkmalsträgern einen kleinen
Teil zu entnehmen, dessen Eigenschaften repräsentativ für die Gesamtmenge sind.

Der kleine, repräsentative Teil der Merkmalsträger, der untersucht wird, wird Stichprobe ge-
nannt. Die große Menge an Merkmalsträgern, auf die das Ergebnis der Untersuchung übertragen
wird, wird als Grundgesamtheit bezeichnet.

Die Grundgesamtheit ist die Menge aller Merkmalsträger, die sich zu einem bestimmten Zeit-
punkt oder innerhalb eines Zeitraums an einem bestimmten Ort befinden. Alle Merkmals-
träger weisen einen übereinstimmenden Parameter auf.
Nicht alle Merkmalsträger werden untersucht, sondern nur wenige, repräsentative Merkmals-
träger werden zur Analyse ausgewählt. Diese werden als Stichproben bezeichnet.

Bei der Planung der Probenahme müssen zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden (B¡ld 1)

Der Zweck bzw. Anlass der Analyse entschei-


det über den Ort sowie den Zeitpunkt bzw. tt|'tll'lrfl!ilfiEtlEb
Zeitraum der Probenahme. Auf der Basis von
Ort und Zeit wird die Grundgesamtheit festge-
legt. Die Grundgesamtheit ist ein genau defi-
nierter Teil des Stoffes am Probenahmeort für
ffi ffiffi
den Zeitpu nkt bzw. Zeilraum der Probenah me,

lm nächsten Schritt werden die allen Merkmals-


trägern der Grundgesamtheit gemeinsamen
Eigenschaften festgelegt: die zu bestimmen-
den Parameter. Aufgrund der Besonderheiten I o.t"- br*.
der festgelegten Parameter kann die Größe der I ze¡tabhäng¡gkeit

G rundgesamtheit präzisiert werden. @ @


+
Die Auswahl des geeigneten Probenahmever-
Probenahmegeräte Probengefäße für
fahrens richtet sich nach der Orts- und Zeitab- für Feststoffe, Flüssig- Feststoffe, Flüssig-
hängigkeit der zu bestimmenden Parameter. keiten und Gase keiten und Gase
Die erforderlichen Probenahmegeräte werden
durch das gewählte Probenahmeverfahren be- Bild 1: Planung einer Probenahme
stimmt.
Über die erforderliche Probenmenge entscheiden die geplanten Messungen. Die Größe und das
Material der Probengefäße hängen von der Probenmenge und der notwendigen Konservierung
der Probe ab.
Die Planung einer Probenahme sollte stets sorgfältig durchgeführt werden. Durch Fehler bei der
Probenahme oder auch unvollständige lnformationen im Probenahmeprotokoll kann das Mess-
ergebnis unbrauchbar werden.
Eine lückenhafte Planung kann auch die Probenahme selbst behindern, denn der Ort der Probe-
nahme liegt unter Umständen weit vom Labor entfernt. Alle benötigten Probenahmegeräte und
Probengefäße müssen zum Ort der Probenahme mitgebracht werden, damit eine sachgerechte
Durchführung der Probenahme erfolgen kann.
Für die Bestimmung der Parameter im Labor sind die Proben zu konservieren. Chemische
Konservierungsmittel müssen bereitgehalten werden, Möglichkeiten zur physikalischen Kon-
servierung durch Kühlung oder Einfrieren sollten im Fahrzeug des Probenehmers mitgeführt
werden. Darüber hinaus müssen alle Geräte für die Messungen vor Ort zum Zeitpunkt der Probe-
nahme vorhanden sein.
59
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.2.1 Ort und Zeit der Probenahme, Festlegung der Grundgesamtheit


Bei der Festlegung des Probenahmeorts, des Probenahmezeitpunkts bzw. -zeitraums sowie der
Grundgesamtheit muss gut überlegt vorgegangen werden. Obwohl sich die beiden folgenden
Beispiele wesentlich voneinander unterscheiden, wird in einer ähnlichen Weise verfahren.
'.ll
i,
Beispiel 1 : Bodenuntersuchung
Labor
ì.,,1 Der Probenahmeort ist eine landwirtschaftlich
genutzte Fläche. lhr Ertrag soll mithilfe einer
fi
I Stichprobe
Bodenuntersuchung und einer anschließen-
,
den Düngeempfehlung optimiert werden. û i

Das beauftragte Labor empfiehlt die Probenah- tHsgri:!" I

l
me zum Zeitpunkt von etwa 3 Wochen vor der E inzel-
l
l

geplanten Düngung durchzuführen. proben l

Die Grundgesamtheit sollte auf 1 Hektar


(10000 m') Ackerboden begrenzt sein. Die Bo-
dentiefe, bis zu der Proben entnommen wer-
den, muss dem Hauptwurzelbereich der an-
gebauten Pflanzen entsprechen. Beim Anbau
von Gemüsepflanzen und Getreide wird eine
Bodentiefe von 0 cm bis 30 cm empfohlen. Bild 1: Probenahme zur Bodenuntersuchung

Eine für die Grundgesamtheit repräsentative Stichprobe wird gewonnen, indem mindestens
20 Probenahmestellen über die Fläche gleichmäßig verteilt werden (Normalverteilung). Alterna-
tiv können die Stellen diagonal oder in Zickzack-Form platziert werden. Die 20 an diesen Stellen
gewonnenen Einzelproben werden gesammelt und gründlich gemischt. Der Mischprobe wird
eine Stichprobe von etwa 500 g entnommen. Diese Laborprobe wird an das Labor geschickt.
Die erzielten Messergebnisse können auf die Grundgesamtheit übertragen werden, d. h. auf den
Ackerboden der Fläche 10000 m2 bis zu einerTiefe von 30cm zum Zeitpunkt der Probenahme.
Soll eine größere Fläche untersucht werden, ist eine größere Anzahl Analysen erforderlich.

Beispiel 2: Uberwachung eines chemischen Behä lter: Behä lter:


Produ ktionsprozesses Edukt A Edukt B
@ Misch- Stich-
@ probe probe
Der Probenahmeort ist eine chemische Anla-
ge, in der ein kontinuierlich geführter Produk- @
o,\/r* i
tionsprozess erfolgt. Das Ziel der Untersu- Ventil
@ î.Ti::.,
chung besteht darin, Aufschluss über die Probe-
mittlere Zusammensetzung des Reaktionsge- nahme-
stelle 1
ô Einzelproben
misches an zwei charakteristischen Stellen der
Anlage innerhalb von 1 Stunde zu bekommen. (D Misch- Stich-
I
çÐ probe probe
I
Der Zeitpunkt der Probenahme ist frei wählbar, ( ril
der Zeitraum ist aufgrund der Aufgabenstel- I
I -> | -:Analyse
..1> Labor
lung auf Probe- @ I
1 Stunde festgelegt. nahme-
2
@ I
stelle 2
Grundgesamtheit ist das Reaktionsgemisch, Prod ukt ô Einzelproben
das über den Zeitraum von 1 Stunde hin eine
der beiden charakteristischen Stellen der Anla- Bild 2: probenahme zur prozessüberwachung
ge passiert. ln diesem Beispiel werden somit
zwei Grundgesamtheiten festgelegt, denen jeweils eine repräsentative Stichprobe entnommen
wird. Das Ziel dieser untersuchung kann nur mit zwei Analysen erreicht werden.
Die repräsentativen Stichproben werden gewonnen, indem an den beiden Probenahmestellen
innerhalb von 1 Stunde im Abstand von 10 Minuten Einzelproben entnommen werden. Die
sechs Einzelproben werden in einem Behälter gesammelt und gemischt. Der Mischprobe wird
eine repräsentative Stichprobe für die Untersuchung im Labor entnommen.
60
2.2 Probenahme

2.2.2 Probenahmeverfahren bei Ortsabhängigkeit der Parameter


Jede Teilmenge einer homogenen Grundgesamtheit weist die gleichen Eigenschaften auf. Des-
halb reicht zur Analyse der Grundgesamtheit die Entnahme nur einer Einzelprobe aus. Das durch
die Untersuchung dieser Laborprobe erzielte Messergebnis kann auf alle Merkmalsträger der
Grundgesamtheit übertragen werden. Ein Beispiel für eine homogene Grundgesamtheit ist eine
echte Lösung.
ln der Praxis muss jedoch von einer heterogenen Grundgesamtheit ausgegangen werden. An
verschiedenen Stellen der Grundgesamtheit entnommene Teilmengen können unterschiedliche
Eigenschaften aufweisen. Die zu bestimmenden Parameter sind somit ortsabhängig. Durch die
Analyse der Laborprobe werden die Mittelwerte der Parameter bestimmt.
Je heterogener die Grundgesamtheit ist, desto mehr Einzelproben müssen ihr an unterschied-
lichen Stellen entnommen und zu einer Mischprobe vereint werden.
lst die Grundgesamtheit groß und heterogen, wird sie in Teilbereiche untergliedert, in denen
jeweils Mischproben gewonnen werden. Um die Anzahl der Analysen zu minimieren, können
mehrere Mischproben zu einer Sammelprobe vereint werden.

Die Laborprobe wird in Abhängigkeit von der Homogenität der Grundgesamtheit hergestellt:
. lst die Grundgesamtheit homogen, besteht die Laborprobe aus einer Einzelprobe.
. lst die Grundgesamtheit heterogen, wird die Laborprobe aus einer Mischprobe gewonnen,
die durch Sammeln und Mischen mehrerer Einzelproben entstanden ist.
. lst die Grundgesamtheit groß und heterogen, werden mehrere Mischproben hergestellt
und untersucht. Mehrere Mischproben können zu einer Sammelprobe vereint werden.

Der Ackerboden in Beispiel 1 (Bild 1, S. 60) wirkt auf den ersten


Blick homogen. Die Zusammensetzung der Bodenproben kann
sich jedoch bereits bei geringen Abständen unterscheiden, z. B.
durch Schadstoffeintrag am Rand des Ackers. Auch in Abhän-
gigkeit von der Tefe treten Unterschiede in der Zusammenset-
a) T b)
",F
zung des Bodens auf, denn die angebauten Pflanzen entziehen t
dem Boden in der Wurzelzone von 0 cm bis 30 cm Nährstoffe.
Die zu bestimmenden Parameter sind somit ortsabhängig.
Deshalb werden pro Hektar mindestens 20 Ouerschnittsproben
entnommen. Dabei handelt es sich um Einzelproben, die über B¡Id 1 al Querschnittsprobe,
den für die Untersuchung relevanten ïefenbereich entnom- b) Zielpunktprobe,
men werden (Bild 1a). cl Multilayeryrobe
Soll der Parameter in nur einer bestimmten Tiefe bestimmt
werden, werden Zielpunktproben (Zonenproben) aus dieser
Tefe entnommen (B¡ld 1b). Eine Multilayerprobe entsteht,
wenn mehrere an einem Ort, aber in unterschiedlicher Tefe
entnommene Zielpunktproben gemischt werden (Bild 1c). sbl¡-tniertäl¡n
ln Tabelle 1 sind die Standard-Parameter der Untersuchung m's'.'(tooösl-1
von Mineralböden sowie die empfohlenen Werte aufgeführt. Phosphor P
47 ... 111
Diese Parameter können in Abhängigkeit von der Bodentiefe (P205)
variieren. Weil aber nur die pflanzenverfügbaren Nährstoffe
Kalium K (K2O) 113 ...212
bestimmt werden sollen, wird die Entnahmetiefe auf 30 cm be-
g re nzt. Magnesium
56 ... 105
Mg
Der leichtlösliche, pflanzenverfügbare Stickstoff (N*¡n) wird
hingegen durch Regen in tiefere Bodenschichten verlagert und pH-Wert >6 (ohne Einheit)
wandert bei Erwärmung des Bodens durch Kapillarwirkung
wieder in die Wurzelzone der Pflanzen. Deshalb müssen bei der
Bestimmung von N.¡n die Schichten von 0 cm bis 30 cm, von 30 cm bis 60 cm und von 60 cm bis
90 cm getrennt voneinander untersucht werden.
61
2 Probenahme, Probenbehandlun u nd Probenvorbereitu ng

2.2.3 Probenahmeverfahren bei Zeitabhängigkeit der Parameter


Das Reaktionsgemisch in Beispiel 2, S. 60, ist in Bewegung, es
durchströmt die chemische Anlage. Das Verhältnis von Edukten
zu Produkten ändert sich sowohl in Abhängigkeit vom Ort in
der Anlage als auch in Abhängigkeit von der Zeit.

Der Zeitabhängigkeit der zu bestimmenden Parameter wird


eine periodische Probenahme gerecht, bei der an jeder Probe-
mind.
nahmestelle innerhalb eines bestimmten Zeitraums mehrere 5 Einzel-
Einzelproben entnommen werden, die zu einer Mischprobe proben
vereint werden.
Probe- 2min...2h
Werden wie in Beispiel 2 an einem Ort innerhalb von höchstens nahme- gleicher Zeit-
stel le a bstand
zwei Stunden und mindestens zwei Minuten in einem gleichblei-
benden zeitlichen Abstand mindestens fünf Einzelproben glei- Bild 1: Oualifizierte Stichprobe
chen Volumens entnommen und zu einer Mischprobe vereint,
entsteht eine qualifiz¡erte St¡chprobe (Bild 1). Das Messergeb-
nis wird auf das Reaktionsgemisch übertragen, das innerhalb Zeitlicher Verlauf des
Ët { Volumenstroms
des Zeitraums die betreffende Probenahmestelle passiert hat. Ol
tr-
=o
Bei dieser diskontinuierlichen Probenahme werden Schwan- 9à
kungen der Parameter innerhalb des Zeitraums zwischen den
Probeentnahmen nicht berücksichtigt. Eine lückenlose Kont- Z"ir--*
rolle des Reaktionsgeschehens wird durch eine kontinuierliche
Probenahme ermöglicht, bei der innerhalb eines Zeitraums l-rË Zeitproportionale
Probenahme
fortlaufend Probe entnommen und gesammelt wird.
=:
oo
ts>
a)
Bei einer diskontinuierlichen Probenahme werden an einer Zeìt+
Probenahmestelle in genau definierten zeitlichen Abstän-
den Einzelproben entnommen und zu einer Mischprobe l.lË Durchf lussproportionale
Probenahme
vereínt.
Bei einer kontinuierlichen Probenahme wird an einer Probe- Ë;
nahmestelle ununterbrochen Probe entnommen und über
einen bestimmten Zeitraum hin gesammelt und gemischt. b)
ZeiI+
Eine diskontinuierliche Teilstromentnahme erfolgt bei folgen- l.lo Volumenproportionale
den Verfahren (Bild 2a bis c).
lE Probenahme
_Lf
oo
. Zeitproportionale Probenahme: Die Zeitabstände der Proben- t->
cl
entnahme sowie das Probenvolumen sind konstant (Bild 2a).
Zeit+
. Durchflussproportionale Probenahme: Die Zeitabstände der
Probenahme sind konstant, das Probenvolumen ist direkt
l.lo Zeitkontinuierliche
rE Probenahme
proportional zum Volumenstrom (Bild 2b). _t- f
oO
. Volumenproportionale Probenahme: Die Zeitabstände der F>

Probenentnahme variieren in Abhängigkeit vom Volumen- d)


strom. Das Probenvolumen bleibt gleich (Bild 2c). Zeit+
Durchf lusskontinuierliche
Bei folgenden Probenahmeverfahren findet eine kontinuierli- l. Probenahme
che Teilstromentnahme statt (B¡ld 2d und e): lË
lf
. Zeitkontinuierliche Probenahme: Das Probenvolumen ist oO
F>
konstant (B¡ld 2d). el
. Durchflusskontinuierliche Probenahme: Das Probenvolu- ZeiI+
men ist direkt proportional zum Volumenstrom der Grund- Bild 2: Periodische Probe-
gesamtheit (Bild 2e). nahmeverfahren
62
2.2 Probenahme

2.2.4 Probenahmegeräte für Feststoffe


Bei jeder Entnahme von Feststoffproben aus einem Haufwerk
oder Schüttgut muss berücksichtigt werden, dass die zu unter-
suchenden Parameter partikelgebunden sind. Hand- Hebel- lag-
griff zieh- kopf
So vielfältig wie die möglichen Feststoffproben sind die ange- eisen
botenen Probenahmegeräte:
E
. Schaufel, Spaten, Löffel, Spatel: Bodenproben werden ent- Trittsteg o.

nommen, indem der Boden mit einem Spaten eingestochen


E
wird. Dann wird mit einem Löffel entlang der Schnittfläche @-
bis zu der festgelegten Tiefe Bodenmaterial abgekratzt und in o
einem Gefäß gesammelt. E
o
. Stechlanze oder Hohlmeißelbohrer: Hierbei handelt es sich
um ein dünnwandiges Metallrohr mit einer abgeschrägten, a) Nut b)

scharfen Schneidekante an der Spitze. ln das Rohr ist auf der Bild 1: al Krumenstecher,
gesamten Länge eine Nut eingeschweißt. Das Rohr füllt sich b) Pürckhauer Bohrstock
beim Einstechen mit Probenmaterial. Vor dem Herausziehen
wird es gedreht, um den Bohrkern vom verbleibenden Ma-
Einstechen Herausziehen
terial abzuscheren. Der Bohrkern wird mithilfe eines spitzen
Auskratzers, der entlang der Nut geführt wird, in ein Sammel-
gefäß abgestreift.
Der für die Entnahme von Bodenproben von 0 cm bis 30 cm
$ t
Tìefe vorgesehene Krumenstecher verfügt über einen Hand- '...:,,
griff und einen Trittsteg, mit deren Hilfe diese Stechlanze mit
Muskelkraft in den Boden gerammt und gefüllt herausgezo-
gen werden kann (Bild 1a).
Sollen Bodenproben bis zu 1 m oder 1,50 m ïefe entnommen
werden, wird der Pürckhauer Bohrstock verwendet (B¡ld 1b). Bild2: Probenehmer Bulky
Dieser Hohlmeißelbohrer mit einem Schlagkopf am obe-
ren Ende wird mithilfe eines speziellen Hammers (Kopf aus Fallrohr
Kunststoff) in den Boden getrieben. Ein in den Kopf des Bohr- mit feinem
Feststoff
stocks gestecktes Hebelzieheisen erleichtert das Drehen und
Probenbehälter
Herausziehen des Bohrers. Das Hebelzieheisen kann anschlie-
ßend als Auskratzer der Bodenschichten verwendet werden.
Bodenproben bis zu 10 m Tefen werden mithilfe einer Ramm'
kernsonde entnommen. Das hohle Stahlrohr wird mit einem Stempel
elektrischen Schlaghammer in den Boden getrieben. Der 1 m
oder 2 m lange Sondeneinsatz innerhalb des Rohrs wird her-
ausgezogen, sobald der Hohlraum vollständig gefüllt ist. Stempel eingeschoben
- Probenbehälter gefüllt
. Probenehmer Bulky, Dieses Gerät dient zur Entnahme von
Zielproben aus Schüttgut. Beim Einstechen in das Schüttgut
verschließt sich die Sammelkammer an der Spitze des Stahl- Stempel
rohres. Hat die Kammer den Zielpunkt der Probenahme er-
reicht, wird der Probenehmer zurückgezogen. Hierbei öffnet
sich die Sammelkammer und füllt sich mit Probe (B¡ld 2).

. InlÍneProbenehmer mil Free-Glide: Mit dem fest installierten


Probenehmer werden Feststoffproben aus einem vertikalen Stempel herausgezogen und gedreht
Fallrohr entnommen. Ein Probenbehälter wird in den Mate- - Probenbehälter entleert

rialstrom des Fallrohres eingebracht, zurückgezogen und ge- Bild 3: lnlíneProbenehmer mit
kippt. Dabei fällt die Probe in den Entnahmestutzen (B¡ld 3). Free-Glide
63
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitu ng

2.2.5 Probenahmegeräte für Flüssigkeiten


Bei einer ruhenden Flüssigkeit kann es aufgrund einer schlechten Durchmischung zu einer
Schichtenbildung kommen. Die Parameter sind orts-, aber wenig zeitabhängig. Sie werden auf
der G rundlage von Ouerschnittsproben oder Zielpunktproben bestim mt.
Bei einer bewegten Flüssigkeit hängt der Grad der Durchmischung von den Strömungsverhält-
nissen ab. ln diesem Fall gibt eine periodische Probenahme an sorgsam ausgewählten Probe-
nahmestellen Aufschluss über die Abhängigkeit der Parameter von Ort und Zeit.

E ln Abhängigkeit vom Probenahmeverfahren kommen folgende


Probenahmegeräte zum Einsatz:

. Schöpfbecher: Ein Becher oder eine Flasche ist fest oder


beweglich mit einer langen Têleskopstange verbunden. Für
die Entnahme einer Zielpunktprobe eignet sich der Proben-
schöpfer mit verschließbarem Schöpfbecher (Bild 1). b)

. Stechheber:Hierbei handeltessichumein 1 mbis3 mlanges a) cl


Kunststoffrohr, das am oberen Ende einen Absperrhahn
und am unteren Ende ein Kugelventil besitzt. Zur Entnahme Bild 1: al Schöpfbecher,
einer Ouerschnittsprobe wird der Stechheber mit geöffne- bl Pendelbecher,
tem Hahn langsam in die Flüssigkeit getaucht und nach dem cl Probenschöpfer
Schließen des Hahns zurückgezogen (Bild 2a). Zielpunkt-
proben werden gewonnen, indem der Hahn erst dann ge-
öffnet wird, wenn die Spitze des Stechhebers den Zielpunkt
erreicht hat (Bild 2b).
'üåfl
. Tauchbehälter: Eine Tauchbombe oder eine Tauchflasche
ist ein hohles, durch ein Ventil verschlossenes Gefäß mit
einem Volumen von 1 L und einer Masse von 3 kg bis 4 kg
(Bild 3). Das Gefäß wird an einem Tragseil in die gewünsch- a)
üt
Ouerschnitts-
probe
b) Zielpunkt-
probe
te Tiefe abgesenkt. Durch Ziehen an einem zweiten Seil
öffnet sich das Ventil, die Flüssigkeit strömt in das Gefäß Bild 2: Stechheber
ein. Nach dem Schließen des Ventils wird der Tauchbehälter
zu rückgezogen.
Absenken öffnen
Tragseil
. Vakuum-Probensammler: Eine Probenflasche ist mit einer +
Vakuumpumpe und einem dünnen, langen Schlauch ver-
bunden, der mithilfe eines Gewichts bis zu der gewünsch-
Ziel
ten Tiefe in die Flüssigkeit eingeführt wird (Bild 4). Durch punkt-
Betätigung der Vakuumpumpe wird in der Flasche ein Un- Ventil probe
terdruck erzeugt, dadurch steigt die Flüssigkeit im Schlauch
hoch und strömt in die Flasche. v
. Entnahmesonde: Eine kontinuierliche Teilstromentnahme Bild 3: Tauchbehälter
ist mithilfe einer innerhalb eines Rohres fest installierten
Entnahmesonde möglich. Alternativ wird ein Teilstrom nach Entna h mesch lauch
dem Bypass-Prinzip vom Hauptstrom abgezweigt, dem mit- öffnung
Vakuum-
tels einer Sonde kontinuierlich oder diskontinuierlich Probe pume eines
entnommen wird, Fasses

. Vollautomatische Probenahmesysteme: Für die zeit-,


volumen- oder durchflussproportionale Probenahme wer-
den vollautomatische Systeme angeboten. Die Probenah- Sammel-
me erfolgt in Abhängigkeit vom Volumenstrom oder einem gefäß
kontinuierlich gemessenen Parameter. Bild 4: Vakuum-Probensammler
64
2.2 Probenahme

2.2.6 Probenahmegeräte für Gase


Bei der Probenahme von Gasen muss ebenso wie bei der Probenahme von Flüssigkeiten der
Grad der Durchmischung berücksichtigt werden. Die Luft innerhalb eines geschlossenen lnnen-
raums wird nur leicht aufgrund von Temperaturunterschieden bewegt. Wenn die Schadstoffe,
wie z. B. Formaldehyd, auf eine gering und kontinuierlich emittierende Ouelle zurückzuführen
sind, weisen die Parameter eine geringe Orts- und Zeitabhängigkeit auf. Deshalb reichen zur Be- il
urteilung der Raumluftqualität meist die Entnahme und Analyse einer Stichprobe aus. $irii
Schnell strömende Gase, z. B. innerhalb einer chemischen Anlage, werden stark durchmischt.
lhre Parameter hängen von der Messstelle innerhalb der Anlage sowie vom Zeitpunkt der Probe-
r ìl
nahme ab. Deshalb ist eine periodische Probenahme an unterschiedlichen Stellen erforderlich.
Auch die aus einer Anlage, z. B. über einen
Siir;llìlurìrJ
Schornstein emittierten Gase, Stäube und Ae-
Transmission
rosole weisen eine hohe Strömungsgeschwin- Luft- Regen
feuchte
digkeit auf. Direkt abgegebene Luftschadstoffe
Sekundär- .9
werden Primärschadstoffe genannt. Sie wer- E ø
.9 scha dstoffe
den durch den Wind vom Entstehungsort weg- o
.9
getragen und mit den Bestandteilen der Luft E
uE
vermischt. Durch den Einfluss von Strahlung
Primä rschadstoffe Primär- und
und Luftfeuchte kommt es zu Reaktionen der (Gase, Stäube, Aerosole) Seku ndä rsch adstoffe
Primärschadstoffe. Sekundärschadstoffe ent-
stehen. Der Transport sowie die beim Trans-
port der Luftschadstoffe erfolgenden Reak-
tionen werden unter dem Begriff Transmission
zusammengefasst. Wirken die Luftschadstoffe trtr
in der näheren oder weiteren Umgebung ihres
Entstehungsortes auf die Umwelt ein, spricht
man von der lmmission (Bild 1). Bild 1: Emission, Transmission und lmmission

Der Ausstoß von Luftschadstoffen in die Atmosphäre wird Emission genannt.


Transmission bezeichnet den Transport von Luftschadstoffen vom Ort ihres Entstehens zum
Ort ihres Wirkens sowie die während des Transports erfolgenden Umwandlungsprozesse.
lmmission ist die an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit auftretende, auf die
Umwelt wirkende Luftverunreinigung.

Sowohl die Emission als auch die Transmission und die lmmission von Luftschadstoffen müssen
bei der Probenahme von Außenluft berücksichtigt werden. Nur bei der Probenahme von Gasen
in kleinen geschlossenen Räumen oder Gefäßen reicht aufgrund der weitgehenden Homogenität
des Gases die Entnahme einer Stichprobe aus. Bei einer größeren, komplexeren Grundgesamt-
heit ermöglichen nur periodische Probenahmen an sorgsam ausgewählten Stellen eine sichere
Beurteilung der Konzentrationen von Luftschadstoffen.
Geräte zur Probenahme von Gasen können aktiv oder passiv eingesetzt werden. Bei der aktiven
Probenahme saugt eine Pumpe ein definiertes Gasvolumen in ein Gefäß oder durch ein Gefäß
hindurch. Dringt das Gas innerhalb eines bestimmten Zeitraums nur durch Diffusion in ein Gefäß
ein, handelt es sich um eine passive Probenahme.
Durch eine Anreicherung der zu bestimmenden Komponente, des Analyten, innerhalb des Probe-
nahmegeräts ist eine periodische Probenahme mit gleichzeitiger Begrenzung der Proben-menge
möglich. Die Anreicherung kann mithilfe eines Adsorptionsmittels erfolgen, an dessen_Oberflä-
che sich die Substanz anlagert. Gebräuchliche Adsorptionsmittel sind Aktivkohle, Tenax@ (Poly-p-
2,6-diphenyl-phenylenoxid), Silicagel, Aluminiumoxid oder Molekularsiebe. lm Labor wird die
zu bestimmende Komponente mithilfe eines Lösemittels oder durch Erhitzen desorbiert und ge-
messen. Alternativ zum Adsorptionsmittel kann ein Absorptionsmittel eingesetzt werden, in dem
sich der Analyt löst.
65
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

Folgende Geräte werden bei der Probenahme von Gas ohne Anreicherung eingesetzt
. Gasmaus: Dieser Glaszylinder mit zwei Ventilen kann zur pas-
Se
siven Entnahme von Gasproben eingesetzt werden, indem er
vor der Probenahme evakuiert wird. Wird ein Ventil geöffnet,
strömt das Gas ein. Bei der aktiven Probenahme wird mit ei- a)
Hahn
ner Pumpe ein Gasstrom durch eine Gasmaus geleitet. Durch Stempel
ein Septum können mit einer Spritze Gasproben entnommen
werden (Bild 1a). u 1.,..t,,,.t,,,.t,,,,1.,.,t,..,t,,,.,,,,,1..,,t,,,,t,.,,t,,,,t

. Kolbenprober, Pasteurpipette, Spritze: Diese Geräte funk-


tionieren aufgrund des Unterdrucks, der durch langsames
b)
Septum Ð,e
Herausziehen des Stempels erzeugt wird (Bild 1b).
c) b I-JÜ
. Headspace-Gläschen, Beutel aus Polyvinylfluorid (Tedlar@):
Bild 1: a) Gasmaus,
Die fest verschlossenen Gläschen werden mit einer dÜnnen b) Kolbenprober,
Kanüle durch das Septum im Deckel befüllt (Bild 1c). Große cl HeadspaceGläschen
Gasmengen werden in Beuteln mit einem Volumen bis zu 5 L
gesammelt. Die Probenahme erfolgt zumeist aktiv. Kunststoff- Luft mit
kappe mit Analyt c
Dichtring o
Beispiele für Gas-Probenahmegeräte mit Anreicherung sind:
õc
. Diffusions- oder Passivsammler: Dabei handelt es sich um
ein mit einer gasdurchlässigen Membran verschlossenes embran
o
rf
Glas- oder Kunststoffröhrchen, an dessen Boden ein feines Poly- c
o
,F
Gitter mit einem Adsorptionsmittel angebracht ist (B¡ld 2). 6
Die Probenahme erfolgt passiv aufgrund des Konzentrations-
Y
c
o
Rohr
unterschieds des Analyten in der Luft an der Adsorptions-
N
c
oberfläche und in der Außenluft. Die Membran dient als
Wetterschutz
vo
Staubfilter und dämpft den Einfluss durch den Wind. boden mit Dichtring
Die kleinen, leichten und kostengünstigen Diffusions- oder feines Gitter mit
Passivsammler werden für Raumluftbestimmungen, z. B.
am Arbeitsplatz, sowie für Langzeitbestimmungen, z. B. von Bild 2: Diffusionssammler
Stickstoffdioxid NO, in der Außenluft, eingesetzt.
. Gasprüfröhrchen: Das luftdicht verschlossene Glasröhrchen Gas mit Pumpe
ist mit einem Adsorptionsmittel und einem lndikator gefüllt Anâlyt
(Bild 3a). Nach dem Aufbrechen des Röhrchens an beiden
la Gas
Seiten wird es auf eine Handpumpe oder eine elektronische
Gasspürpumpe gesetzt. Damit wird ein bestimmtes Gasvo- absor-
lumen durch das Röhrchen gesaugt. Der Analyt wird adsor- bierter
r
Analyt
biert, innerhalb des Adsorptionsmittels wird aufgrund der
Reaktion des lndikators eine farbige Grenzschicht erkennbar. Absorp-
Der Messwert kann auf der auf dem Gasprüfröhrchen aufge- tionsmittel
druckten Skala abgelesen werden. a) b)
Gasprüfröhrchen dienen vorwiegend zum schnellen Nach-
weis der Überschreitung eines Grenzwertes. Bild 3: a) Gasprüfröhrchen,
b) lmpínser
. lmpinger: Diese Gaswaschflasche aus Glas oder Kunststoff
dient der Anreicherung von Probenbestandteilen durch Absorption. Sie wird mit einer be-
stimmten Menge Absorptionsflüssigkeit gefüllt, durch die mithilfe einer Pumpe kontinuierlich
das zu untersuchende Gas gesaugt wird (Bild 3b). lmpinger werden z. B. zur Ammoniakbestim-
mung bei Emissionsmessungen in Ïermastbetrieben eingesetzt.
. Kühlfalle: Sie ist ähnlich wie eine Gaswaschflasche gebaut (s. Band 1, S. 110). Die Kühlfalle
wird mit einem Kühlmittel auf eine Temperatur unterhalb des Kondensationspunktes der an-
zureichernden Komponente gebracht. Die Komponente des durchgeleiteten Gases sammelt
sich am Boden der Kühlfalle. Alternativ kann die Kühlfalle eine speziell behandelte Aktivkohle
zur Kryoadsorption, z. B. von Wasserstoff, bei niedriger Temperatur enthalten.
66
2.2 Probenahme

2.2.7 Probenmenge
Bei einer Probenahme werden in Abhängigkeit
l3@
von der Homogenität und Größe der Grundge-
samtheit Einzelproben gewonnen. Diese kön-
nen als einzelne Laborproben herangezogen
werden oder zu einer Mischprobe bzw. Sam-
melprobe vereint werden, der die repräsentati-
ve Laborprobe entnommen wird (B¡ld 1).
homogene
Grund-
gesamtheit
\l/ heterogene
Grund-
gesamtheit
E@E@
Die Laborprobe wird in das zuständige Labor Durchmischung,
transportiert, wo aus ihr Analysenproben für Verjüngung
die Untersuchung der relevanten Parameter
sowie eine Rückstellprobe gewonnen werden. rãtt+E[E
Die Mindestmenge einer repräsentativen
Einzelprobe hängt von der Homogenität der
Grundgesamtheit und somit vom Aggregat-
zustand des Prüfguts ab. Je homogener die
Trocknung.
Homogeni-
sierung

^/11 ! \
Grundgesamtheit ist, umso geringer kann die Bild 1: Probenherstellung in Abhängigkeit von der
Menge einer repräsentativen Einzelprobe sein. Homogen¡tät der Grundgesamtheit

Auch die Mindestmenge einer repräsentativen Laborprobe wird durch die Homogenität bzw. die
Beschaffenheit der Grundgesamtheit bestimmt. Darüber hinaus müssen bei der Festlegung der
erforderlichen Menge der Laborprobe die Anzahl und Menge der daraus gewonnenen Analysen-
proben sowie die Menge der Rückstellprobe berücksichtigt werden.
Die Mindestmenge einer Analysenprobe hängt von der gewählten Messmethode ab. Jede Me-
thode eignet sich ftir die Bestimmung eines Analyten innerhalb eines bestimmten Messbereichs.
Die Konzentration des Analyten in der Messlösung muss durch Verdünnung oder Anreicherung
auf diese Bestimmungsgrenzen abgestimmt werden. Soll ein in hoher Konzentration vorliegen-
der Analyt bestimmt werden, reicht eine geringe Probenmenge aus. Liegt der Analyt in geringer
Konzentration vor, ist eine größere Probenmenge erforderlich.

Die Mindestmenge einer Laborprobe hängt von der Homogenität der Grundgesamtheit, der
Art und dem Umfang der geplanten Untersuchungen sowie von den jeweiligen anal¡ischen
Bestimmu ngsgrenzen ab.

Menge gasförmiger Proben


Aufgrund der Homogenität von Gasen gibt bereits eine Einzelprobe Aufschluss über die Zusam-
mensetzung z. B. der Luft in 2 m Höhe über dem Erdboden. Die Menge einer gasförmigen, nicht
angereicherten Einzelprobe wird durch das Volumen des Probenahmegeräts, z. B. der Gasmaus,
vorgegeben. Die Menge einer gasförmigen, angereicherten Einzelprobe wird durch den Zeitraum
der Anreicherung, z. B. in einem Diffusionssammler, geregelt (1 Woche bis 1 Monat).

Menge flüssiger Proben


Die Parameter eines Stillgewässers sind ortsabhängig, die Parameter eines Fließgewässers sind
orts- und zeitabhängig. Eine kleine Menge einer wässrigen Lösung, z. B, in einem Gefäß, kann
hingegen als relativ homogen betrachtet werden.
Einer flüssigen Einzel- oder Mischprobe kann deshalb unter intensivem Rühren eine repräsen-
tative Laborprobe entnommen werden. Die Menge der Laborprobe muss auf die Art und den
Umfang der geplanten Untersuchungen abgestimmt sein. Für die Bestimmung der Bakterien
in Bewässerungswasser, z. B. für Gemüsekulturen, reichen 200 mL Laborprobe aus. Für die Un-
tersuchung von Bewässerungswasser auf geringe Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln
werden hingegen 2 L Probe benötigt.
67
2 Probenahme. Probenbehandlung und Probenvorbereitung

Menge fester Proben Tabelle 1: Mindestmenge einer


Die Parameter eines Feststoffs sind partikelgebunden. Ein Ge- repråsentativen
menge kann aus unterschiedlichen Materialien mit verschiede- Einzelprobe
nen Partikelgrößen bestehen, die lose vermengt oder fest mitei- Durchmesser Mindestmasse
nander verpresst sind. Je inhomogener ein Feststoff ist, umso des Größtkorns der Einzelpro-
größer ist die Mindestmenge einer repräsentativen Einzelprobe. d-u* in mm be m-¡n in kg
2 0,12
Aufschluss über die Probenmenge gibt die maximale Korn-
größe d.u*. Der Durchmesser des Größtkorns, d. h. der im 5 0,30
I i 'liri,
Prüfgut überwiegend vorliegenden größten Komponente, kann 10 0,60
durch Siebung oder durch Sichtprüfung bestimmt werden. 20 1,20
Die Mindestmasse einer repräsentativen Feststoff-Probe m-'n 40 2,40
wird nach folgender Formel berechnet: 60 3,60
BO 4,80

.mm-l ffimin d-u,


Dmin = dmu" . 0,06 kg Gl- 2.1
kg mm Tabelle 2: Probenahmeplan
für heterogene
Grundgesamtheit
Bei einer besonders inhomogenen Grundgesamtheit, z. B. Ab- Volumen der Anzahl der
fall, sollte die Masse jeder Einzelprobe größer sein als aufgrund Grundges. Proben
der Gleichung 2.1 berechnet bzw. in Tabelle 1 angegeben. Nur in m3 E M s L
so ist gewährleistet, dass die Einzelprobe einen repräsentati- 100 ... 200 24 6 b
ven Anteil der Partikel mit geringer Korngröße enthält. Partikel,
die größer als das Größtkorn sind, müssen separat gesammelt 200 ... 300 28 7 7

und einer gesonderten Analyse zugeführt werden. 300 ... 400 32 a 8

Tabelle 2 zeigt den Probenahmeplan für eine heterogene 400 ... 500 5b I q

Grundgesamtheit, z. B. Abfall auf einer Deponie. Je angefan- 500 ... 600 40 10 10


gene 100 m'Volumen der Grundgesamtheit werden zusätzlich 600 ... 700 44 11 11
zur Anfangsanzahl von 20 vier volumengleiche Einzelproben
700 ... 800 48 10 1 11
(E) genommen, die zu einer Mischprobe (M) vereint werden. Ab
dem Prüfvolumen von 700 m" werden aus nur zehn Mischpro- 800 ... 900 52 10 1 11

ben Laborproben (L) gewonnen. Die zusätzlichen zwei Misch- 900 ... 1000 56 10 2 12
proben werden zu einer Sammelprobe (S) zusammengeführt. 1 000 ... 1 100 60 10 2 12
Ab 800 m' werden drei Mischproben zu einer Sammelprobe 1 100 ... 1 200 64 10 2 12
vereint, der eine Laborprobe entnommen wird.
Die Masse einer aus vier Einzelproben bestehenden Mischprobe beträgt das 4-Fache der Masse
einer Einzelprobe, die Masse einer Sammelprobe das 8- bis 12-Fache.
Die Mindestmasse einer Laborprobe wird ebenso wie die Mindestmasse einer Einzelprobe nach
Gleichung 2.1 berechnet. Zur Herstellung einer repräsentativen Laborprobe aus einer Misch- oder
Sammelprobe ist somit eine Probenverjüngung erforderlich. Diese Reduktion der Probenmenge
erfolgt zunächst durch eine AliquotierunS, d. h. die großvolumige Probe wird in volumengleiche
Teilproben geteilt. Dann wird jede zweite Teilprobe verworfen.
Bei der Probenverjüngung wird das Proben-
verwerfen verwerfen
material auf einer sauberen, glatten Unterla-
ge aufgebracht und sorgfältig durchmischt M isch- Kreuz- Labor-
(Bild 1). Dann wird das Material zu einem Ke- probe teiler probe
gel angehäuft und mit einem Kreuzteiler in vier
gleiche Teile geteilt (aliquotiert). Zwei einander
gegenüber liegende Teile werden verworfen. à
Der verbleibende Rest wird erneut aufgekegelt
und geviertelt, bis die Probenmenge der be- Aufkegeln I vi"rr"tn I nuftegetn I viertetn I Auftegetn
rechneten Mindestmasse der Laborprobe ent-
spricht. Die Probenteilung stark heterogener Bild 1: Prinzip der Probenverjüngung mit einem
Proben erfolgt erst im Labor. Kreuzteiler

6B
2.2 Probenahme

2.2.8 Probengefäße
Gasförmige Proben verbleiben bis zur Unter-
suchung in dem Gefäß, in dem sie gewonnen
Probengefäß Eignung
wurden, z. B. in einer Gasmaus. Diffusions-
sammler werden nach der Probenahmezeit G las-Sch iff-Standflasche
I . Anorganische
von 1 Woche bis zu 1 Monat mit einem Kunst- mit Glasstopfen Parameter
stoffdeckel verschlossen und zur Desorption (Borsilikat-Glas, klar oder außer Al
und Analyse ins Labor transportiert. braun) . Organische
Parameter
Feste oder flüssige Proben werden nach der . Gelöste Gase
Probenahme in Probengefäße aus Kunststoff
. Leichtflüchtige
oder Glas gefüllt. Für bakteriologische Unter-
Bestandteile
suchungen sollte das Gefäß nicht randvoll mit
der Probenflüssigkeit gefüllt werden, ein Luft- Glas-Gewindeglas, . Anorganische
raum sollte verbleiben. Für chemische Unter- Verschlusskappe mit Parameter
suchungen muss das Gefäß randvoll gefüllt Polyethylen-Einlage außer Al
(Kalk-Soda-Glas, klar .
und I uft blasenfrei verschlossen werden. Organische
oder braun) Parameter, nicht
Jedes Probenahmegerät und Probengefäß, mit leichtflüchtig
dem die Probe in direkten Kontakt kommt, muss Weck-Glas mit Gummi- . Anorganische
sauber und chemisch inert gegenüber den ln- oder Teflon-Dichtung und Pa ra meter
haltsstoffen der Probe sein. Die Probe darf we- Metallbügel-Spa n ner außer Al
der durch anhaftende Substanzen noch durch . Organische
das Gefäßmaterial selbst verunreinigt werden. Parameter. nicht
Die Oberfläche sollte glatt sein, damit keine Ad- leichtflüchtig
sorption der Bestandteile der Probe stattfindet
und das Gefäß leicht zu reinigen ist. Das Gefäß Hea dspace-Gläschen mit . Leichtflüchtige
sollte auch leicht und stabil sein, damit es beim Septum Pa rameter
Probentransport nicht beschädigt wi rd. . Gelöste Gase
Flasche aus Hochdruck- . Alle anorganischen
Wenn sich der Analyt während des Zeitraums polyethylen (HDPE,
zwischen Probenahme und Messung verän- stabil: - 50'C ... + 105'C)
Parameter
dern kann, wird die Probe im Probengefäß
einer physikalischen oder chemischen Kon- Flasche aus Poly-4-Me- . Alle anorganischen
servierung unterzogen. Das Material des Pro- thylpenten-1 (PMB
Parameter
stabil 0 'C ... + 175 "C)
bengefäßes sollte somit stabil bei niedrigen
Temperaturen und chemisch inert gegenüber . Alle anorganischen
Polypropylen-Dose
Konservierungsmittel n sei n. Parameter
. Alle anorganischen
ln Tabelle 1 sind Probengefäße sowie ihre Ver- Polyethylen-Fass
Parameter
wendungszwecke aufgefü h rt.

An das Probengefäß, in dem die Probe bei Bedarf konserviert, transportiert und bis zur Pro-
benvorbereitung gelagert wird, sind besondere Anforderungen zu stellen:
. Es muss sauber sowie schnell und einfach zu reinigen sein.
. Es sollte leicht sowie stabil sein und darf keine Beschädigungen aufweisen.
. Die Oberfläche des Probengefäßes muss besonders glatt sein. Die Gefäßwandung darf den
Anal¡en nicht durch Adsorption verändern.
. Das Gefäß muss aus einem inerten Werkstoff bestehen. Zwischen Gefäßmaterial und
Probe darf kein Stoffaustausch stattfinden.
. Das Material des Probengefäßes darf durch die erforderliche Konservierung der Probe nicht
verändert oder zerstört werden.

69
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.3 Messungen vor Ort


Das Ziel der Analyse besteht darin, lnformationen über die Beschaffenheit der Grundgesamt-
heit zum Zeitpunkt der Probenahme zu erhalten. Die Parameter dürfen durch die Probenahme
möglichst wenig verändert werden. sie dürfen auch im Zeitraum zwischen der Probenahme und
der Messung nur geringen Veränderungen unterliegen. lnsbesondere bei der Untersuchung von
Umweltproben kann dieser Zeitraum mehrere Stunden oder Tage betragen, weil der Ort der Pro-
benahme und das Labor weit voneinander entfernt liegen.

E Ab dem Zeitpunkt der Probenahme setzen jedoch physikalische, chemische und biologische Vor-
gänge ein, durch die die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Probe verändert wer-
den. Dazu zählen der Gasaustausch mit der Umgebungsluft, die Fällung von Salzen infolge einer
Temperaturänderung. die Adsorption von Stoffen an Schwebstoffen in der Probe oder an der
Gefäßwandung, die Oxidation von Bestandteilen der Probe durch Luftsauerstoff sowie die Verän-
derungen der Parameter infolge von Stoffwechselvorgängen der Mikroorganismen,
Die Veränderung mancher Parameter kann durch Konservierungsmaßnahmen nicht hinreichend
verlangsamt werden. Diese Parameter müssen vor Ort bestimmt werden. Die Methoden der
Vor-Ort-Analytik (Feldmethoden) sind mit einem nur geringen apparativen Aufwand verbunden,
die Messgeräte sind klein, leicht und einfach zu bedienen. Die Messwerte liegen zeitnah und am
Ort der Probenahme vor. Deshalb werden Feldmethoden auch zum ,,Field Screening" (engl. Feld-
Abtastung) genutzt. ln Gebieten mit einem besonderen Gefährdungspotenzial wird die Dichte der
Probenahmestellen erhöht. Die Ergebnisse der Vor-Ort-Analytik sind jedoch weniger genau als
die mit aufwändigen Verfahren im Labor erzielten Messwertê.
Beispiele für die vor Ort zu bestimmenden Parameter eines natürlichen Gewässers sind:
. Sinnesprüfung: Art und lntensität des Geruchs werden direkt nach der Probenahme bestimmt,
weil geruchsbildende Gase entweichen können. Eine Prüfung des Geschmacks erfolgt nur,
wenn kein Verdacht auf Gesundheitsgefährdung besteht. Die Bestimmung der Färbung betrifft
sowohl den Farbton als auch die Farbintensität. Auch die Bestimmung der Trübung wird visuell
vorgenommen. Dazu wird ein genormter Glaszylinder verwendet.
. Temperatur: Die Veränderung der Temperatur der Probe beeinflusst zahlreiche physikalische
und chemische Parameter, Durch die Verwendung einer Pumpe zur Entnahme der Probe kann
die Temperatur bereits um 0,5 "C bis 2 "C erhöht werden. ln diesem Fall sollte die Tenìperatur
in situ, d. h. ohnevorherige Entnahme der Probe, bestimmtwerden, Die Messung erfolgt mit
einem geeichten Thermometer oder mit einem Temperatursensor.
. pH-Wert: Der pH-Wert wird durch aus-
gasendes oder aus der Luft aufgenommenes Mess- und
Kohlenstoffdioxid verändert. Die Messung Referenz-
erfolgt elektrometrisch mit einer pH-Mess- elektrode
und Referenzelektrode (B¡ld 1).
. Elektrische Leitfähigkeit: Die elektrische Leit-
l'"ï"' /
fähigkeit ist ein Maß für die Konzentration
der im Wasser gelösten lonen. Sie wird eben-
ffiF
-tr:r-ïT+r1
so wie der pH-Wert durch das Ausgasen oder
die Aufnahme von Kohlenstoffdioxid verän-
dert, Die Messung erfolgt mit einer Leitfähig-
keits-Messzelle. Bild 1: pH-Meter mit Mess- und Referenzelektrode
. Redoxpotential: Das Redoxpotential ist ein Maß für die Konzentration der Redox-Paare. Es wird
wesentlich durch den in der Wasserprobe gelösten Sauerstoff bestimmt. Die Messung erfolgt
mit einer Redox-Elektrode.
. Sauerstoff-Konzentration: Diese ist entscheidend für die biochemischen Vorgänge in einem
natürlichen Gewässer. Die Messung erfolgt mit einer Sauerstoff-selektiven Elektrode.
70
2.4 Probenkonservierungen und -transport

2.4 Probenkonserv¡erung und -transport


Aufgrund von physikalischen, chemischen oder biochemischen Vorgängen können sich inner-
halb des Zeitraums zwischen der Probenahme und der Untersuchung einzelne Parameter der
Probe verändern. Wenn diese Parameter nicht vor Ort bestimmt werden können, ist eine auf den
jeweiligen Analyten abgestimmte Probenkonservierung erforderlich. Durch die Konservierung
wird die Veränderung des betreffenden Parameters minimiert, jedoch nicht verhindert. lnfolge
der Konservierung werden andere Parameter der Probe verändert.

Das Ziel der Probenkonservierung besteht darin, die Veränderung der betreffenden Parameter
auf unter 10 % im Vergleich zum Messwert zum Zeitpunkt der Probenahme zu reduzieren.

Grundwasser und frisches Ouellwasser enthalten aufgrund mikrobieller Stoffwechselvorgänge


im Boden einen hohen Anteil an Kohlenstoffdioxid. Der pH-Wert der Wasserprobe wird vor Ort
bestimmt. Trotzdem sollte das Ausgasen des CO, verhindert werden, denn infolge der pH-Wert-
Änderung können gelöste Salze ausfallen,
Gelöste Gase können nicht konserviert werden. lhrem Austausch mit der Umgebungsluft wird
durch den gasdichten Abschluss der wässrigen Probe in einer Glasflasche mit Schliffstopfen ent-
gegengewirkt. Zur Vermeidung von Verwirbelungen erfolgt das Befüllen der Flasche durch einen
bis zum Boden der Flasche geführten Schlauch. Die Flasche sollte bis zum Überlaufen gefüllt
werden. Dann wird unter Vermeidung der Bildung von Luftblasen der Stopfen aufgesetzt.
Sollen Natrium, Kalium, Silikat. Bor oder Fluorid in der Probe bestimmt werden, ist die Verwen-
dung eines Probengefäßes aus Kunststoff (HDPE, PMP, s, Tabelle 1, S. 69) zu empfehlen. Die-
se Stoffe sind nicht im Kunststoff enthalten, aus Glas könnten sie hingegen herausgelöst wer-
den. Fluorid könnte mit der Glaswandung reagieren. Nach der vollständigen Befüllung wird das
Kunststoffgefäß mit dem passenden Schraubdeckel fest verschlossen.
Zur Vermeidung der Adsorption von Schwermetallionen an der Oberfläche von Schwebstoffen
wird die Probe vor dem Abfüllen einer Filtration unterzogen (Filterporenweite < 0,45 pm).
Für die Konservierung zahlreicher anderer Parameter haben sich folgende physikalische bzw.
chemischen Methoden bewährt:
. Kühlung auf 2 oC bis 5 'C sowie Abdunkelung: Durch die Temperaturerniedrigung und den
Entzug von Licht werden die Stoffwechselprozesse der in der Probe enthaltenen Mikroorga-
nismen verlangsamt. Die Bakterien werden dabei nicht abgetötet, so dass im Labor der biolo-
gische Sauerstoffbedarf BSB. (Sauerstoffverbrauch innerhalb von 5 Tagen bei 20'C und Dun-
kelheit) als Maß für die biologisch abbaubaren organischen Stoffe bestimmt werden kann.
. ïeffrieren auf - 18'Cl Durch Teffrieren werden die Stoffwechselprozesse der Mikroorganis-
men gestoppt. Diese Methode findet zur Konservierung von Umweltproben selten Anwendung,
sie wird jedoch zur Konservierung von Lebensmitteln eingesetzt.
. Ansäuern der Probe nach vorheriger Filtration: Durch den Zusatz von Säure (HN03, HCl, H2SO4)
werden kationische Parameter stabilisiert. Das Ausfallen von Salzen wird verhindert.
. Alkalische Konservierung mit Natronlauge: Durch Zusalz von Natronlauge werden anionische
Parameter stabilisiert.
. Zusatz bestimmter Reagenzien: Durch Ansäuern auf pH = 4 und Zusatz von Kupfersulfat-
lösung CuSOo (aq) werden Phenole stabilisiert. Kohlenwasserstoffe werden durch Zusatz von
Trich lortrifl uorethan konserviert.

Die gekühlten, abgedunkelten und ggf. chemisch konservierten Proben müssen schnell, aufrecht
stehend und möglichst erschütterungsfrei zum Labor transportiert werden. Während des Trans-
ports ist auf eine geschlossene Kühlkette zu achten. Die weitere Lagerung der Proben sollte nur
über kurze Zeit, nicht länger als 24 Stunden, im Kühlschrank erfolgen.
71
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.5 Probenahmeprotoko¡l
Alle vom Zeitpunkt der Probenahme bis zur Abgabe der Probe im Labor durchgeführten Maß-
nahmen und erzielten Ergebnisse werden gemäß DIN EN ISO 17025 in einem Probenahme-
protokoll festgehalten.

Das Probenahmeprotokoll enthält Angaben zu


Probenahmeprotokoll Fließgewässer
. Kennzeichnung der Probe
Pfobenkennzg¡chnung: ........,....
(Angabe auf Probengefäß),
Datum der Probenahme:............. Uhrze¡t:...,.....
. Datum und Uhrzeit der Probenahme, Name desGewässers:.,,............. Fluss-Kilometet;.,,...
. Probenahmeort, ggf. zusätzliche orts- Probenahmestelle
Rechtes/linkes Ufer, Mitte: ..............................
bezogene I nformationen, Entnahmetiefe:
Fließgeschwindigke¡t (hoch/mitteyniedrìg): ................
. Einzelheiten über die Probenahmestelle, Wetter (Sonne/Regen/W¡nd): ............,... Lufttemperatur: ......
Witterungsbedingungen.
Probsnahmeverfahfen
. Anlass der Probenahme, ggf. Auftraggeber Einzelprobe: .,...,........
der Probenahme, l\4¡schprobe (kont./diskont.): ............ Dauer: von ...... bis ......
Probenahmegerät: Probengefäß:............
. Probenahmeverfahren, Probenart, bei einer F¡ltration: .....,... Filterporenweite:,...,.......
Mischprobe den Beginn und das Ende der Konseruierungemaßnahmen:
periodischen Probenahme, Ergebn¡sse der S¡nnesprüfung
Geruch; .,,...,..,,..., Färbung:
. Probenah megerät, Probengefäß. ïrübung;..,...,,,.,,... Bodensatz;
Ergebn¡sse der Messungen vor Orl
. Art und Dauer der Konservierung, Wassertemperatur: ....,..,..., pH-Wert: ..,...........,,
Elektr. Leitfäh¡gkeit:............ O,-cehalt:
. Angaben zu einer Filtration,
Beobachtungen, mögl. Gefährdungen; ..,.........,,,.............
. Ergebnisse der Messungen vor Ort, Zeuge der Probanahme
Name und Anschrift:,.........,............ -.. -
. Beobachtungen vor Ort, z, B. zur Nutzung Unterschr¡ft des Zeugen: ........,...,.......,.......,

des Geländes, zu direkten Anliegern, Be- Übergabe an Labor


Person:................... Datum:............ Uhrzeit:,.,......
wuchs, Tieren, Geräuschen, Einleitungs-
Probènnehmer (Name/lnst¡tut¡on):
rohren usw., sowie Verdachtsmomente zu
Unterschr¡ft:.......
möglichen Gefährdungen und Verschmut-
zu ngsquel len,
Bild 1: Beispiel für ein Probenahmeprotokoll
. Zeuge der Probenahme,
. Zeitpunkt und Uhrzeit der Übergabe der Probe an das Labor, Name des die Probe entgegen-
nehmenden Labormitarbeiters.
. Name, ggf. Institution und Unterschrift des Probenehmers.

Bild 1 zeigt ein Beispiel für das Protokoll zur Entnahme der Wasserprobe eines Fließgewässers.
Durch die Vorgabe unterschiedlicher Probenahmeprotokolle für Fließgewässer, Stillgewässer,
Grundwasser, Sediment, Ackerboden, Waldboden, Abfall, Außenluft, lnnenraumluft usw. stellt
das zuständige Labor sicher, dass alle das Analysenergebnis beeinflussenden lnformationen auf-
genommen und an das Labor übermittelt werden.

Das Probenahmeprotokoll zu einer Umweltprobe wird zumeist durch Fotos vom Probenahmeort,
der konkreten Probenahmestelle sowie der Umgebung ergänzt. Auf den Fotos sind möglicher-
weise Details zu sehen, die nicht ins Protokoll aufgenommen wurden. Gegebenenfalls können
auch Fotos als Beweis für umweltrechtliche Vergehen herangezogen werden.

Wenn aufgrund des Analysenergebnisses mit rechtlichen Konsequenzen zLt rechnen ist, ist es
von Vorteil, einen Zeugen für die Probenahme benennen zu können oder die Probenahme in
einem Team von mindestens zwei fachkundigen Probenehmern durchzuführen.
72
2.6 Probenvorbereitung

2.6 Probenvorbereitung
Das Ziel der Probenvorbereitung besteht in der Überführung der zu bestimmenden Komponente
der Grundgesamtheit, d. h. des Analyten, in eine für die chemische Analyse geeignete Form. Nur
bei manchen gasförmigen Proben kann auf eine Probenvorbereitung verzichtet werden, die auf
den Analyten und das geplante Messverfahren abgestimmt ist. Häufig werden sogar mehrere
Techniken nacheinander angewendet, bevor die Kalibrierung und Messung erfolgen können.

Folgende Maßnahmen zur Probenvorbereitung werden in Folge oder auch einzeln durchgeführt:

' Herstellen von repräsentativen Analysenproben sowie einer Rückstellprobe,


. Überführen der Komponenten der festen Analysenprobe in eine gelöste Form,
. Abtrennen der Analyten von Stoffen, die die quantitative Bestimmung stören,

' Überführen der Analyten in ein für die Messmethode geeignetes Lösemittel sowie Einstellen
der geeigneten Konzentration der Messlösung.

ln Bild 1 sind diese Maßnahmen der Proben-


vorbereitung in Abhängigkeit vom Aggregat-
zustand der Laborprobe dargestellt. ffi tr@
Ohne Anreicherung gewonnene gasförmige
Abtrennen fester und
Laborproben können zur Untersuchung di- aufschwìmmender Stoffe
Trocknung
rekt z. B. in einen Gaschromatografen injiziert
I
werden (s. Kapitel 5, S. 211). Für die Anwen-
dung anderer Analysemethoden ist auch bei +

Gasen eine Probenvorbereitung erforderlich. Homogenisieren


Wurden die Analyten in einem Diffusions-
sammler angereichert, müssen sie zunächst I
desorbiert, d. h. vom Adsorptionsmittel abge-
trennt werden, bevor sie in ein Lösemittel über-
führt oder direkt als Gas analysiert werden.
Flüssige sowie feste Laborproben sowie feste,
Probenverlü ng u ng

Probenteilu ng in Analysenproben
und R ückstel I probe
rl
großvolumige, stark heterogene Misch- oder
Sammelproben müssen zunächst getrocknet, Abtrennen von
fein zerkleinert und homogenisiert werden. Bei Vollständioes oder
Analyt und - selektives Lösen
zu großem Volumen werden die Proben durch Störsubstanzen
eine Aliquotierung verjüngt und anschließend
in volumengleiche Analysenproben sowie eine
Rückstel I probe getei lt.
i{+
Einstellen einer auf die Messmethode
abgestimmten Analyt-Konzentration

ilt
¡n einem geeigneten Lösemittel
Die schwer löslichen Bestandteile fester Pro-
ben werden durch einen Aufschluss gelöst.
Wurde die Probe zuvor sehr fein gemahlen,
besteht die Möglichkeit, die Analyten und we-
nige weitere Bestandteile der Probe selektiv in
ffi
Bild 1: Maßnahmen der Probenvorbereitung
Lösung zu bringen.

