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10 1515@prhz 1940 30-31 1-2 85
10 1515@prhz 1940 30-31 1-2 85
Jungpaläolithikuni 85
Zum Problem
der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum
Von Dr. Franz Hancar, Wien.
Entsprechend meiner wissenschaftlichen Aufgabe, einerseits zur Klärung
der Urgeschichte der Ostländer beizutragen und andererseits an ihrem Ein-
bau in den Bereich der allgemein urgeschichtlichen Betrachtung und Er-
kenntnis tatkräftig zu arbeiten, verfolgt die vorliegende Studie ein doppeltes
Ziel: 1. Will ich damit eine geordnete Zusammenschau neuer wichtiger Funde
Osteuropas und seiner asiatischen Nachbargebiete geben. Wegen der fast
unübersehbaren Stoffülle, die sich hiezu bietet und die sich keineswegs in
den Rahmen einer Zeitschrift pressen ließe, beschränke ich mich hier auf die
Heranziehung jener Stationen, die niqht nur hinsichtlich ihrer Lebensweise,
der Wirtschaft und Gemeinschaft des Jungpaläolithikums aufschlußreich
erscheinen, sondern außerdem zugleich durch ihre Kunstwerke willkomme-
nen Einblick in die Geisteshaltung dieser frühen Menschheit gewähren.
2. Will ich versuchen, das vorgeführte Material im Sinne allgemein urge-
schichtlicher Probleme der jungpaläolithischen Kunst, vor allem hinsicht-
lich des \Vesens der jungpaläolithischen Venusfigürchen, auszuwerten1).
Wenn ich damit die Kunstwerke in den Brennpunkt der Betrachtung
rücke, hat das seinen Grund darin, daß gerade diesen altmenschlichen Aus-
drucksformen des geistigen Lebens besondere Aussagefähigkeit zukommt.
Denn auf solch früher Stufe der menschlichen Entwicklung konnte die Kunst
noch nicht jene eigentümliche, entartende Abschließung erlitten haben, durch
die sie auf den Kreis weniger Verstehender beschränkt und zur entbehrlichen
Lebenszutat einzelner gemacht wurde; sie mußte vielmehr noch echte, das
heißt mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft wurzelhaft verbundene Aus-
drucksform sein, entsprossen aus den Aufgaben, die ihr Zeit und Gemein-
schaft stellten, gewachsen und entfaltet durch Beifall und Zustimmung, die sie
aus den Herzen dieser Gemeinschaft empfing, und solcher Art wahrhaft
dienend der Gemeinschaft Muß damit die urgeschichtliche Kunst nicht im
gesteigerten Maße ungeschminkte .Selbstdarstellung der Geistigkeit, unmittel-
barer Ausdruck der erreichten Weltanschauung, des herrschenden Lebens-
gefühls und der zusammenschließenden Lebensgesinnung, muß sie nicht
eine wesentliche Erscheinungsform des Mythus ihrer Zeit und ihrer Gemein-
schaft sein?
Es ist derzeit unmöglich, eine auch nur annähernd richtige Zahl der
jungpaläolithischen Fundplätze der UdSSR zu geben. Die Errichtung von
großen Industrieanlagen und Elektrizitätswerken, der Bau von Staubecken
J
) Kleinere Arbeiten verwandter Art: E. A. ü öl o 111 s b t o k , Trois tfiseinenls du
paleolitiquc superieur Kusse et Siborien, L'AntbropoJogie XLI1I, Paris 193H. S. 338—3-JO;
M. . ß u j k i 11, Some reflections on the Aurignacian culture and its female statuettes,
ES A IX. Helsinki 19H4. S. 113—122.
55'
50*
Vor allem wurden 1931 zwei Wohngruben festgestellt, breite Mulden von
eirunder Form mit 6 und mehr Meter in der Längsachse und 40 cm Tiefe,
ohne irgendwelche Abgrenzung der einen von der anderen. Ganz ähnliche
Verhältnisse fand man bei der nordöstlich unmittelbar anschließenden dritten
\Vohngrube, die 1933 aufgedeckt wurde. Ein schmaler, abwärts leitender
Gang führte in eine mehr als l m unter der Erdoberfläche liegende, runde
Grube von 2X m Durchmesser, die dem Einlaß gegenüber in eine zweite Erd-
kammer überging, deren Ausgrabung aber 'nicht fertiggestellt wurde. Es
kann sich hier nur um unbedingt zum jungpaläolithischen Wohnplatz zugehö-
rige Winterwohnungen handeln, wie eine von verwandter Art auch zu Lang-
mannersdorf in der Ostmark als „erste eiszeitliche Wohngrube" aufgedeckt
wurde7). Eigentümlich ist, daß, nach den Knochenfunden zu urteilen, die
Doppelwohngrube vom Ostrand der Poljakov-Station auch als Aufbewahrungs-
raum nicht nur für große Mengen von Mammutknochen und Mammutstoß-
zähnen, sondern auch offensichtlich für die ungeheuren Fleischmassen der
Mammutkeulen gedient hat, wie die hier zurückgebliebenen Schulterblätter
und Beckenknochen anzeigen. Für den ursprünglichen Wphnzweck auch die-
ser Grube spricht aber, daß sich hier zwei Herdstellen gefunden haben.
Zu den kennzeichnenden Bodeneintiefungen von Kostjenki I gehören
außer diesen Wohngruben die Herde, regelmäßige, schüsseiförmige Mulden
von fast l m Durchmesser. In jeder Wohngrube fand sich eine Herdstelle.
Deren Wände waren stark gebrannt. Ein Herd zeigte als Besonderheit eine
zugehörige Grube vorgelagert und eine kleine Vertiefung auf seinem Boden.
Die Vorratsgruben und Behälter waren tiefer als die Herde und hatten
gewöhnlich eine kreis- oder eirunde Öffnung von ungefähr l m Durchmesser.
In den Erdboden hinein weitete sich ihr Hohlraum oft bedeutend. Auf ihrem
Grund traf man Teile von Mammutstoßzähnen und Pferderippen als bereit-
gelegten Rohstoff, aber auch fertiggestellte Gegenstände, darunter viele
Kunstwerke, die wir aus Kostjenki I besitzen. Gruben gleicher Form mögen
auch zum Braten des Fleisches und Fettes gedient haben.
Zahlreich waren kleine Aushebungen. Manchmal sahen sie wie Pfosten-
löcher aus*). Pfosten konnten als Stützen des Erddaches gedient haben. Die
unregelmäßige Verteilung dieser kleinen Eintiefungen läßt darüber keinen
Schluß, wohl aber die Vermutung zu, daß sie nicht alle gleichzeitig waren
und daß Abänderungen und Ausbesserungen der Wohnstellen, wobei alte
Pfosten entfernt und neue eingerammt wurden, die heute regellos er-
scheinende Anordnung der Pfostenlöcher mit sich brachten.
Am Rande des großen Wohnplatzes waren Mammutknochen angehäuft.
Schon Poljakov wies darauf hin, daß sie bisweilen wie sortiert erschienen.
Die dicken Schichten von Knochenkohle, die in den Herdstellen aufgedeckt
wurden, beweisen, daß es sich bei diesen Knochenanhäufungen auch um
bereitgestellten Brenn- und Heizstoff handelt. Frische Knochen brennen gut
und unter starker Glutbildung. Eine andere Verwendung der Mammut-
') J. ttayer, Langmannersdorf, Mannus 18, S. 70—Hl.
^) Siehe auch Lang man nersdorf.
i\
Höhe auf dem Rücken sind drei parallele Waagrechte und eine Schräg-
strichelung möglicherweise als Darstellung eines tätowierten Brustgürtels
eingeritzt. An Feinheit der Formgebung, an Weichheit der Linienführung
kommt das Statuettchen an die verwandten Figürchen aus Brassempouy und
Willendorf heran.
Über die Fundumstände dieses Kostjenki-Figürchens berichtet Jefimenko,
daß man in einer Wohngrube, dort, wo die Kulturschicht besonders dick
und gesättigt mit Knochen, Kohle, Feuersteinstücken und roter Farbe war,
unfern des alten Feuerplatzes auf eine ziemlich regelmäßig viereckige Grube
von 50 cm Tiefe stieß. Außer Mammutstoßzahnenden, Pferderippen und ver-
schiedenen Knochengeräten barg sie in ihrer Tiefe auch das angeführte
Venusstatuettchen.
Es ist nun sehr interessant, daß in derselben Wohngrube, deren Bloß-
legung erst 193214) vollendet wurde, an ihrem nordöstlichen Rand in 2 m
Abstand von der Feuerstelle sich eine rundliche Nische von 0,80 m Breite
und 0,50 m Höhe fand, die 1,60 m tief in die Lehm wand hineinging. Ob und
wie sie oben gedeckt war, ließ sich nicht feststellen. Bei ihrer Ausräumung
fiel auf, daß sie außer drei Kunstgegenständen nichts barg. Diese waren:
ein Frauenfigürchen aus Mammutstoßzahn, ein zweites aus Kalkstein und
ein unbestimmter Gegenstand aus Mammutstoßzahn von der Art einer stili-
sierten Menschenfigur (?) mit kugeligem Kopf auf einem langen Stift.
Die elfenbeinerne Frauenstatuette war in schlechtem Erhaltungszustand.
Es fehlte der Kopf. Doch läßt sich am Genick erkennen, daß ein Kopfputz
oder eine Frisur vorhanden war. Mit feinen Einritzungen ist ein Hals-
schmuck, von den Schultern zur Brust herabhängend, wiedergegeben.
Das steinerne Rundbild, das einst zweifellos mit-Absicht und Gewalt auf
vier Stücke zertrümmert und danach offensichtlich nachlässig in die Nische
•Vti-^ .·;!··. °
geworfen worden war, ließ sich fast vollständig .zusammensetzen (Taf. I).
Diese Statuette ist die bisher größte der'russischen Venusfigürchen15). Sie
mutet in ihrer Ausführung wie ein erster Entwurf an, so roh sind die Formen
umrissen. Dies könnte natürlich auch im harten Rohstoff begründet sein.
Das Rundbild zeigt den typisch vorgesunkenen, gesichtslosen Kopf, den
ebenso charakteristischen, massig fetten Unterleib und die Wiedergabe der
Beine abermals nur bis zum Knie. Die Arme lassen sich bloß in ihrem Ober-
teil als unabgegliedert vom Oberleib erkennen. Trotz der ausgebliebenen
Fertigstellung verrät das Figürchen eine unglaublich ziel- und treffsichere
Künstlerhand. Daß es als Werk, mit bereits wirksamem innerem Gehalt ge-
wertet wurde, beweist sein Zusammensein mit'der vollendeten Elfenbein-
figur in dem besonderen Behälter der Wohngrube.
