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Dr. Fr. Hancar: Zum Problein d. Venusstatuetten i. eurasiat.

Jungpaläolithikuni 85

Zum Problem
der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum
Von Dr. Franz Hancar, Wien.
Entsprechend meiner wissenschaftlichen Aufgabe, einerseits zur Klärung
der Urgeschichte der Ostländer beizutragen und andererseits an ihrem Ein-
bau in den Bereich der allgemein urgeschichtlichen Betrachtung und Er-
kenntnis tatkräftig zu arbeiten, verfolgt die vorliegende Studie ein doppeltes
Ziel: 1. Will ich damit eine geordnete Zusammenschau neuer wichtiger Funde
Osteuropas und seiner asiatischen Nachbargebiete geben. Wegen der fast
unübersehbaren Stoffülle, die sich hiezu bietet und die sich keineswegs in
den Rahmen einer Zeitschrift pressen ließe, beschränke ich mich hier auf die
Heranziehung jener Stationen, die niqht nur hinsichtlich ihrer Lebensweise,
der Wirtschaft und Gemeinschaft des Jungpaläolithikums aufschlußreich
erscheinen, sondern außerdem zugleich durch ihre Kunstwerke willkomme-
nen Einblick in die Geisteshaltung dieser frühen Menschheit gewähren.
2. Will ich versuchen, das vorgeführte Material im Sinne allgemein urge-
schichtlicher Probleme der jungpaläolithischen Kunst, vor allem hinsicht-
lich des \Vesens der jungpaläolithischen Venusfigürchen, auszuwerten1).
Wenn ich damit die Kunstwerke in den Brennpunkt der Betrachtung
rücke, hat das seinen Grund darin, daß gerade diesen altmenschlichen Aus-
drucksformen des geistigen Lebens besondere Aussagefähigkeit zukommt.
Denn auf solch früher Stufe der menschlichen Entwicklung konnte die Kunst
noch nicht jene eigentümliche, entartende Abschließung erlitten haben, durch
die sie auf den Kreis weniger Verstehender beschränkt und zur entbehrlichen
Lebenszutat einzelner gemacht wurde; sie mußte vielmehr noch echte, das
heißt mit den Bedürfnissen der Gemeinschaft wurzelhaft verbundene Aus-
drucksform sein, entsprossen aus den Aufgaben, die ihr Zeit und Gemein-
schaft stellten, gewachsen und entfaltet durch Beifall und Zustimmung, die sie
aus den Herzen dieser Gemeinschaft empfing, und solcher Art wahrhaft
dienend der Gemeinschaft Muß damit die urgeschichtliche Kunst nicht im
gesteigerten Maße ungeschminkte .Selbstdarstellung der Geistigkeit, unmittel-
barer Ausdruck der erreichten Weltanschauung, des herrschenden Lebens-
gefühls und der zusammenschließenden Lebensgesinnung, muß sie nicht
eine wesentliche Erscheinungsform des Mythus ihrer Zeit und ihrer Gemein-
schaft sein?

Es ist derzeit unmöglich, eine auch nur annähernd richtige Zahl der
jungpaläolithischen Fundplätze der UdSSR zu geben. Die Errichtung von
großen Industrieanlagen und Elektrizitätswerken, der Bau von Staubecken
J
) Kleinere Arbeiten verwandter Art: E. A. ü öl o 111 s b t o k , Trois tfiseinenls du
paleolitiquc superieur Kusse et Siborien, L'AntbropoJogie XLI1I, Paris 193H. S. 338—3-JO;
M. . ß u j k i 11, Some reflections on the Aurignacian culture and its female statuettes,
ES A IX. Helsinki 19H4. S. 113—122.

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86 Dr. Fran Ha near:

und Kanülen bringen im Laufe der vorausgehenden, weiträumigen Gelände-


untersuchungen sowie im Zuge der Erdarbeiten immer neue Fundplätze zu-
tage. Der von N. i. Berezin 1936 in seinem Nachschlageverzeichnis zum Paläo-
lithikum der SSSR2) gegebene Stand von 94 jungpaläolithischen Stationen ist
25° Sstl.l. v. Greenwich

55'

50*

Karte*) der altsteinzeitlichen Fundstellen in Europäisch-Rußland:


Frühes und mittleres D jungpaläolithische tm Tardenoisien-Station
Altpaläolithikum Station
Mousterien-Station Azilien-Staü'on Campignien-Station
M, R, W, B — Eisrand des Mindel-, Riß-, Wurm- und Bühl-Eishochstandes. —
*) Genommen aus F. Hancar, Urgeschichte Kaukasiens von den Anfängen seiner
Besiedlung bis in die Zeit seiner frühen Metallurgie, W.ien-Leipzig 1937. Mit Ergänzungen.
2
) N. I. B e r e z i i i , Spravocnik po paleolitu SSSR, Akademija Nauk SSSR, Moskau-
Leningrad 1936 bringt von den palädlithischen F.iuidorten des europäischen Rußlands,
Nordasiens und d£s> Fernen Ostens folgende Angaben in tabellarischer Übersicht: Gebiet
der Station, Name und Art derselben, genaue Ortslage, Bezeichnung der Kultur, Vertreter
der Tierwelt, Name des Entdeckers, Namen der Ausgräber, Aufzählung der zugehörigen
Literatur, derzeitiger Verwahrungsort der Fundgegenstände, Nummer des Meßtischblattes

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Zum Problem der Veuusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 87

Erläuterungen zur nebenstehenden Karte der aitsteinzeitlichen Fundstellen


des europäischen Rußlands.
I. Dnjestr-Gebiet: 44. K i r i l l o v s k a j a u l i c a (Kiev)
1. Bakota 45. Protasov Jar
2. Staraja Usica 46. Selisce
3. Kolaökovicy (Nordstation) 47. Charkov-Gebiet (siehe 65.)
4. Kolackovicy (Weststatkm) 48. Poltava-Oebiet (6 Stationen)
. Kuzeleva 49. Krivoj Rog
6. Kitaj-gorod l 50. Kodak
7. Kitaj-gorodll 51.
8. Sokol 52. • \ Jamburg
9. Studenica 53. Majorka
10. Vrublevicy 54. Kajstrova ßalka I, 11
11. Bagovicy 55. Dubovaja Balka
12. Kai jus. * 56. xOsokorivka.
57.
U. Dnjepr-(Soz-Desna-Pripjat-) Gebiet:
13. Dovhinici JII. Don-Donec-Gebiet:
14. Iskorost 58. G a g a r i n o
15. Nov.-Bychov 59. Börsevo I, II
16. Pripjatufer 60. K o s t j e n k i I — V
17. Jurovici 61. Öubnoe
18. Latki 62 Izjum (siehe 65.)
19. Gamkovo 63. Rogalik
20. Grensk 64. Derkul
21. Cerikov 65. Lugansk-Gebiet (Am Donec von Lu-
22. Kleevici gansk über Izjum bis Charkov 24 Sta-
23. Propoisk tionen)
24. Berdyz 66. Krasnyj Jar
25. Cecersk 67. Kamenskaja
26. Sozufer 68. Taganrog.
27. Novye Bobovici
28. Gremjaceje IV. Wolga-Oka-Gebiet:
29. J e l i s e e v i c i 69. Sobolevskaja
30. T i m o n o v k a 70. Karacarovo
31. Suponevo 71. Jelin Bor
32. Kurovo 72. Rjasan-Gebiet (3 Stationen)
33. Smjacka 73. Saratov-Gebiet (7 Stationen)
34. Puskari 74. Stalingrad-Gebiet (2 Stationen)
35. Degtjarevo 75. Astrachan-Gebiet (6 Stationen).
36. Culatovo
37. M e z i n V. Krim:
38. Sapovalovka 76.—154. Siehe Karte L/1—79 bei F.
39. Suckino Hancar, a.a.O., S. 32f.
40. Sergeevka
41. 2uravka VI. Kaukasien:
42. Vjazovka 155—184. Siehe Karte II. bei F. Hancar,
43. H o n c y a. a. 0., S. 70 f.

bereits bedeutend überholt. Dies kann auch hinsichtlich jener jungpaläo-


lithischen Fundorte, aus denen Kunstwerke gehoben wurden, der Fall sein,
deren Zahl sich nach den letzten Nachrichten auf 12 beläuft. Es sind dies
auf osteuropäischem Boden: Kostjenki I, Gagarino, Jeliseevici, Mezin,
Timonovka, Kiew-Kirillovskaja ulica, Ozarynci, Kolodja^ne, Melitopol und
Honcy; in Sibirien Malta und Bureti.
der kriegs-topographischen Karte. Wenn wir in diesem Nachschlageverzeichnis auch die
sehr erwünschten Hinweise auf die führenden Stein- und Knochengerätfornien und auf
die besonderen Fundumstände vermissen, wenngleich die sehr notwendige Übersichts-
karte fehlt wenn auch die LHeraturangaben keinerlei Vermerke hinsichtlich des Ranges
der Druckwerke als Erstberichte oder als weitere Bearbeitung geben und wenn sie auch
an Genauigkeit der Anföbrungen zu wünschen übrig lassen, stellt das Buch doch einen
äußerst brauchbaren Studienbehelf dar.

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88 Dr. Franx Hnnfar:

Es ist selbstverständlich, daß das Jungpaläolithikum Osteuropas und


seiner asiatischen Nachbargebiete auf Grund der weitgehend einheitlichen
Naturbedingungen in der Eiszeit unseres Erdteils und auf Grund einer noch
weitgehenden Einheitlichkeit der eurasischen Menschheit viele kulturelle
Gemeinsamkeiten mit dem gleichzeitigen Mittel- und Westeuropa auf weist,
ohne aber besondere und kennzeichnende Eigenheiten zu entbehren.
Das jungpaläolithische Siedlungsgebiet zeigte gegenüber dem, was wir
heute als osteuropäisch-nordasiatischen Lebensraum bezeichnen, eine ganz
bedeutende Einschränkung. Seinen Norden bedeckten gewaltige zusammen-
hängende Inlandeismassen, die einerseits vom skandinavisch-finnischen Nähr-
gebiet über die Ostsee auf das nordrussische Flachland übergriffen und zur
Zeit des Eishöchststandes in der Dnjepr- und der Donzunge weit nach Süden
vorstießen, andererseits vom nördlichen Ural oder weiter östlich von der
Hochfläche der Taimyr-Halbinsel her sich südwärts ausbreiteten und mehr
oder weniger geschlossen ganz Jakutien (das Plateauland an der Lena)
überzogen; gleichzeitig schoben die hohen Kettengebirge des Südrandes —
Kaukasus, Altai, Sajan, Jablonoj- und Stanovoj-Gebirge — ihre Gletscher-
massen von alpinem Typus weit in ihre nördlichen Vorländer hinaus; und
schließlich wies der verhältnismäßig schmale, eisfrei bleibende Flachlands-
streifen dazwischen mit den breiten, weithin sumpfbegleiteten Stromläufen,
mit dem ausgedehnten, bis unfern von Kasan nordwärts reichenden Kaspisee
und dessen zeitweiliger würmeiszeitlicher Verbindung einerseits über die
Manyc-Niederung zum Schwarzen Meer und andererseits durch den Usboj
zum ebenfalls ausgedehnten Aral-Binnen-Meer wesentlich andere, die
Siedlungsmöglichkeit bedeutend einschränkende Bewässerungsverhältiiisse
auf. In dieser wasserreichen, zu einem Großteil vom langen, viele tausend
Kilometer sich hinziehenden Eisrand begleiteten Landschaft gestalteten sich
die bedeutenden Ausmaße der Lößanhäufungen besonders unfern jener
Strom- und Flußstellen, wo die anstehenden Kalkbänke Steilufer bildeten,
zur geologischen Sonderheit Osteuropas und Sibiriens, aber auch zum Segen
schon jener Menschen, die unter den eiszeitlichen Lebensschwierigkeiten hier
hausten. Was Höhlen und Felsschutzdächer dem westeuropäischen Eiszeit-
menschen natürlicherweise an Wärme und Wetterschutz boten, gewährten die
viele Meter dicken Lößlagen seinem osteuropäisch-sibirischen Zeitgenossen
in den künstlich erschlossenen Hohlräumen, den typisch jungpaläolithischen
Wohngruben. Von diesem Standpunkt aus müssen die meisten osteuropäisch-
sibirischen Siedlungsplätze der jüngeren Altsteinzeit als Lößstationen be-
zeichnet werden. Fast immer lagern' die Kulturreste im Löß, der sie auch in
10 und mehr Meter Mächtigkeit überlagert3). Am Oberlauf des Don, wo der
typische Löß nicht vorkommt, finden sich dafür lößartige Ablagerungen ge-
ringerer Dicke.
Für die örtliche Lage der osteuropäisch-sibirischen Stationen des Jung-
paläolithikums jsj: kennzeichnend, daß sie unfern wasserreicher Flüsse und
3
) Die Station von Kirillovskaja Ulica in Kiew (siehe hier S. 137 ff.) z. B. wurde
unter 20—22 m dicken, lößartigen Schichten aufgedeckt.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasialischen Jungpaläolithikum 89

Ströme, fast immer am Ausgang schluchtenartiger Nebentäler, am Fuß der


Talwand oder der steilabfallenden Uferhöhen, windgeschützt gegen Norden
zu finden sind. Doch dürfte diese Vorliebe für die Steiluferstrecken der
Wasserläufe auch darauf zurückgehen, daß die auffallenden Felsabstürze
die Treibjagd auf Mammut, Pferd und Ren wesentlich zu erleichtern ver-
mochten und daß außerdem die osteuropäisch-sibirischen Kalk- und Kreide-
aufschlüsse gewöhnlich vorzüglichen Feuerstein von dunkler Farbe in
reicher Menge enthalten.
In der räumlichen Verteilung zeigen die jungpaläolithischen Wohnplätze
Osteuropas eine deutliche Bevorzugung der Rißmoränen (siehe Karte). Nord-
wärts reichen sie, soweit \vir es heute wissen, ungefähr bis an die Oka und
den Oberlauf des Dnjepr. Nachdem Mammutreste aber auch weiter nördlich
im Moränengebiet der Waldai-Höhe angetroffen wurden, erscheint nicht aus-
geschlossen, daß selbst hier noch Spuren des jungpaläolithischen Menschen
aufgedeckt werden.
L
K o s t j e n k i I— Poljako v -Station4).
Mit dieser Doppelbenennung, einerseits nach dem Dorfe Kostjenki
(30 km südlich von Voronez), in dessen Bereich jungpaläolithische Reste
aufgefunden wurden, und andererseits nach dem ersten Ausgräber J. S. Pol-
jakov, bezeichnet die russische Urgeschichtsforschung eine aufschlußreiche
und seit langem bekannte jungpaläolithische Siedlungsstelle. Das rechte
4
) D e - B r u i n . Putesestvie v Moskoviju, 1701 g.; G m e l i n , Putesestvie po Rossii
dlja issledovanija trech carstv jestestva, 1768 i 1769 gg.; I. S. P o l j a k o v, Antrop.
poezdka v centr. i. vost. Rossiju. Pril. k t. XXXVII. Zap. Akad. Nauk; A. I. K e s i j e v ,
Paleolit. kucbonii. ostatki v s. Kostjenkach. Drevnosti. Trudy Mosk. arch, o-va, t. XI, v. 11.;
A. S. U v a r o v , Kamennyj period, t. II. Moskva, 1881; S. N i k i t i n e , Sur la constitution
des depots quatarnaires en Russie et leur relations aux trouvailles resultant de l'action
de l'honime prehistorique, Congrfcs international d'Archeologie prehistorique et d'Anthro-
pologie ä Moscou, t. II.; P. P. J e f i m e n k o , Kostjenovskaja paleoliticeskaja stojanka.
Jezegodn. Russk. antr. o-va, t. V, 1915; A. A. S p i c y n , Russkij paleolit, Zapiski russk.
i slav. archeol. Russk. arch, o-va, t. XI, 1915; A. V. G o r o d c o v , Archeologija, 1.
Kamennyj period. Moskau-Leningr. 1923; B. N. V i s n e v s k i j , Doistoriceskij celovek v
Hossii. Priloz. k knige Osborna „Celovek drevnego kamennogo veka", 1924; S. R e i n a c h ,
line nouvelle statuette feminine en ivoire de Marnmouth. L'Anthropologie 34, Paris 1924:
P. P. J e f i m e n k o , Nekotorye itogi izucenija paleolila SSSR. Celovek, No. I. Leningrad
192S; J. V. Gofje, O c e r k l po istorii materiarnoj kul'lury Vosi. Jevropy. T. l, 1925;
P. P. J e M n i e n k o, Kostjenki i, SGAIMK 1931, 11—12; P. P. J e f i m e n k o , Znacenie
zensciny v orin'jakskuju epochu, IGAIMK, t. XI, v. 3—4, 1931;-P. P. J e i i m c n k o ,
PaI'*oW SSSR. Itogi i perspeklivy jego izucenija, SGAIMK No 3, 1931; P. P. J e f i -
in o n k o, Iz issledovanij v oblasti paleolita SSSR za posledni* gody, SGAIMK 1932, 9—10;
V. I. G r o m o v . O geologii i faune paleolita SSSR, PGAIMK 1933, 1—2; P. P. J e f i -
n j e n k n . Dorodovof» ohscestvo, IGAIMK v. 79, 1934; P. P. J e i i m e n k o, Itogi rabol
v Kctötjenkarh. PGAIMK 1934, 4: V. I. G r o m o v , Novye dannye o Faune iz paleoliticc-
skoj „stojanki Poljakova" (Kosljenki 1). PGAIMK 1934, 9—10; P. P. .1 e f i m e n k o, Die*
paläoHlliisrhen Stationen der osteuropäischen Ebene, Abhandlungen; V. I. G r o m o v ,
NVko«orye riovye dannye o Faune i geologii paleolita Vost. .Je v ropy i Sihiri. Paleolit SSSR,
11S, 1935.

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90 Dr. Franz Hancar:

Donufer entlang zieht sich hier ein steilabfallendes, niedriges Kalkplateau,


zertalt von einer Reihe kurzer, vielfach schon in der Eiszeit fertig geformter
Schluchten, die auch das 5 km lange Straßendorf Kostjenki in Teile zer-
legen5). Die gleichen Verhältnisse zeigt der nordwärts anschließende Ort
Borsevo, mit dem Kostjenki fast zusammenwächst. Das Gelände beider Ort-
schaften ist mit altsteinzeitlichen Kulturresten buchstäblich gesättigt. Es er-
scheint nicht ausgeschlossen, daß der Ortsname Kostjenki auf die auffallende
Durchsetzung des Bodens vor allem mit Mammutknochen zurückgeht. Die
jungpaläolithische Siedlungsstelle Kostjenki I oder Poljakov-Station liegt im
Pokrovskij-Log, der bedeutendsten Schlucht im Ortsbereich von Kostjenki,
in einer Talweitung, die unmittelbar hinter der merklich verengten Mün-
dung der Schlucht in den Don anschließt und beiderseits von den hohen
Felsstufen.der zerschnittenen Kalkbänke begleitet wird.
Hier wurden 1879 (J. S. Poljakov), 1881 (A. L Kel'sijev), 1889/90 (Mar-
kov, Vejnberg, Stukenberg), 1902 (Kristafovic), 1915 (S. A. Krukovskij),
1922 (S. N. Zamjatnin), 1923, 1926, 1931—1934 (P. P. Jeflmenko) Aus-
grabungen durchgeführt. Ihr Ergebnis ist im wesentlichen folgendes:
Unter einer bis 1,10 m dicken Schwarzerdeschicht stieß man auf einen
festen, lößartigen, gelblichen Sandlehm6) mit Einschlüssen von Kreide-
schottern. Von seinem oberen Horizont angefangen, fanden sich in ihm
Feuersteinsplitter, wahrscheinlich durch die Tätigkeit der Maulwürfe herauf-
geschafft. Die eigentliche Kulturschicht erschloß man erst in 1,40—1,70 m
Tiefe. Sie war 40, 50 und mehr Zentimeter dick, bestand aus dem typischen
Gemenge von Kulturresten, Knochenkohle sowie zerschlagenen und ganzen
großen Knochen hauptsächlich des Mammuts und zeigte nicht nur wie allge-
mein eine dunklere Tönung gegenüber dem hellen Eiszeitlehm, sondern
besaß auch infolge des vorkommenden, offensichtlich als Farbstoff hierher
gebrachten, karmin- und zinnoberroten Ockers eine charakteristische Rot-
färbung.
Von den Ergebnissen, die mit der Verfolgung und Durchforschung
dieser Kulturschicht verbunden waren, erscheinen für uns zwei von beson-
derer Wichtigkeit: Der aufschlußreiche Einblick in die Wohnweise des Jung-
paläolithikers und der Fund von „Venusstatuettchen" und „Tierplastiken".
Hinsichtlich der Wohnweise lieferten die Ausgrabungen ein äußerst
interessantes Bild. Sie deckten die Reste einer großen, fast über eine Fläche
von 12 X 20 m sich erstreckenden Wohnstätte von der Art einer breiten,
flachen Senkung auf, die von einem ganzen Netz eigener Wohn- und Wirt-
schaftsanlagen eingenommen wurde. Der Boden der bloßgelegten Wohn-
stätte zeigte diesbezüglich Eintiefungen verschiedener Art und verschiedenen
Zweckes.
3
) Danach die Bezeichnung der übrigen altsteinzeitlichen Fundstellen mit Kost-
jenki II — Station Anosov-Log, Kostjenki III — Station Glinisce, Kostjenki IV — Station
Alexandrovskij Log, Kostjenki V ohne zweiten Namen.
T J '/·
°) Er ist Abträgiingsprodukt, von den russischen Geologen als diluvial bezeichnet,
und findet sich im ehemaligen Voronez Gouvernement an Stelle des typischen Losses, der
hier fehlt.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikuin 91

Vor allem wurden 1931 zwei Wohngruben festgestellt, breite Mulden von
eirunder Form mit 6 und mehr Meter in der Längsachse und 40 cm Tiefe,
ohne irgendwelche Abgrenzung der einen von der anderen. Ganz ähnliche
Verhältnisse fand man bei der nordöstlich unmittelbar anschließenden dritten
\Vohngrube, die 1933 aufgedeckt wurde. Ein schmaler, abwärts leitender
Gang führte in eine mehr als l m unter der Erdoberfläche liegende, runde
Grube von 2X m Durchmesser, die dem Einlaß gegenüber in eine zweite Erd-
kammer überging, deren Ausgrabung aber 'nicht fertiggestellt wurde. Es
kann sich hier nur um unbedingt zum jungpaläolithischen Wohnplatz zugehö-
rige Winterwohnungen handeln, wie eine von verwandter Art auch zu Lang-
mannersdorf in der Ostmark als „erste eiszeitliche Wohngrube" aufgedeckt
wurde7). Eigentümlich ist, daß, nach den Knochenfunden zu urteilen, die
Doppelwohngrube vom Ostrand der Poljakov-Station auch als Aufbewahrungs-
raum nicht nur für große Mengen von Mammutknochen und Mammutstoß-
zähnen, sondern auch offensichtlich für die ungeheuren Fleischmassen der
Mammutkeulen gedient hat, wie die hier zurückgebliebenen Schulterblätter
und Beckenknochen anzeigen. Für den ursprünglichen Wphnzweck auch die-
ser Grube spricht aber, daß sich hier zwei Herdstellen gefunden haben.
Zu den kennzeichnenden Bodeneintiefungen von Kostjenki I gehören
außer diesen Wohngruben die Herde, regelmäßige, schüsseiförmige Mulden
von fast l m Durchmesser. In jeder Wohngrube fand sich eine Herdstelle.
Deren Wände waren stark gebrannt. Ein Herd zeigte als Besonderheit eine
zugehörige Grube vorgelagert und eine kleine Vertiefung auf seinem Boden.
Die Vorratsgruben und Behälter waren tiefer als die Herde und hatten
gewöhnlich eine kreis- oder eirunde Öffnung von ungefähr l m Durchmesser.
In den Erdboden hinein weitete sich ihr Hohlraum oft bedeutend. Auf ihrem
Grund traf man Teile von Mammutstoßzähnen und Pferderippen als bereit-
gelegten Rohstoff, aber auch fertiggestellte Gegenstände, darunter viele
Kunstwerke, die wir aus Kostjenki I besitzen. Gruben gleicher Form mögen
auch zum Braten des Fleisches und Fettes gedient haben.
Zahlreich waren kleine Aushebungen. Manchmal sahen sie wie Pfosten-
löcher aus*). Pfosten konnten als Stützen des Erddaches gedient haben. Die
unregelmäßige Verteilung dieser kleinen Eintiefungen läßt darüber keinen
Schluß, wohl aber die Vermutung zu, daß sie nicht alle gleichzeitig waren
und daß Abänderungen und Ausbesserungen der Wohnstellen, wobei alte
Pfosten entfernt und neue eingerammt wurden, die heute regellos er-
scheinende Anordnung der Pfostenlöcher mit sich brachten.
Am Rande des großen Wohnplatzes waren Mammutknochen angehäuft.
Schon Poljakov wies darauf hin, daß sie bisweilen wie sortiert erschienen.
Die dicken Schichten von Knochenkohle, die in den Herdstellen aufgedeckt
wurden, beweisen, daß es sich bei diesen Knochenanhäufungen auch um
bereitgestellten Brenn- und Heizstoff handelt. Frische Knochen brennen gut
und unter starker Glutbildung. Eine andere Verwendung der Mammut-
') J. ttayer, Langmannersdorf, Mannus 18, S. 70—Hl.
^) Siehe auch Lang man nersdorf.