Nachdem die Analyten und in der Probe enthaltene Störsubstanzen abgetrennt wurden, werden
sie in ein für die anschließende Untersuchung geeignetes Lösemittel überführt. Durch Aufkon-
zentrieren oder Verdünnen wird eine Konzentration eingestellt, die innerhalb der Bestimmungs-
grenzen der Messmethode liegt.

Erst wenn die Analyten durch diese Maßnahmen der Probenvorbereitung in eine geeignete Form
überfúhrt wurden, kann die Messung inklusive der Kalibrierung des Messgeräts erfolgen.
73
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.6.1 Homogenisierung, Probenverjüngung und Probenteilung


Flüssige Laborprobe
Die Probenvorbereitung flüssiger Umweltproben findet zum Teil bereits am Ort der Probenahme
statt. Durch Dekantieren und durch eine anschließende Filtration mit einer Filterporenweite von
I irl rì ,,liiiill maximal 0,45 pm wird die Probe von Bestandteilen des Sediments sowie von festen Schweb-
stoffen befreit. Auch aufschwimmende Stoffe, wie Öle oder Schaum, werden vor Ort von der
,.iil,
flüssigen Probe abgetrennt, separat gesammelt und dem Labor zur Untersuchung zugeführt.
'".t
Trotz dieser Vorbehandlung können sich in dem Zeitraum zwischen der Probenahme und der
Probenvorbereitung im Labor, z. B. aufgrund der Konservierung, Bestandteile der Probe abge-
setzt haben. Deshalb wird die Wasserprobe zunächst durch intensives Schütteln von Hand oder
mittels eines Magnet- oder Flügelrührers homogenisiert. War die Homogenisierung nicht erfolg-
reich, können ein Ultraschallbad oder ein Dispergiergerät (Aufschlaggerät) eingesetzt werden.

Das Werkzeug eines Dispergiergeräts, der Dis-


pergierkopf, besteht aus zwei konzentrisch É

gelagerten Ringen mit zahlreichen Schlitzen õ


(B¡ld 1). Der äußere Ring ist unbeweglich, der I

innere rotiert mit großer Geschwindigkeit (Ro-


tor-Stator-Anordnung). Die Flüssigkeit wird in o
den Scherspalt zwischen dem statischen und
dem rotierenden Ring gesaugt und durch die
Schlitze der Ringe wieder nach außen gepresst.
Dabei entstehen starke Turbulenzen und Scher-
kräfte. Bleibt die Laborprobe trotz längerer Be-
handlung heterogen, werden unlösliche Stoffe
lfllllll
abgetrennt und getrennt untersucht. Bild 1: Dispergierkopf

Die eventuell erforderliche Probenverjüngung sowie die Teilung der flüssigen Laborprobe in die
Analysenproben und eine Rückstellprobe erfolgen mit einer Pipette unter intensivem Rühren der
Probe, z. B. mit einem Magnetrührer.

Feste Laborprobe
Die Probenvorbereitung fester Umweltproben, z. B. Bodenproben, beginnt mit der Trocknung.
Die Auswahl eines geeigneten Trocknungs-Verfahrens erfolgt abgestimmt auf den Analyten
(Tabelle 1).

Tabelle 1: Verfahren zum Trocknen fester Umweltprobleme

Trocknungs-
Durchführung Eignung
Verfahren
Trocknungsmittel z. B. Silikagel, Phosphor-
Chemische pentoxid, Natriumsulfat Nicht für leichtflrichtige und einige mit-
Trocknung Durchmischung von Trocknungsmittel und telflüchtige organische Verbindungen
Probe oder Trocknung im Exsikkator
Nicht für leichtflüchtige und einige
Lufttrocknung Trocknung bei Raumtemperatur im Abzug
mittelflüchtige org. Verbindungen
Trocknung bei Schnelle und schonende Trocknung im Nicht für leichtflüchtige und einige
40'c U mluft-Trockenschrank mittelflüchtige org. Verbindungen
Nicht für wasserdampfflüchtige Ver-
Gefrier- Trocknung im gefrorenen Zustand unter
bindungen, leichtflüchtige und einige
trocknu ng Vakuum
mittelflüchtige org. Verbindungen
Trocknung bei Für Bestimmung von Schwermetallen
Schnelle Trocknung im Trockensch rank
105'C außer Quecksilber

74
2.6 Probenvorbereitung

Der Anteil an Bodengasen wird bereits am Ort der Probenahme


bestimmt, denn er kann sich bei Kontakt mit der Luft verändern.
Für die Bestimmung leichtflüchtiger Verbindungen werden se-
parate Proben entnommen, die bis zur Untersuchung luftdicht
verschlossen sein müssen und nicht getrocknet werden dürfen. #';;i""þ,
Bodenproben werden im Anschluss an die Trocknung einer
Siebung zur Korngrößenbestimmung unterzogen. Dazu wer-
den Kunststoff- oder Edelstahlsiebe mit einer Maschenweite F
0 F u'
von 2 mm eingesetzt. Die Körner der Feinkornfraktion haben 'iL
einen kleineren Durchmesser als 2 mm. Sind in der abgetrenn-
ten Grobkornfraktion (Korngröße > 2 mm) Bodenteilchen zu F
erkennen, die beim Trocknen zusammengebacken sind, wer- I' F

den diese Bodenagglomerate mit dem Handmörser zerstoßen.


Anschließend wird die Grobkornfraktion erneut gesiebt. Körner tr% F F

mit einem kleineren Durchmesser als 2 mm werden der Fein-


kornfraktion zu gesch lagen. G rob- und Fein kornf raktion werden Bild 1: Beanspruchungsarten
im Regelfall getrennt voneinander untersucht. beim Zerl<leinerrr

lm nächsten Schritt werden die Fraktionen zerkleinert. Die Tabelle 1: Einteilung der Zer-
Korngröße einer Analysenprobe sollte kleiner als 65 ¡.rm sein. kleinerungsarten
Die Zerkleinerung erfolgt aus folgenden Gründen: nach der Endfeinheit
. Die Bestandteile der Probe erhalten eine einheitlichere Korn- Korngröße
Zerkleinerung
größe und -form. Die Probe wird homogen und rieselfähig, in mm
sie kann in repräsentative Einzelproben geteilt werden. Grobbrechen >50
. Das Zerkleinern dient der Vorbereitung anschließender Fei n brechen 5 ... 50
Trennvorgänge und chemischer Umsetzungen. Durch die
Vergrößerung der Oberfläche können die Bestandteile der Sch roten 0,5 ... 5
Probe schneller gelöst und voneinander getrennt werden. Feinmahlen 0,05 ... 0,5

ln Zerkleinerungsmaschinen werden die Feststoffe unterschied- Feinstmahlen 0,005 ... 0,05


lichen Beanspruchungsarten ausgesetzt. B¡ld 1 zeigt die Prinzi- Kolloidmahlen < 0,005 (5 pm)
pien, auf denen die Zerkleinerung von Feststoffen beruht. Harte
und spröde Stoffe werden am wirkungsvollsten durch Druck und Schlag, elastische und zähe Gü-
ter durch Prall und Schneiden zerkleinert. Weiche Materialien werden durch Reibung, Prall und
Schneiden zerkleinert. ln Abhängigkeit von der erzielten Korngröße (Endfeinheit) wird zwischen
Brechen und Mahlen unterschieden (Tabelle 1). Tabelle2 bietet einen Überblick über wichtige
Zerkleinerungsmaschinen, ihre Funktionsweise und ihren Einsatzbereich (vgl. Kap. 8.7, al> S.341).

Tabelle 2: Überblick über Zerkleinerungsmaschinen

Maschine Zerkleineru ngsprinzip Einsatzbereich, Endfeinheit


Druck, Reibung: Brechgut wird zwischen Grobzerkleinerung extrem bis mittelhar-
Backen brecher feststehender Backe (Platte) und ter und spröder Materialien, Endfeinheit
Schwingbacke zerkleinert bis 1 mm
Schlag, Prall: Mahlwerkzeuge rotieren Mittelharte bis weiche Materialien, End-
Sch lagkreuzmüh le
mit hoher Geschwindigkeit feinheit bis 0,1 mm
Schneiden, Reißen, Reibung: Verreiben Mittelharte bis weiche, elast¡sche Mate-
Scheibenmüh le
zwischen rotierenden Scheiben rialien, Endfeinheit bis 20 pm
Schlag, Prall, Reibung: Gegeneinander-
Kugelmühle, z. B. Harte, spröde und faserige Materialien,
prallen von Mahlkugeln und Mahlgut
Verbundroh rmühle Endfeinheit bis 3 pm
innerhalb des rotierenden Rohres
Prall, Reibung: Mahlgut wird in stark Harte bis mittelharte Materialien, kein
Strahlmühle beschleunigtes Mahlgas {2. B. Argon Abrieb des Mahlwerkzeugs, Endfeinheit
St¡ckstoff ) ei ngeblasen bis 5 pm

75
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

Bei der Auswahl der geeigneten Zerkleinerungsmaschine ist Folgendes zu berücksichtigen:


. Der Abrieb des Mahlwerkzeugs kann die Probe verunreinigen.
. Die Proben dürfen beim Zerkleinern nicht zu stark erwärmt werden. Deshalb sollte der Mahl-
vorgang zur Abkühlung mehrfach unterbrochen werden. Temperaturempfindliche Proben kön-
nen vor der Zerkleinerung mit flüssigem Stickstoff tiefgekühlt und versprödet werden.
. Die Maschine sollte zur Vermeidung der Verunreinigung der Probe gut zu reinigen sein.

Um ein Zusammenhaften des Mahlguts zu verhindern und die Zerkleinerung zu fördern, können
dem Mahl gut Mahl hilfsstoffe (Mahlhi lfsmittel) zugegeben werden:
. Abrasive Mahlhilfsstoffe fördern die Mahlung mechanisch (2. B. Ouarzsand 0,1 mm bis 2 mm,
Korund 300 pm bis 500 pm). Die zugegebene Menge liegt zwischen 2% l>is 1O %.
. Ghemische Mahlhilfsstoffe, wie Ethylenglykol oder Stearinsäure, benetzen die Oberfläche des
Mahlguts und verhindern dadurch ein Verklumpen.
lm Anschluss an die Homogenisierung der festen Laborprobe erfolgt die Aliquotierung, die Auf-
teilung in volumengleiche, repräsentative Einzelproben. Durch das Verwerfen jeder zweiten Teil-
probe wird die Menge reduziert. Anschließend wird die verjüngte Probe durch eine oder mehrere
Aliquotierungen in volumengleiche Analysenproben sowie eine Rückstellprobe geteilt.

Bei der Aliquotierung muss jedem Korn des zu teilenden Gutes die gleiche Wahrscheinlich-
keit gegeben sein, Bestandteil einer der Teilproben zu werden.
Die Aliquotierung wird zur Probenverjüngung und zur Teilung der Laborprobe in repräsen-
tative Analysenproben und eine Rückstellprobe eingesetzt.

Folgende Probenteiler werden im Labor zur Aliquotierung verwendet:


. Riffelteiler (Bild 1): Die Probe wird gleichmä-
ßig auf einem System von Spalten aufge- Probe
bracht. Der jede zweite Spalte durchrieseln- Teilmenge B
de Teil wird in einem Gefäß gesammelt, die
Probe wird somit auf zwei Gefäße aufgeteilt.
Die Probenverjüngung erfolgt, indem die
Probenmenge eines der beiden Gefäße ver- Gefäß B
worfen wird. Alternativ kann eine Proben-
teilung erfolgen. indem die Teilprobe jedes
Gefäßes erneut geteilt wird.
Gefäß A
Der Teilungsfehler beträ91 1,5% bis 2,0%. A
Riffelteiler werden für Probenmengen bis zu
10 kg angeboten. Bild 1: Prinzip des Riffelteilers

. Rotationsteiler (Bild 2): Das Probenmaterial


Vibrations- Probe
rieselt durch einen Trichter auf eine vibrie- fl
rende Rinne, durch die es gleichmäßig auf Ein lauf- Proben-
eine schnell rotierende runde Scheibe mit zylinder tr¡chter
acht ringförmig angeordneten Löchern fällt.
Jedes Loch der Scheibe ist mit einem Proben- rotierende F
gefäß verbunden. Somit werden mit einer Scheibe l.l
Teilung acht Teilproben hergestellt. Durch v
das Verwerfen der Teilmenge jedes zweite
Proben-
Gefäßes erfolgt die Probenverjüngung. gefäß
Der Teilungsfehler beträg| 0,5%. Der Teiler
ist für Probenmengen zwischen 109 und
1000 g geeignet. Bild 2: Prinzip des Rotationsteilers
76
2.6 Probenvorbereitung

2.6.2 Lösen der festen Analysenprobe


Feste Analysenproben werden in eine gelöste Form überführt, damit im nächsten Schritt der
Analyt angereichert, von die Untersuchung störenden Substanzen abgetrennt und in ein für die
Analysenmethode geeignetes Lösemittel überführt werden kann. Von der analytischen Frage-
stellung hängt es ab, ob die Analysenprobe vollständig gelöst wird oder ob nur Bestandteile in
Lösung gebracht werden.

Für die Bestimmung der meisten anorganischen Parameter fester Proben ist die Vorbehandlung
mittels eines Aufschlusses erforderlich. Bei einem Aufschluss werden schwerlösliche Stoffe mit-
hilfe eines Aufschlussmittels in wasser- oder säurelösliche Stoffe überführt.

Organische Parameter werden nach der Extraktion des Analyten aus der fein gemahlenen Probe
mit einem auf den Analyten abgestimmten Lösemittel untersucht. Bei einer Extraktion werden
ein oder mehrere Stoffe mithilfe eines Extraktionsmittels aus einem Stoffgemisch herausgelöst.
Zur Beurteilung, ob feste Umweltproben, z. B. Bodenproben oder Abfälle, Substanzen ins Grund-
wasser abgeben, wurden spezielle Elutionsverfahren entwickelt. Bei einer Elution erfolgt die
Trennung von Stoffen aufgrund ihrer Löslichkeit in dem Elutionsmittel Wasser.

Aufschluss
Bei einem Aufschluss findet eine chemische Reaktion zwischen dem schwerlöslichen Ausgangs-
stoff und dem Aufschlussmittel zu einem wasser- oder säurelöslichen Stoff statt.
Folgende Aufschlusstechniken werden bei der Probenvorbereitung eingesetzt:
. Beim nasschemischen Aufschluss werden oxidierende Säuren (2. B. HNOr, H2SO4), nicht oxi-
dierende Säuren (HCl, HF) oder Basen (NaOH) in wässriger Lösung als Aufschlussmittel ein-
gesetzt. Ein Nassaufschluss kann in einem offenen System unter Luftdruck oder in einem ge-
schlossenen System unter Hochdruck sowie unter Erhitzen, z. B. durch Mikrowellen, erfolgen.
. Beim Schmelzaufschluss erfolgt die Umsetzung der Analysenprobe mit einem festen Auf-
schlussmittel in der Schmelze. Die bei der Reaktion entstehenden Stoffe sind säurelöslich.
Für die Vorbereitung von Boden- oder Abfallproben zur Bestimmung von Metallen ist ein Kö-
nigswasseraufschluss vorgesehen. Nach dem klassischen Nassaufschluss-Verfahren wird das
Gemisch von fein gemahlener Probe (Korngröße< 150 ¡rm) und Königswasser (1 Teil konzen-
trierte Salpetersäure HNOs,3 Teile konzentrierte Salzsäure HCI) für 1,5 Stunden unter Rückfluss ge-
kocht. Nachteilig sind die lange Aufschlussdauer, weil die Temperatur durch die Siedetemperatur
des Aufschlussmittels begrenzt ist, sowie der Verlust flüchtiger Analyte, wie Ouecksilber oder Blei-
salze, durch das Erhitzen im offenen System. Deshalb werden heute vorwiegend Druckaufschluss-
verfahren eingesetzt, die mit einer höheren Temperatur und einem erhöhten Druck arbeiten.
Zu den modernen Druckaufschlussverfahren zählt der Mikrowellenaufschluss. Die feste Probe
und das flüssige Aufschlussmittel, meist HNO3/H2O2, werden in einem für Mikrowellen durch-
lässigen Reaktionsgefäß fest verschlossen. Das Material des Gefäßes ist gegenüber aggressiven
Reagenzien besonders inert. Das Reaktionsgefäß wird in einem druckstabilen Edelstahl-Mikro-
wellenofen auf 200'C bis 250 "C erhitzt. Nach dem Auskühlen wird unter dem Abzug der im
Reaktionsgefäß aufgebaute Druck vorsichtig über ein Ventil abgelassen. Der Vorteil des Verfah-
rens besteht in der hohen Ellizienz und kurzen Aufschlusszeit von 20 bis 90 Minuten, da die Mikro-
wellen das Reaktionsgemisch direkt ,,im lnnern" aufheizen.
Ein anderes Druckaufschlussverfahren erfolgt in der Tölg-Bombe. Sie besteht aus einem druck-
festen Edelstahlmantel, in den ein Behälter eingesetzt ist, der das Gemisch aus fester Probe und
flüssigem Aufschlussmittel aufnimmt. Nach dem Verschließen wird die lölg-Bombe in einem
Heizblock auf bis zu 260 "C erhitzt. Der Druck im Reaktionsgefäß steigt bis auf 200 bar. Da im Ge-
gensatz zum Mikrowellenaufschluss nicht direkt ,,im lnneren" der Aufschlussmischung geheizt
wird, dauert der Aufschluss mit diesem Verfahren etwa 2 bis 5 Stunden.
77
2 Probenahme, Probenbehandlun und Probenvorbereitun

Aufgrund der modernen Druckaufschluss-


verfahren wird der Schmelzaufschluss heute
in der Routineanalytik nur noch in Ausnahme- Bezeichnung Tlpge!.
Substanz
fällen angewendet. Dazu wird die fein gemah- Aufschlussniittel .material
lene Probe mit einem festen Aufschlussmittel Siliziumdioxid
vermischt und in einem 1ìegel aufgeschmol- (Si02), Silikate Soda-Pottasche-
zen. Nach dem Abkühlen wird das Reaktions- (sio44-), Gläser, Aufschluss
Plat¡n,
gemisch in verdünnter Salzsäure gelöst. Nickel
Sulfate (2. B. NarCOr/KrCO.

E Tabelle I zeigt eine Auswahl klassischer


Schmelzaufschlüsse. ln der Schmelze finden
folgende Reaktionen statt:
BaSOo. SrSOa)

Oxide (2. B. FerO.,


FeCr'tOo, CrtOt,
Saurer Auf-
schluss K2S2O7
Platin
ï02)
Silikat: CaAlrSirOr + 3 Na2CO3 -+ 2 NarSiOr +
Oxidations-
CaCO. + 2 NaAlO2 +2COrI Sulfide (2. B. CuS.
schmelze KrCO3/
Nickel,
CuFeSr, Sb2S3) Porzellan
Sulfat: SrSOa + NarCO. --+ SrCO3 + NarSOo NaNO,
Oxid: FerO.+3 K2S2O7 -+ Fe2(SOa)3 + 3 KrSOa Sulfide (2. B. CuS. Natriumperoxid-
Eisen
CuFeS2, Sb2S3) Aufschluss NarO,
Sulfid: CuS + 4 NarO, --+ CuSOa + 4 Na2O

Extraktion
Die Untersuchung fester Umweltproben auf organische Stoffe
erfolgt in der Regel nach einer Extraktion der zu bestimmenden Intensiv-
Komponenten mit einem geeigneten Lösemittel. Den Vorschrif- kühler
ten zu den jeweiligen Untersuchungsmethoden sind lnformati- über-
laufendes
onen zur Beschaffenheit der Probe (feldfrische, luftgetrocknete Extra ktions-
oder gefriergetrocknete Probe) sowie zum Lösemittel bzw. mittel mit Extraktor
Lösemittelgemisch zu entnehmen. Analyt Dampf-
ableitungs-
Die Extraktion fester Proben wird mit einer Extraktionsap- rohr
paratur nach Soxhlef durchgeführt (s. Bild 1 sowie Band 1, Analyt
Kap. 2.5.1, S. 65). Eine abgewogene Menge der fein gemahle-
nen, getrockneten Probe wird in die Extraktionshülse aus Zellu- festes
lose gefüllt. Der Dampf des im Rundkolben zum Sieden erhitz- Extraktions-
gut
ten Lösemittels steigt auf und kondensiert am lntensivkühler,
Das Lösemittel tropft auf die Probe und extrahiert die löslichen Extrâtions-
Komponenten. Das Heberrohr füllt sich immer mehr mit Löse- mitteldampf
mittel, bis dieses komplett in den Rundkolben zurückfließt. Weil
nur das Lösemittel verdampft, kommt die Probe ausschließlich
mit frischem Lösemittel in Kontakt. Die Analyten reichern sich ittel
in der Lösung im Rundkolben an. Die sehr effiziente Soxhlet- Bild 1 : Soxålef-Extraktions-
Extraktion dauert zumeist mehrere Stunden. Apparatur

Elution
Für die Beurteilung der von einer Ablagerung ausgehenden Gefahren für das Grund- und Ober-
flächenwasser insbesondere durch Schwermetalle wurden verschiedene Elutionsverfahren ent-
wickelt. Bei der Elution wird die feste, nicht gemahlene Probe 24 Stunden lang mit destilliertem
Wasser bei 15 "C bis 25 "C unter Schütteln oder Rühren ausgelaugt. Das Volumenverhältnis von
Feststoff und Flüssigkeit ist den jeweiligen Verfahrensvorschriften zu entnehmen. lm Anschluss
an die Elution erfolgt die Trennung von Feststoff und Flüssigkeit durch Absetzen, Zentrifugieren
oder Membranfiltration.
Bei der Beurteilung der durch die Untersuchung eines Eluats erzielten Ergebnisse muss berück-
sichtigt werden, dass die Sickerwasserkonzentration von zahlreichen Standortparametern ab-
hängt, wie z, B, von der Bodenart, der Korngrößenverteilung, dem pH-Wert und der mikrobio-
logischen Aktivität. Trotzdem stellen die Eluat-Analysen eine wichtige lnformationsquelle dar.
78
2.6 Probenvorbereitung

2.6.3 Abtrennen von Analyt und Störsubstanzen


Die Extraktion ist das wesentliche Verfahrung zur Trennung der Bestandteile einer flüssigen
bzw, gelösten Analysenprobe (s. Band 1. Kapitel2,5, S.64ff.). Für jedes Extraktionsgut, d. h, für
die Analyten ebenso wie für die Begleitsubstanzen in der Analysenprobe, muss ein geeignetes
Extraktionsmittel gefunden werden, das den abzutrennenden Stoff selektiv und so vollständig
wie möglich aus der Analysenprobe löst. Das Extraktionsmittel darf mit keinem Bestandteil der
Analysenprobe reagieren und muss leicht abtrennbar sein.

Die häufigste Extraktion, die auch für größere Probenmengen geeignet ist, ist die Flüssig-Flüssig-
Extraktion (engl. liquid liquid extraction, LLE). Die in wässriger Lösung vorliegende Analysen-
probe wird mit einem nicht mischbaren organischen Lösemittel extrahiert. Als Extraktionsgerät
kann ein Scheidetrichter eingesetzt werden, mit dem mit kleinen Volumina des Extraktionsmittels
mehrfach nacheinander ausgeschüttelt wird. Weniger arbeitsintensiv und effizienter ist der Ein-
satz von kontinuierlich arbeitenden Flüssigextraktionsgeräten, den Perforatoren.

Bild 1 zeigt den Aufbau sowie das Funktionsprinzip des Perfo-


ntensivkü ler
rators nach Kutscher-Steudel. Das Extraktionsgut wird im Ex- I h

traktionsgefäß mit so viel Extraktionsmittel überschichtet, dass


dieses nicht in das Steigrohr überläuft. Das Extraktionsmittel
Extrâkt¡ons-
in dem am Steigrohr angeschlossenen Kolben wird erhitzt. Der mitteldampf
Dampf des Extraktionsmittels steigt durch das Steigrohr in den Tr¡chter
lntensivkühler, wo er kondensiert. Das Kondensat wird in ei-
nem Trichter gesammelt und fließt durch ein Rohr zum Boden fl üssiges Extrak-
des Extraktionsgefäßes. Von dort aus perlt es durch eine grobe Extra ktions- ti
mittel mit
Glasfritte durch das Extraktionsgut. Je kleiner die aufsteigen- Steig-
den Perlen des ExtraktionsmÌttels sind, umso größer ist die rohr
Phasenoberfläche und umso effizienter ist die Extraktion. ln
dem Extraktionsmittel über dem Extraktionsgut reichern sich Kolben Extra
die Analyten an. Der obere Teil der Extraktionslösung fließt Extrak- mittel
über das Steigrohr in den Kolben. Dort verdampft das Extrakti- tions- Extrakti
onsmittel, die Analyten reichern sich im Kolben an. mittel
Ana

Nach der Extraktion wird das Extraktionsgut durch einen sich


Heizpilz gro Hahn
unten am Extraktionsgefäß befindenden Hahn von der über- Glasfritte
stehenden Extraktionslösung getrennt, Die Extraktionslösung
aus dem Extraktionsgefäß und aus dem Kolben wird zusammen- Bild 1: Perforator nach Kutscher-
geführt und durch eine Destillation in das Extrakt (heraus- Steudel
gelöste Stoffe) und das Extraktionsmittel getrennt.

Eine kontinuierliche Flüssig-Flüssig-Extrak- Ana lyt Wasch-


tion ist nur geeignet, wenn der Analyt bis ng
zur Siedetemperatur des Extraktionsmittels
thermisch stabil ist, Schonender, jedoch nur Analysen-
für geringe Probemengen geeignet, ist die su bsta nz probe Extrak-
Festphasenextraktion (engl. so/id phase ext- tions-
raction, SPE). Dabei fließt die Analysenprobe Analyt mittel
langsam durch eine Kunststoff- oder Glaskar-
tusche, die zwischen zwei Fritten ein festes Ad- tions-
sorptionsmittel enthält, z. B. Kieselgel (Bild 2). mittel
Nach der Adsorption der Analyten wird das
Adsorptionsmittel durch Nachspülen mit des-
tilliertem Wasser oder einem Lösemittel von
Analysenprobe Waschlösung Extraktionsmittel
locker anhaftenden Bestandteilen der Probe mit Störsubstanz mit Störsubstanz mit Analyten
befreit. Dann erfolgt die Elution der Analyten
mit einem geeigneten Extraktionsmittel. Bild 2: Prinzip der Festphasenextraktion

79
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitung

2.6.4 Einstellen einer geeigneten Analytkonzentration


Nach dem Abtrennen von Störsubstanzen werden die Analyten in ein für die geplante Analysen-
methode geeignetes Lösemittel überführt. Durch Aufkonzentrieren oder Verdünnen wird eine
Analytkonzentratlon eingestellt, die innerhalb der Bestimmungsgrenzen der Messmethode liegt.
Oft wird das ursprüngliche Lösemittel durch Destillation entfernt, Die Analyten werden im ge-
wünschten Konzentrationsbereich in einem geeígneten Lösemittel aufgenommen.

Das Abdampfen des Lösemittels kann in einer


Llebig-Kühler
Destillationsanlage unter vermindertem Druck Thermo-
meter Vakuum-
erfolgen, um die thermische Belastung des KühI-
vorstoß
wasser
Analyten zu verringern (B¡ld 1). Claisen-

Für das Abdestillieren großer Lösemittelmen-


Rund-
gen wird ein Rotationsverdampfer verwendet, kolben bereich
der im Vergleich zu einer herkömmlichen De- Auf-
stillationsanlage eine 4-fache Verdampfungs- Ver-
fang-
dampfungs-
leistu ng aufweist. E i n Rotationsverda m pfer be- KühI- bereich
bereich wasser
steht ebenso wie eine Destillationsanlage aus Heiz- Magnet-
einem Verdampfungsbereich, einem Trennbe- pilz
rührer Auffang kolben (Vorlage)
reich, einem Kondensationsbereich und einem
Auffangbereich (Bild 2). Über den Hahn am Bild 1: Aufbau einer Destillationsanlage
Ende der Kühleinheit kann mithilfe einer Pum-
pe ein verminderter Druck angelegt werden.
hn
Vakuum-
Der Verdampferkolben mit der Analytlösung ansch luss
wird durch einen Motor in eine gleichmäßige
Rotation versetzt und mit einem mit Wasser lo
gefüllten Heizbad erwärmt. Dabei bildet sich
auf der heißen Oberfläche des Verdampfer- Kondensator Þu^
kolbens ein dünner Film der Analytlösung.
Durch die Vergrößerung der Oberfläche wird Dampfdu
h ru ngsrohr

das Verdampfen des Lösemittels beschleunigt.
Außerdem wird durch die Rotation die Analyt-
lösung gleichmäßig durchmischt. Die Flüssig- Auffang kondensat
keit verweilt nur eine kurze ZeiT lang an einer bereich
bestimmten Stelle der Kolbenwand. Dadurch kolben
werden eine Überhitzung der Lösung sowie
Siedeverzüge verh i ndert. Der Lösem ittel dam pf Verdampfe
Analyt
kolben dü nner Heizbad
strömt durch das Dampfdurchführungsrohr in Film
den Kondensator des Rotationsverdampfers,
kondensiert und fließt in den Auffangkolben. Bild 2: Rotationsverdampfer
Eine gute Destillierleistung wird erreicht, wenn der Rotationsverdampfer nach der Faustregel
,,20'C 140"C / 60'C" betrieben wird. Das Kühlwasser hat in der Regel eine Temperatur von
20 'C. Damit die Kühlleistung ausreicht, sollte die Temperatur des Lösemitteldampfes 40 "C nicht
übersteigen. Das bedeutet, der Druck muss entsprechend eingestellt und im Verlauf der Destilla-
tion geregelt werden. Als Temperatur des Wasserbades kann 60 "C eingestellt werden, bei dieser
Temperatur ist die Verdunstungsrate des Wassers im Heizbad noch gering.

Das Lösemittel der Analytlösung sollte mit dem Rotationsverdampfer nicht vollständig entfernt
werden, weil beim Verdampfen einer zu konzentrierten Lösung Teile der Analyten mitgerissen
werden können. Die Destillation kann mit einer kleinen Destillationsanlage vorsichtig fortgesetzt
werden. Alternativ kann das Verdunsten von Resten des Lösemittels bei Raumtemperatur durch
Zuführen eines kontinuierlichen Stickstoffstroms beschleunigt werden. Zum Einengen wird die
Analytlösung in einen kleinen Spitzkolben überführt. Dann wird durch einen dünnen Schlauch
oder mittels einer Pasteurpipette Stickstoff über die Oberfläche der Lösung geleitet.
80
2.7 Externe Kalibrierung und Messung

2.1 Externe Kalibrierung und Messung


Bei den Absolut-Methoden wird eine physikalische Größe bestimmt, z. B. die Masse (Gravime-
trie) oder das Volumen (Volumentrie). Bei diesen Messverfahren ist keine Kalibrierung erforderlich.
Bei den Relativ-Methoden wird hingegen eine Größe gemessen, die von der Konzentration des
Analyten abhängt. Der Zusammenhang zwischen dem Wert der Messgröße und der Konzentra-
tion des Analyten wird durch eine externe (probenunabhängige) Kalibrierung bestimmt.
Bei den meisten im Labor verwendeten Messverfahren besteht innerhalb eines begrenzten Kon-
zentrationsbereichs ein linearer Zusammenhang zwischen den ermittelten Messwerten und der
Konzentration des Analyten. Dieser Zusammenhang, die Kali-
bierfunktion, wird bei der externen Kalibrierung durch die Mes-
sung externer Standardlösungen bestimmt. Dabei handelt es t
sich um 5 bis 10 Kalibierlösungen, deren Analytkonzentratio- Ë
o
nen bekannt sind und gleichweit auseinander liegen (äquidi- 3
Ø Mess-
stant). Auf der Grundlage der Messwerte wird eine Kalibrier- o wert
der 1o-fach
kurve erstellt (B¡ld 1). Probe wieder-
holte

Nur wenn die Messwerte der Standardlösung mit der ge- Leer-
we rt
ringsten und der höchsten Konzentration bei jeweils 10-facher
der
Messung wenig voneinander abweichen (99 % statistische Konzentration des Analyten +
Sicherheit), darf innerhalb dieses Konzentrationsbereichs eine
Kalibiergerade gezeichnet werden. Bild 1: Kalibrierkurve

lst die Abweichung der Messwerte am unteren


oder am oberen Ende der Kalibierkurve zu groß, x 3x mL
liegen die Standardlösungen mit der gering-
sten und der höchsten Konzentration außer- Ana
halb des Proportionalitätsbereichs. Der Kon-
zentrationsbereich der Kalibrierung muss ver-
ringert werden, bis ein Bereich gefunden wird, a) mit Lösemittel auffüllen
in dem die Proportionalität zwischen Messwert Maßlösung xmL xml xml xml
und Analytkonzentration gesichert vorliegt. Die bekannter Analyt-
konzentratio
Konzentration der Analysenprobe sollte in der
Mitte dieses Proportionalitätsbereichs liegen,
denn hier besteht die größte Präzision.
Die Steigung der Kalibriergeraden charakteri- b) mit ittel a
siert die Empfindlichkeit des Messverfahrens.
Je größer die Steigung ist, desto empfindlicher Bild 2: a) Arithmetische und bl geometrische
ist das Messverfahren. Verdünnung

Bei den meisten Messverfahren erzielt auch eine Leerprobe, d. h. eine Lösung, die keinen Ana-
lyt enthält, einen von 0 abweichenden Messwert. Dieser Leerwert entspricht dem Ordinaten-
abschnitt der Kalibiergeraden (B¡ld 1).

Zur Vermeidung von Fehlern werden externe Standardlösungen durch eine arithmetische Ver-
dünnung hergestellt. Aus einer Maßlösung mit bekannter Analytkonzentration werden genau
abgemessene Volumina in Messkolben abgefüllt und mit Lösemittel aufgefüllt (Bild 2a). Bei einer
geometrischen Verdünnung, bei der die Analytmenge der vorangegangenen Verdünnungsstufe
entnommen wird, könnte eine Fehlerfortpflanzung aufgrund von Ungenauigkeiten bei der Volu-
menmessung auftreten (Bild 2b). Sie wird deshalb nicht empfohlen'
Systematische Fehler durch den Einfluss von nicht vor der Messung abgetrennten Bestandteilen
der Analysenprobe können durch eine Matrixanpassung berücksichtigt werden. Hierbei werden
sowohl den externen Standardlösungen als auch der Leerprobe Probenbestandteile (Matrix) in
der in der Probe vorliegenden Konzentration zugesetzt. Die Matrixanpassung ist oft schwierig,
weil die Zusammensetzung der Probe nicht genau bekannt ist.
81
2 Probenahme, Probenbehandlung und Probenvorbereitu ng

2.8 Auswertung, Dokumentat¡on und Oualitätssicherung


Unter dem Begriff Analytische Oualitätssicherung sind alle Maßnahmen zusammengefasst, die
Aussagen über die Oualität einer vollständigen Analyse ermöglichen. Die Dokumentat¡on ist eine
wichtige Maßnahme der Oualitätssicherung. Sie umfasst alle Maßnahmen der Probenahme und
Probenbehandlung, der Messungen vor Ort, der Probenvorbereitung, der Kalibrierung und der
Messung der Probe. Alle Ergebnisse und jedes Detail, das die Messergebnisse beeinflussen könn-
te, müssen sorgsam dokumentiert und bei der Auswertung der Analyse berücksichtigt werden.
Zur Sicherung der Oualität der vollständigen Analyse kann in der Umgebung des Probenahme-
orts eine Blindprobe entnommen werden, die genauso behandelt wird wie die Probe. Wenn die
Analyten in der Probe, jedoch nicht in der Blindprobe nachgewiesen werden, können sie nicht
auf Verschmutzungen, z. B. durch Probenahmegeräte oder Probengefäße, zurückgeführt werden,
sondern müssen ursprünglich Bestandteile der Probe gewesen sein.
Weil es insbesondere bei der Probenvorbereitungen zu systematischen Fehlern kommen kann,
wird eine interne Kalibrierung empfohlen. Dabei wird der Laborprobe ein interner Standard in
bekannter Konzentration zugesetzt. Diese Substanz ist den Analyten ähnlich und darf ursprüng-
lich nicht in der Probe enthalten sein. Der interne Standard durchläuft ebenso wie die Analy-
ten alle Probenvorbereitungsschritte und ist somit den gleichen Fehlerquellen ausgesetzt. Wird
bei der Messung kein Verlust an internem Standard festgestellt, ist anzunehmen, dass auch die
Analyten verl ustfrei vorliegen.

Aufgaben:
L Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Einzelprobe b| Mischprobe cl Sammelprobe
d) Laborprobe e| Analysenprobe f) Oualifizierte Stichprobe
g) Ouerschnittsprobe h) Zielpunktprobe il Muttitayer-probe
2. Der Gehalt an leichtlöslichem, pflanzenverfügbarem Stickstoff N,n¡n des Bodens eines
Ackers soll bestimmt werden.
Erläutern Sie den Begriff ,,Grundgesamtheit" und übertragen Sie ihn auf dieses Beispiel.
3. Das durch ein Rohr einem Fließgewässer zulaufende Wasser soll untersucht werden. Der
Durchfluss des Rohres unterliegt starken Schwankungen. Bei einem geringen Volumen-
strom ist eine starke Verfärbung des Wassers erkennbar,
al Erläutern Sie die Verfahren der diskontinuierlichen Probenahme sowie ihre Anwen-
dung in Abhängigkeit vom Volumenstrom anhand je einer Skizze.
b) Bewerten Sie die Eignung dieser Verfahren für die Gewinnung einer repräsentativen
Probe in dem geschilderten Fall.
4. Mehrere Diffusionssammler sollen zur Untersuchung der Luftqualität an einer stark be-
fahrenen Straße platziert werden,
al Erläutern Sie die Funktionsweise eines Diffusionssammlers.
bl Erklären Sie im Zusammenhang mit dem Praxisbeispiel die Begriffe ,,Emission",
,,Transmission" und ,,lmmission". Wo sollten die Diffusionssammler platziert werden?
5. Erläutern Sie, weshalb eine besonders feine Zerkleinerung bei der Probenvorbereitung
einer festen, heterogenen Probe wichtig ist.
6. Worin bestehen die Vorteile des Mikrowellenaufschlusses im Vergleich zu einem nass-
chemischen Aufschluss und anderen Druckaufschlussverfahren?
7. Erläutern Sie den Unterschied zwischen einer externen und einer internen Kalibrierung.
I' Bewerten Sie die Folgen von Fehlern bei der Probenahme und -behandlung, der proben-
vorbereitung und der externen Kalibrierung auf das Ergebnis der Analyse.

82
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen

3 Reaktionen or anischer Prä arate


Es gibt elf Millionen bekannte organische Verbindungen. Sie lassen sich in verschiedene Stoff-
klassen einteilen. lhre Reaktionen verlaufen nach wenigen Gruppen von Mechanismen, wie
Additions-, Substitutions-, Eliminierungs-, Umlagerungs- und Redox-Reaktionen.

3.1 Additionsreakt¡onen an C-C-Mehrfachbindungen


ln Alkenen sind die funktionellen Gruppen C-C-Doppelbindungen, während es in Alkinen C-C-
Dreifachbindungen sind. Bei abwechselnden C-C-E|nfach- und Doppelbindungen besteht die
Möglichkeit der Delokalisierung von Bindungselektronen. Diese Gegebenheiten der Strukturen
haben entscheidende Auswirkungen auf die Reaktionen dieser Verbindungen. Die häufigste
Reaktionsart bei C-C-Meh rfach bindungen ist die Additionsreaktion.

3.1.1 Struktur der Alkene


Jedes doppelt gebundene Kohlenstoffatom in
einem Alken ist sp'-hybridisiert. Von jedem
sp'-hybridisierten C-Atom gehen drei energie- n-Bindung
gleiche sp'-Hybrid-Orbitale aus. Sie liegen
in einer Ebene und im Winkel von 120o zu-
einander. Senkrecht zu dieser Ebene befindet
sich an jedem sp'-hybridisierten C-Atom ein
nicht hybridisiertes p-Orbital. Während je_ ein
sp'-Hybrid-Orbital jedes C-Atoms durch Uber-
lappung eine o-Bindung bildet (blau in B¡ld 1),
überlappen die beiden p-Orbitale zu einer (rot
gezeichneten) n-Bindung.

Aus diesen Bindungsverhältnissen folgt, dass Ethen o-Bindung


die beiden doppelt gebundenen C-Atome und
alle vier an diese C-Atome durch ø-Bindungen
gebundenen Atome in einer Ebene liegen. Bild 1: C-C-Doppelbindung
Die n-Bindung bildet eine Elektronenwolke,
die sich ober- und unterhalb dieser Ebene er-
streckt. Die ¡-Bindung verhindert eine Rota-
tion um die Längsachse der ø-Bindung. Die cl -
\// ,cl t's ,/H
C:C
Aufhebung der freien Drehbarkeit zwischen
den C-Atomen der C-C-Doppelbindung ist
/\C:C
HH H/ \a,
die Ursache der cis-trans-lsomerie. Cis-trans' frans-1,2-Dichlorethen
cis-1,2-Dichlorethen
lsomere unterscheiden sich besonders in ih- r9¡ = 60,3'C Ûø=47'5"C
ren physikalischen Eigenschaften. Bild 2 zeigt tL =2,95D p =0D
dies am Beispiel des 1,2-Dichlorethen. lm
1,2-Dichlorethen-Molekül sind zwei polare C-
Cl-Bindungen, Daraus resultieren je ein posi- Bild 2: 1,2-Dichlorethen
tiver und ein negativer Ladungsschwerpunkt.
Das trans-| ,2-Dichlorethen besitzt aufgrund des Zusammenfallens der positiven und negativen
Ladungsschwerpunkte kein Dipolmoment. Anders ausgedrückt: Die orange eingezeichneten
Dipolmoment-Vektoren heben sich gegenseitig auf (vgl' Band 1, S. 195).
Das cis-1,2-Dichlorethen-Molekül besitzt ein Dipolmoment, weil es polar ist. Seine Ladungs-
schwerpunkte sind getrennt und ihre Dipolmoment-Vektoren addieren sich. Die Polarität der crs-
Verbindung führt zu einer höheren Siedetemperatur als beim frans-Produkt.
Bei Alkenen mit nur zwei verschiedenen Substituenten sind die Bezeichnungen cis und trans an-
wendbar. 2-Chlor-1-iodbut-1-en mit vier verschiedenen Substituenten ist mit dieser Nomenklatur
nicht mehr eindeutig zu benennen.
83
3 Reaktionen organischer Präparate

Einen Ausweg bietet die E/Z-Nomenklatur.


Bild 1 zeigt die E|Z-lsomere des 2-Chlor-1-iod-
but-1-ens. Die vier Substituenten werden ent- H
,'Ð t\ ,Ð
sprechend ihrer Priorität geordnet. Die Priorität
ist durch die Ordnungszahl der gebundenen
Atome festgelegt. ln Bild I sind ein Iod-Atom
und ein Wasserstoffatom direkt an eines der
,l c c
tarr- CH. H
c
tarr- CH.
(E)'lsomer (Z)'lsomer
sp'-hybridisierten C-Atome gebunden. Iod hat
aufgrund seiner höheren Ordnungszahl die
höhere Priorität gegenüber Wasserstoff. Am Bildl: E/Z-lsomeriebei 2-Chtor-1-iodbut-1-en
zweiten C-Atom der Doppelbindung sind ein
Chlor-Atom und ein Kohlenstoffatom direkt gebunden. Hier besitzt das Chlor-Atom die höhere
Priorität. Sind die beiden Atome mit der jeweils höheren Priorität auf einer Seite der Doppelbin-
dung, handelt es sich um das (Z)-lsomer (,,zusammen"). Liegen sie gegenübeç dann spricht man
vom (E)-lsomeren (,,entgegengesetzt" ).

3.1.2 Reaktionen der Alkene


Exemplarisch für die Addition von Halogenwasserstoff an eine C-C-Doppelbindung ist die Addi-
tion von Bromwasserstoff HBr an But-2-en. Die ¡-Elektronenwolke der C-C-Doppelbindung zieht
positive oder positiv polarisierte Molekülteile an. Diese Teilchen mit Elektronenmangel werden
Elektrophile genannt. Dazu zählen auch die Lewis-Säuren.
Der erste Schritt der Addition von HBr an die C-C-Doppelbindung besteht in einer Annähe-
rung des HBr-Moleküls mit dem positiv polarisierten H-Atom in Richtung der negativen ø-Elek-
tronenwolke (B¡ld 2). Da das Elektrophil an der Doppelbindung angreift, spricht man von einer
elektrophilen Addition, abgekürzt As. Es entsteht zuerst durch Zufuhr entsprechender Aktivie-
rungsenthalpie ein Übergangszustani, der aus der Wechselwirkung der ¡-Eiektronenwolke der
C-C-Doppelbindung mit dem HBr-Molekül resultiert. Die Bindung im HBr-Molekül bricht auf,
wobei das elektronegativere Brom-Atom das gemeinsame Bindungselektronenpaar komplett
übernimmt und zum Brom-lon Br- wird.

Die ¡-Elektronen bilden nun eine o-Bindung zwischen dem zweiten Kohlenstoffatom der Doppel-
bindung und dem Wasserstoffatom aus dem HBr-Molekü|. Bei dieser Reaktionszwischenstufe
ist das andere C-Atom der Doppelbindung positiv geladen. Diese Zwischenstufe, die auch expe-
rimentell nachweisbar ist, stellt ein Carbokation dar. lm nächsten Schritt bildet ein freies Elektro-
nenpaar des negativ geladenen Brom-lons über einen weiteren Übergangszustand eine Bindung
mit dem positiv geladenen Kohlenstoffatom des Carbokations.

ô- +
CH3CH:CHCH3 + HBr CH.CH:CHCH. CH3CHCH2CH. + Br-
H
Carbokat¡on als Zwischenstufe
ôBr

Übergangszustand I

+ ò
CH3CHCH2CH3 + Br- cH3cHcH2cH3 cH3cHcHrCH3
dBr Br

übergangszustand II

Bild 2: Reaktionsmechanismus der elektrophilen Addition von HBr an But-2-en


84
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindunqen

ln verschiedenen Literaturquellen erscheint für das Carbokation auch der Begriff Carbenium-lon.
Carbenium-lonen (mit dreifach koordiniertem Kohlenstoff, z. B. CHr*) und Carbonium-lonen (mit
fünffach koordiniertem Kohlenstoff, z. B. CH5.) werden zusammengefasst als Carbokationen be-
zeichnet. Da Carbonium-lonen nur als extrem reaktionsfähige Teilchen in supersauren Medien
existieren, werden Carbenium-lonen im Folgenden nur noch als Carbokationen bezeichnet.
ln Bild 1 ist der energetische
Verlauf der elektrophilen Addi- übergangs-
tion zu verfolgen. Ausgehend ô* zustand I ð*
cH3cH cHrcH3
von But-2-en und Bromwas- cH3cH -
î " Br
serstoff wird nach der Zufuhr .9
g H
Übergangszustand II
von Aktivierungsenergie der !
o ðd,
Übergangszustand I erreicht. c
o
lm Ubergangszustand I wer-
ø
c
CH3CHCH2CH! (Carbo-
den die Bindungen zwischen 'F
kation) HsC.H-C-
H)

der C-C-Doppelbindung und E


G
o Br
I tt'
im HBr-Molekül gelockert, .9
o
Br
während zwischen dem Was- H

serstoffatom des HBr und dem 'fi"tt" -


zweiten C-Atom der Doppel- ^G.
HBr
bindung eine lockere Bindung
gebildet wird. Durch Energie- Reaktionsverlauf +
abgabe wird ein Enthalpiemi-
nimum erreicht, bei dem die Bild 1: Energieverlauf der elektrophilen Addition von HBr an But-2-en
instabile Reaktionszwischen-
II über, bei dem
stufe auftritt. Diese geht sofort durch Energiezugabe in den Übergangszustand
das Brom-lon bereits Wechselwirkungen zum positivierten C-Atom ausgebildet hat. Durch Frei-
werden von Energie bildet sich dann das Produkt 2-Brombutan.

Übergangszustände beschreiben teilweise gebildete oder sich auflösende Bindungen' ln


Zwischenprodukten oder Reaktionszwischenstufen liegen voll ausgebildete Bindungen vor'

Grundsätzlich ist der Reaktionsschritt geschwindigkeitsbestimmend für eine bestimmte Reakti-


on, deren Übergangszustand das Enthalpiemaximum im Reaktionsverlauf darstellt. Bei der elek-
trophile.n Addition von Bromwasserstoff an But-2-en bestimmt die Bildungsgeschwindigkeit des
ersten Übergangszustandes die Gesamtgeschwindigkeit der Reaktion. Diese Reaktion ist ein Bei-
spiel für eine exergonische Reaktion, da ArG < 0 ist. Sie läuft deshalb spontan ab.
Die Addition von HBr an But-
sekundäres Carbokation
2-en wird immer 2-Brombutan H
liefern. Bei der Addition von I,
Bromwasserstoff an But-1-en ,,c-.. -CHs
C.
+ Br-
sind aber zwei Produkte denk- H
bar: 1-Brombutan und 2-Brom-
_cc H3
+
Br
HsC
H2

butan. ln Bild 2 sind die beiden


H ,ct"c' H
H2 H2
möglichen Reaktionszwischen- b
stufen dargestellt (a und b). ll;çtctr'cHt * B'-
Hz
ln Bild 2a ist die positive La- primäres Carbokation
dung des Carbokations am
sekundären C-Atom lokalisiert. Bild 2: Reaktionszwischenstufen der Addition von HBr an But-1-en
Solche Zwischenstufen wer-
den sekundäre Carbokationen genannt. Bei diesem sekundären Carbokation ist das Proton des
Bromwasserstoffs am ersten C-Atom gebunden.
Greift das Proton des HBr am zweiten C-Atom des But-1-en an, entsteht ein primäres Carbokation
(B¡ld 2b), weil hier die positive Ladung am primären C-Atom zu finden ist'
85
3 Reaktionen organischer Präparate

Bei der Durchführung der Addition von HBr an But-1-en wird fast ausschließlich 2-Brombutan er-
halten. Da die Bildung des Carbokations der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist, muss die
Reaktion vor allem über das sekundäre Carbokation laufen, bei der 2-Brombutan entsteht. Das
sekundäre Carbokation bildet sich schneller und ist stabiler als das primäre Carbokation, so dass
das sekundäre Carbokation länger für eine weitere Reaktion zur Verfügung steht.

Neben den bereits erwähnten primären und sekundären Carbokationen können auch noch ter-
tiäre Carbokationen entstehen. Bei ihnen befindet sich die positive Ladung am tertiären C-Atom.
Ein tertiäres Carbokation ist
Carbokationen
stabiler als ein sekundäres.
Carbokationen sind keine sta-
R
,r'R
R-C*
,r'R
> R-C*\
./ H >H
H

bilen Stoffe, so dass man sie -Ç+ -H -Q+


isolíeren könnte. Trotzdem ist 'R H H
tertiäres sekundäres pf rmafes Methylkation
eine Abschätzung der relativen
Stabilitäten möglich (B¡ld 1). Bild 1: Abnehmende relative Stabilitåt von Garbokationen

Der Grund für diese verschiedenen Stabilitäten besteht in der Eigenschaft von Alkylgruppen, die
positive Ladungsdichte an dem Kohlenstoffatom zu verringern, an dem sie selbst gebunden sind.
Anders formuliert: Alkylsubstituenten liefern teilweise Elektronen zur Stabilisierung der positiven
Ladung am C-Atom, weil Alkylgruppen größer und leichter polarisierbar sind. Diese Tendenz zur
Ladungsverschiebung wird +I-Effekt genannt. Eine geringere positive Ladungsdichte erhöht die
Stabilität des Carbokations, weil ein geladenes Teilchen (positiv oder negativ) stabiler ist, wenn
seine Ladung über mehr als ein Atom delokalisiert (verteilt) werden kann.

Je größer die Zahl der Alkylsubstituenten, die am positiv geladenen C-Atom gebunden sind,
desto stabiler ist das Carbokation.
Die relative Stabilität von Carbokationen nimmt von tertiär über sekundär zu primär ab.

Das Hauptprodukt der elektrophilen Addition von Bromwasserstoff an 2-Methylbut-2-en ist


2-Brom-2-methylbutan (B¡ld 2). Daneben bildet sich nur etwas 2-Brom-3-methylbutan.
Die Reaktion läuft dabei über
das stabilere tertiäre Carboka- c H3
tion, welches zum Hauptpro- 1t' Br
dukt 2-Brom-2-methyl butan ,rc\a,rcHs + HBr H3

führt. Uber das weniger stabile


H:C
H
-) H
H2
sekundäre Carbokation ent- 2-Methylbut-2-en 2-Brom-2-methylbutan
steht etwas 2-Brom-3-methyl-
butan. Bild 2: Addition von Bromwasserstoff an 2-Methylbut-2-en

Eine Reaktion, bei der zwei (oder auch mehr) Konstitutionsisomere entstehen, von denen
eines überwiegt, wird regioselektive Reaktion genannt. Die Regioselektivität kann verschie-
dene Grade annehmen, je nachdem, wie vollständig ein Produkt entsteht.

Eine Addition von Halogenwasserstoff an ein Alken, bei der zwei verschiedene sekundäre Carbo-
kationen gebildet werden können, ist wenig regioselektiv, da von beiden Produkten etwa gleich
viel entsteht.
Bei der elektrophilen Addition an Alkene wird das Elektrophil (2. B. H*) an das Kohlenstoffatom
der C-C-Doppelbindung addiert, das die größere Anzahl an Wasserstoffatomen gebunden hat
Diese Erkenntnis wird nach ihrem Entdecker Wladimir Markownikow (russ. Chemiker, 1g37 bis
1904) Markownikow-Regel genannt.
86
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen

Außer beim Ethen wird das Halogenatom bei der elektrophilen Addition nicht endständig addiert.
Gibt man allerdings einen Radikalbildner in Form z. B. eines Peroxids zu, verläuft die radikalische
Addition A¡ folgendermaßen: Das Radikal R. bindet das H-Atom des Bromwasserstoffs, wobei
ein Bromradikal entsteht:
R.+H-Br+R-H+Br.
H,
H3c\.
-,c\-
CBr I sekundäres Radikal
H3C..'c' + lBr'
H-
--CH2 -Y--, H3ct.¡1rðHz
H
c primäres Radikal
I

lBrl

Bild 1: Radikalische Addition

Dieses hochreaktive Bromradikal addiert an die Doppelbindung und zwar so, dass das sekundäre
Radikal entsteht und nicht das instabilere primäre Radikal (B¡ld 1). Das sekundäre Radikal ent-
reißt dem Bromwasserstoff ein H-Atom und wird zum 1-Bromalkan.

Die elektrophile Addition von Wasser an Alkene läuft nicht spontan ab, weil die starken Bin-
dungskräfte zwischen Sauerstoff und Wasserstoff die Bildung eines Elektrophils verhindern. Gibt
man eine starke Säure in das Wasser, entsteht das Elektrophil H3O*. ln einem Lösemittel, z. B.
Dimethylsulfoxid, das sowohl das Alken als auch das Wasser in einer Phase vereint, überträgt
das Hydroniumion H.O* ein Proton H* auf das C-Atom der Doppelbindung mit der größeren
Anzahl Wasserstoffatome (Bild 2). Dieser erste und langsamste Reaktionsschritt ist geschwindig-
keitsbestim mend.

A- langsam schnell schnell


cH.cH4[], -oH CH3 + H2Ol ----
rl
CH3CHCH3 r- CHTCHCH3 + H3dl

Propen
I

H tiou
\1.--------=-
roH

H HrOl propan-2-ol

Bild 2: Reaktionsmechanismus der Addition von Wasser an Propen

Dann addiert Wasser als Nucleophil mit seinen freien Elektronenpaaren an das positive C-Atom
des Carbokations, wobei als Zwischenstufe ein proton¡erter Alkohol entsteht. Durch Abspaltung
des Protons an ein Wassermolekül entstehen ein Hydroniumion HrO* und ein Alkoholmolekül
(hier Propan-2-ol).

Die Hydroniumionen, die vor der Reaktion zugegeben wurden, liegen am Reaktionsende wieder
unverändert vor. Sie beschleunigen die Reaktion und wirken deshalb als Katalysator.

Die elektrophilen Additionen von Halogenwasserstoffen und Wasser verlaufen nach der
Regef von Markownikow, wonach sich der Wasserstoff immer am wasserstoffreicheren
C-Atom der C-C-Doppelbindung addiert.
Bei radikalischen Additionen wird das Halogenatom endständig gebunden. Man spricht dann
auch von ei ner Anti-Ma rkownikow-Reaktion.

87
3 Reaktionen organischer Prä pa rate

Ausnahmen von dieser Regel


gibt es trotzdem: Wird Brom- CH" CH.
"* CH.
wasserstoff an 3-Methylbut-1- I f\
CHgCH-CH:CH,+H-Br --+ CH3C
| +
I "
CH3Ç-CHrCH3
en addiert, ist das Hauptpro- /CHCH.
dukt 2-Brom-2-methylbutan 3-Methylbut-1-en H
1). Nach der Markowni-
(B¡ld JB'
kow-Regel sollte 2-Brom-3- JB,-
methylbutan entstehen. Dieser cH" cH"
unerwartete Reaktionsverlauf cHscH
I

cHcH3
I

ist mit einer Umlagerungs- - I


cH3c
I
-cHrcH3
reaktion zu erklären. Der elek- Br Br
trophile Angriff des Protons 2-Brom-3-methylbutan 2-Brom-2-
führt zum sekundären Carbo- Nebenprodukt methylbutan
lnach Markownikowl Hauptprodukt
kation, welches am tertiären
Kohlenstoffatom ein Wasser- Bild 1: Hydridverschiebung
stoffatom besitzt. Dieses
Wasserstoffatom kann mit seinem Bindungs-
elektronenpaar (Hydrid H-) zum positiv gelade- CH'CH:CH, + Br, ------) CH3CH-CH,
nen Kohlenstoff wandern und dort binden. Die tt
Br Br
Folge ist, dass das stabilere tertiäre Kohlenstoff-
atom nun die positive Ladung trägt. Vor allem 1,2-Dibrompropan
ist durch diese Hydridverschiebung aus dem
sekundären das stabilere tertiäre Carbokation CH'CH:CH, + Cl2 ------) cH3cH-cH'
entstanden, Das tertiäre Carbokation bildet sich
aufgrund seiner höheren Stabilität häufiger als
tl
ct ct
das sekundäre, welches zum Nebenprodukt 1,2-Dichlorpropan
2-Brom-3-methyl butan fü h rt. Als Ha u ptprod u kt
entsteht durch Addition von Br- an das tertiäre Bild 2: Addition von Chlor und Brom
Ca rbokation 2-Br om-2-methyl butan.

Eine Hydridverschiebung ist mit der Wanderung eines Hydridions H- von einem Kohlenstoff-
atom eines Moleküls zu einem benachbarten C-Atom desselben Moleküls verbunden.