Außer diesen beiden Rundbildern fanden sich an verschiedenen Stellen
derselben Wohngrube zahlreiche Bruchstücke kleinerer, ebenfalls ziemlich
grob ausgeführter Frauenfigürchen (Köpfchen, Rumpfteile u. dgl.) aus festem,
34
) P. P. J e f i m e n k o , SGAIMK 1931/11—12,'S. 60.
1&
) Die genauVGröße ist in den Veröffentlichungen nicht angegeben. Doch erwähnt
H. K ü h n (Neue weibliche Eiszeitstatuetten in Rußland, IPEK 1931, S. 65) ihre etwa
30 cm betragende Höhe.
bläulichem Mergel (Taf. IV, 5)J/i)· Von einer aus ihnen ist wichtig zu er-
wähnen, daß sie unter dem Gesäß ähnliche Längsstriche zeigt wie die Venus
von Lespugue.
"') Ks dürfte dies das Statuettehen aus der Sammlung Krukovskij sein, das Jefi-
menko in Dorodovo*» S. 355 als gleichartig erwähnt.
kommt zum Beispiel zu dem Schluß, daß zur Zeit des verschwindenden Riß-
eises und auch später, da die Eiswasser in mächtigen Strömen nach Süden
abflössen, Süd- und Mittelosteuropa zum üppigen Grasland wurden und un-
geheuren Herden von Grasfressern, darunter auch den großen Kamelen,
reichlich Nahrung boten, daß aber in der Würmepoche das Kamel aus dem
östlichen Europa ausschied, nach Osten zog und sich dort unter besseren
Lebensbedingungen selbst während der Würmvereisung in der Gesellschaft
von Mainmut und wollhaarigem Nashorn noch hielt, bevor- es das Tier Zen-
Iralasiens wurde. Die urgeschichtlichen Funde haben lange Zeit dieser An-
sicht nicht widersprochen, nachdem allein die Mousterien-Station Kodak un-
fern von Dnepropetrovsk Kamelknochen lieferte, dann aber die große Lücke
bis zur jüngeren Steinzeit klaffte, da erst wieder in Asien aus Anau II
Knochen des Kamels geborgen wurden. Mit den Tierfigürchen aus Kost-
jenki I gibt sich aber nun auch für Osteuropa das Kamel als Zeitgenosse des
Mammuts und des würmeiszeitlichen Menschen zu erkennen, ähnlich wie die
PniehMori^che /oit^clirift X X V . O C X X 1 . W«MO. 7
G a g a r i n o am o b e r e n Don 2 2 ).
Dieser inmitten des Schwarzerdegebiets nördlich von Kostjenki im
Kreis Lipezk des Tambovgouvernements gelegene Ort barg die zweite über-
aus wichtige und abermals nach Wohnweise und Kunstschaffen äußerst auf-
schlußreiche und interessante Station des osteuropäischen Jungpaläolithi-
kums. Gagarino ist wie Kostjenki ein langgezogener Straßenort am linken
Ufer des Don, der hier in einem verhältnismäßig engen, in den Kalkgrund
eingeschnittenem Tale dahinfließt und die Bäche zahlreicher Schluchten
empfängt, die gleich ihm das Flachland zertalen. In einer solchen Schlucht
am Nordende des Dorfes, unfern ihrer Einmündung in den Don, liegt, ganz
ähnlich wie Kostjenki I, die jungpaläolithische Siedlungsstelle von Gagarino,
die 1926 von S. N. Zamjatnin aufgedeckt und 1927/29 von ihm ausgegraben
wurde.
Die geologischen Verhältnisse der Örtlichkeit zeigen bis zu 90 cm Tiefe
Schwarzerde, von 90—100 cm eine Zwischenschicht aus Kalkbruchsteinen
und schließlich von 100—270 cm Tiefe eine mergelige, lößartige Lehmschicht
von hellbrauner bis blaßgelber Farbe. In ihrem Oberteil unter ihrer Humus-
lage fand sich die Kulturschicht von Gagarino eingebettet.
Als erstes stieß man auf Mammutknochen und auf Kalksteinplatten, die
nicht nur eine gewisse Anordnung verrieten, sondern auch offensichtlich vom
jungpaläolithischen Menschen hierher geschafft worden waren, nachdem im
unmittelbaren Umkreis dieser devonische Kalk nirgends ansteht23). Im Ver-
laufe der Ausgrabungen zeigte sich, daß die durchschnitlich 40—50 cm dicke,
vom reichlich vorkommenden Ocker rötlich gefärbte Kulturschicht scharf
abgegrenzt eine flache, linsenförmige Eintiefung von 5,50 m und 4,50 m im
Achsenkreuz ausfüllte und diese mit etwa 600 Feuersteinwerkzeugen, über
100 Klingen und Mengen von zerbrochenen Tierknochen als altsteinzeitliche
Wohnstelle kennzeichnete (Abb. 2)^). Die Steinplatten, von denen einzelne
noch aufrecht standen, und die großen Mammutknochen (Stoßzähne, Teile
21
) M. P a v l o v , Fauna des mammiferes fossiles trouves dans l'ancien gou verneinen t
de Saratov pres de la \alle Khvalinsk au bord du Volga, TKIÖ III Leningrad 1933,
S. 167-172.
22
) V. L G r o m o v , Ostatki fatiny iz paleoliticeskoj stojanki Gagarino, PR 1928; P.
P. J e f i m e n k o , Dorodovoe obscestvo, 1934; P. P. J e f i m e n k o , Die paläolilhischen
Stationen der Osteuropäischen Ebene, Abhandlungen; S. Z a m j a t n i n , Gagarino, Bull,
de l'Acad. de l'histoire de la Culture Materielle, Fase. 88, 1934; S. N. Z a m j a t n i n ,
Raskopki v Gagarino. Paleolit SSSR, Sbornik GAIMK', Izv. 118, 1935; V. I. G r o m o v ,
Paleolit SSSR, 1935, IGAIMK 118, 246-270.
23
) Der am nächsten liegende Kalkaufschluß findet sich am Donufer unfern des süd-
lichen Dorfausgapges.
2/1
) Es fehlen in den beiden Arbeiten Zamjatnins die dein Plane zugehörigen Er-
klär im sen.
1,50
Wenn auch der mittlere Streifen der Kulturschicht durch die Lehm-
aushebungen der Bauern von Gagarino vollständig zerstört war, wenn auch
wahrscheinlich aus diesem Grunde keine Herdstelle aufgedeckt wurde, läßt
die Gesamtheit der Fundverhältnisse keinen Zweifel darüber, daß es sich
hier um die Reste eines halb unterirdischen, halb oberirdischen rundlichen
Wohnbaues handle, dessen Wände nach Zamjatnins Meinung wahrscheinlich
aus Holzstangen errichtet und in ihrem Unterteil durch die Steinplatten und
Mammutknochen gestützt waren. Pfostenlöcher, die Eintiefung für einen
mittleren Stützbalken konnten nicht bemerkt werden. Während Jefimenko
ein kuppelartiges Erddach, ähnlich den Winterhütten der heutigen Primitiv-
völker des polaren Gebietes, für möglich hält, wurde nach Zamjatnin ein
Kegeldach, möglicherweise aus Zweigen, wahrscheinlich aber durch darüber
gespannte Tierfelle gebildet, eine Annahme, zu'deren Stütze er die dachähn-
lichen Zeichen unter den westeuropäischen Höhlenmalereien (Font de
2)
) Auch zu J&ieser Skizze fehlt bei Zamjatnin die zugehörige Legende.
MJ
• ) Die Fundstellen der Frauenstatuettchen sind auf Abb. 2 mit größeren, schwarzen
Punkten bezeichnet.
vSorgfalt und Feinheit der Ausfertigung erreicht haben, stellen die drei
anderen eher unfertige Rohformen dar.
Durchwegs fallen die geringen Ausmaße auf. Das in Taf. IV, l wieder-
gegebene Figürchen ist mit 71 mm das größte, die beiden anderen voll-
endeten Statuettchen erreichen nicht einmal 60mm und das vierte (Taf. IV, 4)
kaum 25 mm. Wohl muß in Betracht gezogen werden, daß bei zweien die
Beine beschädigt sind und somit an annähernd 80 mia-einstige größte Hohe
gedacht werden kann. Der Wiedergabe der Füße ist bei den Gagarinofigür-
chen kein Augenmerk gewidmet.
Das erste Figürchen (Taf. II) gibt das wohlbekannte Bild der jung-
paläolithischen „Venus" mit ihrer betonten Üppigkeit. der Brüste und des
Unterleibes, aber ohne Anzeichen eines Fettsteißes. Die Geschlechtsorgane
sind nicht bezeichnet. Im Gegensatz zur Elfenbeinstatuette aus Kostjenki I
(Abb. 1) sind die Oberarme entsprechend rundlich herausgearbeitet, wäh-
rend die Unterarme und die Hände nicht wiedergegeben sind. Doch dürften
sie als liegend über den schweren Brüsten gedacht worden sein. Gut ge-
formt ist der schlanke Hals, der typisch eirunde Kopf in seiner kennzeichnend
vorhängigen Haltung sowie der Kopfschmuck oder die Frisur. Die Wieder-
gabe des Gesichtes fehlt gänzlich. Dies alles sind hervorragend charakte-
ristische Züge einer Reihe bekannter west- und mitteleuropäischer Venus-
figürchen. Während aber die Venus von Willendorf, der dieses Gagarino-
statuettchen in seiner Formung besonders nahe steht, den Kopfputz erhaben
herausgearbeitet hat, zeigt sich auf dem ersten Gagarinofigürchen die Dar-
stellung desselben eingeritzt. Den Haaransatz kennzeichnet anscheinend eine
tiefe, umlaufende Linie; danach reihen sich keilförmige, gegen den Scheitel
in Punkte übergehende Kerben in sechs konzentrischen Kreisen. Das
Figürchen verblüfft durch die Weichheit der Rundung und durch eine im
Hochstand der Schnitztechnik wurzelnde Sauberkeit der Ausführung.
Das zweite Statuettchen (Taf. III) ist fast unverletzt und erweist sich
vom gleichen Typus wie das erste, wenn auch die Schwere des Unterleibs
dadurch verringert erscheint, als die verhältnismäßig zu schlanken, ausführ-
lich modellierten, ganz kennzeichnenderweise voneinander abgegliederten
Beine32) den Körper mehr gestreckt erscheinen lassen. Hier wird der Kopf-
putz von einem stark hervortretenden Wulst gebildet, der über die Stirne
vorkragt, an den Seiten aber flach verläuft. Von interessanter Eigenart sind
Wiedergabe und Haltung der Arme. Während die Oberarme in natürlicher
Rundung von den schmalen, abschüssigen Schultern herab unabgegliedert
am Oberkörper anliegen und auch die sorgfältig ausgeführten Unterarme
wie leicht aufwärts gehoben über den Brüsten liegen, lösen sich die Jlände
von der Massigkeit des Körpers los und nähern sich frei dem Kinn. Die
rechte Hand ist zwar abgebrochen, die linke jedoch unverletzt und ihre Ge-
bärde völlig eindeutig erkennbar. Die frei abgegliederten Hände sind unter
den Venusfigürchen bisher eine nur einmalige Erscheinung.