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92 Dr. Kranz Hancar:

knochen, wahrscheinlich als Behelfe zu irgendwelchen häuslichen Arbeiten,


zeigen die lotrecht aufgestellten Mammutbeckenknochen unfern einer Feuer-
stelle und die entzweigeschlagenen, mit den Gelenkköpfen nach oben ein-
gerammten Röhrenknochen.
Aus den Tatsachen heraus, daß die Kulturschicht auf einer Linie scharf
in die Waagrechte auskeilte, innen keinerlei Unterbrechung zeigte, daß ihre
Ausmaße für einen einheitlichen Wohnbau aber zu groß wären, schließt
Jefimenko auf das einstige Vorhandensein einer Gruppe sich dicht an-
einanderreihender kleiner Winterwohnstellen, die vielleicht durch eine
äußere Umfriedung, etwa einen Erdwall, zusammengeschlossen waren.
Die bedeutende Menge von Resten des Mammuts und einer großen Pferde-
art neben einer geringen Knochenzahl von Ren, Höhlenlöwe, Fuchs, Eisfuchs,
Wolf, Bär, Moschusochs und Hase kennzeichnen den jungpaläolithischen
Menschen von Kostjenki I vor allem als Mammutjäger. V. I. Gromov weist
auf die interessanten Einzelheiten hin, daß die Mehrzahl der erlegten
Mammute sehr junge Tiere waren0), daß der in Europa seltene Moschusochse
hier erstmalig in der Beute vorkommt10) und daß die Reste des Höhlen-
löwen und des Bären in Knochen der Vorder- und Hinterpfoten beziehungs-
weise der hinteren Tatzen bestanden, die kennzeichnender Weise in un-
gestörter anatomischer Folge aufgedeckt wurden, Ähnlich haben sich auch
Wolfs-, Eisfuchs- und Hasenpfoten gefunden. Es kommen auch andere Ske-
letteile dieser Tiere unter den Knochenresten von Kostjenki I vor.
Die Waffen und Geräte des Mammutjägers von Kostjenki I lassen in der
Klarheit und Regelmäßigkeit ihrer Formen, in den Ausmaßen der Klingen,
in der guten, sicheren Retusche sowie in der Wahl des ganz ausgezeichneten,
dunklen, nicht örtlichen Kreidefeuersteins1'1) die Höhe der Flinttechnik, aber
auch den Spät-Aurignacien-Charakter von Kostjenki I erkennen. Das kenn-
zeichnende Gerät ist eine Kerbspitze mit Flächenretusche an den Enden.
Ihrer Form nach steht sie den atypischen Kerbspitzen aus Willendorf und
Pfedmost sehr nahe, übertrifft sie aber an Länge (8—12 cm) ganz bedeutend.
Besondere Aufmerksamkeit erwecken selbstverständlich die Kunst-
werke aus Kostjenki I. Bisher1-) wurden gehoben: Aus Mammutstoßzahn —
eine fast vollständige Frauenstatuette (es fehlt nur der Kopf), eine stärker
beschädigte und eine in Bruchstücken; aus festem Kalkstein: eine fast ganz
erhaltene Frauenfigur; aus weichem Stein: runde „Medaillons mit dem Zeichen
des weiblichen Geschlechtes"; auf einer Sandsteinplatte die eingravierte
Darstellung eines Weibes; aus Mergel: drei, ganz erhaltene Frauen-
statuettchen, zahlreiche Bruchstücke von solchen und einige Tierfigürchen.
ö
) Eine naturwissenschaftliche Seltenheit stellen die sieben „Milchstotözähue"1 dar,
30
) Ein zweitesmal fand er sich in Mezin, einer jüngeren Paläolithstation.
u
) Es ist hierzu eine kennzeichnende Tatsache, daß in allen Stationen von Kostjenki
und dein benachbarten Borsevo sowohl Feuersteinknollen als auch Nuklei und Koliüonnen
fehlen. Die Feuersteingeräte müssen also anderenorts* das heißt wohl an der Stelle der
Flintgewinnung herstellt worden sein. Eine 1933 durchgeführte Begehung der weiteren
Umgebung von Kostjenki hat aber weder Feuersteinausgänge noch Werkstätten gefunden.
12
) Erforschungsstand der Poljakov-Station von 1935.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasialischen Juiigpaläolilhikum 93

Sie alle verdienen nach Form und Fundumständen unser besonderes


Interesse.
Als formvollendete Schöpfung stellt sich die .1923 durch P. P. Jefimenko
aufgedeckte Frauenfigur dar (Abb. 1), durch die Kostjenki I nicht nur be-
kannt, sondern auch zu einem urgeschichtlichen Begriff wurde13). Sie ist
90.5 mm hoch. Leider fehlen der Kopf und die Beine unterhalb des Knies.
Diese zeigen noch die einstige Verschmälerung, ja Zuspitzung, die das Ein-

i\

Abb. 1. Kostjenki l, Frauenfigürchen (etwa J /i nal. Gr.).


stecken in den weichen Lehmboden ermöglichte. Die Darstellung ist streng
frontal. Stark natursichtige Züge erkennen wir in der Wiedergabe der
birnenförmigen Hängebrüste, des vorgewölbten Bauches, des massigen
Beckens, des Fettwulstes in der Kreuzgegend und der typischen Falten-
bildung des fettleibigen Gesäßes. Daneben erscheinen die Schultern und die
Oberschenkel schmächtig. Die ganz widersprechend mageren Arme ver-
laufen unabgegliedert zu beiden Seiten des Oberkörpers, berühren mit den
Ellenbogen die Hüften und hängen dann in unnatürlicher Verkürzung der
Unterarme und in ebensolcher Verkleinerung der Hände über den Bauch
zu beiden Seilen des Nabels herab. An den Handwurzeln deuten eingeritzte
Querstriche irgendeinen Schmuck an. Auch über der Brust und in gleicher
*') S. K e i n a c h , 1,'nc nouvelle statuette fnmnim.· <· ivoir de Mammouth, L Anthro-
pologie 34. Parh 1924, S. 840—350. P. P. J e f i i n e n k o, Statuetka soljuliejskofio vrcni«*ni
t: b«-n>iiov Dona, Materialy po Etno<£rafii I I I . Leningrad 1926, S. 1 —14'2.

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94 Dr. Kranz llancar:

Höhe auf dem Rücken sind drei parallele Waagrechte und eine Schräg-
strichelung möglicherweise als Darstellung eines tätowierten Brustgürtels
eingeritzt. An Feinheit der Formgebung, an Weichheit der Linienführung
kommt das Statuettchen an die verwandten Figürchen aus Brassempouy und
Willendorf heran.
Über die Fundumstände dieses Kostjenki-Figürchens berichtet Jefimenko,
daß man in einer Wohngrube, dort, wo die Kulturschicht besonders dick
und gesättigt mit Knochen, Kohle, Feuersteinstücken und roter Farbe war,
unfern des alten Feuerplatzes auf eine ziemlich regelmäßig viereckige Grube
von 50 cm Tiefe stieß. Außer Mammutstoßzahnenden, Pferderippen und ver-
schiedenen Knochengeräten barg sie in ihrer Tiefe auch das angeführte
Venusstatuettchen.
Es ist nun sehr interessant, daß in derselben Wohngrube, deren Bloß-
legung erst 193214) vollendet wurde, an ihrem nordöstlichen Rand in 2 m
Abstand von der Feuerstelle sich eine rundliche Nische von 0,80 m Breite
und 0,50 m Höhe fand, die 1,60 m tief in die Lehm wand hineinging. Ob und
wie sie oben gedeckt war, ließ sich nicht feststellen. Bei ihrer Ausräumung
fiel auf, daß sie außer drei Kunstgegenständen nichts barg. Diese waren:
ein Frauenfigürchen aus Mammutstoßzahn, ein zweites aus Kalkstein und
ein unbestimmter Gegenstand aus Mammutstoßzahn von der Art einer stili-
sierten Menschenfigur (?) mit kugeligem Kopf auf einem langen Stift.
Die elfenbeinerne Frauenstatuette war in schlechtem Erhaltungszustand.
Es fehlte der Kopf. Doch läßt sich am Genick erkennen, daß ein Kopfputz
oder eine Frisur vorhanden war. Mit feinen Einritzungen ist ein Hals-
schmuck, von den Schultern zur Brust herabhängend, wiedergegeben.
Das steinerne Rundbild, das einst zweifellos mit-Absicht und Gewalt auf
vier Stücke zertrümmert und danach offensichtlich nachlässig in die Nische
•Vti-^ .·;!··. °

geworfen worden war, ließ sich fast vollständig .zusammensetzen (Taf. I).
Diese Statuette ist die bisher größte der'russischen Venusfigürchen15). Sie
mutet in ihrer Ausführung wie ein erster Entwurf an, so roh sind die Formen
umrissen. Dies könnte natürlich auch im harten Rohstoff begründet sein.
Das Rundbild zeigt den typisch vorgesunkenen, gesichtslosen Kopf, den
ebenso charakteristischen, massig fetten Unterleib und die Wiedergabe der
Beine abermals nur bis zum Knie. Die Arme lassen sich bloß in ihrem Ober-
teil als unabgegliedert vom Oberleib erkennen. Trotz der ausgebliebenen
Fertigstellung verrät das Figürchen eine unglaublich ziel- und treffsichere
Künstlerhand. Daß es als Werk, mit bereits wirksamem innerem Gehalt ge-
wertet wurde, beweist sein Zusammensein mit'der vollendeten Elfenbein-
figur in dem besonderen Behälter der Wohngrube.
Außer diesen beiden Rundbildern fanden sich an verschiedenen Stellen
derselben Wohngrube zahlreiche Bruchstücke kleinerer, ebenfalls ziemlich
grob ausgeführter Frauenfigürchen (Köpfchen, Rumpfteile u. dgl.) aus festem,
34
) P. P. J e f i m e n k o , SGAIMK 1931/11—12,'S. 60.
1&
) Die genauVGröße ist in den Veröffentlichungen nicht angegeben. Doch erwähnt
H. K ü h n (Neue weibliche Eiszeitstatuetten in Rußland, IPEK 1931, S. 65) ihre etwa
30 cm betragende Höhe.

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Zum Problem der Venusstatuetlen im eurasiatischen Jungpaläolithikum 95

Taf. J. Kostjenki J, Frauenfigürchen (etwa % nat. Gr.).

bläulichem Mergel (Taf. IV, 5)J/i)· Von einer aus ihnen ist wichtig zu er-
wähnen, daß sie unter dem Gesäß ähnliche Längsstriche zeigt wie die Venus
von Lespugue.
"') Ks dürfte dies das Statuettehen aus der Sammlung Krukovskij sein, das Jefi-
menko in Dorodovo*» S. 355 als gleichartig erwähnt.

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96 D*'· Franz I f a n C a r :

Eine ebenfalls 1932 gefundene „kleine Sandsteinplatte mit der ein-


gravierten Darstellung eines Weibes, ähnlich dem Typus der weiblichen
Figuren von Laussei"17) sowie die steinernen „Medaillons mit dem eingeritz-
ten Zeichen des weiblichen Geschlechtes"1*) haben bedauerlicherweise noch
keine genaue Veröffentlichung, ja nicht einmal eine erweiterte Erwähnung
in der Literatur von Kostjenki I gefunden. Darstellungen verwandter Art
dürften die Vulvazeichnungen aus LaFerrassie sowie die aus Grübchen ge-
bildeten Symbole des weiblichen Geschlechtes sein, die im Felsschutzdach
Blanchard I entdeckt wurden.
Zur Abrundung des allgemeinen Bildes der angeführten Schöpfungen
darstellender Kunst ist nötig, noch folgendes zu bemerken: Die Wohngrube,
aus der alle angeführten Frauenflgürchen stammen, zeigte einerseits eine
verhältnismäßige Armut an Funden, andererseits lieferte sie aber besonders
wertvolle Dinge entweder im Versteck oder absichtlich zerstört. Beispiels-
weise fand sich eine größere Zahl guter Feuersteinklingen auf einem
Häufchen beisammen unter einem größeren Mammutknochen versteckt, und
die Frauenfigürchen erwiesen sich durchwegs absichtlich zerschlagen. Jefi-
menko gewinnt daraus den Eindruck, daß man diese Wohngrube nicht ein-
fach verließ, wie etwa die jungpaläolithischen Jäger von Langmannersdorf
taten, die daher zu einem zweiten Winterlager in ihre Wohnung zurückkehren
konnten, sondern daß die Leute der Poljakov-Station ihre Wohnstätte vor
dem Verlassen verwüsteten und das zurückbleibende Gut zerstörten. Zweifel-
los sind Anzeichen für ein endgültiges, zwangsläufiges Aufgeben des Wohn-
platzes vorhanden.
Die Ausgrabungen 1933 vermehrten den Bestand an Mergelfrauen-
figürchen um zwei ganz erhaltene und um zahlreiche Bruchstücke, alle eben-
falls aus einer Wohngrube gehoben.
Die Ausgrabungen 1934 schneiden durch den Fund von Mergeltier-
figürchen10) insofern ein interessantes Problem an, als neben der grob sche-
matisch wiedergegebenen Darstellung des Mammuts mit kennzeichnend um-
rissenem Kopf und einander genäherten Beinen, neben den stilistisch gleichen
Wiedergaben des Bären und des Höhlenlöwen sich erstmalig in de'r Kunst
des Paläolithikums das Rundbild eines Kamels fand. Wenn die naturkund-
liche Bestimmung des Figürchens stimmt, was man im Hinblick auf die be-
sonders kennzeichnende Gestalt dieses Säugers kaum bezweifeln kann, so
wird damit die herrschende Meinung über den Verbleib des Kamels in der
Würmeiszeit Osteuropas eine Abänderung erfahren müssen. V. Gromova20)
17
) P. P. J e f i m e n k o , SGAIMK 1931/11—12, S. 60; Derselbe, Dorodovoe S. 353.
1S
) P. P. J e f i m e n k o , Abhandlungen V, S. 98. .
Ji)
) P. P. J e f i m e n k o , Dorodovoe S. 357. P. I. B ö r i s k o v s k i j , Polevye
issledovanija GAIMK 1934, SET 1935/2, Chronik S. 163.
**) V. G r o m o v a , Novoe iz istorii cetverticnoj fauny mlekopitajuscich SSSR,
Priroda 1932, 8, S. 747; dieselbe, Novye materialy po cetverticnoj faune Povolzja i po
istorii mlekopitajijscich Vostocnoj Jevropy i ,Severnoj Azii voobsce. Trudy komissii po
izuceniju cetverticnogo perioda. 1932, S. 125; 'V. I. G r o i n o v , Ergebnisse der Forschung
der quartären Säugetiere und des Menschen im Gebiete der UdSSR, Beiträge zur Kennt-
nis des Quartärs der UdSSR, Moskau—Leningrad 1936.

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Zum Problem der Veiiusstatuettea im eurasialischen Jungpaläolilhikum 97

kommt zum Beispiel zu dem Schluß, daß zur Zeit des verschwindenden Riß-
eises und auch später, da die Eiswasser in mächtigen Strömen nach Süden
abflössen, Süd- und Mittelosteuropa zum üppigen Grasland wurden und un-
geheuren Herden von Grasfressern, darunter auch den großen Kamelen,
reichlich Nahrung boten, daß aber in der Würmepoche das Kamel aus dem

Abb. 2. Gagarino, Hüttengrundriß.

östlichen Europa ausschied, nach Osten zog und sich dort unter besseren
Lebensbedingungen selbst während der Würmvereisung in der Gesellschaft
von Mainmut und wollhaarigem Nashorn noch hielt, bevor- es das Tier Zen-
Iralasiens wurde. Die urgeschichtlichen Funde haben lange Zeit dieser An-
sicht nicht widersprochen, nachdem allein die Mousterien-Station Kodak un-
fern von Dnepropetrovsk Kamelknochen lieferte, dann aber die große Lücke
bis zur jüngeren Steinzeit klaffte, da erst wieder in Asien aus Anau II
Knochen des Kamels geborgen wurden. Mit den Tierfigürchen aus Kost-
jenki I gibt sich aber nun auch für Osteuropa das Kamel als Zeitgenosse des
Mammuts und des würmeiszeitlichen Menschen zu erkennen, ähnlich wie die
PniehMori^che /oit^clirift X X V . O C X X 1 . W«MO. 7

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98 Di*· Fran/, Hancnr:

urgeschichtlich nicht datierbaren Knochenfunde auf zwei Woigainseln bei


Chvalinsk an der unteren Wolga nahelegen, die zeitliche Zusammengehörig-
keit von Kamel, Höhlenbär, Mammut und Riesenhirsch anzunehmen 23 ).

G a g a r i n o am o b e r e n Don 2 2 ).
Dieser inmitten des Schwarzerdegebiets nördlich von Kostjenki im
Kreis Lipezk des Tambovgouvernements gelegene Ort barg die zweite über-
aus wichtige und abermals nach Wohnweise und Kunstschaffen äußerst auf-
schlußreiche und interessante Station des osteuropäischen Jungpaläolithi-
kums. Gagarino ist wie Kostjenki ein langgezogener Straßenort am linken
Ufer des Don, der hier in einem verhältnismäßig engen, in den Kalkgrund
eingeschnittenem Tale dahinfließt und die Bäche zahlreicher Schluchten
empfängt, die gleich ihm das Flachland zertalen. In einer solchen Schlucht
am Nordende des Dorfes, unfern ihrer Einmündung in den Don, liegt, ganz
ähnlich wie Kostjenki I, die jungpaläolithische Siedlungsstelle von Gagarino,
die 1926 von S. N. Zamjatnin aufgedeckt und 1927/29 von ihm ausgegraben
wurde.
Die geologischen Verhältnisse der Örtlichkeit zeigen bis zu 90 cm Tiefe
Schwarzerde, von 90—100 cm eine Zwischenschicht aus Kalkbruchsteinen
und schließlich von 100—270 cm Tiefe eine mergelige, lößartige Lehmschicht
von hellbrauner bis blaßgelber Farbe. In ihrem Oberteil unter ihrer Humus-
lage fand sich die Kulturschicht von Gagarino eingebettet.
Als erstes stieß man auf Mammutknochen und auf Kalksteinplatten, die
nicht nur eine gewisse Anordnung verrieten, sondern auch offensichtlich vom
jungpaläolithischen Menschen hierher geschafft worden waren, nachdem im
unmittelbaren Umkreis dieser devonische Kalk nirgends ansteht23). Im Ver-
laufe der Ausgrabungen zeigte sich, daß die durchschnitlich 40—50 cm dicke,
vom reichlich vorkommenden Ocker rötlich gefärbte Kulturschicht scharf
abgegrenzt eine flache, linsenförmige Eintiefung von 5,50 m und 4,50 m im
Achsenkreuz ausfüllte und diese mit etwa 600 Feuersteinwerkzeugen, über
100 Klingen und Mengen von zerbrochenen Tierknochen als altsteinzeitliche
Wohnstelle kennzeichnete (Abb. 2)^). Die Steinplatten, von denen einzelne
noch aufrecht standen, und die großen Mammutknochen (Stoßzähne, Teile
21
) M. P a v l o v , Fauna des mammiferes fossiles trouves dans l'ancien gou verneinen t
de Saratov pres de la \alle Khvalinsk au bord du Volga, TKIÖ III Leningrad 1933,
S. 167-172.
22
) V. L G r o m o v , Ostatki fatiny iz paleoliticeskoj stojanki Gagarino, PR 1928; P.
P. J e f i m e n k o , Dorodovoe obscestvo, 1934; P. P. J e f i m e n k o , Die paläolilhischen
Stationen der Osteuropäischen Ebene, Abhandlungen; S. Z a m j a t n i n , Gagarino, Bull,
de l'Acad. de l'histoire de la Culture Materielle, Fase. 88, 1934; S. N. Z a m j a t n i n ,
Raskopki v Gagarino. Paleolit SSSR, Sbornik GAIMK', Izv. 118, 1935; V. I. G r o m o v ,
Paleolit SSSR, 1935, IGAIMK 118, 246-270.
23
) Der am nächsten liegende Kalkaufschluß findet sich am Donufer unfern des süd-
lichen Dorfausgapges.
2/1
) Es fehlen in den beiden Arbeiten Zamjatnins die dein Plane zugehörigen Er-
klär im sen.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatisdien Jungpaläolithikum 99

Taf. H. Gagarino, Fra u enfigü rohen, von verschiedenen Seilen gesehen


(IX· nat; Gr.).

des Schädels, darunter Oberkiefer samt den Zähnen) bildeten offensichtlich


ihre Wände. Außerhalb ihres Kreises fand sich nicht ein Knochen- oder
Flintsplitter, abgesehen von einem ungefähr l m entfernten Fleck der hier
nur 2—5 cm dicken Kulturschicht, aus der eine Sandsteinplatte, ein Mammut-
7*

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100 Dr. Fran/. Hanear:

sloßzahn, zwei andere Mammutzähne, Feuersteinsplitter, ziemlich viel Eis-


fuchsknochen und als einziges Gerät eine Knochenahle gehoben wurden.
Der Boden der Wohnstelle wies einzelne Vertiefungen auf (Abb. 3)2 '), in
denen die Kulturschicht intensiv rot gefärbt war. In der Verteilung der
Fundgegenstände zeigten sich die wertvolleren auffallenderweise unmittelbar
am Rand der Wohngrube. Man fand hier zum Beispiel die meisten der
Knochengeräte und auch die Frauenfigürchen2"). Außerdem bemerkte man
anscheinend beabsichtigte Anhäufungen besserer, vollendeter Stein- und
Knochenarbeiten in den erwähnten Bodenvertiefungen. Eine im Westteil ge-
legene Grube (50 cm im Durchmesser, 30 cm tief) barg zum Beispiel auf
ihrem Boden 30 gute Feuersteingeräte, einige durchlochte Eisfuchshauer,
eine Knochennadel, eine Nadelbüchse und interessanterweise 13 Wirbel-
knochen eines Mammutschwanzes in ungestörter Abfolge der einstigen natür-
lichen Verbindung.