Die Addition der Halogene Chlor und Brom


an die C-C-Doppelbindung führt zu Dichlor- CH, ô- ô- -l
H"C-
bzw. Dibrom-Alkanen, wobei sich die beiden ll + Br-Br ?--+ Br- + -Br
+

Halogenatome in vicinaler (benachbarter) Stel-


CH, HrC'
lung zueinander befinden (B¡ld 2). Der Reakti- Ethen Bromoniumion
onsmechanismus verläuft zum Beispiel bei der Br
Bromierung über ein Bromoniumion (Bild 3). HrCr HrC/
Br + I -Br' a-------t I

Da bei der Addition von Brom oder Chlor kein HrC' cH"
Carbokation gebildet wird. tritt bei diesen Re- r
aktionen auch keine Umlagerung dieser Teil- Bromoniumion 1,2-Dibromethan
chen auf. Bild 3: Reaktionsmechanismus der Bromierung
Eine bei der Halogenaddition
häufig auftretende Nebenreak- tc :CH-CHz-R c: CH-CH-R
+ Br, -----+ + HBr
tion ist die Substitutionsreak- I
Allyl-Gruppe
tion am benachbarten C-Atom Br
zur Doppelbindung, in Allyl-
Stellung. Sie läuft ab, wenn Bild 4: Substitution in Allyl-Stellung
die Bildung des Bromonium- bzw. Chloroniumions aus sterischen Gründen erschwert ist, so-
dass bei verzweigten Alkenen durch Abspaltung eines Protons aus tertiären Carbokationen die
Substitutionsprodukte entstehen (B¡ld 4).
88
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen

Eine zweite Variante, bei der das Substitutionsprodukt als Hauptprodukt entstehen kann, verläuft
über mesomeriestabilisierte Allylradikale.

Der Versuch der Addition von Fluor F, erfolgt unter Zerstörung des Alkens, die Addition des Iods
I, läuft häufig nicht ab.

Die Addition von Wasserstoff


wird Hydrierung genannt. Sie CH.CH:CHCH3 ------+ CH3CH-CHCHa + CH3CH-CHCH3
wird in Gegenwart eines Ka- + H-H +H..H HH
talysators wie Platin, Palladi- But-2-en Butan
um oder Nickel durchgeführt.
Dabei entstehen Alkane. Der Bild 1: Hydrierung
heterogene Katalysator senkt
die Aktivierungsenergie durch Auflösung der ø-Bindungen zwischen den Wasserstoffatomen des
Wasserstoffmoleküls und der n-Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen der Doppelbindung
Die dabei gebildeten Wasserstoffradikale verbinden sich mit den Kohlenstoffradikalen (B¡ld 1).

Hydrierungen sind exotherm,


weil das Enthalpieniveau der 3-Methylbut-1-en 2-Methylbut-1-en 2-Methylbut-2-en
Edukte (Alkene, Wasserstoff) CH" cH" CHt
höher ist als das der Produk- I I I

te (Alkane). Die Reaktions- CH3CHCH: CH, CHz: ç6¡¡ratt CH.C:CHCH3


enthalpie, in diesem Fall die
Hydrierungswärme, wird frei. +Hz
+Hz +Hz
ln Bild 2 erkennt man, dass LH"
die Reaktionsenthalpien für = - 127 kJlmol LH" LH"
die Hydrierung dreier lsomere = - 119 kJ/mol
= - 113 kJ/mol

des Methylbutens zum 2-Me-


thylbutan unterschiedlich sind.
Diese Tatsache hängt davon CHt CHt CHt
ab, wie stabil das Alken ist. Je I I I

cH3cHcH2cH3 cH3cHcHrcH3 cH3cHcHrcH3


stabiler ein Alken ist, desto
niedriger ist sein Enthalpieni-
veau, das bedeutet, desto we- Bild2: StabilitätvonAlkenen
niger Reaktionsenthalpie wird
frei. Das in Bild 2 rechts dargestellte 2-Methyl-
but-2-en ist somit das stabilste Alken, gefolgt
von 2-Methylbut-1-en und 3-Methylbut-1-en. H H t H.. H H.
c
.rH

H/ \c: c"6'
c c H

Die relative Stabilität der Alkene hängt von H C:C H H

der Anzahl den an der C-C-Doppelbindung H H


H/
substituierten Alkylgruppen ab. Das 2-Methyl- H/\ H

but-2-en besitzt drei, das 2-Methylbut-1-en cis-But-2-en trans-Bul-z-en


zwei und das 3-Methylbut-1-en nur eine Alkyl-
gruppe. Bild 3: Sterische Spannung bei cis-But'2-en

Vergleicht man cis/trans-lsomere bezüglich ih-


rer Stabilität bzw Hydrierungswärmen, so wird
bei der Hydrierung von frans-But-2-en weniger
(115 kJ ' mol-1) Reaktionsenthalpie frei als bei
cis-But-2-en (120 kJ . mol-1). Das cis-lsomer ist
deshalb weniger stabil, weil durch die Position
der beiden Methylgruppen auf einer Seite der Penta-1,3-dien - 227 146 137

Doppelbindung eine sterische Spannung auf- Penta-1,4-dien -252 154 134


tritt (Bild 3).
89
3 Reaktionen organischer Präparate

Eine Hydrierung ist die Addition von Wasserstoff H, an eine Mehrfachbindung.

Bei den Reaktionen der Alkandiene muss man unterscheiden zwischen denen der isolierten, kon-
jugierten und kumulierten Diene. Ein Vergleich der Bindungsdaten in Tabelle 1 auf S. 89 zeigt den
verschiedenen Molekülbau und die Bindungsverhältnisse dieser Verbindungen. Die Bindungs-
längen im Penta-1,4-dien (mit isolierten Doppelbindungen) entsprechen denen der C-C-Einfach-
und der C-C-Doppelbindung der Alkane bzw. der Alkene. Beim Penta-1,3-dien mit konjugierten
Doppelbindungen fällt auf, dass die C-C-Einfachbindung kürzer und die C-C-Doppelbindung
länger als im Penta-1,4-dien sind. Der Vergleich der Hydrierungswärmen zeigt, dass konjugierte
Doppelbindungen eine höhere Stabilität als die isolierten Doppelbindungen besitzen.
Eine Erklärung der experimentellen Daten für
Penta-1,3-dien ergibt die Hybridisierung der 4

E Kohlenstoffatome eins bis vier. Alle vier C-


Atome sind sp2-hybridisiert, das heißt, dass
sich an jedem C-Atom ein nicht-hybridisiertes
,trf\ H
CHs
4,.
p-Orbital befindet (B¡ld 1). So können nicht H ,,rf\ H
H 146
nur die p-Orbitale der ersten und zweiten so- H pm
wie der dritten und vierten Kohlenstoffatome H
pm
H
miteinander überlappen, sondern auch die des H
zweiten und dritten Kohlenstoffatoms.
Bild 1: Überlappung der p-Orbitale bei konjugierten
Es ergibt sich somit ein gemeinsamer Aufent- Doppelbindungen
haltsraum für alle vier ¡-Elektronen im Bereich
der ersten vier C-Atome des Penta-1,3-diens.
Diese Delokalisierung der n-Elektronen und
damit auch der ¡-Bindungen wird Mesomerie E^1 > E^2
genannt. lnsgesamt gewinnt das konjugier- Eu1

te Bindungssystem durch die Mesomerie an t


I
Stabilität. Dies kommt durch die relativ nied- nicht
konjugiert
rige Hydrierungswärme von -227 kJ mol-1 E^2

zum Ausdruck. Die Einfachbindung erhält


mehr Doppelbindungscharakter, was man an koniugiert
der verkürzten Bindungslänge erkennen kann,
Reaktionsverlauf +
während die Doppelbindung etwas länger wird.
t"o koniusierter n-Elektronen-
Konjugierte n-Etektronen-systeme sind ther- '' !;:lJiität
modynamisch stabiler als nicht konjugierte.
Sie sind trotzdem kinetisch reaktiver, da die Aktivierungsenthalpie E" für elektrophile Additionen
bei konjugierten Systemen geringer ist (Bild 2).
Mesomerie wird du rch mesomere Grenzstrukturen ausgedrückt.
Sie sind sehr wahrscheinlich Extremstrukturen zwischen denen delokalisierte Elektronen
sich der reale, energetisch günstigste Zustand bewegt:
CH2: CH-CH=CHz +-+
*CH2-CH=CH
- CUr- .r,1.rI.,!.r,
1,3-Butadien
Eine weitere Schreibweise, um die Delokalisierung der n-Bin-
dungen auszudrücken, ist in Bild 3 dargestellt. Bild 3: Mesomerieformel
Als Folge der Mesomerie entsteht bei der elektrophilen Addition von Halogenwasserstoff (2. B.
HCI) an Buta-1,3-dien ein Carbokation, bei dem die positive Ladung delokalisiert ist (s. Bild 1
auf S.91). Dabei kann die Addition des Nucleophils (2. B. Cll sowohl am zweiten C-Atom (1,2-
Addition) als auch am vierten C-Atom (1, -Additon) erfolgen.

Mesomerie bezeichnet den Zustand eines Moleküls, das delokalisierte Elektronen enthält.
Der wahrscheinlichste Bindungszustand liegt zwischen mehreren Grenzformeln.

90
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen

Die Frage, welches Produkt sich bildet, hängt


H
von der Reaktionsführung ab. Wenn eine Reak- +H*
tion zu verschiedenen Produkten führt, ist das H2c: ôu -ðH :åu ÏÞ r,r.-.J, -.,
1

:.r,
sich am schnellsten bildende Reaktionspro- " " primäres Garbokation
\ +H*
dukt kinetisch kontrolliert. Entsteht das stabils-
te Produkt, ist die Reaktion thermodynamisch H
\
-H c-1fr) ç¡1, <--+ H.c - cH
I

kontrolliert. :cr-{
HrC
- cHz*

Die Addition von Bromwasserstoff an Buta-1,3- +Ct-,/ \+ Cl-


dien verläuft bei niedrigen Temperaturen ct
j¿\ ,/-ao'c \+ao'c
(- 80 "C) kinetisch kontrolliert überwiegend
als 1,2-Addition, während bei höheren Tempe- H3C-HC-CH:CH2 H3C-CH:CH-CHr-Cl
raturen (+ 40 "C) mit einem hohen Anteil das 1,2-Addition l,4-Addition
3-Chlorbut-l-en 1-Chlorbut-2-en
thermodynamisch kontrollierte Produkt der
1,4-Addition entsteht (B¡ld 1). Bild 1: 1,2- und l,4Addition

Man unterscheidet kinetisch und thermodynamisch kontrollierte Reaktionen. Bei niedrige-


ren Temperaturen erfolgen eher kinetisch kontrollierte Reaktionen. Dabei wird der Weg der
geringsten Aktivierungsenergie genommen. Bei höheren Temperaturen laufen Reaktionen
eher thermodynamisch kontrolliert ab, d. h. es bilden sich bevorzugt die thermodynamisch
stabilsten Produkte

Die elektrophilen Additionen der Alkandiene mit isolierten Doppelbindungen verlaufen wie die
der Alkene.
Besonders wertvolle Reaktionen sind solche, bei denen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen und
damit größere Kohlenstoffgerüste entstehen. Eine davon ist die Drels-Alder-Reaktion (Otto Diels,
1876 bis 1954; Kurt Alder, 1902 bis 1958; deutsche Chemie-Nobelpreisträger), bei der zwei neue
Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen gebildet werden. Dabei entsteht ein ringförmiges (zykli-
sches) Molekü1.
Bei einer Diels-Alder-Reaktion reagiert ein kon-
jugiertes Dien mit einem Dienophil, welches HzC\ R
R
eine C-C-Doppelbindung enthält (Bild 2). Es CH HC/
---------+
läuft eine 1, -Addition ab, die im Gegensatz H c/\.r, tl
CHz
zur obenstehenden 1,4-Addition in einem ein-
zigen Schritt als konzertierte Reaktion abläuft. koniugiertes Dien Dienophil
Die Addition des Elektrophils und des Nucleo-
phils erfolgt in einem Reaktionsschr¡tt. D¡e Bild2 Diets-A/der-Reaktion
Diels-Alder-Reaktion ist eine perizyklische Re-
aktion, die durch Elektronenverschiebung (B¡ld 3l in einem Schritt abläuft, Sie kann auch als
Cycloaddition bezeichnet werden, da bei der Reaktion zwei der Reaktionspartner ein zyklisches
Produkt bilden. Es handelt sich im Bild 3 um eine [4+2]-Cycloaddition, weil ein vieratomiges,
konj u giertes n-Elektronensys-
tem mit einem zweiatomigen N ucleoohil elektronenz¡ehende Gruppe
n-Elektronensystem reagiert. \' ^,"
t., " \
4
o
Dabei entstehen zwei neue C-
Ï
'tlrtl'\;*-cc"
o H CHz
il
die den
C-Einfachbindungen, il 3C c H-CCH3
Ringschluss bewirken und il I

eine C-C-Doppelbindung zwi- zc ,.*cqz 2C CHz


schen dem zweiten und dritten r'oç*, \ H
tçr,
C-Atom des Diens. Ein elektro- Elektroph¡l
nenziehender Substituent am
wie zum D¡en m¡t 4n- D¡enophil mit Übergangszustand
Dienophil, Beispiel Elektronen 2ft-Elektronen mit 6r-Elektronen
die CO-(Carbonyl-) oder die
CN-(Nitril-) Gruppe verschiebt Bild 3: Perizyklische Reaktion
91
3 Reaktionen organischer Präparate

teilweise Elektronen aus der


HO
benachbarten C-C-Doppelbin-
dung heraus und erleichtert - CH2 : ç¡1- at. 100 "c

damit den gleichzeitigen nu-


cleophilen und elektrophilen
Angriff auf die konjugierten coocH3
1oo'c
Doppelbindungen des Diens. CH3ooC-C=c-coocH3 >

coocH3
ln Bild 1 sind einige Beispiele //cH'
lür Diels-Alder-Reaktionen dar- CH
gestellt. l+
CH 35 "C
oa*, (Benzol)

Die Diels-Alder-Reaktion o
ist eine [4 + 2]-Cycloaddi-
tion, bei der ein Ring durch
Verknüpfung eines konju-
gierten Diens mit einem L 15 "C
(Benzol)
substituierten Alken (Die-
nophil) aus sechs Kohlen- o
stoffatomen gebildet wird,
Bild 1: Beispiele Íür Diels-Alder-Reaktionen

3.1.3 Reaktionen der Alkine


Die beiden Kohlenstoffatome zwischen denen
¡r-Bindu n p-Orbitale
sich die Dreifachbindung befindet, sind sp-
hybridisiert, so dass jedes der beiden C-Atome 2sp-Hybrid-
zwei sp-Hybridorbitale und zwei nicht-hybri- orbitale
disierte p-Orbitale besitzt. lm Ethin (Acetylen),
dem einfachsten Alkin, überlappt je ein sp- 1s-Orbital

Orbital eines C-Atoms miteinander zu einer


o-Bindung. Das jeweils zweite sp-Orbital über-
lappt mit je einem s-Orbital eines Wasserstoff- o-Bindung n-Bindung
atoms und bildet ebenfalls eine ø-Bindung.
Daraus ergibt sich der lineare Molekülbau des
Ethins (B¡ld 2). Bild 2: Bindungen im Ethin-Molekül
Senkrecht zur Molekülachse überlappen pro C-Atom jeweils zwei p-Orbitale und bilden zwei
n-Bindungen, die eine senkrecht, die andere waagrecht zwischen den C-Atomen. Die ø-Bindung
zwischen den C-Atomen ist von einer ¡-Elektronenwolke umgeben. Diese relativ schwachen ¡r-
Bindungen sind die Ursache für die Neigung der Alkine, Additionsreaktionen einzugehen.

Die Additionsreaktionen von Alkinen mit


Halogenwasserstoffen verlaufen wie bei den
Alkenen elektrophil. Jedoch können bereits /cù, n-Komplex
Li
gebildete Halogenalken-Moleküle mit Halo- (1.,ò'//
genwasserstoff durch eine weitere Additions- HC:CH + H-Cl I ----+ Hi=òu -----+ HC:CHz
reaktion zum Halogenalkan reagieren. Der
Reaktionsmechanismus der elektrophilen
\-t
\lctl lCrl
Addition von Chlorwasserstoff an der C-C-
Dreifachbindung verläuft wahrscheinlich über Bild 3: Elektrophile Additíon an Ethin
einen n-Komplex (Bild 3).

Die Halogene Chlor Cl, und Brom Br, addieren ebenfalls an die Dreifachbindung der Alkine. Da-
bei entsteht im ersten Schritt vicinales Dichlor- bzw. Dibromalken. Bei einem Überschuss an Ha-
logen verläuft die Reaktion bis zum jeweiligen Tetrahalogenalkan.
92
3.1 Additionsreaktionen an C-C-Mehrfachbindungen

Die Addition von Wasser an


o
die C-C-Dreifachbindung kann
entweder durch Säure
(Bild 1a) oder durch Hg2*-lo-
H-C=C-CH3
Propin
+ H2O
lH2so4l
{HgSO¿}
A
CHs CHs
r\_ Keto-Enol-
Propanon
nen (Bild 1b) katalysiert wer- al b)
(Keton) \lautomefle
den. ln beiden Fällen entsteht H* H H \
\+/
ein Keton, bzw. Ethanal, wenn 'o' lo-H
die Addition an Ethin erfolgt. I I

.c.
Die säu rekatalysierte Addition \\ c.
-H*
,/\
CHS CHZ
CHs H CHs c -H ---------+
beginnt mit dem elektrophilen I I Propen-2-ol
Angriff des Protons, wobei ein H H (Enol)
Carbokation entsteht, an wel-
ches sich das Wassermolekül Bild t: Addition von Wasser an Propin
bindet. Durch Abspaltung des
Protons bildet sich ein Enol, in diesem Fall ist es Propen-2-ol. Das Propen-2-ol lagert sich sofort
und überwiegend zum Keton Propanon um. Diese Erscheinung wird Keto-Enol-Tautomerie ge-
nannt. Die beiden Keto-Enol-Tautomere liegen in einem Gleichgewicht vor, wobei das Gleich-
gewicht stark auf der Seite der Keto-Form (hier Propanon) liegt.

Bei der Keto-Enol-Tautomerie stehen ein Keton und ein Enol miteinander im dynamischen
Gleichgewicht. Das Keton kann durch die gleichzeitige Wanderung eines Protons und einer
Doppelbindung teilweise in ein weniger stabiles Enol umgewandelt werden.

Ethanal (Acetaldehyd) wird durch Addition von Wasser an Ethin mit HgSOo als Katalysator her-
gestellt. Bei der elektrophilen Addition von Cyanwasserstoff an Ethin erhält man Prop-2-ennitril
(Acrylnitril).
Die Hydrierung von Alkinen führt in Gegenwart von metallischen Katalysatoren wie Palladium,
Platin oder Nickel über das entsprechende Alken zum Alkan. Mit den oben genannten, hoch
aktiven Katalysatoren ist es schwierig, die Hydrierungsreaktion des Alkins beim Alken anzuhalten,
da dieses in gleicher Weise mit Wasserstoff zum Alkan weiterreagiert.
Für die gezielte Hydrierung der Alkine zu Alkenen setzt man deshalb teilweise desaktivierte
Metallkatalysatoren, wie den so genannten Lindlar-Katalysator (Herbert Lindlar, Schweizer
Chemiker, geb. 1909) ein.
Die Trimerisierung ist eine Cyclisierung, bei der sich drei Ethin-Moleküle untereinander zu
Benzol addieren.

Alkine sind Kohlenwasserstoffe mit C-C-Dreifachbindungen. Sie zeigen im Wesentlichen wie


die Alkene Additionsreaktionen.

Ethin bildet im Gegensatz zum Ethen oder Ethan salzartige Verbindungen, die sogenannten Ace-
tylide, wobei Calciumacetylid CaC, (Calciumcarbid) am wichtigsten ist. lm Calciumcarbid besteht
eine annähernd ionische-Bindun! zwischen den Calcium-lonen Ca2* und den Acetylid-lonen
o[C C]o.
=
Das bedeutet, dass Ethin die Säureeigenschaft besitzen muss, Protonen abzuspalten. Der pKs-
Wert des Ethins von 25 zeigt, dass es eine äußerst schwache Säure ist. Zum Vergleich: Der
pKr-Wert von Wasser beträgt 15,5. Die Abspaltung des Protons wird durch die erhöhte Elektro-
negativität der sp-hybridisierten C-Atome und dem damit ver-
bundenen erhöhten lonenbindungsanteil begünstigt (B¡ld2).
Da sp2- und sp3-hybridisierte C-Atome weniger elektronegativ H. + -lC=Cl-+ H-
als sp-hybridisierte Kohlenstoffatome sind, kann man bei Ethen
und Ethan keine nennenswerte Protolyse und keine Salzbildung Bíld 2: Protolyse von Ethin
feststellen.
93
3 Reaktionen organischer Prä parate

Aus Calciumacetylid wird durch Reaktion mit Wasser Ethin gewonnen. Bei dieser stark exo-
thermen Reaktion entsteht zusätzlich Calciumhydroxid:
CaC2 + 2H"O --+ H-C=C-H + Ca(OH)z

Bei dieser Säure-Base-Reaktion überträgt das in diesem Fall als schwache Säure wirksame
Wasser zwei Protonen auf die starke Base Acetylid C,-. fs bilden sich die extrem schwache
Säure Ethin CrH, und die extrem starke Base Hydroxid OH-.

Weitere Herstellungsmethoden für Ethin sind das Flammen-Verfahren, bei dem man Methangas
CHo mit einer für eine vollständige Verbrennung nicht ausreichenden Menge Luftsauerstoff bei
ca. 1500 oC reagieren lässt:
4CHo+ Oz+CzHz+2CO +7H2
Beim Lichtbogen-Verfahren wird Methan mit einer sehr kurzen Verweilzeit in einen 2OO0 "C
heißen Lichtbogen gebracht. Dabei entstehen Ethin und Wasserstoff:
2 CHo --+ C2H2 + 3 H,

Ethin (Acetylen) wird durch die Umsetzung von Calciumcarbid mit Wasser, durch das
Flammenverfahren und nach dem Lichtbogen-Verfahren gewonnen.

3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen


Der Begriff der aromatischen Verbindungen wurde von Chemikern früherer Zeiten geprägt und
für Stoffe verwendet, die man in Ölen von Bäumen und Pflanzen fand und die Benzoi heutã auch
Benzen genannt, als Molekülbaustein enthielten.

3.2.1 Struktur des Benzols und Aromatizität


Benzol wurde im Jahr 1825 von Michael Fara-
day lengl. Chemiker, 1791 bis 1867) entdeckt, H H
20.
Einige Jahre später fand Mitscherlich (deu|- 120"
scher Chemiker, 1794 bis 1863) aufgrund der
qualitativen und quantitativen Analyse sowie 120"
H
einer Molmassenbestimmung, dass die Sum- 109 pm
menformel von Benzol C6Hu lautet. Verschie-
dene Wissenschaftler entwarfen mögliche 139 pm
Strukturen des Benzols, bis moderne Struk-
H H
turaufklärungsmethoden zur Kenntnis des tat-
sächlichen Molekülaufbaus führten (Bild 11. Bild 1: Geometrischer Molekülbau des Benzols

Das Benzolmolekül ist planar, das heißt alle Kohlenstoff- und Wasserstoffatome liegen in einer
Ebene und sind durch ø-Bindungen miteinander verbunden. Die sechs Kohlenstoffatome bilden
ein regelmäßiges Sechseck. Die Bindungswinkel zwischen allen C-Atomen betragen 120., die
zwischen den C-C- und den C-H-Bindungen ebenfalls. Die Bindungslängen der C-C-Bindungen
sind alle gleich und messen 139 pm. Aus diesen Messwerten ergibt sich, dass alle sechs Kohlen-
stoffatome sp'-hybridisiert sind. Jedes Kohlenstoffatom besitzt drei sp2-Hybridorbitale, welche
mit den beiden sp"-Hybridorbitalen der benachbarten C-Atome und mit je einem s-Orbital eines
Wasserstoffatoms ü berlappen.

Jedes Kohlenstoffatom besitzt noch ein nicht-hybridisiertes p-Orbital, wobei jedes dieser
p-Orbitale mit den beiden p-Orbitalen der benachbarten C-Atome zur fi-Bindung überlappt.
94
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen

So entsteht eine geschlossene, ringförmige H


n-Elektronenwolke, die sich ober- und unter- H
halb der Molekülebene um das Gerüst aus H
Kohlenstoffatomen legt (Bild 1). Diese ¡-Elek-
tronen sind nicht zwischen zwei bestimmten C- H'-
Atomen zu lokaliseren, das heißt im Benzol- \H
Molekül liegt Mesomerie vor (s. S. 90).
Deshalb sind die delokalisierten C-C-Doppel- Bildl: Delokalisierte¡r-ElektronenbeimBenzol
bindungen des Benzols kürzer als die lokali-
sierten Doppelbindungen in einem Alken. Die Mesomerie im Benzol bewirkt sein chemisches
Verhalten, das sich signifikant von dem der Alkene unterscheidet. Während Alkene überwiegend
Additionsreaktionen zeigen, finden am Benzol vor allem Substitutionsreaktionen statt.

Die im Sechsring des Benzols ideal vorliegen- (Cyclohexa-1,3,5-trien)


de Delokalisierung der n-Elektronen stabilisiert
das Molekül in hohem Maße. Dies zeigen die t + 3H2
Cyclohexa-1,4-dien
Hydrieru ngswärmen von Cyclohexen, Cyclohe- .9
xa-1, -dien und Benzol (B¡¡d 2). lm Cyclohexen 6 + 2H2 I
c Cyclohexen !
und im Cyclohexa-1,4-dien liegen lokalisierte c o Benzol
o b
U 3Hz
Doppelbindungen vor. Die Hydrierungswärme + H2
q) +

des Cyclohexa-1,4-diens ist doppelt so groß - .o


f fo
wie die Hydrierungswärme des Cyclohexens. fo r+
N @ N
Erwartungsgemäß müsste die frei werdende N I o I
I

Enthalpie bei der Hydrierung von Benzol mit


Ì

drei ,,Doppelbindungen" dann dreimal so groß H2 H2 H2


sein wie bei der Hydrierung von Cyclohexen.
H2
Tatsächlich werden aber 151 kJ 'mol-'weniger H2 H2 H2

frei als bei dem für das von Kekule (deutscher


Chemiker, 1829 bis 1896) postulierte Cyclo- Cyclohexan Gyclohexan Cyclohexan

hexa-1,3,5-trien. Bild 2: Stabilität des Benzols


Die Delokalisierung der n-Elektronen bewirkt, dass Benzol 151 kJ . mol-1 weniger Energie enthält
und damit um diesen Energiebetrag stabiler ist als das hypothetische Cyclohexa-1,3,5-trien.

Benzol ist eine durch Mesomerie stabilisierte Verbindung, bei der alle sechs Kohlenstoff-
atome spt-hybrisiert sind. Mit Benzol lassen sich vor allem Halogenierungen, Nitrierungen,
Sulfonierungen, Acylierungen und Alkylierungen als Substitutionsreaktionen durchführen.

Benzol ist der bekannteste Vertreter der aromatischen Verbindungen. Anfänglich wurde Aroma-
tizität nach dem Geruch beurteilt. Nach der Hücket-Regel (deutscher Physiker, 1896 bis 1980)
müssen für eine aromatische Verbindung folgende eindeutige Kriterien erfüllt sein:
. Es muss ein planares, cyclisches System (Ringsystem) vorliegen.
. Alle Kohlenstoffatome des Moleküls müssen sp'-hybridisiert sein.
. Das Ringsystem muss (4n + 2) ¡-Elektronen enthalten. Dabei steht n für eine natürliche Zahl
(0, 1,2,3, 4 ...1. Anders ausgedrückt: Das Ringsystem muss eine ungerade Anzahl von
n-Elektronenpaaren besitzen.
Beispiele für aromatische Stoffe sind außer Benzol das Cyclopropenkation CaH3* (2 a-Elektronen),
das Pyridin CsHsN (6 ¡¡-Elektronen) oder das Naphthalin CloHs (10 ¡-Elektronen).

Eine Verbindung ist dann aromatisch, wenn sie cyclisch-planar gebaut ist und aus einem
konj u gierten ¡-E lektronensystem besteht, welches der Hückel-Regel fol gt.

95
3 Reaktionen organischer Präparate

3.2.2 Elektrophile aromat¡sche Substitution und Folgereaktionen


Die n-Elektronenwolke ober- und unterhalb
nicht aromat¡sches
der Ringebene führt zu einem Angriff bzw. zu Add itionsprod u kt
einer Reaktion mit einem Elektrophil. Dabei E

blldet sich eine carbokationische Zwischen- bl


stufe, die nicht isoliert werden kann. lhre po-
sitive Ladung wird durch die Mesomerie des +
a)
)t
Ringes, auch Kern genannt, relativ stabilisiert.
Das Carbokation hat zwei Möglichkeiten, sich
zu einem Produkt zu stabilisieren: Entweder
'*x E

+HN
das zum Elektrophil zugehörige Nucleophil carbokat¡on¡sche
Zw¡schenstufe
N-addiert sich an das zum Elektrophil benach- aromatisches
barte C-Atom (elektrophile Addition) oder das Substitut¡onsprod ukt
Proton vom Kohlenstoffatom des elektrophilen Bild 1: Schema der elektrophilen aromatischen
Angriffs wird abgespalten und verbindet sich Substitution (N-: Nucleophil, E+: Electrophil)
mit dem Nucleophil (B¡ld 1).

lm zweiten Fall entsteht wieder ein stabileres,


Additions- N
aromatisches System, deshalb läuft diese Re- produkt
aktion als (elektrophile) Substitution ab (Bild 2).
Der erste Reaktionsschritt verläuft relativ lang- I
.9
sam. Er ist endergonisch, da das stabile Benzol õ
in ein instabileres Zwischenprodukt umgewan- Substi-
delt wird. Während der zweite Schritt rasch u.¡
c
ç_
-+N
tut¡ons-
produkt
.9
und exergonisch verläuft, da am Ende der sta- I
bile a romatische Zustand zurückgebildet wi rd. +HN

Folgende fünf Reaktionen gehören zu den häu- + E-N


figsten elektrophilen aromatischen Substitutio-
nen (abgekürzt Ss): Reaktionsverlauf +
. Halogenierung . Nitrierung Bild 2: Energiediagramm der elektrophilen
. Sulfonierung . Acylierung aromatischen Substitution
. Alkylierung.
Allen Reaktionen ist der zweischrittige Mechanismus gemeinsam (B¡ld 3),

E E E
E
. F+ langsam H
€ H
€ sch nel I
+ HBt
+ -------)
,]
Bild 3: Reaktionsmechanismus der elektrophilen aromatischen Substitution

Das Benzol reagiert mit dem Elektrophil E* unter Bildung einer carbokationischen Zwischenstufe,
deren positive Ladung delokalisiert ist. Diese Delokalisierung wird durch die drei mesomeren
Grenzstruktu ren veranschaulicht.
Das Proton H* des Kohlenstoffatoms, an dem das Elektrophil E gebunden ist, verbindet s¡ch mit
einer Base B in der Reaktionsmischung zu HB*. Das Elektronenpaar, welches zur Bindung des pro-
tons diente, wandert in den Ring und stellt den aromatischen Zustand mit 6 n-Elektronen wieder
her. Für die direkte Halogen¡erung des Benzols istwegen seiner geringeren Reaktivität im Vergleich
zu e¡nem Alken ein Katalysator erforderlich. Dieser Katalysator muss eine Ler¡zis-Säure sein-, also
ein Stoff, dessen Moleküle mindestens eine Elektronenpaarlücke besitzen. Überträgt ein Chlor-
oder Brom-Molekül eines der freien Elektronenpaare auf diese Elektronenpaarlücke,so entsteht
ein elektrophiles, positiv geladenes, instabiles Halogenkation (Cl* bzw. Br*). Den Ablauf zeigt
B¡ld 1, S. 97, am Beispiel der Bromierung mit Eisen(lll)-bromid als Katalysator.
96
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindu ngen

Zuerst muss sich der n-Komplex bilden, bei


dem eine lockere Wechselwirkung zwischen ô+
-----J Br-*[Br--FeBr3l
ô-
ø-Komplex
dem Benzol und dem positivierten Brom-Atom
besteht. Der o-Komplex als Zwischenstufe bil-
det sich durch Bindungstrennung und -bildung
I
H
am n-Komplex. Durch Abspaltung des protons H
a m Su bstitutio ns-Ko h lenstoffatom stabi isiert I
Br
sich das Ringsystem durch Rückkehr in den
aromatischen Zustand. Die Chlorierung des o-Komplex
Benzols verläuft analog zur Bromierung, nur Br
dass an Stelle des Eisenflll)-bromids Eisenflll)-
chlorid als Katalysator benutzt wird. H
j
Br
Da beide Katalysatoren hygroskopisch sind, Br + [FeBra]-------+ + HBr + FeBr3
was leicht zu ihrer lnaktivierung führt, gibt man
Eisenspäne zur Reaktionsmischung. Diese re- ø-Komplex Rückführung in den
aromat¡schen Zustand
agieren mit dem jeweiligen Edukt Brom oder
Chlor zu dem benötigten Eisenflll)-halogenid. Bild l: Bromíerung von Benzol

Die Halogene Chlor und Brom bilden mit Benzol in Anwesenheit einer Lewis-Säure (meistens
AlX, mit X = Cl, Br) als Katalysator Halogenbenzole (Halogenaryle).

Die Nitrierung des Benzols erfolgt mit Salpetersäure wenn überhaupt, dann nur unter Bildung
unerwünschter Nebenprodukte. Salpetersäure enthält nicht das benötigte Elektrophil NOrY
Durch Zugabe von konzen-
trierter Schwefelsäu re entsteht
die sogenannte Nitriersäure, H
ein Gemisch aus Salpeter- und
-z-----\
HO-NO2 + HLoSo3H + HO.- NO, + ¡1560- ê NOz*+ H2Ol + HSO;
Schwefelsäure im Stoffmen- Salpeter-
säure
Schwefel- Nitro-
säure niumion
genverhältnis von etwa 1:1. ln HS04-
Nou
diesem Gemisch bilden sich NO"
die Nitronium-lonen NOr* nach
+ NOr++ ¡156o-. ' + H2SO4
folgendem Reaktionsschema
(Bild 2): Die Schwefelsäure Bitd 2: Nitrierung von Benzot
proton¡ert die Salpetersäure,
wobei Wasser abgespalten wird. Das elektrophile Nitronium-lon NOr* greift dann das Benzol an.
Nach dem im Bild 3, S. 96 dargestellten Reaktionsmechanismus wirð Ñitrobenzol gebildet.
Die Aminogruppe - NH, lässt sich nur durch Reduktion der Nitrogruppe erhalten, da Ammoniak
NH. als nucleophile Verbindung nicht direkt elektrophil am Benzol substituiert werden kann.
Die Reduktion wird mit einem unedlen Metall wie Zink oder Eisen mit einer starken Säure (2. B.
Salzsäure) durchgeführt. Der bei diesen Reaktionen kurzfristig entstehende atomare Wasserstoff
[H] reduziert die Nitro-Gruppe. Die Reduktion mit Wasserstoff und Platin-Katalysator ist eine an-
dere Möglichkeit, um Aminobenzol herzustellen (B¡ld 3).

Noz NHz
Zn' HGt,
+ 6 tHr + 2HzO + 3 Hz
Pt
+2HzO
----->
Nitrobenzol Anilin

Bild 3: Reduktion der Nitro-Gruppe

Die Nitrierung ist eine wichtige elektrophile Substitutionsreaktion am Aromaten, Für prä-
parative Zwecke wird die Nitriersäure verwendet, ein Gemisch von konzentrierter Salpeter-
säure und konzentrierter Schwefelsäure. Eine Aminogruppe am Benzol wird durch die Reduk-
tion der eingeführten Nitrogruppe erreicht.

97
3 Reaktionen organischer Präparate

Die Sulfonierung ist wie die Nitrierung von großer technischer Bedeutung, da Sulfonsäuren
starke Säuren sind. Außerdem ist die polare Sulfonsäure-Gruppe-SO3H hydrophil, so dass sie,
an einen substituierten Benzolring gebunden, die Wasserlöslichkeit dieser Verbindung erhöht.
Außerdem ist die Sulfonsäure-Gruppe leicht reversibel, das heißt, sie ist leicht austauschbar
gegen andere Substituenten (2.8.-OH, -H). Das Elektrophil bei der Sulfonierung von Benzol
ist Schwefeltrioxid SOr, das in Oleum gelöst vorliegt. Die Sulfonierung von alkylsubstituiertem
Benzol gelingt schon mit konzentrierter Schwefelsäure, da das SO. entsprechend dem Auto-
protolyse-Gleichgewicht in geringerer, aber ausreichender Konzentration vorliegt:
H2SO4 + H2SO* S SO3 + HSO| + H3O*

!
Beim Angriff des SO3 an den Benzolkern bildet
sich als Zwischenstufe ein Zwitter-lon, aus wel-
H so3H
chem sich durch Umlagerung des Protons vom Sos .
Kern zum Sauerstoff-lon des Sulfonat-lons --+
il
Benzolsulfonsäure bildet (Bi¡d 1). o
Zwitter-lon als Zwischenstufe
Benzolsulfonsäure ist mit einem pKs-Wert von
0,7 eine starke Säure, sie ist wasserlöslich und Bild 1: Sulfonierung des Benzols
dissoziiert in Wasser nach folgendem Schema
(Bird 2): o
Die Sulfonierung ist die einzige elektrophile o: -oH o :S
il
ol
aromatische Substitution, die umkehrbar (re-
versibel) ist. Beim Erhitzen der Benzolsulfon- + H2O * HeQ*
säure in verdünnter Säure wird die Sulfon- -
säu regruppe abgespalten. Benzolsulfonsäure Benzolsulfonat-lon

Man kann deshalb die Sulfonsäuregruppe als Bild 2: Dissoziation von Benzol-Sulfonsäure
Schutzgruppe für eine bestimmte Position am
Benzolring benutzen, die nicht substituiert werden darf. lm Bedarfsfall kann diese Position durch
Abspaltung der Sulfonsäuregruppe wieder frei gemacht werden.

Bei der Sulfonierung wird heiße, konzentrierte Schwefelsäure benutzt. Wesentlich besser
läuft diese Reaktion, wenn anstelle der Schwefelsäure mit SO3 angereicherte konzentrierte
Schwefelsäure (Oleum) verwendet wird. Die Sulfonsäure-Gruppe kann leicht durch andere
Substituenten ausgetauscht werden.

C. Friedel (franz. Chemiker,


1832 bis '1899) und J. Crafts o
(amerik. Chemiker, 1839 bis
1917) substituierten als Erste o
lt Atct3
eine Acyl-Gruppe elektrophil + c + HCI
am Benzolring. Deshalb wird R ct
diese Art der elektrophilen aro- -)
matischen Su bstitution Friedel- Acyl-Gruppe
Crafts-Acylieru n g ge n a n nt.
Die Friedel-Crafts-Acylierung
ist nicht mit der anschließend
o
beschriebenen Friedel-Crafts- lt
Alkylierung zu verwechseln. o o c o
il il Alcl3
_-> il
Für die Friedel-Crafts-Acylie-
+ c__ R +C \oH
R o -.C-- R R/
rung kann entweder ein Car-
bonsäurechlorid oder ein Car- Carbonsäure
bonsäureanhydrid eingesetzt
werden (Bild 3). Bild 3: Friedel-Crafts-Acylierungen
98
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindun gen

Die Produkte dieser Reaktionen sind gemischt aliphatisch-aromatische Ketone sowie Chlor-
wasserstoff bzw. eine Carbonsäure.
Das erforderliche Elektrophil wird durch die Reaktion zum Beispiel des Carbonsäurechlorids mit
dem Aluminiumchlorid erhalten. Dabei bindet sich das leicht a'bspaltbare Chlor-lon Cl- des Car-
bonsäurechlorids komplex an die Lewis-Säure Aluminiumchlorid AlClr. Es entsteht das elektro-
phile Acylium-lon IR-C=O]* und Tetrachtoridoaluminat [AtClaJ- (Bitd 1ai.

Das Acylium-lon greift dann das Benzol elektrophil an, bildet den positiv geladenen ø-Komplex,
der sich unter Abgabe des Protons an ein Chlor-lon des Tetrachloridoalumlnats zum aromatisch-
aliphatischen Keton, Chlorwasserstoff und Aluminiumchlorid stabilisiert (Bild lb).
Die Lewis-Säure Aluminiumchlorid benutzt ein freies Elektronenpaar der Carbonyl-Gruppe (- C=O)
zur komplexen Bindung an diese funktionelle Gruppe. Das wähiend der Reaktion gebiiáete Keton
bindet das Aluminiumchlorid. Um genügend Aluminiumchlorid in seiner Funktiorials Katalysator
zur Verfügung zu haben, muss davon mehr als die entstehende Stoffmenge Keton zugegeben
werden. Nach Ablauf der Reaktion spaltet man das Aluminiumchlorid durch-Hydrolyse a6, wobei
Chlorwasserstoff HCI und Aluminiumhydroxid Al(OH)3 entsteht.
Für die Herstellung von Benz-
aldehyd müsste das Säure- /o\ /o\ /o\
chlorid der Methansäure ver- il
c
+ AlCl3 il-
C AlClc - tAlcl4l- il
wendet werden. Methansäu re- c*
chlorid HCOCI isr instabil. Des- a) R -\cr I R'/ \cr-'/ I

R
halb wird Benzaldehyd nach
Gattermann/Koch aus Benzol
- -
und einem Kohlenstoffmono- /o\ ct /o\
xid-/Ch orwasse rstoff-Gasge- /o\ H II
+ AlCl3- il
+
misch unter katalytischer Wir- c -------------) c
kung von Aluminiumchlorid + +c --------+ R - Atct3
R
- HCr
hergestellt. Das elektrophile I

R
Teilchen ist wahrscheinlich das b)
Formylium-lon [H-C=O]+. Der
Reaktionsmechanismus ist der Bild 1: Reaktíonsmechanismusder Friedel-Craffs-Acylierung
Gleiche wie in Bild 1, nur dass
der Alkylrest R durch ein Wasserstoffatom H ersetzt ist.

Die Friedel'Crafús-Acylierung ¡st eine Variante der elektrophilen aromatischen Substitution


bei der unter Einwirkung einer Ler¡zþSäure als Katalysator eine Acylgruppe in einen Benzol-
kern eingeführt wird.

Eine wichtige Reaktion ist die Verknüpfung ei-


ner Alkylgruppe mit Benzol. Eine Möglichkeit CH, + AlBrr -\*/
,/.CHr. Rter3
der Alkylierung des Benzols wird als elektro- CHs Br CHs Br
phile aromatische Substitution ebenfalls nach Bromethan Komplex aus Alkylhalogenid
Friedel-Crafts durchgeführt (Bild 2). und Lewis-Säure
CHs
Reaktionspartner des Benzols ist ein Halogen- l*
alkan, das mit der Levrzis-Säure Aluminium- CHz¡rer -AlBr3 +B r AlB13
chlorid AlCl. ein elektrophiles Carbokation bil-
det. Am Halogenalkan ist das dem Halogen-
atom benachbarte C-Atom positiv polarisiert. cH2cH3
Diese positive Partialladung reicht jedoch für + HBr + AlBr3
eine elektrophile Substitution von Aromaten
nicht aus. Aus diesem Grund ist die Anwesen- Ethylbenzol
heit eines Katalysators erforderlich, der die Bild 2: Fri e del- Crafts-Alkyl ieru ng

99
3 Reaktionen organischer Präparate

Bindung zwischen Kohlenstoff- und Halogen-Atom weiter polarisiert. Dafür eignen sich kataly-
tische Mengen von Lewis-Säuren, wie Aluminiumchlorid AlCl3, Aluminiumbromid AIBrr, Bortri-
fluorid BF3 oder Eisen(lll)-chlorid FeCl., um die am häufigsten verwendeten Stoffe zu nennen.
Der Polarisierungsgrad des Alkylhalogenid-Lewis-Säure-Komplexes hängt von der Lerøis-Säure
und vom Alkyl-Rest ab. So bildet sich bei der Verwendung von 2-Brom-2-methylpropan mit AlBr,
der elektrophile, relativ stabile ferf-Butyl-Rest C(CH3)3* und AlBro-.

ln Bild 2 auf S. 99 bildet das Aluminiumbromid mit dem Brom-Atom des Bromethans einen Kom-
plex, dessen positiviertes C-Atom den Benzolkern elektrophil angreift. Aus dem o-Komplex bildet
sich dann unter Abspaltung eines Protons das Ethylbenzol und Bromwasserstoff HBr. Der Kataly-
sator AlBrr liegt am Ende der Reaktion unverändert vor.

Alternativ zur Alkylierung mit


Alkylhalogeniden bilden proto- H +H+ H H +H+
nierte Alkene (2, B. Propen) ent-
-H2o H
H3C-C-CH3 i.".. H3C-C-CH. # H3C-C-CH3 ê HsC-C:CHz
sprechende Carbokationen und ll+
werden zur Alkylierung benutzt
OH + OHz

(Bird 1).
elektroohiles
Propan-2-ol FroPen
Eine wichtige Anwendung stellt Garbokation \---J
die Protonierung von Propen
mit anschließender elektrophi- Bild 1: Carbokation aus Alkohol oder Alken
ler Substitution an Benzol zu
lsopropylbenzol (Cumol) dar. lsopropylbenzol ist ein wichtiges Edukt der Hock-Synthese, bei der
großtechnisch Phenol und Aceton hergestellt wird.

Auch Alkohole, wie Propan-2-ol (B¡ld 1), deren Hydroxy-Gruppe protoniert wird, bilden durch
Abspaltung von Wasser Carbokationen.

Bei der Friedel-Crafts-Alkylierung treten Hydrid-Umlagerungsreaktionen mit unerwünschten lso-


merisierungen und Mehrfach-Alkylierungen als Nebenreaktionen auf, welche die Ausbeute am
gewünschten Alkylbenzol verringern.

ln Bild 2 wird deutlich, dass cH2cH2cH2cH3


bei der Friedel-Crafts-Alkylie- .,'^\ Arcl" +

rung von Benzol mit 1-Chlor- ll I + cH"cH,cH"cH"cr -----Ð cH"cH"cHcH 2-+


" 'lJ
\./v o'c
butan von dem gewünschten î-Chlorbutan H 1-Phenylbutan
Produkt 1-Phenylbutan we- t<
lo d 35 Vo
niger entsteht als von dem lãñ
ìo!
Nebenprodukt 2-Phenylbutan. I
lFi
ã'X CHs
Ursächlich dafür ist eine Um- t:o I

lagerungsreaktion mit dem vl@


Mechanismus einer Hydridver- cH3cH2cHCH3
+
-------+
schiebung, die deshalb abläuft, 2-Phenylbutan
weil sich aus einem primären 65 o/o

Carbokation ein stabileres, se-


kundäres Carbokation bildet. Bild 2: Hydridverschiebung

Das Benzol wird vorwiegend mehrfach alkyliert, da eine bereits am Benzolring gebundene Alkyl-
gruppe, z. B. die Methylgruppe des Toluols (heute auch Toluen genannt), die Elektronendichte
des Benzolkerns durch einen induktiven Effekt erhöht (s. S. 86). Man spricht dann von der Akti-
vierung des Benzolringes durch die Methyl-Gruppe, welche die weitere elektrophile Substitution
am Aromaten erleichtert.

Umgekehrt desaktiviert e¡ne ,,elektronenziehende" Nitro-Gruppe den Benzolring derart, dass


keine FriedelCrafts-Reaktionen (Alkylierung und Acylierung) stattfinden können.
100
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindun gen

Zur Friedel-Crafts-Alkylierung
mit ihren nachteiligen Neben- o
reaktionen gibt es noch einige o il
ccH2cH3
Alternativen. Um eine unver-
zweigte Alkyl-Gruppe an den
II
+ CH3CH2CCI +
Alcl3
_)
+2H2
+ H2O
- HCr Pd
Benzolring a) substituieren,
wird zuerst wie in Bild 1 zu Fríedel-Craîts- Ethylphenylketon Reduktion Propylbenzol
erkennen ist, eine Acylierung Acylierung
nach Friedel-Crafts durchge-
führt. Bei der Friedel-Crafts- Bild 1: Alkylíerung von Benzol durch Reduktion der Acylverbindung
Acylierung treten die Probleme
der Friedel-Crafts-Alkylierung (lsomerisierung, Mehrfachacylierung) nicht auf. ln einem zweiten
Reaktionsschritt kann dann die Carbonyl-Gruppe mit Wasserstoff und Palladium als Katalysator
reduziert werden.

Zwei weitere Reduktionsmethoden mit denen alle Carbonyl-Gruppen reduziert werden können,
sind die Clemmensen-Reduktion (dän. Chemiker, 1876 bis 1941) und die Wolff-Kishner-Reduk-
tion (deutscher Chemiker, 1857 bis 1919 bzw. russ. Chemiker, 1867 bis 1935).

Bei der Clemmensen-Reduktion wird als Reduktionsmittel Zinkamalgam mit Salzsäure benutzt,
während man nach Wolff-Kishnermit Hydrazin HrN-NH, in alkalischem Medium reduziert.

Alkylbenzole mit unverzweig-


ten Alkyl-Gruppen können
auch mittels metallkataly-
HgC Br
/o
+ cH3cH2cH2-B
sierter Kupplungsreaktionen \o
dargestellt werden. Eine die- + NaOH Organoboran
ser Synthesen ist die Suzuki- Pd(PPh3)4
Reaktion (jap. Chemiker, geb.
1930, Nobelpreis 2010), bei
o
der eine halogenierte Aryl- HsC CH2CH2CH3
(C6Hs), Benzyl- (C6HuCHr) oder + HO-B + NaBr
Vinyl-Verbindung mit einem
to
Organoboran umgesetzt wird
(B¡rd 2). Bild2: Suzuk¡Reaktion

Die Grobstruktur des metallorganischen Katalysators zeigt


Bild 3. lm Palladium-Komplex sind vier Liganden von PPh, Palladium-
Ph3P PPh3
komplex,
(Triphenylphosphin) erkennbar. Katalysator
bei der Pd
Alkylsubstituierte Benzole CoHu-R sind schließlich auch mit Suzuki-
Reaktion
Ph3P PPh3
der Wurtz-FitfþReaktion (Charles Adolphe Wurtz, frz. Chemi-
ker, 1817 bis 1884; Rudolf Fittig, dl. Chemiker; 1835 bis 1910)
aus Halogenbenzol C6H'-X und Halogenalkan R-X mithilfe
von metallischem Natrium synthetisierbar:
Triphenyl-
phosphin
C6H5-X + R-X + 2Na + CoHs-R + 2NaX (PPh3)

Diese Reaktion verläuft unkontrollierbar über Radikale, so dass


dabei ein hoherAnteil an Nebenprodukten (Biphenyl C6Hb- C6Hb
und Alkane R-R) entsteht. Bild 3: Palladiumkomplex

Reaktionen alkylsubstituierter Benzole führen zu wichtigen aromatischen Verbindungen, die auf


direktem Syntheseweg nicht zu erhalten sind. Zunächst ist es wichtig, die Reaktion so zu steuern,
dass eine Substitution entweder am Benzolkern oder am Alkylrest, auch Seitenkette genannt,
stattfi nd et.
101
3 Reaktionen o nischer Prä rate

Bei der Substitution am Benzolkern sind die be-


2-Bromtoluol
reits bekannten Bedingungen der elektrophilen
Substitution zu beachten: eine Lewis-Säure als CH.
+
Katalysator und relativ niedrige Temperaturen, + HBr
KKK
abgekürzt KKK (Kern, Katalysator, Kälte). Eine a) Br
CHg
Seitenketten-Substitution läuft über Radikale
und benötigt meistens höhere Temperaturen H
sowie UV-Strahlung: SSS (Seitenkette, Sie- b)
I

c -Br
dehitze, Sonnenlicht). ln Bild 1 sind diese Be- + I + HBr
dingungen am Beispiel der Halogenierung sss H
von Toluol erkennbar, wobei der Weg a) die Bromphenylmethan
Kernsubstitution und Weg b) die Seitenketten-
substitution darstel lt. Bild 1: KKK- und SSS-Regel

Eine an den Benzolring gebundene Alkylgrup-


pe kann mit üblichen Oxidationsmitteln, wie
Kaliumpermanganat KMnOo oder Kaliumdi- CHg cooH
chromat KrCrrO, zu einer Carbonsäure-Gruppe KMnO¿
(Carboxyl-Gruppe) oxidiert werden (Bild 2).
Voraussetzung ist, dass das am Benzolring ge- Toluol Benzoesäure
bundene C-Atom mindestens ein Wasserstoff- c H2CH3 cooH
atom trägt. ->
K2CI2O1, H+
Weitere Veränderungen der Seitenkette kön-
nen durch Substitutionsreaktionen. aber auch HCH3 cooH
Oxidationen und Eliminierungen vorgenom-
-----------+
CHs
men werden. Bild 3
zeigt wichtige mono- ,neta-Ethyl¡sopropylbenzol
meta-Benzol-
dicarbonsäure
substituierte Benzolderivate sowie deren Be-
nennung. Bild 2: Oxidationsprodukte von Alkylseitengruppen

Die Alkylierungs-Reaktionen nach Friedel-Crafts ermöglichen die Alkylierung von Aromaten


in einer elektrophilen aromatischen Substitution unter Mitwirkung einer Lewis-Säure als
Katalysator,
Die Halogenierung von Alkylbenzolen mithilfe von Katalysatoren und gemäßigten Tempe-
raturen führt zu Zweitsubstitutionsprodukten am Benzolkern (K-K-K-Regel: Kern-Katalysator-
Kälte).
Wird die Halogenierung von Alkylbenzolen mit erhöhten Temperaturen und UV-Licht durch-
geführt, findet eine radikalische Substitution an der (Seiten)-Alkylkette des Benzols statt
(S-S-S-Regel: Seiten kette-Siedeh itze-Son nen icht). I

a) bl

G
Br Noz ocHs so3H
C:N
Brombenzol Nitrobenzol Methoxybenzol Benzolsulfonsäure Benzonitril
Anisol
o o
il il
cHs OH NHz c c
H OH

Methylbenzol Hydroxybenzol Aminobenzol Benzaldehyd Benzoesäure


Toluol Phenol Anilin

Bild 3: Nomenklatur monosubstituierter Benzole


102
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindun gen

3.2.3 Zweit- und Mehrfachsubstitution


An dieser Stelle ist es notwendig. die Nomen- CHz-
klatur-Regeln für substituierte Benzole darzu- Phenylrest Benzylrest
stellen. Einige monosubstituierte Benzole (s.
Bild 3a, S. 102) werden durch Nennung des H2Ct

Substituenten und der Endung ,,-benzol" be- o


nannt. Die in Bild 3a auf S. 102 unter den Struk-
Chlorphenylmethan Diphenylether
turformeln stehenden Namen können auch
verwendetwerden. Die Benzolverbindungen in
Bild 3b auf S. 102 beginnen mit den Wortteilen cH2ocH2
Benz-, Benzo-, Benzoe- oder Benzol. Daran an- Dibenzylether
hängend wird die funktionelle Gruppe bezeich- CHg
net. lst der Benzolrest CuHu- selbst Substituent, I

cH3cHcH3 cH3cHcH2cH3 cH3ccH3


wird er als Phenylrest bezeichnet, während
C6Hs-CH2 Benzylrest bedeutet {B¡ld 1).

Mit Ausnahme des Methylbenzols (Toluol)


können alkylsubstituierte Benzole als phenyl- 2-Phenylpropan 2-Phenylbutan 2-Methyl-
lsopropylbenzol sek-Butylbenzol 2-phenylpropan
substituierte Alkane oder als alkylsubstituierte ferf-Butylbenzol
Benzole bezeichnet werden (B¡ld 1).
Bild 1: Nomenklatur für Phenyl- und Benzylreste
Die Benennung zweifach substituierter Ben-
zole kann entweder durch Ziffern oder durch
die Präfixe (Vorsilben) ortho (ol, meta (ml und
I
para (pl erfolgen. 1 1 1

6 2 6 2
Sind zwei gleiche Substituenten benachbart,
stehen sie in orfho-Stellung (1,2-Stellung) zu- 5 3 5
Br
5
4
3

einander. Befinden sie sich in 1,3-Stellung, so I


spricht man von meta-, bei 1, -Stellung von 1,2-Dibrombenzol 1,3-Dibrombenzol 1,4-Dibrombenzol
para (Bild2). ôDibrombenzol m-Dibrombenzol p-Dibrombenzol

Bei verschiedenen Substituenten erfolgt die Bild 2: ortho-, meta-, para-Stellung


Reihenfolge alphabetisch. Der erste angege-
bene Substituent erhält die Ziffer 1, der zweite
die kleinstmögliche Ziffer. a) NO, b)
NHz Br
Auch Trivialnamen können mit in die Bezeich-
nung einbezogen werden. Für 1-Chlor-2-me- 3 4
NO,
thylbenzol kann die Bezeichnung 2-Chlortoluol
oder o rtho-Chlortoluol verwendet werden. cl
2-Amino-4-chlor-1 -nitrobenzol 5-Brom-2-nitrotoluol
Zu 1-Amino- -nitrobenzol kann man auch 4- Í
Nitroanilin oder para-Nitroanilin sagen. NH:
Wenn am Benzolring mehr als zwei Substitu-
6
enten vorhanden sind, werden ihnen die Zif- Noz I
fern zugeordnet, welche die niedrigste Beziffe- ct
rung ergibt. Die Substituenten werden dann in 4-Brom-1 -chlor-2-nitrobenzol 2-Ethyl-4-iodanilin
alphabetischer Reihenfolge genannt (Bild 3a).
cl CI
Auch hier kann wieder der Trivialname mit ein- 4 Br
3
bezogen werden, wenn der namensgebende 2
5

Substituent die Ziffer 1 erhält. Die Bezifferung b 2


ozN
der anderen Substituenten muss möglichst 1

Br OH
klein sein. lhre Nennung erfolgt alphabetisch -Brom-4-chlor-2-nitrobenzol
1 3-Brom-4-chlorphenol
(Bird 3b).
Bild 3: Nomenklatur mehrfach substituierter Benzole
103
3 Reaktionen o anischer Prä rate

Wird an einem monosubstituierten Benzol eine zweite Substitution durchgeführt, dann können
d rei Su bstitutionsprod ukt e (o rth o-, m eta-, pa ra-P r odukt) entstehen.

