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starrem Ton zu spielen.

Es bleibt dem Geschmack des Solisten überlassen,


wie weit er bei getragenen Stellen ein kleines, unmerkliches Vibrato ver-
wenden will. Man hüte sich aber vor großem Vibrato, wie man es leider
oft zu hören bekommt. Jede Ubertreibung ist schlecht: das große Vibrato
einer Flöte oder Oboe darf keinesfalls gemacht werden. Immer mit Ge-
schmack und nicht aufdringlich, sonst klingt es wie ein Saxophonsolo und
es soll doch ein Hornsolo sein.

Prof. Dr. ERNST REICHERT


DAS M O Z A R T - L I E D
Das 19. Jahrhundert hätte mit seiner Fülle meisterlichen Liedschaffens
die Leistungen Mozarts auf diesem Gebiet beinahe völlig verdrängt, wenn
nicht das „Veilchen", als Genieeingebung sondergleichen unüberhörbar,
Zeugnis von höchster Liedkunst abgelegt hätte, und zwar auch in den
mozartfernsten Epochen dieses Säkulums.
Lebendig blieb auch die Fälschung, das
„Wiegenlied" von Flies, das einer bestimm-
ten Geschmacksrichtung dieser Zeit entgegen-
kam, und „Komm, lieber Mai", das als Volks-
kinderlied vielfach dazu diente, die ersten
musikalischen Schritte der Jugend zu beglei-
ten. Die falschen Einschätzungen, die sich aus
Unkenntnis und Vorurteil ergaben, änderten
sich auch dann nicht wesentlich, als zuerst
unvollständige Sammelhefte der Lieder
Mozarts erschienen, die das „Veilchen" quasi
als Blickfang an den Anfang stellten, um ihm
dann, als mehr oder weniger interessantes
Anhängsel, nur eine Auswahl der übrigen
Lieder folgen zu lassen, und später ein voll-
ständiger Liederband in chronologischer Folge
wenigstens eine Übersicht über die Entwick-
lung vom Generalbaßlied über echte Klavierlieder und -arietten bis zu
kantatenhaften Klaviergesängen gestattete.

Auch heute sehen nicht allzu zahlreiche Pädagogen, Studierende, und


Ausübende den organischen Zusammenhang zwischen diesen höchst
mannigfaltigen Sologesangsstücken mit den Konzert- und Opernarien, für
die sie doch unentbehrliche Vorstudien bedeuten. Wenn auch in jüngerer
Zeit manches im Unterricht „entdeckt" und in die Praxis aufgenommen
wurde (welcher Sopran könnte auf die italienischen Arietten und auf die
heiteren Lieder, welcher Tenor auf „Daphne" und auf die Ode „An Chloe"
dauernd verzichten?) und man erfreulicherweise immer seltener von Aus-
übenden die Frage hört, was denn eigentlich von Mozarts Liedern in
Konzert und Rundfunk noch aufzuführen sei, so ist die Kenntnis dieser
Meisterwerke doch noch viel zu wenig allgemein verbreitet. Diesem
Mangel sollte auch meine 1953/54 im österreichischen Bundesverlag ver-
öffentlichte revidierte und in inhaltliche wie formale Gruppen gegliederte
Ausgabe beseitigen helfen, die auch die Ornamente und Vorhalte in

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Kleindruck auflöst und die auszuführenden Appoggiaturen mit + bezeich-
net, so daß deren stilgerechte Ausführung keinem Zweifel mehr unter-
liegen kann.
Die stilistische und musikalisch geniale Vielfalt machen Mozarts Lied-
werk zu einer idealen Vorschule für seinen Gesängsstil, dessen zentrale
Bedeutung heute wohl kaum mehr angezweifelt wird. Wenn also audi
nicht alles für die allgemeine Konzertpraxis lebendig gemacht werden
kann, so bleibt doch immer noch der eminente Wert dieser Schöpfungen
für den Unterricht bestehen. Wie im Brennspiegel sammeln sich in ihnen
alle Elemente des Belkanto, ebenso wie hier, von Anbeginn an, die Bedeu-
tung des Wortes in seinem vollen poetischen Sinn respektiert erscheint.
Sie repräsentieren also, abgesehen von ihrem unvergänglichen musikali-
schen Reichtum gleichzeitig eine Schule des Schöngesanges wie einen
Lehrgang des Sprachgesanges.
Formal enthalten sie das einfache Strophenlied, das variierte Strophen-
lied (Lied der Trennung), das durchkomponierte Lied, die dramatische
Liedszene, die liedhafte Ariette, das geistliche Lied (als Abart des evan-
gelischen Chorais), die Ballade („Dans un bois"), die Ode (An Chloe) und,
die verschiedenartigen Einlagen in ein Singspiel (Warnung) und in eine
Oper („Un moto di gioja"); dem Gesangsstil nach vom Lyrischen bis zum
Dramatischen, vom Liedhaft-Schlichten bis zum Virtuosen, vom Seriösen
bis zum Heiteren, ja sogar bis zum Charakteristisch-Komischen alles, was
der Ausübende nach Technik und Ausdruck beherrschen soll, allerdings in
knappsten Beispielen. Ein intensives Studium wird jedoch das Musterhafte
daran sehr bald aufspüren.
So haben die 45 Gesänge Mozarts neben ihrer künstlerischen Bedeu-
tung auch als ein kostbares Vermächtnis in pädagogischer Hinsicht zu
gelten, als ein Werkbestand, der der Vorbereitung auf alle Aufgaben des
Mozart-Gesanges ebenso wie auf die Inhalte und Formen des zeitgenös-
sischen Gesangsstils dient, zugleich aber auch die Fähigkeit schulen hilft,
den Anforderungen des älteren Gesangsstils gerecht zu werden und sogar
imstande ist, die Interpretationskunst für alle Liedformen der Nachfolge
zu erwecken und vorzubilden.

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