32
) Dies gebort zu den Seltenheiten unter den europäischen Venusfigürchen. Auch
das dritte Gagarinofigürchen zeigt diese besondere Formung der unteren Beine. Darin
stehen die beiden Statuettchen der Venus von Willendorf sehr nahe.
haften, die sich während der verschwenderisch kurzen Benutzung der Geräte
nicht verloren.
Polikarpovic datiert die Station ins Magdalenien. Über die Richtigkeit
dieser Bestimmung läßt sich erst endgültig urteilen, wenn eine ausführliche
Stoffveröffentlichung vorliegt. Nach dem Gesamteindruck, den wir aus den
vorläufigen Angaben über die Fundstätte gewinnen können, scheint die nahe
Verwandtschaft zu Gagarino und zu Kostjenki I auch dafür zu sprechen,
daß die Datierung zu hoch ist. Wieder handelt es sich hier nämlich um die
Reste von Wohnstellen. Die eine ist vom Typus der altsteinzeitlichen Erd-
hütte von Gagarino, die andere, die erst teilweise aufgedeckt wurde, zeigt
eine ebenfalls aus Gagarino bekannte Umgrenzung aus aufrechtstehenden
großen Becken-, Schulter- und Schienbeinknochen des Mammuts.
In den Bereich des altsteinzeitlichen Kultes rechnet Polikapovic eine
Anhäufung von Mammutschädeln, die einen Kreis bildeten. In ihm fanden
sich zerschlagene Stoßzähne eines jungen Mammuts, einige Stoßzahnstücke,
darunter solche mit Einschnitten, weiters Platten aus Mammutstoßzahn, be-
deckt mit eingeritzten geometrischen Mustern und Figuren, die an die
Wiedergabe von Wohnungen erinnern, dann Stoßzahnplatten mit Dar-
stellungen von Fischen sowie mit symbolischen Zeichen und schließlich eine
Venusstatuette vom Typus derer aus Kostjenki und Gagarino. Trotz des weg-
gebrochenen und nicht erhaltenen Kopfes mißt das Frauenfigürchen aus
Jeliseevici 15,5 cm.
Malta34)
liegt 85 km nordwestlich von Irkutsk an der Bjelaja, die, vom Sajangebirge
kommend, 25 km unterhalb von Malta als linker Nebenfluß in die Angara
einströmt. Der Ort fällt also in den Bereich jener großen, der Elektrifizierung
dienenden künstlichen Oberflächengestaltung Sibiriens, die in absehbarer
Zeit durchgeführt werden soll. Durch Riesendämme' will man nämlich den
Spiegel des unfernen Baikalsees (34180 km2 Wasseroberfläche) um VA m
heben; eine 2 km lange Talsperre soll den Oberlauf der aus dem Baikalsee
herausströmenden Angara zu einer seiner Seebuchten umwandeln; an ihr
M
) M. M. G e r a s i m o v , Mal'ta-paleoliticeskaja 'stojanka, Irkutzk, 1931; tiers.
Paleoliticeskaja stojanka v Mal'te, SGAIMK 3931, 11—12; A. S a l m o u y , Die Kunst des
Aurignacien in Malta, IPEK, 1931; P. P. J e f i m e ju.k o, Dorodovoe obsc., 1934; G. P.
S o s n o v s k i j , Die paläolithischen Stationen de§. nördl. Asiens, Abhandlungen, , 19 ;
M. M. G e r a s i m o v;' Raskopki paleoliticeskoj stöjanki v s. Mal'te. Paleolit SSSR, IGA1MK
118, 1935: V. I. G r o m o v , Paleolit SSSR, IGAIMK 118; K. K.. F l e r o v , Severnyj
ölen' paleolila Sibiri, Paleolit SSSR, IGAIMK i 18.
soll die heute 80 km vom See entfernte Stadt Irkutsk zum Seehafen aus-
gestaltet werden. Gewaltige Wasserwehre sollen die Angara auf 550 km von
Irkutsk stromabwärts stauen. Dadurch wird nicht nur das Angaratal, son-
dern auch das der Bjelaja unter Wasser gesetzt werden. Unter solchen Um-
ständen ist zu erwarten, daß die überaus wichtige Paläolithstation von
Malta, die 1928 von M. M. Gerasimov entdeckt und 1929, 1930, 1932 und 1934
zum Teil bloßgelegt wurde, ihre endgültige Ausgrabung erfährt.
Die Paläolithstation von Malta fand sich auf dem rechten Bjelajaufer am
oberen Ende der heutigen Siedlung im unverbauten Boden. Sie liegt zu-
sammen mit einem Teil des heutigen Ortes auf der 18 m hohen zweiten Tal-
terrasse, die hier jäh zum Ufer abfällt, kaum 500 m Breite erreicht und in
der Nord-Nordostrichtung mit unterschiedlicher Gleichmäßigkeit in den Steil-
hang der dritten, 40—50 m hohen Talterrasse übergeht.
Hinsichtlich der geologischen Einordnung der Paläolithstation ist fol-
gende Schichtenabfolge maßgebend: 30—50 cm mächtig lagerte zu oberst
eine tiefschwarze Humusschicht. Auf sie folgte zuerst in 40—50 cm Dicke ein
lichter, gelblich-grauer, lößartiger Sandlehm und dann 35—75 cm mächtig
jene ebenfalls lößartige, aber plastischere Lehmschicht, in welche die Kultur-
reste eingebettet waren. Darunter folgten verschiedene Lehmlagen ge-
ringerer Dicke, dann ganz gewaltige Flußantragungen und schließlich der
schiefrige, graue Jurakalksteinsockel.
Mit diesem verschiedenenorts festgestellten Lagerungsprofil ist eine
wichtige Handhabe zur erdgeschichtlichen Zeitbestimmung der Paläolith-
station von Malta gegeben. Die fast 4 m mächtige Aufschüttungsmasse, auf
welcher die altsteinzeitlichen Kulturreste lagerten, lassen keinen Zweifel
darüber, daß eine bedeutende, im Gebirge vor sich gehende Abtragung und
eine am Unterlauf der Bjelaja gleichzeitig platzgreifende Antragung, wie sie
uns aus den bedeutenden Vereisungsperioden auch unseres Erdteils be-
kannt sind, der Erstbesiedlung des Maltaplatzes vorausgegangen sein muß.
Bei der Zweiheit der bisher im Flußgebiet von Ob, Jenisej und Angara
nachgewiesenen Vereisungsperioden müssen wir als erdgeschichtlichen
Zeitraum dieser Abtragung im Gebirge und Aufschüttung im Tale die Riß-
vereisung und die ihr folgende Zwischeneiszeit erschließen und die Malta-
Paläolith-Station als diesen Zeiträumen unbedingt nachzeitig, das heißt einem
Zeitabschnitt zugehörig erkennen, da eine geringere Wasserzufuhr aus dem
Gebirge die Verschmälerung der Bjelaja und die Trockenlegung der Ränder
ihres breiten Flußbettes verursachte, und durch eine gleichzeitige Vergröße-
rung des Gefälles die Bildung der heutigen zweiten Talterrasse begann. Wie
aus anderen Beobachtungen in Nordasien hervorgehl, kann das nur die
Würmeiszeit gewesen sein.
Deutlich hob sich zu Malta die erschlossene Kulturschicht vom um-
gebenden lichten Eiszeitlehm ab. Farbe und Tönung hingen nicht nur von
den bedeutenden Mengen untermischter Kohle und zerfallener, angebrannter
Tierknochen ab, die sie dunkelgrau machten, sondern auch von den häufigen
Einschlüssen an Mineralfarbe, welche die Schicht kirschrot, zimtbraun bis
gelb, aber auch grün erscheinen ließ.
SOCM
4QCM
Abb. 5. Malta:
l = Feuerstelle mit Windschutz, 2 = Herd.
plaltr mil rinrm eingravierten Mammutbild (Abb. 6); unfern des Herdes
fanden sich Knoch<>nsehnitzereien und Anzeichen ihrer Herstellung. Dor-h
d ü r f t e der eigenllirhe Werkplatz des Schnitzers außerhalb der Hütte, etwas
abseils vom Kingang gewesen sein, wo sich eine kleine Anhäufung von Ge-
weihen, Kippen und Wirbeln des Rens, Nashornrippen, Splitter von Stoß-
/ülmeu und Fußknochen des Mammuts fanden. Unter ihnen hob man eine
größere Menge von Feuersteingeräten und auf einem Häufchen beisammen
HM Armband aus Mammutstoßzahn mit Schnurlöchern an den Enden und
mit (iriibrhenmusler, eine Mammutstoßzahnplatte, ein Stück einer weiblichen
Statuette, zwei gebrochene große Nadeln, Bruchstücke einer Speerspitze
sowie eine herrlieh gemusterte Stoßzahnplatte zusammen mit einem fertigen
Fraiirnfigürchcn, dem einzigen, das außerhalb der Hütten angetroffen wurde
(Abb. 7).
Gegen Westen hin war die Hüttenzeile der Maltasiedlung von den Ab-
fallsplätzen begleitet. In stellenweise 35 cm Mächtigkeit zeigte sich hier die
Kulturschicht durchsetzt von Knochensplittern, angebrannten Knochen,
Knochenkohle und kleinen Holzkohlenstückchen. Dazwischen fanden sich
auch Feuersteingeräte und Flintsplitter. Interessant sind die Freilandfeuer-
stellen, die hier am Nordrand der Siedlung und auch östlich des erwähnten
Ilütlenausganges aufgedeckt wurden. Sie zeigen einen aus Steinplatten er-
richteten Windschutz gegen Süd (Abb. 5, 1).
Kinen besonders interessanten Fund stellt das Kindergrab von Malta
dar. Am Ostrand der Siedlung, der eigentlich .fast unmittelbar mit den Ost-
wänden der Hütten zusammenfiel, stieß man unterhalb der Kulturschicht
auf einen Haufen von Rengeweihen, deren Sprossen mit den Spitzen einander
berührten. Darunter wurde scharf umgrenzt die ovalrunde Grabgrube be-
merkt. Sie maß in der Nordost-Südwestrichtung 1,15 m, quer darauf 0,68 m.
Reim Ausnehmen der Füllerde fiel deren zunehmende Rotfärbung auf. Dann
stieß man auf eine lotrecht stehende Kalkplatte, an der eine'zweite lehnte.