Wegen der ,,doppelt vorhandenen" o- und m-Stellungen sollte die Verteilung der Produktausbeu-
ten theoretisch immer 4QV" ortho-,40o/o meta- und 20 V" para-Produkt sein. Tatsächlich findet
man völlig andere Ergebnisse (Tabelle 1). Bei der Nitrierung von Benzoesäure entsteht zum Bei-
spiel 19 o/o ortho-,80/" meta- und 1lo para-Nitrobenzoesäure, während die Produkt-Verteilung
bei der Nitrierung von Methylbenzol o:m:p = 59:4:37 ist. Offensichtlich hat der Erstsubstituent
einen Einfluss auf den Ort der Zweitsubstitution.
Entscheidend ist der langsame, geschwin-
digkeitsbestimmende Schritt der Bildung des
Carbokations. Alle Substituenten, die tenden-
ziell Elektronen an den Benzolring abgeben,

E stabilisieren das Carbokation. Sie werden ak-


tivierende Substituenten genannt. Umgekehrt
ziehen desaktivierende Substituenten Elektro-
Verbindung

Benzoesäure
o/o

19
o' Vo

80
m- Vo P'
1

nen aus dem Benzolring heraus. Methylbenzol (Toluol) 59 4 37


Ein Substituent kann grundsätzlich zwei elekt- Hydroxybenzol (Phenol) 40 0 60
ronische Effekte auf seine Umgebung ausüben:
den induktiven und den mesomeren Effekt. N itrobenzol 6 93 1

Beide Effekte können jeweils in zwei Richtun- Chlorbenzol 30 1 69


gen wirken. Es können entweder vom Substi- Brombenzol 37 1 62
tuenten Elektronen aus einem Molekülsystem
herausgezogen werden, dann spricht man
von einem negativen induktiven oder negativen mesomeren Effekt (-I bzw. -M). ,,Schiebt" ein
Substituent Elektronen in ein Molekülsystem, handelt es sich um einen positiven induktiven oder
mesomeren Effekt (+I bzw. +M).
Alle Substituenten am Benzolring, die stärker elektronegativ als ein Wasserstoff-Atom wirken,
ziehen Elektronen der angrenzenden ø-Bindungen vom Benzolring weg. Dieser -I-Effekt tritt
vor allem bei Halogen-Atomen und bei Substituenten auf, deren Stickstoff- oder Sauerstoff-
Atome direkt an den Benzolring gebunden sind. Substituenten mit -I-Effekt desaktivieren den
Benzolring.

Die Wasserstoff-Atome von Alkyl-Gruppen bzw. die Alkyl-Gruppen selbst geben teilweise
Elektronen an die sie umgebenden Molekülgruppen ab. Dieser +I-Effekt erhöht zum Beispiel im
Benzolring die Elektronendichte und führt zur Stabilisierung des Carbokations. Substituenten mit
+I-Effekt aktivieren den Benzol ri ng (s. F ri ede I - Crafts- Alkyl ieru n g ).
Substituenten wie -NHr, -OH, + +
-OCH3 oder Halogene, die
über mindestens ein freies
Elektronenpaar verfügen, kön- e <----+ t e +--+
nen dieses teilweise dem Ben-
zolkern zur Verfügung stellen
und einen mesomeren Elek- _J-\
tronenschub ausüben. Die- lo q ot o ot
-to / ol o
+/- \+-N /91
I

ser +M-Effekt ist anhand des +r/ +


-\+ N
Beispiels Methoxybenzol mit
mesomeren Grenzstrukturen + t
dargestellt (Bild 1). Die Pfeile € € € ê
deuten die Verlagerung der
Elektronen an. Substituenten
mit +M-Effekt wirken auf den
Benzolkern aktivierend. Bild 1: Mesomere Grenzstrukturen von +M- und -M-Effekt
104
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen

Die genannten Substituenten üben gleichzeitig einen -I-Effekt aus. Ob ein Substituent auf den
Benzolring aktivierend oder desaktivierend wirkt hängt letztlich davon ab, welcher der beiden
Effekte stärker ist.

Der -M-Effekt ist mithilfe der mesomeren Grenzstrukturen des Nitrobenzols dargestellt (Bild 1,
S. 104). Bei dieser Verbindung wirken beide Effekte in die gleiche Richtung: Es werden Elekt-
ronen eus dem Benzolsystem gezogen. Die Nitro-Gruppe wirkt deshalb extrem desaktivierend.
Der -M-Effekt tritt bei Substituenten auf, die ø-Bindungen in Konjugation zu den ru-Bindungen
des Benzolringes besitzen oder eine positive Ladung tragen,

ln Bild 1 sind häufig vorkommende Substituen-


ten bezüglich ihrer aktivierenden bzw desakti- _ NHR stãrk
vierenden Wirkung aufgelistet. Aus der Liste -OR aktívierend
geht hervoç dass es drei Gruppen von Sub- ofi
stituenten gibt: cc
.qÊ å¡
. aktivierende Substituenten, sie dirigieren ei- .>6
!€ _ÈE
od; _R
nen zweiten Substituenten vorzugsweisê in schwach
-Ar âkt¡viêrsnd àE
die ortho- und para-Stellung.
-CH:CHR
. schwach desaktivierende Substituenten, sie +
-H Bezugs-Substituent

dirigieren einen Zweitsubstituenten eben- _F schwach


-Br
_I
falls überwiegend in die ortho- und para- -ct dssaktiv¡srend

Stellung. o o
il il
. desaktivierende Substituenten, sie dirigieren o_ -cH -coH
einen Zweitsubstituenten in rnefa-Stellung, n o
ot il
måßi9
õ9 il

Die Substituenten, die zu den ersten beiden


CR
- cct
G o
E
GO o
Gruppen gehören, nennt man Substituenten Ø= o o
ۯ o
L Ordnung. Die drifie Gruppe trägt die Be- il
E
zeichnung Substituenten 2. Ordnung.
_ NHR2
so3H
Zum Verständnis der o-, p- bzw. m-Orientie-
- +
+
NRs
6tark
- NHs -
rung von Zweitsubstituenten müssen für jeden
Substitutionsort die entsprechenden carboka-
tion ischen Zwischenstufen betrachtet werden. Bild 1: Aktivierende und desaktivierende
Substituenten
ln Bild 2 sind die mesome-
ren Grenzstrukturen der Me-
thoxy-Gruppe, ein Substituent Y
1. Ordnung, der einen +M- ortho
Effekt ausübt, zu sehen. e ê H
e
relat¡v stabil
Es lassen sich vier mesomere locH3
Grenzstruktu ren der Zwischen-
+ Y* meta
>
ê +
e
stufen, die zu einer ortho- oder
para-Substitution führen, for- +
Methoxy-
mulieren. Dazu ist die jeweils benzol
vierte Grenzstruktur in Ver-
gleich zu allen anderen relativ +--+ e e
+
stabil, da alle Atome über ein
Elektronenoktett (bzw. beim relat¡v stab¡l
Wasserstoff ein Duett) ver-
fügen. Daher sind alle Erst- Bild 2: Carbokationische Zwischenstufen des Methoxybenzols
substituenten, die dem Benzol-
ring durch einen +M-Effekt Elektronen zuführen, ortho-bzw. para-dirigierend,
105
3 Reaktionen o nischer Prä rate

Substituenten mit -M-Effekt,


welche eine Mehrfachbindung am tõ.
\+ ,/
ot tõ
\+
of
in Konjugation zum Benzolring wen¡gsten N N
stab¡l
oder eine positive Ladung am ortho H H.- H
direkt an den Benzolring ge- +
bundenen Atom aufweisen,
entziehen diesem teilweise ot l-o ol
\+ //-
lo\+,/- ol ol
Elektronen. Das führt zur Des- NN
aktivierung des Benzolrings + +
und zu mesomeren Grenz- Y <__+ Y <__+

strukturen der carbokationi- + H


schen Zwischenstufe. Diese
sind in ortho- und para-Stel-
Nitro-
benzol

\+ 0i tõ
\ N+/' ot ro
\+./-
of
N
lung am wenigsten stabil. Das
stabilste Carbokation bildet
sich dann, wenn ein Elektro- e e
t am
phil in der meta-Stellung an- wenigsten
stabil
greift (Bild 1).
Bild 1: Carbokationische Zwischenstufen des Nitrobenzols

Alle Substituenten, die dem Benzolring Elektronen entweder durch +M- oder +I-Effekt zur
Verfügung stellen, sind Substituenten 1. Ordnung und wirken aktivierend sowie ortho- und
para-dirigierend. Die Halogene desaktivieren den Benzolring, weil sie elektronenziehend wir-
ken (-I-Effekt). Durch ihren stärkeren +M-Effekt dirigieren sie aber Zweitsubstituenten in die
Position ortho und para.
Substituenten, welche die Elektronendichte im Benzolkern durch -I- und -M-Effekt senken,
sind Substituenten 2. Ordnung und wirken mefa-dirigierend.

Bei einer Zweitsubstitution, bei der ein Substi-


tuent 1. Ordnung bereits vorhanden ist, ent-
CHs c H3
O2
stehen immer ortho- und para-Produkte. (HzSO¿),
Theoretisch sollten 67 Yo ortho- und 33 o/" pa- + HNO." +
-HzO
ra-Produkt entstehen. Wie aus Bild 1, S. 104
Toluol 61 V"
hervorgeht, findet eine Verschiebung des o/p- o-Nitrotoluol Noz
Verhältnisses zugunsten des para-Produktes 39%
vom Toluol (61 %139/ol zum terf-Butylbenzol p-N¡trotoluol
(18%182 %)statt.
CH zCHs CH zCHg
Der Grund dafür liegt in einer sterischen Hin- N
(H2so4))
derung der ortho-Positionen, das heißt, je + HNoo" +
mehr Raum der Erstsubstituent einnimmt, des- -Hzo
to weniger Platz hat ein Zweitsubstituent an Ethyl- 50%
der ortho-Stellung. benzol o-Ethyl- Noz
nitrobenzol 50%
p-Ethyl-
ln Bild 2 dirigiert die wenig voluminöse Me- nitrobenzol
thyl-Gruppe des Toluols die Nitro-Gruppe zum
überwiegenden Teil in die orff¡o-Stellung (61 % c(cH3)3 CH¡)¡
o-Produkt). Während die Nitro-Gruppe durch Noz
die raumerfüllende ferf.-Butyl-Gruppe stark in (Hzso¿),
+ HNo" +
die para-Position (82 % p-Produkt) gezwungen -HzO
wird. tert- 18 o/"
Butyl- o-terf-Butyl- Noz
ln den folgenden Beispielen werden einige benzol nitrobenzol 82%
Synthesewege gezeigt, wie gezielt Substituti- p-ferf-Butyl-
n¡trobenzol
onsprodukte des Benzols dargestellt werden
können. Bild 2: Beíspiele für das ortho-lpara-Yerhältnis
106
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen

Beispiel 3.1: Herstellung von p-Nitroanilin


Aus Benzol soll in mehreren Stufen p-Nitroanilin dargestellt werden.
Lösung:
Zuerst muss Benzol nitriert werden, um im zweiten Schritt die Aminogruppe durch Reduktion
der Nitrogruppe zu erhalten. Da die Aminogruppe ein Substituent 1. Ordnung ist, dirigiert
sie die Nitrogruppe nach ortho und para. Ein Problem ist die stark oxidierende Wirkung der
Salpetersäure. Sie würde einen Teil des Aminobenzols oxidativ zerstören und die Aminogrup-
pe -NH, zum -NHr* protonieren. Diese protonierte Aminogruppe dirigiert aufgrund ihrer po-
sitiven Ladung Zweitsubstituenten überwiegend in die meta-Stellung (s. S. 105). Um dieses
zu verhindern, muss die Aminogruppe mit einer Schutzgruppe versehen werden. Zu diesem
Zweck lässt man die Aminogruppe mit Ethansäureanhydrid zu Acetanilid reagieren. Danach
kann die Nitrierung in der ortho- bzw. der gewünschten para-Stellung erfolgen. Die Acetyl-
Gruppe CH3CO- kann dann wieder mithilfe von Säure und Wasser in der Wärme abgespalten
werden (B¡ld 1).

HO
Noz NHz
ttl
N-C- CH3
+ HNO3 . ZnlHCl + (CHgGOlzO
(H2S04) - Hzo - cH3cooH
Nitrobenzol Aminobenzol Acetanilid
- ->
HO
NHz
til
N-C CH.
H2O/H" + HNO3
- cH3cooH (H2504)
N
p-Nitroanilin p-Nitroacetanilid

Bild 1: Herstellung von p-Nitroanilin

Beispiel 3.2: Herstellung von 1-Amino-3-brombenzol


Aus Benzol soll in mehreren Stufen 1-Amino-3-brombenzol dargestellt werden.
Lösungl
Der erste Schritt ist eine Nitrierung. Sie ist notwendig, um den Zweitsubstituenten Brom in
die 1,3-Stellung (metal zu bringen. Die Nitro-Gruppe dirigiert als Substituent 2. Ordnung das
Brom bei der Bromierung in die meta-Position. lm dritten Schritt muss die Nitro-Gruppe mit
dem Wasserstoff, der aus Zink und Salzsäure entsteht, reduziert werden,

Noz Noz NHz


-_
+ HNO3
(H2S04)
.
+ Bt2lFe ZnlHCl
----------------+
- HBr - Hzo

Br Br
Nitrobenzol 1-Brom-3-nitrobenzol 1-Amino-3-brombenzol

Bild 2: Herstellung von 1-Amino-3-brombenzol

107
3 Reaktionen organischer Präparate

Beispiel 3.3: Herstellung von 4-Propylbenzolsulfonsäure


Aus Benzol soll in mehreren Stufen -Propylbenzolsulfonsäure durch geeignete Reaktionen
dargestellt werden.

Lösung:
Da die Propyl-Gruppe endständig am Benzolring gebunden werden soll, kommt die Friedel-
Crafrs-Alkylierung wegen der zu erwartenden lsomerisierung nicht in Betracht. Deshalb
kann zuerst eine Friedel-Crafts-Acylierung mit Propansäurechlorid durchgeführt werden,
bei der Ethylphenylketon entsteht. lm Anschluss daran reduziert man die Keto-Gruppe nach
Clemmensen und erhält Propylbenzol. lm dritten Schritt erfolgt die Sulfonierung mit kon-
zentrie rter Schwefelsä u r e zur 4-P r opyl benzolsu lfonsä u re.

o
o il
tl ccH2cH3 cH2cH2cH3 cH2cH2cH3
+ CH3CH2CCI. Zn(Hg) . + H2SO..
Atct3 HCt
HO3S
-
- Ethylphenylketon Propylbenzol p-Propylbenzolsulf onsäure

Bild 1: Synthese von 4-Propylbenzolsulfonsäure

Beispiel 3.4: Herstellung von m-Nitrobenzoesäure


Aus Benzol soll in mehreren Stufen m-Nitrobenzoesäure dargestellt werden

Lösung:
Zunächst muss die Nitrierung durchgeführt werden, um einen m-dirigierenden Erstsubstitu-
enten einzuführen. lm zweiten Schritt erfolgt eine Friedel-Crafrs-Alkylierung mit Chlormethan,
bei der rn-Nitrotoluol entsteht. Nach der Oxidation der Methyl- zur Carbonsäuregruppe liegt
m-N itrobenzoesäu re vor.

Noz Noz
+ HNO3 . + CH"CI KMnOa
(H2S04) (Alcl3)
- Hzo

- cHs -' cooH


Nitrobenzol m-Nitrotoluol m-N¡tro-
benzoesäure

Bild 2: Synthese von m-N¡trobenzoesäure

Kommt ein dritter Substituent ins Spiel, dann müssen die dirigierenden Effekte beider bereits
vorhandener Substituenten berücksichtigt werden.
108
3.2 Reaktionen aromatischer Verbindungen

Leicht vorhersagbar sind solche Reaktions-


produkte, bei denen beide Substituenten den CH 3
eintretenden Substituenten in die gleiche o2
Stellung dirigieren, wie zum Beispiel in Bild 1. + HNO3 .

Sowohl die Nitro- als auch die Methylgruppe (H2S04)


dirigieren die eintretende Nitrogruppe in die
mit roten Pfeilen gekennzeichneten Positionen. Noz Noz
p-Nitrotoluol
- 2,4-Din¡trotoluol
Bei der nächsten Reaktion in Bild 2 werden
drei Stellungen aktiviert (blaue Pfeile und Bild 1: Drittsubstitution zum 2,4-Dinitrotoluol
roter Pfeil) aber nur zwei da-
von kommen als Substituti-
onsort in Frage. Die mit dem H3
roten Pfeil markierte Position ozN
+ HNO"
ist sterisch gehindert, deshalb +
(H2SO4l
erfolgt an dieser Stelle keine ct cl cl
Substitution, obwohl diese
durch die Methylgruppe akti-
viert ist. m-Chlortoluol 5-Chlor- 3-Chlor-
2-nitrotoluol 4-n¡trotoluol

Sind zwei Substituenten vor- Bild 2: Sterische Hinderung bei der Drittsubstitution
handen, von denen jeder in
eine andere Stellung dirigiert, wie zum Bei-
spiel die OH-Gruppe und die Methyl-Gruppe OH
des p-Methylphenols (Bild 3), dann bestimmt Br
hauptsächlich der stärker aktivierende Erst- + Br2 Fe
---------+
substituent (OH-Gruppe) den Ort des neuen
Substituenten.
p-Methylphenol 2-Brom-
Aktivieren die beiden Substituenten den Ben- 4-methylphènol
zolring ähnlich stark, wie zum Beispiel eine (Hauptprodukt)
Methyl- und eine Ethyl-Gruppe, entsteht ein
Produktgemisch. Bild3: 2-Brom-4-methylphenol

3.2.4 Reaktionen von D¡azoniumverbindungen


Wird Aminobenzol mit Natriumnitrit NaNO, und Salzsäure bei 0 bis 5 "C umgesetzt, entsteht eine
salzartige Verbindung mit dem Namen Benzoldiazoniumchlorid (B¡ld 4). Die eigentlich für diese
Reaktion benötigte salpetrige Säure ist instabil und muss deshalb während der Reaktion aus ei-
nem Nitrit und einer Säure gebildet werden.

Das gebildete Benzoldiazo-


niumchlorid ist nur bei 0 bis
5'C beständig, sollte aber
+
N=N Cl- Nu
ohne lsolierung des Produkts
weiterverarbeitet werden. Die NaNO2, HCI . + Nu-
+ Nrl + Cl-
Benzoldiazon iu m-Verbind u n- 0'c -----)
gen eröffnen einen Weg zur
nucleophilen Substitution am Amino- Benzoldiazonium-
Aromaten. Der Grund dafür benzol chlorid
liegt in der leichten Abspalt-
barkeit der -N=N*-Gruppe Bild4: Benzoldiazoniumchlorid
zum sehr stabilen Stickstoff N2
(B¡ld 4). An dem als Zwischenverbindung auftretenden Phenylkation oder Phenylradikal kann ein
negativ geladenes Nucleophil Nu- oder ein radikalisches Nucleophil .Nu angreifen.
109
3 Reaktionen nischer rate

Diese Art der radikalischen Substitution läuft mit den Nucleophilen Cl-, Br- und CN- ab, wenn ein
passendes Kupfer(l)-Salz an der Reaktion teilnimmt. Die Reaktionen von Benzoldiazoniumsalzen
mit Kupfer(l)-Verbindungen sind nach Traugott Sandmeyer (schweiz. Chemiker, 1854 bis 1922)
als Sandmeyer-Reaktion benannt. Man nimmt an, dass das Kupfer(l)-lon ein Elektron an das
Diazonium-lon abgibt, wobei ein Stickstoffmolekül und ein Phenylradikal gebildet werden:
Cu* + [Ph-N-N]* + Cu2* + Ph. + N,
Das angreifende Chlorid-lon bindet sich an den Phenylrest unter Abgabe eines Elektrons an das
LU

Das entstandene Cu*-lon steht dann wieder zur Elektronenübertragung zur Verfügung.
Cl- + Ph. + cu2* -+ Ph-Cl + Cu*

Bild 1 zeigt drei Reaktionsschemata von Sand- +


meyer-Reaklionen. Der VorteÌl der Sandmeyer- N:N CI_ cr
Reaktion ist die gezielte Substitution an ei-
ner ganz bestimmten Stelle des Benzolringes. CuCl
+ N21
Während zum Beispiel die Chlorierung von --------------+
Ethylbenzol mittels Aluminiumchlorid or- Benzoldiazonium- Chlorbenzol
fho- und para-Produl<le ergibt, liefert eine chlorid
Chlorierungsreaktion nach Sandmeyer nu( p- +
Chlorethylbenzol, wenn man von p-Ethylanilin N=N Cl- cr
ausgeht.
CuBr
----------------+ + N21
Manchmal ist es notwendig, eine bestimmte
Position am Benzolring als Platzhalter zu beset-
cH2cH3 cH2cH3
zen. Das kann eine Nitro-Gruppe sein. Um die p-Ethylbenzol- p-f -Chlor-4-
Nitro-Gruppe später gegen Wasserstoff auszu- diazoniumchlorid ethylbenzol
tauschen, wird sie zunächst zur Amino-Gruppe
reduziert, Anschließend findet die Diazotie- +
N=N CI_ c:N
rungsreaktion zum Diazonium-Salz statt. Ein
Reduktionsmittel, meistens hypophosphorige CUC=N
Säure HrPOr, wird zur Reduktion der Diazoni- -------------J + N21

um-Gruppe zum elementaren Stickstoff ver- Br Br


wendet. Die Phosphinsäure (alte Bezeichnung: rn-Brombenzol- m-Brombenzonitril
diazon iu mchlorid
hypophosphorige Säure) HrPO, wird dabei zur
Phosphonsäure (früher: phosphorige Säure) Bild 1: Sandmeyer-Reakt¡onen
H.PO. oxidiert:
Ph-N-N* + H3PO2 + HrO --+ PhH + N2 + H3PO3 + H*

Das positiv geladene Benzoldiazoniumkation [Ph-N=N]* kann als Elektrophil fungieren. Es


kuppelt daher mit stark aktivierten Benzolderivaten wie Phenolen, Aminobenzolen, N- und lV,lV-
substituierten Alkylaminobenzolen. Der Reaktionsmechanismus entspricht dem der bereits be-
schriebenen elektrophilen Substitution am Aromaten. Als Produkte entstehen Azoverbindungen.

Aufgrund der Azo-Gruppe (-N:N-), die sich zwischen zwei Benzolresten CuHu befindet, kommt
es zu einer stärkeren Delokalisierung aller n-Elektronen, welche leicht anregbar sind. Diese An-
regung der ø-Elektronen erfolgt mit elektromagnetischer Strahlung des sichtbaren Bereichs.
Deshalb sind Azoverbindungen farbig. Sie werden als Farbstoffe eingesetzt.

Bild la, S. 111, zeigt eine Kupplungsreaktion des Benzoldiazonium-lons mit einem N,N-substi-
tuierten (d. h. beide Methyl-Gruppen sitzen am Stickstoff) Dimethylaminobenzol (A/,lV-Dimethyl-
anilin), die als elektrophile aromatische Substitution abläuft. Auch am stark aktivierten Benzol-
ring des Phenols (Hydroxybenzol) findet die Kupplungsreaktion statt (Bild 1b, S. 111).
110
3,2 Reaktionen aromatischer Verbindungen

Diazoverbindungen sind a) lN(CHg)z lN(CH3)2


durch große Reaktions-
fähigkeit ausgezeichnete + N=N+ ---------+
stickstoffhaltige aromati-
sche Verbindungen, mit Benzoldiazonium-lon
NI
welchen eine Sandmeyer-
Reaktion oder andere Kupp- MN.Di- II H*
methylanílin
lungsreaktionen durchge-
führt werden können. r-lV,/V-Dimethyl-
aminoazobenzol
b) oH OH
Phenol ist ein wichtiges Zwi-
schenprodukt für einige Syn- :N
+ ---------)
ñ:ñ +H+
thesewege. Beim Phenol ist
die OH-Gruppe direkt an den Phenol Benzoldiazonium-lon 2-Hydroxyazobenzol
Benzolring gebunden. Es re-
agiert mit einem pKs-Wert von Bild 1: Kupplungsreaktionen
etwa 10 zunächst deutlich sau-
rer als Wasser oder aliphatische Alkohole. Die Begründung für diese Tatsache liegt in der Me-
someriestabilisierung des Phenolat-lons. Beim Wasser bzw. bei aliphatischen Alkoholen ist ein
mesomeriestabilisiertes Anion nicht möglich.

ln Bild 2 sind die mesomeren Grenzstrukturen


des Phenolat-lons dargestellt. Hier ist eine re- ol /O\ /O\ /O\
ale Ladung bereits vorhanden, die im Benzol-
ring lediglich verschoben wird, so dass der
doppelt gebundene Sauerstoff erhalten bleibt (:----) (:----) €
und damit eine stabile Anordnung bildet.
Das Phenolat ist wegen seinerSalzeigenschaft Bild 2: Mesomeriestabilisierung des Phenolat-lons
im Gegensatz zum Phenol gut wasserlöslich.
Stärkere Säuren als das Phenol übertragen Protonen
auf die Phenolat-lonen, so dass Phenol entsteht. Elek-
tronenziehende Substituenten, wie zum Beispiel Nitro- Verbindung PKs
Gruppen, bewirken am Phenol eine Steigerung der
Säurestärke (Tabelle 1), da die negative Ladung des ent- 4-Methylphenol 1 0.19
stehenden Phenolat-lons besser über die Nitro-Gruppen
Phenol 9,96
verteilt werden kann und damit die Abgabe des Protons
erleichtert. 2-Nitrophenol 7,21

Die Methyl-Gruppe des 4-Methylphenols bewirkt das 2,4-Dinitrophenol 4,09


Gegenteil: Sie schiebt Elektronen in den Benzolkern und
2,4,6-Trinitrophenol 0,29
verstärkt im Benzolkern die negative Ladung, was eine
geringere Mesomeriestabilisierung u nd Säu restärke zur
Folge hat. Die Hydroxy-Gruppe des Phenols aktiviert den aromatischen Ring bei elektrophilen
Substitutionen ähnlich wie eine Amino-Gruppe. Deshalb können alle in Tabelle I genannten
Nitrophenole durch direkte Nitrierung von Phenol erhalten werden.
Kolbe (dT. Chemiker, 1818 bis
1884) und Schmitt (dt. Che-
miker, 1830 bis 1898) nutzten oô-
COONa H
die aktivierende Wirkung der il
125 'c 5 H+
Phenolat-Gruppe. Sie setz- + Cð- ----------+
il - Na+
ten Kohlenstoffdioxid CO, als oô Natriumsal¡cylat Salicylsäure
Elektrophil ein, um eine Car-
boxyl-Gruppe am Phenolat zu
substituieren (B¡ld 3). Bild 3: Kolbe-Schmift-Synthese
111
3 Reaktionen organischer Präparate

Das Produkt dieser technisch


wichtigen Synthese ist Natri- OH-+CHCla Ê H2O+:CCl3- CCl3-----+ Cl-+ :CC12
Chloroform Dichlorcarben
umsalicylat bzw. Sal icylsäure.
H o
Bei der Reimer-Thiemann- + CHC|3, H cHct2
Reaktion reagiert Phenol mit wässr. NaOH
+:CCl2 --+
Chloroform und wässriger Na-
----------------Ð
70'c ctt, ---+
elektrophiles
triumhydroxidlösung bei 70 "C Phenol Reagens
zum 2-Hydroxybenzaldehyd
(Salicylaldehyd, Bild 1 ). o- o- OH
cHct2 cHo HO
+ HzO HCr
Das elektrophile Reagens ist + Cl-
Dichlorcarben :CClr, ein Di- -2HCt
--)
radikal, das unter dem Ein- -} Salicylaldehyd
fluss von Hydroxid-lonen aus Bild 1: Reimer-Thiemann-Reaktion
Chloroform entsteht.
Dichlorcarben ist aufgrund
+Oz J>H-
seines Elektronensextetts ein ----------+ + CHg-C:O
starkes Elektrophil. I

CHs
Die gebildete -CHClr-Gruppe CHs
- -H cH3-c -ooH OH
Phenol Aceton
am Phenolat wird durch die CHs CHg
I

wässrige Natronlauge zur Al- Cumol Cumolhydroperoxid


dehyd-Gruppe -CHO hydro-
lysiert. Bild 2: Phenol-Synthese nach dem Hock-YerÍahren

Phenol kann man durch Hydrolyse von Diazonium-Salzen gewinnen:


C6H'-N2* + H2O + CoHs-OH + N, + H*
Ei n großtechnisches Verfah ren
(Cumol- oder Hock-Verfahren)
@rrua. #;+ @ot
cl
+ NaOH, -
zur Herstellung von Phenol 360 "C,300 bar
geht von lsopropylbenzol (Cu- Chlorbenzol Natriumphenolat Phenol
mol) aus. Cumol wird durch
Luftsauerstoff zu Cumolhydro- Bild 3: Phenol aus Chlorbenzol
peroxid oxidiert, welches dann
mit Säure zu Phenol und Aceton zerlegt wird (Bild 2). Das zweite Verfahren, um großtechnisch
Phenol herzustellen, besteht in einer nucleophilen Substitution, wobei das Chlor des Chlor-
benzols durch eine Hydroxy-Gruppe substituiert wird (B¡ld 3).

Phenol ist eine wichtige Ausgangschemikalie für Synthesen und wird überwiegend nach dem
Hock-Yerlahren hergestellt. Phenol ist eine schwache Säure und dirigiert Zweit-Substituenten
in die ortho- oder para-Stellung.

3.2.5 Nucleophile aromat¡sche Substitution


Das Beispiel in Bild 3 zeigl,
dass für nucleophile Substi- cr OH
tutionen am Aromaten (Ab- Noz
+ OH-/r00'C
Noz
kürzung: S¡lAr) oft drastische + Cl-
Reaktionsbedingungen nötig,
weil die n-Elektronenwolke Noz Noz
des Benzolrings die Annähe- 2,4-Dinitrochlorbenzol 2,4-Dinitrohydroxybenzol
rung eines Nucleophils ver-
hindert. Bild 4: ErleichterteSrAr-Reaktion
112
3.3 Substitution und Eliminierung

Weißt jedoch das Arylhalogenid einen oder mehrere elektronenziehende Substituenten


auf, wird die S¡Ar-Reaktion erleichtert (B¡ld 4,5.1121. Die nucleophile Substitution des Chlors
durch die Hydroxy-Gruppe gelingt aufgrund der vorhandenen, elektronenziehenden Nitro-Grup-
pe schon bei 100'C.

Der S*Ar-Reaktionsmechanismus verläuft in zwei Schritten (B¡ld 1). Zuerst greift das Nucleophil
das Kohlenstoffatom an, an welchem die Abgangsgruppe gebunden ist. Dieser nucleophile An-
griff führt zur Bildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions. Die nicht isolierbaren Zwischen-
stufen der nucleophilen aromatischen Substitution werden als Meisenheimer-Komplex-analoge
Zwischenverbindungen bezeichnet. Stabile, isolierbare Carbanionen dieses Strukturtyps werden
Meisenheimer-Komplexe genannt (J. Meisenheimer, dt. Chemiker, 1876 bis 1934).

+
langsam
---------------- <-----+ €L <----+
schnell

---=+
+X- E
Noz Noz Noz Noz
_o/ -o,,N<l
o-
Bild 1: Reaktionsmechanismus einer S¡Ar-Reaktion

Die Abgangsgruppe verlässt im zweiten Schritt das Carbanion, wobei der aromatische Zustand
zurückgebildet wird. Man spricht von einem Additions-Eliminierungs-Mechanismus.

Bei einer nucleophilen aromatischen Substitution muss das angreifende, verdrängende Nucle-
ophil stärker basisch sein als die Abgangsgruppe. Außerdem muss der elektronenziehende Sub-
stituent in o- oder p-Stellung zum Ort des nucleophilen Angriffs stehen, weil nur dann die Ein-
beziehung des Nucleophils in die Delokalisierung der negativen Ladung wirksam werden kann.

Bei der Reaktion von Chlorbenzol mit Natrium- H H


amid NaNH, in flüssigem Ammoniak bei H
- 40 "C entsteht Aminobenzol. Das Besondere + NH2 ------+ + NH3 + Cl-
an dieser nucleophilen aromatischen Substitu-
tion ist, dass das angreifende Amid-lon nicht H H
nur an die Stelle der Abgangsgruppe -Cl tritt, H H
sondern auch vom benachbarten C-Atom des Chlorbenzol Amidion Benz-in
Benzolringes gebunden werden kann. H
H H NHz
Die einzige Erklärung für diese Beobachtung + +
ist die Entstehung der Zwischenverbindung ---J
Benz-in (Arin, Bild 2). Bei dieser zweistufigen H NHz H

Art der nucleophilen Substitution an Aromaten Benz-in


H
Aminobenzol
erfolgt zuerst die Eliminierung der Abgangs-
gruppe und des Protons unter Bildung der Bild 2: SrAr mit Benzin als Zwischenstufe
Dreifachbindung. Erst im zweiten Schritt findet
dann die Addition des Nucleophils statt (Eliminierungs-Additions-Mechanismus).

Heterocyclische Verbindungen wie Pyridin sind häufiger gegenüber Benzol für elektrophile Subs-
titutionen desaktiviert, während nucleophile Substitutionen am Pyridinring relativ leicht möglich
sind.

3.3 Substitution und Eliminierung


Zwei wichtige Reaktionstypen der organischen Verbindungen sind die Substitutions- und die
Eliminierungs-Reaktionen. Die Voraussetzung für den Ablauf dieser Reaktionen ist ein stark
elektronegaiives Atom oder eine elektronenz-iehende Gruppe, die an einem sp3-hybridisierten
Kohlenstoffatom gebunden ist.
'113
3 Reaktionen organischer Präparate

Bei der Substitution, die genauer als nucleophile Substitution bezeichnet wird, wird ein elek-
tronegatives Atom oder eine elektronenziehende Molekülgruppe durch ein anderes Atom oder
eine Molekü lgruppe ausgetauscht (substituiert).
Bei der Eliminierung wird ein elektronegatives Atom oder Molekülgruppe zusammen mit einem
Wasserstoffatom ei nes benach barten C-Atoms entfernt.
Das Atom oder die Molekülgruppe, die bei der
N ucleo ph
Substitution oder bei der Eliminierung entfernt i I

wird, nennt man Abgangsgruppe, in Bild 1 I ,jgEgg* RCH2GH2Y + X-


RCH2CH2X + Y-
mit X bezeichnet. Ein negativ geladenes lon RCH:CHz+HY+X-
(Anion) oder ein elektronenreiches Molekül Abgangsgruppe
Eliminierung
mit freien Elektronenpaaren wird Nucleophil
(griech. nucleos Kern; philos Freund) genannt. Bild 1: Substítution und Eliminierung

E Greift ein Nucleophil eine Verbindung an, bei


der ein stark elektronegatives Atom oder eine elektronenziehende Gruppe an einem spt-hybri-
disierten Kohlenstoffatom gebunden ist (Abgangsgruppe), so sind, wie in Bild 1 dargestellt, im
Prinzip zwei Reaktionsrichtungen möglich: Substitution und Eliminierung.

Substitutionsreaktionen sind Austauschreaktionen, bei denen Atome oder Molekülgruppen


durch andere Atome oder Molekülgruppengruppen ersetzt werden.
Bei nucleophilen Substitutionsreaktionen greift ein Nucleophil (Anion oder eine Atomgruppe
mit hoher Elektronendichte) ein Atom mit geringer Elektronendichte an und ersetzt dieses.
Eine Eliminierung ist eine Reaktion, bei der Atome oder Molekülteile aus dem Edukt entfernt
werden.

3.3.1 Substitutionsreakt¡onen der Halogenalkane


a)
j' I

Bei Halogenalkanen besteht zwischen dem elektronegativen ---+ - c* +X-


Halogenatom X und dem Kohlenstoffatom eine polare Atom-
L
I
(/
-ux
I

bindung, wobei das Kohlenstoffatom positiv und das Halogen-


I I
atom negativ polarisiert sind. Bezüglich des Reaktionsablaufs t + + Nu ---+ -C-Nu
sind bei nucleophilen Substitutionsreaktionen zwei Grenzfälle I I

denkbar (Bild 2a und 2b):


b)
al Wenn sich das Halogenatom als Halogenid X- vom Kohlen- _..t t_
rNu-+ -:c¡"X ---+ -C-Nu + X-
stoffatom abspalten kann, bleibt ein Carbokation zurück, an
welches sich dann das Nucleophil Nu- bindet (Bild 2a). Dieser \ --./lLl I

Reaktionstyp läuft bevorzugt mit tertiären Carbokationen ab, Bild 2: Schema Sr1 und Sr2
da sie die stabilsten Carbokationen sind (s. S. 86). Der Mecha-
nismus der Reaktion A --+ Produkte verläuft in zwei Schritten. Bei dieser S*l-Reaktion hängt die
Reaktionsgeschwindigkeit nur von der Konzentration des Alkylhalogenids ab. Die Reaktionsord-
nung dieses Reaktionstyps ist eins (1: unimolekular),
b) Das Nucleophil Nu- wird
vom positiv polarisierten C- H
Atom angezogen. ln dem Maß,
t"1.-Br--+
H
"t".
Hoa-- cr-- af
/ + Br-
--t HO-C.
H

wie sich eine Bindung zwischen


dem Nucleophil und dem Koh-
H ..HH
s\ ('H
lenstoffatom bildet, wird die U bergangszusta nd H
Bildung zwischen dem Halo-
genatom X und dem C-Atom Bild 3: Reaktionsmechanismus der S,u2-Reaktion
gelöst. Der Reaktionsablauf
A + B --+ Produkte erfolgt in einem Schritt (Bild 2b). Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt von
der Konzentration beider Edukte ab. Deshalb wird diese Reaktion als S¡2-Reaktion bezelchnet
(2: bimolekular).
114
3.3 Substitution und Eliminierung

Eine typische S¡2-Reaktion ist die Umwand-


lung von Brommethan in Methanol. Das Nuc-
leophil ist das Hydroxid-lon, welches die Rück-
seite des C-Atoms angreift, an dem das Brom l"o'i0.,,'l
L,.Y]
T
(Abgangsgruppe) gebunden ist (Bild 3, S. 144). .9
rs
Der sich nur einen Moment lang bildende, H
U
nicht isolierbare Übergangszustand hängt vom o AG
Zusammentreffen des Nucleophils OH- und
'õ HO- C'"u'H B'
des Brommethans ab. H
\
Die Reaktionsgeschwindigkeit r dieser nucleo- ,----ì
HO- ..,ìC Br
H

philen Substitution SN2 ist als Reaktion 2. Ord- H \", -

nung von den Konzentrationen beider Edukte H


I
abhängig:
r=k.c(CH3Br) .c(OH-)
Reaktionsverlauf +
Der energetische Verlauf der S¡2-Reaktion
lässt sich durch die schematische Darstellung Bild 1: Enthalpiediagramm der Sr2-Reaktion
in Bild 1 darstellen. Dabei wird deutlich, dass
das Erreichen des Übergangszustandes das Maximum der Aktivierungsenthalpie darstellt.
Die S¡2-Reaktion läuft mit der gleichzeitigen Bildung und Lösung jeweils einer Bindung ab.
P. Walden (lit. Chemiker, 1863 bis 1957) entdeckte, dass durch eine Sr2-Reaktion eine Konfigura-
tionsumkehr am Substitutions-Kohlenstoffatom stattfindet. Man spricht in diesem Fall von einer
Walden'schen Umkehr oder lnversion. Stereochemisch betrachtet wird dabei ein Bild in sein
Spiegelbild umgewandelt oder ,,umgeklappt"(s. Bild 1).
S¡2-Reaktionen können durch folgende Faktoren beeinflusst werden:
. die Zahl der Alkylgruppen am Halogenalkan,
. die Abgangsgruppe,
. das Nucleophil,
. das Lösemittel, Reaktion lrel

. sterische Effekte des Nucleophils. OH- + RCH2I --+ RCHTOH + I- 30 000

Werden S¡2-Reaktionen mit Halogenmethan, OH- + RCH2BT --+ RCHTOH + Br 10000


primären Halogenalkanen und sekundären Ha-
logenalkanen durchgeführt, nimmt die Reak- OH- + RCH2CI -+ RCH2OH + Cl- 200
tivität unter diesen Verbindungen in der oben
genannten Reihenfolge ab. Tertiäre Halogen- OH- + RCH2F --+ RCHTOH + F- 1

alkane zeigen keine S¡2-Reaktionen,

Die Ursache für diese Beobachtungen sind sterische Effekte der Alkylgruppen. Das heißt, Alkyl-
gruppen beanspruchen mit steigender Anzahl auch mehr Raum am Substitutions-C-Atom und
behindern zunehmend den Rückseiten-Angriff des Nucleophils. Diese sterische Hinderung ist der
Grund für die Abnahme der relativen Reaktivitäten bei Sr2-Reaktionen.

Bei der Untersuchung des Einflusses der Abgangsgruppe auf den Ablauf einer S¡2-Reaktion zeigt
sich, dass bei den in Tabelle I genannten Reaktionen die Substitution von lod am Iodalkan mit
Hydroxidionen am schnellsten verläuft.
Beim Vergleich der Halogene ist das Iodid-lon die beste und das Fluorid-lon die schlechteste Ab-
gangsgruppe. Das Iodid-lon ist unter den Halogenid-lonen die schwächste Base. Je schwächer
die abgehende Base ist, desto leichter ist ihre Substitution, da sie weniger stark am Kohlenstoff
gebunden ist als eine stärkere Base (2. B. Chlorid). Die Basenstärke des Fluorid-lons bzw. die
Bindungsstärke des Fluor-Atoms zum C-Atom ist so groß, dass Fluoralkane praktisch keine S¡2-
Reaktionen eingehen.
115
3 Reaktionen organischer Präparate

Eine Sr2-Reaktion verläuft umso glatter, je nucleophiler das angreifende Teilchen ist. Hier gibt es
einen direkten Zusammenhang mit der Basenstärke: Stärkere Basen sind bessere Nucleophile.
Die Basenstärke eines lons oder Moleküls lässt sich auch durch Betrachtung der Stärke der jewei-
ligen korrespondierenden Säuren abschätzen. So ergibt ein Vergleich der Säurestärke folgende
aufsteigende Reihenfolge: NH3 < CH3OH = HzO < HF < HI. Die aufsteigende Reihenfolge der
Stärke ihrer korrespondierenden Basen lautet: l- < F- < OH- = CH3O-. NHr-. Das heißt, das Amid-
lon NHr-ist das beste und das Iodid-lon I- das schlechteste Nucleophil.
Diese Reihenfolge gilt in so genannten aprotischen Lösemitteln. Das sind Lösemittel, in denen
alle Wasserstoff-Atome kovalent an Kohlenstoff gebunden sind und dementsprechend nicht oder
nur sehr schwer als Protonen abgespalten werden können. Man unterscheidet sie weiterhin in
aprotisch-unpolar (Beispiele: Alkane) und aprotisch-polar (Beispiele: Aceton, Diethylether).
Ein Beispiel für den Halogenaustausch an einem Halogenalkan stellt die Finkelstein-Reaktion
dar (H. Finkelstein, dt. Chemiker, 1885 bis 1935). Dabei reagiert Natriumiodid NaI in Aceton als
aprotischem Lösemittel vor allem mit primären Chlor- oder Bromalkanen zum Iodalkan. Bei dieser
S*2-Reaktion greift das schlechte Nucleophil I- das Halogenalkan an. Dass diese Reaktion trotzdem
in guter Ausbeute abläuft, liegt an der Gleichgewichtslage der Reaktion. So führt der Umsatz von
Brom- und Chloralkanen mit dem in Aceton löslichen KI problemlos zu den gewünschten Produkten,
da KCI und KBr in Aceton unlöslich sind und deshalb das Gleichgewicht zur Produktseite verschoben
wird. Eine wichtige andere Möglichkeit des Einsatzes der Finkelstern-Reaktion ist die Synthese von
Fluoralkanen durch Erhitzen eines Gemisches aus Halogenalkan und Kaliumfluorid KF.
Protische Lösemittel können
Protonen abspalten und/oder
Wasserstoff-Brücken ausbil- Dielehrizitäts-
den. Beispiele hierfür sind: Lösemittel Forrnel Abfttirzung
konstante e
Wasser, Ethanol, Ammoniak.
Protische
Läuft eine S¡2-Reaktion in die-
sen Lösemitteln ab, so kehrt Wasser HrO 79
sich die Nucleophilie der an- Methansäure HCOOH 59
greifenden Teilchen um. Der Methanol cH30H MeOH 33
Grund ist die Umhüllung der Ethanol cH3cH2oH EtOH 25
Nucleophile mit Lösemittel- ferf-Butanol (cH3)3coH fert-BuOH 6
molekülen, zum Beispiel die Aprotische
Hydratation bei Wassermole- Dimethylsu lfoxid (cH3)2so DMSO 47
külen. Diese Lösemittelhülle Acetonitril cH3cN MeCN 38
schwächt die kernanziehende Dimethylformamid (cH3)2NCHO DMF 37
Wirkung des Nucleophils. Al-
Aceton cH3cocH3 MerCO 21
lerdings kommt es auch darauf
Diethylether c2H5oc2H5 Et2O 4,3
an, wie stark die Lösemittel-
Benzol coHo 2,3
moleküle vom Nucleophil an-
gezogen werden. So werden n-Hexan coHro 1,9
zum Beispiel Wassermoleküle
vom Iodid-lon nicht so stark angezogen wie vom Fluorid-lon. Aus diesem Grund kann sich das
Iodid-lon besser von der Hydrathülle lösen und ist deshalb in Wasser ein besseres Nucleophil als
das Fluorid-lon. ln Tabelle 1 sind einige der wichtigsten Lösemittel mit ihren Dielektrizitätskons-
tanten aufgelistet. Die Dielektrizitätskonstante e ist ein Maß dafür, wie gut ein Lösemittel in der
Lage ist, zwei entgegengesetzte Ladungen zu trennen.
Sterische Effekte beeinflussen die Basenstärke weniger, umso mehr aber werden die nucleophi-
len Eigenschaften von der Ausdehnung des Nucleophils geprägt. Das voluminösere ferf-Buta-
nolat-lon (CH3)3CO- zum Beispiel ist zwar die stärkere Base, aber das bessere Nucleophil ist das
weniger raumfüllende Ethanolat-lon CH3CH2O-.
Wird die Kinetik der Reaktion von 2-Brom-2-methylpropan mit Wasser untersucht, so stellt man
fest, dass diese Reaktion überraschend schnell verläuft. Die Reaktionsgeschwindigkeit des ge-
116
3.3 Substitution und Eliminierung

schwindigkeitsbestimmenden Schritts ist nur von der Stoffmengenkonzentration des 2-Brom-


2-methylpropans abhängig, das heißt, die Reaktionsordnung ist 1. Die Bezeichnung für diese
nucleophile Substitution ist demnach S*1.
ln Bild 1 ist der zweischrittige Reaktionsmechan¡smus der S*1-Reaktion am Beispiel der Reakti-
on von 2-Brom-2-methylpropan mit Wasser dargestellt. lm ersten Schritt löst sich die Bindung
zwischen dem Kohlenstoff- und dem Halogenatom unterAbspaltung eines Halogenid-lons. Dazu
bildet s¡ch ein tertiäres Carbokation. Das Nucleophil, in Bild 1 ist es Wasser, reagiert schnell mit
dem Carbokation unter Bildung eines protonierten Alkohols. Diese protonierte Form liegt bei
sauren pH-Werten, der neutrale Alkohol bei pH = 7 vor.

CHs CHs CHs


l¡ Br
langsam
ÇH,
t,-
CH3C+ +
H2Ol
sch nel I

---------+
l* schnell t_
CH3C-OH + H3Ol*
CH3C

CHs
- I
CHs
Nucleophil "'12?'
cH¡ H*l
t-
CHs

+ Br- tõ H
I

Bild 1: Mechanismus der Srl-Reaktion

Aufgrund des Enthalpiediagramms (Bild 2) zum


in Bild 1 dargestellten Reaktionsmechanismus
wird deutlich, dass der geschwindigkeitsbe-
stimmende Schritt die Bildung des ferf-Butyl- I
o
Carbokations ist. Die relative Stabilität dieses AG CHg

Carbokations kommt durch das erste Minimum sc cH3c*


I

im Enthalpiediagramm zum Ausdruck. Da die r!c I CH¡


Stabilität und die Bildu ngsgeschwindigkeit der .9
o CHs CHs
+ Br-
l-*
Carbokationen vom tertiären zum primären I cH3c- oH
.r.1 Br + H2O CH:
abnehmen, sind tertiäre Halogenalkane bezüg- cH3H I _
oH
lich einer S^1-Reaktion reaktiver als sekundäre CH:
+ Hzo
cH3c
-
Halogenalkane. Primäre Halogenalkane und I

CHs
Halogenmethane sind häufig zu wenig reaktiv, + H-

um eine S¡1-Reaktion einzugehen, da primäre Reaktionsverlauf +


Carbokationen und Methyl-Kationen eine zu
geringe Stabilität besitzen. Bild 2: Enthalpiediagramm der Srl-Reaktion

Die drei Methyl-Gruppen der carbokationischen Zwischenstufe bilden mit dem zentral gelegenen,
positiv geladenen C-Atom ein planares, gleichseitiges Dreieck, was auf eine sp'-Hybridisierung
des positiv geladenen C-Atoms hindeutet. Der Angriff des Nucleophils kann von beiden Seiten
erfolgen. Als Reaktionsprodukt können sowohl die gleiche (Bild 3a) wie auch die umgekehrte
(B¡ld 3b) Konfiguration des Halogenalkan-Moleküls entstehen.

Abgesehen von der Molekül-


struktur des Halogenalkans be- cH2cH3 cH2cH3 c HzC H3
einflussen folgende Faktoren I I

+ H2O ---+
die S^1-Reaktion: .rc('c.H 7 .rcç'c.u,
+
csHrtt';C.. + HBr
. die Abgangsgruppe,
HgC
Br
HsC
OH HO. CHS
. das Nucleophil, 3-Brom-3-methylhexan a) bl
. das Lösemittel. Bild 3: Konfigurationen der S¡1-Reaktion

Die Leichtigkeit, mit der sich ein Halogenatom aus dem Halogenalkan abspalten kann, hängt
wie bei der S*2-Reaktion von seiner Basizität ab. So löst sich die Kohlenstoff-Halogen-Bindung
117
3 Reaktionen organischer Präparate

umso leichter, je größer der Bindungsabstand zwischen Halogen- und Kohlenstoffatom, bzw. je
schwächer die entstehende Base ist, Die Reaktivität unter den Halogenalkanen ist beim Iodalkan
am größten und beim Fluoralkan am geringsten.
Bei den meisten S¡1-Reaktionen ist das Nucleophil gleichzeitig das Lösemittel (Solvolysen).
Das Nucleophil hat aber keinen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit, weil es nicht am
geschwindigkeitsbestimmenden Schritt beteiligt ist. Trotzdem ergeben sich bedingt durch ver-
schiedene Nucleophilie der angreifenden Teilchen Unterschiede beim zweiten Reaktionsschritt.
Dann bevorzugt das Carbokation das schwächste Nucleophil, das die größte Elektronendich-
te aufweist bzw. die schwächste Base ist. Für die Bildung der Zwischenstufe, das Carbokation,
wirkt das Lösemittel begünstigend. Für die Sr1-Reaktion eignen sich polare protische Lösemittel
am besten, da sie die Carbokationen stabilisieren können. ln unpolaren Lösemitteln laufen Sr1-
Reaktionen n¡cht ab.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Nebenreaktionen durch Umlagerungen stattfinden.
Dabei wandeln sich primäre
oder sekundäre Carbokationen
in tertiäre Carbokationen um. cHs CHs

H,c-å' l!5 H.c-J-s,.


I H--Ve rsch iebu ng
Voraussetzung für eine solche
Umlagerung ist das Vorhan-
b)
CHe
a)
tt
CHS CHS
densein eines vierfach sub- HeC-
stituierten C-Atoms und eines Br
positiv geladenen C-Atoms. Verschiebung + + Br-
c _H
I

Die Umlagerung erfolgt durch b)


H gC ------+ H3C-C - H

Verschiebung eines Hydrid-


I I

c HzC H3 cH2cH3
lons H- (Bild 1a) oder eines
Carbanions (in Bild 1b CH3-). Bild 1: Verschiebung von Hydríd-lon und Carbanion

Beispiel 3.5: Vorhersage von Sr-Reaktionen


2-Chlorbutan reagiert a) mit Methanolat CH.O- und b) mit Methanol CH3OH.
Welche nucleophile Reaktion läuft ab? Welche Reaktionsprodukte entstehen?
Lösung;
a) Methanolat ist eine starke Base und ein
gutes Nucleophil, deshalb wird die Reakti- cH2cH3 c H2CH3
on nach dem S¡2-Mechanismus ablaufen,
+ cH3o-
die mit einer Walden-Umkehr (s. S. 115) ,tyt -J;nH3+c,-
verbunden ist. Es entsteht 2-Methoxy- H¡C
ct
butan, das die Spiegelbild-Konfiguration
des 2-Chlorbutans darstellt (B¡ld 2). Bild 2: Sr2-Reaktion
b) Methanol ist eine schwa-
CH"CH"
che Base und damit ein
schlechtes Nucleophil. t-
, ,C:,,,,* + 2CHaOH ----+
CHzCHs
I
cH2cH3
I

Deshalb wird wahr- +


HrruC + 2HCl
scheinlich eine S*1-Re- HsC' \a, HgC 'cH3
ocH3 cH3o/
aktion stattfinden. Bei "("-'
S¡1-Reaktionen entste- Bild 3: S¡1-Beaktion
hen zwei Konfigurationen
der Verbindung 2-Methoxybutan. Sie verhalten sich zueinander wie Bild und Spiegelbild
(Bird 3).

Monosubstituierte Benzyl- und Allylhalogenide reagieren mit OH- bzw. mit HrO je nach den vor-
herrschenden Reaktionsbedingungen nach dem Sr1- oder nach dem S^2-Mechanismus (Bild 1,
S. 119). Dabei kann sowohl das Carbokation (bei S¡1) als auch der Zwischenzustand (bei S^2)
durch die Benzyl- bzw. die Allyl-Gruppe stabilisiert werden.
118
3.3 Substitution und Eliminierung

Sru1 ++ + H2O
CH2: CHCH2BT CHz: ç¡1at, * tr- € CH2CH : CH2 + Br- CH2: ç¡1ç*rO*
3-Bromprop-1-en - HBr
Prop-2-en-1-ol
Allylbromid Allylkation -)
CH3CH: CHCH2BT + OH S¡¡2-Bedingungen CH3CH: CHCH2OH + Br
1-Brombut-2-en But-2-en-1-ol
Allylbromid
l-\ sru1 l--\
+.- L,>öttr*ct- €
+ H2O
(:,f cHzct +
CH2 + Cl-
- HCt
cH2oH

Chlorphenylmethan
Benzylchlorid
Benzylkation - Phenylmethanol
Benzylalkohol

Bild 1: Substitutíon bei Allyl- und Benzylhalogeniden

Benzalchlorid (Dichlorphenyl-
methan) hyd.rolysiert zum a) \.o--\
)/- H+H*+Cl-
Benzaldehyd. Uber diese Reak- + HzQ ---------+ CH
tion wird großtechnisch Benz- (*cl
aldehyd hergestellt (Bild 2a).
Benzotrichlorid (Trichlorphe- I
nylmethan) reagiertwie andere CH:Ò+H*+Ct-
1,1,1 -Trihalogenverbindungen b)
(2. B. Trichlormethan CHCI3) zu RCX3 + 2HzO ------+ RCOOH + 3HX X=Halogen;R=H,Alkyl,Aryl
Carbonsäuren (Bild 2b).
Bild 2: Hydrolyse von Di- und Trihalogenverbindungen

Srl-Reaktionen sind nucleophile Substitutionen 1. Ordnung, weil deren Reaktionsgeschw¡n-


digkeit nur von der Edukt-Konzentration abhängig ist. Sie laufen als zweistufige Reaktion un-
ter Bildung eines Carbokations als Zwischenstufe ab.
Sr2-Reaktionen sind nucleophile Substitutionen 2. Ordnung, weil deren Reaktionsgeschwin-
digkeit von der Edukt-Konzentration und der Konzentration des Nucleophils abhängig ist.
Bei der einstufigen Reaktion bildet sich ein Zwischenzustand.

Bei der Williamson-Ethersynthese lA. W. Williamson, brit. Chemiker, 1824 bis 1904) substituiert
man das Halogenatom des Halogenalkans durch eine Alkoholat-Gruppe (Alkoxy-Gruppe) R-O-.
Das Alkoholat entsteht bei der Umsetzung von wasserfreiem Alkohol mit Alkalimetallen, vor-
zugsweise mit Natrium:
2R-OH + 2Na --+ 2R-O- + 2Na+ + H2
Die eigentliche Ether-Synthese
CHs
läuft nach dem Schema in a) ÇHe
Bild 3 ab. Dabei wird ein
I I

CH3Br + Na+ -O
-C- CH3 CH3-O-C-CH3
Halogenalkan oder ein sub- -----+ I I

stituiertes Halogenalkan mit CHs CHe


Natriumalkoholat oder Natri- Brommethan Natrium- Methyl- tert-butylether
ferf-butanolat 2-Methoxy-2-methylpropan
umphenolat umgesetzt. Wäh-
b) wässr' NaoH,
rend die Umsetzung mit dem oNa + cH3Br OCH3 + NaBr
hydrolyseempfindlichen Na-
triumalkoholat wasserfrei er- Natrium- Methoxybenzol
phenolat Anisol
folgen muss, kann wegen der
hohen Stabilität des Phenolat- Bitd3: wiiliamson-Synthesen
lons die Williamson-Synthese
mit Phenol in wässriger Lösung durchgeführt werden.
Bei der Synthese asymmetrischer Ether (Ether mit zwei verschiedenen Alkylresten) muss be-
achtet werden, dass keine tertiären Halogenalkane gewählt werden, weil diese häufig zu Eliminie-
rungen neigen. ln diesem Fall kann aber ein tertiäres Alkoholat e¡ngesetzt werden.
119
3 Reaktionen organischer Präparate

Ester werden aus Halogen- a)


alkanen über einen S¡2- Na* CH.-O
Mechanismus durch Umset- CHt LBr + C-CH2CH3 --+ C-CH2CH3 + NaBr
zung mit Carbonsäure-Salzen d/ þ',//
(Bild 1a) oder durch Solvolyse Natriumpropanoat Propansäuremethylester
mit Methan- oder Ethansäure H
(Bild 1b), die als S*1-Reaktion b)
H cH.cH"-q*
abläuft, hergestellt.
cH3cH2 LBr + C-H --+ -\ C-H + Br-
Ganz analog verläuft die Bil- ro// td
dung von Thiolen R-S-H (Mer-
captanen) und Sulfiden R2S:
Methansäure
I
CH.CH,
-õ-\
C-H + H+
R-X + HS- --+ R-S-H + X- ro//
bzw. Methansäureethylester

2 R-X + HrS --+ R-S-R + 2HX Bild 1: Esterbildung aus Hatogenalkanen

Die Hofmann-Alkylierung (A. W. von Hofmann, /-"'-----":- +


dt. Chemiker, 1818 bis 1892) von Ammoniak R,X + NH. R-NH3 +X-
zur Gewinnung von Aminen ist eine typische \/ +_
nucleophile Substitutionsreaktion. Sie läuft in R-NH. + NH. ->
,.-------+ R-NH2 + NHa*
mehreren Stufen ab (Bild 2), da die gebildeten
+
Amine ebenfalls nucleophil sind. R-X + R-NH, ---------+ +X-
(/ R2NH2

Die gezielte Darstellung einer bestimmten Stufe


ist schwierig. ln der Praxis verwendet man diese n,Ñu, + ñH.
-----J
R2NH + NH4t
Synthese zur Herstellung von quartären Ammo- +
nium-Salzen sowie von tertiären Aminen RoN*. R ,X + RrNH ---------+ R3NH +X-
IJ+
Eine zweite nucleophile Substitution, bei der
primäre Amine entstehen, ist die Gabríel-Syn-
R3NH + NH3 RrN + NHa*

these (S. Gabriel, dt. Chemiker, 1851 bis 1924), ;-----------,-=_ +

bei der das Anion des Phthalimids als Nucleo-


+ R3N ---------+ R¿N +X-
^-()
phil gegenüber den Halogenalkanen wirksam
ist (Bild 3). Bild 2: Hofmann-Alkylierung

Setzt man Halogenalkane mit o o


Cyaniden um, so entstehen il tl
entweder Nitrile oder lsonitri- /->- c
I loH- t\
le. Nitrile werden mithilfe der NH
-Hd lNl )+R ¡X --) lN-n +x-
Kolbe-Synthese (H. Kolbe, dt. c c U c
Chemiker, 1818 bis 1884) her- il II il
gestellt. o o o
Phthalimid + H2O
Sie werden als Hauptprodukt H2N-R +
in einer Sr2-Reaktion (Bild 4a) cooH
aus primären Halogenalkanen primäres Amin Phthalsäure
und Alkalicyaniden in mög-
lichst hydroxylfreien Lösemit- Bild 3t Gabriel-Synthese
teln gebildet. Nitrilebilden
bei der Reaktion mit Wasser -x- +H2O.
Carbonsäuren. Bei Verwen-
sru2
al
R-C=N RCOOH
- NHs
dung von Silbercyanid AgCN *-{òr.:* Nitril Carbonsäure

verläuft die Substitution als <_ _--l -x- +-


R-N=C + HgO.
R-N:C:O
S¡1-Reaktion (B¡ld 4b), wobei Sru1
bl -Hg
lsonitril
als Hauptprodukte lsonitrile lsocyanat
entstehen. Bild 4: Nitríle und lsonitrile -
120
3.3 Substitution und Eliminierung

lsonitrile addieren Sauerstoff zum Beispiel aus Ouecksilberoxid


HgO unter Bildung von lsocyanaten, die wiederum zur Herstel- Et
lung von Urethanen und Polyurethanen dienen. 3-Oxobutansäure- O o
ethylester ll
Die Ester der Acetessigsäure (3-Oxobutansäure) und der Ma- (Acetessigester) c
lonsäure (Propandisäure) (B¡ld 1) können von dem C-Atom, das ,/\C \o
zwischen den beiden Carbonyl-Gruppen liegt, mithilfe von Ba- o HsC c
H2
il
sen, z. B. Ethanolat C2H5O-, Protonen (rot gekennzeichnet) ab- cEt
spalten. Dabei entsteht jeweils ein Carbanion, das bei nucleo-
ph i len Su bstitutionen besonders reaktionsfä h g ist. i
HzC o
I
Propandisäurediethylester
Diese Carbanionen reagieren mit primären Halogenalkanen in //c .'o{Malonsäured¡ethylester}
einer S*2-Reaktion bzw mit sekundären Halogenalkanen in ei- o
ner S¡1-Reaktion. Verwendet man tertiäre Halogenalkane, dann I

Et
entstehen durch Eliminierung ausschließlich Alkene.
Bei dieser ,,Alkylierung" von Acetessigester beziehungsweise
Bild 1: Acetessiffi::l#'
Malonester wird der Wasserstoff des C-Atoms zwischen den
Carbonyl-Gruppen durch die Alkyl-Gruppen der Halogenalkane ersetzt (B¡ld 2).
Acetessi gestercarban ion CHs
-oE x, -oEt
, - I
+
H3C - C-
lt
CH
-cooEt * Hsc-ç/ H.c-c -cH-cooEt
-HX
HsC
ilt- -cooEt
c c

o o cHs o cHs
H cooEt R'\ cooEt
H + R-X -oEt + R-- X, -OEt
(-/ ---------) c c
cooEt -HX
Malonestercarbanion R cooEt R cooEt
Bild 2: ,,Alkylierung" von Acetessigester und Malonester

Die Williamson-Synthese ist eine wichtige Möglichkeit, um Ether aus Halogenalkanen und
Alkoholaten zu synthetisieren.
Die Hofmann-Alkylierung und die Gabriel-Synthese erlauben es, aus Ammoniak und Halo-
genalkanen bzw. aus Phthalimid und Halogenalkanen Amine herzustellen.
Mithilfe der Kolbe-Synthese reagieren primäre Halogenalkane mit Cyaniden zu Nitrilen.