.» » · . . . v -r ' / 1.1c;um«».3ftli# · *XU ^' t

9 TA** iKw JWhr'" *-' · lü ' « !_2* *"* ' *· * · . -.i

1,50

Abb. 3. Gagarino, Wohngrubendurchschnitt.

Wenn auch der mittlere Streifen der Kulturschicht durch die Lehm-
aushebungen der Bauern von Gagarino vollständig zerstört war, wenn auch
wahrscheinlich aus diesem Grunde keine Herdstelle aufgedeckt wurde, läßt
die Gesamtheit der Fundverhältnisse keinen Zweifel darüber, daß es sich
hier um die Reste eines halb unterirdischen, halb oberirdischen rundlichen
Wohnbaues handle, dessen Wände nach Zamjatnins Meinung wahrscheinlich
aus Holzstangen errichtet und in ihrem Unterteil durch die Steinplatten und
Mammutknochen gestützt waren. Pfostenlöcher, die Eintiefung für einen
mittleren Stützbalken konnten nicht bemerkt werden. Während Jefimenko
ein kuppelartiges Erddach, ähnlich den Winterhütten der heutigen Primitiv-
völker des polaren Gebietes, für möglich hält, wurde nach Zamjatnin ein
Kegeldach, möglicherweise aus Zweigen, wahrscheinlich aber durch darüber
gespannte Tierfelle gebildet, eine Annahme, zu'deren Stütze er die dachähn-
lichen Zeichen unter den westeuropäischen Höhlenmalereien (Font de
2)
) Auch zu J&ieser Skizze fehlt bei Zamjatnin die zugehörige Legende.
MJ
• ) Die Fundstellen der Frauenstatuettchen sind auf Abb. 2 mit größeren, schwarzen
Punkten bezeichnet.

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Zum Problem der Vemisstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 101

Taf. 1JJ. tiagarino, Frauenfigürchen,


von verschk'iJenen Seiten gesehen (etwa 1X jial. (Jr.).

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Hancar:

Gaume, Bersifal) heranzieht Wichtiger erscheint mir der Hinweis, daß


Steinsetzungen verwandter Art um eine oder zwei Feuerstellen herum und
eine gleiche scharflinige Abgrenzung der Kulturschicht auch in der Paläo-
lithstalion vom Linsenberg bei Mainz aufgedeckt wurden und daß auch dort
die Bruchstücke zweier Frauenfigürchen sich in einer Bodenmulde fanden27).
Die Erdhütte von Gagarino hat eine aufschlußreiche Reihe von Flint-
und Knochengeräten und eine Fülle von Tierknochenresten geliefert. Sie
kennzeichnen den jungpaläolithischen Menschen von Gagarino nicht nur als
Zeitgenossen der Spätaurignacien-Bewohner von Kostjenki P*), sondern auch
als ebensolchen Mammutjäger. Die Untersuchung der Tierknochen hat näm-
lich ergeben, daß die aus den Resten erfaßbare, hierher gebrachte Beute
hauptsächlich aus 2 wollhaarigen Nashornen, 7—8 Mammuten, einem Rind
unbestimmter Art, 3—4 Füchsen und mehr als 20 Eisfüchsen bestand. Die
hohe Zahl der Eisfüchse ist zweifellos in der Wertschätzung ihres Felles,
nach Zamjatnins Meinung auch in der Bedeutung als Nahrung, meines Er-
achtens aber nicht zuletzt in der Eigenart des kleinen, dumm-dreisten
Räubers begründet, der auch heute zur Winterszeit in Hunger und Freßgier
unmittelbar an die Lager herankommt, hier alle Abfälle verschlingt, sogar
über das Fell der Zelte und über das Riemenzeug der Hunde-.und Ren-
geschirre geht und, jeder Vorsicht und Menschenfurcht bar, von den Be-
wohnern Nordasiens einfach mit dem Stock erschlagen wird. Erwähnenswert
ist, daß die Eisfuchshauer für die Jäger von Gagarino einen beliebten An-
hängeschmuck abgaben und daß wiederholt die Knochen von Eisfuchspfoten
und Eisfuchsbeinen in ungestörter anatomischer Lagerung angetroffen wur-
den. Darin verbirgt sich eine interessante innere Ähnlichkeit zu den zwei
ebenfalls in der Erdhütte von Gagarino aufgedeckten Mammutschwänzen29).
Außer einer derzeit unverständlichen Einritzung auf zwei Bruchstücken
eines Mammutstoßzahnes30) und außer der eingeritzten Strichverzierung auf
zwei Nadelbüchsen aus dünnen Röhrenknochen31) fand die künstlerische
Gestaltungskraft der Leute von Gagarino in den hier innerhalb der Erdhütte
gehobenen Venusfigürchen ihren Ausdruck.
Zamjatnin hat 6 Statuettchen (Taf. II---IV) aufgedeckt, alle im Inneren
der Erdhütte unmittelbar an ihren Wänden, als wären sie dort sorgsam ver-
wahrt oder vei steckt worden; eine lag zusammen mit anderen Gegenständen
ganz am Ende einer künstlichen Vertiefung am Westende der Wohnstelle.
Alle Figürchen sind aus Mammutstoßzahn geschnitzt Sie zeigen unterschied-
liche Vollendung. Während drei (Taf. II, III, IV, 1) das Höchstausmaß an
27
) E. N e e b , Eine .paläolithische Freilandstation * bei Mainz PZ XV, Berlin 1924,
S. 1—8.
2
*) Diese Zeitgenossenschaft wird nicht nur durch grundlegende Übereinstimmungen
in den Werkzeugformen, sondern auch durch drei nachweisbar aus dem 150 km weit
entfornten Kostjenki I stammende Stichel aus Gagarino erwiesen. Zamjatnin, Gaga-
rino S. 53.
-°) V. I. G r o m o v , Paleolit SSSR, IGAUVJK 118, S. 265, erwähnt sogar 4 aus der
Erdhütte von Gagarino stammende Mammiitschwänze.
30
) S. N. Z a m j a t n i n, Gagarino, S. 60, Abb. 23.
ai
) S. N. Z a in j a t n i n, a.a.O. S. 59, Abb. 8, 8 a.

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Zum Problem der Venusstatuetteu im eurasiatischeu Juugpaläolühikum 103

Taf. IV. Fraueniigürdien, von verschiedenen Seiten gesehen (etwas verkleinert)


1—4 Oagariiio, 5 Kostjenki i.

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104 '-D *· Fran» Hancar:

vSorgfalt und Feinheit der Ausfertigung erreicht haben, stellen die drei
anderen eher unfertige Rohformen dar.
Durchwegs fallen die geringen Ausmaße auf. Das in Taf. IV, l wieder-
gegebene Figürchen ist mit 71 mm das größte, die beiden anderen voll-
endeten Statuettchen erreichen nicht einmal 60mm und das vierte (Taf. IV, 4)
kaum 25 mm. Wohl muß in Betracht gezogen werden, daß bei zweien die
Beine beschädigt sind und somit an annähernd 80 mia-einstige größte Hohe
gedacht werden kann. Der Wiedergabe der Füße ist bei den Gagarinofigür-
chen kein Augenmerk gewidmet.
Das erste Figürchen (Taf. II) gibt das wohlbekannte Bild der jung-
paläolithischen „Venus" mit ihrer betonten Üppigkeit. der Brüste und des
Unterleibes, aber ohne Anzeichen eines Fettsteißes. Die Geschlechtsorgane
sind nicht bezeichnet. Im Gegensatz zur Elfenbeinstatuette aus Kostjenki I
(Abb. 1) sind die Oberarme entsprechend rundlich herausgearbeitet, wäh-
rend die Unterarme und die Hände nicht wiedergegeben sind. Doch dürften
sie als liegend über den schweren Brüsten gedacht worden sein. Gut ge-
formt ist der schlanke Hals, der typisch eirunde Kopf in seiner kennzeichnend
vorhängigen Haltung sowie der Kopfschmuck oder die Frisur. Die Wieder-
gabe des Gesichtes fehlt gänzlich. Dies alles sind hervorragend charakte-
ristische Züge einer Reihe bekannter west- und mitteleuropäischer Venus-
figürchen. Während aber die Venus von Willendorf, der dieses Gagarino-
statuettchen in seiner Formung besonders nahe steht, den Kopfputz erhaben
herausgearbeitet hat, zeigt sich auf dem ersten Gagarinofigürchen die Dar-
stellung desselben eingeritzt. Den Haaransatz kennzeichnet anscheinend eine
tiefe, umlaufende Linie; danach reihen sich keilförmige, gegen den Scheitel
in Punkte übergehende Kerben in sechs konzentrischen Kreisen. Das
Figürchen verblüfft durch die Weichheit der Rundung und durch eine im
Hochstand der Schnitztechnik wurzelnde Sauberkeit der Ausführung.
Das zweite Statuettchen (Taf. III) ist fast unverletzt und erweist sich
vom gleichen Typus wie das erste, wenn auch die Schwere des Unterleibs
dadurch verringert erscheint, als die verhältnismäßig zu schlanken, ausführ-
lich modellierten, ganz kennzeichnenderweise voneinander abgegliederten
Beine32) den Körper mehr gestreckt erscheinen lassen. Hier wird der Kopf-
putz von einem stark hervortretenden Wulst gebildet, der über die Stirne
vorkragt, an den Seiten aber flach verläuft. Von interessanter Eigenart sind
Wiedergabe und Haltung der Arme. Während die Oberarme in natürlicher
Rundung von den schmalen, abschüssigen Schultern herab unabgegliedert
am Oberkörper anliegen und auch die sorgfältig ausgeführten Unterarme
wie leicht aufwärts gehoben über den Brüsten liegen, lösen sich die Jlände
von der Massigkeit des Körpers los und nähern sich frei dem Kinn. Die
rechte Hand ist zwar abgebrochen, die linke jedoch unverletzt und ihre Ge-
bärde völlig eindeutig erkennbar. Die frei abgegliederten Hände sind unter
den Venusfigürchen bisher eine nur einmalige Erscheinung.
32
) Dies gebort zu den Seltenheiten unter den europäischen Venusfigürchen. Auch
das dritte Gagarinofigürchen zeigt diese besondere Formung der unteren Beine. Darin
stehen die beiden Statuettchen der Venus von Willendorf sehr nahe.

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Zum Problem der Venusstatuetlen im eurasiatischen Jimgpaläolithikum 105

Während die beiden vorgeführten Statuettchen das kleine, wohlbeleibte


Weib wiedergeben, zeigt das dritte Figürchen (Taf. IV, 1) das hochgewachsene,
stattliche, vollschlanke Weib, ohne aber damit von der grundsätzlichen
Wiedergabe des vorgeneigten, eirunden Kopfes, der gewaltigen Hängebrüste
und des stark vorgewölbten Bauches abzustehen. Die Unterarme und Hände
sind, nach dem Verlauf der Oberarme zu schließen, wie bei den Elfenbein-
figürchen aus Kostjenki I auf dem Bauche liegend gedacht.
Das vierte Figürchen (Taf. IV, 4), am oberen und unteren Ende leicht
beschädigt, überliefert uns trotz seiner Winzigkeit und dem darin begrün-
deten Ausfall der Wiedergabe von Einzelheiten doch unverkennbar die
Wesenszüge eines Frauenrundbildes, wenn auch schematischer Art, während
das fünfte und sechste Statuettchen (Taf. IV, 2, 3) ihren Wert darin besitzen,
daß sie als offensichtlich mißglückte Rohformen (der einen ist der Kopf weg-
gebrochen, bei der anderen ein Stück des Kopfes abgesprungen) zusammen
mit den aufgedeckten Stoßzahnabfallstückchen und Schüppchen unanfechtbar
die örtliche Herstellung der Gagarinofigürchen bezeugen, wie es ihrerseits
die Rohform der zweiten Venus von Willendorf für ihr Gebiet tut.
Unter den gehobenen Bruchstücken sonstiger Frauenfigürchen fallen ein
gut gearbeitetes rechtes Bein, ein Bruststück und unerkennbare Reste auf.
Nachdem sie nicht zusammen gefunden wurden, ist anzunehmen, daß sie
einst verschiedenen Figürchen zugehörten.
Die Reihe der osteuropäischen Fundorte jungpaläolithischer Venus-
figürchen west- und mitteleuropäischer Type wird derzeit abgeschlossen
durch
J e l i s e e v i c i 38 )
Bei diesem auf halber Strecke zwischen Brjansk und Mgiin in der Weiß-
russischen Republik am rechten Ufer des Sudost gelegenen Orte entdeckte
K. M. Polikarpovic 1930 eine altsteinzeitliche Station, deren Ausgrabung er
1930 begann und 1935 fortsetzte.
Die Kulturschicht lagerte 1,50 m tief im Löß, dessen erdgeschichtliches
Alter der zweiten Terrasse des Dnjepr-Oberlaufes gleichkommt.
Dem entspricht das Bild der Tierwelt, das sich aus den gefundenen
Knochen ergab. Sie gehörten Mammut, Eisfuchs, Ren, Wolf, Bär und ver-
schiedenen Nagern an.
Die von Knochenkohle und Tierknochen reich durchsetzte Kulturschicht
lieferte Knochengeräte (Ahlen, Nadeln mit Öhr) und ungefähr 30000 Feuer-
steingegenstände (messerartige Klingen, Stichel, Kratzer). Der Reichtum
an passendem Flint gibt sich nicht nur in der Zahl der gesammelten Geräte,
sondern auch darin zu erkennen, daß den Klingen häufig Kreidereste an-
w
) K. M. I ' o l i k a r p o v i g , PaleoJit i mezolit BSSR i nekotorych sosednich lerrilorij
verchnego Podneprov'ja. Tr. J L Mezdun, konf. AICPJ, v. V; d e r s., Das Pal. u. Mesolithi-
kum der Weißrussischen SSR und einiger Nachbargebiete am oberen Dnjepr, Abhandlun-
gen, V. 1935: S. A. T r u R o v a , Plenum komissii po izuceniju tekopaemogo celoveka
ittvjetskoj sekcii INQUA. SA II, 1937: M. %. P a n i c k i na, Obzor arch, nachodok po
gazetnym eoob&enijam v 1934—1935 gg. S. 202. SA IJI. M.-L. 1037.

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]Q6 Dr. Fran/, Ifancar:

haften, die sich während der verschwenderisch kurzen Benutzung der Geräte
nicht verloren.
Polikarpovic datiert die Station ins Magdalenien. Über die Richtigkeit
dieser Bestimmung läßt sich erst endgültig urteilen, wenn eine ausführliche
Stoffveröffentlichung vorliegt. Nach dem Gesamteindruck, den wir aus den
vorläufigen Angaben über die Fundstätte gewinnen können, scheint die nahe
Verwandtschaft zu Gagarino und zu Kostjenki I auch dafür zu sprechen,
daß die Datierung zu hoch ist. Wieder handelt es sich hier nämlich um die
Reste von Wohnstellen. Die eine ist vom Typus der altsteinzeitlichen Erd-
hütte von Gagarino, die andere, die erst teilweise aufgedeckt wurde, zeigt
eine ebenfalls aus Gagarino bekannte Umgrenzung aus aufrechtstehenden
großen Becken-, Schulter- und Schienbeinknochen des Mammuts.
In den Bereich des altsteinzeitlichen Kultes rechnet Polikapovic eine
Anhäufung von Mammutschädeln, die einen Kreis bildeten. In ihm fanden
sich zerschlagene Stoßzähne eines jungen Mammuts, einige Stoßzahnstücke,
darunter solche mit Einschnitten, weiters Platten aus Mammutstoßzahn, be-
deckt mit eingeritzten geometrischen Mustern und Figuren, die an die
Wiedergabe von Wohnungen erinnern, dann Stoßzahnplatten mit Dar-
stellungen von Fischen sowie mit symbolischen Zeichen und schließlich eine
Venusstatuette vom Typus derer aus Kostjenki und Gagarino. Trotz des weg-
gebrochenen und nicht erhaltenen Kopfes mißt das Frauenfigürchen aus
Jeliseevici 15,5 cm.

Die Gesamtheit der nordasiatischen Paläolithstationen läßt heute eine


Verteilung auf Westsibirien am oberen Ob, auf das Jenisejtal zwischen
Krasnojarsk und Minusinsk, auf das Angaratal im Kreise von Irkutsk und
auf Transbaikalien im Einzugsgebiet der Selenga erkennen. Die einstweilen
ältesten, zugleich interessantesten und aufschlußreichsten Funde stammen
aus dem Irkutskgebiet, vor allem aus dem Orte Malta.

Malta34)
liegt 85 km nordwestlich von Irkutsk an der Bjelaja, die, vom Sajangebirge
kommend, 25 km unterhalb von Malta als linker Nebenfluß in die Angara
einströmt. Der Ort fällt also in den Bereich jener großen, der Elektrifizierung
dienenden künstlichen Oberflächengestaltung Sibiriens, die in absehbarer
Zeit durchgeführt werden soll. Durch Riesendämme' will man nämlich den
Spiegel des unfernen Baikalsees (34180 km2 Wasseroberfläche) um VA m
heben; eine 2 km lange Talsperre soll den Oberlauf der aus dem Baikalsee
herausströmenden Angara zu einer seiner Seebuchten umwandeln; an ihr
M
) M. M. G e r a s i m o v , Mal'ta-paleoliticeskaja 'stojanka, Irkutzk, 1931; tiers.
Paleoliticeskaja stojanka v Mal'te, SGAIMK 3931, 11—12; A. S a l m o u y , Die Kunst des
Aurignacien in Malta, IPEK, 1931; P. P. J e f i m e ju.k o, Dorodovoe obsc., 1934; G. P.
S o s n o v s k i j , Die paläolithischen Stationen de§. nördl. Asiens, Abhandlungen, , 19 ;
M. M. G e r a s i m o v;' Raskopki paleoliticeskoj stöjanki v s. Mal'te. Paleolit SSSR, IGA1MK
118, 1935: V. I. G r o m o v , Paleolit SSSR, IGAIMK 118; K. K.. F l e r o v , Severnyj
ölen' paleolila Sibiri, Paleolit SSSR, IGAIMK i 18.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 107

soll die heute 80 km vom See entfernte Stadt Irkutsk zum Seehafen aus-
gestaltet werden. Gewaltige Wasserwehre sollen die Angara auf 550 km von
Irkutsk stromabwärts stauen. Dadurch wird nicht nur das Angaratal, son-
dern auch das der Bjelaja unter Wasser gesetzt werden. Unter solchen Um-
ständen ist zu erwarten, daß die überaus wichtige Paläolithstation von
Malta, die 1928 von M. M. Gerasimov entdeckt und 1929, 1930, 1932 und 1934
zum Teil bloßgelegt wurde, ihre endgültige Ausgrabung erfährt.
Die Paläolithstation von Malta fand sich auf dem rechten Bjelajaufer am
oberen Ende der heutigen Siedlung im unverbauten Boden. Sie liegt zu-
sammen mit einem Teil des heutigen Ortes auf der 18 m hohen zweiten Tal-
terrasse, die hier jäh zum Ufer abfällt, kaum 500 m Breite erreicht und in
der Nord-Nordostrichtung mit unterschiedlicher Gleichmäßigkeit in den Steil-
hang der dritten, 40—50 m hohen Talterrasse übergeht.
Hinsichtlich der geologischen Einordnung der Paläolithstation ist fol-
gende Schichtenabfolge maßgebend: 30—50 cm mächtig lagerte zu oberst
eine tiefschwarze Humusschicht. Auf sie folgte zuerst in 40—50 cm Dicke ein
lichter, gelblich-grauer, lößartiger Sandlehm und dann 35—75 cm mächtig
jene ebenfalls lößartige, aber plastischere Lehmschicht, in welche die Kultur-
reste eingebettet waren. Darunter folgten verschiedene Lehmlagen ge-
ringerer Dicke, dann ganz gewaltige Flußantragungen und schließlich der
schiefrige, graue Jurakalksteinsockel.
Mit diesem verschiedenenorts festgestellten Lagerungsprofil ist eine
wichtige Handhabe zur erdgeschichtlichen Zeitbestimmung der Paläolith-
station von Malta gegeben. Die fast 4 m mächtige Aufschüttungsmasse, auf
welcher die altsteinzeitlichen Kulturreste lagerten, lassen keinen Zweifel
darüber, daß eine bedeutende, im Gebirge vor sich gehende Abtragung und
eine am Unterlauf der Bjelaja gleichzeitig platzgreifende Antragung, wie sie
uns aus den bedeutenden Vereisungsperioden auch unseres Erdteils be-
kannt sind, der Erstbesiedlung des Maltaplatzes vorausgegangen sein muß.
Bei der Zweiheit der bisher im Flußgebiet von Ob, Jenisej und Angara
nachgewiesenen Vereisungsperioden müssen wir als erdgeschichtlichen
Zeitraum dieser Abtragung im Gebirge und Aufschüttung im Tale die Riß-
vereisung und die ihr folgende Zwischeneiszeit erschließen und die Malta-
Paläolith-Station als diesen Zeiträumen unbedingt nachzeitig, das heißt einem
Zeitabschnitt zugehörig erkennen, da eine geringere Wasserzufuhr aus dem
Gebirge die Verschmälerung der Bjelaja und die Trockenlegung der Ränder
ihres breiten Flußbettes verursachte, und durch eine gleichzeitige Vergröße-
rung des Gefälles die Bildung der heutigen zweiten Talterrasse begann. Wie
aus anderen Beobachtungen in Nordasien hervorgehl, kann das nur die
Würmeiszeit gewesen sein.
Deutlich hob sich zu Malta die erschlossene Kulturschicht vom um-
gebenden lichten Eiszeitlehm ab. Farbe und Tönung hingen nicht nur von
den bedeutenden Mengen untermischter Kohle und zerfallener, angebrannter
Tierknochen ab, die sie dunkelgrau machten, sondern auch von den häufigen
Einschlüssen an Mineralfarbe, welche die Schicht kirschrot, zimtbraun bis
gelb, aber auch grün erscheinen ließ.