Unter den beiden traf man auf eine dritte, auf der ein Mammutzahn mit
Spuren starker Rotfärbung lag. Darunter ruhte, kaum bedeckt von Erde,
das Skelett eines annähernd vierjährigen Kindes (Abb. 8). Dicht unter der
waagrechten Platte und zerdrückt von ihr fand sich der Kopf, auf der linken
Seite liegend, den Blick gegen Osten gewendet, bei einer von Nordost nach
Südwest gerichteten Allgemeinlage des Skeletts. Trotz seines schlechten
Erhaltungszustandes konnte festgestellt werden, daß das Kind auf dem
Rücken ruhend, die Arme längs des Körpers gestreckt, die Beine im Knie
stark eingebogen, bestattet worden war. Anthropologisch interessant ist, daß
die Reste des Schädels ihn als dolichocephal und ausgestattet mit schwach
großen, sieben wend igen Spirale um das Loch in der Mitte legt und mit drei
vollständigen und einer unvollständigen S-Spirale den noch freibleibenden
Rand bedeckt Es ist zu betonen, daß diese Spiralen die bisher ältesten Ver-
treter dieses Motivs sind, nachdem die westeuropäischen Spiralen frühestens
dem Magdalenien angehören.
Das Mammutbild (Abb. 6) fand sich auf einer kleinen Mammutstoß-
zahnplatte unter einer Menge anderer, die viele Spuren von Bearbeitung mit
einem scharfen Werkzeug, zweifellos mit einem Stichel, zeigten. Die Elfen-
beinplatte ist ungefähr 16 cm lang, hat an einem Ende ein Loch und trägt
auf dem gegenüberliegenden Ende zwei quer zur Plattenlänge verlaufende
Grübchenreihen. Auf der etwas gewölbten Vorderseite ist die Darstellung
eines Mammuts mit sicher geführten Strichen eingeritzt. Sie zeigt das
Mammut von der Seite. Es ist eine sehr gut gelungene Arbeit. Mit erstaun-
licher Bündigkeit ist das Wesentliche der Mammutgestalt erfaßt, erkennbar
an der kennzeichnenden Kopflinie mit dem Einzug am Hals, mit der steilen
Stirn und ihrer Fortsetzung im langen Rüssel, in der Wiedergabe des typisch
abschüssigen Rückens, des kurzen Schwanzes und der Faltenbildung des
Dickhäuters beim Übergang der Schenkel und oberen Vorderbeine in den
Rumpf. Die schütteren, aber langen, nach den sibirischen Fellfunden 50 cm
erreichenden Haare am Bauche sind kennzeichnend vermerkt. Der Stoßzahn
ist mit zwei Strichen wiedergegeben, zeigt aber im Ansatz dieselbe wie eine
Fehlrichtung anmutende Zusammenhangslosigkeit mit dem mutmaßlichen
Ende des Oberkiefers wie die westeuropäischen Mammutbilder. Diese Eigen-
art erklärt sich wohl damit, daß das Haarkleid, das nach den sibirischen
Mammuthautfunden gerade am Hals am dichtesten war und hier die längste
Wolle hatte, dem Eiszeitjäger die klare Sicht über den tatsächlichen Anfang
der Stoßzähne verwehrte.
Vom naturkundlichen Standpunkt aus35) sind zwei Eigentümlichkeiten
des dargestellten Mammuts beachtenswert. Die kurzen, nur schwach ge-
bogenen Stoßzähne und der fehlende Fetthöcker. Während die Sonder-
formung der Zähne im Platzmangel oder auch darin ihre Erklärung finden
kann, daß man ein junges Tier wiedergeben wollte, kann das Fehlen des
Fetthöckers darin begründet sein, daß man entweder ein Tier zeigen wollte,
das in den Wintermonaten seine Fettreserven erschöpft hatte oder aber daß
man damit eine besondere Arteigenheit des sibirischen Mammuts festhielt.
Letzteres müßte sich erst durch weitere Funde erhärten.
Schwerfälligkeit und Massigkeit des Eiszeitriesen werden in dem Bild aus
Malta anschaulich vor Augen geführt. Es besteht in der Wiedergabe-kein
Strich von der Darstellung der plumpen Säulenbeine bis zum Kopf mit den
Stoßzähnen und dem Rüssel, der nicht jene bekannte, vielbewunderte Treff-
sicherheit beweisen würde, die den Quartärkünstlern Westeuropas in so
kennzeichnend starkem Maße eigen war.
35
) V. S. S l o d k e v i c , Risunok mamonta iz paleoliticeskoj stojanki i sei. Mal'ty,
Jezegoduik vserossiskogo paleontologiceskogo obscestva t. XI,'Moskau—Leningrad 1937.
ihren Ausgräber vor17). Wir kennen nur einen Teil von ihnen nach Be-
schreibung und Bild. Doch ist für ihre Gesamtheit daraus und aus den An-
merkungen ihres Ausgräbers Gerasimov zu entnehmen, daß es sich durch-
wegs um Figiirchen stehender Frauen von 3—13 cm Höhe handle. Sie sind
fast ausnahmslos aus Mammutstoßzahn, ganz vereinzelt aus Rengeweih, nie-
mals aus Stein hergestellt. Die Sorgfalt der Ausführung ist verschieden.
Auch im Aussehen gleicht nicht eine der anderen. Doch läßt sich mit
Gerasimov nach der dargestellten Frauenart rein äußerlich eine Scheidung
in drei Typen aufstellen:
1. Das schlanke Weib (Taf. VI, 1). Für diesen Typus ist die ausgeprägte
Schmalheit der Gestalt kennzeichnend. Schmal erscheinen die Schultern,
schmal das Becken und flach die Brust. Eng liegen die dünnen Arme am
langgezogenen Rumpfe ari, und die schlanken, unmodellierten Beine sind un-
natürlich lang. Trotz der allgemeinen Schlankheit ist ein eigenartiger Hänge-
bauch und ein ebenfalls eigenartiger Fettansatz an den Hüften vorhanden, der
die Leibmitte rückwärts hochgezogen erscheinen läßt.
Dem Typus des schlanken Weibes müssen auch Figürchen zugezählt
werden, die das Äußerste an Hagerkeit darstellen (Taf. VI, 5). Ihr pfahl-
förmiger Körper zeigt zugleich das Höchstausmaß der Stilisierung. Wegen
ihrer besonderen Schmalheit sowie auf Grund der nach Jeflmenko erkenn-
baren Anzeichen des Geschlechts deutet dieser die Statuettchen als Männer-
bildnisse38).
Den Gegensatz zum Typus des schlanken, des hageren Weibes bildet
der des üppigen Weibes (Taf. VI, 2, 3). Wenn diese Figürchen auch nicht
die Formenfülle einer Venus von Willendorf erreichen, tritt uns die Fett-
leibigkeit doch offensichtlich in der betonten Breite und Rundung der Schul-
tern, der Hüften und des Bauches entgegen. Die gesamte Gestalt zeigt eine
typische Aufeinandertürmung der Körpermassen. Von Fettsteißbildung bei
den dickleibigen Figürchen von Malta zu sprechen, dafür finde ich keinen
Grund. Der Hals ist nicht dargestellt.
Den dritten Typus bildet das Weib mit den ebenmäßigen Körperformen
(Taf. VI, 6). Wir bemerken ebenmäßige Rundungen und annähernd natür-
liche Größenverhältnisse des Rumpfes, dessen Schwergewicht gegenüber
dem des üppigen Weibes nach oben verschoben .erscheint, was ihm die
plumpe Schwerfälligkeit nimmt. Der Kopf, der bei allen drei Typen zu groß
ist, zeigt sich hier ganz übermäßig hoch und breit.
Unabhängig von der Körpergestalt erweist sich die Darstellung des
Kopfes. Es gibt hier wiederholt Gesichtsdarstellungen (Taf. VI, 4). Sio-sind
verschieden. Darin aber die Wiedergabe individueller Gesichtszüge erken-
3T
) Erste Hinweise, Beschreibung und Einordnung in die Reihe der Venusfigürchen
siehe bei H. K ü h n , Eine neue weibliche Statuette des Aurignacien, IPEK 1928, S. 96f.;
d e r s e l b e , Malta bei Trkutzk, Sibirien, IPEK 193Ö/S. 112 f.; A. S a I m o n y, Die Kunst
des Aurignacien, Sibirien, IPEK 1931, S. 1—6. ,'
M
) P. P. Jef i m e n k o , Dorodovoe, S. 404; ders. Iz issledovanij v oblasti paleolita
SSSR za poslednie gody, SGAIMK 1932, 9—10, S. 27.
Taf. V. Malta:
1 =u Schließe (etwa % nat. Gr.).
2 = Vogelfigüri'hen (etwa K nat. Gr.).
8,4 =r Frauenfigürchen (etwas vergrößert I K nal. (Jr.).
5 = Fischfiarstellung (etwa % nat. (lr.)·
Polarfuchs diente aber nicht als Nahrung. Gerasiraov verweist darauf, daß
kein zerspaltener Knochen, kein geöffneter Schädel dafür Zeugnis ablegt.
2 Vielfraße (Gulo gulo). Von dem einen fand sich eine Tatze, von dem
anderen der ganze Vorderleib in ungestörter anatomischer Lagerung. Mög-
licherweise äußert sich darin seine alleinige Wertung als Pelztier, dessen
Fell man abzog, dessen Leib man aber wegwarf.
1 Höhlenlöwe (Felis spelaea). Das Vorkommen dieser-großen Quartär-
katze in der Paläolithstation von Malta ist nicht nur an .sich, sondern noch
mehr im Hinblick auf die Deutung der eigenartigen gemusterten Malta-
figürchen von Wichtigkeit43)· Im Räume von den Ufern des Schwarzen
Meeres bei Odessa und von der Krim bis zu den Neusibirischen Inseln
lieferten bis jetzt 25 Fundstellen Reste dieses Tieres. Ausrjhrej geologischen
Lagerung geht hervor, daß der Höhlenlöwe in der Zeit vom Ende der Riß-
vereisung bis ans Ende der Nacheiszeit in Osteuropa und Nordasien lebte.
Die Bezeichnung Höhlenlöwe ist völlig irreführend. Weder hauste dieses
Raubtier in Höhlen, noch kann es zu der Art Löwe gezählt werden, nachdem
die anatomische Eigenheit dieser Großkatze gerade darin besteht, daß sich
in ihrem Skelett ein auffallendes Zusammensein von Löwen- und Tigermerk-
malen beobachten läßt. In den Ausmaßen überragt der Höhlenlöwe sowohl
den Tiger als auch den Löwen von heute.
2 Wölfe (Canis lupus).
407 Rene (Rangifer tarandus), von Gerasimov nach den 814 gefundenen
Geweihrosen festgestellt. Die zoologische Untersuchung eines ganz er-
haltenen Renschädels hat ergeben44), daß das Malta-Ren einerseits von allen
heutigen eurasiatischen und auch von der Mehrzahl der amerikanischen Ver-
treter des Rangifer tarandus stark abweicht, andererseits aber doch Wesens-
züge besitzt, die es sowohl einer Labradorart (Rangifer caboti Allen) als
auch einer transbaikalischen Art (Rangifer angustirostris Flerov) nähern.