3.3.2 Eliminierungsreakt¡onen der Halogenalkane


Beim nucleophilen Angriff besteht neben der Substitution die Möglichkeit der Eliminierung. Bei-
de Reaktionsarten stehen in Konkurrenz zueinander. Analog zu den Substitutionsreaktionen gibt
es zwei Varianten der Eliminierung: El und E2. Zuerst erfolgt die Darstellung der beiden Reakti-
onen anhand ihrer Reaktionsmechanismen, danach wird die Konkurrenz zwischen Substitution
und Eliminierung erläutert.
Die E2-Reaktion ist eine bimolekulare Reaktion, das bedeutet, dass sowohl das Halogenalkan als
auch das angreifende Nucleophil am geschwindigkeitsbestimmenden Reaktionsschritt beteiligt
sind. Dementsprechend verläuft der Reaktionsmechanismus (Bild 3), der am Beispiel der Elimi-
nierung von HBr aus 2-Brom-
propan zum Propen dargestellt HOI- H H d-C-Atom H
ist: Die angreifende Base bin- -\-/ l'-\ l,/ I

det ein Proton des C-Atoms, CH2rC ----------+ CH2: c


/ ln\-CH3 -CH3+H2O+Br-
welches dem C-Atom an dem
fl ,-lro^
/ . o,o
das Halogenatom (im Bild 3 å,
2-Brompropan
), m
Propen
das Bromatom) gebunden ist,
benachbart ist. Bild 3: E2-Reaktionsmechanísmus
121
3 Reaktionen organischer Präparate

Das dabei entstandene freie Bindungselektronenpaar orientiert sich zwischen die C-Atome und
bildet eine Doppelbindung aus. Gleichzeitig löst sich die Bindung zum Halogenatom (hier: Brom-
atom), welches unter Mitnahme des Bindungselektronenpaars als Halogenid-lon (Brom-lon) das
Molekül verlässt. Dieser beschriebene Vorgang läuft in einem Schritt ab. Da die Eliminierung von
einem B-C-Atom ausgeht, wird diese Reaktion auch B-Eliminierung genannt.
Man verwendet auch den Begriff der 1,2-Eliminierung, weil die Atome oder Molekülgruppen, die
aus dem Molekül entfernt werden, an 1,2-ständigen (benachbarten) C-Atomen gebunden sind.
Unter den Halogenalkanen nimmt die Reaktivität vom Iod- zum Fluoralkan ab, da das lodid-lon
als schwächste Base unter den Halogenid-lonen die bessere Abgangsgruppe ist.
Bei der Eliminieru ng von HBr aus 2-Brompropan
entsteht außer den Nebenprodukten nur Pro- Übergangszustand
pen. Eliminiert man aber HBr mithilfe der Base
Ethanolat C2HbO- aus 2-Brombutan, so werden I
.o
zwei verschiedene Produkte mit signifikant _o
verschiedenen Anteilen gebildet: 80 % E- und so
c
Z-BuT-2-en sowie 20 % But-1-en. Das heißt, die- U
.g
se E2-Reaktion verläuft regioselektiv. o
But-1-en+CrHuOH+Bi
2-Brombutan + C2H50-
But-2-en + + Br
Die Ursache dafür liegt in der unterschiedli-
chen Stabilität (B¡ld 1) der Übergangszustände Reaktionsverlauf +
ó
sowie der entstehenden Alkene. Das But-2-en oCz H 5
''9c'Hu
ist aufgrund seiner größeren Anzahl von Alkyl- H H
I

gruppen an den sp{hybridisierten C-Atomen


stabiler als das But-1-en (s. S.89). Die Reaktion CU.CH : CUCtt. cHr -- 6¡1ç¡¡rat.
von 2-Brom-2-methylbutan mit der nucleophi- gr
"' Ar"
len Base OH- führt zu zwei Eliminierungspro- Übergangszustand, Übergangszustand,
dukten: dem stabileren 2-Methylbut-2-en als der zum stab¡leren der zum weniger
But-2-en führt stabilen But-l-en führt
H-auptprodukt und dem weniger stabileren
Nebenprodukt 2-Methylbut-1-en. Bild 1: Stabilität von E2-Übergangszuständen
Aus diesen Beobachtungen leitete A. Saytzeff (russ. Chemiker, 1841 bis 1910) die nach ihm
benannte Regel ab. Man erhält dann das Alken mit der größeren Anzahl Alkylgruppen an den
sp'-hybridisierten C-Atomen der Doppelbindung, wenn ein Proton von dem B-C-Atom entfernt
wird, das weniger Wasserstoffatome gebunden hat. Es entsteht bevorzugt das thermodynamisch
stabilere Alken mit der im Molekül befindlichen C=C-Bindung.
Bild 2 zeigt die Eliminierung von HBr aus 2-Brom-2-methylbutan. Am linken B-C-Atom des
2-Brom-2-methylbutans sind 3 H-Atome, am rechten B-C-Atom nur 2 H-Atome gebunden. Ent-
sprechend der Saytzeff-Regel bildet sich als Hauptprodukt das höher substituierte Alken durch
die Entfernung eines Protons vom B-C-Atom mit der niedrigeren Anzahl von H-Atomen (hier
2 H-Atome). Dabei entsteht 2-Methylbut-2-en.

CHs CHs CHg


2-Btom-2- I (H2O) I I

methylbutan CH3CCH2CH3 + OH- --------.ì> CH3C:CHCH3 + CH2:çç¡1rat3+H2O+Br-


I
2-Methylbut-2-en 2-Methylbut-1-en
Br
70% 30%
Bild 2: Anwendungsbeispiel der Saytzeff-Regel
ln folgenden Fällen verlaufen die Eliminierungen entgegen der Saytzeff-Regel:
' wenn durch die Eliminierung konjugierte Doppelbindungen entstehen (2. B. Konjugation mit
einem Benzolring),
' wenn der nucleophile Angriff durch eine voluminöse Base oder durch ein raumerfüllendes
Halogenalkan sterisch gehindert ist,
' wenn ein lon oder eine Atomgruppe aufgrund starker Basizität als Abgangsgruppe wenig
geeignet ist.
122
3.3 Substitution und Eliminierung

Die zweite Möglichkeit einer


Eliminierung ist die E1-Reakti- CHs
+ H2Ol, ÇHr
-Br- 9H,
on, die als unimolekulare Reak-
tion in zwei Schritten über ein
I

cH3-c-cH3
t--l
:l',:7* { -.t, 9195 cur: å -.r. + H3o*

Carbokation als instabiles Zwi- Br/ \H


schenprodukt ablaufen kann. 2-Brom-2- + Br- 2-Methylpropen
methylpropan
Dabei ist der erste Schritt, die
Bildung des Carbokations, der Bild 1: Mechanismus der E1-Reaktion
langsamste und damit der ge-
schwindigkeitsbestimmende Schritt, Er hängt davon ab, wie leicht sich das Carbokation bilden
kann und wie stabil das gebildete Carbokation ist. ln Bild 1 entsteht das relativ stabile fert-Butyl-
Carbokation, dessen Proton eines B-C-Atoms im zweiten, schnellen Reaktionsschritt von der
Base HrO abgespalten wird und H3O+ bildet.

Falls mehr als ein Alken gebildet werden kann,


verläuft auch die E1-Reaktion regioselektiv.Da-
bei ist das Hauptprodukt in der Regel das hö-
her substituierte Alken. ln Bild 2 wird deutlich,
t
.g
dass beide Produkte (2-Methylbut-2-en und î
! cH3cH2ccH3 ï.
2-Methylbut-1-en) über dasselbe Carbokation tr cH. CH3CHTC: CH2
entstehen. Der Ubergangszustand, der dann U
.g
t-
cH3cHrccH3
Br- + H2O + HrO* + Br-
aber zum 2-Methylbut-2-en führt, liegt niedr¡- o
1*.
ger und ist damit stabiler. Die Saytzeff-Regel Br + HrO CH3CH:CCH3+H.O*+Br-
gilt auch bei E1-Reaktionen. Reaktionsverlauf +
Zwischen S¡1- und E1-Reaktionen sowie zwi- Bild 2: Energiediagramm einer E1-Reaktion
schen S¡2- und E2-Reaktionen kann es zu Kon-
kurrenzsituationen kommen. So überwiegt bei primären Halogenalkanen die S¡2-Substitution.
Eine E2-Eliminierung wird dann begünstigt, wenn eine sterische Hinderung beim Nucleophil
oder beim Halogenalkan vorliegt.
Sekundäre Halogenalkane zeigen bei den bimolekularen Reaktionen (Sr2 bzw. E2) sowohl Subs-
t¡tutions- als auch Eliminierungsreaktionen. Der Anteil der Eliminierungsprodukte steigt abeç je
stärker und raumerfüllender die angreifende Base und je höher die Temperatur ist, wobei sowohl
S¡1- als auch E1-Reaktionen möglich sind.
Tertiäre Halogenalkane reagieren bimolekular nur als Eliminierung, während sie als Reaktionen
1. Ordnung (monomolekular) sowohl als S¡1- oder E1-Reaktionen ablaufen können.

Mit primären Halogenalkanen laufen nur E2-Reaktionen ab. Sekundäre und tertiäre Halo-
genalkane gehen sowohl E2- als auch E1-Reaktionen ein.
E2-Reaktionen werden wie S¡2-Reaktionen durch hohe Basenkonzentrationen und durch
polare aprotische Lösemittel begünstigt. E1-Reaktionen werden wie S¡1-Reaktionen durch
schwache Basen und protische Lösemittel begünstigt.

3.3.3 Substitutionsreakt¡onen der Alkohole


Ein Alkohol kann keine nucleophile Substitution eingehen, da er über eine stark basische Ab-
gangsgruppe, das Hydroxidion OH-, verfügt. Durch Protonierung der Hydroxy-Gruppe wird aus
der stark basischen Abgangsgruppe OH- das schwach basische HrO, welches dann durch ein
Nucleophil verdrängt werden kann. Es können aber nur schwach basische Nucleophile, wie I-,
Br- oder Cl- verwendet werden, da stärker basische Nucleophile in saurer Lösung ebenfalls pro-
toniert und damit ihre nucleophilen Eigenschaften verlieren würden.
Substitutionsreaktionen bei Alkoholen können sowohl monomolekular als S¡1-Reaktionen als
auch bimolekular als S¡2-Reaktionen ablaufen.
123
3 Reaktionen organischer Prä parate

Bild 1 zeigt den Reaktionsme- B¡tdrng_des


CHs LHs CH. _
tertiäien Yng CH
Ll-13
chanismus einer Sr1 -Reaktion t\ t-Hc"iîàiäf;ä"" l>r,tr
mit einem tertiären Alkohol
I I

cH3c - OH+H ;-8r <- CH"CzOH ¡.- CH"Cí ë CH"C-Br


l-/ l(-/ -l sN1-Reakt¡on -l
(2-Methylpropan-2-ol). Der I

CHg CH¡ CH3 + H2O


Bildung des Carbokations
protonierter Alkohol
CH.

geht die Protonierung der am 2-Methyl- 1l er-neatt¡on 2'Brom-2-


propan-2-ol ll, methyl-
stärksten basisch reagieren- CHs pfopan
den Atomgruppe (OH-) vor- 2-Methylpropen ÇFl.Q + HBr I

aus. Danach tritt Wasser als il


schwach basische Abgangs- CH2 + H*
gruppe aus, dabei bildet sich
ein tertiäres Carbokation. An Bild 1: S,u1-Reaktionsmechanismus eines Alkohols
dieser Stelle entsteht wieder, wie bei den Halogenalkanen, eine Konkurrenzsituation zwischen
Substitution und Eliminierung. Wenn das Eliminierungsprodukt Methylpropen entsteht, wird es
aber sofort durch Addition von Bromwasserstoff in 2-Brom-2-methylpropan umgewandelt, so
dass bei dieser Sr1-Reaktion nur das Substitutionsprodukt entsteht.
Den Sr2-Reaktionsmechanis-
mus eines primären Alkohols Rückseiten-
veranschaulicht Bild 2. Auch Z-\ ansriff lB;l-
:')
l:_
hier findet zuerst die Proto- CHTCHzOH + H;Br + CH3CH2-9,H ----- CH3CH2BT + H2O
(-/ H
nierung der Hydroxy-Gruppe
statt, bevor das Nucleophil
Ethanol protonierter Alkohol Bromethan

Br- die Rückseite des primären Bild 2: s¡2-Reaktionsmechanismus eines Alkohols


Kohlenstoffatoms, das die pro-
tonierte OH-Gruppe trägt, angreift und die
Abgangsgruppe HrO verdrängt.
lst bei einem sekundären Alkohol eine Al- Halogenierungsm¡ttef , ìRealttions-,
kyl-Gruppe zum C-Atom der Hydroxy-Grup- Nuoleophil , bedingungen::,
pe benachbart, so kann durch Hydridver- HI E rh itze n R_I
schiebung (s, S. 88) ein stabileres. tertiäres HBr Erh itzen R-Br
Carbokation entstehen, welches dann in ei-
ner SN1-Reaktion zum tertiären Halogenal- HCt ErhitzenlZnCl, R-Ct
kan wird. ln Tabelle 1 sind einige Reaktio- PBr. Phosphortribromid LM: Pyridin R-Br
nen zur Umwandlung von Alkoholen in PCl. Phosphortrichlorid LM: Pyridin R-Ct
Halogenalkane mit Reaktionsbedingungen
und Lösemittel (LM) aufgeführt. SOCI, Thionylchlorid LM: Pyridin R-Cr
Neben den Umsetzungen der
Alkohole zu Halogenalkanen o o
ist die Uberführung von Alko- Cl-S-R
il Pyridin tl

holen in Sulfonsäureester von


ROH + RO S
-R'+ Cl- + [Pyridin-H]'
il il
Bedeutung (B¡ld 3). Edukte o o
sind dabei ein Alkohol sowie -' Sulfonsäureester
Sulfonsäurechlorid. Es handelt
Bild 3: Bildung eines Sulfonsäureesters
sich um eine nucleophile Sub-
stitution am Sulfonsäurechlorid, wobei das Alkoholat-lon das Chlor-lon ersetzt. Das Lösemittel
Pyridin bindet wie bei den Halogenierungen in Tabelle 1 überschüssige H*-lonen. Sulfonsäure-
ester sind wichtige Zwischenprodukte bei technischen Synthesen.

3.3.4 Eliminierungsreakt¡onen von Alkoholen


Bei der Eliminierungsreaktion an einem Alkohol werden die Hydroxy-Gruppe und ein H-Atom eines
benachbarten C-Atoms abgespalten. Die Produkte sind dann ein Alken und Wasser. Man spricht
in diesem Zusammenhang auch von einer Dehydratisierung. Diese Dehydratisierung eines Alko-
hols verläuft säurekatalysiert sowie unter Erhitzen. Als Säuren werden Schwefel- und phosphor-
säure eingesetzt, Mit sekundären und tertiären Alkoholen als Edukten laufen E1-Reaktionen ab.
124
3.3 Substitution und Eliminierung

ln Bild I erkennt man den Reaktionsmechanismus der E1-Reaktion von Propan-2-ol. Die Schwe-
felsäure protoniert die am stärksten basisch reagierende Atomgruppe des Eduktes, Dabei erfolgt
wieder die Umwandlung von einer schlechten (OH-) zu einer guten Abgangsgruppe (H2O). Das
Wassermolekül wird abgestoßen, dadurch entsteht ein Carbokation. Die Base Wasser bindet ein
B-ständiges H*-lon, Propen (Alken) und H.O*-lonen werden gebildet.

CH3CHCH3 +
-?oso3H cH3cHcH3 H16ÈcHcH. CH2:ç¡1çt'
(--l /'+
I

toH \loH H2Ol-/


Propen
*H + H3O*
Propan-2-ol Schwefelsäure Protonierung

Bild 1: E1-Reaktionsmechanismus der Dehydratisierung von Propan-2-ol

Da die Reaktion umkehrbar (reversibel) ist, muss das Alken entsprechend dem LeChatelier-
Prinzip ständig durch Destillation abgetrennt werden. Das ist möglich, da die Alkene wesentlich
niedrigere Siedetemperaturen aufweisen als die ihnen entsprechenden Alkohole.
Vor allem bei primären Alko-
holen wie Ethanol kann die E2 bei 170 'C
CH2:ç¡, + H3O*
f\.r
Eliminierung neben der Sub-
stitution zur Hauptreaktion
curcurl\ cH3cH>o-H +
Ethen

1.,
I
CH3CH2OSO3H + H2O
werden, wenn die Temperatur Ethanol l- H
Ethylhydrogensulfat
hoch genug ist. Bei einer Tem- s*zl1
peratur von mehr als 170 "C lot
entsteht aus Ethanol und kon- lT
zentrierter Schwefelsäure fast *J
cH3cH2ocH2cH3 + H2O CH3CH2OCH2CH3 + H3O*
ausschließlich Ethen, wäh-
rend bei niedrigen Tempera-
I
----+ Diethylether
H
turen Ethylhydrogensulfat als
Hauptprodukt entsteht (Bild 2). Bild 2: Reaktionen von Ethanol

Bei einem Überschuss an Alkohol tritt eine weitere S¡2-Reaktion mit sich selbst, die Etherbildung,
als Konkurrenzreaktion auf (Bild 2). Auf diese Weise wird in der Technik bei geeigneten Reaktionsbe-
dingungen (kontinuierliche Zugabe von Alkohol und Erhitzen) aus Ethanol Diethylether hergestellt.

3.3.5 Oxidation von Alkoholen


Primäre Alkohole (Alkanole) werden zu Alde-
Carbon-
hyden (Alkanalen) und Carbonsäuren (Alkan- CrO3
Aldehyd ----)
säure
säuren) oxidiert. Mit starken Oxidationsmit- a)
teln wie Chrom(Vl)-oxid CrO., die sich in einer o2
pfrmarer
Mischung aus Kaliumdichromat KrCrrOr und Alkohol (Pt oder Ag)
Aldehyd
Schwefelsäure bildet, konzentrierter Salpe-
tersäure oder Kaliumpermanganat erfolgt die
Oxidation des primären Alkohols direkt zur Aldehyd
lPt oder Ag)
Carbonsäure. Die Zwischenstufe des entspre- bl
chenden Aldehyds kann aber nicht isoliert wer- KrCrrO,
sekundärer
den. Außerdem treten oft Nebenreaktionen auf, Keton
Alkohol H2504
welche das Kohlenstoffgerüst verändern. Auch
die Oxidation von Alkoholen mit Luftsauerstoff Bild 3: Oxidation von Alkoholen
mit Platin oder Silber als Katalysatoren führt
über die Aldehyde zu den entsprechenden Ca rbonsäuren (Bild 3a). Nur zum Aldehyd gelangt
man durch die Dehydrierung (Abspaltung von Wasserstoff), bei der die Alkoholdämpfe über
Platin- oder Silber-Katalysatoren geleitet werden (Bild 3a).

ln Bild 3b wird deutlich, dass sekundäre Alkohole mit starken Oxidationsmitteln zu Ketonen oxi-
diert werden.
125
3 Reaktionen organischer Präparate

Eine für sekundäre Alkohole selektive Oxidationsmethode ist die Oppenauer-Oxidation (Rupert
Viktor Oppenauer, österr. Chemike.r, 1910 bis 1969), Der sekundäre Alkohol R2CH-OH wird mit
Aluminium-ferf-butylat in einem Überschuss an Aceton oxidiert. Dadurch wird das Gleichge-
wicht zur Produktseite verschoben:
R2CH-OH + (CH.)2C:O + RzC:O + (CH3)2CH-OH
Diese schonende Oxidationsmethode greift andere funktionelle Gruppen, wie z. B. Doppelbin-
dungen oder phenolische Hydroxyl-Gruppen, nicht an.
Tertiäre Alkohole und Phenol sind ohne Zerstörung des Kohlenstoffgerüstes nicht oxidierbar, Das
heißt, sie lassen sich nur zu Wasser und Kohlenstoffdioxid oxidieren.

Primäre Alkohole werden zu Aldehyden und Carbonsäuren oxidiert. Sekundäre Alkohole


oxidieren zu Ketonen. Tertiäre Alkohole und Phenol sind nicht oxidierbar.

3.3.6 Reaktionen der Amine


Amine sind die gebräuchlichsten organischen Basen. Das Stickstoffatom mit einem freien
Elektronenpaar wirkt als Protonenakzeptor:
CH3CH2NH2 + HBr --+ CH3CH2NH.* + Br-
Sie sind bezüglich Substitutions- und Eliminierungsreaktionen weniger reaktiv als die Alkohole
und viel weniger reaktiv als die Halogenalkane. Die Ursache besteht darin, dass die sehr starke
Base NHr- eine sehr schlechte Abgangsgruppe ist. Neben der Basizität bedingt das freie Elektro-
nenpaar des Stickstoffatoms auch die nucleophilen Eigenschaften derAmine (s. S. 116). Ouartä-
re Ammoniumderivate NR4*, die z. B. durch die Hofmann-Alkylierung (s, S. 120) erhalten werden,
können in der Hitze mit einer starken Base reagieren. Dabei läuft eine einschrittige Eliminierungs-
Reaktion ab (B¡ld 1). Diese E2-Reaktion wird Hofmann-Eliminierung genannt.

E2-Reaktionen werden auch


B-Eliminierungen genannt, da CH. CH.
die Eliminierung durch Ab- CH3CH2CHZCH2:NCH3
c\l*
"
CH3CH2CH:CH2 +|NCH3
t" +
spaltung eines Protons vom H2O

B-Kohlenstoffatom mithilfe ei- tQJ_-i'" ðr.


-+ I

CHs
nes Nucleophils eingeleitet Butyltrimethylammoniumhydroxid But-l-en Trimethylamin
wird. ln Bild 1 ist die Base
OH- das Nucleophil. lst die Ab- Bild 1: Hofmann-Eliminierung
spaltung des Protons von zwei
verschiedenen B-Kohlenstoffa- Oxidation
tomen möglich, so erfolgt die- R-NH2 -------+ R-NH-OH ------+
Oxidation
R-N:O -
Oxidat¡on
p-¡ , //O
se vom wasserstoffreicheren pflmares Hydroxylamin Nitroso- Nitroveò o-
Amin verbindung bindung
B-C-Atom.
Die Hofma nn-Eliminierung
RRR
kann nicht mit quartären Am-
l¡rll
R-NH + HOL-OH -----+ R-.NH
*l + OH- -----+ R-ñl + HrO
moniumhalogeniden R4N*X- -t-__-/ I '-
durchgeführt werden. Amine Wasserstoff-
sekundåres OH OH
Amin perox¡d sekundäres Hydroxylamin
lassen sich zum Beispiel durch
Wasserstoff peroxid HrO, leicht RRR
oxidieren. Die Oxidation pri- lrrll
R-N-R + HO-OH -----+ R-,N-R + OH- -----+ R-N-R
märer Amine verläuft über die -,-/ "l *l + H,O '-
Oxidationsstufen des Hydro- tert¡äres Wasserstoff- OH O-
xylamins, der Nitrosoverbin- Amin peroxid tert¡äres Am¡nox¡d
dungen bis zu den Nitrover- Bíld 2: Oxidationsprodukte der Amine
bindungen. Sekundäre Amine
werden zum sekundären Hydroxylamin, tertiäre Amine zu tertiären Aminoxiden oxidiert (B¡ld 2)
126
3.3 Substitution und Eliminierung

Die tertiären Aminoxide gehen eine intramo- CHs


CHs
lekulare Eliminierung als E2-Reaktion ein. Bei I I

dieser Cope-Eliminierung lArthur Cope, ame- cH3cH2cH2NCH3 -----+ CH3CH:CH2 + NCH3


rik. Chemiker 1909 bis 1966) entstehen ein l* I

Alken und ein Hydroxylamin (Bild 1). tot- loH


Dimethyl- Propen Dimethyl-
propylaminoxid hydroxylamin
3.3.7 Reaktionen der Ether und
Oxirane (Epoxide) Bild 1: cope-Eliminierung

Die meisten Ether sind relativ reaktionsträge und werden daher oft als Lösemittel in der prä-
parativen organischen Chemie verwendet. Die Ether besitzen wie die Alkohole eine stark basi-
sche und damit schlechte Abgangsgruppe. Die Abgangsgruppe -OR kann durch Protonierung
aktiviert werden. Ether reagieren mit Brom- oder Iodwasserstoff unter Erhitzen zu Brom- oder
Iodalkan und Alkohol.
Entsteht wie in Bild 2a nach der Abstoßung der Abgangsgruppe CH.OH ein tertiäres Carbokation,
so kommt es zu einer S^1-Reaktion.
Kommt es jedoch zu einem Methyl-, Vinyl-, Aryl- oder zu einem primären Carbokation, läuft die
Substitution als Sr2-Reaktion ab (B¡ld 2b). Das Nucleophil (Halogenid-lon Br-, I-) greift dann das
weniger sterisch gehinderte C-Atom der beiden Alkylgruppen an.

a) cHs
1t'-.---\
CH3C-OCH3 + CH.C
CHs
lu Sru1
9H.
t'.1-
u-ìl¿¡
^ -
c'.l-lt
H+
"t -*OCH"
I

CH:
u-
CHs -)
tl
cHg cHs
+ CH3QH
Abgangsgruppe
b) H
- ,
Sru2
CHgOCHzCHzCH3 + H* CH3-dCH2CH2CH3 CH3II + CH3CH2CH2OH
-_-+
Bild 2: S¡1- und S¡2-Reaktionen von Ethern
Ether sind flüchtiger als Alkohole vergleichbarer Molekülmasse, da ihre Moleküle untereinan-
der keine Wasserstoffbrückenbindungen bilden können. Ether sind als aprotische Lösemittel von
großer Bedeutung.
An dieser Stelle muss auf die extreme Brandgefahr hingewiesen werden, die von Ethern ausgeht.
Ether bilden bei längerem Kontakt mit Luft-
Sauerstoff und unter Lichteinwirkung geringe R-O-CHz-R ++oz R-O-CH-R
Mengen Hydroperoxid (B¡ld 3). Wird der per- (Licht)
I

oxidhaltige Ether verdampft, um das darin ooH


gelöste Produkt zu erhalten, neigen diese an-
gereicherten Peroxide zum explosionsartigen Bild 3: Synthese von EtherPeroxid
Zerfall.
Etherperoxide kann man mithilfe von Kaliumiodid-Stärke-Papier nachweisen. Dabei oxidiert das
Peroxid das Kaliumiodid zum elementaren Iod, welches wiederum mit der Stärke einen tiefblau
gefärbten Iod-Stärke-Komplex bildet. Bei positiv verlaufenem Nachweis von Peroxiden können
diese durch Reduktion mit wässriger Eisen-(ll)-sulfat-Lösung zerstört werden.
Eine wichtige Klasse von Ethern stellen die sogenannten Kronenether dar. Dabei handelt es sich
um cyclische Ether mit relativ wenigen Ringatomen und variabler Ringgröße. Für die Kronen-
ether hat sich eine eigene Nomenklatur durchgesetzt. Dabei werden die Substanzen als ,,Krone"
bezeichnet; die Gesamtzahl der Ringatome wird vorangestellt und die Anzahl der Ether-Sauer-
stoff-Atome wird angehängt. Wichtige Beispiele sind die Kronenether 1S-Krone-5 und 18-Krone-6
(s. Bild I, S. 128).
127
3 Reaktionen organischer Prä parate

Aufgrund der freien Elektronenpaare am


Sauerstoff-Atom können Kronenether beson-
ders gut Kationen komplexieren, weil hier
mehrere Ether-Sauerstoff-Atome in maßge-
schneiderter, cyclischer Anordnung um ein
oo a"-l
oo
zentrales Kation herum angeordnet sind. Die
t
\oo ) ( )
Komplexe von Kronenethern weisen teilweise o o
eine sehr hohe Stabilität auf, ln Bild I ist ein
Komplex eines Kalium-lons mit einem 18-Kro-
12-Krone-4 15-Krone-5
ne-6-Kronenether dargestellt (blau). Dabei ist
die Ringgröße für die Selektivität hinsichtlich
des komplexierten Kations entscheidend.

Oxirane (Epoxide) stellen zyklische Ether dar


und werden durch Oxidation von Alkenen her- KT
gestellt (B¡ld 2). Sie reagieren im Prinzip auch o) o )
wie Ether. Sie sind wegen ihrer starken Ring-
spannung jedoch viel reaktionsfähigere Sub- (-"---, ..-,
stanzen. Unter der katalytischen Wirkung von 18-Krone-6 Kalium-18-Krone-6-Komplex
Säuren reagieren sie mit Nucleophilen leicht
unter Ringöffnung. Bild 1: Kronenether und Kalium-Krone-Komptex

Beispiele dafür sind die Reaktionen von Oxi-


ran (Ethylenoxid) mit Wasser, Alkohol oder
Halogenwasserstoff (B¡ld 3). Dabei entsteht
Ethan-1,2-diol, Alkoxyethanol und 2-Chlor-
Alken Persäure Epoxid Ca¡bonsäure
ethanol. Bei diesen Reaktionen wird der Ring-
Sauerstoff protoniert, während das Nucleophil Bild 2: Darstellung von Oxiranen (Epoxiden)
eines der beiden Kohlenstoffatome des Oxirans
angreift' Danach wird das Proton des Wassers bzw. des Alkohols abgespalten. Oxirane reagieren
auch mit Grignard-Reagenzien (s. S. 138) unter Ringöffnung nach Hydrolyse zu Alkoholen.

+ H2O H'
cH"- cH" -------) cH,-cH,
t' t' l-t'
H .)ar OH OH OH
t_ HH Ethan-1,2-diol
.ol
z0r
cH2
-
cH2
* H* , .rf-)r, + ROH
1H'-1H'
-
"* ' cH"-cH,
Oxiran Protonierung OH
l-t'
OR OH
2a...
RH 2-Alkoxyethanol
+ HCI
CH r-
-j- CH, + H'
I

ct OH
I -Chlor-2-hydroxyethan

Bild 3: Reaktionen des Oxirans

Die relativ reaktionsträgen und flüchtigen Ether werden als Lösemittel in der präparativen
organischen Chemie verwendet. Ether sind hochentzündliche Flüssigkeiten, die explosive
Hydroperoxide bilden können.
Sogenannte Kronenether sind cyclische Ether mit relativ wenigen Ringatomen bei variabler
Ringgröße, die in der Lage sind, Kationen zu komplexieren.
Oxirane (Epoxide) sind ebenfalls cyclische Ether, deren Ring aber aus zwei Kohlenstoff- und
einem Sauerstoffatom besteht. Die dadurch existierende Ringspannung führt zu einer hohen
Reaktivität dieser Verbindungen. Epoxide sind kanzerogen.

128
3.4 Carbonylverbindun gen

3.4 Carbonyl- a) o o o
verbindungen ll

,c.
il
c\
tl

Rrc-
Die Garbonyl-Gruppe, bei der Carbonylgruppe Acylgruppen
eine Doppelbindung zwischen b) o o o o
einem Kohlenstoffatom und
tl

_c_.OH
il
(.\
il
t, to'
ll
c -R'
R. R. 'oR R.
einem Sauerstoffatom besteht
(Bild 1a), ist das gemeinsame Carbonsäure Garbonsäureester Garbonsäureanhydrid
o (, o o o
Strukturelement der Carbo-
nyl-Verbindungen. Eine Acyl- R.
il
c tcr
R'
t'u. il II
c -NH,
tl
C-NHR
II

.C- NR'z
R. R, R
Gruppe besteht aus einer Car- Carbonsäure- Carbonsäure-
bonyl-Gruppe, die an einem chlorid bromid
Alkylrest R oder einen Aryl- Carbonsäurehalogenide Carbonsäureamide
rest Ar gebunden ist (Bild 1a). c) rì o
Eine Arylgruppe ist hinge- il il

gen ein organisch-chemischer R,C.H R


/c 'R
Aldehyd Keton
Rest mit einem aromatischen
Grundgerüst. Bild 1: Carbonylverbindungen
Carbonylverbindungen können in zwei Gruppen eingeteilt werden: in die Carbonsäuren und ihre
Derivate (B¡ld 1b) sowie in die Aldehyde und Ketone (Bild tc).
An die Acylgruppen der Carbonsäurederivate sind funktionelle Gruppen (2. B. Hydroxy-, Amino-
Gruppen, Halogene) gebunden, die durch Nucleophile ersetzt werden können.
Bei Aldehyden und Ketonen sind die Atome bzw. Atomgruppen der Acyl-Gruppe nicht austausch-
bar. Daraus ergibt sich zum einen die Betrachtung der Carbonsäuren und ihrer Derivate und zum
anderen der Aldehyde und Ketone.
Die physikalischen Eigenschaften dieser Verbindungen (2. B. Mischbarkeit mit Wasser, Schmelz-
und Siedetemperaturen) sind abhängig von der molaren Masse und von strukturellen Gegeben-
heiten, die zu Wasserstoffbrückenbindungen oder Dipol-Dipol-Wechselwirkungen führen.
So bilden Ester, Säurechloride, Aldehyde und Ketone nur die schwächeren Dipol-Dipol-Wechsel-
wirkungen aus. Deshalb besitzen diese Verbindungen bei vergleichbarer Molekülmasse relativ
niedrige und ähnliche Siedetemperaturen. Die Mischbarkeit mit Wasser nimmt bei zunehmender
unpolarer C-Kettenlänge (C > 4) stark ab.
Carbonsäuren haben relativ hohe Siedetemperaturen, da sie
zwischenmolekulare Wasserstoffbrückenbi ndungen ausbi lden, o HO
//
die zu Doppelmolekülen führen (B¡ld 2), die selbst über die Siede- R- c c-R
temperatur hinaus nur langsam in Einzelmoleküle dissoziieren. OH l o
/
Ähnlicfre Verhältnisse sind bei den Säureamiden zu beobach- i I
H-Brückenbi nd ungen
ten: Sie besitzen die vergleichsweise höchsten Siedetempera-
turen, da sie sowohl starke Dipol-Dipol-Wechselwirkungen als Bild2: Carbonsäure-Doppel-
a uch Wasserstoffbrücken bi nd u n gen ausbilden. molekül

3.4.1 Reaktionen der Garbonsäuren und deren Derivate


Entsprechend ihrem Namen spalten Carbon-
o
säuren aus der Carboxyl-Gruppe -COOH Pro-
tonen ab. Dieser Säurecharakter beruht haupt-
,//
c ----)
/ ot ê-c ,//-ol
c +H*
sächlich darauf, dass das bei der Dissoziation oH ot
\ ot
entstehende Sä u rea n ion mesomeriesta bi isiertI

ist (Bild 3).


Bild 3: Mesomeriestab¡l¡s¡erung des Säureanions

Die Stärke der Carbonsäuren hängt von der Struktur der Alkyl-Gruppe -R bzw. von dort gebun-
denen S ubstituenten (a kylsu bstitu ierte Ca rbonsäu ren) ab.
I

129
3 Reaktionen organischer Präparate

Wichtige alkylsubstituierte Carbonsäuren sind die Halogencarbonsäuren. Halogenatome üben


einen mehr (Fluor) oder weniger (Iod) starken -I-Effekt aus. Das heißt, die Halogenatome ziehen
Elektronenpaare teilweise zu sich. Dieser -I-Effekt nimmt bei den Halogenen vom Iod zum Fluor
zu. Damit nimmt auch die Stabilität des Anions zu, da die negative Ladung besser im Anion ver-
teilt werden kann. Je stabiler das Anion, umso leichter kann das Proton von der Säure abdissozi-
ieren. Die Auswirkungen verdeutlicht Tabelle 1.
Trifluorethansäure mit dem stärkeren -I-Effekt
ist eine stärkere Säure als Trichlorethansäure. Name Formel
Der -I-Effekt ist umso größer, Metha nsäure HCOOH 3,77
. je größer die Zahl der Halogenatome, Ethansäure cH3cooH 4,76
. je näher die Halogenatome an der Carboxyl-
Propansäure cH3cH2cooH 4,88
gruppe gebunden sind und

E . je elektronegativer die Halogenatome sind.


Der +I-Effekt bewirkt eine Destabilisierung des
2.2-Dimethylpropansäu re
Monochlorethansäure
3-Ch lorpropansäure
(cH3)3ccooH
ctcH2cooH
ctcH2cH2cooH
5.05
2,81
4,10
Säure-Anions und damit eine schwächere Nei-
gung der Protonen abzudissoziieren. Der +I- Dich lorethansäu re ct2cHcooH 1.30
Effekt ist bei der 2,2-Dimethylpropansäure am Trich lorethansäure ct3ccooH 0,65
größten, deshalb ist sie die schwächste Säure
Trifl uorethansäu re F3CCOOH 0,23
in der Tabelle 1.

Die Mesomeriestabilisierung des Carbonsäureanions ist die Hauptursache für die Säureeigen-
schaft der Garbonsäuren. Die Säurestärke steigt, wenn elektronegative Substituenten, wie
zum Beispiel Halogenatome, in der Nähe der Carboxylgruppe gebunden sind. Sind elektro-
nenspendende Substituenten, wie zum Beispiel Methylgruppen, zur Carboxylgruppe benach-
bart, sinkt die Säurestärke.

Die Hydroxycarbonsäuren enthalten neben der Carboxyl-Gruppe eine oder mehrere Hydroxyl-
Gruppen im Alkylrest. Entsprechend ihrer Stellung in der Alkylkette der Carbonsäure unterschei-
det man a-, B-, usw. Carbonsäuren. Bei der a-Hydroxy-Carbonsäure sitzt die OH-Gruppe an
dem C-Atom (a-C-Atom), das direkt zur Carboxyl-Gruppe benachbart ist (s. S. 121). So ist die 2-
Hydroxypropansäure (Milchsäure) eine o-Hydroxycarbonsäure. Die 3-Hydroxybutansäure ist ein
Beispiel für eine B-Hydroxycarbonsäure.
ø-Hydroxycarbonsäuren wer-
den entweder durch eine cH3-cH-cooH
+ OH-, - Bi cH3-cH-cooH
nucleophile Substitution (Sru-
Reaktion) aus a-Halogencar- l)" c o,on,. l)"-c-n o-
2-Brompropansäure 2-Hydroxypropansäure
bonsäuren mit OH--lonen oder
aus Carbonylverbindungen
über die Zwischenverbindun- R. /.----\ R CN
+2H2O,
R cooH
'i:o + HõN ---------) c/ -NH¡ c
gen der Cyanhydrine erhalten
(Bild 1). Die Cyano-Gruppe R'/ \--l R'/ OH (+ H+ oder OH-l R, OH
Carbonyl- Cyanhydrin Hydroxycarbon-
kann dann durch Hydrolyse verbindung säure
in die Carboxyl-Gruppe umge-
wandelt werden (s. S. 129). Bild 1: Darstellung von Hydroxycarbonsäuren

ø-Aminocarbonsäuren, oder kurz Aminosäuren, kommen als Bausteine der Eiweiße (Proteine)
in der Natur vor. Sie sind bis auf das Glycin alle optisch aktiv und Feststoffe mit relativ hohen
Schmelztemperaturen, die sich oft leicht in Wasser lösen, da sie ein
hohes Dipolmoment besitzen. Freie Aminosäuren existieren als di-
polare lonen (,,Zwitterionen"), weil das Proton der Carboxyl-Grup- R-CH-COO-
I

pe von der Amino-Gruppe gebunden wird (Bild 2). Dieses Verhalten NHs*
erklärt die hohen Schmelztemperaturen und die relativ geringen
Säure- und Basenstärken (pKs = 10 und PKe - 10). Bild 2: Aminosäure
130
3.4 Carbonylverbindungen

Wässrige Aminosäu re-Lösungen reagieren schwach basisch oder schwach sauer, Entscheidend
dafür ist, ob der sa ure Charakter der -NH.*-Gruppe oder der basische Charakter der -COO--
Gruppe überwiegt.
Aminosäuren sind Ampholyte. + +OH- . +OH-
H3N-CH-COOH - :.+ H3N-CH*COO----? H2N-CH-COO
Wird eine wässrige Amino- I +H- - +H* - | |
säure-Lösung vollständig mit a)Rb)RclR
Salzsäure umgesetzt, dann Bild 1: Ampholyt¡scher Charakter von Aminosäuren
wird die -COO--Gruppe voll-
ständig zum Aminosäurehydrochlorid protoniert (Bild 1a). Bei Zugabe von Hydroxid-lonen mit-
tels einer Lauge reagieren stufenweise zuerst das Carboxyl-Proton und dann das -NHr*-Proton
mit den OH--lonen zu Wasser (Bild 1b und lc).
Wird das zweiprotonige Glycin-Hydrochlorid
mit Natronlauge titr¡ert (B¡ld 2), so liegt zu Ti- 14
Äquivalenzpunkt 2
trationsbeginn nur Glycin-Hydrochlorid vor. I 'tz
Am ersten Aquivalenzpunkt Äp., bei pH = 6,07 H2N-CH2-COO-
I

liegt das Zwitterion vollständig vor, da das -10


Proton der Carboxyl-Gruppe vollständig mit õ
H3 N*- cH, - coo-
den OH--lonen der Natronlauge zu Wasser = 9,78
reagiert hat. Bei weiterer Zugabe von Natron- 6 IEP pH = 6,07
lauge-Maßlösung ist am zweiten Äquivalenz- ÞKs, 2,36 Aquivalenzpunkt'1
4 =
punkt Ap2 bei pH = 12,3 auch das zweite Pro- I
ton mit OH--lonen vollständig umgesetzt. ln 2 H3N*- CH2
- COOH
der Titrationskurve sind zusätzlich die beiden
0
Säurenkonstanten bzw deren pKs-Werte als 26101418222630343842
Halb-Aquivalenzpunkte erkennbar.- Der erste V(NaOH)/mL; c(NaOH) = 0,1 mol .L-î +
Aquivalenzpunkt Ap,, des Glycins entspricht
seinem isoelektrischen Punkt. Bild 2: Itration von Glycin-Hydrochlorid mit NaOH

Der isoelektrische Punkt (auch IEP oder pI) ist der pH-Wert einer wässrigen Lösung, bei dem
sich bei den Aminosäuren die positiven und negativen Ladungen ausgleichen. Der isoelektrische
Punkt ist eine für jede Aminosäure charakteristische Größe. Die Aminosäure-Moleküle besitzen
bei diesem pH-Wert keine nach außen wirksame Ladung mehr. Diese Moleküle richten sich zwar
am IEP in einem elektrischen Feld entsprechend entgegengesetzter Ladung zur Kathode und
Anode aus, bewegen sich aber nicht mehr zu einem dieser Pole. Bei einer Elektrophorese kann
man die Wanderungsrichtung von Aminosäuren beeinflussen: Bei pH-Werten oberhalb des iso-
elektrischen Punktes sind Aminosäure-Moleküle negativ geladen und wandern zur Anode, unter-
halb des IEP tragen sie positive Ladung und wandern zur Kathode.
Der isoelektrische Punkt kann bei Kenntnis der pKr-Werte leicht mit folgender Formel berechnet
werden: IEP = (pKsr + pKs2ll2.
Enthält der Molekül-Rest -R noch eine oder mehrere Carboxyl-Gruppen, so wird der IEP dieser
Aminosäure im sauren Bereich liegen. Entsprechend befindet sich der isoelektrische Punkt im Al-
kalischen, wenn ein oder mehrere basische Gruppen im Molekül-Rest vorhanden sind (s. Kap. 11,
B¡td 1, s.484).
Zur Herstellung von Amino-
säuren kann man a-Halogen- al NHz
R-CH-COOH + NH3
carbonsäuren mit Ammoniak -l'Br _> R-
I

CH-COOH
substituieren (Bild 3a). Die - HBr
zweite Darstellungsmethode a-Halogencarbonsäure
ist die Strecker-Synthese (,4. b)
Strecker, dt. Chemiker, 1822 R-CH-CN
+ NH3
R-CH-CN
+ H2O (H*)
R-CH-COOH
#
bis 1872) bei der Cyanhydrine - Hzo - NH¡
130) mit Ammoniak in
I I I
(s. S. OH -> NHz NHz
a-Aminonitrile überführt und Cyanhydrin a-Aminonitril
diese anschließend mit Wasser
umgesetzt werden (Bild 3b). Bild 3: Darstellung von Aminosäuren
131
3 Reaktionen organischer Präparate

Aminosäuren sind bifunktionelle, ampholytische Verbindungen, die sowohl als Säure als auch
als Base reagieren können. Sie existieren als dipolare lonen (,,Zwitterionen"). Eine wichtige
Kenngröße von Aminosäuren ist der isoelektrische Punkt. Der IEP entspricht dem pH-Wert
bei dem sich Zwitterionen nicht im elektrischen Gleichspannungsfeld bewegen. Aminosäuren
kommen als ø-Aminosäuren in der Natur vor. Synthetisiert werden Aminosäuren mithilfe der
Sfrecker-Synthese.

Zu den Ca rbonsäu re-Derivaten, /o\


bei denen die Hydroxyl-Grup- lOl r
¿il' 1) lt
pe der Carbonsäure durch eine
funktionelle Gruppe ersetzt
¡ó- +Nul ê R-CrY c +Yl
R ¡\-z R Nu
ist, zählen die Carbonsäure- Nu
chloride, -bromide, -anhydride, Zwischenstufe Base
-ester und -amide (s. Bild 1
s. 129). Bild 1: Reaktionsmechanismus der nucleophilen Acylsubstitution

Das Carbonylkohlenstoffatom kann aufgrund seiner positiven Polarisierung leicht von Nucleo-
philen (Nu-) angegriffen werden (B¡ld 1). Die ¡-Bindung der CO-Doppelbindung wird dabei gelöst.
Damit ändert sich der Hybridisierungszustand des Carbonyl-C-Atoms von spz nach sp". Dieser
sps-Hybridisierungszustand in der Zwischenstufe ist aufgrund des negativ geladenen Sauer-
stoff-Atoms nicht stabil. Die Zwischenstufe kann sich durch Abspaltung von Nu- oder Y- stabi-
lisieren. Entscheidend dafür ist die Basizität der Abgangsgruppe. Je geringer die Basizität der
abgehenden Gruppe ist, desto besser sind ihre Abgangseigenschaften. Durch die Abspaltung der
schwachen Base erhält das Carbonyl-C-Atom seinen ursprünglichen sp'-Hybridiserungszustand
zurück. Diese im Reaktionsmechanismus (Bild 1) dargestellte Reaktion wird nucleophile Acylsub-
stitution genannt. Greift ein neutrales Nucleophil, wie zum Beispiel ein Alkohol ROH am positi-
vierten C-Atom an, so entsteht eine protonierte, sp"-hybridisierte Zwischenstufe, die ein Proton
abspaltet. ln Bild 2 ist der Reaktionsmechanismus der Esterbildung aus einem Säurechlorid und
einem Alkohol dargestellt.

ror- ror \ /o\


¿il I ¡) ---------) cil
c + H =è R-C-CI R-C -Cl + Cl-
R ct .l I
RqR
/lon
\l toR

H------lB HB*

Bild 2: Reaktionsmechanismus der Esterbildung aus einem Säurechlorid

Bild 3 zeigt die Rangfolge der relativen Basizitäten der Abgangsgruppen (Bild 3a) sowie der rela-
tiven Reaktivitäten der Carbonsäurederivate (B¡ld 3b).

a) O

Cl- *OCR
il
OR- = OHz NH;

b) ooo o o o
illlll
ccc c
tl

./\//\
il
c
lt
c
R NHz R,/\,/\OR'= R OH ROR RCt
Amid Ester Carbonsäure Säureanhydrid Säurechlorid
Zunahme der Reakt¡vität

Bild 3: Relatíve Basizitäten und relative Reaktivitäten von Carbonsäurederivaten


132
3.4 Carbonylverbindungen

Deshalb kann ein angreifendes Alkoholat-lon das Chlorid aus einem Säurechlorid ersetzen und
einen Ester bilden, da die austretende Base Cl- im Vergleich zum Alkoholat-lon die schwächere
Base ist. Umgekehrt kann ein
schwach basisches Chlorid o o o o
keine Alkoholat-Gruppe aus ei- il il
-----+ .c- .c- il il

-c- ct + c- + Cl-
nem Ester substituieren, cHs cHs o- cH¡ o cH3
Ethanoylchlorid Ethanoat Ethansäureanhydrid
Carbonsäurechloride sind sehr o o
reaktive Verbindungen, da das il il
c c
Chlor-lon eine gute Abgangs- ct ocH3 + HCr
gruppe darstellt. So reagieren + CH3OH ------------+
Säurechloride mit Carboxylat- Benzoylchlorid Methanol Benzoesäuremethylester
lonen zu Anhydriden, mit Alko- o o
il
holen zu Estern und mit Ami- il
+ OH -----) + HCI
nen zu Amiden. Mit Wasser -c- ct
cH3cH2 -C- o
cH3cH2
hydrolysieren Säurechloride Propanoylchlor¡d Phenol Propansäure-
zur entsprechenden Carbon- phenylester
Phenylpropanoat
säure und Chlorwasserstoff o ô
(Bird 1). +-
il

-c- cl + 2 CH3NH2 -----) .c- il


+ cH3NH3cl
Carbonsäureanhydride reag ie- cHe cH¡ NHCH3 Methylamin-
Ethanoylchlorid Methylamin lV-Methylethanamid hydrochlorid
ren mit Alkoholen zu Estern
o o
und Carbonsäuren (Bild 2a), il il
+ ---+ .c- +
mit Wasser zu Carbonsäuren
(Bild 2b) und mit Aminen zu
-c- ct
cH3cH2cH2
HzO
cH3cH2cH2 oH
HCI

Butanoylchlorid Butansäure
Säureamiden und Carbon-
säuren (Bild 2c). Die Reaktion Bild 1: Reaktionen der Carbonsäurechloride
von Ethansäureanhydrid mit
Aminobenzol dient häufig dem aIOOO o
Schutz der Amino-Gruppe bei ll ilil ìl

weiteren Substitutionsreak- .C- .C- + CH3CH2OH --+ .C- + .c-


cH3cH2 o cH2cH3 cH3cH2 ocH2cH3 cH3cH2 oH
tionen (s. a. Beispiel 3.1 auf Propansäureanhydrid Ethanol Ethylpropanoat Propansäure
s. 107). b) ooo
ililil
AlleReaktionen folgen dem c- -c c\
Reaktionsmechanismus auf o + H2O ---> 2 OH Benzoesäure

Seite 132. Säureanhydride re- o


agieren wie die Carbonsäu-
Benzoesäureanhydrid H
l.u J.I

reester n¡cht mit den Nucleo- clOO NHz N CHs o


ll il il
philen Chlorid und Bromid, da .ct ,c
cHs o
+ --) +
.c-
CH¡ OH
diese die schwächeren Basen CHs
Ethansäureanhydr¡d Aminobenzol l\l-Phenylethanamid Ethansäure
im Vergleich zu den zu ver- Essigsäureanhydrid Anilin Acetanilid Essigsäure
drängenden Carboxylat- bzw.
Alkoholat-lonen sind. Bild 2: Reaktionen der Carbonsäureanhydride

Carbonsäureester lassen sich mit Wasser unter


al o o
Bildung von Carbonsäure und Alkohol hydro- II HCr ll
lysieren (Bild 3a). Diese Reaktion muss ent- .c- ocH3 + H2O + CH3OH
cHs -u-
CHS OH
weder säure- oder basenkatalysiert ablaufen, Methylethanoat - Ethansäure Methanol
um die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.
Diese Esterhydrolyse bezeichnet man auch als b) o
il HCt.
o
lt
Verseifung. Reagiert ein Ester mit einem Alko- C- + CH3CH2OH C\ + CH3OH

hol, so bildet sich der Ester des Alkohols und ocH3 ocH2cH3
der Alkohol des eingesetzten Esters wird frei- Methylbenzoat Ethylbenzoat
gesetzt. Diese Reaktion ist ein Beispiel für eine Benzoesäuremethylester BenzoesäuÍeethylester

Alkoholyse, die in dieser speziellen Form auch Bild 3: Hydrolyse und Alkoholyse von Carbon-
als Umesterung bezeichnet wird (Bild 3b). säureestern
133
3 Reaktionen organischer Präparate

Carbonsäureester reagieren mit Aminen zu N-substituierten Carbonsäureamiden und Alkoholen.


Diese Reaktion ist ein Beispiel für eine Aminolyse. Wird an Stelle der Amine Ammoniak als Edukt
verwendet, wird diese Reak-
tion Ammonolyse genannt. o
il
o
Dabei entstehen ebenfalls ein tl

Carbonsäureamid und ein Al- cH3cH2


,c..
ocH2cH3
+ CH3NH2 ----)
cH3cH2
/\C+ NHCH3
cH3cH2oH

kohol (Bild 1). Ethylpropanoat Methylamin Âl-Methylpropanamid Ethanol


o o
il il
Glycerin (Propan-1,2,3-triol) ist + NH3 -----+ cH3cH2oH
,c'. ,ct +
ein dreiwertiger Alkohol, des- cH3cH2 ocH2cH3 cH3cH2 NHz
sen Hydroxy-Gruppen mit Car- Ethylpropanoat Ammon¡ak Propanamid Ethanol
bonsäuren verestert werden Bild 1: Reaktionen von Estern mit Aminen und Ammoniak
können, Sind diese Carbonsäu-
ren langkettig (-Cro bis C2s) und unverzweigt,
so werden Triester des Gycerins, sogenannte o o
il
Triglyceride, gebildet. Die Tr.iglyceride werden cH2o-c- R1 CH"OH R1-C- O-Na*
landläufig auch Fette oder Ole (flüssige Fette)
genannt. Man bezeichnet deshalb die langketti-
lo
Il
o
3 NaOH I

gen Carbonsäuren, die auch eine oder mehrere cHo-c- R2 CHOH + R2-C- O-Na*
Doppelbindungen enthalten können, als gesät- o ---) o
tigte bzw. ungesättigte Fettsäuren. CH2O-C- R3 CH2OH R3-C- O-Na*
Triglycerid Glycerin Natriumsalze
Bei der alkalischen Hydrolyse von Fetten ent- R1, R2, R3: langkettige Alkyl- Propan- von Fettsäuren
stehen Glycerin und die Alkalisalze der Fettsäu- bzw.Alkenylkette 1,z,3-triol (Seifen)
ren, die Seifen (Bild 2). Diese Stoffe bestehen
Bild 2: Hydrolyse eines Triglycerides
aus einem unpolaren Alkylrest, der hydrophob
(wasserabweisend) und aus dem polaren Car-
boxylat-Rest, der hydrophil (wasseranziehend) H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2
ist (Bild 3). H"CCCCCCCCO
" \,/
cccccccc-
\,/ \./ \,/ \ /\ / \ / \ /t-

Carbonsäureamide sind wenig reaktive Ver- H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2 I Na'


o_
bindungen. Amide reagieren nicht mit Haloge-
nid- und Carboxylat-lonen. Sie reagieren nur H2HHZHHZH2
mit Wasser oder Alkoholen, wenn die Edukte HsC o
mit Säure erhitzt werden. Carbonsäureamide H2H2H2HHzHHz
'{, I Na'
bilden mit Wasser eine Carbonsäure und Alkyl- o-
amin-Hydrochlorid sowie mit Alkoholen einen unpolar polar
Carbonsäureester und ebenfalls Alkylamin- Bild
3: Seife
hydrochlorid (Bild 4a). Ein am
Stickstoffatom unsubstituier-
tes Amid kann mit wasserent- al O o
il il
+ H2O +
ziehenden Mitteln (2. B. PrOu) c'trtHcttrcH. CHeCHzNHz
in ein Nitril überführt werden cH/ (HCrl cHfc-oH
(Bild 4b). Umgekehrt können /V-Ethylethanamid
-) Ethansäure Ethylamin-
Hydrochlorid
Carbonsäuren durch nucleo- o
phile Acylsubstitution mit
+
il
c\ + cH3NH2
Aminen oder Ammoniak keine HCH3 ocH2cH3
(HCr)
Carbonsäureamide bilden, da
Carbonsäuren Protonen an die l\l-Methylbenzamid Ethylbenzoat Methylamin-
als Base wirkenden Amine ab- Hydrochlorid
b) o
geben: il
- Hzo
Propanamid c\ (P2O5,80'C)
CH3CH2C=N Propann¡tril
CH3COOH + NH2CH2CH3 cH3cHl NHz

-t CH3COO- + H.NCHTCHj eita 4: Reaktionen von Carbonsäureamiden

Das entstandene Carboxylat-lon CH3COO- ist unreaktiv und das protonierte Amin ist nicht mehr
nucleophil.
134
3.4 Carbonylverbindungen

Carbonsäuren reagieren unter


sauren Bedingungen mit Alko- t?:l
io-,d
R

holen zu Carbonsäureestern. $H-dr' A R-c' 'ît - ¿


n-c-õH
Die Protonen der hinzugefüg- ío, u 'u - n-cJõH+u"on
ten Säure katalysieren die Re-
R-C / ìo-H'
,. - ^L
(u loR
|

aktion und sorgen dafür, dass lo-H \,?-* ,r"*ta n.tc"*o


J
I

die Carbonsäure in ihrer sau- Carbonsäure H ( Zwischenstufe Hro


ren Form R-COOH vorliegt. lm \nõu
ester åR
ersten Schritt des Reaktions-
mechanismus überträgt ein Bild 1: Reaktionsmechanismus der säurekatalysierten Esterbildung
protoniertes Alkohol-Molekül
sein Proton auf das Carbonyl-Sauerstoffatom. Ein Alkohol-Molekül R-OH greift das Carboxyl-
Kohlenstoffatom nucleophil an. Dabei kommt es zu einer tetraedrischen Zwischenstufe, von der
ein weiteres Alkohol-Molekül ein Proton abstrahiert. Die instabile Zwischenstufe, welche zwei
Hydroxy-Gruppen enthält, stabilisiert sich durch Abspaltung eines Wassermoleküls unter
Bildung eines Esters (Bild 1).