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108 Dr. Fran/ Hancar:

In vierjähriger Arbeit hat M. M. Oerasimov 325 m 2 des paläolithischen


Wohnplatzes durchforscht, hat die Reste von fünf oberirdischen Wohnbauten,
vier aus Steinplatten errichtete Herde und ein Kindergrab aufgedeckt, hat
Unmengen tierischer Knochen, darunter eigenartige „Tierbestattungen"
bloßgelegt, hat gegen 2500 Steinwerkzeuge und Nuklei gehoben sowie gegen
600 Knochengegenstände, darunter 150 ornamentierte, und 20 Frauen-
statuettchen gesammelt.

Abb. 4. Malta, Hüttengrundriß.*

Aus den Ausgrabungsberichten Gerasimovs ein Bild des aufgedeckten


Paläolithplatzes zu gewinnen, ist nicht leicht, da sie die Arbeitsergebnisse
von 26 Schürfen, deren Abgrenzung in der Waagrechten von den gegebenen
Geldmitteln, nicht aber von der räumlichen Erstreckung der sich zeigenden
Objekte bestimmt wurde, bloß in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge und
ohne jeglichen Lageplan vorführen und in dieser Zerstückelung eher ver-
wirren, als daß .sie sich unwillkürlich zu einem klaren Ganzen zusammen-
fügen würden. "Was ich trotz dieser Schwierigkeit auf Grund der Lage-
angaben Gerasimovs und an Hand meines danach 'aufgestellten Hilfsplanes

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasialischen Jungpaläolithikum 109

aus den Berichten des Ausgräbers über die aufgedeckte Palaolithsiedlung


von Malta als sicher entnehmen konnte, ist folgendes:
In Nordsüdrichtung, gleichlaufend mit dem Rande der Talterrasse, zog
sich eine Reihe von fünf selbständigen Wohnbauten. Der am weitesten süd-
lich gelegene Bau zeigte am deutlichsten ihre Bauweise (Abb. 4). An-
häufungen von großen Knochen, darunter fast ganze Nashornschädel, und
Geweihe des Rens, kennzeichneten im Verein mit teilweise noch aufrecht-
stehenden Kalkplatten den rechteckigen Grundriß einer oberirdischen Hütte
von etwa 4 m Länge und 3 m Breite sowie einen kurzen, zuleitenden Gang.
Inmitten des Raumes fand sich der aus drei Steinplatten gebildete Herd
(Ab. 5, 2). Über die Dachform haben sich keinerlei Anzeichen erhalten.

SOCM

4QCM

Abb. 5. Malta:
l = Feuerstelle mit Windschutz, 2 = Herd.

Doch deuten sowohl die mächtigen Knochen-Steinumfriedungen als auch die


besondere Anlage des Vorbaus und der Herd im Inneren des Raumes darauf
hin, daß es sich dabei nicht um leichte Sommerzelte gehandelt haben konnte.
Wenn auch von viereckiger Form und ohne die flache Eintiefung in den
Grund, erinnert der Hüttenbau von Malta doch stark an den von Gagarino
und legt nahe, auch für die Maltabauten fellüberzogene Stangengerüste mit
dem Rauchabzug an der Spitze des Pyramidendaches anzunehmen.
Hinsichtlich der inneren Gestaltung der Wohnung stoßen wir insofern
auf die gleiche Verwandtschaft mit Gagarino und Kostjenki I, als auch zu
Malta sämtliche Kunstwerke innerhalb der Wohnung, das heißt entweder
unfern der Wände oder in der Nähe des Herdes angetroffen wurden. Die
erwähnte Hütte mit Eingang barg in der Nordostecke zwei Frauenstatuettchen,
das eine auf eine Menge dünner Plättchen zerschlagen, das andere voll-
ständig und durch eine eigentümliche Musterung des Körpers besonders
interessant (Taf. V, 4), weiters zwei Vogelfigürchen und eine Stoßzahn-

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110 Dr. I·' in lira r:

plaltr mil rinrm eingravierten Mammutbild (Abb. 6); unfern des Herdes
fanden sich Knoch<>nsehnitzereien und Anzeichen ihrer Herstellung. Dor-h
d ü r f t e der eigenllirhe Werkplatz des Schnitzers außerhalb der Hütte, etwas
abseils vom Kingang gewesen sein, wo sich eine kleine Anhäufung von Ge-
weihen, Kippen und Wirbeln des Rens, Nashornrippen, Splitter von Stoß-
/ülmeu und Fußknochen des Mammuts fanden. Unter ihnen hob man eine
größere Menge von Feuersteingeräten und auf einem Häufchen beisammen
HM Armband aus Mammutstoßzahn mit Schnurlöchern an den Enden und
mit (iriibrhenmusler, eine Mammutstoßzahnplatte, ein Stück einer weiblichen
Statuette, zwei gebrochene große Nadeln, Bruchstücke einer Speerspitze
sowie eine herrlieh gemusterte Stoßzahnplatte zusammen mit einem fertigen
Fraiirnfigürchcn, dem einzigen, das außerhalb der Hütten angetroffen wurde
(Abb. 7).

A h h . (>. Malta, Sloßzahnplatle mit eingeritztem M a m n i u t b i l d (etwa */\ nat. (Jr.).

Gegen Westen hin war die Hüttenzeile der Maltasiedlung von den Ab-
fallsplätzen begleitet. In stellenweise 35 cm Mächtigkeit zeigte sich hier die
Kulturschicht durchsetzt von Knochensplittern, angebrannten Knochen,
Knochenkohle und kleinen Holzkohlenstückchen. Dazwischen fanden sich
auch Feuersteingeräte und Flintsplitter. Interessant sind die Freilandfeuer-
stellen, die hier am Nordrand der Siedlung und auch östlich des erwähnten
Ilütlenausganges aufgedeckt wurden. Sie zeigen einen aus Steinplatten er-
richteten Windschutz gegen Süd (Abb. 5, 1).
Kinen besonders interessanten Fund stellt das Kindergrab von Malta
dar. Am Ostrand der Siedlung, der eigentlich .fast unmittelbar mit den Ost-
wänden der Hütten zusammenfiel, stieß man unterhalb der Kulturschicht
auf einen Haufen von Rengeweihen, deren Sprossen mit den Spitzen einander
berührten. Darunter wurde scharf umgrenzt die ovalrunde Grabgrube be-
merkt. Sie maß in der Nordost-Südwestrichtung 1,15 m, quer darauf 0,68 m.
Reim Ausnehmen der Füllerde fiel deren zunehmende Rotfärbung auf. Dann

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Zum Problem der Venusstatueilen im eurasiatisclien Jungpaläolilhiluim Hl

stieß man auf eine lotrecht stehende Kalkplatte, an der eine'zweite lehnte.
Unter den beiden traf man auf eine dritte, auf der ein Mammutzahn mit
Spuren starker Rotfärbung lag. Darunter ruhte, kaum bedeckt von Erde,
das Skelett eines annähernd vierjährigen Kindes (Abb. 8). Dicht unter der
waagrechten Platte und zerdrückt von ihr fand sich der Kopf, auf der linken
Seite liegend, den Blick gegen Osten gewendet, bei einer von Nordost nach
Südwest gerichteten Allgemeinlage des Skeletts. Trotz seines schlechten
Erhaltungszustandes konnte festgestellt werden, daß das Kind auf dem
Rücken ruhend, die Arme längs des Körpers gestreckt, die Beine im Knie
stark eingebogen, bestattet worden war. Anthropologisch interessant ist, daß
die Reste des Schädels ihn als dolichocephal und ausgestattet mit schwach

Abb. 7. Malta, Fundstelle eines Frauenfigürchens


zusammen mit einer gemusterten Mammutstoßzahnplatte.

entwickelten Augenbrauenbogen erkennen ließen. Die Skelettknochen er-


wiesen sich stark rhachitisch.
Vom Standpunkt der Welt, in der die Gedanken der Leute von Malta
sich bewegten, ist die reiche Ausstattung dieses Kindes beachtenswert. Hell-
roter Farbstoff haftete vor allem an der linken Schädelhälfte, weniger an
den übrigen Skeletteilen, an denen er schmutzig braun erschien. Der un-
gemein reichhaltige Schmuck umfaßte: Einen Stirnreif aus Mammutelfen-
bein (Abb. 8,1), einen herrlichen Halsschmuck (Abb.8,2, 9) aus 120 flachen
und 6 achterförmigen Elfenbeinperlen sowie einem vogelähnlichen, punkt-
ornamentierten Anhängsel, eine große, runde Knochenplatte mit eingeritzten
Wellenlinien und einem Loch in der Mitte (Abb. 8,5), ein Anhängsel in Form
eines fliegenden Vogels (Abb. 8,6) und schließlich einen Armreif aus einer
Mammutstoßzahnplatte (Abb. 8,3). Auch Feuerstein- und Knochengeräte
(Abb. 8,4,7—9) waren beigegeben. Der Schmuck fand sich unfern der ent-
sprechenden Skelettreste, die Geräte um den Leib herum.

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112 Dr. Franz I Ian car:

Es verblüfft uns nicht, dem Reichtum dieser Kinderbestattung ent-


sprechend, die Palüolithstation von Malta reich an Kunstwerken zu finden.
Außer den in Grübchenreihen oder Spiralfurchen gezierten Knochennadeln,
den Schmucksachen geometrischer Art zählen dazu die besonders inter-

Abb. 8. Malta, Kindergrab.

essauten Schöpfungen der darstellenden Kunst. Den fast ausschließlich be-


vorzugten Rohstoff dazu lieferten die Mammutstoßzähne. Wenn trotzdem
ganz auffallenderweise fast allen gesammelten Rengeweihen die Augen-
sprossen weggeschnitten sind, handelt esf sich dabei weniger darum, daraus
Kunstwerke herzustellen, sondern bloß darum, passende Griffe für den Ein-
satz der kleinen blattförmigen Schneidegeräte mit*rechtsrandiger Stumpf-

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Zum Problem der Veiiusstatuetteu im eurasiatischeii Jungpaläolilhikuin 113

retusche, einem typischen Flintgerät von Malta, zu gewinnen. Zu den Rund-


bildern und linearen 'Darstellungen verwendete man fast ausnahmslos Mam-
mutstoßzahn.
Die besonders großen Mengen von Mammutelfenbein in den verschie-
denen Stufen des Bearbeitungsvorganges sowie der besondere Reichtum an
vorbereiteten und nur teilweise gebrauchten Stoßzähnen geben ein klares
Bild der Stoßzahntechnik. Unter den Rohformen treffen wir einerseits grobe,
massige, kurze Abschläge von unregelmäßiger Gestalt und andererseits
feinere, plattenähnliche Streifen. Beide Rohformen gewann der Mensch von
Malta durch Abschlag. Während ein derber Schlag im bestimmten Winkel
zur Längsrichtung des Stoßzahnes genügte, um die dicken Absclilagstücke
zu erhalten, aus denen die plastischen Schnitzereien verfertigt wurden, er-
forderte die Gewinnung der Elfenbeinplatten folgende Vorbereitung: Man
bestimmte vorerst die Breite der Klinge* durch zwei mit dem Stichel in der
nötigen Tiefe eingeschnittene Längsfurchen und schlug dann in der Längs-
richtung des Zahnes die Platte herab, die dann dank der blättrigen Be-
schaffenheit des Mammutelfenbeins auf noch dünnere. Platten gespalten
werden konnte. Die Mammutstoßzahntechnik zeigt sich somit in ihren
Grundzügen der Steintechnik gleich, und nur in der Formung und end-
gültigen Ausfertigung der Gegenstände liegt der Unterschied zwischen Stein-
und Knochentechnik.
Die Kunst von Malta gipfelt in ihren darstellenden Werken. Sie geben
Fisch, Schlange, Vogel, Mammut und Mensch wieder. Technisch lassen sie
sich in Einritzungen (Schlangen auf den „Schließen", Mammut auf einem
Elfenbeinplättchen) und in Rundbilder (Knochenplatte in Fischform, Vogel-
anhängsel, Venusstatuetten) scheiden.
Bei der „Schließe", die sich im Kindergrab an der Leibmitte gefunden
hat (Abb. 8,5) handelt es sich um eine annähernd quadratische Platte mit ab-
gerundeten Ecken von ungefähr 5 cm Seitenlänge. Ihre Vorderseite wird
von einem Muster aus gleichlaufenden welligen Furchen, ähnlich einer Reihe
von Schlangen, die in einer Richtung kriechen, bedeckt. Hinten ist die Platte
ungeziert In der Mitte trägt sie ein Loch, das einen stark geglätteten Rand
aufweist Gerasimov bestimmt sie als knopfartige Schließe. Er stellt sich
vor, daß sie an einem Riemchen aufgefädelt war und daß ein Knoten am
Riemenende die Platte nicht nur festhielt, sondern bei wiederholtem Ge-
brauch auch deren Lochränder glättete. Diese Verwendung erscheint ganz
gut möglich.
Bei der Darstellung auf der kleinen Elfenbeinschlie'ße an kriechende
Schlangen zu denken, ist deshalb naheliegend, weil auch die zweite, be-
deutend größere Platte dieser Art (20X12 cm) (Taf. V, 1) auf einer Seite
das eingeritzte Bild von drei in gleicher Richtung kriechenden Schlangen
trägt Eindeutig klar erkennbar heben sich ihre geschlängelten Körper von
der glatten Oberfläche ab. Sie verbreitern sich ähnlich der aufgeblasenen
Haube einer Kobra und enden in etwas verschmälerter Form. Die Platten-
rückseite trägt ein flächendeckendes Grübchenmuster, das sich in einer
PraeiiMorisdu: Zeitschrift. X X X . - X X X J . 1939-40. $

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114 Dr. Franz Hancar:

großen, sieben wend igen Spirale um das Loch in der Mitte legt und mit drei
vollständigen und einer unvollständigen S-Spirale den noch freibleibenden
Rand bedeckt Es ist zu betonen, daß diese Spiralen die bisher ältesten Ver-
treter dieses Motivs sind, nachdem die westeuropäischen Spiralen frühestens
dem Magdalenien angehören.
Das Mammutbild (Abb. 6) fand sich auf einer kleinen Mammutstoß-
zahnplatte unter einer Menge anderer, die viele Spuren von Bearbeitung mit
einem scharfen Werkzeug, zweifellos mit einem Stichel, zeigten. Die Elfen-
beinplatte ist ungefähr 16 cm lang, hat an einem Ende ein Loch und trägt
auf dem gegenüberliegenden Ende zwei quer zur Plattenlänge verlaufende
Grübchenreihen. Auf der etwas gewölbten Vorderseite ist die Darstellung
eines Mammuts mit sicher geführten Strichen eingeritzt. Sie zeigt das
Mammut von der Seite. Es ist eine sehr gut gelungene Arbeit. Mit erstaun-
licher Bündigkeit ist das Wesentliche der Mammutgestalt erfaßt, erkennbar
an der kennzeichnenden Kopflinie mit dem Einzug am Hals, mit der steilen
Stirn und ihrer Fortsetzung im langen Rüssel, in der Wiedergabe des typisch
abschüssigen Rückens, des kurzen Schwanzes und der Faltenbildung des
Dickhäuters beim Übergang der Schenkel und oberen Vorderbeine in den
Rumpf. Die schütteren, aber langen, nach den sibirischen Fellfunden 50 cm
erreichenden Haare am Bauche sind kennzeichnend vermerkt. Der Stoßzahn
ist mit zwei Strichen wiedergegeben, zeigt aber im Ansatz dieselbe wie eine
Fehlrichtung anmutende Zusammenhangslosigkeit mit dem mutmaßlichen
Ende des Oberkiefers wie die westeuropäischen Mammutbilder. Diese Eigen-
art erklärt sich wohl damit, daß das Haarkleid, das nach den sibirischen
Mammuthautfunden gerade am Hals am dichtesten war und hier die längste
Wolle hatte, dem Eiszeitjäger die klare Sicht über den tatsächlichen Anfang
der Stoßzähne verwehrte.
Vom naturkundlichen Standpunkt aus35) sind zwei Eigentümlichkeiten
des dargestellten Mammuts beachtenswert. Die kurzen, nur schwach ge-
bogenen Stoßzähne und der fehlende Fetthöcker. Während die Sonder-
formung der Zähne im Platzmangel oder auch darin ihre Erklärung finden
kann, daß man ein junges Tier wiedergeben wollte, kann das Fehlen des
Fetthöckers darin begründet sein, daß man entweder ein Tier zeigen wollte,
das in den Wintermonaten seine Fettreserven erschöpft hatte oder aber daß
man damit eine besondere Arteigenheit des sibirischen Mammuts festhielt.
Letzteres müßte sich erst durch weitere Funde erhärten.
Schwerfälligkeit und Massigkeit des Eiszeitriesen werden in dem Bild aus
Malta anschaulich vor Augen geführt. Es besteht in der Wiedergabe-kein
Strich von der Darstellung der plumpen Säulenbeine bis zum Kopf mit den
Stoßzähnen und dem Rüssel, der nicht jene bekannte, vielbewunderte Treff-
sicherheit beweisen würde, die den Quartärkünstlern Westeuropas in so
kennzeichnend starkem Maße eigen war.
35
) V. S. S l o d k e v i c , Risunok mamonta iz paleoliticeskoj stojanki i sei. Mal'ty,
Jezegoduik vserossiskogo paleontologiceskogo obscestva t. XI,'Moskau—Leningrad 1937.

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Zum Problem der Veiuisstatuetteu im eurasiatischen Jungpaläolithikum 115

Die Rundbilder stellen den interessantesten Teil der darstellenden


Kunstwerke von Malta dar. Das Fischbild (Taf. V, 5) ist z\var durch eine
eigenartige Musterung des Leibes rätselhaft. Dagegen bezeugen die fünf
Vogelfigürchen (Taf. V, 2) wieder die bündige Wesenserfassung, die der
Maltakunst eignet, hier aber gepaart mit höchst stilisierender Vereinfachung.
Sie beschränkt sich bei der Darstellung des fliegenden Vogels auf die
Wiedergabe des lang vorgestreckten Halses, des in die Flugrichtung gelegten
Kopfes, einer hinreichenden Andeutung der ausgebreiteten Flügel und des
plumpen Hinterleibes. Wegen der rein äußerlichen Ähnlichkeit mit den
späteren Inselidolenau) sie als äußerst stilisierte Menschenbilder zu deuten,

Abb. 9. Malta, Halsschüiuck (% nal. Gr.).

ist im Hinblick auf den gesamten Kulturcharakter von Malta, im Hinblick


auf das Vorhandensein anderer Menschendarstellungen und im Hinblick auf
die noch heute in Sibirien erfaßbare große Bedeutung der Zugvögel als
Künder der Jahreszeiten ganz verfehlt. Ein schwimmend wiedergegebener
Vogel ist nur als Bruchstück erhalten. Die Vogelfigürchen wurden als An-
hänger getragen. Das bezeugt das Auffädelloch am rückwärtigen Ende. Ein
Vogelfigürchen wurde im Kindergrab in entsprechender Lage unfern der
Brust gefunden (Abb. 8,6).
Zur größten und wichtigsten Gruppe darstellender Kunstwerke aus
Malta schließen sich die mehr als 20 bisher gefundenen Frauenslatuettchen
zusammen. Über sie liegt noch keine eingehende Veröffentlichung durch
;i
') Auf M*e verwies K. B. P e t r is Bericht zum I. Internationa] Congress of Prehi-
storic ;«"d Protohisloric Sciences. London 1932. Proceedings, London 10'U, S. 87.
S*

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116 Dr. Franz Hancur:

ihren Ausgräber vor17). Wir kennen nur einen Teil von ihnen nach Be-
schreibung und Bild. Doch ist für ihre Gesamtheit daraus und aus den An-
merkungen ihres Ausgräbers Gerasimov zu entnehmen, daß es sich durch-
wegs um Figiirchen stehender Frauen von 3—13 cm Höhe handle. Sie sind
fast ausnahmslos aus Mammutstoßzahn, ganz vereinzelt aus Rengeweih, nie-
mals aus Stein hergestellt. Die Sorgfalt der Ausführung ist verschieden.
Auch im Aussehen gleicht nicht eine der anderen. Doch läßt sich mit
Gerasimov nach der dargestellten Frauenart rein äußerlich eine Scheidung
in drei Typen aufstellen:
1. Das schlanke Weib (Taf. VI, 1). Für diesen Typus ist die ausgeprägte
Schmalheit der Gestalt kennzeichnend. Schmal erscheinen die Schultern,
schmal das Becken und flach die Brust. Eng liegen die dünnen Arme am
langgezogenen Rumpfe ari, und die schlanken, unmodellierten Beine sind un-
natürlich lang. Trotz der allgemeinen Schlankheit ist ein eigenartiger Hänge-
bauch und ein ebenfalls eigenartiger Fettansatz an den Hüften vorhanden, der
die Leibmitte rückwärts hochgezogen erscheinen läßt.
Dem Typus des schlanken Weibes müssen auch Figürchen zugezählt
werden, die das Äußerste an Hagerkeit darstellen (Taf. VI, 5). Ihr pfahl-
förmiger Körper zeigt zugleich das Höchstausmaß der Stilisierung. Wegen
ihrer besonderen Schmalheit sowie auf Grund der nach Jeflmenko erkenn-
baren Anzeichen des Geschlechts deutet dieser die Statuettchen als Männer-
bildnisse38).
Den Gegensatz zum Typus des schlanken, des hageren Weibes bildet
der des üppigen Weibes (Taf. VI, 2, 3). Wenn diese Figürchen auch nicht
die Formenfülle einer Venus von Willendorf erreichen, tritt uns die Fett-
leibigkeit doch offensichtlich in der betonten Breite und Rundung der Schul-
tern, der Hüften und des Bauches entgegen. Die gesamte Gestalt zeigt eine
typische Aufeinandertürmung der Körpermassen. Von Fettsteißbildung bei
den dickleibigen Figürchen von Malta zu sprechen, dafür finde ich keinen
Grund. Der Hals ist nicht dargestellt.
Den dritten Typus bildet das Weib mit den ebenmäßigen Körperformen
(Taf. VI, 6). Wir bemerken ebenmäßige Rundungen und annähernd natür-
liche Größenverhältnisse des Rumpfes, dessen Schwergewicht gegenüber
dem des üppigen Weibes nach oben verschoben .erscheint, was ihm die
plumpe Schwerfälligkeit nimmt. Der Kopf, der bei allen drei Typen zu groß
ist, zeigt sich hier ganz übermäßig hoch und breit.
Unabhängig von der Körpergestalt erweist sich die Darstellung des
Kopfes. Es gibt hier wiederholt Gesichtsdarstellungen (Taf. VI, 4). Sio-sind
verschieden. Darin aber die Wiedergabe individueller Gesichtszüge erken-
3T
) Erste Hinweise, Beschreibung und Einordnung in die Reihe der Venusfigürchen
siehe bei H. K ü h n , Eine neue weibliche Statuette des Aurignacien, IPEK 1928, S. 96f.;
d e r s e l b e , Malta bei Trkutzk, Sibirien, IPEK 193Ö/S. 112 f.; A. S a I m o n y, Die Kunst
des Aurignacien, Sibirien, IPEK 1931, S. 1—6. ,'
M
) P. P. Jef i m e n k o , Dorodovoe, S. 404; ders. Iz issledovanij v oblasti paleolita
SSSR za poslednie gody, SGAIMK 1932, 9—10, S. 27.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 117

neu zu wollen3'"), dazu erscheinen sie doch zu undeutlich und schematisch.