Das bis heute vorhandene fossile Knochenmaterial aus dem asiatisch-ameri-
kanischen Norden erlaubt jedoch noch keine Erklärung dieser eigenartigen
Tatsache.
Die Repknochen von Malta gehörten Tieren jeglicher Altersstufe an.
Die Zahl der bloßgelegten Renknochen ist verblüffend groß. Die Station
erweist sich in dieser Beziehung als einzigartig für Nordasien und Osteuropa
und wird nur von den Knochenlagern gewisser west- und mitteleuropäischer
Fundplätze übertroffen40). Die 1930 auf einer Fläche von 24 m2 bloßgelegte
Kulturschicht von Malta, die an dieser.Stelle im Südteil der Station 80 cm
Mächtigkeit erreichte, muß buchstäblich gesättigt mit Renknochen gewesen
43
) V. I. G r o m o v, a.a.O.; V. I. Gromova, siehe hier Anmerkung 20/2; M. Pavlov
a.a.O.
i4
) K. K. F l e r o v , Severnyj ölen* paleolita Sibiri, Paleolit SSSR, IGAIMK 118.
* ) Zum Beispiel: Nach der Berechnung E. P i e 11 es haben sich in der Höhle
Gourdan in Haute-traronne Reste von 3000 Rentieren gefunden; aus dem Keßlerloch und
benachbarten Höhlenstationen in der Nordschweiz stammen Reste von mehr als 825 Remi-
tieren.
sein, nachdem hier allein das Gebein von 192 Renntieren, also gering ge-
rechnet mindestens 5000—6000 Renknochen, gehoben werden konnten40).
1 Bison priscus..
2 Wildpferde (Equus caballus).
l Schaf (Ovis nivicola).
Zu diesen Säugetierknochen kommen in geringfügiger Menge Knochen
einer Silbermöve (Lurus orquetatus), die angebrannten Knochen zweier
Wildgänse (Anser ferus) und die zweier großer Habichtarten sowie große
Fischwirbel, die sorgfältig geglättet als Anhängeschmuck verwendet wurden
und solcher Art nicht bestimmbar sind.
Ungeachtet dessen, daß in Malta ein nicht unbedeutender Betrag an
Dickhäutern nachgewiesen wurde und ungeachtet selbstverständlich auch
des vielfach aufgedeckten Polarfuchses, der durch die Vollständigkeit und
die ungestörte Lagerung seiner Knochen*dartut, daß er nicht gegessen wurde,
gibt sich das Ren völlig· eindeutig und unbestreitbar als Hauptnahrung der
Leute von Malta zu erkennen. Die 407 hier verzehrten Rene stellen 85,5 %
aller hier aufgedeckten zählbaren Tjere dar, ja sie erweisen sich bei Aus-
schluß der offensichtlich nicht als Speise verwendeten Raubtiere als 94,7 %
der erlegten eßbaren Säuger.
Es ist notwendig, noch auf die eigenartigen Fundumstände gewisser
Knochenreste aufmerksam zu machen. Schon am Beginn der Ausgrabungen
1928 stieß man einmal auf ein fast vollständiges Eisfuchsskelett, das seine
natürliche Knochenanordnung beibehalten hatte. Es erschien ganz selbst-
verständlich, in der Verwendung des Eisfuchses allein als Pelztier die Er-
klärung für diesen Fund zu sehen. Nun wurden 1932 aber nicht nur am
Südostrand der Siedlung auch Renskelette in ungestörter anatomischer
Knochenfolge bloßgelegt, sondern am gegenüberliegenden Nordwestrand
auch einige eirunde Bodeneintiefungen offensichtlich zur Hinterlegung be-
stimmter tierischer Körperteile angetroffen.
Am Südostrand handelte es sich um 5 Renskelette. Zwei lagen bei-
sammen, die drei anderen jedes einzeln für sich. Keines war vollständig,
jedem fehlte der hintere Teil des Körpers. Die Vorderbeine, der vordere
Rumpf, Hals und Kopf hatten sich in ungestörter natürlicher Anordnung
erhalten. Die Schädel trugen keine Geweihe. Die Tiere waren also enthäutet
worden. Im Umkreis der Skelette zeigten sich keine Geräte.
Am Nordwestrand der Siedlung deckte man unter dunkel gefärbter,
fundleerer Schicht 14 aus dem Lehmgrund ausgehobene, ovalrunde, steil-
randige Gruben von 15—80 cm Länge und 5—20 cm Tiefe auf. Sie waren
unregelmäßig angeordnet. Eine war leer, 4 von ihnen enthielten Eisfuchs-
skelette, denen nur die Pfoten fehlten, andere den Fuß eines Mammuts oder
den Schädel eines großen Vogels samt einem Teil der Halswirbel oder
Rippen- und Wirbelknochen des Rens; einige bargen auch Teile verschie-
dener Tiere zusammen, zum Beispiel ein fast vollständiges Eisfuchsskelett,
") V. J. G r o m o v , Palcolit SSSR, IGAIMK 118, S. 250.
und der Gagarino-Station am Don. Auch sie fand sich unfern des Ausganges
einer Schlucht, hier Balka genannt, auf einer Terrasse, nicht hoch über dem
Talboden, im Windschutz des steilabfallenden Kreideplateaus im Norden,
gegen Süden hin aber offen. Die Station wurde 1908 durch F. K. Volkov
(F. K. Vovk) aufgedeckt, Teile derselben 1909 durch P. P. Jefimenko, 1917
durch L. Öikalenko und M. J. Rudinskij ausgegraben. Sowohl die endgültige
Bloßlegung der alten Siedlung als auch die geplante eingehende Veröffent-
lichung der Funde stehen noch aus.
Die geologischen Aufschlüsse50) zeigen folgende Schichtenabfolge:
1. Jüngerer Löß in 4 m Mächtigkeit, 2. die Kulturschicht, 3. der untere Teil
des jüngeren Losses, 1,5 m mächtig, 4. geschichteter, älterer Löß, 3,4 m dick,
5. die Rißmoräne, 8—9 m mächtig, 6. das Kreidegrundgestein. Daraus er-
geben sich als Züge der erdgeschichtlichen Vergangenheit der Fundörtlich-
keit im Quartär: Die unmittelbare Einwirkung des Rißgletschers auf den
Kreidegrund und die Ablagerung seiner Moräne unmittelbar auf ihm, die
riß-würm-zwischeneiszeitliche Bildung des älteren Losses und seine würm-
eiszeitliche Umlagerung, die Bildung des jüngeren Losses in der milderen
Übergangszeit bis zum Bühl-Vorstoß, dessen beginnende Auswirkungen noch
im unteren Teil dieser letzten Lößstufe erkennbar sind. Dies ist der Zeit-
punkt, da der jungpaläolithische Mensch Osteuropas im Ortsbereich des
heutigen Mezin siedelte.
Dem entspricht vollkommen das Bild der polaren Tundrentierwelt, das
sich aus den überaus reichen Knochenfunden der Siedlungsstelle ergibt. Im
ganzen wurden ungefähr 5500 Knochen von nachweisbar 140 Einzeltieren
gesammelt. Es waren dies: 18 Mammute, 2 Nashorne, 13 Wildpferde,
14 Moschusochsen, 10 Rene, 3 Bisone, l Schaf, l Wildschwein, 4 braune
Bären, l Höhlenbär, 3 Vielfraße, 13 Wölfe, 38 Eisfüchse, 7 Hasen und andere
Nager.
tovaristva, k. IV, 1909; P. P. J e f i m e n k o , Kamennye orudija paleolitic. stojanki v s.
Mezin, Jezegodnik Russk. antrop. o-va 19J2, t. IV; V. A. G o r o d c o v , Archeologjja, 1923;
V i s n e v s k i j B. N., Doistoriceskij celovek v Rossii. Priloz. k knige Osborna „Celovek
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europäischen Ebene, Abhandlungen 1935, v. V.; G. F. M i r e i n k, Geologiceskie uslovija
nachozdenija paleoliticeskich stojanok v SSSR i ich znacenie dlja vostanovlenija cetver-
ticnoj istorii. Tr. Mezdun, konf. AlCPJ, 1934, v. V.; d e r s . Geological conditions in
which Palaeolithic sites in the USSR are found and their significance for the restoration
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skoj paleoliticnoi stacii v osvitlenni Fedora Vovka. Kii'v, 1931; L e v k o C i k a l e n k o ,
Naris rozvilku geometridnogo ornamentu paleoliticnoj dobi. Prag, 1923.
>
) V. R i z n i c e n k o, Mizin'ska paleoliticna stacija (geologiftiij ta geoniorfologienij
naris). Die Quartärperioile 1—2, 1930. Kiew 1931.
Xfii-chrifl. \ X X . A X X I .
sich die zeitliche Stellung der Kultur von Mezin als gleichlaufend mit dem
Solutreen ergibt. Ich halte das ausgeprägte Auftreten der eiszeitlichen Kälte-
tierwelt sowie die eindeutige Stellung Mezins im Ablauf der osteuropäisch-
nordasiatischen Kunstenwicklung zwischen Malta und den typischen Ver-
tretern des späten Jungpaläolithikums als ausschlaggebend, die Kultur von
Mezin in den mittleren Abschnitt der jungpaläolithischen Epoche Eurasiens
zu rechnen, das ist, sie dem Solutreen des Westens gleichzusetzen.
Abschließend sei noch vermerkt: Der allgemein urgeschichtliche For-
schungswert Mezins liegt darin, daß diese Lößstation den Schlüssel zum
Verständnis der künstlerischen Eigenart des Ostens bergen muß. Man darf
m. E. den Osten allein im Hinblick auf seinen tatsächlich auffallenden Abstich
zu den Kunstschöpfungen des Westens mit den unzähligen lebensfrischen Tier-
bildern nicht rein äußerlich als geometrische Kunstprovinz des Jungpaläo-
lithikums abtun, sondern.wird das Augenmerk außer auf alle, wenn auch
nur geringfügigen Abänderungen in Wirtschaft und Lebensweise eher auf
die Ergründung jener Sondererscheinungen in der Kunst von Mezin lenken
müssen, daß das Spät-Aurignacien-Venusfigürchen hier von Vogel, Phallus (?)
und einem höchst schematischen Frauenstatuettchen, also von Formen ab-
gelöst wird, die, in sich innig verwandt, eigentlich ineinander übergehen.
Findet die Kunstrichtung von Mezin, findet diese äußerste Schematisie-
rung des künstlerischen Vorwurfes, verquickt mit geometrischer Musterung,
im späten Jungpaläolithikum ihre Fortsetzung?
