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Kapitel:
Neben der »Analyse des Schönen und Erhabnen«, die Hölderlin vorle-
gen wollte, sollte der Aufsatz über die ästhetischen Ideen »als Kommen-
tar über den Phädrus des Plato gelten«. »Eine Stelle desselben« war
Hölderlins »ausdrüklicher Text« (VI, 137). - Wir beschränken uns bei
der Untersuchung der Platoeinflüsse auf diese Phaidrosbeziehung, weil
sie den einzig konkreten Hinweis auf Hölderlins Platolektüre in
Waltershausen enthält und darüberhinaus in enger Verbindung zu sei-
nen >kantischästhetischen Beschäftigungen« steht.
Gleichwohl ergeben sich zwischen Hölderlin und Plato so viele An-
knüpfungspunkte, daß man von einer Geistesverwandtschaft sprechen
kann. Ihr wurden mehrere Untersuchungen gewidmet, so daß sie hier
keiner ausführlichen Erörterung bedarf.1 Begründet wird diese Geistes-
verwandtschaft vor allem durch die Verknüpfung der »Idee des Schö-
nen mit der des Guten«, wobei der »Vorzug des Schönen« offenbar ist:2
Das Schöne unterscheidet sich dadurch von dem schlechthin ungreifbaren
Guten, daß es eher zu ergreifen ist. Es hat in seinem eigenen Wesen, Er-
scheinendes zu sein. In der Suche nach dem Guten zeigt sich das Schöne. Das
ist zunächst eine Auszeichnung desselben für die menschliche Seele. Was sich
in vollkommener Gestalt zeigt, das zieht das Liebesverlangen auf sich. Das
Schöne nimmt unmittelbar für sich ein, während die Leitbilder menschlicher
Tugend sonst im trüben Medium der Erscheinungen nur dunkel kenntlich
s i n d . . . Das ist beim Schönen anders. Es hat seine eigene Helligkeit, so daß
wir hier nicht von entstellten Abbildern verführt werden.
Weiterhin zeichnet sich das Schöne gegenüber dem Guten dadurch aus,
daß es sich von sich selbst her darstellt, sich in seinem Sein unmittelbar ein-
leuchtend macht. Damit hat es die wichtigste ontologische Funktion, die es
1
Vgl. L 47, Böhm I, S. 143ff. L 116, Hildebrandt, S. 53ff. L 109, Henrich, S. 81.
2
Vgl. L 86, Gadamer, S. 455; auch im folgenden beziehe ich mich auf Gadamer,
S. 456ff.
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»In dem Augenblick als er (Hölderlin) sich Plato zuwandte, hat er sich von der
kritischen Philosophie Kants nicht losgesagt, sondern im Grunde erst ange-
fangen, sich ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Er sucht das neue, pantheisti-
sche Lebensverständnis durch den Austausch mit der griechischen Überlie-
ferung lebendig zu erfüllen und durch Aneignung der kritischen Philosophie
in seiner geistigen Entschiedenheit zu sichern. Er sieht sich also genötigt, Pla-
to mit Kant zusammen zu denken, nicht aber sie gegeneinander auszuspielen.
Durch die Rückwendung auf die Antike soll es gelingen, aus dem überlieferten
Offenbarungsglauben herauszutreten und ein lebensimmanentes Weltver-
ständnis so auszulegen, daß die Kraft des Glaubens und der Begeisterung, der
Liebe und der Schönheit erhalten bleibt«.7
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Die Frage nach der Leistung der Sprache wird zu einem entscheidenden Spät-
problem Hölderlins, und ihre Grundproblematik des Verdeckens hatte Plato
ebenfalls im >Phaidros< abgehandelt. Vgl. den Mythos des Theut<, 274b und
bes. 275a, wo Thamus dem Theut antwortet: 'Denn diese Erfindung (der
Buchstaben) wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflö-
ßen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die
Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich
sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung,
sondern nur für das Erinnern hast du ein Mittel erfunden, und von der Weis-
heit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst.'