Als durchlaufende Kennzeichen vermerkt Gerasimov: Eine hohe, stark ge-
wölbte Stirn, leicht ausgeprägte Augenbrauenbogen und eine derbe Nase
mit breiten Nasenflügeln. Augen und Mund sind meist nur leicht angedeutet
oder fehlen ganz. Das Kinn ist klar ausgeprägt, tritt aber nur schwach
hervor.
Im gesamten zeigt die Gesichtsdarstellung der Malta-Frauenfigürchen,
daß ihr offensichtlich keine große Bedeutung* beigemessen wurde, nachdem
sie nur selten genau, in den meisten Fällen nachlässig ausgeführt wurde und
vielfach ganz fehlt. Ein anderes ist es in dieser Beziehung mit dem Haar.
Seiner Wiedergabe ist immer größte Aufmerksamkeit gewidmet. Sogar Haar-
art und Frisur zeigen sich meisterhaft sorgfältig dargestellt. Als Haartracht
läßt sich erkennen: Kurzgeschnitten trug man glattes Haar, dargestellt durch
feine gerade Parallellinien, und krausem Haar, dargestellt durch halbmond-
förmige Einschnitte. Das lockige Haar, dargestellt durch parallele Wellen-
linien, ließ man auf Schulter und Rücken herabfallen, wo es von einer Art
Netz zusammengehalten wurde (Taf. VI, 1). Es kommt aber auch vor, daß
man die lockigen Haare in Zöpfcheh geflochten zu einer durchaus nicht ein-
fachen Frisur mit Scheitel aufsteckte (Taf. VI, 4).
Dieser Zug einer gewissen Naturnähe in der Darstellung tritt uns in
zwei Malta-Frauenflgürchen noch in anderer, besonders interessanter Eigen-
art entgegen. Es handelt sich dabei um ein kleines Statuettchen (Taf. V, 4),
dessen ganzer Körper, nur Gesicht und Brust ausgenommen, eine sonder-
bare, regelmäßige Quernarbung aufweist. Es fällt zugleich eine eigenartige
Gestaltung des Kopfes auf. Das zweite Figürchen (Taf. V, 3) zeigt eine noch
deutlichere Querstreifung der gesamten Körperoberfläche.
Die ersten Deutungen dieser Erscheinung gingen dahin, in den beiden
Statuettchen die Wiedergabe tätowierter Frauen mit besonderen Frisuren zu
sehen. Diese Ansicht ist aber schon insofern unhaltbar, als danach nicht nur
der ganze Körper, sondern auch die Kopfhaut tätowiert und dennoch so
reich an Haaren gewesen sein müßte, daß sich eine hohe Frisur daraus er-
geben konnte. Erst V. I Gromov40) enträtselte die eigenartigen Darstellungen
auf Grund einer bis 1935 unbeachtet gebliebenen Einzelheit am Figürchen
(Taf. V, 3). Diese besteht in dem dünnen, lang nach unten hängenden und
bis unter die Knie reichenden Schwanz, dargestellt durch zwei die Beine
entlang laufende, tiefe Paralleleinschnitte. Diese Einzelheit brachte Gromov
darauf, das Figürchen als einen Menschen zu deuten, der das Fell eines
Tieres so übergezogen hat, daß Hände und Füße statt der Pranken im Felle
stecken und der am Fell belassene Kopf wie eine Kapuze Hinterhaupt und
Scheitel des Weibes bedeckt. Urteilend nach der Größe des Felles im Ver-
hältnis zur menschlichen Höhe und nach dem Schwänze, den die Urkünstler
stets besonders genau kennzeichnend dargestellt haben, konnte das Fei)
nur einer großen Katze angehört haben. Gromov denkt dabei auf Grund der
*) M. M. G e r a s i m o v , PaJeoW SSSR, JGA1MK 118, S. 111.
*·) V. i. G r o m o v , 0 vnesneni vkle pesfernogo J'va v svjazi s nekotoryiui arclio
nachodkami, PGA1MK 1935, l—2.

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JIM Dr. Prim·/.

tißcriihnlichci) Querslroifung dos Keiles an den Höhlenlöwen, für dessen


iinatotnisdu? Stellung zwischen Tiger und Löwe einerseits seine Skelcttcigen-
liimltahkeiU'ii sprechen und der andererseits von ßajkov als direkter Vorfahre
dos Aniiirlii;cM's orknnnt wurde. Hoste des Höhlenlöwen wurden ja auch
unter den Tierknochen von Malta nachgewiesen. Damit erscheint ganz wahr-
scheinlich, daU also in den beiden eigentümlichen Statueltchen zwei Frauen
im llöhlenlöwenfell auf uns gekommen sind.
Dem Überblick über die Formen der Fruuenfigürchen von Malta ist noch
beizufügen, daü eine Reihe von ihnen eine von vorne nach rückwärts gehende
runde Durchlochung am Fußende zeigen. Doch scheint mir ein Tragen als
Anhänger deshalb nicht wahrscheinlich, da ein gewöhnliches Auffädeln auf
eine Schnur mit der durchwegs deutlichen künstlerischen Absicht, ein Bild
der Vorderseite zu geben, sich nicht vereinbaren läßt.
Hinsichtlich der künstlerischen Darstell u rigsweise der Malta-Frauen-
ligiirchen halten wir die charakteristische Verquickung einer scharfsichtigen
Erkennung des allgemein Wesentlichen und des kennzeichnend Besonderen
an der Erscheinungsform des Weibes mit einer zum Formelhaften neigenden
Wiedergabe fest. Jedenfalls besitzen wir in den Frauenfigürchen von Malta
Werke einer weitgehend abstrakt arbeitenden Kunst.
Die gleiche Vielseitigkeit und Tiefe der Aufschlüsse, die uns das künst-
lerische Schaffen der Leute von Malta gewährt, besitzen wir auch über die
praktische Seile des jungpaläolithischen Lebens zu Malta.
Der ungewöhnliche Reichtum an Tierknochen und ihr herrlicher Er-
haltungszustand, der zweifellos auf die konservierende Wirkung des Grund-
eises zurückgeht* 1 ), gewähren ein ganz außergewöhnlich anschauliches Bild
des Lebensraumes, der Wirtschaft, Lebensweise und Gedankenwelt des
jungpaläolithischen Menschen von Malta.
Die von 1928—1932412) zu Malta gesammelten Tierknochen gehörten fol-
genden Tierarten in der hier angegebenen Anzahl von Einzelwesen und
unter Aufweisung der im folgenden angeführten Sonderheiten an:
9 Mammute (Elephas primigenius), darunter ein sehr junges. Mammut-
schadet fehlen; Rippen- und Wirbelknochen fanden sich selten. Die Röhren-
knochen sind immer geöffnet, entweder der Länge nach gespalten oder die
Enden abgehauen,
11 Nashorue (Rhinoceros tichorhiiius), darunter ein junges. 9 von
10 Nashornschädelu zeigten sich in einheitlicher Weise eingeschlagen, die
Röhrenknochen durch einseitige Entfernung der Gelenksleile geöffnet.
50 Eisfüchse (Vulpes lagopus). Man schätzte auch hier sein Fell. Es
fand sich vereinzelt Anh&ngeschmuck aus Eisfuchsknochen hergestellt. Der
u
) Andrerseits erschwerte das Gruiuicis die Ausgrabungen und inaclüe 7,< M l \veil i g
oin künstliches Auftauen des Bodens nötig»
lV<i
) Von den 10M4 gesammelten Tierknoehon von fast 1 l Gewicht (P. i. H o r i -
s k o v s k i j, Chronik (Polevye issledovanija Oosüdarslvomioj Akademii istorü ' ,
kul'lury im. N. .J. Marru v IU34), SJST 1985/2, Moskau—Leningrad 1085 S, 100) liegt noch
k«»ine naturluindliohe Beslinununüt vor.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikuin 119

Taf. V. Malta:
1 =u Schließe (etwa % nat. Gr.).
2 = Vogelfigüri'hen (etwa K nat. Gr.).
8,4 =r Frauenfigürchen (etwas vergrößert I K nal. (Jr.).
5 = Fischfiarstellung (etwa % nat. (lr.)·

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120 Dr. Franz Hancar:

Polarfuchs diente aber nicht als Nahrung. Gerasiraov verweist darauf, daß
kein zerspaltener Knochen, kein geöffneter Schädel dafür Zeugnis ablegt.
2 Vielfraße (Gulo gulo). Von dem einen fand sich eine Tatze, von dem
anderen der ganze Vorderleib in ungestörter anatomischer Lagerung. Mög-
licherweise äußert sich darin seine alleinige Wertung als Pelztier, dessen
Fell man abzog, dessen Leib man aber wegwarf.
1 Höhlenlöwe (Felis spelaea). Das Vorkommen dieser-großen Quartär-
katze in der Paläolithstation von Malta ist nicht nur an .sich, sondern noch
mehr im Hinblick auf die Deutung der eigenartigen gemusterten Malta-
figürchen von Wichtigkeit43)· Im Räume von den Ufern des Schwarzen
Meeres bei Odessa und von der Krim bis zu den Neusibirischen Inseln
lieferten bis jetzt 25 Fundstellen Reste dieses Tieres. Ausrjhrej geologischen
Lagerung geht hervor, daß der Höhlenlöwe in der Zeit vom Ende der Riß-
vereisung bis ans Ende der Nacheiszeit in Osteuropa und Nordasien lebte.
Die Bezeichnung Höhlenlöwe ist völlig irreführend. Weder hauste dieses
Raubtier in Höhlen, noch kann es zu der Art Löwe gezählt werden, nachdem
die anatomische Eigenheit dieser Großkatze gerade darin besteht, daß sich
in ihrem Skelett ein auffallendes Zusammensein von Löwen- und Tigermerk-
malen beobachten läßt. In den Ausmaßen überragt der Höhlenlöwe sowohl
den Tiger als auch den Löwen von heute.
2 Wölfe (Canis lupus).
407 Rene (Rangifer tarandus), von Gerasimov nach den 814 gefundenen
Geweihrosen festgestellt. Die zoologische Untersuchung eines ganz er-
haltenen Renschädels hat ergeben44), daß das Malta-Ren einerseits von allen
heutigen eurasiatischen und auch von der Mehrzahl der amerikanischen Ver-
treter des Rangifer tarandus stark abweicht, andererseits aber doch Wesens-
züge besitzt, die es sowohl einer Labradorart (Rangifer caboti Allen) als
auch einer transbaikalischen Art (Rangifer angustirostris Flerov) nähern.
Das bis heute vorhandene fossile Knochenmaterial aus dem asiatisch-ameri-
kanischen Norden erlaubt jedoch noch keine Erklärung dieser eigenartigen
Tatsache.
Die Repknochen von Malta gehörten Tieren jeglicher Altersstufe an.
Die Zahl der bloßgelegten Renknochen ist verblüffend groß. Die Station
erweist sich in dieser Beziehung als einzigartig für Nordasien und Osteuropa
und wird nur von den Knochenlagern gewisser west- und mitteleuropäischer
Fundplätze übertroffen40). Die 1930 auf einer Fläche von 24 m2 bloßgelegte
Kulturschicht von Malta, die an dieser.Stelle im Südteil der Station 80 cm
Mächtigkeit erreichte, muß buchstäblich gesättigt mit Renknochen gewesen
43
) V. I. G r o m o v, a.a.O.; V. I. Gromova, siehe hier Anmerkung 20/2; M. Pavlov
a.a.O.
i4
) K. K. F l e r o v , Severnyj ölen* paleolita Sibiri, Paleolit SSSR, IGAIMK 118.
* ) Zum Beispiel: Nach der Berechnung E. P i e 11 es haben sich in der Höhle
Gourdan in Haute-traronne Reste von 3000 Rentieren gefunden; aus dem Keßlerloch und
benachbarten Höhlenstationen in der Nordschweiz stammen Reste von mehr als 825 Remi-
tieren.

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Zum Problem der Vemisstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 121

sein, nachdem hier allein das Gebein von 192 Renntieren, also gering ge-
rechnet mindestens 5000—6000 Renknochen, gehoben werden konnten40).
1 Bison priscus..
2 Wildpferde (Equus caballus).
l Schaf (Ovis nivicola).
Zu diesen Säugetierknochen kommen in geringfügiger Menge Knochen
einer Silbermöve (Lurus orquetatus), die angebrannten Knochen zweier
Wildgänse (Anser ferus) und die zweier großer Habichtarten sowie große
Fischwirbel, die sorgfältig geglättet als Anhängeschmuck verwendet wurden
und solcher Art nicht bestimmbar sind.
Ungeachtet dessen, daß in Malta ein nicht unbedeutender Betrag an
Dickhäutern nachgewiesen wurde und ungeachtet selbstverständlich auch
des vielfach aufgedeckten Polarfuchses, der durch die Vollständigkeit und
die ungestörte Lagerung seiner Knochen*dartut, daß er nicht gegessen wurde,
gibt sich das Ren völlig· eindeutig und unbestreitbar als Hauptnahrung der
Leute von Malta zu erkennen. Die 407 hier verzehrten Rene stellen 85,5 %
aller hier aufgedeckten zählbaren Tjere dar, ja sie erweisen sich bei Aus-
schluß der offensichtlich nicht als Speise verwendeten Raubtiere als 94,7 %
der erlegten eßbaren Säuger.
Es ist notwendig, noch auf die eigenartigen Fundumstände gewisser
Knochenreste aufmerksam zu machen. Schon am Beginn der Ausgrabungen
1928 stieß man einmal auf ein fast vollständiges Eisfuchsskelett, das seine
natürliche Knochenanordnung beibehalten hatte. Es erschien ganz selbst-
verständlich, in der Verwendung des Eisfuchses allein als Pelztier die Er-
klärung für diesen Fund zu sehen. Nun wurden 1932 aber nicht nur am
Südostrand der Siedlung auch Renskelette in ungestörter anatomischer
Knochenfolge bloßgelegt, sondern am gegenüberliegenden Nordwestrand
auch einige eirunde Bodeneintiefungen offensichtlich zur Hinterlegung be-
stimmter tierischer Körperteile angetroffen.
Am Südostrand handelte es sich um 5 Renskelette. Zwei lagen bei-
sammen, die drei anderen jedes einzeln für sich. Keines war vollständig,
jedem fehlte der hintere Teil des Körpers. Die Vorderbeine, der vordere
Rumpf, Hals und Kopf hatten sich in ungestörter natürlicher Anordnung
erhalten. Die Schädel trugen keine Geweihe. Die Tiere waren also enthäutet
worden. Im Umkreis der Skelette zeigten sich keine Geräte.
Am Nordwestrand der Siedlung deckte man unter dunkel gefärbter,
fundleerer Schicht 14 aus dem Lehmgrund ausgehobene, ovalrunde, steil-
randige Gruben von 15—80 cm Länge und 5—20 cm Tiefe auf. Sie waren
unregelmäßig angeordnet. Eine war leer, 4 von ihnen enthielten Eisfuchs-
skelette, denen nur die Pfoten fehlten, andere den Fuß eines Mammuts oder
den Schädel eines großen Vogels samt einem Teil der Halswirbel oder
Rippen- und Wirbelknochen des Rens; einige bargen auch Teile verschie-
dener Tiere zusammen, zum Beispiel ein fast vollständiges Eisfuchsskelett,
") V. J. G r o m o v , Palcolit SSSR, IGAIMK 118, S. 250.

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122 > · Fran-/ Hangar:

Rippen eines Nashorns, die Kniescheibe eines Mammuts, drei Brustwirbel


und einen Teil des Vorderfußes eines Rens sowie einige Feuersteingeräte.
Soweit ich sehen kann, ist es sehr unwahrscheinlich, hier an Küchen-
abfälle oder Reste von Fleischvorräten oder einfach weggelegte Pelztier-
leiber zu denken. Es scheint vielmehr unter den Jägern von Malta der
Brauch bestanden zu haben, sich gelegentlich mit bestimmter, uns natürlich
verborgener Absicht eines gewissen Teiles der Beute zu entäußern und ihn
im Boden durch sorgfältige Bedeckung mit Erde, Knochen und Steinen vor
anderer Verwendung, vor Zerstörung oder Entwendung zu bewahren. Ich
halle den jagdkultischen Charakter dieser Tierbestattungen für offenkundig
und zweifle auch an ihren tiertotemistischen Grundlagen nicht.
Diese Sondererscheinungen zusammen mit der Fülle an Küchenabfällen
tierischer Art kennzeichnen die Jagd, besonders die Renjagd, als hauptsäch-
lichste Wirtschaftsquelle der Leute von Malta. Die offensichtliche Ergiebig-
keit darf nicht allein als Beweis für den Wildreichtum der Gegend angesehen
werden. Der muß zweifellos groß gewesen sein, was sich aus dem Zug-
straßencharakter des Gebietes, wie ihn die Bergketten und Flußläufe vor-
zeichnen, ergibt. Die schon für die Eiszeit nachweisbar erhöht vorhandene
Kontinentalität Nordasiens hat außerdem den Wechsel der Wildherden
selbstverständlich jahreszeitlich regelmäßig gestaltet. Es muß aber auch die
Jagd von entsprechender Erfolgsicherheit gewesen sein. Hierzu zeigen sich
im Gelände von Malta sowohl die Steilabfälle der dritten Terrasse als auch
die kleinen Schluchten der einmündenden Bäche als jene landschaftliche
Eigenheit, die als natürliche Treibjagdhilfe dienen konnte. Es besteht auch
kein Zweifel darüber, daß das Ren tatsächlich in unmittelbarer Siedlungs-
nähe erlegt wurde, nachdem sämtliche Skeletteile des Rens, von den Ge-
weihen bis zu den Fußknochen, in der Siedlung gehoben wurden. Ein
anderes ist es in dieser Beziehung mit dem Mammut, dessen Zugstraße mög-
licherweise im breiteren Angaratal ging, von wo man die schweren Schädel
nicht ins Lager schleppte. Daß die Leute von Malta vor allem die Treibjagd
pflegten, dafür sprechen selbstverständlich nicht nur die Eigenheiten des
Renes selbst, seine besondere Vorsicht, seine Scheu und seine Geschwindig-
keit, sondern auch, daß im Gerätebestand der Maltastätion Angriffswaffen,
wie Wurfspeerspitzen aus Feuerstein und lahzen- oder dolchähnliche
Knochenspitzen eine mehr untergeordnete Rolle inmitten der zahlreichen
Klingengeräte vom Typus der kleinen Blattspitzen, der Kratzer, Stichel und
Bohrer bzw. inmitten der Ahlen, Nadeln und a-typischen, meist aus Mammut-
stoßzahn, seltener aus Rengeweih gemachten Knochengeräte spielen .
Das Knochengerät, dessen Herstellung sich interessanterweise an den
Funden bis in die Einzelheiten verfolgen läßt, zeigt eine Weitgehenderüber-
einstimmung in der Technik der Bearbeitung des Knochens mit der des
Steines. Knochenschliff fehlt in Malta.
Das Steingerät besitzt im allgemeinen seine Eigentümlichkeit in der
Kleinheit der Klingengeräte und im Hochstand der Abschlagtechnik. Zu
90% wurde dunkler, guter Feuerstein aus den örtlichen Ausgängen des
kambrischen Kalkes verwendet. Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung von

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Zum Problem der Venusstatuetteu im eurasiatischen Jungpaläolitliiluiin 123

Taf. VJ. Malta, Frauenfigürclien, von verschiedenen Seiten gesehen


(l zz etwa V», 2 u. 8 --· Vi, 4 ~ "/?, 0 = etwa r'A« nat. Gr.).

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124 l)r· Fran a near:

Malta spricht meines Erachtens im gesamten die kulturelle Erscheinungsform,


im besonderen der Gerätebestand trotz seiner auffallenden Eigenheiten, wie
sie zum Beispiel einerseits das Fehlen der verschiedenen Aurignacienspitzen
und andererseits das Vorkommen von Mousterienschabern darstellt, für den
Spät-Aurignaciencharakter der Station, wobei aber besonders nach den
letzten Funden vor allem in den Feuersteinspitzen solutreenartige Züge vor-
handen sein sollen47).
Bureti48).
Im Zuge der Gebietsbegehungen als Vorarbeiten zum Bau der Riesen-
wasserkraftwerke im Angaratal wurde 1936 bei Bureti (am rechten Ufer
zwischen der Bjelajamündung und dem ungefähr 80 km stromabwärts ge-
legenen Balagansk) in der Örtlichkeit „Suchaja Pad" eine altsteinzeitliche
Siedlung entdeckt, die zeitlich und kulturell Malta nahesteht. Es fanden sich
hier nicht nur Knochen des Mammuts, des Rens und des Wildesels zusammen
mit zahlreichen Klingengeräten und Nuklei, wie sie für Malta in seiner „west-
europäischen" Art unter den altsteinzeitlichen Funden Nordasiens typisch
sind, sondern man hob hier auch ein Figürchen aus Mammutzahn, das eine
Frau im Tierfell zeigt.
Über die Ausgrabungen stehen die Berichte noch aus.