III.
Timonovka*9).
Unfern dieser Ortschaft, am rechten Ufer der Desna, 4 km südwestlich
von Brjansk, liegt die Paläolithsiedlung auf dem terrassenartigen Abhang
einer Uferhöhe, 25—30 m über dem Flußspiegel. Die tiefe Schlucht der
Prilavka, das Desnatal und die Monastirschlucht begrenzen die alte Sied-
lungsstelle, die 1927 durch M. V. Voevodskij aufgedeckt und 1928 von ihm
teilweise ausgegraben wurde. Die Fortsetzung der Ausgrabungen in den Jahren
1928—1933 wurde von V. A. Gorodcov durchgeführt. Es gelang bisher, die
Kulturschicht auf einer Fläche von 24000 m 2 festzustellen und mit 1178 m2
rund ein Zwanzigstel derselben bloßzulegen.
Infolge der nacheiszeitlichen Abtragungs- und Zertalungsvorgänge an
diesem Flußkap sind die geologischen Lagerungsverhältnisse kompliziert.
5
") M. V. V o e v o d s k L j , Timonovskaja paleoljtiEeskaja stojanka. RA# 1929,
t. XV11I, v. 1—2; G. F. M i r c i n k , Geologiäeskie uslovija nachozdenija paleoliüceskoj
stojanki v d. Timonovke pod g. Brjanskom. RA# 1929, t. XVIII, 1—2; V. A. G o r o c U o v ,
Technika i tipologiceskaja klassifikacija kreinnevych rezco'v Suponevskoj i Timonovskoj
paleoliticeskich stojanok iz raskopok 1928 i 1929 gg. Technika obrabotki kamnja i metalla,
RANION, Moskva 1930; d e r s. Timonovskaja paleoliticeskaja stojanka, Vestn. Akad. Nauk,
1932, No. 6; d e r s. Timonovskaja paleoliticeskaja stojanka, Rezul'taty archeologiceskich
raskopok v 1933 g., izd. Akad. Nauk, 1935; P. P. J ' e f i m e n k o , Dorodovoe obscestvo,
1934; V. I. G ronAo'v, Nekotorye novye dann^e o faune i geologii B. Jevropy i Sibiri.
Paleolit SSSR, 1GAIMK 118; V. A. G o r o d c o v , Social'no-ekonomiceskij stroj drevnich
obitalelej Timonovskoj paleolitißeskoj stojanki, SET 1935, 3.
K i r i l l o v s k a j a u l i c a — K i e w ( u n t e r e Schicht) 0 4 )·
Die Station in der Kirillovskaja-Straße zu Kiew wurde 1893 durch
V. V. Chvojka aufgedeckt und bis 1900 von ihm ausgegraben. Sie ist offen-
sichtlich restlos aufgedeckt, ohne aber bei der Unzulänglichkeit der Unter-
suchungsmethoden, bei der Verstreuung des Fundmaterials und bei der Un-
genauigkeit hinsichtlich der Schichtverhältnisse jenen urgeschichtlichen Er-
kenntnisgewinn zu vermitteln, der dieser größten jungpaläolithischen Löß-
station Osteuropas zugekommen wäre. Die Station liegt am Fuß des steil-
abfallenden Uferplateaus, auf dem die Altstadt ungefähr 100 m über dem
Dnjepr sich ausbreitet. Erdgeschichtlich erweisen sich die Aufschlüsse am
Plateauabsturz hier sehr interessant, indem sie ein Bild der Vergangenheit
des Dnjepr-Tales geben. Am Grund des Hochufers ruht fester, bläulicher Ton
**) V. B. A n t o n o v i c, Painjatniki kamennogo veka, najdennye v Kieve. Tr. X Ri'Zsk.
archeol. sjezda, t. J I I ; P. J. A r m a s e v s k i j i V. B. A n t o n o v i c, 0. nachozdenii koslej
niamonta v Kieve sovmestno s kremnevymi orudijami. Dnevn. IX Sjezda russk. jeslestvoisp.
i vracej, 1894 i Zap. Kievsk. o-va jestestvoisp., i. XIV, v. I; V. V. C h v o j k o , Kamennyj
vek srednego Pridneprov'ja. Tr. XI Kievsk. arch, sjezda, t. I, 1901; L i n i c e n k o i
C h v o j k o , Narhodka ornamentirovannych kostej mamonta. Zap. Odesskogo o-va ist.
drevn. t. X X I I I ; F. V o l k o v, L'Anthropologie 1903, No. 3; d e r s. Iskusslvo inadlenskoj
epoch i v Ukraine. Archeol. Jetop. J. Kossii, 1903; W. C h v o i k a , Deconvolves jmleo-
lithiques reeemmenl faites en Russie. L'Anthropologie X I I ; P. P. J e f i in e n k o, Doro-
düvof» olisfrslvo. 1934: d e r s. Abhandlungen V, 1935; M. E b e r t , SfidrniJIand im Aller-
luni. 1921.
Melitopol67).
Im Zuge der 1935 durchgeführten Paläolith-Forschungsarbeiten am Azow-
schen Meer wurden in der Nähe von Melitopol alte Grotten aufgedeckt, deren
eine auf ihren Deckplatten verschiedene, in den Stein geritzte Bilder zeigte
(Taf. XII, 3). Es handelt sich um die Wiedergabe von Tieren zusammen mit
rätselhaften geraden und krummen Linien, mit Schraffen und Gittern-. Die
Ausgrabungen dieser Grotten sind in den Arbeitsplan für 1937 aufgenommen.
Es wäre dies einstweilen der einzige Fall von möglicherweise altsteinzeit-
licher Felskunst auf osteuropäischem Boden. Wenn auch die Gestaltung des
Bildes ganz in den Rahmen der späten jungpaläolithischen Kunst fällt, muß
doch das Alter der Felsgravüre erst erhärtet werden.
er>
) M. R u d y n s k y i , Les trouvailles paleolithiques d'Ozarynci (Podolie) Recueil
d'etudes dedie au Dr. W. Demetrykiewicz, Posnan 1930, S, 4—8; J. Skutil, Ossarynce"imd
Iskorost in Osteuropa (Ukraine), Eiszeit und Urgeschichte Bd. 5, Leipzig 1928, S. 46—48.
oc
) V. Scerbakivskyj, Bemerkungen über neue und wenig bekannte; paläolithische
Stationen in der Ukraine, Die Eiszeit IV, S. 121; J. L e w i z k i j , A propos d'une trou-
vaille a Kolodiajne (Volhynien), Bulletin du Laboratoire d'Anthropologie et d'Ethnologie l,
Kiev 1925, S. 35.
C7
) 0. B a d e f," Dve ekspedicii po izuceniju paleolita v severnom Pricernomore,
Chronik, RA2 1937, S. 142—144.
^SifeN**
(/<
\ MacujmoÖ
^\
n CM
Soweit wir sehen können, dringt die osteuropäische Kunst des Jung-
palüolithikums nirgends zu jenen Ausdrucksformen durch, welche uns an
den Kunstwerken des Westens so verblüffen.
Honcy' 5 *).
Die Paläolithstation liegt am Udaj zwischen den Orten Honcy und
Duchova im Kreise Lubny des ehemaligen Poltava-Gouvernements. Die
Kulturreste, welche schon 1873 entdeckt, aber erst 1914—1916 durch
W. N. äcerbakovskij ausgegraben wurden, lagerten in einer bis 40 cm dicken
Schicht auf einer alten Terrasse des rechten Udajufers auf eiszeitlichen An-
tragungen und waren von 3—3,50m mächtigem Löß überdeckt. Die Kultur-
schicht zeigte sich nicht gleichmäßig über die bloßgelegte Fläche verteilt,
sondern bildete, wie Scerbakovskij sich ausdrückt, besondere „Knochen-
haufen", zwischen denen sich nichts an Feuersteingeräten und Flintabsplissen
trotz genauester Durchsuchung des Lehmes finden ließ. Die „Knochen-
haufen" hatten rundliche Form von 1,20—5,60 m Durchmesser. Sie ließen
keine planmäßige Gruppierung, wohl aber einzelne aus ihnen insofern einen
bestimmten Bau erkennen, als der mittlere Teil jedes Haufens aus feineren
Abfällen und Verbrennungsresten bestand, die großen Knochen, wie Mammut-
schädel, Schulterblätter, Stoßzähne usw. aber den äußeren Rand bildeten.
Wenn Scerbakovskij dazu berichtet, daß zum Beispiel beim größten der
„Knochenhaufen", welcher rund 5,60 m Durchmesser hatte, die zugehörigen
27 Mammutschädelknochen und die 30 Schulterblätter stehend angetroffen
wurden, wird uns aus der Ähnlichkeit zu den Fund Verhältnissen von Kost-
jenki I und Gagarino klar, daß es sich auch bei diesen großen „Knochen-
haufen" von Honcy um Reste paläolithischer Wohngruben, bei den kleinen
um Herde, Vorratshaufen, Werkplätze u. dgl. handeln müsse. Es ist be-
zeichnend, daß unter den ersteren weder Verbrennungsreste noch Brand-
spuren sich zeigten. Die Mammutstoßzähne, die zweifellos einen Vorrat an
Rohstoff darstellen, fanden sich ganz kennzeichnend wie in den Paläolith-
siedlungen des Voronezgebietes auf dem Dach der Erdhütten.
Die Notwendigkeit von dauerhaften Wohnungen wird uns aus der"unge-
heuren Zahl von Mammuten klar, die hier verzehrt wurden. Scerbakovskij
"*) A. S. U v a r o v , Kamennye period, T. I, Moskau, .1881; F. I. K a m i n s k i j ,
Sledy drevnejsej epochi kamennogo veka na r. Sule. Tr. Ill (Kievsk.) arch, sjezda, t. I,
i VI arch, sjezda, T. I; A. A. S p i c y n, Russkij paleolit. Zap. Otd. russk. i slav. arch.
Russk. arch, o-va, t. XI, 1915; V. M. S e e r b a k o vsji i j , Raskopki paleolit. stojanki v
Goncach. Zap. nauk. t-va Poltayscine, 1919; T; Archaeological Work in Ukrain by Professor
§ c e r b a k i v s k y j, The Antiquaries Journal 5, Oxford 1925, S. 273—277; V. A. G d-
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SSSR. Celovek, 1928, No. 1; V. S c e r b a k i w s k y j , Eine paläolithische Station in Honci
(Ukraina), Die Eiszeit, III. Band, 1926; B. N. V i s n e v s k i j , Doistoriceskij celovek v
Rossii. Priloz. k knige Osborna „Celovek drevnego kamennogo veka", 1924; P. P. J e f i -
m e n k o , Dorodovp£./obscestvo, 1934; d e r s. Paleoliticeskie stojanki Vostocnojevropejskoj
raviny. Tr. Mezdun, konf. AIÖPJ, 1934, v V; d e r s. Die paläolithischen Stationen der Ost-
europäischen Ebene. Abhandlungen V, 1935.
zählte 67, neben denen Ren und Hase zahlreich, Elch, Bison, 'Bär und Wolf
aber in geringfügiger .Menge nachweisbar sind. Das Nashorn fehlt in Honcy.