Die geistige Verfehlung infolge der verbalen Fixierung wird in Hölderlins
Dichtung später thematisch. Man darf sogar behaupten, daß die Darstellung
der Gefahr des Entzugs des Wahren im Wirklichen sein spätes Werk be-
herrscht. Der prozessuale Charakter seiner späten Dichtung ist als Versuch
zu werten, das Wahre durch die Darstellung seines Werdens unverlierbar zu
machen. Auch das lag im Sinne der notwendigen >dialektischem Vermittlung
der Rede, die der Platonische >Phaidros< fordert (265cff.). Der Vorzug, den
Hölderlin der Kunst und der Ästhetik vor anderen Wissenschaften zubilligte,
lag eben in diesem Vollzugsmoment der Wahrheit, das Hölderlin einem bloß
abstrakt begrifflichen Denken entgegenstellte.
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Durch den Hinweis, daß die Eros-Rede von Stesichoros stamme, soll ihr
Wahrheitsanspruch bekräftigt werden. Vgl. ebd. 243a/b: 'Es gibt aber für die
in Dichtungen über die Götter Sündigenden eine alte Reinigung, von welcher
Homeros nichts wußte, Stesichoros aber. Denn als er der Augen beraubt ward
wegen Schmähung der Helena, blieb ihm nicht wie dem Homeros die Ursache
unbekannt, sondern als ein den Musen Vertrauter erkannte er sie und dichtete
sogleich sein >Unwahr ist diese Rede^denn nie bestiegst du die zierlichen
Schiffe/noch kamst du je zur Feste von Troja<, und nachdem er den ganzen
sogenannten Widerruf gedichtet, ward er alsbald wieder sehend.' - So will
Sokrates lieber gleich 'mit entblößtem Haupt' seinen Widerruf entrichten. -
Die Beziehung dieser Stellen zu Hölderlins Dichtung und Dichtungsauffas-
sung liegt auf der Hand.
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Im Thalia-Fragment wandert Hyperion nach seiner Landung in Morea, bevor
er in sein Vaterland zurückkehrt, zuerst nach Delphi - der vorletzte Brief ist
in »Kastri am Parnaß«, der letzte »auf dem Cithäron« geschrieben. Man darf
annehmen, daß er dort den w e i s s a g e n d e n Anhauch des Apoll< hätte erfahren
sollen, die Lichtmetaphorik im letzten Brief legt das ebenfalls nahe. - Später
wird das Apollon-Motiv bereits in Hyperions Delos-Erlebnis hineingenom-
men. Delos, der Geburtsort Apolls, war neben Delphi die wichtigste Kultstät-
te dieses Gottes. - Das Dodona-Motiv wird ebenfalls schon im >Fragment< im
Zusammenhang der Erscheinung Melites aufgenommen (STA III, 180): »Ich
sah sie staunend an, und schwieg. Mir war, als hätt' ich die Priesterin zu Do-
dona gehört.« -
Das sind nur zwei Anspielungen, die die Bedeutung von Piatos >Phaidros<
für Hölderlins Thalia-Hyperion unterstreichen. Sie bedürfte einer ausführli-
chen Untersuchung. -
Selbst die >etymologischen< Ableitungen, auf die Zuberbühler bei Hölderlin
hinweist (L 263, S. 21 Off.), sind im >Phaidros< bereits vorgeprägt. Die >Wahrsa-
gekunst< wird von der >Wahnsagekunst< (244c) und die >Liebe< v o m >Leibe<
(238c) hergeleitet.
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Und hier nun ist die ganze Rede angekommen von jener vierten Art des
Wahnsinns - in Hinsicht auf welche derjenige, der bei dem Anblick der hie-
sigen Schönheit, jener wahren sich erinnernd, neubefiedert wird und mit dem
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L 86, Gadamer, S. 455.
21
Vgl. Gadamers Kritik, L 86, S.454ff. und S.81ff.
22
Hegel, Vorlesungen über Ästhetik, ed. Lasson, S. 57. - Der scheinbare Gegen-
satz von >heilig-nüchtern< taucht bereits im Zusammenhang von Hölderlins
>kantisch-platonischen< Beschäftigungen in Waltershausen - wenn nicht im
Wortlaut, so doch der Sache nach - auf. Im Brief vom 21. August 1794 an den
Bruder (Nr. 86) schreibt Hölderlin (STA VI, 132,49): »Überdenke kalt! und fü-
re mit Feuer aus!«
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Vgl. dazu S. 148ff. dieser Arbeit.
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