Außer der Esterbildung mit o o


Alkoholen verhalten sich Car- il
c
il
c..,
bonsäuren gegenüber nucleo- + soct2 -------+ + SO2 + HCI
philen Acylsubstitutionsreakti- CHe OH CHs cl
Ethansäure Thionylchlorid Ethanoyl-
onen relativ reaktionsträge, so o chlorid
dass ihre Umwandlung in die lt

viel reaktiveren Säurechloride


(s. S. 133) wichtig ist. So kön- 3 OH + PCl3 ----------+ 3 ct + H3PO3

nen Carbonsäuren durch Erhit- Benzoe- Phosphor- Benzoyl- phosphorige


zen mit Thionylchlorid SOCI2 säure o trichlorid chlorid o Säure
oder mit Phosphortrichlorid il

,/ cl
il
c
PC13 in Säurechloride über- + PBr3
-----+ \ + H3PO3
führt werden, Säurebromide 3 CH3CH2CH2 OH 3 CH3CH2C H2 Br
erhält man durch die Reaktion Butansäure Phosphor- Butanoyl- phosphorige
von Carbonsäuren mit Phos-
(Butte¡säure) tribromid bromid Säure

phortribromid PBrr (B¡ld 2). Bild 2: Darstellung von Säurechloriden aus Carbonsäuren
An dieser Stelle muss auf die Nomenklatur der oben genannten Carbonsäurederivate eingegan-
gen werden. Carbonsäurehalogenide bekommen den Stammnamen der längsten Kette inklusive
des Carbonyl-C-Atoms und die Endung ,,-oylhalogenid" (B¡ld 2).
Bei den Carbonsäureanhydriden wird an den Namen der Carbonsäure die Endung ,,-anhydrid"
angehängt (Bild 3a). Bei gemischten Anhydriden stellt man die Namen beider Säuren voran
(B¡rd 3b).
Zwei Methoden sind erlaubt, um Ester zu be-
nennen. Nach der neuesten IUPAC-Nomen-
a) OO d) o
il ll il
klatur bezeichnet man Ester als Alkylalkanoat. ,c.. ,c..
cH3cH2 o cH2cH3 cH3cH2
,c..
ocH2cH3
Danach wird zuerst der Alkylrest des Alkohols
genannt, dann der Name des Alkans von dem Propansäureanhydrid Propansäurethylester
sich die Säure ableitet sowie der Endung bloo ilil
e) o
tl
,,-oat" (B¡ld 3c). Die zweite Möglichkeit besteht ,rc., ,c., ,,C..
in der Nennung des entsprechenden Namens CH¡OH CH: NHZ
der Carbonsäure sowie des Alkohol-Alkylres- Ethansäuremethan- Ethanamid
tes und dem Anhängen der Endung ,,-ester" säureanhydrid
(Bild 3d). Carbonsäureamide bekommen den c) o Í) o
Stammnamen der längsten Kette inklusive des il il

Carbonyl-C-Atoms und die Endung ,,-amid" ,c.. ,c.


cHs ocH3 CHS NHCH3
(Bild 3e). Sind die Amide am N-Atom weiter
Methylethanoat ,V-Methylethanamid
substituiert, so werden die Reste in der Form
N-...yl...amid vorangesetzt (B¡ld 3f). Bild 3: Nomenklatur von Carbonsäurederivaten
135
3 Reaktionen organischer Präparate

Auf die Nomenklatur der bisher abgehandel-


ten organischen Stoffklassen wurde bereits in
Band 1 eingegangen. Eine bislang ungeklärte
Frage ist die systematische Benennung von Funktionelle
organischen Stoffen mit mehreren funktio- Gruppe
nellen Gruppen. Dazu ist es notwendig, eine Carbonsäure -sa u re Carboxy-
Rangfolge (Priorität) aufzustellen. Diese Rang-
folge ist in Tabelle 1 zu erkennen. Weist eine Ester -oat Alkoxy-
Verbindung zwei verschiedene funktionelle carbonyl-
Gruppen auf, so wird die mit dem niedrige- Säure-
ren Rang durch ihre entsprechende Vorsilbe, -oylhalogenid
halogenide
die mit dem höheren Rang durch die entspre-
chende Wortendung benannt. Die funktionelle Amid -amid Amido-
Gruppe mit dem höchsten Nomenklatur-Rang 1
bestimmt den Namen und die Bezifferung der Nitril -n itri I Cyano-
Verbindung. c
f
c Aldehyd -al Oxo-
o
Bei Carbonsäurechloriden, -bromiden, -an- 0) Keton -on Oxo-
hydriden, -estern und -amiden ist die Hy- m
droxy-Gruppe einer Carbonsäure durch o)
Alkohol -ol Hydroxy-
ein Chlor-, Brom-Atom bzw eine Alkoxy-, o
I
Alkoxycarbonyl- oder Amino-Gruppe ersetzt. o Amin -amln Amino-
O)
Diese Substituenten können durch nucleo- (!
É. Alkin -tn Alkinyl-
phile Acylsubstitution in ein anderes Car-
bonsäurederivat umgewandelt werden. Alken -en Alkenyl-

Alkan -an Alkyl-


Bei der Benennung dieser Carbonsäurederi-
vate benutzt man die Endungen ,,-oylhalo- Ether Alkoxy-
genid",,,-anhydrid",,,-ester" und,,-amid".
Halogen- Fluor-, Chlor-,
ln Beispiel 3.6 sind einige Benennungen dar- alkan Brom-, Iod-
gestellt.

Beispiel 3.6: Benennung von Verbindungen mit mehreren funktionellen Gruppen


Die vier Verbindungen in Bild 1 sollen nach IUPAC-Nomenklatur benannt werden.
Lösung:
a) Die längste zusammenhängende Kohlen- .o
stoffkette entspricht einem Propan. ln der Pri- q\.caa
oritätenliste steht die Aldehyd-Gruppe über 'cÍ 'H
o
der Hydroxy-Gruppe des Alkohols. Dement- a)
I

OH il
sprechend ist diese Verbindung ein Aldehyd cH"
\",/c\,,, cH"
und erhält die Endung (Suffix) ,,-a1". Zur Be- cH2 cH
nennung der OH-Gruppe wählt man die Vor- I

NHz
bl
silbe (Präfix) ,,Hydroxy-", welche die Ziffer 2
erhält. Der Name, welcher der Strukturformel CHO CH CH"
\"/ ls'CH
,/ \'
in Bild 1a entspricht, ist 2-Hydroxypropanal. CH COOH cH"
I t"
b) Längste C-Kette mit fünf C-Atomen: Pen- c) OH CH"
\-,/
C CH CH" n
\./ \./ \'7"
tan. Die Keto-Gruppe C=O bestimmt die En- cH2 cH cH
î
dung (,,-on") und die Bezifferung (3). Die un- o
tergeordnete Amino-Gruppe erhält die Ziller d) tar,
,,2" : 2-Aminopentan-3-on.
Bild 1: Benennung von vier Strukturformeln

136
3.4 Carbonylverbindungen

c) Die längste zusammenhängende Kohlenstoffkette entspricht einem Hexen mit der Dop-
pelbindung nach dem dritten C-Atom. Die Carboxyl-Gruppe COOH bestimmt die Endung
(,,säure") und die Bezifferung. Daher erhält die untergeordnete Hydroxy-Gruppe die Ziffer ,,5":
5-Hyd roxyhex-3-ensä u re.
d) Die längste zusammenhängende Kohlenstoffkette entspricht einem Octen mit der Dop-
pelbindung nach dem dritten und fünften C-Atom. Die den Namen bestimmende Gruppe ist
ein Ester mit der Endung ,,-oal". Der Methylrest der Estergruppe wird zuerst genannt, dann
die Methylgruppe am sechsten C-Atom. Das Oct-3,5-dien erhält die Endung ,,-oat": Methyl-6-
methyloct-3,5-d ienoat.

3.4.2 Reaktionen der Aldehyde und Ketone


Das gemeinsame Strukturmerkmal der Verbindungsklassen Aldehyde und Ketone ist die
Carbonyl-Gruppe. Aldehyde und Ketone unterscheiden sich jedoch dadurch, dass die Carbonyl-
Gruppe bei den Aldehyden am Ende einer Kohlenstoffkette und bei den Ketonen innerhalb einer
C-Kette positioniert ist. Einen Sonderfall stellt das Methanal (Formaldehyd) dar, da es nur ein
Koh lenstoffatom besitzt.

Die Doppelbindung der Car-


bonyl-Gruppe ist so polarisiert,
Ò
dass das Sauerstoff-Atom ne- oð o oô-
gative und das Kohlenstoff- il". il ll".
Atom positive Teilladungen c'tH c ô+
cu
trägt. Diese Polarisierung Hl Rl
a,'
R/ t*
wird teilweise durch die elek- Methanal Aldehyd Keton
tronenschiebende Wirkung
(+I-Effekt) von Alkyl-Gruppen
kompensiert. Au ßerdem steigt relative Reaktiv¡tät
mit der Anzahl und der räum-
lichen Ausdehnung der Alkyl- R, R'= Alkylrest
Gruppen auch die sterische
Hinderung für ein angreifen- Bíld 1: Reaktivitäten von Aldehyden und Ketonen
des Nucleophil. Aus diesen Be-
trachtungen ergeben sich die
in Bild 1 dargestellten relativen
von Aldehyden
Reaktivitäten YY
und Ketonen. Die wichtigste lanqsam | *H* |

D- -R+Y D-C-R ----------------+ D-C-R


Reaktionsart der Aldehyde
und Ketone ist die nucleophile
tl
lol- loH
Addition beziehungsweise die a)
nucleophile Additions-Elimi-
n ieru ngs-Reaktion.

Aufgrund der starken Polari- D-C-R + + schnell


----------------+ D-C-R
I *T-
----------------+ D-C-R
I

sierung der Carbonyl-Gruppe langsam


I

verlaufen die
I

Reaktionsme- loH loH


chanismen der verschiedenen b)
nucleophilen Additionen sehr
ähnlich. Prinzipiell ergeben Bild 2: Reaktionsmechanismen der nucleophilen Addítion
sich nur zwei Möglichkeiten
des Reaktionsablaufs: Entweder kann das Nucleophil direkt den positivierten Carbonyl-Kohlen-
stoff angreifen (Bild 2a) oder es greift in einer säurekatalysierten Reaktion ein Proton das Carbo-
nyl-Sauerstoff-Atom an und positiviert damit den Carbonyl-Kohlenstoff (B¡ld 2b). Die Stabilisie-
rung erfolgt in Bild 2a durch Addition eines Protons am Carbonyl-Sauerstoff-Atom oder, wie in
Bild 2b dargestellt, durch Addition des Nucleophils am Carbonyl-Kohlenstoff-Atom. Geschwin-
digkeitsbestimmend ist dabei jeweils die Addition des Nucleophils.
137
3 Reaktionen organischer Präparate

Die Umsetzung von GrÍgnard-


Reagenzien (F. Grig nard, franz.
a) H2
+Mg H2 ,B'
Chemiker, 1871 bis 1935) -Br ---------+ .c-Ms
H¡c - H2 (Et2O) H3c-c/ ó ót
mit der Carbonyl-Gruppe H2
gehört zu den bedeutenden 1-Brompropan Propylmagnesiumbromid
Reaktionen der Carbonyl-Ver- b)
bindungen. Grignard-Verbin-
dungen erhält man durch + MgBr CH3CH2CH2CH2OI- MgBr
+

Umsetzung von Halogenalka- H H


->
HrO
nen mit Magnesiumspänen -Mg(OHlBr
cH3cH2cH2cH2oH
in wasserfreiem Diethylether. Butan-1 -ol
ln Bild la reagiert Brom- c)
/ot lol Mder
propan mit Magnesium zur \il I
c +CH gBr -------+ cH3c H2cH c H 2cH 2c H2cH3
Grignard-Yerbindung Propyl- cHsc{l H
magnesiumbromid. ln dieser lõn
Propanal + Hro
Verbindung ist die Bindung zwi- + cH3cH2cHcH2cH2cH2cH3
schen dem Magnesium- und -Ms(OHlBr
Heptan-3-ol
dem Kohlenstoff-Atom stark d)
polarisiert. Die Grignard-Ver- lOl MsBr lõH
bindung greift die Carbonyl- c + CH3CH gBr
I

CH3CCH2CH2CH3
+ Hro
cH,ccH,cH"cH,
Gruppe nucleophil an. Da- -> -Ms(OHlBr "l
cH( I

cH2cH3 cH2cH3
bei entsteht als Addukt ein
Pentan-2-on 3-Methylhexan-3-ol
Alkoholat-lon. Deshalb muss
diese erste Reaktionsstufe in elr\ +H'o'-Mg(oHlBr,
oo
wasserfreiem Ether durchge- O:C:O + CH.CH,CH,; MgBr ------+ Ï
führt werden. lm zweiten Re- r___ _.-__z cH3cH2cH2 /\*CH3CH2CH2oH
o MgBr
,å..
aktionsschritt wird das Alko- Kohlenstoffdioxid Butansäure
holat hydrolysiert, wobei aus
Methanal primäre (B¡ld 1b), Bild 1 : G ri g nard-Rea ktionen von Carbonyl-Verbindungen
aus allen anderen Aldehyden
sekundäre (Bild 1c), aus Keto- lõl-.rvröe'
nen tertiäre Alkohole (B¡ld 1d) l') -olll
\-
C Br --) R-C¡ *
entstehen. Aus Kohlenstoffdi-
oxid und G rig na rd-Reagenzien *'\{l' + CH"-
cHs
| \_/
OCH3 -----+
R
,,9,.
I CH¡
Mg(ocH¡)Br

entstehen die entsprechenden Ester


Carbonsäuren (Bild 1e). Kì;\
J* cH.f rúger
Reagiert eine G rig na rd-Verbin- tertiärer Alkohol
dung mit einem Ester, findet loH tot- v$ar
zuerst in einer nucleophilen Ms(OH)Br +
I

RCCH3
+ H2O
RCCH3
Acyl-Substitution der Aus- I

tausch der Alkoholat-Grup- CHs cHs

pe durch die Alkyl-Gruppe Bild 2: Grignard-Reaktion mit einem Ester


der G rd-Verbindung statt.
rig na
Dabei wird ein Keton gebildet, welches mit überschüssigem Grignard-Reagenz in einer nucleo-
philen Addition zu einem tertiären Alkohol weiter reagiert (Bild 2).
Tertiäre Alkohole bilden sich auch bei der Reaktion von Säurechlorid mit zwei Mol einer Grignard-
Verbindung. Diese Reaktion verläuft mit einem Ester über eine nucleophile Acylsubstitution und
eine nucleophile Addition.

Grignard-Verbindungen sind Magnesiumorganische Verbindungen, bei denen sich das


Magnesium-Atom zwischen e¡nem Alkylrest und einem Halogenatom befindet.
Bei Grignard-Reaktionen reagieren Grignard-Verbindungen in wasserfreiem Medium mit
einer Carbonyl-Gruppe. Das dabei gebildete Addukt wird anschließend hydrolysiert.

138
3.4 Carbonylverbindun gen

Die Addition von Wasser an


Aldehyde oder Ketone führt
zur Bildung eines geminalen /o\ H ;OH õH oH OH
Ltt ¿ il I I

Diols. ln der Chemie spricht il


c H c H2Ol + R- c -R.i-R_c_R'
man dann von geminal (von R/ R,
R R'
)to
I

HOH
I

lal. gemini, Zwillinge), wenn \-l


a) b) c) Hrl õu Hso'
zwei gleiche funktionelle Grup- \l H
pen B. Hydroxy-Gruppen
(2.
oder Halogene wie Brom oder Bild 1: Reaktionsmechanismus der Addition von Wasser an Ketone
Iod) an dasselbe Kohlenstoff- bzw. Aldehyde (R' = H)
Atom innerhalb einer C-Kette
gebunden sind. Da sich Wasser als schlechtes Nucleophil nur langsam addiert, kann die Reakti-
onsgeschwindigkeit durch Zugabe von Säure erhöht werden. Der dabei ablaufende Reaktions-
mechanismus ist in Bild 1 dargestellt. lm ersten Schritt protoniert ein Hydronium-lon H.O* das
Carbonyl-Sauerstoffatom. lm zweiten Schritt greift das Nucleophil Wasser das Carbonyl-Kohlen-
stoffatom an. Schließlich übernimmt ein Wassermolekül das Proton, so dass daraus ein gemina-
les Diol und wieder ein Hydronium-lon entstehen.
E
Die Gleichgewichtseinstellung hängt von den Substituenten ab, die am C-Atom gebunden sind.
So ist Methanal fast vollständig, Aceton nur geringfügig hydratisiert. Alkylgruppen verschieben
das Gleichgewicht nach links zu den Carbonylverbindungen, da sie diese durch ihren +l-Effekt
stabilisieren aber gleichzeitig das geminale Diol durch sterische Wechselwirkungen destabili-
sieren.
Wenn Alkohole an Carbonyl-
OR
Verbindungen addiert werden, (H*) . I

entstehen Acetale bzw. Ketale A-C_R. + 2ROH A-C-R' + Hzo


(B¡ld 2). Die Acetalisierung er- il I

o OR
folgt in zwei Schritten. Zuerst
bildet sich unter nucleophiler R'= H ----------) Acetal
Addition eines Alkoholmo- R'= Alkyl + Ketal
leküls ein Halbacetal. Diese
Zwischenverbindung reagiert Bild2: Acetalbildung
in einer Sr1-Reaktion wei-
ter zum Acetal beziehungsweise Ketal. Diese
Gleichgewichtsreaktion kann durch Abdestil-
lieren des Wassers zur Produktseite (Acetal) P -.o.r" i'-tf'
verschoben werden. Acetale beziehungsweise ("¿ * ro.r,.r,o, ;+5 4Ç["tt'
Ketale sind gegenüber Oxidations- und Re- Methyt-3- Ethan-
(Hcl)
duktionsmitteln sowie Basen chemisch inert. oxopenianoat 1,2-diol I
Diese Eigenschaft wird genutzt, wenn nur eine
| ,-,o,ro
von zwei Carbonylgruppen reduziert oder eine
von zwei Hydroxygruppen oxidiert werden soll. ol
ln Bild 3 soll nur die Estergruppe des Methyl-
ú
_ cH2oH J
3-oxopentanoats mithilfe von Hydridionen I c lz-ÇHz
des Lithiumaluminiumhydrids LiAlHo, einem 1-Hydroxypenran-3-on ó¡ò-.rro,
sehr starken Reduktionsmittel, zum Alkohol + HOCH2CH2OH
i# -
reduziert werden. Die Keto-Gruppe muss vor
I
Ethan_1,2_diol I + CH3OH
der Reduktion durch Umwandlung der Keto-
Gruppe mithilfe eines Alkan-1,2-diols (hier: Bild 3: Acetal- und Ketal-Schutzgruppen
Ethan-1,2-d¡ol) in ein Ketal geschützt werden.
Nach der Reduktion der Estergruppe zum primären Alkohol wird die Ketal-Schutzgruppe als
Alkan-1,2-diol mithilfe von Säure wieder abgespalten.
Besonders kurzkettige Aldehyde, wie Methanal und Ethanal, neigen unter der Wirkung von
Säuren zur Polymerisation. Dabei bilden sich ringförmige Acetale wie das Trioxan bei der Trime-
risierung von Methanal,
139
3 Reaktionen o anischer Prä rate

Besonders reaktive Carbonyl- ,/:\


Verbindungen, welche eben- I o-H
falls mit Wasser und Alkoho- a) HrC: + HzO
/- H3C- C\_
//'o)
len reagieren, sind die Ketene Ethenon
-----+ HrC =C
\-OH ëJ Ethansäure OH
und die lsocyanate. Bei der
Addition von Wasser und Al-
koholen an Ketenen entstehen b) Hrc:c :r-Ð * n H ------+ HrC: C
/-ou H3C- c
//
o>

Carbonsäuren (Bild 1a) bezie- Ethenon = 'oR


OR
hungsweise Carbonsäurees-
Ethansäureester
ter (Bild 1b), während bei der
Addition von Alkoholen c) R'-N:C: Ð +RO H --) R'-N-C:O
an
lsocyanaten Urethane (Bild 1c) lsocyanat
H
lt IOR
gebildet werden. Diisocyanate Urethan
reagieren mit Diolen zu Polyur-
ethanen. Bild 1: Reaktionen von Keten und lsocyanat

Methannitril (Cyanwasserstoff)
und Ethin (Acetylen) sind R RCN
Hydroxynitril
durch Abspaltung des Protons a) C:O +HCN ¡J
in der Lage, Anionen zu bilden. R R
,/\C OH
Cyanhydrin

Die Cyanid- und Acetylid-lo-


R R CN R CN
nen sind Nucleophile. welche H+
die Carbonyl-Gruppe angrei- b) c
=o)
+cN- Ê c c
fen können. Diese Reaktionen ,/
werden durch Basen kataly-
R R
\oi- R OH

siert, nicht aber durch Säuren, I ITR-cH-cooH


da diese durch Protonierung c) R-cH:o+HCN + N;"1goR-cH-cN*
"l-NH.l
den Cyanid- und Acetylid- Aldehyd NH, NH,
lonen den nucleophilen Cha- Aminonitril Aminosäure
rakter nehmen. Bild 2a zeigt
die Addition von Methannitril R ROH
HCN an einen Aldehyd bzw. d) c :Ol +H C:C -+ ç Alkinol
an ein Keton. Als Produkt ent- -H
R R C:CH
steht ein Hydroxynitril, auch
Cyanhydrin genannt. Der nuc- Bild 2: Addition von Anionen an die Carbonyl-Gruppe
leophile Angriff von CN- sowie
des Acetylens wird in Bild 2b sowie 2d deutlich.

Die Strecker-Synthese in Bild 2c ist eine Variante der Cyanhydrin-Reaktion von Seite 130. Sie
dient zur Darstellung von Aminosäuren. Dabei bildet sich als Zwischenprodukt Aminonitril,
welches anschließend zur Aminosäure hydrolysiert werden kann.
Besitzt ein Aldehyd oder ein Keton an dem zur
Carbonyl-Gruppe ø-ständigen C-Atom min-
û-ständig es /o\
destens ein Wasserstoffatom, wie in Bild 3
C-Atom (î tot

dargestellt, so spricht man von G-H-aciden \ c ,, c.. € zzc


I

Verbindungen. Wenn diese Wasserstoffatome RCH R RCH,\ R


V+HB*
RCH ". R
von Basen angegriffen werden, findet ein Pro- I

Hr-B
mesomeriestabilisiertes Carbanion
tonenübergang statt und das Bindungselekt-
ronenpaar bleibt am Kohlenstoffatom zurück. Bild3: C-H-acideCarbonyl-Verbindung
Diese negative Ladung kann durch Mesomerie
unter Einbeziehung der Carbonyl-Gruppe stabilisiert werden (B¡ld 3), so dass eine im Vergleich
zu einer C-H-Bindung in einem Alkan deutlich höhere Acidität registriertwird (pK, - 16 bis 20).
Hier besteht eine Parallelität zur Säureeigenschaft der Carbonsäuren. Eine Steigerung der Säure-
stärke tritt dann auf, wenn sich eine -CHr-Gruppe zwischen zwei Carbonyl-Gruppen befindet, wie
zum Beispiel im Pentan-2,4-dion (triv.: Acetylaceton). Der pKr-Wert von Pentan-2,4-dion beträgt
8,9. Der Grund dafür liegt in der besseren Mesomerie-Stabilisierung des Carbokations.
140
3.4 Carbonylverbindungen

Ketone stehen in einem Gleichgewicht zu


ihrem Enol-lsomer (B¡ld 1). Das Phänomen. > 99,9 % o OH < 0,1 o/o

Keto-Form il Enol-Form
wenn sich lsomere, die im Gleichgewicht mit- Propanon
c
I

c Propen-2-ol
einander stehen, durch die Stellung einer Dop- cH{ -cH. CHz CHs
pelbindung und eines H-Atoms unterscheiden,
H
wird Keto-Enol-Tautomerie genannt (s. S. 93). o o o -o
Das Gleichgewicht liegt beim Propanon prak- il il II I
tisch vollständig auf der Keto-Seite, während c c c
es beim Pentan-2,4-dion zu etwa 15o/, auf HSC -c'r
CHZ CHS HgC c
z/z
'cH 3
der Enol-Seite liegt. Zusätzlich wird
dieses H
Enol noch durch intramolekulare Wasserstoff- 85 % Keto-Form 15 % Enol-Form
Pentan-2,4-dion 4-Hydroxypent-3-en-2-o n
brückenbindungen stabilisiert.
Bild 1: Keto-Enol-Tautomerie
Die Additionen c-H-acider Verbindungen an
Carbonyl-Gruppen führen zur Bildung von C-C-Verknüpfungen. Solche Reaktionen sind für die
präparative Chemie besonders wertvoll, da sie zum Aufbau von Kohlenstoff-Gerüsten führen.
Aldehyde und Ketone mit Wasserstoff-Atomen am o-ständigen C-Atom können in einer Aldol-
Addition mit sich selbst solche C-C-Verknüpfungen ausbilden. Voraussetzung dafür ist die Bil-
dung eines Carbanions, welches über die Abspaltung eines Protons vom a-C-Atom durch eine
starke Base entsteht (Bild 2). Dieses durch Mesomerie stabilisierte Carbanion ist ein Nucleophil
und kann den positivierten Carbonyl-Kohlenstoff eines zweiten Aldehyd- bzw. Keton-Moleküls
angreifen, Das negativ geladene Sauerstoff-Atom erhält ein Proton des Lösemittels Wasser. Bei
einer Aldol-Addition entstehen Hydroxyaldehyde (,,Aldole") bzw. Hydroxyketone unter Verdop-
pelung der Kohlenstoffzahl im Vergleich zur eingesetzten Carbonyl-Verbindung. Die Reaktivität
der Aldehyde ist höher als die der Ketone.

.ï- î Carbanion
/o\
-è. ll + H2O

cH.)H-c- H /O\ _-./c


cH3cH \
/O\
H /o\ OH il
tl

cH3cH2 '\, 1 r-
lol
CH3CH2CH
I

CH
-
C.-
il

U
+ H2O
J
I

cH3cH2cH
- cH
I
-c-r
+ oH
H

+
L-,.c- H -
I
òr=
Carbanion cH3cH CHg 3-Hydroxy-2-methylpentanal

2: Reaktionsmechanismus der Aldol-Addition


Bild
Gemischte oder gekreuzte Aldol-Additionen OH
zwischen verschiedenen Aldehyden oder Alde-
hyden mit Ketonen sind möglich, führen aber 2 {oH-} H .ú I

zu einem schwer trennbaren Produktgemisch. Benzoesäure Benzylalkohol


a) Disproportionierun g von Benzaldehyd
Aldehyde und Ketone ohne Wasserstoff-Atom
am a-C-Atom zeigen keine Aldol-Additionen. o
Durch Erhitzen in starken Basen läuft bei Alde-
O^t .rÅr4rÅo, +
hyden eine Cannizzaro-Reaktion (5. Cannizzaro, Benzaldehyd Methanal Methansäure Benzylalkohol
ital. Chemiker, 1826 bis 1910) ab, Ketone reagie-
b) Gekreuzte C a n n i zz a ro-Reaklion
ren nicht. Die Cannizzaro-Reaktion beruht auf
der Reduktion von Aldehyd-Molekülen durch BitdS: Cannizzaro-Reaktionen
andere Aldehyd-Moleküle zu Alkoholen und
Carbonsäuren bzw Carbonsäuresalzen (Bild 3a). Bei gekreuzten Cannizzaro-Reaktionen (B¡ld 3b)
reduziert der Aldehyd mit der stärkeren Reduktionskraft (hier: Methanal) den anderen Aldehyd.

Eine Aldol-Addition ist eine Reaktion zwischen zwei Aldehyd- oder Keton-Molekülen mit je-
weils einem ø-ständigen H-Atom zur Carbonyl-Gruppe in alkalischem Medium.
Cannizzaro-Reaktionen laufen mit Aldehyden ohne a-ständigem H-Atom zur Carbonyl-Grup-
pe in alkalischem Medium ab. Die Aldehyde disproportionieren dabei zu einem entsprechen-
den Alkohol und einer Carbonsäure.

141
3 Reaktionen organischer Präparate

Über die Reduktionsfähigkeit kann man Aldehyde und Ketone voneinander unterscheiden. So re-
duzieren Aldehyde die Agt-lonen des Diaminsilber-Komplexes [Ag(NH3)2]* zum metallischen Silber
(,,Silberspiegel") und werden dabei zum Carbonsäuresalz in alkalischer Lösung oxidiert:
R-CHO + 2[Ag(NH.)2I* + 3OH- --+ R-COO- + 2Ag + 2HrO + 4NH,
Ketone zeigen mit dem Diaminsilber-Reagenz keine Reaktion, da sie selbst nicht oxidierbar sind.
Die Knoevenagel-Reaktion (E. Knoevenagel,i -H"o
] cuHucHo cH:Noz (-rt-t H5c6-cH:cH-*o,
I

dt. Chemiker,'1865 bis 1921)folgtdem gleichen +


I

I
Reaktionsschema wie die Aldol-Addition. Alde- I
.H3c\c/'ccl3
'i, I

hyde und Ketone reagieren mit C-H-acidei I arraoar, + cHCr¡ (NaoH),


Verbindungen mit der allgemeinen Zusam.- | Ho- 'cH. I

mensetzung X-CH2-Y bzw. X-CHR-Y wobei Bitdl: Knoevenagel_Reaktionen


I

X für elektronenziehende Substituenten wie


W z. B. -CHO, -CN, -N02 oder -CCl., steht (B¡ld 1).

Auch Ethansäureanhydrid ist eine C-H-acide Verbindung, die im Gemisch mit Acetat-lonen als
Base an der Carbonyl-Gruppe des Benzaldehyds addiert werden kann. Bei dieser nach W, Perkin
(brit. Chemiker, 1838 bis 1907) benannten Reaktion entstehen Zimt- und Essigsäure (Bild 2a).

a) + ./O + CHiCo + Na* ----------+ H5C6-CH:CH-COOH + CH3COOH + CHsCoo- + Na+


H
I
3-Phenylpropensäure Ethansäure Natrumacetat
Benzaldehyd
Ethansäure-
:\6 anhydrid Zimtsäure Essigsäure

cN-
b) H^C6CHO + HsC6CHO ---J HsCo-CH-C-C6H5
Benzaldehyd år å
2-Hy droxy-1,z-diphenylethanon (Benzoin)

Bild2: Perkin- und Benzoin-Reaktion

Bestimmte aromatische Alde-


H H
hyde reagieren mit Cyaniden I I

nicht zu Cyanhydrinen, son- H-N X N-X N-X


dern zum Benzoin (Bild 2b).
R-C-R
/---=-->
+ H"N-X -----)
/t H"oR-C-R
(R-c -R ----+ R-C-R ----i--+Ill

Diese Reaktion ist mit Cyamid


umkehrbar.
Q!l
luz
\å r- Ho
I

Zahlreiche Am moniak-Derivate intramolekulare instabiles lmin bzw.


Protonenwanderung Zwischenprodukt lminderivat
können ebenfalls als N-Nuc-
leophile nach dem Schema in X Edukt
Strukturelement Verbindungsklasse
Bild 3 an der Carbonyl-Gruppe des Produktes des Produktes
von Aldehyden und Ketonen pflmares
addiert werden. Das erste Ad- lm in
-Alkyl Amin ,C:N-Alkvl
ditionsprodukt stabilisiert sich
durch intramolekulare Proto- H
Phenyl-
H

nenwanderung. Auch dieses I

N CoHs hydrazin
I
Phenylhydrazon
Zwischenprodukt ist nicht stabil - ,C:N-N-C6Hb
genug und spaltet zu seiner Sta-
bilisierung Wasser ab, so dass -NHz Hydrazin
,C:
N
- NHz Hydrazon
ein lmin bzw. ein lmin-Derivat
entsteht. Die Gesamtreaktion Hydroxyl-
C: N-OH
setzt sich zusammen aus einer -oH am in Oxim

Addition und der anschließen-


Semi-
den Eliminierung und wird des- N-NHCONH2 Semicarbazon
halb nucleophile Additions-Eli- j-nrnconrn, carbacid /c:
minierungs-Reaktion genannt. Bild 3: Nucleophile Additions-Eliminierungs-Reaktionen
142
3.4 Carbonylverbindungen

Die lmin-Derivate Phenylhydrazin, Hydroxylamin, Semicarbazid reagieren mit Aldehyden und


Ketonen zu den entsprechenden Phenylhydrazonen, Oximen oder Semicarbazonen. Diese gut
kristallisierenden, bei hoher Temperatur schmelzenden Additionsprodukte dienen der ldentifizie-
rung von Aldehyden und Ketonen.
Sekundäre Amine reagieren
mit Aldehyden und Ketonen, /'Ã\ ,.oH -H,o
mit einem Wasserstoffatom ", -1t-1:d) + HNRz --------)
-ï-11rr, -1:1-",
am a-ständigen C-Atom unter
Wasserabspaltung zu Enami-
- Enamin

nen (Bild 1a). b) R-C- R'+R')NH+Hz Ni , R-CH-R' + Hzo


il sekundäres Amin
B¡ld 1b zeigt ein Beispiel für die ô I

NR'i
reduktive Aminierung von Alde- Aldehyd R' = H tertiäres Amin
Keton R' = Alkyl
hyden und Ketonen mit Wasser-
stoff und einem Hydrierungs- Bildl: EnamineundreduktiveAminierung
katalysator. Mit Ammoniak, pri-
E
mären oder sekundären Aminen entstehen primäre, sekundäre und tertiäre Amine

Die Carbonylgruppe von Aldehyden und Ketonen reagiert in einer nucleophilen Additions-
Eliminierungs-Reaktion mit Ammoniak-Derivaten wie Hydroxylamin, Semicarbazid oder
Phenylhydrazin.

Bei der ffiTfþ-Reaktion (G.


Wittig, dt. Chemiker, 1897 bis HsC HsC

1987) reagieren Aldehyde oder C:O+( C6H5)3P : CHCH3 ------) + (CoHslsP:O


Ketone mit Phosphoniumyli- ,C:CHCHa
HeC HsC
den zu Alkenen und den ent-
sprechenden Phosphinoxiden. Propanon Triphenyl- 2-Methylbut-2-en Triphenyl-
phosphoniumylid phosphinoxid
Dabei wird das doppelt ge-
bundene Sauerstoffatom der
Carbonyl-Gruppe durch den Bild 2: Wittig-Reaktion
doppelt gebundenen organischen Rest des Phosphoniumylids ausgetauscht (B¡ld 2)

Die Wittig-Reakt¡on ist eine Methode zur Darstellung von Alkenen durch Reaktion eines
Aldehyds oder Ketons mit einem Phosphoniumylid.

Eine sehr wichtige Reaktion der Oxime ist die


Beckmann-Umlagerung lE. O. Beckmann, dt. a) R -C -R' (PCl5l R'-C-NH-R
Chemiker, 1853 bis 1923). Hierbei gruppieren tl -----+ tl
N-OH o
sich Atome beziehungsweise Molekülteile im
Oxim Säureamid
bestehenden Molekül um. Beckmann lagerte
Oxime unter Einwirkung von konzentrierter b) o
Schwefelsäure oder von Phosphorpentachlo- r\r.ru (konz. HzSO¿l /\/-^-\Z
(
rid PClu zu Carbonsäureamiden um (Bild 3a). lil
\____-/ \H
Von großer technischer Wichtigkeit ist die Cyclohexanonoxim e-Caprolactam
Beckmann-Umlagerung von Cyclohexanon-
oxim, welches aus Cyclohexanon und Hydro- Bild 3: Beckmann-Umlagerung
xylamin hergestellt wird. Das Cyclohexanonoxim, eine sechsatomige Ring-Verbindung, lagert
sich unter Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure zu einem siebenatomigen, ringförmigen
Carbonsäureamid, einem sogenannten Lactam, dem e-Caprolactam um (Bild 3b).
143
3 Reaktionen o anischer P

Bei der Beckmann-Umlagerung werden Oxime zu Säureamiden umgelagert. Wichtigstes


Beispiel ist die Umlagerung des Sechsringes Cyclohexanon zu dem Siebenring e-Caprolactam
(cyclisches Säureamid).

Verbindungen, deren beide Keto-Gruppen


benachbart sind, werden auch a-Diketone
genannt. Das bekannteste a-Diketon ist das HsCo- HO
4'ß
-C-C CoHs
1,2-Diphenylethandion, auch mit dem Trivial- lJ -
namen Benzil genannt. Behandelt man Benzil 1,2-Diphenylethandion HsCo
(Benzil)
mit Hydroxid-lonen, so findet eine Umlage- I
rungs-Reaktion von Benzil in das Anion der
Benzilsäure statt (B¡ld 1). Da auch a-Diketo- ôro H ô tot
ne mit H-Atomen am a-ständigen C-Atom lll
to-c-c C6H5 <-
II I

zur Aldol-Reaktion neigen, kommen für die I


-C-C-C6H5I

Benzilsäure-Umlagerung fast nur aromatische HsCo HsCo


ø-Diketone in Frage. Benzilsäure-Anion

Bild 1: Benzilsäure-Umlagerung

3.5 Stereochem¡e organischer Stoffe


Die Stereochemie beschäftigt sich mit dem dreidimensionalen Aufbau organischer Moleküle.
welche die gleiche chemische Bindung und Zusammensetzung, aber eine verschiedene Anord-
nung der Atome aufweisen. Dabei beschreiben Konstitution, Konfiguration und Konformation
den dreidimensionalen Aufbau des Moleküls.
Mit dem räumlichen Ablauf chemischer Reaktionen stereoisomerer Moleküle (stereochemische
Dynamik) beschäftigt sich dieses Kapitel nicht.
Die Konstitution bestimmt die Anordnung der Atome und der Bindungen untereinander in
einem Molekü1, während die Konfiguration die räumliche Lage der Atome angibt, Daraus er-
geben sich zwei Hauptgruppen von lsomeren: Konstitutions- und Konfigurationsisomere.

Konstitutionsisomere besitzen die gleiche Summenformel, sie unterscheiden sich jedoch in der
Art und Weise, wie die Atome miteinander verknüpft sind. So sind Konstitutionsisomere häufig
chemisch völlig verschieden, wie die Beispiele Propanon/Propanal (Summenformel: C.HuO) oder
Ethanol/Dimethylether (Sum menformel: C2H60) zeigen.
Konfigurations¡somere werden auch Stereoisomere genannt. Sie unterscheiden sich nicht in der
Art und Weise der Verknüpfung der Atome untereinander. Der Unterschied zweier Stereoisomere
wird erst bei ihrer räumlichen Betrachtung sichtbar.
Die Konfigurationsisomerie unterteilt man in die geometrische (crsltrans- bzw E/Z-lsomerie) und
in die optische lsomerie von Verbindungen.
Durch die Aufhebung der freien Drehbarkeit zwischen den C-Atomen der C-C-Doppelbindung
kommt es zu cisltrans-, auch E/Z-lsomeren (s. S. 83).
Gegenstände, auch Moleküle, von denen zwei Formen existieren, die sich wie Bild und Spiegel-
bild verhalten, werden chiral genannt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die rechte und linke Hand.
Chirale Gegenstände lassen sich durch Übereinanderlegen nicht zur Deckung bringen.

Geometrische lsomere sind cisltrans-lsomere. Opt¡sche lsomere verhalten sich wie Bild und
Spiegelbild und erhalten die Bezeichnung chiral,

Die Konformation eines organischen Moleküls beschreibt die räumliche Anordnung der Atome,
die durch Drehung um Einfachbindungen entstehen.
144
3.5 Stereochemie organischer Stoffe

Bei der Rotation um die Bindungsachse eines Ethan-Moleküls ergeben sich die gestaffelte
(Bild la) und die verdeckte (ekliptische) Konformation (Bild 1b). Dadurch entstehen Rotations-
isomere. Diese beiden Extrem-
positionen der Konformation H H H H HHb)
werden entweder durch die a)
Blick- Blick-
perspektivische Sägebock- richtung r¡chtung
Proiektion oder die schemati- H
H H

sche Newman-Projektion (M.


Newman, amerik. Chemiker, H H 60'
1908 bis 1993) dargestellt. Die H H
energetisch günstiger gestaf- HH
felte Konformation kann durch
H H HH
Energiezufuhr in die ener-
H H H
giereichere ekliptische Konfor-
Sägebock- Newman- Sägebock- Newman-
mation umgewandelt werden. Projektion Projektion Proiektion Pro¡ekt¡on
Zwischen diesen beiden Ext-
rem-Konformationen existiert gestaffelt energetisch
günstig
ekl i ptisch + energetisch
u ng ünstig
eine große Anzahl von Zwi-
schen positionen. Bild 1: Konformationen des Ethans

3.5.1 Asymmetrisch substituierte Kohlenstoffatome


An ein asymmetrisch substituiertes Kohlen- cl Spiegelebene cl
stoffatom sind vier verschiedene Substituen- I
ten gebunden. Es wird als Chiralitätszentrum
I

.c
bezeichnet. Ein Molekül mit einem asymmet- Hs"r'.'cHrcH.
risch substituierten C-Atom ist chiral, 2-Chlor- cftcLl \" /
CHs CHs
butan ist ein chirales Molekü|. Von ihm existie-
ren zwei nicht deckungsgleiche Spiegelbilder Stereoisomere des 2-Chlorbutans
Enantiomere
(B¡ld 2). Diese beiden Stereoisomere werden
Enantiomere genannt. Bild 2: Stereoisomere des 2-Chlorbutans
Die räumlichen Verhältnisse a) H blH c) o
von Stereoisomeren werden \// O tgr,O H
\ c //.o d) H
,//
anschaulich. aber aufwän-
dig durch die Keilstrich- oder
Raumformel wiedergegeben,
t+ H-Ç-.oH
+
H- c -oH
I

HO
-c
c
I

H
'zci""oH
HoH2c t, I I

õHroH CH zoH c Hzo H


Eine weitere Darstellungs-
möglichkeit bietet die Fischer- D-Glycerinaldehyd D-Glycerinaldehyd L-Glycerinaldehyd
perspektivische Darstellung Físcfrer-Projektionen
Projektion (E. Fischer, dt. Che-
miker, 1852 bis 1919). Bild3
zeigt die Entwicklung der Bild 3: Fr.scáer-proiektionen von Glycerinaldehyd
Fischer-Projektion aus der per-
spektivischen Darstellung (Bild 3a) am Beispiel des Glycerinaldehyds (Propan-2,3-diolal). Dabei
wird das asymmetrisch substituierte C-Atom durch den Schnittpunkt der vier Bindungen sym-
bolisiert, die ein Kreuz bilden. Die horizontalen Linien stehen für Bindungen, welche aus der
Papierebene herausragen, während die vertikalen Linien die hinter die Papierebene weisenden
Bindungen symbolisieren (Bild 3b). Definitionsgemäß wird die längste C-Kette senkrecht ange-
ordnet, wobei das höchstoxidierte C-Atom (COOH > CHO > CH2OH > CH3) oben steht (Bild 3c)'
Das zweite Enantiomer wird durch Vertauschen der beiden horizontalen Bindungspartner erhal-
ten (Bild 3d). Steht der Substituent mit der höheren Priorität rechts, wird die Konfiguration mit
D (lat. dexter, rechts) bezeichnet (Bild 3c), während bei der L-Konfiguration (lat. /aevo, links) der
Substituent links steht (Bild 3d). Die Bezeichnungen D bzw L werden immer nur für ein Molekül
als Ganzes vorgenommen.
145
3 Reaktionen organischer Präparate

Das R,S-System ist auf alle Verbindungen mit asymmetrisch substituierten Kohlenstoffatomen
anwendbar. Mit diesem Nomenklatur-System, das nach R. Cahn (engl. Chemiker, 1899 bis 1981),
C. lngold (engl. Chemiker, 1893 bis 1970) und l4l. Prelog (bosn. Chemiker, 1906 bis 1998) auch
CIP-Nomenklatur genannt wird, kann die absolute Konfiguration aller chiralen Zentren einer Ver-
bindung bestimmt werden.
Dazu werden alle vier Substituenten eines Chi-
ralitätszentrums nach ihrer Priorität (Bedeu- e ct e
tung; Rangfolge) geordnet. Die Priorität steigt ct
mit steigender Ordnungszahl der Atome, die I I

c c
direkt an das chirale C-Atom gebunden sind.
Sind an das Chiralitätszentrum zwei gleiche ctucLl {"r @ @ ru7 \ cH2cH3
Atome gebunden, entscheidet die Ordnungs- CHs CHg
zahl der nachfolgend gebundenen Atome. ln @@
Bild 1 entscheidet das C-Atom der Methyl- (Sl-2-Chlorbutan (ß)-2-Chlorbutan
Gruppe. Doppelbindungen zählen doppelt. ln
Bild 1 entscheidet das Chlor-Atom die höchste Bitd t: CtP-Nomenktatur
Priorität, gefolgt von der Ethyl-, der Methyl-
Gruppe und schließlich dem H-Atom. Danach wird das Molekül so ausgerichtet, dass der Substi-
tuent mit der niedrigsten Priorität (H-Atom) vom Betrachter weg weist und der mit der höchsten
Priorität (Chlor-Atom) nach oben zeigt. Dann ergibt sich die Drehrichtung aus der prioritäten-
Reihenfolge (B¡ld 1).

Chiralität heißt die Eigenschaft, wenn zwei Gegenstände sich wie Bild und Spiegelbild verhal-
ten. Verbindungen mit asymmetrisch substituierten Kohlenstoffatomen sind chiral. Das mit
vier verschiedenen Substituenten verbundene Kohlenstoffatom ist das Chiralitätszentrum.
Zwei Moleküle, die zueinander chiral sind, nennt man ein Enantiomerenpaar.
Die Benennung erfolgt entweder durch CIP-Nomenklatur oder nach der Fischer-Projektion.

3.5.2 Optische Aktivität


Enantiomerenpaare haben dieselben Löslichkeiten, Schmelz- und Siedetemperaturen. Bei der
Bestrahlung mit linear polarisiertem Licht verhalten sich beide Stereoisomere unterschiedlich.
Licht ist elektromagnetische Strahlung und schwingt in allen Ebenen und Richtungen. Dabei
handelt es sich um Transversalwellen (sie schwingen quer zur Ausbreitungsrichtung), wobei die
Schwingungen von elektrischen und magnetischen Feldern senkrecht aufeinander stehen. Linear
polarisiertes Licht schwingt immer nur in einer Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Es
wird durch Polarisatoren wie Polarisationsfilter oder lVico/-Prismen (W. Nicol, schott. Physiker,
1768 bis 1851) erzeugt. Polarisationsfilter kann man sich als feinmaschiges Gitter vorstellen, auf
das Lichtwellen verschiedenster Schwingungsebenen auftreffen, wobei nur die Schwingungs-
ebene diesen Filter passieren kann, die mit der Richtung des Gitters übereinstimmt. Verbindun-
gen mit asymmetrisch substituierten C-Atomen drehen die Schwingungsebene linear polarisier-
ten Lichtes. Solche Verbindungen bezeichnet man als optisch aktiv.
OptischeAktivität kann in einem Messgerät, dem Polarimeter, gemessen werden (B¡ld l, S.147).
Das Polarimeter besteht aus einer Natrium-Lampe als Lichtquelle. Sie sendet gelbes Licht der
Wellenlänge 589 nm, die sogenannte D-Linie, aus. Zwischen dem feststehenden und dem dreh-
baren Polarisationsfilter (auch Pol-Filter) befindet sich als Probenraum eine meistens 10 cm
lange Glasküvette, in welcher die Probelösung luftblasenfrei eingefüllt wird. Durch Drehen des
drehbaren Analysatorgitters erreicht man bei maximaler Helligkeit die übereinstimmung der
Drehwinkel von Gitter und Drehrichtung der Schwingungsebene. Auf einer Skala kann dann der
Drehwinkel und die Drehrichtung, rechts (+) oder links (-), abgelesen werden. Der Drehwinkel
hängt von der Küvettenlänge (die in der Regel konstant ist), von der Temperatur, der Wellenlänge
des Lichtes und von der Konzentration der optisch aktiven Probensubstanz ab.
Jede optisch aktive Substanz besitzt einen spezifischen Drehwinkel. Dieser spezifische Dreh-
winkel aj kann nach folgender Formel bestimmt werden:
146
3.5 Stereochemie organischer Stoffe

d a, I c T A
al= Gt. 3.1
' lc'll srao I om I mor.r--' I
K nm

wobei a der gemessene Winkel, / die Küvet-


tenlänge, c die Stoffmengenkonzentration der Ti¡belle l: Spezifische Drehwinkel
Probensubstanz, T die absolute Temperatur Substanz Spez. Drehw.
und ,t die Wellenlänge der Lichtquelle ist.
(s)-(-)-2-Methyl butan- 1 -ol - 5,75"
Tabelle 1 zeigT, dass ein Enantiomerenpaar,
z. B. (Æ)-(+)- und (S)-(-)-2-Methylbutan-1-ol, (R)-(+)-2-Methyl butan- 1 -ol + 5,75"
den gleichen Betrag von 5,75o des spezifischen
Drehwinkels zeigen, jedoch mit entgegenge- L-Milchsäure
+ 3,82"
setzter Drehrichtung. Die Drehrichtung ist un-
abhängig von der Konfiguration, sie erscheint
im Namen der optisch aktiven Verbindung mit
(S)-(+)-2-Hydroxypropa nsä u re
D-Milchsäure
( B)-(-)-2-Hydroxypropa nsä u re
- 3,82"
ffi
einem (+) für rechtsdrehend und mit einem (-)
für linksdrehend.
Eine Mischung äquimolarer Mengen eines En-
gedrehtes
{9.
antiomerenpaares zeigt im Polarimeter keine po a ris¡ertes
I
+

Drehung der Schwingungsebene des polari-


sierten Lichtes an, da sich die Drehrichtungen
Messküvette
der Schwingungsebenen gegenseitig aufhe- (10 cm)
ben. Ein solches Gemisch wird racemisches
Gemisch oder Racemat genannt. Sobald ein
feststehender
Überschuss eines Enantiomeren vorliegt, kann Polf ilter drehbarer
seine spezifische Drehung im Polarimeter ge- \ \Ã\ Polfilter
messen werden.
(ìl.llN\,,near
porarisiertes Lichr
Optische Aktivität ist die Eigenschaft einer .
Verbindung, die Ebene des polarisierten :l 'unpolarisiertes Na-Licht
Lichtes zu drehen. Dieser Drehwinkel. der É
für jede Substanz charakteristisch ist, kann Lichtquelle: Na-Lampe (589 nm)
mit einem Polarimeter gemessen werden. Bild 1: Polarimeter

3.5.3 Verbindungen m¡t mehreren chiralen Zentren


Viele Verbindungen besitzen mehrere asymmetrisch substituierte Kohlenstoff-Atome. So exis-
tieren vom 3-Chlorbutan-2-ol, welches zwei chirale ZenTren besitzt, vier Stereoisomere, die in
Bild 2 sowohl in perspektivischer Darstellung (Bild 2a) als auch in der Fischer-Projektion (Bild 2b)
dargestellt sind. Die vier Stereoisomere des 3-Chlorbutan-2-ol bilden zwei Enantiomerenpaare
(Stereoisomer 1 und 2 sowie 3 und 4), die spiegelbildlich zueinander sind. Die Stereoisomere 1
und 3 sowie 2 und 4 sind nicht identisch, sie sind aber auch nicht chiral (Bild und Spiegelbild).
Solche Stereoisomere werden Diastereomere genannt.
uo,..
a) Perspektiv¡sche H"C /;\
v .H H H"C H
@ ,rcì,
>c2
Q) ,zc{" .s
ioH HO >C-C.,..
Formeln von .\\'
oH HO c,.,,.
3-Chlorbutan-2-ol ,.,,.ç
ct/ -i CH¡ HsC VCI
r"7 CHs Hrc/ \.,t
H H cl
(2S, 3F)-3-Chlorbutan-2-ol (2F, 3S)-3-Chlorbutan-2-ol (2S, 3Sl-3-Chlorbutan-2-ol (2F, 3B)-3-Chlorbutan-2-ol
CH. CHa CHg CH:
u-f ct OH
Enant¡o-
meren-
Ho-_]-
cr-+-
H u-l-- OH
cr-]-
Enantio-
meren-
Ho-l-- H
H-]-
b) Fiscñer-Projektions-
formeln von
3-Chlorbutan-2-ol
H
-f-
C cH.
paar 1
(Ð cH,
H
G) cH.
H paat 2
@) cH,
ct

Bild 2: Stereoisomere mit zwei chiralen Zentren


147
3 Reaktionen organischer Prä rate

Obwohl Weinsäure (2,3-Dihydroxybutandisäure) zwei Chiralitätszentren besitzt, kommen nur


drei Stereoisomere vor, da beide chiralen Zentren mit gleichen Substituenten besetzt sind.
Die meso-Weinsäure besitzt neben der äußeren eine innere Spiegelebene (in Bild 1 gestrichelt
gezeichnet), Von der meso-Weinsäure existiert nur ein Stereoisomer, das heißt, es gibt kein
Enantiomerenpaar. Die meso-Weinsäure ist nicht optisch aktiv, da sich die Drehrichtungen der
beiden optisch aktiven Zentren gegenseitig aufheben.

a) Perspek-
tivische
Hooc\ø @JH Hooc\ø G).soH Hooc\@@.sH H
o cooH
Formeln ..,.C-C<H .,.C-C-H .,'C-C'-OH HO-
i"/ 'coo, i"/ '.oo, ly
{2F,3s)-Weinsäure (2F, 3s)-Weinsäure (2F,
'.oo,
3B)-Weinsäure
HO
H

(2S,3s)-We¡nsäure
meso-We¡nsäure Enant¡omerenpaar
cooH cooH cooH cooH
H OHø HO Hø H-f oHø Ho-l-- H@
bl F¡scher-
H oH@
cooH
HO HO Ho--]-H @ H+ oHo
Proiektionen cooH cooH co OH
Bild 1: Stereoisomere der Weinsäure
Eine sehr große Verbindungsgruppe, deren Einzelvertreter mehrere chirale ZenlÍen besitzen, sind
die Kohlenhydrate, oft alternativ als Saccharide oder Zucker bezeichnet. Man unterscheidet die
Monosaccharide (einfache Kohlenhydrate) von den Disacchariden (zwei miteinander verknüpfte
Monosaccharid-Einheiten), den Oligosacchariden (zirka drei bis zehn verknüpfte Monosaccharid-
Einheiten) und den Polysacchariden (mehr als zehn miteinander verbundene Zuckereinheiten).

Der strukturelle Aufbau eines Monosaccharids kann entweder ein Polyhydroxyaldehyd (zum Bei-
spiel D-Glucose) oder ein Polyhydroxyketon (2. B. D-Fructose) sein. Polyhydroxyaldehyde wer-
den als Aldosen, Polyhydroxyketone als Ketosen bezeichnet. Die Bezeichnung kann auch nach
der Anzahl der Kohlenstoffatome erfolgen: Monosaccharide mit vier C-Atomen nennt man Tet-
rosen, solche mit fünf Kohlenstoff-Atomen Pentosen und solche mit sechs C-Atomen Hexosen.

Für Zucker ist bis heute die D/L-Nomenklatur nach Emil Fischer üblich. Als ,,Bezugssubstanz"
benutzte er die einfachste Aldose, den Glycerinaldehyd (s, S. 145). Er gab der R-Konfiguration
des Glycerinaldehyds willkürlich die Bezeichnung D-Glycerinaldehyd, da dieses Glycerinald ehyd-
Enantiomer das linear polarisierte Licht nach rechts drehte. Er nahm deshalb an, dass die Hvd-
roxylgruppe am Chiralitätszentrum in der Fischer-Projektion nach rechts zeigt. Die Bezeichn ung
,,D" oder ,,L" richtet sich nach der Stellung der
OH-Gruppe an dem am weitesten vom höchst HC:O HC:O
D-Glycerin- L-Glycerin-
oxidierten C-Atom entfernten ch i ralen C-Atom. aldehyd Hl-oH aldehyd Ho-+-H
Liegt diese OH-Gruppe wie in der Fischer-Pro- CH2OH CH2OH
jektion (Bild 2) auf der rechten Seite, handelt es
sich um einen D-Zucker. Liegt diese OH-Grup- HC:O HC:O CH2OH CH2OH
pe auf der linken Seite der Fischer-Projektion,
handelt es sich um einen L-Zucker (Bild 2). Die
t I or r--l-;
Ho-l-H Ho-FH Ho--f-u Ho--]-H J:o å:o
Bezeichnung ,,D" bzw.,,L" wird immer für das H--f--oH H-l--oH H-loH H-_|_on
ganze Molekül angegeben. Fast alle natürlich
ufoH no-f-u nfoH
uoJ-H
cH2oH CH2OH CH2OH
vorkommenden Zucker sind D-Saccharide, D-Glucose L-Glucose D-Fructose
CH2OH
L-Fructose
Bild 2 zeigt die Enantiomerenpaare der Gluco-
se als Beispiele für Aldosen. D- und L-Fructose Aldosen Ketosen
sind Beispiele für Ketosen. Bild 2: Benennung von Zuckern

Zucker sind Kohlenhydrate, die als Mono-, Di-, Oligo- oder Polysaccharid-Einheiten vorkom-
men. Eine Saccharid-Einheit kann entweder als Aldose oder als Ketose vorkommen. ln Abhän-
gigkeit von der Länge der Ketten unterscheidet man Tetrosen, Pentosen oder Hexosen.

148
3.6 Makromoleküle

Die Benennung der Saccharide erfolgt nach der D/L-Nomenklatur von Fischer. Als Bezugs-
substanz dient als einfachste Aldose der Glycerinaldehyd.

Die D-Glucose kommt in drei


Strukturen vor: die in Bild 1 CH zoH
mittig dargestellte offenketti- HO
ge Form sowie zwei ringförmi- HO
HO
ge Strukturen, die a-D- und die
B-D-Glucose. Der Ringschluss
/ \ c
kommt durch eine intramole- HO
HO
kulare Halbacetalbildung an H OH
der Aldehyd-G ruppe zustande. HO HO
ø-D-Glucose OH
Die Stabilität der zyklischen B-D-Glucose
Glucose-Formen resultiert Bild 1: D-Glucose
aus der spannungsfreien Ses-
selstruktur. ln wässriger Lösung existiert deshalb ein Gleichgewicht zwischen der offenkettigen
Form (nur 0,2 %) und der a-D- beziehungsweise der B-D-Struktur (Bild 1).