Rückblickend auf die angeführten Stationen des osteuropäisch-nord-


asiatischen Spätaurignacien stellen wir vorläufig ihre weitgehende Einheit-
lichkeit hinsichtlich der eiszeitlichen Jagdwirtschaft, der Wohnweise und des
Kunstschaffens fest, vermerken aber auch eine über das Maß sozusagen
individueller Eigenheit hinausgehende Sonderheit Maltas, die uns sowohl
in der Heranziehung von Vogel, Fisch und Schlange als Darstellungsmotiv
als auch in der reichen geometrischen Musterung der Knochengeräte mit
betonter Bevorzugung von Kreis und Spirale entgegentritt. Dies ist ein
Wesenszug, der Malta jener jüngeren, dem Solutreen des übrigen Europas
gleichlaufenden Kulturentwicklung des mittleren osteuropäischen Jungpaläo-
lithikums näherrückt, deren wichtiger, aber bisher einziger Vertreter
Mezin ist.
II.
Mezin49).
Das Dorf dieses Namens liegt am rechten Ufer.der Desna, einem linken
Nebenfluß des Dnjepr, auf ungefähr halber Strecke zwischen Brjansk und
Kiew, im ehemaligen Gouvernement Cernigov. Die Örtlichkeit der jung-
paläolithisehen Niederlassung zeigt große Ähnlichkeit mit der der Poljakov-
*7) G. S o s n o v s k i j , Abhandlungen V S. 281 datiert Malta in den Übergang von
Aurignacien zum Solnlreen; P. P. J e f i m e n k o , Dorodovoe S. 405 reiht es mit Mezin
ins Solutreen.
48
) A. P. O k l a d n i k o v , Archeologieeskie issledovanija na Angare 1936, SA TV
Leningrad 1937, S.j3J9/320.
40
) F. K. V o l k o v , Paleoliticeskaja slojanka v Mezine. Tr. XIV archeol. sjezda
v Cernjgove, t. III, 1909; F. V o v k , Paleoliticni znaehidki «s. Mizeni. Zap. Ukr. nauk

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolithikum 125

und der Gagarino-Station am Don. Auch sie fand sich unfern des Ausganges
einer Schlucht, hier Balka genannt, auf einer Terrasse, nicht hoch über dem
Talboden, im Windschutz des steilabfallenden Kreideplateaus im Norden,
gegen Süden hin aber offen. Die Station wurde 1908 durch F. K. Volkov
(F. K. Vovk) aufgedeckt, Teile derselben 1909 durch P. P. Jefimenko, 1917
durch L. Öikalenko und M. J. Rudinskij ausgegraben. Sowohl die endgültige
Bloßlegung der alten Siedlung als auch die geplante eingehende Veröffent-
lichung der Funde stehen noch aus.
Die geologischen Aufschlüsse50) zeigen folgende Schichtenabfolge:
1. Jüngerer Löß in 4 m Mächtigkeit, 2. die Kulturschicht, 3. der untere Teil
des jüngeren Losses, 1,5 m mächtig, 4. geschichteter, älterer Löß, 3,4 m dick,
5. die Rißmoräne, 8—9 m mächtig, 6. das Kreidegrundgestein. Daraus er-
geben sich als Züge der erdgeschichtlichen Vergangenheit der Fundörtlich-
keit im Quartär: Die unmittelbare Einwirkung des Rißgletschers auf den
Kreidegrund und die Ablagerung seiner Moräne unmittelbar auf ihm, die
riß-würm-zwischeneiszeitliche Bildung des älteren Losses und seine würm-
eiszeitliche Umlagerung, die Bildung des jüngeren Losses in der milderen
Übergangszeit bis zum Bühl-Vorstoß, dessen beginnende Auswirkungen noch
im unteren Teil dieser letzten Lößstufe erkennbar sind. Dies ist der Zeit-
punkt, da der jungpaläolithische Mensch Osteuropas im Ortsbereich des
heutigen Mezin siedelte.
Dem entspricht vollkommen das Bild der polaren Tundrentierwelt, das
sich aus den überaus reichen Knochenfunden der Siedlungsstelle ergibt. Im
ganzen wurden ungefähr 5500 Knochen von nachweisbar 140 Einzeltieren
gesammelt. Es waren dies: 18 Mammute, 2 Nashorne, 13 Wildpferde,
14 Moschusochsen, 10 Rene, 3 Bisone, l Schaf, l Wildschwein, 4 braune
Bären, l Höhlenbär, 3 Vielfraße, 13 Wölfe, 38 Eisfüchse, 7 Hasen und andere
Nager.
tovaristva, k. IV, 1909; P. P. J e f i m e n k o , Kamennye orudija paleolitic. stojanki v s.
Mezin, Jezegodnik Russk. antrop. o-va 19J2, t. IV; V. A. G o r o d c o v , Archeologjja, 1923;
V i s n e v s k i j B. N., Doistoriceskij celovek v Rossii. Priloz. k knige Osborna „Celovek
drevn.-kamennogo veka", 1924; J. V. G o t ' j e , Ocerki po istorii material'noj kul'tury Vost.
Jevropy, t. 1,1925; M. G r u s e v s k i j , Technika i umilist' paleoliticnoj dobi v nachidkach
Mezin'skogo selisca, Zap. Ist. Sekcii UAN, t. XXXIII, 1928; M. R u d i n ' s k i j , Antro-
pologija Ricnik Kabinetu i Vovka, 1928; Y. R i z n i c e n k o, Mizen'ska paleoliticna
stancija. Cetverticnyj period, v. 1—2, 1930; P. P. J e f i m e n k o , Dorodovoe obscestvo,
1934; d e r s . Tr. Mezdun, konf. AICPJ, 1934, v. V; d e r s . Die pal. Stationen der Ost-
europäischen Ebene, Abhandlungen 1935, v. V.; G. F. M i r e i n k, Geologiceskie uslovija
nachozdenija paleoliticeskich stojanok v SSSR i ich znacenie dlja vostanovlenija cetver-
ticnoj istorii. Tr. Mezdun, konf. AlCPJ, 1934, v. V.; d e r s . Geological conditions in
which Palaeolithic sites in the USSR are found and their significance for the restoration
of Quaternary history, Abhandlungen 1935; V. I. G r o i n , 0 geologii i faune paleolita
SSSR, PGAIMK 1933, 1—2; M. R u d i n s ' k i j , ViznaSniSi seri'i kistjanich virobiv Mizin*-
skoj paleoliticnoi stacii v osvitlenni Fedora Vovka. Kii'v, 1931; L e v k o C i k a l e n k o ,
Naris rozvilku geometridnogo ornamentu paleoliticnoj dobi. Prag, 1923.
>
) V. R i z n i c e n k o, Mizin'ska paleoliticna stacija (geologiftiij ta geoniorfologienij
naris). Die Quartärperioile 1—2, 1930. Kiew 1931.

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126 Di*. Fran/, Hancar:

Es ist nicht nur der Artenreichtum Mezins, der an Pfedmost erinnert,


sondern auch die Deutung, welche er insofern erfahren hat, als zum Beispiel
J. G. Pidoplicka 01 ) die Meinung vertritt, daß der größere Teil der Knochen
des Mammuts und des Nashorns, möglicherweise auch des Pferdes und des
Bisons, nicht die Reste jägerisch erbeuteter, sondern vielmehr solcher Tiere
darstelle, die der Mensch aus den abschmelzenden Gletschern in der Art
natürlich konservierter ganzer Körper, aber auch als frische, brauchbare
Knochen gewann. Diese Vermutung ist meines Erachtens völlig unbegründet.
Es widerspricht das Vorkommen von Mammut und Nashorn weder der erd-
geschichtlichen Epoche, in welche sich die Paläolithstation von Mezin reiht,
noch läßt der hohe Kulturstand der Leute von Mezin auch nur entfernt an
ihrer jagdtechnischen Fähigkeit zu einer erfolgsicheren Treibjagd auf die
schwerfälligen Dickhäuter, das flüchtige Pferd und den gefährlicheren Bison
zweifeln.
Der Fundverband von Mezin kennzeichnet die aufgedeckten Hinter-
lassenschaften des jungpaläolithischen Menschen von Mezin als Überreste
einer alten Wohnstätte. Gleich zu Beginn der Grabungen stieß man auf An-
häufungen von Mammutstoßzahn und Rengeweih, die bekannten Rohstoff-
vorräte des jungpaläolithischen Schnitzers, und entdeckte, daß die Kultur-
schicht eine scharf umgrenzte, ovalrunde, seichte Vertiefung ausfüllt, deren
Längenerstreckung von Südwest nach Nordost mit der Richtung der Mezin-
Balka zusammenfällt. Wie in den Spätaurignacien-Wohnbauten von Kost-
jenki I, Gagarino und Malta fanden sich auch hier Unmengen, von Flint- und
Knochengeräten, von Feuersteinabsplissen und auch von Schmucksachen und
Kunstwerken unmittelbar auf dem Boden der muldenförmigen Wohngrube.
Obwohl nur 18 nr der Kulturschicht bloßgelegt werden konnten, sam-
melte man mehr als 1000 Flintgeräte gänzlich bestimmter, vollendeter und
sehr verschiedener Form, darunter Klingenkratzer, Stichel, Klingen mit abge-
stumpftem Rand, Bohrer, Kerbklingen usw., deren örtliche Herstellung durch
eine große Anzahl von Nuklei und Absplissen erhärtet wird. Es handelt sich
durchwegs um kleine, sorgfältig ausgefertigte und eindeutig auf Knochen-
bearbeitung ausgerichtete Geräte.
In der Knochenbearbeitung hat Mezin das Höchste an technischem
Können und künstlerischem Schaffen unter den Vertretern der jungpaläo-
lithischen Menschheit Eurasiens erreicht Ich will nicht sprechen von den
ganz ausgezeichnet gearbeiteten Nadeln mit Öhr, von den Ahlen, den spindel-
förmigen Speerspitzen mit Blutrinne oder Schlitz zum Einsetzen von kleinen
Flintklingen, von Pickeln aus großen Elfenbeinabschlägen und einem eben-
falls aus Mammutstoßzahn geschnitzten, eigenartigen Gerät mit verdicktem,
durchlochtem Kopf und flachem Stiel, das an die ^Beilstiele" von Predmost
erinnert, möglicherweise aber zum glättenden Durchziehen der Riemen ge-
dient hat.
Das Großartigste sind die Kunstwerke , Mezin. Wir können eine
Gruppe von Zieijkunst und eine Gruppe von darstellenden Kunstschöpfungen
51
) I. G. P i d o p l i c k a , Itogi izucenija fauny Meziuskoj paleoliüceskoj slojanki,
PR J935/3, S. 79 f.

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Zum Problem der \ 7 euusstatuetten im eurasialischen Jungpaläolithikuni 127

Taf. V I I . Mezin, Vogelfigürchen, von verschiedenen Seilen gesehen,


samt Abrollung ilir^r EinrHzungen (etwa % nat. Gr.).

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Hancar:

unterscheiden. Unter den Werken der Schmuckkunst sind das Auffallendste


die 5* cm breiten Armbänder. Sie sind meisterhaft aus Mammutelfenbein
herausgeschnitten und haben die Form breiter Bänder, die mit fein einge-
ritzten Mäandermotiven in fortlaufender Wiederholung und Umkehr allein
oder zusammen mit Zickzackschraffen vollkommen bedeckt sind. Die Arm-
reifen sind offen und haben am Ende drei Paar Schnürlöcher. Armreifen ver-
wandter Art wurden zwar zu Malta gehoben; auf eine Verzierung der
Handgelenke weisen auch die Andeutungen an der Elfenbeinstatuette aus
Kostjenki I und an der Venus von Willendorf hin, aber an diese Schmuck-
stücke aus Mezin tatsächlich herankommende Zierate lieferte bisher kein
anderer Fundort. Außer diesen ganz außergewöhnlichen Schmuckgegen-
ständen fand sich eine Reihe von Anhängseln zahnähnlicher Form, aber aus
Mammutelfenbein herausgeschnitten, Perlenstäbchen aus Elfenbein, immer
an einem Ende abgebrochen, so daß nicht entschieden werden kann, ob es
sich wirklich um Nadelköpfe handelt, wie Volkov vermutet, und schließ-
lich durchlochte Knochenplättchen mit flächenbedeckender geometrischer
Musterung.
Es handelt sich durchwegs um Körperschmuck, der ein fast unbegreiflich
hohes technisches Können teilweise schon in der Formgebung, vor allem
aber in der feinen Glättung und in der unglaublich genauen, feinen Aus-
führung der schwierigen Muster verrät.
Die gleiche Einzigartigkeit nicht nur in der technischen Vollendung,
sondern auch in der Gestaltung des künstlerischen Vorwurfes treffen wir bei
den darstellenden Kunstwerken aus Mezin. Es muß ihnen vorausgeschickt
werden, daß sie keine Spur von natursichtiger Darstellungsweise an sich
tragen und daß ihre Erkennung als Naturwiedergabe nur auf der Heran-
ziehung verwandter, weniger abstrakter Schöpfungen beruht.
Die darstellende Kunst von Mezin beschränkt sich auf die wiederholte
Wiedergabe dreier Motive. Diese sind: ein Vogel·, ein sitzendes Tier und
das Weib.
Es wurden im ganzen 6 Vogelfigürchen, eines davon unbeschädigt, die
anderen mehr oder weniger verletzt, gehoben (Tat VII). Sie sind aus Mammut-
elfenbein geschnitzt, haben 4—10 cm Länge und zeigen außer den einiger-
maßen naturähnlich wiedergegebenen Schwanzfedern keinerlei Nähe zur
Naturform. Ein keilförmiger Vor sprung deutet den Kopf an. Der Rücken
läuft vollkommen flach in den langen Schwanz über, während die Brust und
der Bauch sich übertrieben bauschig herauswölben und mit scharfem Knick
in den Hinterleib übergehen. Die Schwänze sind lang und verbreitern sich
gegen das Ende hin etwas. Eine reiche, flächendeckende, geometrische
Musterung entfernt die Wiedergabe der Vögel noch mehr vom natürlichen
Vorbild. In lebhafter Abwechslung finden wir* auf :den einzelnen, durch den
sonderbaren Körperbau sich bietenden, abgegrenzten Schmuckfeldern
Winkel- und Zickzackbänder, Parallelschraffen, Dreiecke und Mäander. Es
ist besonders ^erwähnenswert, daß Gdrodcov52) auf der Bauchseite eines
r2
' ) V. A. G o r o d c o v , Archeologija, 1923, Kamennyj period, S.281.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischeu Jungpaläolithikum 129

Taf. VJJI. Mezin:


1 .=z g*om. Musterung auf Vogelfigürchen (etwa 7 /m na t. Gr.).
und 3 -- Rundbilder hockender Tiere (?) (etwa :l/s und Vi nal. Or.).

Xfii-chrifl. \ X X . A X X I .

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130 ^ · Fran & Hancar:

Vogelfigürchens ein prachtvoll gearbeitetes Hakenkreuz, zusammengestellt


aus vier Mäandereinzelmotiven, gefunden hat (Taf. VIII, 1). Es haben schon
H. Mötefindt und L. Franz5·1) auf das Vorkommen des Hakenkreuzes in Mezin
hingewiesen. Doch handelt es sich bei ihren Beispielen um das in unend-
licher Wiederholung gebundene Motiv dieser Art. In unserem Falle erscheint
das Hakenkreuz aber als tatsächlich in sich geschlossenes, aus Großfläche
und Wiederholung herausgestelltes Einzelmotiv, und wir haben in diesem
Vogelfigürchen aus Mezin das älteste Hakenkreuz, wobei interessant ist, daß
es sich hier in Verbindung mit dem Vogel zeigt, worin Gorodcov einen
genetischen Zusammenhang zwischen Symbol und Urbild insofern sehen will,
als er auf die von C. von den Steinen54) und von A. A. Bobrinskof*1) ent-
wickelte Deutung des Hakenkreuzes als stilisiertes Bild des fliegenden
Vogels, vor allem des Storches, des Vertilgers der Schlangen und damit des
siegreichen Vertreters des Guten, des Frühlings, der Wärme und des Lichtes
zurückgreift. Solcherart will Gorodcov den ganzen zur Mythe entfalteten Vor-
stellungskreis (Storch, Vogelnest, Schlange) in den geometrischen Motiven
der Mezinvögel und der gesamten Mezinkunst (Hakenkreuz, Rhombus, Zick-
zackband) symbolisiert finden.
Die zweite Gruppe der darstellenden Kunstwerke von Mezin wird von
zwei kleinen, an hockende Tiere erinnernde Figürchen gebildet (Taf. VIII, 2,3).
Das eine ist 7,5 cm, das andere bloß 2,5 cm hoch, beide sind aus Mammut-
elfenbein grob schematisch herausgeschnitzt. Sie tragen keine Musterung der
Oberfläche. In der stark gekürzten Wiedergabe der Naturform erinnern sie
auch an die hockenden Menschenfigürchen aus Predmost.
Am weitesten entfernt von Natursichtigkeit sind die Frauenfigürchen aus
Mezin (Taf. IX, X). Nach unserer Betrachtung der Venusstatuettchen aus
Kostjenki I, Gagarino und Malta befremdet uns die Bestimmung dieser Rund-
bilder als Menschendarstellungen. Wenn wir uns aber an jene ganz sche-
matischen Frauenfigürchen des späten Jungpaläolithikums erinnern, die wir
aus der Pekarnahöhle in Mähren56) oder aus dem Petersfels bei Engen in
Baden57) besitzen, so wird uns die von Breuil zuerst ausgesprochene Meinung,
daß auch die in Rede stehenden Mezinskulpturen Frauenfigürchen seien,
nicht mehr unmöglich erscheinen. Keineswegs ist das die allgemeine Ansicht.
Volkov und Gorodcov sehen in ihnen abgebrochene Vogelköpfchen mit unter-
schiedlich lang gezogenen Schnäbeln, wobei Volkov wegen des erkennbaren
alten Bruches an einem Ende in ihnen Griffe irgendwelcher Geräte oder
53
) H. M ö t e f i n d t , Besprechung zu L. Cikalenko, Naris rozvitku geometricnogo
ornamentu paleoliticnoj dobi, WPZ X, Wien 1923, S. 122; L. F r a n z , Zum Hakenkreuz,
IPEK 1927, S. 201—203.
34
) C. v o n S t e i n e n , Prähistorische Zeichen und Ornamente, Bastian-Festschrift,
Berlin 1896.
5r>
) A. A. B o b r i n s k o j , 0 nekotorych simboliceskich znakach, obscich pervobytnoj
ornamentike vsech narodov Jevropy i Azii.
5
) J. B a y e r , Das Endstadium der diluvialen plastischen Frauendarstellung,
MAGW LX, Wien ^930, Abb. 1.
ö7
) J. B a y e r , a. a. 0. Abb. 2—4; E. Peters, Die Kunst des Magdalenien vom Peters-
fels, IPEK 1929, S. l ff., Taf. II.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaliiolilhikum 131

Taf. Ú×. Mezin, Frauenfig rchen, von verschiedenen Seilen g


samt AbrolJung der Einritzungen (etwa "In nal. Gr.).

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132 ) · Fran·/ Hancar:

Bruchstücke irgendwelcher Schmuckgegenstände vermutet Einige unter


ihnen (Taf. X, 4) halt Volkov für phallische Darstellungen, Die sichere Be-
stimmung der Figürchen stößt also auf Schwierigkeiten, da die Schemati-
sierung der menschlichen Gestalt tatsächlich bis zum Äußersten geht. Wir
können an den 10 Figürchen, deren Länge zwischen 2,5 cm und 15 cm
schwankt, eigentlich nur den am meisten auffallenden, halb umlaufenden
Wulst als die sonst bei den Venusfigürchen stark hervortretende Hüft- und
Gesäßpartie erkennen. Im übrigen läßt sich kaum entscheiden, welcher der
beiden davon ausgehenden Teile den Oberkörper und welcher den Unterleib
darstellen soll. Die langgezogene, zugespitzte Form des einen ließe zwar
eher an die Darstellung der Beine, an ein Einstecken des Figürchens in den
Lößgrund denken, womit sich aber schwer vereinbart, daß gerade dieser
Teil besonders fein poliert und mit eingeritzten Mustern bedeckt ist, während
der andere, viel kürzere Teil ungeziert und wenig gut geglättet verblieb. Es
ist also meines Erachtens die richtige Stellung, die ich gegen Volkov in den
Abbildungen gebe. Wieweit BreuiP8) im Recht ist, aus den angebrachten
Mustern (siehe die Aufrollungen Taf. IX, X, l, 3) die Andeutung der Nase,
der Haare, die auf die Brust gehobenen Arme und die Geschlechtsbezeich-
nung zu erkennen, müßte man an den Originalen überprüfen. Jedenfalls steht
diese schematisierte Körperwiedergabe hinter dem wesens- und formver-
wandten, geometrisierten Frauenbild von Predmost an Straffheit des Zusam-
menhangs zwischen Vorwurf und Kunstwerk sowie an Klarheit in der Durch-
führung des Gestaltungsgrundsatzes weit zurück. Von einem Zusammenhang
zwischen der geometrischen Musterung der Figürchen und einer möglichen
Körpertätowierung ist meines Erachtens abzusehen. Die Körperform ist hier
so stark auf das Symbolische abstrahiert, daß das Hinzutreten des für Mezin
so überaus charakteristischen Flächenornaments nicht an eine in der Natur
begründete Einzelheit anzuknüpfen braucht. In ihrer künstlerischen Gestal-
tung geben auch die Mezinflgürchen sich als reife, zweifellos formbewußte,
nicht zufällige, spielerische Schöpfungen der Eiszeitjäger Osteuropas zu
erkennen.
Einstweilen ist Mezin in seinen Kunstformeh etwas Einmaliges, wenn es
auch durch seine verwandtschaftlichen Ähnlichkeiten einerseits zu Malta und
andererseits zu Predmost nicht bindungslos im östlichen Eurasien auftritt.
Jedenfalls ist diese ausgeprägte Eigenheit der Kultur von Mezin mit ein
Grund dafür, daß ihre Datierung auf Schwierigkeiten stieß und die ver-
schiedensten Meinungen auslöste. Als Aurignacien bestimmten Breuil, Anucin
und Richthofen die Lößstation von,Mezin, für Spät-Aurignacien halten sie
Obermaier, Rudinskij und Mircink, als Früh-Magdalenien bezeichnet sie
Kozlovski, ins Spät-Magdalenien reihen sie Volkov und Ebert, während sie
von Bonc-Osmolovskij und Gromov dem Solutreen zugeschrieben wird,
Jefimenko sie aber in den Übergang vom Solutreen zum Magdalenien rechnet.
Menghin betrachtet sie als wesensverwandt, aber jünger als Predmost, woraus
5S
) H. BreuJJ', Les subdivisions du paleolilhique superieur et leur signification,
Congres intern. d'Anthr. et d'Arch. prehist.. Geneve 1912, 2. Auflage, Paris 1937, S. 25—2<J.
Man beachte die Aufrollungen hier Taf. TX, X, l, 3.

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Zum Problem der Venusstatuetlen im eurasiatischen .Uingpaläolilhikum 133

Taf. X. Mezin, Frauenfigürehen, von verschiedenen Seilen gesehen,


samt AhroJlung der Einritzungen (1 - etwa V·.·, 2 bis (> etwa Vi mil. Gr.).

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134 ßi'· Franz Hancar:

sich die zeitliche Stellung der Kultur von Mezin als gleichlaufend mit dem
Solutreen ergibt. Ich halte das ausgeprägte Auftreten der eiszeitlichen Kälte-
tierwelt sowie die eindeutige Stellung Mezins im Ablauf der osteuropäisch-
nordasiatischen Kunstenwicklung zwischen Malta und den typischen Ver-
tretern des späten Jungpaläolithikums als ausschlaggebend, die Kultur von
Mezin in den mittleren Abschnitt der jungpaläolithischen Epoche Eurasiens
zu rechnen, das ist, sie dem Solutreen des Westens gleichzusetzen.
Abschließend sei noch vermerkt: Der allgemein urgeschichtliche For-
schungswert Mezins liegt darin, daß diese Lößstation den Schlüssel zum
Verständnis der künstlerischen Eigenart des Ostens bergen muß. Man darf
m. E. den Osten allein im Hinblick auf seinen tatsächlich auffallenden Abstich
zu den Kunstschöpfungen des Westens mit den unzähligen lebensfrischen Tier-
bildern nicht rein äußerlich als geometrische Kunstprovinz des Jungpaläo-
lithikums abtun, sondern.wird das Augenmerk außer auf alle, wenn auch
nur geringfügigen Abänderungen in Wirtschaft und Lebensweise eher auf
die Ergründung jener Sondererscheinungen in der Kunst von Mezin lenken
müssen, daß das Spät-Aurignacien-Venusfigürchen hier von Vogel, Phallus (?)
und einem höchst schematischen Frauenstatuettchen, also von Formen ab-
gelöst wird, die, in sich innig verwandt, eigentlich ineinander übergehen.
Findet die Kunstrichtung von Mezin, findet diese äußerste Schematisie-
rung des künstlerischen Vorwurfes, verquickt mit geometrischer Musterung,
im späten Jungpaläolithikum ihre Fortsetzung?