Interessant ist der Hinweis Scerbakovskijs auf das Vorkommen „alter
Mammute von Zwergenwuchs" neben solchen normaler Größe. Das „kleine"
Mammut wurde wiederholt in den Knochenresten der jungpaläolithischen
Stationen aus den Gebieten von Voronez, Brjansk und Öernigov zusammen
mit dem „großen" angetroffen. Ersteres ist nicht nur kleiner als der typische
Elephas primigenius Blum., sondern erreichte \yahrscheinlich auch nicht die
Ausmaße der heutigen Elefanten. Wichtig ist, daß sich die beiden Mammut-
formen im Jungpaläolithikum Osteuropas als gleichzeitig erweisen, was für
dieses Gebiet die von Soergel00) angedeutete Vermutung, daß es sich dabei
um eine mißartete Form handle, ausschließt70).
Unter dem Steingerät, das aus dem hier gewöhnlichen dunkelgrauen und
gelben Flint hergestellt wurde, herrschende Stichel und Kratzer vor. Neben
den Klingenkratzern gibt es auch Rundkratzer, ebenso wie die vorge-
schrittenen Mikroklingen in Verwendung standen. Im allgemeinen sind die
Klingen gut, die Bearbeitung sorgfältig, das Gerät aber ziemlich klein.
Die Knochengegenstände sind nach Form und Zahl ärmlich. Es fanden
sich: kleine Ahlen aus den Röhrenknochen des Hasen, bolzenartige Speer-
spitzen, Nadeln mit Öhr und ein Hammer (?) aus Rengeweih. Interessant ist
der Fund eines Mammutstoßzahnes mit Einritzungen (Taf. XII/2).
Ich zweifle nicht daran, daß der „Knochenhaufe" VI ein Werkplatz war.
Es verweisen darauf die Elfenbeinvorräte aus 11 Mammutstoßzähnen, die zer-
streuten Stoßzahnstücke, die zahlreichen Nagetierknochen, die zahlreichen
Mammutknochen, die als Arbeitsbehelfe dienen konnten, die zerbrochenen
und beschädigten Feuerstein- und Knochengeräte und auch der erwähnte
Stoßzahn mit Einritzungen. Es handelt sich dabei um ein Bruchstück, das zwei
fein eingeritzte, längslaufende Linien zeigt, von denen ungleich kurze, ohne
erkennbare Regel das Ausmaß wechselnde Querstriche ausgehen. Zweifellos
soll dies Gestrichel etwas darstellen. Wie abstrakt, wie restlos ausgelaufen in
der Abwendung von der Natur erscheint aber diese Wiedergabe. Damit gibt
uns Honcy den jüngsten Vertreter der osteuropäischen Magdalenienkunst,
nachdem Honcy meines Erachtens ins entwickelte Magdalenien, nicht aber
ins Aurignacien zu stellen ist, wie Scerbakovskij meint.
bedingt, und auch die Hirtenvölker haben einen reichlichen, besonders männ-
lichen Nachwuchs nötig. Können wir einen ähnlich dringenden wirtschaft-
lichen Bedarf an menschlichen Arbeitskräften für die eiszeitliche Jagdwirt-
schaft annehmen?
Ein dritter Gedanke zum üppigen Weib als Sinnbild der Fruchtbarkeit
ist der des erwünschten Wirtschaftsertrages, wie er zum Beispiel in der Vor-
stellung der Erde als fruchtgebendes, gebärendes Weib sich darstellt. Er
setzt voraus, daß vom Begriff Weib die hervorbringende Kraft abstrahiert
und der ebenso abstrakt vorgestellten, hervorbringenden Kraft der Erde, des
Viehstandes und des Wildstandes gleichgesetzt werde. Können wir ein solch
abstraktes Denken von den würm-eiszeitlichen Jägern voraussetzen?
Daß die Frauenstatuetten Kultgegenstände, Bilder, geschaffen zur Ab-
wicklung gewisser Kulthandlungen auch im Leichenbrauch seien, will
Schuchhardt77) vor allem aus der kennzeichnenden Körperhaltung erkennen.
Wichtig ist, daß Schuchhardt zur Bestätigung dieser Meinung den offensichtlich
kultischen Charakter-der Relief darstellungen von Laussei heranzieht, deren
Frauendarstellung schon äußerlich mit den Venusplastiken in Zusammen-
hang gebracht werden muß.
Menghin78) spricht sich ebenfalls für die kultische Bedeutung der Frauen-
statuetten aus, geht aber insofern noch weiter, als er nach dem Woher dieses
Frauenkults fragt. Für die Ermittlung von dessen Ursprung erscheint
Menghin die Feststellung wichtig, daß sich in der jungpaläolithischen eur-
afrikanischen Klingenkultur, im Capsien, keine Spur von Frauenbildern
findet. Die Pyrenäenhalbinsel hat nicht eine Venus geliefert. Dadurch wird
es Menghin wahrscheinlich, daß diese Kultform nicht im Geiste der Klingen-
kultur selbst erwachsen, sondern daß sie das Geschenk eines anderen Kultur-
kreises sei. Diesen vermutet Menghin in den jungpaläolithischen Faustkeil-
kulturen, mit denen er weiter das Pflanzertum in Verbindung setzen will.
Dieser Zusammenhang mit dem Pflanzertum gibt nun Menghin die Grund-
lage zu denken, daß wir es bei den Venusfigürchen mit den Darstellungen
jener mütterlichen Gottheit zu tun haben, die später in den bodenbebauenden
Kulturen des Orients so häufig vorkommt und uns als große Erdmutter, als
Magna Mater, wohlbekannt ist. Menghin geht damit als erster über eine rein
spekulative Betrachtung der Frauenstatuetten hinaus und sucht die geistigen
Voraussetzungen zu den Frauenbildern in der Wirtschaft, ja speziell in der
wirtschaftlichen Bedeutung der Frau im Hinblick auf das Pflanzertum. Wenn
auch Menghins vorsichtig tastende Schritte dabei keinen sicheren Grund
fanden, daß er die Wirtschaft als Wurzelboden für das kultische Kunst-
schaffen in Betracht zieht, soll uns ein wertvoller AVegweiser bei unseren
Überlegungen sein.
Ich habe bei dem Überblick über die hauptsächlichsten der bisher be-
stehenden Auslegungen der jungpaläolithischen Frauenstatuetten bereits
durchblicken lassen, daß ich die Methode, mit der vielfach an ihr Problem
herangegangen wurde, nicht billige. Es kann doch nur zu ganz subjektiven,
7T
) C. S c h u c h h a r d t , Alteuropa, Berlin 1920, S. 27—32.
'") 0. M e n g h i n, Weltgeschichte der Steinzeit, Wien 1M1. S. 148.
10*
Seßhaftigkeit möglich ist? Eine jagdgünstige Lage und das streng eiszeitliche
Klima haben also die Aurignacien-Solutreen-Jägerseßhaftigkeit verursacht.
Ein zweites Kennzeichen der Aurignacien-Solutreen-Seßhaftigkeit ist die
mit ihr verbundene wirtschaftliche Wichtigkeit der Frau. Infolge der er-
schließbaren Verlegung der männlichen Arbeitskraft auf die Jagd, infolge
der Bindung der männlichen Gruppe an auswärtige Arbeit fiel zweifellos der
weiblichen Gruppe all das an Arbeit zu, was mit Hütte und Herd, mit zeit-
gebotener Höchstausnutzung der erlegten Fleisch- und Pelztiere zu Speise
und Vorrat, für Kleidung und Hüttenschutz zusammenhing. Mehr als von der
Menge der Jagdbeute hing in den schweren Zeiten der Vergletscherung der
Fortbestand der Jägerhorde von dieser haushälterischen Höchstauswertung
der vorhandenen Existenzmittel ab. Solcherart war die Frau zweifellos dem
Schwerpunkt der Aurignacien-Solutreen-Jägerwirtschaft nähergerückt.
Die Frau gewann auch in gesellschaftlicher Hinsicht um so mehr Be-
deutung — und das bildet das dritte Kennzeichen der Aurignacien-Sotutreen-
Seßhaftigkeit —, als mit der Seßhaftwerdung natürlicherweise der „Zu-
sammenschluß blutsverwandter Gruppen in Abstammung von einer gemein-
samen Mutter", ja auch von einer gemeinsamen Ahn- oder Stammutter her
Hand in Hand gehen mußte. Bildnisse eines solch weiblichen Anfangs als
Zeichen des inneren Zusammenschlusses der seßhaften Jägerhorde könnte
man entsprechend dem Tofemverband der wandernden Jäger in den jung-
paläolithischen Frauenstatuetten sehen.
Mit einer solchen Auffassung tragen wir einerseits den aufgeschlossenen
Wirtschafts- und Gemeinschaftsverhältnissen Rechnung, entsprechen anderer-
seits auch den Eindrücken, welche wir unmittelbar bei Betrachtung der
Statuettchen von ihnen gewinnen und verfallen auch nicht in eine unsach-
liche Modernisierung ihres Gedankeninhaltes. Damit gewinnen auch gewisse
rätselhafte Einzelheiten der Fundumstände eine ungezwungene Erklärung,
beispielsweise die Tatsache, daß die osteuropäisch-nordasiatischen Frauen-
figürchen sich immer unfern der Hüttenwand, sogar in eigenen Nischen und
Vertiefungen gefunden haben, was für eine besonders sorgfältige Verwahrung
spricht, die ihrerseits wieder zu einem kultisch umrahmten Ahnmutterbild
sehr gut paßt. Die Figürchen erweisen sich mit ihren zugespitzten Fußenden
auch geeignet, entweder in die Erde oder in ein Gestell gesteckt zu werden,
was ebenfalls einem Kultbild entspräche. Ich denke auch, daß bei den Malta-
figürchen das Loch nicht zu einem ganz unnatürlichen, kopfabwärts ge-
wendeten Auffädeln, sondern vielmehr zu einer aufrechten Befestigung
mittels eines Stiftes an der Hüttenwand gedient haben könnte. Im selben
Blickwinkel betrachtet, erklärt sich auch, daß in Kostjenki I, in den offen-
sichtlich unter Zwang verlassenen Wohngruben, die Statuetten in einem Zu-
stand zurückgeblieben sind, als hätte man sie mit Gewalt zertrümmert, um die
zum Haus zugehörigen, hier bisher schützenden Ahnmütterbilder zu ver-
nichten. Meines Erachtens läßt sich weiter die Sorgfalt für Frisur und Kopf-
putz bei einem mütterlichen Symbol der beginnenden Sippenbildung gut
begreifen, nachdem uns von heutigen Primitivvölkern bekannt ist, welch
große Rolle die Haartracht bei der Sippenkennzeichnung spielt. Unter
gehen von Geschlecht zu Geschlecht über. Dem Dzuli wird die Hütte anver-
traut, wenn man auszieht zur Jagd. Heimgekehrt, füttert man ihn mit Grütze
und Fett und spricht dabei: „Mach, daß wir gesund bleiben, mach, daß wir
viele Tiere erschlagen!*' Darin drückt sich die jagdmagische, aber auch die
auf das körperliche Befinden einwirkende Kraft der Ahnmütter aus. Psycho-
logisch liegt dem zugrunde, daß man die Frau besonders während der
Schwangerschaft als Sitz und Ausgangspunkt wirksamer magischer Kräfte
fühlt und erkennt
h2
) D. K. Z e l e n i n , Kui't ongonov v Sibiri, Moskau—Leningrad 19HG, S. 259 R*.