Bei Aldosen stehen die Halbacetale im Gleichgewicht mit den entsprechenden offenkettigen For-
men, welche eine freie Aldehyd-Gruppe tragen. Diese freie Aldehyd-Gruppe wirkt reduzierend,
zum Beispiel auf Fehling-Reagenz. Dabei werden Cu'*-lonen in alkalischer Lösung zum Kupfer(l)-
oxid CurO reduziert.
Das Halbacetal eines Monosaccharids kann
zoH
mit der einer Hydroxy-Gruppe eines zweiten o Maltose
Monosaccharids unter Bildung eines Disac- HO
charids ein Vollacetal bilden. Maltose, auch HO 1 CH zoH
Malzzucker genannt, besteht aus zwei D-Glu- o
cose-Einheiten, die über ein Sauerstoff-Atom
(Acetal-Brücke) miteinander verbunden sind glycosidische HO
Bindung HO
(B¡ld 2). Man nennt diese Art der Verknüpfung OH
a-1,4'-glycosidische Bindung. Dieses Glycosid
wirkt nicht mehr reduzierend. Bild 2: Maltose

Von der Glucose existieren eine offenkettige und zwei ringförmige Formen. Die ringförmi-
gen Strukturen können über glycosidische Bindungen (Sauerstoff-Brücken) miteinander ver-
bunden sein.

3.6 Makromoleküle
Moleküle, deren Molekülmasse größer als 1000 u ist, werden als Makromoleküle bezeichnet'
Diese Definition geht au't H' Staudinger (dt' Chemiker, 188'l bis 1965) zurück, dem Begründer
der makromolekularen Chemie. Er leistete wichtige Beiträge zur Strukturaufklärung der Makro-
moleküle Cellulose, Stärke, Kautschuk und Polystyrol.
Makromoleküle sind in der Natur weit verbreitet, wie zum Beispiel die Polysaccharide Cellulose
und Stärke. Proteine bzw. Polypeptide und Polynucleotide (s. Kap. 11, S.483) kommen ebenfalls
in der Natur sehr häufig vor. Natürliche Makromoleküle werden Biopolymere genannt.
Synthetische Makromoleküle werden als Polymere (griech. polys,vielel (griech. meros, Teil) oder
Kunststoffe bezeichnet. Diese werden durch chemische Verknüpfung kleinerer, meist gleicher
Bauteile, Monomere genannt, zusammengesetzt. Die Reaktion, welche zu einem Polymer führt,
wird ganz allgemein als Polyreaktion bezeichnet.
Synthetisch veränderte Naturstoffe haben als Makromoleküle in der modernen Technik eine
hohe Bedeutung erlangt.
149
3 Reaktionen organischer Präparate

3.6.1 Natürliche Makromoleküle a) Amylose mit drei Glucose-Untereinheiten


Polysaccharide sind Biopolymere, die aus c H2OH
vielen aneinandergeknüpften Monosaccharid-
Einheiten bestehen. Die am weitesten verbrei- H
teten Polysaccharide sind Stärke und Cellulose. HO

Stärke ist Hauptkomponente von Getreide- HO


mehl, Kartoffeln und Reis. Sie besteht aus zwei H
Arten von Polysacchariden, der Amylose und c- 1 ,4'-g lycosid ische HO
dem Amylopektin. Bindungen
b) Amylopectin
Die Amylose wird aus unverzweigten D-Gluco- , cH2oH
se-Einheiten, die über o-1,4'-glykosidische Bin-
dungen miteinander verbunden sind. gebildet
ò-\\_o.
¡1g\.-1'\ CH zoH
(Bild 1a). Hoó a- 1,6'-g lycosid ische
rkn ü pfu ng
H
lm Amylopektin sind Amylose-Ketten durch
o-1,6'-glycosidische Bindungen netzartig mit- I

einander verbunden (Bild 1b). Das Glycogen o


HO o'CHz
besitzt eine sehr ähnliche Struktur wie das HO
Amylopektin, ist jedoch viel engmaschiger ver-
HO H
netzt. Glycogen setzt sehr schnell die für die
Energieversorgung des menschlichen Orga-
nismus notwendigen Glucose-Einheiten frei. 1,4'-g lycosid isch
HO
B- H
Bindungen
Cellulose ist ein Hauptbestandteil aller höheren
Pflanzen. Sie besteht aus unverzweigten D-Glu- cl Ausschnitt aus einer Gellulose-Kette
cose-Ketten, welche über þ-1,A'-glykosidische cH2oH
Bindungen (Bild 1c) verknüpft sind. Diese Cellu- H2OH
lose-Ketten werden durch intermolekulare -oN==o,.
HO-r----î-r- cH20H
Wasserstoffbrückenbindungen vernetzt, was or/ HO OH HO
die Cellulose wasserunlöslich macht.
/
1,4'-glycosidische
OH
ß Bindungen
Proteine bzw. {Poly-)Peptide sind unverzweig-
te Makromoleküle und entstehen durch Ver- Bild 1: Polysaccharide
knüpfung von Aminosäuren über sogenannte
Peptid-Bindungen.
H
r.'c',2^' H', H',
ln Bild 2 ist die Entstehung der Peptid-Bindun- o + 'co
.2^"
+ 'c /^' o
gen unter formaler Wasserabspaltung zwi- +,/ \ ,/1 +,2 \ /.t +,/ \ ./.t
H:N C.- H:N C- HgN C:
schen drei Aminosäure-Molekülen erkennbar. ti ti li
ln Peptid- bzw. Protein-Molekülen sind sehr o o
viel mehr Aminosäure-Moleküle am Aufbau
beteiligt.
H U
H H
2C ,/^' ttt
,/^'
-r]
il
Eine Peptid-Bindung ist keine neue Bindungs- N
I

c c
art, sondern ein besonderes Strukturelement, +/ Z:o
H:N c N c
das bei der Verbindung von mindestens zwei
Aminosäuren entsteht. M¡t Peptid-Bindung o
il /t
HRz
I

H
li
o
wird die kovalente Bindung zwischen der NH-
und der CO-Gruppe bezeichnet, wenn sich gen
Aminosäuren untereinander zu einem Peptid
oder einem Protein verbinden. Bild 2: Peptidbindung

Die Polysaccharide und die Polypeptide sind wichtige Biopolymere, die in der Natur als
Makromoleküle vorkommen,

150
3.6 Makromoleküle

3.6.2 Synthetische Makromoleküle


Die drei Polyreaktionen, die zu synthetischen Makromolekülen führen, sind die Polymerisation,
die Polykondensation und die Polyaddition.
Die Polymerisation (Kettenwachstums-Polymerisation) läuft nach einem radikalischen oder
einem ionischen Mechanismus ab.
Die radikalische Polymerisation muss zunächst durch einen Radikalbildner, genauer einem Ra-
dikalketteninitiator, gestartet werden. Durch Wärmezufuhr oder Bestrahlung mit UV-Licht zerfällt
der lnitiator homolytisch in Radikale. Häufig werden als Radikalketteninitiatoren Peroxide oder
Azo-Verbindungen (s. S. 110) eingesetzt. Drei wichtige lnitiatoren zeigt Tabelle 1.

Radikalbildner Radikalbildun gsrealGion


cH" cH. CHg
t" t"
^') 2 cH.-c-o'
I

Di-fert-butylperoxid cHs - c-
I

CHs
"s -1-tt' CH¡
I

CHs

Dibenzoylperoxid ----------+ 2 + 2COz


^r 2

Azo-bis- AT
(iso butyro n itril) t.r.r,./èg-.{.r.), _> 2 .C(CH3)2
I
+ N2

(AIBN) CN CN CN

lnitiator-Radikale R'verbinden sich mit Monomer-Molekülen CHr:ç¡¡, wobei die ungepaarten


Elektronen jeweils immer an das Ende der wachsenden Molekülketten wandern (Bild 1). Das
Kettenwachstum zeigt mit Ausnahme des Ethens, das keinen Substituenten X trägt, eine star-
ke Tendenz zur sogenannten Kopf-Schwanz-Verknüpfung, sofern sich am Kopf des Monomeren
ein voluminöser Substituent X
befindet.
1. Kettenstart
Dieser Vorgang wiederholt R-R ^'> 2 R. RI* CHr: ç¡1 ------+ RCH2CH
sich solange, bis eine Abbruch- Radikalketteninitiator Radikal
X X
I

Reaktion erfolgt. Das kann 2. Kettenwachstum (Kopf-Schwanz) verlä ngertes Radikal


durch die (unwahrscheinliche) /1/-\^
Kombination zweier Radikal- -llll
RCH2CH + CH2=CH
-)
RCH2CHCH2CH

ketten, durch Disproportionie- XXXX


rung oder durch eine Reaktion
des Radikalkettenendes mit RCH2CHCH2CH + CHr:6¡1 ----+ RcH2cHcHrcucsrðH !91!+
einer Verunreinigung bezie- tt
XX X
I tll
XXX
hungsweise einer Wandreakti- 3. Kettenabbruch
on erfolgen. Häufig treten bei a) Kombination zweier Radialketten
radikalische_n Polymerisations-
prozessen Ubertragu ngs- oder
Abbruchreaktionen auf, die zu
'
-1"'ï'l;"1' -' -t.''i'T;"ï'ï.''1i""Ïj
verzweigten Polymeren füh ren bl Disproportion¡erung
können. , -1.',ï'T;*,ï" ----- -T.',i'T;':l' . *1.',1'Ï,.',1',
Radikalische Polymerisati- c) Fremdreaktion
onen werden durch Radi- * wr ----- *1.',THJcH,cH-wr
kalketteninitiatoren einge- '|.',T'T;-,ðH
leitet. Das Kettenwachstum
erfolgt am Kettenende.
Bild 1: Radíkalische Polymerisation
151
3 Reaktionen organischer P rä pa rate

Eine ionische Polymerisation


1. Kettenstart
kann kationisch oder anionisch al mit Bortrifluorid
erfolgen. Bei der kationischen F¡B a HzQ! iJ F3B|OH2 F3BIOH- + H+
Polymerisation lagert sich ein
Elektrophil, z. B. eine Lewis-
b) mit Schwefelsåure -+
H2SO4 + HzQl HSO¿ + HgO+
Säure (BFr, ZnClr, AlClr) oder ==- +
eine starke Sauerstoffsäure Ht + cHz --+ cH3cH2
(HC|O4, H2SO4, H3PO4), als lni- 2. Kettenfortpflanzung
tiator an das Alken (Monomer). * ,r-'--\ +
CH3CH, + CH2ìCH2 ---+ CH3-CH2-CH2-ÓH2
Dabei wird im Zusammenspiel n
+ cHzLCHz --+ CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2+
cH3-cH2- cH2- cHz "-_--\
mit einer Lewis-Base, wie bei-
spielsweise Wasser, als Ket- 3. Kettenabbruch
tenstart ein Carbokation gebil- a) Abspaltung eines Protons
det (B¡ld 1). Dieses verbindet
sich mit einem zweiten Mo- .,.-.,,-þ,,11ï"-u,, --+ cH3-cH2-[.,,t .,.
nomer-Molekül zu einem neu-
en Carbokation. Diese Ketten- b) Reakt¡on
]ï=.,,
m¡t einem Nucleophil, z. B. OH-
fortpflanzung wiederholt sich
bis zum Kettenabbruch durch
die Abspaltung eines Protons .r.-.r,-[r,i -]ï"-u-, + oH- --+ .r,-.r,-[r,i-]ï,-."",
oder die Reaktion mit einem
Nucleophil. Bei der Umlage-
rung von Carbokationen kön- Bild 1: Kationische Polymerisation
nen Unregelmäßigkeiten im
Kettenverla uf a uft reten.
a) Kettenstart m¡t Natriumam¡d NH;Na++ cH2 ---+ NH2- cH,õH
Die anionische Polymerisation ;d
erfordert ein starkes Nucleo-
phil, wie z. B. Natriumamid
b) Kettenfortpf lanzung zum Polystyrol
Z-\+ CH2
U
---+

00
NaNH2 oder Butyllithium NH2-CH2CH - CHrCH

LiC4He. Außerdem muss das


Alken elektronenziehende
-I-Substituenten tragen, um NH2-CH H + ---+ -c -cHrcH
die Elektronendichte der Dop-
pelbindung herabzusetzen.
Dann reagiert das Nucleophil
entsprechend Bild 2a mit dem Bíld 2: Anionische Polymerisation
Alken-Monomer, während die
Polymer-Kette analog zur kationischen Poly- H.a."H taa."H H.asH H..
..,.H H.. .uH H.,
merisation durch Aneinanderreihung vieler .' "-..r..' "--.rl "-.a.l t\ ...'H

Monomer-Moleküle wächst (B¡ld 2b). Die Poly-


merisation bricht durch eine Reaktion mit dem
'nr"{ nr"l
,"{
ç.c't
ir,l ir,l r.\
ir,! ".n
Lösemittel oder eine Kontamination (Verun- a) isotaktisches Polypropylen
reinigung) ab. t)aì.t t)aì"t HlaonH H..ao.H H.ao.H H.."o.H
,- \c,// \c./' \c,/- \c./-\c,,/-\c/
Man unterscheidet anionisch und
nisch initiierte Polymerisationen.
katio-
I n ul'în""u.c
1'T Hlîn""H3c
Hsc 17 ul'în.
b) syndiotaktisches Polypropylen

H.aonH H.asH H..".uH H.. ..,.H H.. ..,.H H.


Besitzen Polymerketten Substituenten, wie ..nH

Phenyl-Reste beim Polystyrol oder Methyl- ,--\ a.'-\ a -"'r a -c-r a -t\ a -\
gruppen beim Polypropen, können diese ver-
schieden angeordnet sein, was die Polymer-
1 "A 1"A Hl'îr""H3C
HgC HgC
17 Hl'îr"
- "Hli,.
"-
c) ataktisches Polypropylen
eigenschaften beeinflusst. Man unterscheidet
drei Konfigurationen der Polymere (Bild 3). Bild3: Polymerkonfigurationen
152
3.6 Makromoleküle

Verwendet man nur eine Verbindung als Monomer, so entsteht daraus ein Homopolymer. Häufig
werden aber zwei oder noch mehr verschiedene Monomere miteinander zu einem Copolymer
verknüpft, um beispielsweise bestimmte Werkstoffeigenschaften zu erhalten. Durch eine Copo-
lymerisation lassen sich für einen vorgegebenen Zweck maßgeschneiderte Werkstoffe synthe-
tisieren.
Copolymerisate wie Styrol (Phenylethen) und Acrylnitril (Propennitril) eignen sich für spül-
maschinenfeste Gebrauchsteile. Aus Acrylnitril, Styrol und Butadien werden Stoßstangen und
Sturzhelme hergestellt, aus lsobuten und lsopropen Reifenschläuche und Bälle.

Bei isotaktischen Polymeren befinden sich alle Substituenten auf der gleichen Seite der C-
Kette. Syndiotaktische Polymere tragen die Substituenten abwechselnd, während sie bei
ataktischen Polymeren regellos verteilt sind.
Homopolymere bestehen aus aus einer Monomerenart, Copolymere aus mehreren ver-
schiedenen Monomerenarten.

ln Tabelle 1 sind einige technisch wichtige Polymerisate zusammengestellt. Díe Eigenschaften


der Kunststofftypen werden in Kapitel 9 näher erläutert.

Polyethylen PE Thermoplast flexibel bis steil unzerbrechlich


Polypropylen PP Thermoplast hart, unzerbrechlich, teilkristal lin
Polystyrol PS Thermoplast hart, spröde, glasklar, färbbar
Polyacrylnitril PAN Faser hart, steif
lsopren-Kautschuk IR Elastomer elastisch
Chloropren-Kautschuk CR Elastomer elastisch
Polymethyl methacrylat PMMA Thermoplast hart, spröde, alterungsbeständig
Acrylnitril-Butadien-Styrol ABS Thermoplast hohe elektrische Du rchschlagsfestigkeit
Polytetraf luorethylen PTFE Thermoplast gute Gleit- und elektrische Eigenschaften
Polyvinylchlorid PVC Thermoplast abriebfest, zäh, gummi- bis hornartig,

lm Jahr 1953 entdeckten Karl Ziegter (dt. Chemiker und Nobelpreisträger, 1898 bis 1973) und
Giulio Natta (it. Chemiker und Nobelpreisträger, 1903 bis 1979) Katalysatoren, die es erlaubten,
maßgeschneiderte Polymere durch stereospezifische Polymerisation zu synthetisieren.
Bei diesen Ziegler-Natta-Polymerisationen werden Ziegler-Naffa-Katalysatoren verwendet.
Das sind Kombinationen von zum Beispiel lltantriohlorid TClr mit Diethylaluminiumchlorid
(C2Hb)2AlCl oder Ttantetrachlorid TClo mit Aluminiumtriethyl Al(C2H5)3'

Vereinfacht lässt sich der Reaktionsmechanismus als koordinative Polymerisation bezeichnen, bei
der eines der an das Ttan koordinierten Chloratome durch eine Ethylgruppe ersetzt wird. Das Mo-
nomere schiebt sich dann bei jedem Reaktionsschritt zwischen das Metallatom und die wachsen-
de Kette. Man bezeichnet diesen Vorgang als Insertion. Da sich bei der lnsertion des Monomers
am Ttanatom eine neue Koordinationsstelle bildet, kann sich der Vorgang immer wiederholen.
Ziegler-Natta-Polymerisationen verlaufen bei relativ niedrigen Temperaturen und leicht erhöhtem
Druck beziehungsweise Normaldruck und führen zu Polyethen mit hoher Dichte (HDPE, High Den-
sity Polyethen), isotaktischem Polypropen (PP) oder zu Copolymeren aus Ethen und Propen (EPM).
Daneben können auch Ethen-Propen-Dien-Kautschuk (EPDM) und cis-1,4-Polybutadien hergestellt
werden. Mil Ziegter-Naffa-Katalysatoren wird Ethin zu Polyethin polymerisiert, welches aufgrund
seiner konjugierten Doppelbindungen in der Lage ist, den elektrischen Strom zu leiten.
153
3 Reaktionen organischer Präparate

Bild 1 zeigt einen Strukturausschnitt aus zwei Polyamidketten. Diese Makromoleküle können
nicht wie bei der Polymerisation durch die Öffnung von Doppelbindungen entstanden sein. Ur-
sache für die Kettenbildung sind Monomere, die jeweils zwei gleiche oder verschiedene funk-
tionelle Gruppen besitzen. Diese bifunktionellen Moleküle reagieren unter Abspaltung kleiner,
energiearmer Moleküle (zum Beispiel Wasser HrO, Chlorwasserstoff HCl, Alkohol R-OH) zu Poly-
mermolekülen. Diese Art der Polyreaktion wird Polykondensation genannt.
a)-?
6-Aminohexansäure n+2 H3N(CH2)5CO- -n Hzo
AT H o HO o
I il lil il
-N- c(cH2)sc N - (CHz)sC (cH2)5c

e-Caprolactam n+2
H
oH-
AT
lJ
Polyamid Nylon-6

b) oo
ilil
o olu
Àrr-ë,.r,,,81'{,-,. HI orr olu rr rr
H

n+1 HO- c(cH2)4c -OH + n+1 - (cH2)6-N -


I

- n H2o
H2N(CH2)6NH2

Hexandisäure
Adipinsäure
1,6-Hexandiamin L ,.i'jl.', r,'::'.:,i"Ï)
Bild 1: Entstehung von Polyamiden
Wie in Bild 1a dargestellt, kann ein Polyamid, wie z. B. Nylon-6 (Handelsname Perlon@), aus
einem Monomeren auf zwei verschiedenen Wegen gebildet werden. Einmal können sich die
Moleküle der G-Aminohexansäure über Kondensationsreaktionen der beiden verschiedenen
funktionellen Gruppen (Amino- und Carboxyl-Gruppe) unter Wasserabspaltung verknüpfen. Die
zweite Möglichkeit, Nylon-6 zu bilden, wird in der Technik angewandt. Als Monomer kommt ¿-
Caprolactam zum Einsatz, eine ringförmige Verbindung, welche bei der Beckmann-lJmlagerung
von Cyclohexanonoxim entsteht (s. Kap.3.4.2,5.143), Bevor das e-Caprolactam das Polyamid
Nylon-6 bildet, wird der Ring unter Baseneinwirkung und Erwärmung aufgebrochen.
B¡ld 1b zeigt die Synthese des Polyamids Nylon-6,6, welches aus zwei verschiedenen Cu-Mono-
meren (Hexandisäure und 1,6-Hexandiamin) entstanden ist. Hier kommt es zu Kondensations-
reaktionen zwischen den Amino- und Carboxyl-Gruppen der beiden verschiedenen Molekülarten.
Treten Phenylreste an die Stelle der Hexandiyl-Reste, entstehen aromatische Amide, die auch als
Aramide bezeichnet werden. Sie zeichnen sich durch eine außerordentlich hohe Festigkeit aus.
Eine weitere Gruppe synthetischer Makromoleküle, die durch Polykondensation gebildet werden,
sind die Polyester. Sie können analog zu den Polyamid-Synthesen aus zwei verschiedenen Mo-
nomeren oder aus einer Monomerenart hergestellt werden.
Für die erste Synthese-Variante benötigt man eine Carbonsäurekomponente, wie zum Beispiel
Adipinsäure, Nonandisäure, Decandisäure, Dodecandisäure, Phthalsäureanhydrid, lso- und
Terephthalsäure oder deren Ester. Als Diol werden hauptsächlich Ethylenglycol, Diethylengly-
col, 1,2-Propylenglycol, Butan-1,3-diol, Butan-1,4-diol, Neopentylglycol, Hexan-1,6-diol oder
Ethan-1,2-diol ei ngesetzt.
ln Bild 2 ist die Bildungsreaktion von Polyethylenterephthalat (PET) aus Terephthalsäure und
Ethan-1,2-diol exemplarisch dargestellt. Entsprechend den allgemeinen Esterbildungsreaktio-
nen entsteht bei der Verwendung von Anhydriden als Nebenprodukt eine Carbonsäure bezie-
hungsweise bei Estern ein Alkohol. Polyester können auch aus nur einer Monomerenart hergestellt
werden. Dabei kommen Lactone (intramolekulare, cyclische Ester von Hydroxycarbonsäuren) und
Hydroxycarbonsäuren zum Einsatz.

o oo
\ c 4-Yra! o+ nHo-cH2-cH2-oH -2nBzo, ll r:r
o-c{r ll

HO
\__/ \ou
Terephthalsäure 1,2-Ethandiol
L/ />-c-o-cH2-cH2
Polyethylenterephthalat (PET) I
Bild 2: Bildungsreaktionvon Polyethylenterephthalat
154
3.6 Makromoleküle

Polyester mit zwei Esterfunktionen am selben Kohlenstoffatom werden Polycarbonate genannt.


Eine große Bedeutung haben die aromatischen Polycarbonate, die aus Bisphenolen und Phos-
gen oder Kohlensäurediestern (2. B. Diphenylcarbonat) hergestellt werden (B¡ld 1).

o
il 1t' -2nHX
D¡phenyl- X
= o
nX- c -X + nH c OH ------------l carbonat
Diphenylcarbonat I

oder Phosgen CHs Phosgen X = Cl


Bisphenol A
CH"
t" o CH" lo CH.
t"
o
c
I
o
il
c-o c
I'
I
o 1å-"-1\
\:/
c
I
o-c- il

cHs CHs ),_, CHs

Bild 1: Synthese von Polycarbonaten

Fo rma lde hyd/Phe n ol-Ha rze


(Phenoplaste) entstehen du rch a) Elektrophile OH
Substitution ?' OH
die Reaktion von Phenolen mit c\ *"ttc:"'
CHz
HC" CH
Aldehyden. Durch eine elek- I il + H,C:O I ll
HC__c- CH
trophile Substitution werden H C_-C
- CH

ein bis drei Wasserstoff-Atome b) Konden- H H


sations- ^.. OH
des Phenol-Moleküls durch je-
weils eine -CH,-OH-Gruppe
,ååiäJ'' !H -oH ?t tl
OH

ersetzt. Die entstandenen Phe- HC.rCt".CH, ,r..Ct CH - Hzo ,azC-a.cHr- crC-cH


lll +l il tlltll
nol-Derivate, welche mehrere HC__^-CH HC__^. CH ta--a.at HC--a.CH
UU
funktionelle Gruppen besitzen, HH - HH
kondensieren untereinander
unter Abspaltung von Wasser Bild2: Phenol/Formaldehyd-Kondensation
(B¡rd 2).
OH
Diese Kondensate bilden in A¡^ HzC CH2^r ,
saurer Umgebung Phenylal- OH OH
kohole (Phenylmethylol), die
sich durch Methylenbrücken H HO
o OH
zu Novolaken (lineare Ketten-
molekülen) zusammenfügen.
HzC
\¡- I

OH
a) Novolak b) Resol
Bei Hinzufügen von Formalde- (vernetztes OH
hyd (aus Hexamethylentetra- Duromer)
min) härten Novolake bei Tem- CHr*al
peraturen oberhalb von 100'C
OH
zu unschmelzbaren, duroplas-
tischen Stoffen aus (Bild 3a). Bild 3: Novolake und Resole

Unter basischen Bedingungen entstehen Reso-


le, schmelzbare, lösliche Phenoplaste, die reak-
tive Methylolgruppen enthalten (B¡ld 3b). 1" -nH"o 1" [ï'.l
HO
-OH + n HO-Si-OH----+ HO+Si-O+H
-Sitrlll
Silikone sind technisch wichtige Polykonden- cHs cHs Lcu. I n
sate, deren Synthese vereinfacht in Bild 4 dar- Silanol-Monomere Polysiloxan
gestellt ist.
Bild 4: Polykondensation von Silanolen

Polykondensat¡onen sind Polyreaktionen, bei denen lineare, verzweigte oder vernetzte Poly-
kondensate gebildet werden.

155
3 Reaktionen organischer Präparate

ln Tabelle 1 sind wichtige Polykondensate zusammengefasst.

Tabelle 1: Technisch wichtige Polykondensate

Name Kürzel Art Eigenschaften


Phenol-Formaldehyd-Harz PF Duroplast hart, spröde, gute elektrische lsolierung
Polycarbonat PC Thermoplast schwer entflammbar, sehr schlagzäh
Polyester PES Duro- oder Thermoplast reißfest, leicht
Polyimid PI ïhermoplast sehr geringe Gasdurchlässigkeit
Polyamid PA Thermoplast hart, sehr zäh, abriebfest, gleitfähig
Silikon-Ka utsch u k SIR Elastomer elastisch

ffi Polybutylenterephthalat PBT Thermoplast hohe Festigkeit. Steif¡gkeit und Härre

Die dritte Gruppe der Polyreaktionen sind die Polyadditionen von bifunktionellen Verbindun-
gen. Während die Verknüpfung der oben beschriebenen Polymerisationsreaktionen durch ,,Um-
klappen" von Doppelbindungen erfolgt, werden bei der Polyaddition die OH-Bindungen eines
Alkandiols gelöst. Die Addition des Protons sowie des Alkoholat-lons erfolgt an eine polarisierte
Doppelbindung ohne Abspaltung eines Nebenproduktes.
Ein Beispiel für eine Polyaddition zeigt Bild 1. Hier reagiert ein Diol (1,2-Ethandiol) mit einem Di-
isocyanat (m-Benzoldiisocyanat) zu einem Polyurethan. Polyurethan-Schaum entsteht durch Re-
aktion eines Teils des Diisocyanats mit zugefügtem Wasser, wobei Kohlenstoffdioxid CO, frei wird.

OH
r 1[ ocHrcHro-c- OH Hol o
O=C= N=C=O ---------+ -
il
1_ --'t ilr r ill
N- C+ ocH2cH2o- c -
il

n+1 hììo.,,.,,o, l n
m-Benzoldiisocyanat 1,2-Ethandiol Polyurethan

B¡Id 1 Polyurethan

Bei der Polyaddition entstehen durch sich vielfach wiederholende und voneinander unabhän-
gige Verknüpfungsreaktionen von bifunktionellen Monomeren Polymere, ohne dass Neben-
produkte entstehen.

ln Tabelle 2 sind technisch wichtige Polyaddukte aufgeführt.

Tabelle 1: Technisch wichtige Polyaddukte

Name Kürzel Art Eigenschaften


Epoxidharz EP Duroplast hart, zäh, schwer zerbrechlich
Hart. zäh (Duroplast) bis weich (Elastomer),
Polyu retha n PU Duroplast oder Elastomer
alterungsbeständig

3.6.3 Synthetisch veränderte Naturstoffe


Stellvertretend für die große Zahl der chemisch veränderten Naturstoffe, sollen in diesem Ab-
schnitt nur halbsynthetische Cellulosen (Kunstseiden) und Kautschuk erläutert werden. Halb-
synthetische Fasern werden heute als ,,Cellulose-Fasern" (früher: Kunstseiden) bezeichnet. Die
wichtigsten halbsynthetischen Cellulosen sind Viskose und Celluloseacetat. Zur Herstellung von
Viskose erhält man durch Behandlung von Cellulose mit Natronlauge zunächst Alkalicellulose.
Diese wird im nächsten Arbeitsschritt mit Schwefelkohlenstoff (CS2) umgesetzt, wobei Cellulose-
xanthogenat entsteht, eine orangegelbe Masse, die wegen ihrer Zähflüssigkeit,,Viskose" ge-
156
3.6 Makromoleküle

nannt wird (B¡ld 1). Nach einer


Weiterbehandlung wird eine Na S Na'S Na
.tYt
Cellu losexa nthogenat-Lösu ng
erhalten, die sich zu Fäden ver-
Y OH

spinnen lässt.
HO
')n
)/
H o
OH OH
Celluloseacetat ist ebenfalls
eine halbsynthetische Faser, Na*S-
die durch Veresterung der an Bild 1: Cellulosexanthogenat
den Cellulosemolekülen ge-
bundenen Hydroxylgruppen

!
mit Essigsäure gewonnen wird (Bild 2). o HO
o oh
Das Naturprodukt Kautschuk ist ein Polymer OH
des lsoprens (2-Methylbuta-1,3-dien). Alle OH
Cellulose
Doppelbindungen des cis-Poly-(2-methylbuta-
+ 6n CH3COOH
1,3-dien) sind cis-konfiguriert (B¡ld 3).
- 6n H2O
Synthetischer Kautschuk wird hauptsächlich o-cocH3 cocH3
durch Polymerisation von Styrol (Phenylethen) o - cocH3
und Buta-1,3-dien als Copolymerisat herge- o o1,
stellt. Die Polymerketten sind üblicherweise
aus Kohlenwasserstoffgerüsten oder auf der H.COC- cocH3
o-cocH3
Basis von Silikonen aufgebaut. Die wichtigs-
ten Sorten synthetischen Kautschuks sind: Bild 2: Celluloseacetat
Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR), Polybuta-
H"C H"C HsC.
dien-Kautschuk (BR), Nitrilbutadienkautschuk H H H
(NBR), Chloropren-Kautschuk (CR) und das Co- /7
c- c\\ +n
2
c _C
\ cHz +
// c
\
polymerisat Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk HzC CHz HzC HzC CHz
(EPDM). Beim Nitrilkautschuk ist die Methyl- lsopren-Monomere
Gruppe des lsoprens durch eine Nitril-Gruppe Hsc\ H H.c., H
HsCl H
ersetzt. Das Chloropren leitet sich analog vom C: C
----+ //\r/ C c c
lsopren ab. H.C C +C c+c c -cH3
H, H"I n, H2
Sowohl natürlicher als auch synthetischer Ls, ln-
crs-Poly-(2-methylbuta-1,3-dien)
Kautschuk kann aufgrund seiner Weichheit Kautschuk
und Klebrigkeit nicht z. B. zu Autoreifen verar-
beitet werden. Um die einzelnen Makromole- Bild 3: Polyisopren
külketten untereinander zu
Hsc\. Hrcl H Hrc.. H'c.,^
vernetzen, wird Kautschuk H"C
IU
H"C
H
I
mit Schwefel erhitzt. Durch H"c/ /
ta-a' ta-c' t.-.' c
\^U-U^/\ L-L
\ c CH"
diesen Vorgang der Vulka-
l
SH"H"H,H" SH" H. H2 H2 H"H"S H2

nisierung werden kovalente I I


S
Disulfidbrücken zwischen die H,c
" t.:t \ H.c
H"C H"C.
- t.:c - \c
H"c H"C H
Polymerketten eingefügt, wel- c
I
c c U
ta-a' tc- c'
che durch diese Ouervernet- ,"c'
" l
H,H" SH,H"
L c
H,-c
l'
s Hz H,
c-cH3
zung ein noch viel größeres I.
H2 112 Hz H2

Makromolekül bilden (B¡ld 4). I I


ù
Diese Disulfidbrücken ge- H"C H
H"C- H
H.C H
H.C H.C
H

ben dem Gummi die nötige c c c c c c c c


Starrheit und verhindern sein H.C c -c' c c- c c
H2
L
H2
CH.
H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2 H2
Zerreißen bei Dehnung des
Materials. Bild 4: Vulkanisierung

Vulkanisierter Kautschuk hat dauerelastische Eigenschaften, welche durch den Einbau von
Schwefelbrücken in das weitmaschige Polyisopren-Netz zustande kommen. Die Elastizität
und Härte des Gummiwerkstoffs ist abhängig von der Anzahl der Schwefelbrücken.

157
3 Reaktionen organischer P rä pa rate

Aufgaben:
1. a) Beschreiben Sie den geometrischen Bau des Ethenmoleküls.
b) Vergleichen und erklären Sie die Bindungsstärken und Bindungslängen des Ethans
und des Ethens.

2. Zeichnen Sie von allen Konstitutions- und Konfigurationsisomeren des Pentens die
Strukturformeln und benennen Sie diese.
3. Zeichen Sie alle Strukturformeln von Dichlorethen und benennen Sie diese. Welche dieser
Strukturen besitzt ein Dipolmoment und welche nicht. Begründen Sie lhre Antworten.
4. Stellen Sie am Beispiel der Reaktion von Chlorwasserstoff mit Ethen den Reaktions-

E 5.
mechanismus der elektrophilen Addition dar.

Nennen Sie den Namen und die Strukturformel des Hauptproduktes, welches bei der Addi-
tion von Bromwasserstoff HBr an die genannten Verbindungen entsteht (mit Begründung):
a) But-1-en b) 2-Methylbut-2-en c) 2-Methylbut-1-en d) But-2-en e) 3-Methylbut-1-en.

6. sie sollen a) cyclohexan b) 2-chlorpentan c) Pentan-2-ol d) 1,2-Dichlorpropan


aus einem Alken herstellen. Geben Sie auch alle weiteren notwendigen Reagenzien an.

7. a)2,2-Dimethylbutanal b) Hexan-2-ol c) 2-Methylpentan-2-ol sollen mit schwefelsaurer


Kaliumdichromat-Lösung reagieren. Geben Sie die entsprechenden Reaktionsprodukte
mit Namen und Formeln an.
8 Durch eine Grignard-Synthese sollen a) Pentan-1-ol b) Propansäure c) 2-Methylpentan-
2-ol hergestellt werden. Ein Edukt ist Ethylmagnesiumbromid. Geben Sie jeweils das
zweite Edukt mit Namen und Strukturformel an, um die oben genannten Verbindungen
herzustellen.

9. 1-Propoxybutan soll nach der Williamson-Synthese hergestellt werden. Stellen Sie an-
hand von Reaktionsgleichungen zwei Reaktionswege dar. Benennen Sie jeweils die Reak-
tionsprodukte,

10. Formulieren Sie für die Synthese von Propansäuremethylester (Methylpropanoat) aus
a) einem Säurechlorid b) einem Säureanhydrid c) einer Carbonsäure
jeweils die Reaktionsgleich ung.

11. Geben sie die Formeln der Produkte folgender Diels-Atder-Reaktionen an:
a) Maleinsäureanhydrid + lsopren (2-Methylbuta-1,3-dien)
b) Buta-1,3-dien + Methylvinylketon

12. Welche Produkte sind bei der HBr-Abspaltung aus folgenden Verbindungen zu erwarten:
a) 1- Bromhexan b) 2-Bromhexan
c) 2-Brom-2-methylpentan d) 4-Brom-2-methylpentan
13. Geben Sie die Strukturformeln für das Haupt- und Nebenprodukt der säurekatalysierten
Dehydratisierung von Pent-4-en-2-ol und begründen Sie kurz.

14. Geben sie ein Beispiel für eine Hofmann-orientierung bei E2-Reaktionen.
15. Ordnen Sie folgende Alkansäuren nach ihrer Säurestärke:
2-chlorpropansäure, Trichlorethansäure, Propansäure,3-chlorpropansäure.
Kennzeichnen Sie lhre Reihenfolge eindeutig. Begründen Sie lhre Reihenfolge und
benutzen Sie dazu die Strukturformeln.

158
3 Aufgaben

16. Wann laufen bei Aldehyden etne Cannizzaro-bzw. eine A/dol-Reaktion ab?
Beide Reaktionen sind von ihrem Typus her verschieden. Benennen Sie jeweils die
Reaktionstypen.

17. Warum können Carbonsäuren Protonen in bemerkenswertem Umfang abspalten, Alko-


hole aber nicht?

18. Welche Verbindung ist isomer zu Aceton? Wie sind die beiden Stoffe durch zwei chemi-
sche Nachweise voneinander zu unterscheiden? Beschreiben Sie kurz diese Nachweise.

19. Erläutern Sie den Begriff Racemat?

20.Was bedeuten die folgenden Begriffe und Zeichen?


a) optische Aktivität b) Chiralitätszentrum c) Enantiomere d) rechtsdrehend
e) deckungsgleich f) F g) Chiralität h) -
2l.Zeichnen Sie folgende Verbindungen und bezeichnen Sie die Enantiomeren mit rî oder S,
a)3-Bromhexan b)1,2-Dichlor-2-methylbutan

22.a) Welches ist die geringste Molekülmasse, die ein chiralesAlkan besitzen kann? Zeich'
nen Sie stereochemische Formeln der Enantiomeren und klassifizieren Sie sie als Æ
oder S.
b) Gibt es ein weiteres Alkan mit der gleichen Molekülmasse, das ebenfalls chiral ist?
Wenn ja, geben Sie seine Struktur und seinen Namen an und kennzeichnen Sie die
Enantiomeren als F oder S.

23.Stellen Sie die folgende 55u¡s (CH3)3C-COOH durch Kettenverlängerung aus dem ent-
sprechenden Alkylhalogenid her.

24'stellen sie anhand von Reaktionsgleichungen (Verbindungen benennen!) die oxidations-


produkte primärer, sekundärer und tertiärer Alkohole dar.

25.Erläutern Sie mithilfe von Reaktionsgleichungen einen mehrstufigen Syntheseweg aus-


gehend von Ethanol zum Butan-1-ol.

26. Stellen Sie ein Reaktionsschema für die Polymerisation von Vinylchlorid auf.
Geben Sie alle wichtigen Schritte der Radikalkettenpolymerisation in Gleichungen an.
lnitiator soll ein Stoff der Formel R-N:N-R sein.

27.|n welchen Kunststoffen tritt die Peptid-Gruppe als Strukturelement auf? Skizzieren Sie
einen Formelausschnitt.

23.Skizzieren Sie die Bildungsreaktion der Makromoleküle, die aus Diisocyanat und Diolen
gebildet werden. Zu welcher Gruppe der Bildungsreaktionen gehört sie. Begründen Sie,

2g.Zeichnen Sie die Strukturformeln folgender Verbindungen:


a) 3,3-Diethylhexanamid b) N,N-Diethylhexanamid c) Propannitril d) Ethansäuremethanoat
e) 2-Methoxybutansäure f) 3-Methylpentanoylbromid g) Propanmethansäureanhydrid
30.Zeichnen Sie die Strukturformeln folgender Verbindungen:
a) rn-Bromphenol b) p-Nitroanilin c) o-Chlortoluol d) 2-Brom-4-chlorphenol
e) pDichlorbenzol f) p-Nitrobenzolsulfonsäure g) 4-Brom-1-chlor-2-nitrobenzol

159
3 Reaktionen organischer Präparate

3 1. Welche Bedeutu n g haben Zi eg I er-Naffa-Polymerisationen?

32. Die Reaktion von Methanol mit Iodwasserstoff verläuft im geschwindigkeitsbestimmen-


den Schritt nach folgendem Geschwindigkeitsgesetzi r= k.c(CH.OHr*) .c(I-).
Formulieren Sie den ausführlichen Mechanismus für diese Reaktion.

33. Die Reaktion von 2-Methylpropan-2-ol mit Chlorwasserstoff verläuft im geschwindigkeits-


bestimmenden Schritt nach folgendem Geschwindigkeitsgesetzt r= k,c((CH3)3OH2*).
Formulieren Sie den ausführlichen Mechanismus für diese Reaktion.

34.Geben Sie für die Eliminierung von Chlorwasserstoff aus folgenden Stoffen jeweils die
Namen der Hauptprodukte sowie den Reaktionstyp an;
a) 1-Chlorpentan
b) 2-Chlorpentan

35.Woran kann man aromatische Verbindungen erkennen?

36. Beschreiben Sie den Reaktionsmechanismus der Bromierung, Nitrierung und Sulfonie-
rung von Benzol. Benennen Sie alle Stoffe und nennen Sie die Reaktionsbedingungen.

37. a) ln welche Stellung(en) am Benzolring dirigiert ein Substituent 1. Ordnung einen Zweit-
substituenten?
b) Nennen Sie drei Beispiele für Substituenten 1. Ordnung.

38.Ein Student sollte Toluol mit elementarem Chlor Cl, zu Chlortoluol umsetzen. Als die Re-
aktion beendet war, war er den Tränen nahe: Er hatte nämlich Dämpfe des als Tränengas
wirkenden Benzylchlorid C6HbCH2Cl in die Augen bekommen.
Was hat er falsch gemacht? Wie hätte er die Reaktion fahren sollen, um das gewünschte
Präparat zu erhalten?

39'a) Wie viele Elektronen sind an jedem C-Atom des Benzol-Moleküls lokalisiert, wie viele
delokalisiert?
b) Durch welche Voraussetzungen der Molekülstruktur wird die Delokalisierung der ø-
Elektronen im Benzolmolekül erst möglich?
c) Welche Folgen hat die Delokalisierung der ¡-Elektronen?

40. Skizzieren Sie ausgehend von Benzol mithilfe von Reaktionsgleichungen die Synthese
von a) 1-Amino-3-brombenzol b) m-Nitro-benzoesäure.

41.a) Warum zeigt Phenol eine leicht saure Reaktion?


b) Warum ist das Phenolat-lon im Vergleich zum Alkoholat-lon sehr viel stabiler?

42.a| Wie könnte man aus Benzol Pikrinsäure (2,4,6-Trini|rophenol) herstellen?


b) Warum reagiert diese Verbindung als Säure?
c) Welche sicherheitsrelevanten Eigenschaften besitzt diese Verbindung zusätzlich?

43' Nennen Sie zwei Kupplungskomponenten bei der Herstellung von Azofarbstoffen.
Formulieren Sie eine Kupplungsreaktion.

44. stellen Sie die Alkylierungsmethoden am Benzol dar und vergleichen sie sie.

160
4,1 Volumetrische Analyse

4 Volumetrische und rav¡metrische Ana


Grundlage einer volumetrischen und gravimetrischen Analyse ist die Volumen- bzw. Masse-
bestimmung eines Analyten oder Reaktanden nach dessen Umsetzung anhand einer bekann-
ten stöchiometrischen chemischen Reaktion. Die methodischen, chemischen und technischen
Grundlagen beider Verfahren sowie verschiedenen Anwendungs- und Berechnungsbeispiele
werden in diesem Kapitel beschrieben.

4.1 Volumetrische Analyse


Die volumetrische Analyse ist ein quantifizie-
rendes Analyseverfahren. Grundlage ist eine
bekannte stöchiometrische Reaktion von zwei
in separaten Lösungen vorliegenden Stoffen. Begríff Erläuterung
Zum Einen ist dies der gelöste Analyt und zum Titrand Zu quantifizierender Stoff (Analyt)
Anderen ein in exakt bekannter Konzentration
ei n gesetzter Reaktionspa rtner. Die Oua ntifizie- Zur Umsetzung des Titranden
Titrator
rung des Analyten erfolgt über das zur voll- erforderlicher Reaktionspartner
ständigen chemischen Umsetzung erforderli- Lösung des Ïtrators in exakt
che Volumen an gelöstem Reaktionspartner. Maßlösung
bekan nter Konzentration

Der umzusetzende Analyt wird als Titrand und Äquivalenz- Chemisch äquivalente Stoff-
der zur Ouantifizierung eingesetzte Stoff als pu nkt mengen von Titrand und Ïtrator
ïtrator bezeichnet (Tabelle 1). Der Punkt an
dem beide Stoffe in chemisch äquivalenten Stoffmengen vorliegen, ist der Äquivalenzpunkt.
Andere Bezeichnungen sind stöchiometrischer Punkt oder theoretischer Endpunkt.
Zur Bestimmung liegt der Ttrator in Form einer Lösung mit exakt bekannter Konzentration vor
die als Maßlösung bezeichnet wird. Bei der volumetrischen Analyse wird einer gelösten definier-
ten Stoffportion der Probe soviel an Maßlösung zugesetzt, bis der Äquivalenzpunkt erreicht ist.
Die Stoffmenge des Analyten wird anhand des eingesetzten Volumens an Maßlösung berechnet.

Der Aquivalenzpunkt kann durch Zugabe von Farbindikatoren oder durch elektrochemische oder
optische Methoden angezeigt werden.
Andere Bezeichnungen für die volumetrische Analyse sind Volumetrie, Maßanalyse oder
Titrimetrie. Die Durchführung einer Volumetrie ist die Ttration.
Für eine Maßanalyse müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
.eine eindeutig nach der angegebenen Reaktionsgleichung ablaufende Reaktion,
.eine quantitative chemische Umsetzung des Analyten,
.eine ausreichend schnelle chemische Umsetzung des Analyten,
.keine Nebenreaktionen mit anderen Stoffen (selektive Reaktion),
. ein eindeutig zu bestimmender Äquivalenzpunkt.
Ein einfaches Beispiel ist die Titration von Natronlauge NaOH (aq) (Titrand) mit Salzsäure HCI (aq)
(Titrator). Dieser Säure-Base-Ttration liegt folgende Reaktion zugrunde:
NaOH (aq) + HCI (aq) --+ NaCl (aq) + HrO
Anhand dieses Beispiels kann der prinzipielle Ablauf einer lltration wie folgt beschrieben
werden:
. Herstellen der HCI (aq)-Maßlösung
. Vorlegen einer definierten Stoffportion der NaOH (aq)-Probelösung
. Zugabe der HCI (aq)-Maßlösung aus einer Bürette bis zum Äquivalenzpunkt
. Berechnung der Analytkonzentration über das verbrauchte Volumen an HCI (aq)-Maßlösung
161
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Die Volumetrie, auch Maßanalyse, ist ein quantifizierendes Analyseverfahren für einen
gelösten Analyten.
Das Verfahren beruht auf der Bestimmung des zum Erreichen des Äquivalenzpunktes ein-
zusetzenden Volumens an Maßlösung.

Entsprechend der zugrunde liegenden Reak-


tionsart werden die in Tabelle 1 aufgeführten
Ttrationsarten u nterschieden. Titrationsart Healctionsart

Säure-Base-Titration Säure-Base-Reaktion
4.1.1 Aquivalenzpunkterkennung Oxidations-Reduktions-
Redoxtitration
Die Möglichkeit, den Äquivalenzpunkt bei einer Reaktion (Redox-Reaktion)
Maßanalyse zu erkennen, ist Grundvorausset- Ko m p lexometrische
zung für eine quantitative Analyse. Grundsätz- Titration
Komplexbi ldungsreaktion
lich gibt es dazu zwei Verfahren: die chemische
Bestimmung mithilfe von Farbindikatoren oder Reaktion unter Bildung
physikalische Methoden, wie z. B. die Messung Fäl I ungstitration einer schwerlöslichen
Verbindung
des pH-Werts oder der Leitfähigkeit L.

Das Fortschreiten einer Titration kann über den Ttrationsgrad z (tau) angegeben werden.
Der Ttrationsgrad beschreibt das Äquivalentstoffmengenverhältnis vom Titrator und Titranden.

ú- lEgfglgg
f,Iit¡ator' Z* Gtrraror,eq
_ CTit ato¡' Z* T c lr* n
-
nïtrand,eq D'litrand ' Z*
-
clitrand,eq G'fitrund ' Z* r lmor .r.'l;Jl 1
Gt.4.1

Der lndex eq sowie die Größe z* berücksichtigen die stöchiometrische Wertigkeit des Reaktions-
partners (s. S. 165). Entsprechend kann der ïtrationsgrad z folgende Werte annehmen:
Bis zum Äquivalenzpunkt: r <1
AmÄquivalenzpunkt: t = 1

Über den Äquivalenzpunkt hinaus: r > 1

Farbindikatoren
Farbindikatoren (lat. indicare: anzeigen) sind Stoffe, die durch einen Farbwechsel die Zustands-
änderung eines bestimmten Teilchens anzeigen. Sie ermöglichen ein visuelles Erkennen des
Äquivalenzpunktes. Die Färbung unverdünnter lndikatoren ist zu intensiv, so dass sie verdünnt in
Form von Lösungen oder Verreibungen eingesetzt werden.

Dabei geht ein der Analytlösung in Spuren zugesetzter lndikator mit einem an der chemischen
Reaktion beteiligten Stoff eine Bindung oder eine chemische Reaktion ein, die eine bestimmte
Färbung zur Folge hat. Während der Titration werden die gleichen, aber vom lndikator nicht
gebundenen Teilchen umgesetzt. Sind keine entsprechenden frei zugänglichen Teilchen mehr
vorhanden, wird dem lndikator das gebundene Teilchen entzogen, was mit einer Farbänderung
des lndikators einhergeht. Das bis zum Erreichen des Farbumschlags zugegebene Volumen an
Maßlösung ist Grundlage für die Ergebnisberechnung.
Je nach Art der zugrunde liegenden chemischen Reaktion wird zwischen pH-lndikatoren, Re-
dox-lndikatoren und Metall-lndikatoren unterschieden. ln einigen Fällen ist ein Farbumschlag
eines lndikators nicht exakt zu erkennen. Durch Mischen verschiedener lndikatoren lässt sich in
manchen Fällen die Aquivalenzpunkterkennung verbessern. Solche Kombinationen werden als
Mischindikator bezeichnet. Die für eine ïtrationsart spezifischen Farbindikatoren werden in den
entsprechenden Kapiteln behandelt.
162
4.1 Volumetrische Analyse

In manchen Fällen kann die Anzeige des lndikators fehlerhaft sein. Dann ist eine in mL ange-
gebene lndikatorkorrektur anzuwenden. Ursachen können z. B. sein:
. Verbrauch von beteiligten Reaktanden durch den lndikatot
. Veränderung der lndikatoraktivität bei hohen Salzkonzentrationen,
. Adsorption des lndikators an Eiweißmoleküle.
Bei manchen Ttrationen ist die Zugabe eines lndikators nicht erforderlich, da der Analyt oder
das Reagenz der Maßlösung durch die chemische Umsetzung selbst die Farbe ändert und da-
durch den Äquivalenzpunkt anzeigt. Dies ist im Besonderen beieinigen Redoxtitrationen wie der
Permanganometrie der Fall. ln den entsprechenden Kapiteln wird auf diese Möglichkeiten sowie
die entsprechenden lndikatoren vertiefend eingegangen.

Farbindikatoren sind Stoffe die durch einen Farbwechsel die Zustandsänderung eines Teil-
chens anzeigen und dadurch eine visuelle Bestimmung des Aquivalenzpunktes ermöglichen.

Physikalische Methoden
Bürette mit
Zur physikalischen Äquivalenzpunkterken- Maßlösung
nung kommen je nach Messgröße elektrische (ïtrator)
und optische Methoden infrage. Je nach Art
der ïtration werden dazu z. B. die Potentiome- pH-Elektrode
trie, die Konduktometrie, die Voltametrie, die
Amperometrie oder die UV/Vis-Spektroskopie
(s. Kap, 7.3, S. 280) eingesetzt. Ein Vorteil der
physikalisch-instrumentel len lndikationsmetho-
den liegt in der Möglichkeit, Analysen zu au-
Probelösung
tomatisieren. Außerdem wird eine Störung (ïtrand)
durch den Zusalz von lndikatoren vermieden,
Die für eine Ttrationsart spezifischen Möglich-
keiten einer physikalischen Äquivalenzpunkt- Rührstäbchen
erkennung werden in den entsprechenden
Kapiteln behandelt. Eine weiterführende Er-
Magnetrüher
lä uteru n g der arten elektrochem ischen
ufgef üh
Methoden erfolgt in Kapitel 10.8, S.466, Bild 1: Aufbau einer potentiometrischen ïtrat¡on
Bei einer potentiometrischen Ttration wird die Potentialänderung einer für die entsprechenden
lonen sensitiven bzw. selektiven lndikatorelektrode gegen eine Referenzelektrode mit konstan-
tem Potential gemessen. Bild 1 zeigt einen möglichen Aufbau am Beispiel einer pH-Elektrode.
Nach der Nernsf-Gleichung (s. Kap. 10.3.5, S. 448) ist die Potentialänderung proportional zum de-
kadischen Logarithmus der Konzentration des Analyten. Für I= 298,15 K und p = 1013,25 hPa gilt:

E = Eo + 0,059 lo
Go* El c z
Z ' cr"d Gt.4.2
v lmol.l-1 | 1

Die potentiometrische Endpunktbestimmung ist geeignet für:


. Säure-Base-Ttrationen . Fällungstitrationen
. Redoxtitrationen . komplexometrischen Ttrationen
Die Vorteile der Potentiometrie liegen z. B. in der Möglichkeit der Simultanbestimmung (s. S. 174),
der Messung von trüben oder gefärbten Lösungen und der Durchführung von Mikroanalysen
aufgrund der größeren Empfindlichkeit im Vergleich zu Farbindikatoren.
Für eine Ttration wird durch Auftragen des Potentials als Funktion des Volumens an zuge-
gebener Maßlösung eine Ttrationskurve mit einem Wendepunkt erhalten, der den Äquivalenz-
punkt markiert (B¡ld 1, S. 164, S-förmige, blaue Linie). Dazu wird die Maßlösung in kleinen Volu-
menschritten zugesetzt und das resultierende Potential gemessen.
163
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Für die Bestimmung des Wendepunktes stehen u. a. folgende


Möglichkeiten zur Verfügung:
1. Bei einem symmetrischen Kurvenverlauf kann der Endpunkt
mit der Tangentenmethode bestimmt werden. Der Schnitt- I I
punkt einer Mittelparallelen zu zwei vorher eingezeichne-
ten parallelen Tangenten (Bild 1, o-rangefarbene Linien) mit
Titrationsku rve, kennzeichnet den Aquivalenzpunkt.
2. Eine weitere bei einem unsymmetrischen Kurvenverlauf
einsetzbare geometrische Methode ist das lubbs-Verfahren.
Hierzu werden in die Krümmungen der Kurve zwei jeweils V Maßlösung +
passende Kreise eingezeichnet (B¡ld 1, rote Kreise). Der Bitd 1 Kurvenverlauf und Aus-
Sch nittpunkt einer Verbindu ngslin ie der ..Kreismittel punkte wertung einer potent¡o-
mit der Titrationskurve kennzeichnet den Aquivalenzpunkt. metrischen Titration

v
3. Weiterhin ist eine Auswertung über die
1. Ableitung der Titrationswerte möglich Leitfä hi Bürette mit
(Bild 1, grüne Kurve), wobei das Maximum EI Maßlösung
dieser Kurve den Aquivalenzpunkt definiert. (ïtrator)
Eine numerische Aquivalenzpunkterken-
nung kann z. B. über die Auswertung nach T
KolthoflHahn, die Fortuin-Näherung oder
über die Gran-Auswertung erfolgen.
Probelösung
(Titrand)

Rührstäbchen
Aus den unter 1. bis 3. aufgeführten Methoden
resultiert das notwendige Volumen an Maß- Leitfäh i

messgerät Mag netrüh rer


lösung, mit dem die Stoffmenge des Analyten
zu berechnen ist. Bild 2: Aufbau einer konduktometrischen Ttrat¡on
Die konduktometrische Titration, auch als
Leitfähigkeitstitration bezeichnet, beruht auf der Messung der
sich während einer Titration verändernden elektrischen Leitfä-
Aqu ivalenz-
higkeit L einer Lösung durch portionsweise Zugabe an Maßlö- f pu nkt
sung (Bild 2), Voraussetzung dafür ist, dass sich während der
Titration dÌe Anzahl der Ladungsträger und damit auch die Leit-
fähigkeit ändert. Die konduktometrische Titration ist geeignet
fü r:
. die Säure-Base-Titration, . die Fällungstitration.
. die komplexometrische Titration, I
¡

Durch Auftragen der elektrischen Leitfähigkeit L als Funktion B

des zugegebenen Volumens an Maßlösung Vr.u,orrno ergibt V Maßlösung +


sich ein in Bild 3 schematisch dargestellter Kurvenverlauf. Der
BíId 3 Kurvenverlauf und Aus-
durch Extrapolation erhaltene Schnittpunkt beider Geraden (A) wertung einer kondukto-
wird auf die Volumenachse übertragen und kennzeichnet den metrischen Ttration
Verbrauch an Maßlösung (B).
Eine fotometrische Äquivalenzpunktbestimmung ist möglich, wenn der Analyt, die Maßlösung
oder ein Farbindikator elektromagnetische Strahlung im sichtbaren oder im ultravioletten
Bereich absorbiert (Absorption) bzw. emittiert (Fluoreszenz), Eingesetzt werden kann die Äqui-
valenzpunktbestimmung durch UV//is-Spektroskopie zur Automatisierung oder z. B. zum Er-
kennen von Farbwechseln schwach gefärbter Lösungen aufgrund geringer Konzentration.

Eine physikalische Äquivalenzpunkterkennung erfolgt durch die Messung elektrischer oder


optischer Größen.

164
4.1 Volumetrische Analyse

4.1.2 Maßlösungen
Bezugsgröße und Voraussetzung für eine volumetrische Analyse ist eine Lösung mit exakt
bekannter Konzentration des erforderlichen Reaktionspartners, die Maßlösung.

Eine Maßlösung ist eine Lösung des erforderlichen Reaktionspartners (Ttrator) in exakt
bekannter Konzentration.

Konzentrationsangaben
Da es bei der Titration um die stöchiometrische Umsetzung bestimmter Stoffmengen geht, ist
eine Konzentrationsangabe in Form der Stoffmengenkonzentration c zweckmäßig. Definiert ist
die Stoffmengenkonzentration c als der Ouotient aus der Stoffmenge n(X) des gelösten Stoffes
Xund dem Volumen der Lösung V¡"n.

n(X) C n
c(Xl= G|.4.3
vt.n mol 'L-1 mol L

Die Konzentration einer Maßlösung kann auch als Äquivalentkonzentration c"o angegeben wer-
den. Dabei wird die Aquivalentzahl z*, d. h. die Anzahl der wirksamen Teilché-n (Aquivalentteil-
chen, Äquivalent) einer betrachteten Reaktion, berücksichtigt. Ein älterer nicht mehr gebräuchli-
cher Begriff für die Äquivalentkonzentration ist die Normalität /V.
Je nach Reaktion sind folgende Arten von Äquivalenten zu unterscheiden:
. Neutralisations-Äquivalente: Berücksichtigt wird die Anzahl der Protonen H* 2", die bei einer
Säure-Base Reaktion pro Teilchen abgegeben oder aufgenommen werden (2, B. HrSOa, z* =2l,.
. Redox-Äquivalentel Berücksichtigt wird die Anzahl von Elektronen z*, die bei einer Elektronen-
übertragungsreaktion aufgenommen oder abgegeben werden (2. B. MnOf, z" =5l,.
. fonen-Äquivalente: Die Äquivalenlzahl zx entspricht dem Betrag der Ladungszahl des lons
(2. B. Mg'*, zx =21.