III.
Timonovka*9).
Unfern dieser Ortschaft, am rechten Ufer der Desna, 4 km südwestlich
von Brjansk, liegt die Paläolithsiedlung auf dem terrassenartigen Abhang
einer Uferhöhe, 25—30 m über dem Flußspiegel. Die tiefe Schlucht der
Prilavka, das Desnatal und die Monastirschlucht begrenzen die alte Sied-
lungsstelle, die 1927 durch M. V. Voevodskij aufgedeckt und 1928 von ihm
teilweise ausgegraben wurde. Die Fortsetzung der Ausgrabungen in den Jahren
1928—1933 wurde von V. A. Gorodcov durchgeführt. Es gelang bisher, die
Kulturschicht auf einer Fläche von 24000 m 2 festzustellen und mit 1178 m2
rund ein Zwanzigstel derselben bloßzulegen.
Infolge der nacheiszeitlichen Abtragungs- und Zertalungsvorgänge an
diesem Flußkap sind die geologischen Lagerungsverhältnisse kompliziert.
5
") M. V. V o e v o d s k L j , Timonovskaja paleoljtiEeskaja stojanka. RA# 1929,
t. XV11I, v. 1—2; G. F. M i r c i n k , Geologiäeskie uslovija nachozdenija paleoliüceskoj
stojanki v d. Timonovke pod g. Brjanskom. RA# 1929, t. XVIII, 1—2; V. A. G o r o c U o v ,
Technika i tipologiceskaja klassifikacija kreinnevych rezco'v Suponevskoj i Timonovskoj
paleoliticeskich stojanok iz raskopok 1928 i 1929 gg. Technika obrabotki kamnja i metalla,
RANION, Moskva 1930; d e r s. Timonovskaja paleoliticeskaja stojanka, Vestn. Akad. Nauk,
1932, No. 6; d e r s. Timonovskaja paleoliticeskaja stojanka, Rezul'taty archeologiceskich
raskopok v 1933 g., izd. Akad. Nauk, 1935; P. P. J ' e f i m e n k o , Dorodovoe obscestvo,
1934; V. I. G ronAo'v, Nekotorye novye dann^e o faune i geologii B. Jevropy i Sibiri.
Paleolit SSSR, 1GAIMK 118; V. A. G o r o d c o v , Social'no-ekonomiceskij stroj drevnich
obitalelej Timonovskoj paleolitißeskoj stojanki, SET 1935, 3.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpaläolilhikuin 135

Gorodcov, gestützt auf die Bodenuntersuchungen B. N. Dansinö, datiert Timo-


novka in die Riß-Würm-Zwischeneiszeit. Doch wird durch Mircink00) fest-
gestellt, daß der jungpaläolithische Mensch frühestens am Ende der würm-
eiszeitlichen Lößdeckenbildung oder spätestens knapp nach deren Abschluß
hier siedelte, was auch mit Tierwelt und Kulturform der Station überein-
stimmt.
Das bis 1931 gehobene reiche Knochenmaterial beweist nach den Be-
stimmungen V. I. Gromovs01) das einstige Vorhandensein von Mammut (min-
destens 50 Einzelwesen, überwiegend junge Tiere), Ren (3 Tiere), Eisfuchs
(2 Tiere), Wolf (l Tier), brauner Bär (2 Tiere) und einer unbestimmten
Vogelart, wozu nach neueren Untersuchungen Gromovs02) noch Nashorn,
Bison, Pferd und die gewöhnlichen Raubtiere kommen.
Im Verlaufe der fünfjährigen Ausgrabungstätigkeit wurden zu Timo-
novka 6 Wohngruben, 4 Vorratsgruben, 2 Werkstätten zur Erzeugung von
Feuersteingeräten, 2 eingetiefte Freilandherde, l Knochenabfallshaufen und,
außerhalb der Wohnung gelegen, eine Feuer stelle aufgedeckt.
Die Wohnbauten von Timonovka sind große, rechteckige Gruben von
6—10,5m Länge, 3—3,5m Breite und 2,5—3m Tiefe. Sie zeigen lotrechte
Wände mit Spuren von Holzverkleidung. Nach Gorodcovs Beobachtungen war
das Dach flach. Es bestand aus quergelegten Holzbalken und einer darüber
gehäuften Erdschicht von ungefähr 20 cm Dicke. Sie enthielt viel ver-
schiedenen Siedlungsabfall, wie Tierknochen, Stein- und Knochengeräte,
Flintabsplisse, kleine Kohlenstückchen und Asche. In die Wohngrube führte
ein stufenlos sich senkender Gang von 2,5 m Länge und l m Breite. Er
mündete an einer Längswand der Wohngrube, wie bei drei Wohngruben fest-
gestellt werden konnte. Bei einigen Wohngruben waren Herd und Rauch-
abzug vorhanden. Auffallend ist die paarige Anordnung der Wohngruben:
Wohngrube I und II sind nur 3 m voneinander entfernt, Wohngrube IV und V
8 m, Wohngrube VI und VII 10 m, während die Abstände zwischen den
Paaren mindestens 12—16 m betragen. Eine der Wohngruben war immer
größer als die zugehörige zweite. Sie enthielt einen Herd, die andere nicht.
Zu jeder Wohngrube gehörten l—2 Vorratsgruben von kegelförmiger,
in den Boden eingetiefter und unten abgerundeter Form mit 3,5—4 m oberem
Durchmesser und 2,46—2,80 m Tiefe. Auch sie besaßen einen abwärts
führenden Zugang, der kennzeichnenderweise in die Richtung der am
nächsten gelegenen, etwas mehr als 5 m entfernten Wohngrube wies. Diese
Vorratsgruben stellen eine ganz neue, bisher unbekannte Art der jungpaläo-
lithischen Wirtschaftsanlagen dar. Gorodcov vermutet, daß sie ein leichtes
Kegeldach besaßen. Was an Flintgerät sich hier fand, stellt eine unbe-
deutende Menge dar. Auch Holzkohlenreste sind ganz selten. Auf den Ge-
danken, diese Wohngruben als Speicher zu deuten, wurden die Ausgräber
dadurch gebracht, daß heute noch in Weißrußland Erdgruben ähnlicher Form
zum Aufbewahren der Kartoffeln gebraucht werden.
m
) G. F. M i r E i n k , a. a. C).
"') V. I. G r o m o v , PaleolH SSSH, 118, S.*2«6.
**) V. I. < i r o n i o v , Abhandlungen V, S. 106.

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136 Dr. Franz Hancar:

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in der ofl'ensichtlich plan-


mäßigen Anlage der paarigen Wohngruben mit ihren Vorratsgruben die
Gemeinschaftsordnung der Leute von Timonovka ihren Ausdruck findet.
Gorodcov denkt an die Scheidung in Männer- und Frauenhäuser. Danach
müßten wir in den größeren Wohngruben mit Herd, welche anscheinend auch
die größeren Speicher besitzen, die Frauenhäuser erkennen.
Im gleichen Sinne spricht die Tatsache, daß unmittelbar an die herd-
losen Wohngruben sich Plätze anschließen, die durch ihre Unmengen von
Feuersteinarbeiten und Flintabfällen sich als Werkstätten zu erkennen geben.
Zum Beispiel stieß man an der rückwärtigen Wand der Wohngrube VII auf
einen Platz, der buchstäblich besät und überhäuft von Feuersteinarbeiten
und Abfall war. Man hob hier 291 Nuklei, 98 Kerngeräte, 2 Abschläge,
2415 messerartige Klingen, 84 Gravettespitzen, 40 Bohrer, 257 Mikroklingen
ohne Retusche, 16 mit Retusche, 115 Einsatzklingen, 696 Klingenkratzer,
1663 Stichel, 400 Stichelabsplisse, ein beilartiges Gerät,Ji8 Stäinunterlagen
(Ambosse), 72 keilartige Geräte, 25000 Flintsplitter usw. — im gesamten
rund 33 400 gesammelte Flintgegenstände und Späne.
Der Werkplatz gibt im einzelnen das kennzeichnende Bild der gesamten
Flintindustrie von Timonovka, aus der sich die messerartigen Klingen und
die verschiedenen Stichel durch ihre besonders große Zahl und ihre Auf-
spaltung in 75 Typen, wie Gorodcov63) festgestellt hat, als führende Formen
herausstellen. Interessant ist, daß einer der Werkplätze das „Spezialisten-
tum" seines Meisters insofern kundgab, als sich dort mehr als 1000 charakte-
ristische, feine, nadelartige Stichelabsplisse fanden, die an den anderen Werk-
plätzen selten und anscheinend nur zufällig vorkamen.
Als Rohstoff diente guter, dunkelgrauer Kreidefeuerstein, der sich aber
erst 10 km weit entfernt von der Paläolithstation Timonovka besonders am
Flusse Suponevka findet. Der örtliche Flint ist schlecht und wurde nicht
verwendet. In den Werkstätten fanden sich auch Stücke von dunkelbraunem
Eisenstein. Er kommt unfern der Station anstehend vor. Es ist möglich, daß
ihn der Mensch von Timonovka zur Herstellung der Lampen, wie sie ge-
funden wurden, verwenden wollte oder aber daß er die mineralische Farbe
in ihm suchte. Im allgemeinen traf man Farbstoff nur in den Wohngruben.
Die Menge der zu Timonovka gefundenen Knochenarbeiten ist gering und
beschränkt sich auf Nadeln mit Öhr, eine Angel, Ahlen, ein messerartiges
Gerät und einige Mammutstoßzahnstücke mit Einritzungen vor allem geo-
metrischer Art, darunter aber zwei, die unter die darstellenden Kunstwerke
zählen. Beide stammen aus der Wohngriibe I, .die nach dem vorhandenen
Herd als Frauenhaus gelten muß.
Das eine Kunstwerk ist aus dem Stoßzahn eines sehr jungen Mammuts
hergestellt (Taf. XI, 2). Das Wurzelende ist grob weggebrochen, das andere
künstlich abgerundet und mit einem Einschnitt versehen. An der Stoß-
zahnoberfläche ist ein Bild eingeritzt: Ein quergestreiftes Wellenband und
3
) V. A. G ojödco v , Technika i tipologiceskaja klassifikacija kremnevych rezcov
Suponevskoj i Timonovskoj paleoliticeskich ßiojanok iz raskopok 1928 i 1929 godov.
Technika obrabotki kamnja i metalla, RANION V, 1930, Moskva.

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Zum Problem der Venusstatuetteii im eurasiatischen Jungpaläol Unikum 137

zwei aneinandergefügte, ungleich große, gegitterte Rhomben.· Man hat den


Gegenstand als Griffstück angesehen. Doch erweist sich der Einschnitt am
Zahnende zu seicht zum Einsatz einer Flintklinge; die meines Erachtens
richtige Deutung ist die, in dem Ganzen eine Phallusdarstelluiig zu sehen, wie
auch in den gegitterten Rhomben die stark geometrisierte Wiedergabe eines
Fisches sich verbergen dürfte. Wir stoßen in dieser Kunstschöpfung auf eine
verwandte Erscheinung zu jener, die uns in Mezin in der Formverquickung
von Weib-Vogel-Phallus ganz eigentümlich entgegengetreten ist.
Daß es sich bei den gegitterten Rhomben um eine Fischdarstellung
handelt, wird aus dem zweiten Mammutstoßzahn, der eine figürliche Ein-
ritzung trägt, klar (Taf. XI, 4). Neben der rein geometrischen, gegitterten
Darstellung des Fischkörpers sind die Flossen als solche eindeutig erkennbar.
In der zeitlichen Einordnung der Paläolithstation von Timonovka ist man
hinsichtlich ihres Magdalenien-Charakters völlig einig. Die Meinungen gehen
nur hinsichtlich der Zuordnung zu seiner frühen, mittleren oder späten Stufe
auseinander. Meines Erachtens spricht die erdgeschichtliche Stellung, die
Tierwelt sowie auch das Steingerät und das gering bezeugte Knochengerät
eher für eine frühe Stufe.
Die Verwendung des Mammutstoßzahnes als Träger künstlerischen Aus-
druckes, die Verquickung schematischer Naturwiedergabe mit rätselhaft
geometrischen Darstellungen verbindet die Kunst Timonovkas nicht nur mit
der reichen Kunst von Mezin, sondern auch mit der dürftigen aus der Station
von der Kirillovskaja ulica in Kiew.

K i r i l l o v s k a j a u l i c a — K i e w ( u n t e r e Schicht) 0 4 )·
Die Station in der Kirillovskaja-Straße zu Kiew wurde 1893 durch
V. V. Chvojka aufgedeckt und bis 1900 von ihm ausgegraben. Sie ist offen-
sichtlich restlos aufgedeckt, ohne aber bei der Unzulänglichkeit der Unter-
suchungsmethoden, bei der Verstreuung des Fundmaterials und bei der Un-
genauigkeit hinsichtlich der Schichtverhältnisse jenen urgeschichtlichen Er-
kenntnisgewinn zu vermitteln, der dieser größten jungpaläolithischen Löß-
station Osteuropas zugekommen wäre. Die Station liegt am Fuß des steil-
abfallenden Uferplateaus, auf dem die Altstadt ungefähr 100 m über dem
Dnjepr sich ausbreitet. Erdgeschichtlich erweisen sich die Aufschlüsse am
Plateauabsturz hier sehr interessant, indem sie ein Bild der Vergangenheit
des Dnjepr-Tales geben. Am Grund des Hochufers ruht fester, bläulicher Ton
**) V. B. A n t o n o v i c, Painjatniki kamennogo veka, najdennye v Kieve. Tr. X Ri'Zsk.
archeol. sjezda, t. J I I ; P. J. A r m a s e v s k i j i V. B. A n t o n o v i c, 0. nachozdenii koslej
niamonta v Kieve sovmestno s kremnevymi orudijami. Dnevn. IX Sjezda russk. jeslestvoisp.
i vracej, 1894 i Zap. Kievsk. o-va jestestvoisp., i. XIV, v. I; V. V. C h v o j k o , Kamennyj
vek srednego Pridneprov'ja. Tr. XI Kievsk. arch, sjezda, t. I, 1901; L i n i c e n k o i
C h v o j k o , Narhodka ornamentirovannych kostej mamonta. Zap. Odesskogo o-va ist.
drevn. t. X X I I I ; F. V o l k o v, L'Anthropologie 1903, No. 3; d e r s. Iskusslvo inadlenskoj
epoch i v Ukraine. Archeol. Jetop. J. Kossii, 1903; W. C h v o i k a , Deconvolves jmleo-
lithiques reeemmenl faites en Russie. L'Anthropologie X I I ; P. P. J e f i in e n k o, Doro-
düvof» olisfrslvo. 1934: d e r s. Abhandlungen V, 1935; M. E b e r t , SfidrniJIand im Aller-
luni. 1921.

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<
138 · Fran« Hancar:

(Spondyluston), der abgebaut wird, darüber folgen tertiäre Meeresablagerun-


gen, dann frühquartäre Süßwasserlehme, schließlich Gletscherlehm und Ge-
sell iebe von Gesteinsarten aus dem skandinavisch-baltischen Gebiet, die aus
der Hißeiszeit stammen, und darüber Löß. Alle diese Schichten sind an der
altsteinzeitlichen Siedlungsstelle durch den späteiszeitlichen Dnjepr fast bis
an den Spondyluslehm weggetragen. Es bildete daher diese Tertiärschicht die
Uferterrasse, auf welcher der jungpaläolithische Mensch siedelte. Beim wie-
derholten nacheiszeitlichen Steigen des Dnjeprspiegels verschüttete aber der
Strom die alte Lagerstätte mit einer 20—22 m mächtigen lößartigen Ablage-
rungsschicht, unter der sie erst im Verlaufe von neuzeitlichen Bauarbeiten
wieder bloßgelegt wurde.
Die Kulturreste zeigten sich in mehreren Herdschichten aus Asche,
Kohle, zerbrochenen und angebrannten Tierknochen, verkohlten Holz-
stückchen und einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Flintgeräten.
Die Mammutreste überwiegen. Es konnten mindestens 67 Einzelwesen
verschiedenen Alters festgestellt werden. Selten waren die Reste des Nas-
horns.
Die Anhäufung der Knochen und die zahlreichen Feuerstellen kenn-
zeichnen die Station als langbenützten jägerischen Lagerplatz. Von Wohn-
bauten melden die Ausgrabungen nichts. Auffallend ist jedenfalls, daß hier
auch schwere Mammutschädel an Ort und Stelle angetroffen wurden, was
unbedingt für eine Jagd in unmittelbarer Nähe spricht.
Die gesammelten Flintgeräte sind hauptsächlich kleine Klingen, Kratzer,
Stichel und Flintabfall. Sie datieren die Station mit größerer Wahrschein-
lichkeit ins frühe Magdalenien (Jefimenko) als ins Aurignacien (Rudinskij,
Ebert).
Die Knochenverwertung wird in der Kirillovskaja-Station allein durch
eine Reihe von Mammutstoßzähnen bezeugt, die Furchen und Kerben, Ab-
schläge und Glättungen, Brüche und Gebrauchsspuren aufweisen. Das inter-
essanteste Stück ist uns mit einem Stoßzahnendstück gegeben, das seine
ganze Oberfläche mit eingeritzten Darstellungen bedeckt zeigt (Taf. XI, 3).
Sie sind insofern von merkwürdiger Art, als zwar das Vorhandensein von
Tierbildern ganz offensichtlich erscheint, ihre ornamental geometrische Ge-
staltung das natürliche Vorbild aber so stark schematisiert und eigenwillig
umformt, daß nicht festzustellen ist, ob es sich um einen eingerollt liegenden
Säuger oder um irgendein Wassertier oder um einen Vogel und darunter
um eine Schildkröte handle, wie angenommen wurde.
Stilistisch tritt uns in diesem Stoßzahnbildnis eine Kunstrichtung ent-
gegen, die. uns auf osteuropäischem Boden nicht unbekannt ist. Wir fanden
sie in Mezin, das in seinen Rundbildern .eine bis. zur Unkenntlichkeifdes
natürlichen Vorbildes gehende Abstraktion der Naturform mit reichster, aus-
gereifter geometrischer Musterung verquickt; wir trafen sie auch in Timo-
novka, dessen darstellende Kunst sich an der gleichen Grenzlinie zwischen
Naturwiedergabe und Symbolik bewegt. Hierher müssen wir auch die beiden
Zufallsfunde aus'Ozarynci und Kolodjazne sowie den Grottenfund von Melito-
pol reihen.

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Zum Problem der Venusstatuetteu im eurasialischen .lungpaläolilhikiiin 139

Taf. XL Rüzzeichnun#en auf Mainnuitstoßzälinon:


1 - O'/arynri, *2, 4 = Timonovka, H Kirillovskaja ulica (Kiev).

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140 ^ · Franz Hanöar:

O z a r y n c i (Taf. XI, l)05).


Es handelt sich um ein Stück Mammutknochen, das das Bild eines file-
phas primigenius eingeritzt zeigt. Das Bruchstück wurde 1912 bei Ozarynci
in Podolien im Gebiete von Mohyliv-Podils'kyj (Mohilev) gefunden. Es gibt
eine Seitenansicht des Mammuts. Der Kopf ist samt dem Rüssel nach vorn ge-
hoben, die Beine wie im Schritt angedeutet. Vom künstlerischen Standpunkt
aus ist die Arbeit äußerst schwach, die Linienführung unsicher, die Erfassung
der Wesensmerkmale lückenhaft. Verglichen zum Mammutbild von Malta
mutet es wie unecht an. Seine Einreihung in die jungpalöolithische Kunst
beruht allein auf der Tatsache, daß im Bereiche der angeblichen Fundört-
lichkeit auch Spuren einer altsteinzeitlichen Besiedlung (nach M. Rudynskij
dem Magdalenien zugehörig) entdeckt wurden. Einer wissenschaftlichen Ver-
wertung des Kunstwerkes ist Vorsicht geboten. Ähnlich verhält es sich mit
einem gravierten Hirschknochen aus Kolodjazne.

K o l o d j a z n e (Taf. XII, l)Cß).


Der Ort liegt 6 km von Myropol in Wolhynien. Hier zieht längs des
rechten Sluc-Ufers ein Steilabfall, wo Ziegellehm abgebaut wird. Bei dieser
Gelegenheit wurden aus unsicherer Schicht zwei gravierte Hirschknochen
gehoben. Die Deutung der Darstellungen durch Levickij ist äußerst gewagt.
Es läßt sich wohl links in das Gekritzel das Bild eines Hirsches, rechts davon
in die rätselhaften Linien der Körper eines fliehenden Tieres und in die
Einritzungen darüber die Seitenansicht eines menschlichen Gesichts und eine
Lanze hineinsehen. Zu sicheren Angaben fehlen aber die Voraussetzungen.

Melitopol67).
Im Zuge der 1935 durchgeführten Paläolith-Forschungsarbeiten am Azow-
schen Meer wurden in der Nähe von Melitopol alte Grotten aufgedeckt, deren
eine auf ihren Deckplatten verschiedene, in den Stein geritzte Bilder zeigte
(Taf. XII, 3). Es handelt sich um die Wiedergabe von Tieren zusammen mit
rätselhaften geraden und krummen Linien, mit Schraffen und Gittern-. Die
Ausgrabungen dieser Grotten sind in den Arbeitsplan für 1937 aufgenommen.
Es wäre dies einstweilen der einzige Fall von möglicherweise altsteinzeit-
licher Felskunst auf osteuropäischem Boden. Wenn auch die Gestaltung des
Bildes ganz in den Rahmen der späten jungpaläolithischen Kunst fällt, muß
doch das Alter der Felsgravüre erst erhärtet werden.
er>
) M. R u d y n s k y i , Les trouvailles paleolithiques d'Ozarynci (Podolie) Recueil
d'etudes dedie au Dr. W. Demetrykiewicz, Posnan 1930, S, 4—8; J. Skutil, Ossarynce"imd
Iskorost in Osteuropa (Ukraine), Eiszeit und Urgeschichte Bd. 5, Leipzig 1928, S. 46—48.
oc
) V. Scerbakivskyj, Bemerkungen über neue und wenig bekannte; paläolithische
Stationen in der Ukraine, Die Eiszeit IV, S. 121; J. L e w i z k i j , A propos d'une trou-
vaille a Kolodiajne (Volhynien), Bulletin du Laboratoire d'Anthropologie et d'Ethnologie l,
Kiev 1925, S. 35.
C7
) 0. B a d e f," Dve ekspedicii po izuceniju paleolita v severnom Pricernomore,
Chronik, RA2 1937, S. 142—144.