Grube, deren Ausmaße seinem Körper entsprachen, auf der rechten Seite
liegend, die Hände unter dein Kopf, die Beine stark angezogen, bestattet
worden. Die Grube war mit einem Haufen von Steinen bedeckt. Es fanden
sich keine Grabbeigaben. Doch ist die Zeitstellung des Grabes schichtenmäßig
erhärtet. Das Ergebnis der anthropologischen Untersuchung84) ist folgendes:
Nach Beckenknochen und Schädel zu urteilen, ist das Skelett männlich. Das
Alter ist nach den Schädelnähten nicht zu bestimmen. Die abgekauten Zähne
weisen auf ungefähr vierzig Jahre hin. Der Hirnschädel ist verhältnismäßig
groß, das Gesicht niedrig. Mit 168 cm Höhe steht das Skelett über dem Mittel.
Nach dem Gesamthabitus zu schließen, ist der Mensch von Fatma-Koba ein
Altmensch. An den Neandertaler erinnern bloß die Derbheit der Knochen,
die Formung einiger Muskelansatzstellen an den Langknochen und die Größe
der Epiphysen.
Die Zuteilung des Altmenschen aus Fatma-Koba zu einer der altmensch-
lichen Typen ist schwierig. Das niedrige Gesicht, der hohe Nasenrücken und
das starke Hervortreten der Nasenknochen sind Kennzeichen der Cro-
Magnontype, wozu auch die Ausmaße und die Formung der Glieder passen,
aber wesentlich abweichend von ihr erweist sich die Mezognathie. Mit dieser
Eigenheit steht der Mensch von Fatma-Koba den negriden Schädeln aus den
Grimaldi-Grotten und aus dem westlichen Mittelmeergebiet nahe.
Wenn ich von kulturkundlicher Seite hinzufüge, daß die gesamte jung-
paläolithische Entwicklung der Krim die Eigenheit des Miftelmeergebietes
zeigt, indem Solutreen und Magdalenien fehlen, dafür aber die aurignacien-
artige Kultur in gleichförmiger Entwicklung die gesamte Epoche des Jung-
paläolithikums erfüllt, wenn ich also berechtigterweise dem Capsien Nord-
afrikas und Spaniens, dem Grimaldien der Apenninenhalbinsel ein Sjurenien
der Krim an die Seite gestellt habe85) und damit die Gleichartigkeit der Kul-
tur des Mittelmeerkreises im Gegensatz zu der des Binnenlandes zum Aus-
druck bringe, ist eigentlich ganz folgerichtig, daß auch in der Kunst ein über-
einstimmendes Abweichen von der Binnenlandskunst bemerkbar und als
neue Kunstrichtung, getragen von den stromaufwärts vorrückenden Men-
schen, in den späten Werken der jungpaläolithischen Kunst Osteuropas fühl-
bar wird. Kulturkundlich findet diese Ansicht schließlich in dem raschen und
weiträumigen Umsichgreifen der späten Capsienkultur als Tardenoisien eine
Bestätigung.
L i s t e d e r Ab k ü r z u n g e n.
Abhandlungen = Abhandlungen der II. Internationalen Konferenz der Assoziation für
das Studium des europäischen Quartärs, Lieferung V, Leningrad — Mos-
kau 1935.
Dorodovoe = Dorodovoe obscestvo, IGAIMK 79, Moskau — Leningrad 1934.
ESA = Eurasia Septentrionalis Antiqua, Helsinki.
IGAIMK == Izvestija Gosudarstvennoj Akadeniii Istorii Materiäl'noj Kul'tury
Moskau — Leningrad.
F. G. D e b e c . Tardenuazskij kostjak,iz navesa Fat'ma-Koba v Kryniu.
1936, 2, Moskau, sH1^4— 165.
F. H a n g a r , a. a. 0. S. 193 f.
N a c h w e i s de* r A b b i l d u n g e n .
Tafel l nach P. P. Jefimenko, 2enskie statuetki orin'jakskoj epoch u. SGAIMK 1931,
7. Moskau—Leningrad.
Tafel II nach S. N. Zamjatnin, Paleolit SSSR, IGAIMK 118, Abb. 22.
Tafel III nach S. N. Zamjatnin, a.a.O., Abb. 23.
Tafel IV 1—4 nach S. N. Zamjatnin, a.a.O., Abb. 24, 25; nach L. Sawicki, Materials
do znajomosci prehistorji Rosji, Taf. VII, Poznan 1928.
Tafel V l, 4 nach M. M. Gerasimov, Raskopki paleoliticeskoj stojanki v Mal'te, Paleolit
SSSR. IGAIMK 118, Abb. 5, 7; 3 nach V. I. Gromov, 0 vnesnem viele pescernogo
l'va v svjazi s nekotorymi archeologiceskimi nachodkami, PGAIMK 1935, 1—2,
Abb. 1. 2; 2, 5 nach A. Salmony, Die Kunst des Aurignacien, Sibirien, IPEK 1931,
Berlin 1931, Tafel 1/28-32, 6.
Tafel VI 1—4, 6 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 28. 29, 3, 30; 5 nach A. Salmony,
a. a. 0., Taf. 11/22—24.
Tafel VII nach M. Rudins'kij, Viznaenisi serii kistjanich virobiv Mizins'koi paleoliticno'i
stacii v osvitlenni Fedora Vovka, KÜ'v 1931, Taf. XVI, XVII; 3 nach Fedorovs'kij,
Instrukcii ta programi, Charkiv 1927, Abb. 6.
Tafel VIII l nach A. V. Gorodcov Archeologija, Kamennyj period, 192B, Abb. 56, 57; 2, 3
nach M. Rudins'kij, a.a.O., Taf. XIV/4, 5.
Tafel IX nach Rudins'kij, a.a.O., Taf. XI/1, XU/1.
Tafel X nach Rudins'kij, a.a.O., Taf. XI/2, XU/2, XV/1, 2—5.
Tafel XI l nach Rudins'kij, Les trouvailles paleolithiqucs dOzarynei, Recueil d'etudes
dedie au Dr. W. Demelrykiewicz, Abb. 2; 2, 4 nach A. V, Gorodcov, Soziarno-
ekonomifceskij stroj drevnich obitatelej Timonovskoj paleoliticeskoj stojanki, SET
1935, 3; 3 nach V. Chvojko, Kamennyj period srednego Pridneprov'ja, Tr. XI, Kievsk.
arch, sjezda, t. I, 1901, Tafel XVII.
Tafel XII l nach V. Scerbakivskyj, Bemerkungen über neue und wenig bekannte paläoli-
thische Stationen in der Ukraine, Die Eiszeit IV, Wien 1927, S. 121, Abb. 1; 2 nach
Scerbakivskyj, Eine paläolitbische Station in Honey, Die Eiszeit III, Wien 1920, S. 115,
Abb. VIII und IX; 3 nach 0. Bader, Dve ekspedidi po iziiueniju paleolita v severnoui
Priiernomor'e, S. 1 4. Abb. 2.
Abb. 1 nach l*. P. Joiimonko, Staluctka soljulrcjskogo vremeni s beregov Dona. Materialy
po otnogrufü. T. i l i, vyp. l, Leningrad 1920.
Abb. 2 mich S. N, Zamjalnfn, tiagarino, 1GAIMK 88, Abb. 9.
Abb. :> nach S. N. Zamjalnin, a. a. 0., Abb. 8.
Abb. 4 nach M. M. (ienisimov, a.a.O., Abb. 34.
Abb. ) nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abi). 35.
Abb. ü nach P. P. Jcfimenko, Dorodovoe, 1934, Titelbild.
Abb. 7 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 15.
Abb. «S nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 36.
Abb. 9 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 37.
Abb. 10 nach S. N. Zarnjatnin, JGAIMK 118, Abb. 26.
A. E i n l e i t u n g
Es ist nicht das erstemal, daß der Versuch gemacht wird, altertümliche
Siedlungsformen der Gegenwart zur Klärung vorgeschichtlicher Fragen her-
anzuziehen. Jede Gelegenheit dazu sollte wahrgenommen werden, denn was
jetzt noch die lebende Gegenwart zeigt, wird vielleicht schon in wenigen
Jahrzehnten sich nur noch an Museumsmodellen wesentlich unvollkommener
nachstudieren lassen.
Schon 1925 war mir nahe der ehemaligen serbischen Grenze in einem
ausgedehnten Waldgebiet unmittelbar am Ufer der Save, zwischen dem Dorf
Jamena und dem Jägerhaus Domuskela, eine Gruppe von vier oder fünf
kleinen, rundlich-kuppelförmigen Hütten aufgefallen, die für die Zeiten der
herbstlichen Eichelmast zur Aufnahme des Schweinehirten und seiner" Tiere
bestimmt waren. Leider konnte ich der eigenartigen Hüttenanlage nur im
Vorübergehen Aufmerksamkeit zuwenden. Ich beabsichtigte wohl, auf dem
Rückweg noch einige Aufnahmen zu machen, kam aber nicht mehr dazu.
Im Juni 1939 erfuhr ich in dem Städtchen Apatin von dem Tagelöhner
Baumann, daß sich ähnliche Hütten sogar in großer Reichhaltigkeit am Ufer
der Dräu, nur wenige Kilometer oberhalb ihrer Einmündung in die Donau,
befänden. Meine Erwartungen wurden bei dem? daraufhin unternommenen
Besuch der Stelle nicht enttäuscht. Obgleich sich nicht genau die gleiche Art
der Anlage vorfand, wie sie mir aus dem Savegebiet in Erinnerung geblieben
ist, handelt es sich im Grunde eben doch um das gleiche: Hütten einfachster
Bauart für die Unterbringung der im Freien* aufgezogenen Weideschweine,
und notdürfügeABehausungeri ihrer Hirten, weit außerhalb der ständigen
Siedlung.