Die Beziehung zwischen der Stoffmenge einer Stoffportion n(X) und der Stoffmenge seiner
Aquivalentteilchen
' nl-f l lässt sich folqendermaßen beschreiben:
\z^I
n zx
n(X) Gl- 4.4
"[4]txt = '" mol 1

Soll beispielsweise die Konzentration einer Natronlauge NaOH (aq) durch Titration bestimmt
werden, kann dies mit einer Salzsäurelösung HCI (aq) oder einer Schwefelsäurelösung HrSOo (aq)
durch eine Neutralisationsreaktion nach folgenden Reaktionsgleichungen geschehen:
NaOH (aq) + HCI (aq) --+ NaCl (aq) + HrO
bzw. in lonenschreibweise: Na* + OH- + H* + Cl- -+ Na* + Cl- + HrO
2 NaOH (aq) + H2SO4 (aq) --+^NarSOo (aO) + 2H2O
bzw.inlonenschreibweise: 2Na* + 2OH- + 2H* + SOo'--+ 2Na* + SOo'- + 2H2O
Die beiden Edukte der ersten Reaktion reagieren im Verhältnis 1 : 1 und die Edukte der zweiten
Reaktion im Verhältnis 2 : 1. Die Schwefelsäure ist in der Lage, zwei H*-lonen zur Neutralisations-
reaktion abzugeben, d. h. die Äquivalentzahl z* ist gleich 2.
Die Aquivalentkonzentration c"o wird erhalten, indem die Stoffmengenkonzentration c mit der
Aquivalentzahl z* multipliziert wird.

ceq= c'zx
c"q I
c zx
G!.4.5
mol'L-1 | mor .11 |
1

165
4 Volumetrische und ravimetrische Analyse

Entsprechend wird durch Umstellen der Gleichung die Stoffmengenkonzentration cerhalten

c"q
zx
c"q c lt* Gt.4-6
mol.L-1 | mor'11 |
1

Außerdem lässt sich die.Äquivalentkonzentration c"o über die molare Masse ihrer Aquivalente
M"o und weiter über die Äquivalentstoffmenge n"o berechnen.

Mtxl M | *"o zx
M.rlxl = Gl.4.7
zx g.mol-1 | s..or-' I
1

Über die Beziehung n(X) = 3*


MX\
lässt sich die Aquivalentstoffmenge n"o wie folgt berechnen:

mlXl'z* tr"q m M zx
n-^(Xl = Mtxl Gl.4.a
E mol I
Darüber kann dann weiter die Aquivalentkonzentration berechnet werden
I o'-or' I
1

n"o(X) _ mlXl' zx V m M zx
c"o (Xl = Gt.4.9
va"n M{Xl . ylss mol 'L-1 mol L s s mol-1 1

Um bei einer Titration mit verschiedenen ïtratoren möglichst ähnliche Volumina zu verbrau-
chen, werden Maßlösungen mit gleichen Äquivalentkonzentrationen verwendet. Dadurch ent-
halten gleiche Volumina von Maßlösungen entsprechend ihrer Reaktionsfähigkeit äquivalente
Stoffmengen. Gekennzeichnet istpie Äquivalentkonzentration durch Angabe eines Bruchs mit 1
im Zähler und z* im Nenner (+Xl,z.B. c(; H2SO4)= 0,1 mot .L-
"=
Am Beispiel einer Säure-Base-Titration müssen folgende Volumina V verschiedener Säuren
für die Umsetzung von 10 mL NaOH (aq) c = 0,1 mol . L-l bis zum Äquivalenzpunkt eingesetzt
werden {Tabelle 1).

Die Stoffmengenkonzentrat¡on c ist der Ouotient aus der Stoffmenge eines gelösten Stoffes
und dem Vorumen der Lösuns, z. B. c(Hrsoo) = i1l,:9.1
y(H2so4) - o,t1 mõl
L
= o,r LroL.l--'
Die Äquivalentkonzentratlon c"o ist die Stoffmengenkonzentration c eines gelösten Stoffes
multipliziert mit der für die entsprechende Reaktion geltenden Aquivalentzahl 2". Die Aqui-
valentkonzentration ist gekennzeichnet durch die Angabe eines Bruchs
0,1 mol 'L-1.
*r.8. c(; H2SO4) =

Eingesetzto Såure
Stoffmengenkonzentrat¡on c Vin vin
in mol . L-' mL ,mL
Phosphorsäure c(H.PO.) = 0,1 3.33 c(å H3Po4) = 0,1 10

Schwefelsäure c(H2SOa) = 0,1 5,0 c(å H2so4) = 0,1 10

Sa lzsåiu re c(HCl) = 0,1 10 c(+ Hcr) = 0,1 10

166
4.1 Volumetrische Analyse

Beispiel 4.1: Umrechnung Stoffmengenkonzentration c und Aquivalentkonzentrat¡on ceq


Berechnen Sie die Stoffmengenkonzentration einer Phosphorsäure c(H3POa) mit einer Äqui-
valentkonzentration von c(f H3POd = 0,3 mol . L-1.
Lösung:
c'q(HsPo¿)
Nach Gleichung 4.6 erhält man: c(Hrpoo¡ = - 0,3 mol ' L-1 = 0,1 mol . L-1
zx3
ïter
Häufig hat eine Maßlösung nicht eine gewünschte exakte Stoffmengenkonzentration von z. B.
c = 0,1000 mol ' L-1, sondein die Stoffm-engenkonzentration liegt geringfügig darunter oder da-
rüber. Die Abweichung von der angestrebten Konzentration kann durch Angabe eines Titers, frü-
her auch als Faktor bezeichnet, korrigiert werden. Der Tter tllranz.: fifre, Feingehalt, Feinheits-
grad) ist ein dimensionsloser Korrekturfaktor für die Stoffmengenkonzentration bzw. Äquivalent-
konzentration. Die Konzentrationsangabe einer Maßlösung erfolgt durch die Angabe der ange-
strebten Stoffmengenkonzentration ã und dem Titer f.
Der Ïter wird berechnet als der Ouotient aus der tatsächlichen Stoffmengenkonzentration c(X)
bzw. c¡"r(X) und der angestrebten Stoffmengenkonzentration õ(X) bzw. csol(X).

r(Xl = tatsäclrliglesloffmengenkonzentration
angestrebte Stoffmengenkonzentration
{Il= a"t(-I-) elxl
(Xl c"o¡¡(Xl= õ(Xl ". "l t,
mot f1
ct.4.1o
E
|
Der Titer f kann demnach auch als eine Art Wirkungsgrad einer Maßlösung beschrieben wer-
den. lst der Titer kleiner als 1, dann ist die tatsächliche Stoffmengenkonzentration und damit der
Wirkungsgrad geringer als die angestrebte Stoffmengenkonzentration. lst der Tter größer als 1,
dann ist die tatsächliche Stoffmengenkonzentration und damit der Wirkungsgrad größer als die
a n gestrebte Stoff men gen konzentration.

Die exakte Stoffmengenkonzentration einer Maßlösung kann durch die angestrebte Stoff-
mengenkonzentration ã und einen dimensionslosen Korrekturfaktor, den Tter t, angegeben
werden.

Beispiel 4,2: Berechnung eines Tters


Bei der Titration einer Salzsäure mit e'(HCl) = 0,1 mol . L-1 wurde eine exakte Stoffmengen-
konzentration von c(HCl) = 0,09985 mol ' L-l bestimmt. Berechnen Sie den Tter f(HCl) der
Maßlösung.
Lösung: ,u¡^r\ 0'09985 mol:!-r
^ ,-1
Nach Gleichung 4.10 erhält man: ¿(Hcl) = 9¡'t(HCl)
- = 0,998b
õ"ol(HCl) 0,1 mol ' L
Entsprechend wird die exakte Stoffmengenkonzentration c(X) erhalten, indem die angestrebte
Stoffmengenkonzentration õ(X) mit dem Titer t(X) multipliziert wird.

c c t
c(Xl =ã(X) 'f(X) Gl. 4-11
mol.L-1 | mor.11 |
1

Beispiel 4.3: Berechnung der genauen Stoffmengenkonzentration


Welche Stoffmengenkonzentration c(NaOH) hat eine Natronlauge mit einer angenommenen
Stoffmengenkonzentration von õ(NaOH) = 0,1 mol ' L-1 und einem Titer f(NaOH) = 0,9897?
Lösung:
c(NaOH) = õ(NaOH) . f(NaOH) = 0,1 mol L-1 0,9897 = 0,09897 mol L-1

167
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Maßanalytische Berechn u n gen


Am Aquivalenzpunkt liegen Aquivalentstoffmengen von Titrand und Titrator vor

fr1,eq D2,"q
lnl Gt.4-12
=
lmot I

Die bei einer Maßanalyse umgesetzte Stoffmenge n(X) lässt sich berechnen, indem das ver-
brauchte Volumen an Maßlösung V(X) mit der Stoffmengenkonzentration c(X) multipliziertwird.
Obwohl der Verbrauch an Maßlösung in Milliliter abgelesen wird, wird er aus praktischen Grün-
den oft in Liter umgerechnet und in die weiteren Berechnunen mit einbezogen

n c
n(X) =c(X).V(X) Gl. 4.13
mol lmol .L-1 | L

Beispiel 4.4: Stoffmengenberechnung e¡ner Maßanalyse


Bei derTitration einer Natronlauge wurden 10,00 mL Salzsäure mit c(HCl) = 0,100 mol .L-1
verbraucht. Welche Stoffmenge n an Natriumhydroxid NaOH wurden umgesetzt?
Lösung:
NaOH + HCI --+ NaCl + HrO Nach Gleichung 4.13 wird erhalten:
n(NaOH) = n(HCl) = c(HCl) . v(HCl) = 0,100 mo| L-1 , 0,010001 = 0,0010 mot

Bei der Verwendung eines Titers wird die Gleichung entsprechend erweitert.

n(Xl =õ(X) 'f{X) 'Y(X)


n õl t
Gl.4-14
mol I mol' L-1 |
1 L

Da bei einer Titration häufig Lösungen mit einer entsprechenden Stoffmengenkonzentration


eingesetzt werden, wird Gleichung 4.14 in Gleichung 4.12 eingesetzt:

õ.,.tr.V.t=ë2.t2.V2 c t
G|.4.15
mol .L- 1 L

Dies gilt nur für Reaktionen. bei denen das stöchiometrische Verhältnis 1:'l ist. Für ungleiche
stöchiometrische Reaktionsverhältnisse, bei denen die Anzahl der wirksamen Teilchen Berück-
sichtigung findet, gibt es folgende drei Möglichkeiten:
1. Einsetzen der Äquivalentkonzentration c"o

c t
õr,.o, tr, vt = õ2,rq, t2, v2 G|.4.16
mol .L-1 1 L

2. Berücksichtigung der Àquivalenitzahl zx

õ,. t,,. Vt. = ãr. t2. Vz.


c t I vl,"
z*.t z*z
mol .t-. I t IrIr Gl- 4.17

3. Weiterhin erhält man durch Umstellen der Gleichung die Möglichkeit, die Stöchiometrie einer
Reaktion direkt aus der Reaktionsgleichung abzulesen und in die Formel einzutragen.

õ1 .t1 .vl õ | r I vlz*


õz' t2' v2 ='*' mol.11 | 'l I r I
G|.4.18
Z*1 r

168
4.1 Volumetrische Analyse

Am Beispiel einer Neutralisationsreaktion von Schwefelsäure und Natronlauge mit folgender


Reaktionsgleich u ng sind die drei Mögl ichkeiten veranschaulicht:
2 NaOH (aq) + H2SO4 (aq) -+ NarSOa (aq) + 2 HrO

Aus Gleichung 4.16 erhält man durch Einsetzen der Äquivalentkonzentration:


õ(; H2so4) . r(H2so4) . y(H2so4) = õ(f ruaou) . r(NaoH) . v(NaoH)
Aus Gleichung 4.17 ergibt sich durch Einsetzen der Äquivalentzahl:
õ(H2SO4) .Í(H2SO4) 'V(H2SO4) '2=õ(NaOH) .r(NaOH) .V(NaOH) '1
Aus Gleichung 4.18 folgt durch Einsetzen der Reaktionsstöchiometrie:
õ(H2SO4), ¿(H2SO4)' y(H2SO4)
=_L
õ(NaOH) ' f(NaOH) . V(NaOH) 2
Mit den erhaltenen Gleichungen ist es möglich, alle für eine maßanalytische Bestimmung not-
wendigen Berechnungen durchzuführen.

Beispiel 4.5: Tterbestimmung einer Schwefelsäure mit ã(HrSOo) = 0,05 mol ' L-l
Für die Tterbestimmung einer Schwefelsäure mit õ(HrSOa) = 0,05 mol .L-1 wurden 0,02500 L
der Säure vorgelegt. Für die Neutralisation der Säure wurden 0,02450 L einer Natronlauge mit
õ(NaOH) = 0,1 moi ' L-1 und einem Titer von f (NaOH) = 1,0234 verbraucht.
Berechnen Sie den Tter t(HrSOo) der Schwefelsäure nach den Gleichungen 4.16,4.17 und 4.18.
H2SO4 (aq) + 2 NaOH (aq) --+ NarSOa (aq) + 2 HrO

Lösung:
ceq=c'zx c(;H2so4) =2'c(H2soa) =0,05mo1 L-1 .2=0,1mol L-1
c(+NaOH) = 1 ' c(NaOH) =0,1 mol L-1 '1 = O,1mol L-1
Durch Einsetzen der Äquivalentkonzentration c"o ergibt sich nach Gleichung 4.16:
õ(;H2SO4) . f(H2SO4) , y(H2SO4) = õ(f NaOH) . f(NaOH) . V(NaOH)

Durch Umstellen der Gleichung nach f(H2SO.) ergibt sich:


ã(lNaOH) 't(NaOH) .V(NaOH) _ 0,1 mot.L1 1,_0234.0,024b01
-\"¿--+t _1,0029
''--
'(H,SO,)_ õ(; H2so4) . y(H2so4) 0,1 mol . L-1 '0,02500 L

Durch Einsetzen der Äquivalentzahl z* erhält man nach Gleichung 4.17:


õ(H2SO4) .I(H2SO4) 'V(H2SO4) .z*(HrSOa) =õ(NaOH) 't(NaOH) .V(NaOH) 'z*(NaOH)

Durch Umstellen der Gleichung nach f(H2SO4) ergibt sichr


+,u e'..' r _
.ìrr2sv4/- õ(NaOH)' f(NaOH)' V(NaOH) . z*(NaOH)
õW
-\"¿--+'
f(Hrso4) - 0,1 mol'L-1 110234 ' 0,02450 L'1 = 1,0029
o,ob mol.L-1 . o,o2soo L . 2

õ(H2SO4) . f(H2SO4) . y(H2SO4)


Nach Gleichung 4.18 erhält man
õ(NaOH) . t(NaOH) . V(NaOH)=12
Durch Umstellen der Gleichung nach f(HrSOa) ergibt sich
+/Lrerì\_1 õ(NaOH) .f(NaOH) .V(NaOH) _ 1.0 1 mol. L-1' 1,0234' o,o245oL
2 õ(H2SO4) . y(H2SO4)
2. o,o5 mol ' L-1 ' o,o25oo L
f(H2SO4) - 1,0029

169
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

lst die Masse m(X) eines Stoffes zu bestimmen, kann die Stoffmenge n"o(X) ersetzt werden durch:

n"o(X) =
mlXl
Mlxt
z*
mol
n m lr"l lro. M I mol
Gl. 4.19
s 1

Für die maßanalytische Berechnung mit einer Maßlösung (ML) ergibt sich dann

m(X) .z*(Xl . = Z*ML' . -l c I ul*l M


Gt_ 4-20
o lmot .r'lr lt
= cML.eq Vn¡L clv¡l_ Vwll_
Mtxt ln.mot-l
Durch Umstellen nach m(X) erhält man

m(X)
cML,"q VML' MlXl Z*ML c'lu . Vlvll_ ' MlXl
= Gl.4-21
z*lXl z*(X)

W Für viele maßanalytische Bestimmungen ist das Ergebnis dieser Berechnung in Bezug auf
1 mL Maßlösung als maßanalytische Aquivalentmasse Á(X) tabellarisch aufgeführt (Tabelle 1).
W
A(X)
crr.
"o
M(X) A c l'"1 M
G,- 4-22
rnl-t I t l-n
=
z*(X) mg' mL-1 lmmot . rnrnol

Die maßanalytische Äquivalentmasse Ä(X) gibt die Masse des gesuchten Stoffes an, die
der äquivalenten Stoffmenge in.. einem Milliliter der einBesetzten Maßlösung entspricht.
Die Einheit der maßanalytischen Aquivalentmasse ist g . L-r oder mg . mL-l.

Für Berechnungen mit der maßanalytischen Äquivalentmasse Ä(X) wir¿ das verbrauchte
Volumen an Maßlösung eingesetzt.

m A t
m(Xl = A(X) ' Vvt' t -1 Gt.4_23
s mg'mL mL 1

Tabelle 1: Beispiele für maßanalytische Äquivalentmassen .d einiger Säure.Base.Ttrationen


Säure-Maßlösung (Titratorl, z. B.: Base-Maßlösung (Titrator) z. B.:
Salzsäure c(+ HCI) = 0,1 mol ' L-1 Natronlauge c(+ NaOH) = 0,1 mol . L-l
Schwefelsäure c(å H2SO4) = 0,1 mol r1 Kalilauge c(+ KOH) = 0,1 mol . L-1
Schwefelsäure c(H2SOa) = 0,05 mol r1
ïtrand Á in mg . mL-1 ïitrand Á in mg . ml-l
Kalilauge KOH 5,611 Salzsäure HCI 3,646
Natronlauge NaOH 4,000 Schwefelsäure HrSOo 4,904

Beispiel 4.6: Maßanalytische Bestimmung einer Massenkonzentration mithilfe der maß-


analytischen Äquivalentmasse
ln einem Abwasser soll die Massenkonzentration an Natriumhydroxid É(NaOH) maßanalytisch
bestimmt werden. Dazu werden 25,00 mL der Abwasselprobe vorgelegt. Die Tìtration mit einer
Schwefelsäure-Maßlösung c{]HrSO*) = 0,1000 mol . L-l ergab einen Verbrauch von22,2F mL.
Berechnen Sie die Massenkonzentration É(NaOH) in g .L-1. Die entsprechende maßanaly-
tische Aquivalentmasse ist Tabelle 1 zu entnehmen.

170
4.1 Volumetrische Analyse

Lösung:
Aus Gleichung 4.23 ergibt sich:
m(NaoH) = Á(ruaoH) . y(H2So4) = 4,000 mg . mL-1 .22,25 mL = 89,00 mg
ln 25,00 mL der Abwasserprobe sind 89,00 mg NaOH enthalten. Hieraus errechnet sich die
Massenkonzentration É(NaOH) nach:

'
É(NaoH) = ilf"9t,)
V(Probe)= 9'9!:999
0,02500 L
= 3,b60g.1-1

Herstellen von Maßlösungen


Eine exakt bekannte Konzentration einer eingesetzten Maßlösung ist die Grundlage für eine
genaue Maßanalyse. Um dies zu gewährleisten gibt es folgende Möglichkeiten:
. Der Einsatz von im Handel erhältlichen fertigen Maßlösungen.
. Das Herstellen einer Maßlösung aus im Handel erhältlichen Konzentrat-Ampullen.
. Das Herstellen einer Maßlösung durch Einwaage von Urtitersubstanzen. Dies sind geeignete,
in ihrer Zusammensetzung gleichbleibende, chemisch reine Stoffe.
. Das Herstellen einer Maßlösung durch Einwaage eines Stoffes und anschließender Tter-
bestimmung. Dies kann durch Titration mit einer Maßlösung mit exakt bekannter Konzentrati-
on oder gegen eine Urtitersubstanz erfolgen. E
Viele Maßlösungen sind im Handel als gebrauchsfertige, exakt auf eine bestimmte Stoffmen-
genkonzentration einge"stellte Lösung erhältlich. ÜUicne Stoffmengenkonzentrationen sind
0,1 mol .L-1,0,5mo| 'L-1, lmol .L-1 und2mol 'L-1 inGebindegrößenvonz.B. 1L,5Loder10L.
Neben den fertigen Lösungen gibt es im Handel Konzentrat-Ampullen aus denen, durch Ver-
dünnen mit demineralisiertem und kohlenstoffdioxidfreiem Wasser auf ein definiertes Volumen,
Maßlösungen mit entsprechender Konzentration erhalten werden. Dazu wird der lnhalt einer
Ampulle quantitativ in einen Maßkolben mit entsprechendem Volumen überführt und auf das
angegebene Volumen aufgefü llt.
Maßlösungen können auch durch Einwiegen und Lösen einer definierten Masse einer Urtiter-
substanz Ìn einem entsprechenden Volumen Lösemittel hergestellt werden. Urtitersubstanzen
sind Stoffe, die folgende Eigenschaften besitzen:
. Sie müssen einen ausreichend hohen Grad an chemischer Reinheit besitzen. Das bedeutet, der
Stoff entspricht in seiner Zusammensetzung der angegebenen Formel und ist möglichst frei
von Verunreinigungen.
. Urtitersubstanzen müssen leicht abzuwiegen sein. Dazu ist eine große molare Masse von Vor-
teil, um den relativen Einfluss von Wägefehlern möglichst gering zu halten,
. Urtitersubstanzen dürfen sich z. B. unter dem Einfluss von Sauerstoff, Kohlenstoffdioxid oder
Feuchtigkeit nicht verändern.
. Sie sollten in Wasser leicht löslich sein.
. Aus einer Urtitersubstanz hergestellte Maßlösungen müssen auch bei längerem Aufbewahren
stabil bleiben und dürfen ihre Konzentration nicht verändern.

Beispiel 4.7: Berechnung der Einwaage zur Herstellung einer Maßlösung


Aus der Urtitersubstanz Natriumcarbonat NarCO, sollen 2,000 L einer Maßlösung mit
c(NarCO3) = 0,1000 mol 'L-1 hergestellt werden. Berechnen Sie die hierzu notwendige Ein-
waage.
M(NarCO.)= 105,99 g .mol-1
Lösung:
n(NarCO.) = c(NazCOs) . V(NarCO3) = 0,1000 mol.L-1 ' 2,ooo L = 0,2000 mol
m(NarCO.) = n(NazCOg) .M(NarCO3) = 0,2000mo| 105,99g.mo|-1 = 21,198g
Es müssen 21 ,1980 g Natriumcarbonat eingewogen werden.

171
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Das Herstellen einer Maßlösung aus Stoffen, die keine Urtitersubstanzen sind, kann durch Ein-
waage des Stoffes, Lösen und anschließende Titerbestimmung mit einer eingestellten Maß-
lösung oder gegen eine eingewogene und gelöste Urtitersubstanz erfolgen. Dies können z. B.
Stoffe mit einer nicht ausreichenden Reinheit (2. B. chemisch rein) oder aus konzentrierten
Lösungen. z. B. Säuren, hergestellte Verdünnungen sein.

Beispiel 4.8: Iterbestimmung einer Salzsäurelösung HCI (aq)


Für die Tterbestimmung einer Salzsäure-Maßlösung mit õ(HCl) = 0,1 mol L-1 wurden
25,00 mL Salzsäurelösung vorgelegt, bei derTitration 25,70mL einer Kalilauge mit c(KOH) =
0,1000 mol . L-1 verbraucht. Berechnen Sie den Titer t(HCl) der Salzsäure-Maßlösung.
Lösung:
Nach Gleichung 4.17 gilt:
õ(HCl) 'f(HCl) .v(HCl) .2"(HCl) =ô'(KOH) 'f(KOH) 'v(KOH) .zx(KOH)
Durch Umstellen der Gleichung nach f(HCl) und Einsetzen von f (KOH) = 1 ergibt sich:

r(Hct) = õ(Ko[).rlKoH)'V(KOH).2*(KoH)
õ(HCl) ' v(HCl) . 2"(HCl)
- 0,1000mo|.1-1 '1'0,025701.1= 1,0280
0,1 mot . L-l .O,OzSOO L. r

Maßlösungen werden erhalten durch den Kauf einer fertigen Maßlösung oder einer Konzen-
tratampulle, durch Einwaage e¡ner Urtitersubstanz oder durch Tterbestimmung gegen eine
gelöste U rtitersu bsta nz oder ein gestel lte M a ßl ösu n g.

Einstellen von Maßlösungen


ln einigen Fällen kann es notwendig sein, Maßlösungen auf einen Titer von 1,000 einzustellen,
z. B. um verbrauchte Volumina direkt miteinander zu vergleichen. Dies kann bei geringer konzen-
trierten Maßlösungen mit einem ïter < 1 durch Zugabe einer konzentrierteren Lösung erfolgen.
Bei höher konzentrierten Maßlösungen mit einem Titer > 1 ist das Einstellen auf den Titer von
1,000 durch Verdünnen mit deionisiertem Wasser möglich.
Die Berechnung der jeweils einzusetzenden Volumina erfolgt analog zur Mischungsgleichung mit
der stoff mengenbezogenen Mischungsgleichung.

c
ct' Vt t cz' V2 = c¡¡1' lV1 + V2l Gt.4-24
mol L-' I
L

Die zum Einstellen einer Maßlösung auf einen Tter von 1,000 einzusetzenden Volumina
lassen sich mit der stoffmengenbezogene Mischungsgleichung berechnen:
ct' V.t t cz. Vz = ct¡' (V.t + V2l
4.1.3 Titrationstechn¡ken
Bei einer Maßanalyse erfolgt die Ouantifizierung eines Stoffes in den meisten Fällen durch di-
rekte Zugabe der Maßlösung zur Probe. ln einigen Fällen ist dies jedoch nicht möglich, wenn
z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit zu gering ist oder der Stoff sich nur schlecht löst. ln manchen
Fällen kann dann eine Ouantifizierung mithilfe einer anderen Titrationstechnik erfolgen. Grund-
sätzlich wird zwischen einer direkten und einer indirekten Titration unterschieden.
Bei einer direkten ïtration wird der Analyt in der Probelösung unmittelbar mit der Maß-
lösung umgesetzt. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten:
. Für eine direkte ïtration wird die Probe vorgelegt und mit der Maßlösung titriert.
. Eine inverse ïtration erfolgt mit getauschten Lösungen. Die Maßlösung wird vorgelegt und
mit der Probelösung wird titriert (s. Beispiel 4.16, S. 185).
172
4.1 Volumetrische Analyse

Ein über eine direkte Titration


nicht zu bestimmender Stoff
kann möglicherweise quanti-
fiziert werden, indem dieser
chemisch umgesetzt und an-
schließend über eine indirekte
ïtration bestimmt wird. Hier-
zu gibt es drei Möglichkeiten: L

.
I

Bei einer indirekten Ttration


wird der zu bestimmende

,l
Tren n-
Stoff durch eine stöchiome- Fällung filtrat¡on ïtration
trisch ablaufende Reaktion
gezielt quantitativ umgesetzt
i'..,.1 o
N iedersch
und das Produkt durch Ïtra-
tion quantifiziert. Beispiels- Bitd 1: tndirekte Titration
weise kann Sulfat als Bari-
umsulfat gefällt werden. Nach Abfiltrieren und
Maß-
anschließendem Lösen wird das Barium ersatz- lösung (2)

.
weise titriert (Bild 1, s. Beispíel 4.22, S. 191).
Bei einer Substitutionstitration reagiert der E
zu bestimmende Stoff stöchiometrisch und
quantitativ mit einer zugegebenen Kom-
ponente unter Freisetzung eines anderen
Stoffes. Dieser ist dann durch Titration quan-
fl Maß-
lösung (1 )

Überschuss an
Maßlösung (1)

tifizierbar (s. S. 189).


. Für eine Rücktitration (B¡ld 2) werden zwei
Maßlösungen benötigt, die gegeneinander
zu titrieren sind. Eine definierte Stoffmenge
einer Maßlösung (1), die den zu bestimmen-
a)
"n; b)
¿
c)

den Stoff umsetzt, wird der Probelösung Bild 2: Rücktitration


im Überschuss zugegeben (Bild 2a). Bei der
Umsetzung des Analyten wird ein Teil der zugegebenen Maßlösung (1)verbraucht (Bild2b).
Der nicht umgesetzte Überschuss an Maßlösung (1) wird mit der zweiten Maßlösung (2) t¡triert
(Bild 2c). Die Stoffmenge des Analyten nAnatyt ist dann über die Differenzbildung der Äquivalents-
stoffmengen beider Maßlösungen zu berechnen (s. S. 191).
nAnalyt = neq Maßlösung {1) - fleq Maßlösung (2)

Beispiele zu den einzelnen Titrationstechniken sind in den folgenden Kapiteln zu finden.

4.1.4 Säure-Base-ïtration
Die Säure-Base-Ttration dient der Ouantifizierung von Säuren oder Basen und beruht auf dem
Übergang von Protonen H* zwischen den Reaktionspartnern. Die Säure-Base-Titration wird auch
als Neutralisationstitration bezeichnet. Die durch Dissoziation in wässriger Lösung freigesetzten
Protonen einer Säure und die Hydroxid-lonen einer Base reagieren nach folgender Gleichung
miteinander:
H*A- (aq) + B*OH-(aq) S B*A-(aq) + HrO
Säure Base Salz Wasser
Diese Reaktion, bei der undissoziertes Wasser und ein dissoziertes Salz entsteht, wird als Neutra-
lisation bezeichnet. Die Titration einer Säure als Probelösung mit einer Base als Maßlösung wird
als Alkalimetrie, die Titration einer Base mit einer Säure als Maßlösung wird als Acidimetrie
bezeich net.

Die Säure-Base-Ttration beruht auf dem Übergang von Protonen H* zwischen den Reaktions-
partnern.

173
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Aquivalenzpunkterkennung bei der Säure-Base-ïtration


Eine Aquivalenzpunkterkennung kann konduktometrisch, po- 4200

tentiometrisch oder mit Farbindikatoren erfolgen. Aqu¡valenzpunkt


3700 CH ?COO H (aq )/N aO H {aq )
t
Ein Beispiel für eine konduktometrische Simultan- i
E
3200
bestimmung ist die Titration von Salzsäure neben Ethansäu- ?
re CH.COOH(aq) mit einer Natronlauge-Maßlösung. Durch U)
a
2700 Aq uivalenzpu nkt
HCI(aq)/NaoH(aq )
Auftragen der während der Titration registrierten elektri- .g
! 2200
schen Leìtfähigkeit als Funktion des Volumens an eingesetz-
ter Natronlauge-Maßlösung wird der in Bild'l dargestellte 1700

Kurvenverlauf erhalten. Zu Beginn der Titration verringert sich


die Leitfähigkeit der Lösung durch Neutralisation der H.O*- 10 20 30 40 50 60
lonen aus der fast vollständig dissoziierten Salzsäure. Nach Er- Y NaOH(aq) in mL +
reichen des Aquivalenzpunktes HCI/NaOH steigt die Leitfähig-
keit aufgrund der aus der gering dissoziierten Ethansäure frei- B¡Id 1 Konduktometrische
gesetzten Acetat-lo nen. N ach E rreichen des Aq u iva lenzpu n ktes Titration von Salzsäure
neben Ethansäure mit
CH.COOH/NaOH steigt die Leitfähigkeit durch den NaOH-Über- einer Natronlauge
schuss weiter an.

Bei der Potentiometrie wird der pH-Wert der Titrationslösung


während der Titration verfolgt und gegen den Verbrauch an 2
eingesetzter Maßlösung aufge-tragen. Der Wendepunkt der l1
Titrationskurve entspricht dem Aqu ivalenzpunkt.
Ë
lr 0
8 pH7
Je nach Stärke und Wertigkeit der Säure bzw. Base werden +
-a 7 Aquivalenz-
punkt =
unterschiedliche ïtrationskurven erhalten. Durch Zugabe von Neutralpu nkt
Säure oder Base wird das Reaktionsgleichgewicht verschoben. 4
Zum Ausgleich reagieren Hydronium-lonen H.O* mit Hydroxid- 2
lonen OH- unter Bildung von Wasser, wodurch der Wert der
0
Gleichgewichtskonstanten K,ua¡ wieder erreicht wird (H.O* + OH- 01020
5 2 H2Ol. Dabei nimmt bei Zugabe von Säure die HrO*-lonen- Verbrauch NaOH(aq) +
c= 0,1 mol 'L-l
konzentration zu und der pH-Wert sinkt. Bei Zugabe von Base
nimmt die OH--lonenkonzentration zu und der pH-Wert steigt.
Bild 2: Potentiometrische
ln Bild 2 ist der Verlauf der potentiometrischen ïtration einer ïtrat¡on einer Salzsäure
c(HCl) = 0,1 mol . L-r
starken Säure (c(HCl) = 0,1 mol . L-1) mit einer starken Base
(c(NaOH) = 0,1 mol ' L-1) dargestellt. Zunächst steigt der pH- mit einer Natronlauge
c(NaOHl = 0,1 mol . L-1
Wert der lltrationslösung immer stärker an, da die Anzahl der
HrO*-lonen abnimmt. Sind alle HrO*-lonen umgesetzt, erhöht
sich der pH-Wert schlagartig aufgrund des OH--lonen Über-
schusses, um dann langsam abzuflachen. Der Wendepunkt 1 2
dieser Kurve bei einem pH-Wert von 7 kennzeichnet den Äqui- 10 Aq u iva lenz-
valenzpunkt der Titration. Der Neutralpunkt, bei dem gleiche pu nkt
Konzentrationen von H.O*- und OH--lonen vorliegen, und der +''9 Neutral pu nkt
Äquivalenzpunkt fallen in einem Punkt zusammen. toþ

4
Bei der Titration einer schwachen Säure mit einer starken Base
p
bzw. einer schwachen Base mit einer starken Säure fällt der 2

Äquivalenzpunkt nicht mit dem Neutralpunkt zusammen. Das 0


liegt daran, dass die Anionen von schwachen Säuren Protonen- 01020
Verbrauch NaOH(aq)+
akzeptoren sind und schwach basische Eigenschaften aufwei- c= 0,1 mol ' L-1
sen, wie z. B. das Acetat-lon CH3COO- der Ethansäure (Bild 3).
Zu Beginn der Titration hat die Lösung der reinen Ethansäure Bild 3: Potentiometrische
mit c(cH.cooH) = 0,1 mol . L-' einen pH-wert von 2,9, da nur ïtration einer Ethansäure
ein geringer Teil der CH3COOH-Moleküle dissoziiert ist: c(CH3COOH) = 0,1 mol ' L-1
mit einer Natronlauge
pH = (pKs
å - lg co(cu.coog) = |(+,ls -lg 0,11 = 2,9 c(NaOH) = 0,1 mol . L-1
174
4.1 Volumetrische Analyse

Am ersten Wendepunkt der Kurve, dem Halbäquivalenzpunkt


(B¡ld 3, S.174), wurde die Hälfte der zum vollständigen Um-
l1
satz der Ethansäure notwendigen Natronlauge eingesetzt
ln(CHTCOOH) o n(CH'COO-)1. Der pH-Wert der Lösung ent-
lr 0
Ë
o 8
spricht dem pKs-Wert.
i
=
o
7
b
Neutra lpunkt

pH = pK, -'n (ffi$#l = o,rs +ts 1 = 4,75 5, 1

4
Äqu ivalenz-
punkt

Die Protonen werden im Laufe einer Ttration entsprechend 2

der Gleichung CH.COOH + HrO s CH3COO- + H3O* quantitativ 0


0 10 20
freigesetzt und neutralisiert. Die vorliegenden Acetat-lonen re- Verbrauch HCI(aq)+
agieren nach der Gleichung CH3COO- + HrO s CH3COOH + OH- c= 0,1 mol . L-1
mit Wasser unter Bildung von Hydroxid-lonen. Der pH-Wert am
Aquivalenzpunkt entspricht dem pH-Wert des reinen gelösten Bild 1: Potentiometrische
Salzes (hier Natriumacetat CH3COONa). ïtration einer
Ammoniaklösung
pH = 7 *]{nKs+lsc) = 7++ø,75+|s0,1)=8,8 c(NH¿OH) = 0,1 mol . L-1
mit einer Salzsäure
Entsprechend verhalten sich die Kationen von schwachen Ba- c(HCl) = 0,1 mol ' L-1
sen. Sie sind Protonendonatoren und haben schwach saure Ei-
genschaften, Die OHllonen einer wässrigen Ammoniaklösung
(NHg (aq)) werden im Laufe einer Titration quantitativ entspre-
chend der Gleichung NH. + HrO s NHa* + OH- freigesetzt und
2

neutralisiert (B¡ld 1). Die vorhandenen Ammonium-lonen NHo* 1l 0


reagieren nach der Gleichung NHf + H2O 3r NH, + H.O* mit Ë
I
Wasser unter Bildung von Hydronium-lonen H3O* und Ammo- # 7 Aquivalenz
niak NH.. Der pH-Wert am Aquivalenzpunkt entspricht dem pH- ã 6 punkt =
N eutral pu nkt
Wert des reinen gelösten Salzes (hier NH,CI). Wie bei der Titra- 4

tion von schwachen Säuren mit einer starken Base entspricht 2


am Halbäquivalenzpunkt der pH-Wert dem pKs-Wert.
0
0 10 20
Die ïtration einer schwachen Säure bzw. Base mit einer schwa- Verbrauch NH.(aq)+
chen Base bzw. Säure beginnt bzw. endet aufgrund der gerin- c= 0,1 mol .L-1
gen Dissoziation mit einem geringeren Abstand zum Neutral-
punkt als bei einer.starken Säure bzw. Base. Entsprechend ist
Bild2: Potentiometrische
Titration einer Ethansäure
durch die geringe Anderung der Hydronium-lonen-Konzentrati- c(CHTCOOH) = 0,1 mol . L-l
on der pH-Anstieg am Aquivalenzpunkt relativ gering. Dadurch mit einer Ammoniaklösung
ergibt sich eine flach ansteigende Titrationskurve mit einem oft c(NH.(aq)) = 0,1 mol . L-l
nicht eindeutigen Aquivalenzpunkt (B¡ld 2). Je nach Säure- und
Basestärke (pKs bzw. pKr-Wert) liegt der Äquivalenzpunkt im
sauren, neutralen oder basischen Bereich. Eine Titration von
extrem schwachen Säuren bzw. Basen in wässriger Lösung 112
Äquivalenz-
ist vielfach nicht möglich, da sich die Säure- bzw. Baseneigen- I to punkt 2
schaft des Wassers bemerkbar macht. ln einigen Fällen ist eine
Ëa
ïtration in nichtwässrigen Medien möglich (s. S.202). -^
èb
Äquivalenzpunkt 1

Bei der Titration von mehrwertigen Säuren bzw. Basen erhält 4


man durch die stufenweise Dissoziation einen stufenweisen 2
ïtrationsverlauf. Im aufgeführten Beispiel im Bild 3, bei der
Ttration einer Phosphorsãure mit c (] H3PO4) = 0,1 mol . L-1 und 0
U 10 20 30 40
einer Natronlauge mit c(NaOH) = Oit mol ' L-1, ist durch den Verbrauch NaOH(aq) +
Einsatz verdünnter Lösung die dritte Dissoziationsstufe bei ei- c= 0,'l mol . L.
1

nem pH > 12 nicht zu erreichen. Die für die Aquivalenzpunkt- B¡Id 3 Potentiometrische Ïtra-
erkennung bei einer Säure-Base-Titration eingesetzten lndika- tion einer Phosphorsäure
toren sind schwache organische Säuren oder Basen. Die Farbe c(å H3POJ = 0,1 mol . L-1
dieser Stoffe ändert sich durch Protonierung bzw Deprotonie- mit einer Natronlauge
rung innerhalb eines bestimmten pH-Wert-Bereiches. c(NaOH) = 0,1 mol ' L-1
175
4 Volumetrische und gravimetrische Analyse

Da die als lndikatoren eingesetzten Säuren und Basen ebenfalls Maßlösung umsetzen und da-
durch das Ergebnis verfälschen können, müssen diese möglichst sparsam eingesetzt werden.
Aufgrund des steilen Verlaufs derTitrationskurve bei derTitration starker Säuren mit starken Basen
und den dadurch bedingten schmalen Umschlagsbereich (Bild 2,5. 175) sind nicht nur lndikato-
ren mit einem Umschlagsbereich bei pH 7 geeignet, sondern mit einem zu tolerierenden Fehler
auch lndikatoren mit einem Umschlagsbereich der darunter oder darüber liegt (Bild 1). Dieser
Umschlagsbereich ist konzentrationsabhängig und liegt bei verwendeten Stoffmengenkonzen-
trationen Vofl c= 0,1 mol .L-' zwischen pH 4 und pH 10 und bei Stoffmengenkonzentrationen
von c = 0,01 mol . L-1 zwischen pH 5 und pH 9. Bei der Titration einer schwachen Säure mit einer
starken Base bzw. einer schwachen Base mit einer starken Säure ist jedoch durch den flachen
Verlauf der Titrationskurve und den dadurch breiten Umschlagsbereich ein lndikator zu wählen.
der in diesem Umschlagsbereich liegt (s. Bild 1 und 3. S. 175). Das bedeutet:
Schwache Säure mit starker Base: Ein lndikatot der im schwach alkalischen Bereich umschlägt.
Schwache Base mit starker Säure: Ein lndikator, der im schwach sauren Bereich umschlägt.
Die Titration einer mehrwertigen Säure bzw. Base (s. B¡ld 3, S. 175) erfolgt bis zum Äquivalenz-
punkt einer Dissoziationsstufe unter Berücksichtigung der Äquivalentzahl z*. Dabei wird ein
lndikator benutzt, dessen Umschlagsbereich im entsprechenden pH-Bereich liegt (Bild 1).

Thymolblau rot !5 gelb: pï-wert1,2...2,8


1. Umschlag m
Dimethylgelb m rot q orange 5 gelb: pH-Wert: 2,9 ...3,9 ... 4

Kongorot blâuviolett q blaurot s rot: pH-Wert:3,0 ... 4,o...5,2

Methylorange I rot s orange I orangegelb: pH-Wert: 3,0 ...4,0 ...4,4

Bromkresolgrün gelb s grün s blau: EL pH-Wert: 3,8...5,4

Mischindikator violett ii blau s grün I pH-Wert:4,4... S,4... b.8


-
Methylrot rot s orange s gelb ffil pH-Wert: 4,2...5,8...6,3

1,4-Nitrophenol farblos € gelb pH-Wert: 5,0 ... 7,0

Lackmus violettrot s blaurot I blau pH-Wert: 5,0 ... 6,8... 8.0

Bromthymolblau gelb 9 9rün s blau L pH-Wert: 6,0 ...7,0 ...7,6

Neutral rot rot s l:lm


blassrosa rã gelborange pH-Wert:6,8 ...7,0 ...8,0
Thymolblau s blau il
gelb s grün pH-Wert: 8,0...9,6
2. Umschlag
Phenolphthalein farblos s blassrosa 15 rot [------il pH-Wert:8,2...8.4... 10,0

Thymolphthale¡n
-
farblos I blassrosa s blau: pH-Wert:9,3... 10... 10.5 f---il

Tropäolin gelb,s þ¡¿s¡¡e1 p!-l-Wert:, 11,0..,13,0 fÚI


01234567891011121314
pH+
Bild 1: Umschlagsbereiche verschiedener pH-lndikatoren

Maßlösungen und Tterbestimmung für die Säure-Base-Ttration


ln Abhängigkeit vom pH-Wert am Äquivalenzpunkt ist ein lndikator zu wählen, der einen Farb-
wechsel im entsprechenden pH-Wert-Bereich aufweist. B¡ld 1 zeigt mögliche lndikatoren mit
ihren Farbumschlagsbereichen. Die angegebenen Bereiche gelten nur bei ca.20"C, da die Dis-
soziationskonstante des Wassers K¡ry stark temperaturabhängig ist.
Gebräuchliche Maßlösungen für Säure-Base-Titrationen sind Salzsäure HCI (aq), Schwefelsäure
H2SO4 (aq), Natronlauge NaOH (aq) oder Kalilauge KOH (aq). Diese Maßlösungen sind nicht
durch Einwaage e¡ner Urtitersubstanz zu erhalten, sondern müssen nach der Verdünnung bzw.
Einwaage gegen eine eingestellte Maßlösung oder eine gelöste Urtitersubstanz eingestellt
werden. Je nach Maßlösung können dies z. B. Oxalsäuredihydrat H2C2O4' 2 H2O (Ethandisäure-
dihydrat) oder Natriumcarbonat NarCO. sein. Die Titerbestimmung einer Salzsäure-Maßlösung
HCI (aq) kann z. B. mit wasserfreiem Natriumcarbonat NarCO. als Urtitersubstanz gegen Methyl-
rot als lndikator erfolgen.
176
4.1 Volumetrische Analyse

Beispiel 4.9: Titerbestimmung einer Schwefelsäure-Maßlösung


Bei der Ïterbestimmung einer Schwefelsäure-Maßlösung mit einer Äquivalentkonzentration
von õ(1 H2SO4) = 0,1 mol L-1 wurden., unter Vorlage von 25,00 mL einer Natronlauge-
Maßlös'ung m¡i õll NaOH) = 0,1 mol . L-1 und einem Titer t(NaOH) = 0,9982, mit Phenolph-
thalein als lndikato'r 24,60 mL Schwefelsäure-Maßlösung verbraucht. Berechnen Sie den Ïter
f(H2S04) der Schwefelsäure-Maßlösung.

Lösungl
Reaktionsgleich ung:
H2SO4 + 2 NaOH --+ Na2SOa + 2H2O

Nach Gleichung 4.16 folgt


õ(å H2so4) ' r(H2so4) ' v(H2so4) = õ({ ruaoH) . r(NaoH) . v(NaoH)

Durch ,Umstellen der Gleichung nach t(H2SOa) ergibt sich:


õ(+ NaoH) . r(NaoH) . Y(NaoH)
_ 0,1 mol .L-1 .0,9982'0,02500 L
f(H2SO4) =
. y(H2SO4)
- 1,0144
õ(å H2SO4) 0,1 mol ' L-1 .0,02¿60 L

Der ïter t( H2SO4) der Schwefelsäure-Maßlösung mit õ(å H2SO4) = 0,1 mol ' L-1 beträgt 1,0144'

Maßanalytische Bestimmungen durch Säure-Base-ïtration


lm Folgenden sind Berechnungsbeispiele für Säure-Base-Ttrationen aufgeführt'

Beispiel 4.10: Bestimmung des Massenanteils einer Oxalsäure


Für die Bestimmung des Massenanteils an Oxalsäure H2C2O4 in einer Probe wurden 0,2256 g
der Probe eingewogen. Bei der Titration der Probe mit einer Natronlauge-Maßlösung mit
õ(NaOH) = 0,1 mol ' L-] und einem Titer von f(NaOH) = 1,0324 wurden 24,50 mL verbraucht'
M(H2C2O4! = 90,04 g' mol-1

Lösung:
Reaktionsgleichung:
H2C2O4 + 2 NaOH --+ NazCzO+ + 2H2O
n(HrCrOal z*(H2C2Oal = n(NaOH) . z*(NaOH)

Nach Gleichung 4.14 und Gleichung 4.1 9 ergibt sich:


m(HrCrOol' z*(HzCzOql . V(NaOH) . z*(NaOH)
= õ(NaOH) r(NaOH)
M(H2C2O4)

M(H2C2O4\ . ã(NaOH) f(NaOH) . V(NaOH) . z"(NaOH)


m(H2C2Oal =
zxIH2C2Oal

90,049.mol-1 0,1 mol 'L-1 ' l,ogzq . 0,02450 L 1


m(H2C2Oa\ =
2
= 0,1139 g

m(HzCzoql o'1 139 g


wt1.C.o^l - m(Einwaage) 0,2256 s
= o.bo49 = 50,49 o/o

177
4 Volumetrische und gravimetrische Ana lyse

Beispiel 4.11: Bestimmung der Massenkonzentration von Phosphorsäure


Die Massenkonzentration an Phosphqrsäure B(H3PO4) in einem Erfrischungsgetränk soll
maßanalytisch bestimmt werden. Eine Ttration von 100,0 mL des Getränkes mit einer Natron-
lauge-Maßlösung mit õ(NaOH) = 0,01 mol . L-1 und einem Tter von f(NaOH) = 0,9898 bis
zur zweiten Dissoziationsstufe, ergab einen Verbrauch von 7,65 mL. Wie ist die Massen-
konzentration an Phosphorsäure B(H3PO4) in dem Getränk angegeben in g . L-1?
Lösung:
M(H3PO4)= 98,00 g. mol-1
n(HrPOa) z" (H.PO¿) = n(NaOH) . e*(NaOH)
Nach Gleichung 4.14 und Gleichung 4.19 ergibt sich:
m(H.POol zx( H3PO4)
= õ(NaOH) . f(NaOH) ' V(NaOH) z*(NaOH)
M(H3P04)
M(H.PO4) . õ(NaOH)' r(NaOH) . V(NaOH) z*(NaOH)
m(HrPOo) =
z*(H3POa)
98,00 g' mol-1 0,01 mol . L-1 . 0,9898 . 0,0076s L. 1
m(HsPO+) =
2
- 0,00371 g
o:o,olt],n
-
B(Hspo4) = il,Ï{91)
y(H3PO4)= = 0,0371 g.L-1
o,1ooo L

Oleum-Ttration
Oleum (lat. oleum: Öl), auch als rauchende Schwefelsäure bezeichnet, ist eine konzentrierte
Schwefelsäure mit gelöstem Schwefel(Vl)-oxid SO, in veränderlichen Konzentrationen. Konzen-
trationsangaben bei Oleum beziehen sich immer auf den Massenanteil an SO3 in Schwefelsäure.
Beispielsweise enthält oleum mit w(So3) = 30 % 30 g So, und 70 g HrSoa in 100 g Lösung.

Als Oleum wird eine Lösung von Schwefel(Vl)-oxid SO. in konzentrierter Schwefelsäure
bezeichnet.

Schwefel(Vl)-oxid reagiert mit Wasser zu


Schwefelsäure: SO, + HrO --+ H2SO4. Der Mas- Zugabe von Wasser Ïtration
im Überschuss mit NaOH-
senanteil an SO, im Oleum lässt sich daher Maßlösung
durch Zugabe von Wasser bestimmen. Hierzu
wird eine definierte Masse Oleum eingewogen
und ein Überschuss Wasser zugegeben, wo-
durch das SO. zu H2SO4 umgesetzt wird.
Die entstandene Lösung setzt sich zusammen
aus der im Oleum vorhandenen Schwefel- Genaue Einwaage
der Oleum-Probe
säure rno'"r.(H2SO4) und der bei der Reaktion
des überschüssigen SO, mit Wasser entstande- SO. wird mit H2O
nen Schwefelsäu re mur"ro3(H2S04). Die Gesamt- zu H2SO4 umgesetzt
masse an Schwefelsäur€ rrsesamr(H2SOa) wird SO3 + H2O --+ HzSO¿
durch Titration mit einer Natronlauge-Maß-
lösung zusammen bestimmt. Bild 1 : Volumetrische Oleum-Bestimmung
Die Differenz aus der titrimetrisch bestimmten Gesamtmasse an Schwefelsäure mo"""-,(H2SOa)
und der Einwaage an Oleum
-ei"*"909!!leum) entspricht der Masse Wasser -o*Jiïor',rn"."o,
(H2O), die zur Umsetzung des Schwefel(Vl)-oxids erforderlich waren.

Aus der Reaktionsgleichung SO3 + HrO --+ HzSO+ ist zu erkennen, dass das Reaktionsverhältnis
1:1 beträgt, d. h. für die Umsetzung eines SO.-Moleküls ist ein HrO-Molekül erforderlich.
178
4.1 Volumetrische Analyse

Entsprechend lässt sich die Masse von SO. im Oleum über die umgesetzte Masse Wasser berechnen:

1. Zugabe einer definierten Masse an Oleum m.,n*.rn"(Oleum) zu einem Überschuss an Wasser,


wodurch SO3 zu H2SO4 umgesetzt wird (Bild 1, S. 178).
2. Besrimmuns der Gesamtmasse an Schwer",::i:,: o"iåo.riin#riåårl,î.fi?r,ro.ll
msu"un.,(H2SOa) = frl6¡"u-(H2SO4) * fiuu"sor(H2SOa) =l- 2 I

3. Berechnung der durch SO. umgesetzten Masse Wasser:


mdurchso3r.g"."..,(HzO) = ms".u,r,(H2SO4) - mç¡n*uun"(Oleum)

4. Berechnung der durch Wasser umgesetzten Masse an SOr:

--lô^ \ mdurchso3u.g"."tr1(H20)' M(S03)


rn(bu3) = /y(HrO\
5. Berechnung des Massenanteils w(SO3) im Oleum:
m(Sos)
w(Sog)-
' t7?Ein*uus"(Oleum)

õ' f ' y(Nao!l)' M(H2so4l


2
-mEin*uus" (oreum) M(SO3l
w(SO3l =
M(H2Ol m¡¡n-uun"(Oleum)
Gt.4.25
c t M m

1 mol .L-1 1 L g'mor,-1 s

Beispiel 4.12: Bestimmung des Massenanteils w(SO3) in Oleum


Bei der Schwefelsäureherstellung nach dem Doppelkontaktverfahren soll der Massenanteil
an Schwefel(Vl)oxid w(SO3) in dem dabei entstandenen Oleum durch Titration bestimmt wer-
den. Dazu wurden 0,1011g Oleum vorsichtig mit Wasser versetzt. Für die Bestimmung der
Gesamtmasse an Schwefelsäure r_no""u.r(H2SOa) durch Ttration mit einer Natronlauge-Maß-
lösung mit õ(NaOH) = 0,1 mol . L-' únd einem Tter von f(NaOHl = 1,0211, wurden 21,35 mL
verbraucht. Berechnen Sie den Massenanteil w(SO3) im Oleum.
M(H2So4)=98,08g'mol-l M(H2o')=18,015g.mo|-1 M(So3)=80,06g'mol-1
Lösung:
nsu"u'1(H2SOa) z*(H2SO/ = n(NaOH) z*(NaOH)

mg""u.t(HzSO¿) z*(HzSO¿) . . zx(NaOH)


= õ(NaOH) f(NaOH) V(NaOH)
M{H2S04)
õ(NaOH) . t(NaOH) V(NaOH) . z*(NaOH) . M(HISO4)
msu"r.1(H2SOa) =
zx(H2SOa)

ms""u.1(H2SOa) =
0,1 mol .L-1 ' l,ozl1 ' 0,02135 L' 1 98,08 g . mol-1
- 0,1069 g
2

mdurchso3ums"""rrt(H2O) = ms""u.t(H2SO4) -noE¡n*""n"(Ol€um) = 0,1069g-0,10119 = 0'00589

- 0,0058 g ' 80,06


_ mou,"r'sogr.g""et.t(HzO) M(SOg) g.-mol-1
m(SO3) = O,O25gg
M(H2O) 18,o1bg.mot-1
w(so") - m(sog) -0'0258g =0,2552=25,52Yo
rn¡¡n*uun"(Oleum) 0,10119

179
4 Volumetrische und gravimetrische An alyse

Wird der aufgeführte Lösungsweg zusammengefasst ergibt sich nach Gleichung 4.25
| õ(NaOH) . f(NaOH) ' V(NaOH) M(H2SO4) _ rnEinwaase((Jleum) .M(SO3)
w(SOs) =
t ,
M(H2Ol rn.,n*uun"(Oleum)

mol . L-1 . r,ozrr .0,_ozrgs L.gg,og g . mot-1_0,1011


lo,t
l2 g 80,06 g ' mol-1
rø(SOs) =
18,015 g'mol-1 . 0,1011 g
w(SO3) - 0,2554 = 25,54%o Der Massenanteil u/(SOs) im Oleum beträgt 25,54%.

4.1.5 Redoxtitration
Die Redoxtitration hat chemische Reaktionen zur Grundlage, die auf der Übertragung von Elek-
tronen e- beruhen. Diese werden als Oxidations- bzw. Reduktionsreaktionen bezeichnet. Die Re-
doxtitration wird auch als Oxidimetrie bezeichnet. Durch Redoxtitration können folge¡de Stoffe
quantifiziert werden: Eisen(ll)-lonen Fe2*, Kupfer(ll)-lonen Cu2*, Chrom(Vl)-lonen Cóo2-, BleiilV)-
lonen Pb"*, Oxalat-lonen C2O4'-, Wasserstoffperoxid H2O2, Nitrit-lonen NOr-, Sulfit-lonen SOr2-.
Der Begriff Redox ist zusammengesetzt aus den Begriffen Reduktion und Oxidation.
Oxidation: Die Abgabe von Elektronen Beispiel: Fe2* --+ Fe3* + e-
Reduktion: Die Aufnahme von Elektronen Beispiel: Cu2* + e- --+ Cu+
Eine Redoxreaktion besteht immer aus einer Reduktions- und Oxidationsreaktion.
Zwei Formen eines Stoffes, die sich durch die Anzahl der Elektronen unterscheiden, werden als
korrespondierendes Redoxpaar bezeich net.
Für eine Reduktion-Oxidationsreaktion, kurz Redoxreaktion, muss ein korrespondierendes
Redoxpaar vorhanden sein, von dem Elektronen abgegeben werden sowie ein Redoxpaar,
welches die Elektronen aufnimmt.

Die Redoxtitration beruht auf dem Übergang von Elektronen zwischen den Reaktionspartnern

Aquivalenzpunkterkennung
Eine Aquivalenzpunkterkennung kann mit Farb-
indikatoren oder potentiometrisch erfolgen. lndikato¡ Farbumschlag
go ¡n vott
Eine konduktometrische Äquivalenzpunktbe- bei pH 7
stimmung isr nicht möglich, da die Leitfähigkei- Neutralrot farblos - 0,29
ten der meisten Redoxpaare sehr ähnlich sind.
Eine Besonderheit ist eine Aquivalenzpunkt- Safranin farblos - 0,29
erkennung durch Eigenindikation, bei der ei-
nige in der Redoxtitration als Maßlösungen Methylenblau farblos 0,01
eingesetzten Stoffe in ihren unterschiedlichen
Diphenylamin farblos 0,76
Oxidationsstufen verschiedene Färbungen
besitzen. Beispielsweise hat eine Kaliumper-
Ferroin 1,06
manganat-Lösung KMnOo (aq) eine tiefviolette
Farbe, das bei einer Titration im sauren Medi-
um entstehende Mn2* ist jedoch farblos. Selbst ein geringer Überschuss an Kaliumpermanganat
(10-6 mol . L-1) ist am Äqúivalenzpunkt durch eine Rãsafä-rbung zu erkennen.

Bei der Titration mit einer Iod-Maßlösung findet ein Farbumschlag von braun/gelb (I2) zu farblos
(I-) statt. Dieser Farbumschlag ist jedoch nicht gut erkennbar. Durch Zugabe einiger Tiopfen einer
Stärke-Lösung kann aus der Braunfärbung der lod-Lösung eine tiefblaue Färbung erhalten wer-
den, wodurch der Farbumschlag bis zu einer Iodkonzentration von 10-5 mol . L-1 zu erkennen ist.
180
4.1 Volumetrische Analyse

Redoxindikatoren sind meistens organische


Stoffe, die in Lösung als korrespondierendes - 3,400
Redoxpaar vorliegen und je nach Oxidations- Ein V
AUIAV ;

stufe ei ne u ntersch iedl iche Färbung aufweisen. 1,400

Der lndikator ist in Abhängigkeit vom Redox- 1,300 - 2,400

potential der zu titrierenden Stoffe am Aqui- 1,200 - 1,900


valenzpunkt zu wählen (Tabelle 1, S. 180). 1,100
- 1,400
Beispielsweise wird f ür die Titration von 1,000
Eisen(ll)-lonen Ferroin eingesetzt, bei dem sich