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Zum Problem der Venusstatuetten im curasiatischen Jungpaläolilhikum 141

^SifeN**
(/<
\ MacujmoÖ

^\
n CM

Taf. XU. Rit%%eichiiungon:


1) auf H n ein Hirschknochen aus Kolodjazne, 2) auf einem Manunulstotoilni aus Hom'.v,
ü) auf einer Felsplatte aus der Umgebung von Melitopol.

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142 1> ·. Franz Hancar:

Soweit wir sehen können, dringt die osteuropäische Kunst des Jung-
palüolithikums nirgends zu jenen Ausdrucksformen durch, welche uns an
den Kunstwerken des Westens so verblüffen.

Honcy' 5 *).
Die Paläolithstation liegt am Udaj zwischen den Orten Honcy und
Duchova im Kreise Lubny des ehemaligen Poltava-Gouvernements. Die
Kulturreste, welche schon 1873 entdeckt, aber erst 1914—1916 durch
W. N. äcerbakovskij ausgegraben wurden, lagerten in einer bis 40 cm dicken
Schicht auf einer alten Terrasse des rechten Udajufers auf eiszeitlichen An-
tragungen und waren von 3—3,50m mächtigem Löß überdeckt. Die Kultur-
schicht zeigte sich nicht gleichmäßig über die bloßgelegte Fläche verteilt,
sondern bildete, wie Scerbakovskij sich ausdrückt, besondere „Knochen-
haufen", zwischen denen sich nichts an Feuersteingeräten und Flintabsplissen
trotz genauester Durchsuchung des Lehmes finden ließ. Die „Knochen-
haufen" hatten rundliche Form von 1,20—5,60 m Durchmesser. Sie ließen
keine planmäßige Gruppierung, wohl aber einzelne aus ihnen insofern einen
bestimmten Bau erkennen, als der mittlere Teil jedes Haufens aus feineren
Abfällen und Verbrennungsresten bestand, die großen Knochen, wie Mammut-
schädel, Schulterblätter, Stoßzähne usw. aber den äußeren Rand bildeten.
Wenn Scerbakovskij dazu berichtet, daß zum Beispiel beim größten der
„Knochenhaufen", welcher rund 5,60 m Durchmesser hatte, die zugehörigen
27 Mammutschädelknochen und die 30 Schulterblätter stehend angetroffen
wurden, wird uns aus der Ähnlichkeit zu den Fund Verhältnissen von Kost-
jenki I und Gagarino klar, daß es sich auch bei diesen großen „Knochen-
haufen" von Honcy um Reste paläolithischer Wohngruben, bei den kleinen
um Herde, Vorratshaufen, Werkplätze u. dgl. handeln müsse. Es ist be-
zeichnend, daß unter den ersteren weder Verbrennungsreste noch Brand-
spuren sich zeigten. Die Mammutstoßzähne, die zweifellos einen Vorrat an
Rohstoff darstellen, fanden sich ganz kennzeichnend wie in den Paläolith-
siedlungen des Voronezgebietes auf dem Dach der Erdhütten.
Die Notwendigkeit von dauerhaften Wohnungen wird uns aus der"unge-
heuren Zahl von Mammuten klar, die hier verzehrt wurden. Scerbakovskij
"*) A. S. U v a r o v , Kamennye period, T. I, Moskau, .1881; F. I. K a m i n s k i j ,
Sledy drevnejsej epochi kamennogo veka na r. Sule. Tr. Ill (Kievsk.) arch, sjezda, t. I,
i VI arch, sjezda, T. I; A. A. S p i c y n, Russkij paleolit. Zap. Otd. russk. i slav. arch.
Russk. arch, o-va, t. XI, 1915; V. M. S e e r b a k o vsji i j , Raskopki paleolit. stojanki v
Goncach. Zap. nauk. t-va Poltayscine, 1919; T; Archaeological Work in Ukrain by Professor
§ c e r b a k i v s k y j, The Antiquaries Journal 5, Oxford 1925, S. 273—277; V. A. G d-
c o v, Issledovanie Goncovskoj paleolitic. stojanki v 1915 g., 'Tr. Otd. arch. RANION, 1926,
t. I; d e r s. Archeologija, 1923; P. P. J e f i m e n k o , Nekotorye itogi izucenija paleolita
SSSR. Celovek, 1928, No. 1; V. S c e r b a k i w s k y j , Eine paläolithische Station in Honci
(Ukraina), Die Eiszeit, III. Band, 1926; B. N. V i s n e v s k i j , Doistoriceskij celovek v
Rossii. Priloz. k knige Osborna „Celovek drevnego kamennogo veka", 1924; P. P. J e f i -
m e n k o , Dorodovp£./obscestvo, 1934; d e r s. Paleoliticeskie stojanki Vostocnojevropejskoj
raviny. Tr. Mezdun, konf. AIÖPJ, 1934, v V; d e r s. Die paläolithischen Stationen der Ost-
europäischen Ebene. Abhandlungen V, 1935.

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Zum Problem der Vemisstatuetten im eurasiatischen Juiigpaläolithikum 143

zählte 67, neben denen Ren und Hase zahlreich, Elch, Bison, 'Bär und Wolf
aber in geringfügiger .Menge nachweisbar sind. Das Nashorn fehlt in Honcy.
Interessant ist der Hinweis Scerbakovskijs auf das Vorkommen „alter
Mammute von Zwergenwuchs" neben solchen normaler Größe. Das „kleine"
Mammut wurde wiederholt in den Knochenresten der jungpaläolithischen
Stationen aus den Gebieten von Voronez, Brjansk und Öernigov zusammen
mit dem „großen" angetroffen. Ersteres ist nicht nur kleiner als der typische
Elephas primigenius Blum., sondern erreichte \yahrscheinlich auch nicht die
Ausmaße der heutigen Elefanten. Wichtig ist, daß sich die beiden Mammut-
formen im Jungpaläolithikum Osteuropas als gleichzeitig erweisen, was für
dieses Gebiet die von Soergel00) angedeutete Vermutung, daß es sich dabei
um eine mißartete Form handle, ausschließt70).
Unter dem Steingerät, das aus dem hier gewöhnlichen dunkelgrauen und
gelben Flint hergestellt wurde, herrschende Stichel und Kratzer vor. Neben
den Klingenkratzern gibt es auch Rundkratzer, ebenso wie die vorge-
schrittenen Mikroklingen in Verwendung standen. Im allgemeinen sind die
Klingen gut, die Bearbeitung sorgfältig, das Gerät aber ziemlich klein.
Die Knochengegenstände sind nach Form und Zahl ärmlich. Es fanden
sich: kleine Ahlen aus den Röhrenknochen des Hasen, bolzenartige Speer-
spitzen, Nadeln mit Öhr und ein Hammer (?) aus Rengeweih. Interessant ist
der Fund eines Mammutstoßzahnes mit Einritzungen (Taf. XII/2).
Ich zweifle nicht daran, daß der „Knochenhaufe" VI ein Werkplatz war.
Es verweisen darauf die Elfenbeinvorräte aus 11 Mammutstoßzähnen, die zer-
streuten Stoßzahnstücke, die zahlreichen Nagetierknochen, die zahlreichen
Mammutknochen, die als Arbeitsbehelfe dienen konnten, die zerbrochenen
und beschädigten Feuerstein- und Knochengeräte und auch der erwähnte
Stoßzahn mit Einritzungen. Es handelt sich dabei um ein Bruchstück, das zwei
fein eingeritzte, längslaufende Linien zeigt, von denen ungleich kurze, ohne
erkennbare Regel das Ausmaß wechselnde Querstriche ausgehen. Zweifellos
soll dies Gestrichel etwas darstellen. Wie abstrakt, wie restlos ausgelaufen in
der Abwendung von der Natur erscheint aber diese Wiedergabe. Damit gibt
uns Honcy den jüngsten Vertreter der osteuropäischen Magdalenienkunst,
nachdem Honcy meines Erachtens ins entwickelte Magdalenien, nicht aber
ins Aurignacien zu stellen ist, wie Scerbakovskij meint.

Damit habe ich das äußere Bild der osteuropäisch-nordasiatischen Kunst


des Jungpaläolithikums im entsprechend breiten Rahmen jener Kultur-
erscheinungen aufgerollt, die meines Erachtens einer Erschließung ihres
inneren Wesens dienen können. Zu welchen urgeschichtlichen Erkenntnissen
vermögen wir daraus vorzustoßen?
**) W. S o e r g e l (Das Aussterben diluvialer Säugetiere und die Jagd des diluvialen
Menschen, Festschrift z. 43. allg. Vers. d. D. Anthrop. Ges., Weimar 1912, H. 11; derselbe
Paläonthographika 60, Stuttgart 1912) bemerkt nämlich, daß sich am Ende der Würm-
vereisung das Mammut in Europa schon sehr selten und nur in kleinen Exemplaren findet.
70
) V. I. O r o m o v, Melkij mamont. Priroda, Spalte 261—262; V. I. O r o m o v ,
Nekotcrye novye dannye o faune i geologii paleolita vostocuoj Jevropy i Sihiri, Paleolil
SSSR, IGAIMK U«, S.*263.

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144 L>r· Franz Hanöar:

Hinsichtlich der Wesenheit des osteuropäiscii-nordasiatischen Kunst-


schaffens der jüngeren Altsteinzeit erkennen wir im allgemeinen einen grund-
legenden Unterschied zwischen West und Ost darin, daß dem Osten die dar-
stellende Felskunst von der Art der Wandmalereien und Großplastiken natur-
sichtig dargestellter Tiere des Aurignacien und Magdalenien fehlt Die
wenigen bekanntgewordenen Tierwiedergaben Osteuropas und Nordasiens
bezeugen aber, daß auch der Osten die Tierdarstellung pflegte. Für sie ist
ein eigentümliches Nebeneinander von mehr natursichtiger Darstellungs-
weise, wie sie das Mammutbild aus Malta (Abb. 6) belegt, und einer nicht
gerade naturabgewandten, aber doch mehr schematisierenden Tierwiedergabe,
wie sie die Vogelfigürchen aus Malta (Taf. V, 2) sowie die kleinen Mammut-
und Bärenplastiken aus Kostjenki I zeigen, kennzeichnend. In der Fortent-
wicklung der Tierdarstellung belegt das Mammut aus Ozarynci (Taf. XI, 1)
den gleichen Verfall der natursichtigen Darstellungsweise, wie er uns aus
den Werken des Westens bekannt ist. Doch ist diese Entwicklungsrichtung
einstweilen nur einmalig und dazu unsicher bezeugt. Sie stellt offensichtlich
nicht die für den Osten typische Weiterführung dar. Diese besteht vielmehr
darin, daß die jungpaläolithische Kunstentwicklung des Ostens in der Tier-
darstellung zur äußersten Geometrisierung der Naturform gelangt, wie
die Vogelfigürchen aus Mezin (Taf. VII), die Fischbilder aus Timonovka
(Taf. XI, 2, 4) und die unbestimmbaren Ritzzeichnungen aus der Kirillov-
skaja-Straße zu Kiew (Taf. XI, 3), aus Kolodjazne (Taf. XII, 1) und Melitopol
(Taf. XII, 3) dartun.
Dagegen treffen wir die zweite Kunstform des west- und mitteleuro-
päischen Paläolithikums, das Venusfigürchen, im Westen und Osten völlig
wesensgleich und in weitgehender äußerer Übereinstimmung. Zahlenmäßig
stehen den bisher 38 west- und mitteleuropäischen Figürchen mindestens
41 osteuropäisch-nordasiatische gegenüber.
Die jungpaläolithische .Frauendarstellung zählt zu den interessantesten
Problemen der Urgeschichtsforschung. Schon die Tatsache, daß das Ver-
breitungsgebiet der Figürchen von Südfrankreich und Oberitalien bis Belgien
und Mähren, -über Willendorf in der Wachau und südlich an Moskau vorbei
über Mezin, Gagarino und Kostjenki bis Malta, unfern des Baikal-Sees, also
über einen Raum von mehr als 100 Längenkreisen sich erstreckt, und weiter
die Tatsache, daß die jungpaläolithischen Frauenstatuettchen eine aus-
geprägte alleinige Zugehörigkeit zur Kulturstufe des Aurignacien-Solutreen
besitzen, und schließlich die Tatsache, daß alle diese Rundbilder trotz so-
zusagen persönlicher Eigentümlichkeiten doch ganz auffällig eine klar be-
grenzte und in ihrer Erscheinungsform deutlich bestimmte Einheit bilden,
schon diese Tatsachen mußten und müssen den Forschergeist immer wieder
anziehen und beschäftigen.
Was die äußere Einheitlichkeit der Kunstform betrifft, ist festzustellen,
daß die Gesamtheit aller eurasiatischen Frauenstatuettchen eine strenge Be-
schränkung auf/las Motiv des nackten,, vollerblühten Weibes zeigt, daß sie
stilistisch einen eigentümlichen Mischcharakter in der Verquickung über-
wiegend naturabgewandter Darstellungsweise bei unverkennbarer Naturtreue

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jimgpaläolilhikum 145

in der Wiedergabe gewisser kennzeichnender Eigentümlichkeiten des weib-


lichen Körpers dartut amd daß die künstlerische Entwicklung durchwegs in
der Richtung einer schematisierenden, ja schließlich geometrisierenden Ab-
rückung vom natürlichen Vorbild verläuft, deren Etappen am klarsten durch
die Figürchen von Brassempouy, Willendorf, Unterwisternitz, Kostjenki I,
Gagarino —Lespugue —Pfedmost, Mezin, Pekarna, Petersfels veranschaulicht
werden. Ist eine solch äußere Einheitlichkeit ohne einheitliche Lebensgesin-
nung, ohne eine die eurasische Welt der späten Eiszeit zusammenschließende
einheitliche Geisteshaltung, ohne einen einheitlichen Darstellungsanstoß, ohne
einen einheitlichen Zweck denkbar?
Damit sind wir an der schwierigen Frage .nach der Bedeutung der jung-
paläolithischen Venusfigürchen71). Es liegt eine Reihe von Versuchen vor,
sie zu beantworten. Im anthropologisch-psychologischen Sinne bringt
H. Klaatsch72) die Zunahme der Fleischkost, wie sie der Eiszeitjäger erlebte,
einerseits mit der Erhöhung der Denkfähigkeiten, andererseits mit einer
Verstärkung des Geschlechtstriebes in kausalen Zusammenhang und sieht
darin den inneren Anstoß Erfindung des „erotischen Ideals", das ist zur
Erfindung der Frauenfigürchen. ,
Der Gedanke an Erotik taucht bei der Deutung der Venusfigürchen
immer wieder auf, obwohl man bemerken muß, daß die rein geschlechtliche
Seite der jungpaläolithischen Venusfigürchen bei weitem nicht jene ein-
deutig erotische Überbetonung aufweist, wie sie bei verwandten Figürchen
der Metallkulturen auffällt. Einer, der den Figürchen zugunsten der Erotik
jede kultische Bedeutung und Verbindung mit Geburt und Fruchtbarkeit ab-
spricht, ist A. H. Luquet73), wenn er meint, daß in jägerischen Lebens Ver-
hältnissen, verbunden mit zeitweiliger Hungersnot und einem beständigen
Herumwandern, Kinder eine Belastung sind, daß heutige Primitivvölker
dieser Wirtschaftsstufe den Stand der Horde künstlich auch durch Kindes-
mord regeln, daß unter solchen Umständen der Gedanke an Mutterschaft und
weibliche Fruchtbarkeit unmöglich darstellenswert erscheint und die alt-
steinzeitlichen Venusfigürchen also nur rein erotisch-ästhetische Bildwerke
sein können.
Dagegen läßt sich aber einwenden, daß einerseits die bedeutenden
Knochenanhäufungen, die man zu Malta, Kostjenki I, Gagarino, Mezin, Pred-
most, Unterwisternitz usw. zusammen mit Frauenstatuettchen aufdeckte,
weder das Bild von Hungersnot noch das eines beständigen Herumwanderns
widerspiegeln und daß andererseits im westlichen Magdalenien, bei dessen
71
) Von russischer Seite haben sich damit beschäftigt: P. P. J e f i n i e n k o , Doro-
ilovoe ob§cestvo, 1934, S.310—331; d e r s . SGAIMK 1931, 7, S.4—5; d e r s . SGAIMK 1931,
6, S. 35; d e r s . ZnaSenie zen§ciny v orin'jakskuju epochu. IGAIMK, t. XI, v. 3—4; S. N.
Z a m J a I n i n, Paleolit SSSR, IGAIMK 118, S. 69—77; d e r s . La station aurignacienne
de Gagarino, Bulletin de l'akademie de la culture materielle, Fascicule 88, Moskau, 1934,
S. 75—83. J ei i m e n k o betonte als erster den Zusammenhang mit gesteigerter Jäger-
sefchaftigkeit
72
) H. K l a a t s c h , Die Anfänge der Kunst und Religion in der Urmensdiheit.
Leipzig 1913, S. 62.
7u
) A. H. L u q u e t , L'art et la religion des'homines fossiles, Paris
Pr.ji/IiNtorN<-lKf/.<*Jt»<:brtft. X X X . - X X M . 1939-40.

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146 J}'1· Kran/ ff an car:

Lebens\ r erhältnissen eher von jägerischem Herumschweifen und viel eher


von zeitweiliger Nahrungsknappheit gesprochen werden kann, die Frauen-
ligürchen verkümmern, ja völlig verschwinden.
Als erotisches Ideal betrachtet auch M. Hoernes74) die jungpaläolithi-
schen Venusfigürchen und meint, daß die Darstellung des nackten weib-
lichen Körpers klimatisch begründet damit zusammenhänge, den Menschen
nicht mehr ständig nackt zu sehen. Hoernes gibt aber selbst zu, daß damit
nicht erklärt werde, warum das Magdalenien dieses erotische Ideal trotz ver-
wandter Klimaverhältnisse verliert.
Vom Großteil der Forscher wird die Meinung vertreten, daß es sich bei
den Frauenfigürchen um Darstellungen kultischer Bedeutung handle. Strzy-
govski sieht zum Beispiel in der Venus von Willendorf einen geheimnis-
vollen Gegenstand, der mit steif aufrechter Haltung für beipnte Feierlichkeit
spricht, so daß man meint, eine Fruchtbarkeits- oder Muttergöttin in ihr zu
erkennen. Diese vielfach vertretene Ansicht, die unmittelbar auf der Dick-
leibigkeit des dargestellten Weibes beruht, schließt folgerichtig aus, die
schlanke Frauentype ebenso zu deuten. J. Bayer75) denkt deshalb tatsächlich
an verschiedene Gottheiten. Dagegen lehnt Zamjatnin die Deutung der dick-
leibigen Frauenstatuetten als Symbol der Fruchtbarkeit, des Wohlstandes
und Nahrungsüberflusses ab und spricht sich dafür aus, daß beide Typen
gleiche Bedeutung haben und der Urkünstler in ihnen nur zugleich die beiden
vorkommenden Frauenarten festhalten wollte.
Für unsere Stellungnahme zu diesen gegenteiligen Meinungen scheint
mir notwendig zu überlegen, inwiefern die Frauendarstellungen Sinnbild
der Fruchtbarkeit sein können. Unmittelbar mit dem Bilde des Weibes ver-
bunden, taucht als erstes die Vorstellung von Mutterschaft, Geburt und
Kinderreichtum auf. Sollte dieser Gedanke, diese Feststellung des Weibes
als Geberin des Kindersegens, der Familienvermehrung und der stammlichen
Machtzunahme in den Statuetten verkörpert sein? Warum ist er aber dann
allein auf Aurignacien und Solutreen beschränkt? Nachdem der Kinderreich-
tum, biologisch verbunden mit günstigen Lebensbedingungen, von selbst
sich einstellt, meint Gouri™), daß eben im Magdalenien durch die Ver-
schlechterung des Klimas und durch die Einschränkung der Jagdergiebigkeit
die Voraussetzungen zu größerer Stammesvermehrung und damit die Grund-
lagen zum symbolischen Ausdruck des Machtzuwachses in den Frauen-
figürchen genommen waren. Gegen diese Erklärung läßt sich aber sagen,
daß die Unterschiede der Lebensverhältnisse zwischen Aurignacien, Solu-
treen und Magdalenien gerade nach den osteuropäischen Funden keineswegs
so gegensätzlich waren, um eine solch grundlegende Abänderung des Denkens
hervorzurufen.
Eine zweite mit der weiblichen Fruchtbarkeit zusammenhängende Idee
ist die des erwünschten Kindersegens. Er ist für den Ackerbauer wirtschafts-
"'') H o e r n e s M e n g h in, Urgeschichte der bildenden Kunst, Wien 1925, S. l(:>9.
7r>
) J. B u y e r s / D i e Venus II von Willendorf, Eiszeit und Urgeschichte V1I/1—2,
S. 52.
7<>
) . r i , Origine et evolution de l'honime, Paris 1927, S. 172 f.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatischen Jungpql&olithikum 147

bedingt, und auch die Hirtenvölker haben einen reichlichen, besonders männ-
lichen Nachwuchs nötig. Können wir einen ähnlich dringenden wirtschaft-
lichen Bedarf an menschlichen Arbeitskräften für die eiszeitliche Jagdwirt-
schaft annehmen?
Ein dritter Gedanke zum üppigen Weib als Sinnbild der Fruchtbarkeit
ist der des erwünschten Wirtschaftsertrages, wie er zum Beispiel in der Vor-
stellung der Erde als fruchtgebendes, gebärendes Weib sich darstellt. Er
setzt voraus, daß vom Begriff Weib die hervorbringende Kraft abstrahiert
und der ebenso abstrakt vorgestellten, hervorbringenden Kraft der Erde, des
Viehstandes und des Wildstandes gleichgesetzt werde. Können wir ein solch
abstraktes Denken von den würm-eiszeitlichen Jägern voraussetzen?
Daß die Frauenstatuetten Kultgegenstände, Bilder, geschaffen zur Ab-
wicklung gewisser Kulthandlungen auch im Leichenbrauch seien, will
Schuchhardt77) vor allem aus der kennzeichnenden Körperhaltung erkennen.
Wichtig ist, daß Schuchhardt zur Bestätigung dieser Meinung den offensichtlich
kultischen Charakter-der Relief darstellungen von Laussei heranzieht, deren
Frauendarstellung schon äußerlich mit den Venusplastiken in Zusammen-
hang gebracht werden muß.
Menghin78) spricht sich ebenfalls für die kultische Bedeutung der Frauen-
statuetten aus, geht aber insofern noch weiter, als er nach dem Woher dieses
Frauenkults fragt. Für die Ermittlung von dessen Ursprung erscheint
Menghin die Feststellung wichtig, daß sich in der jungpaläolithischen eur-
afrikanischen Klingenkultur, im Capsien, keine Spur von Frauenbildern
findet. Die Pyrenäenhalbinsel hat nicht eine Venus geliefert. Dadurch wird
es Menghin wahrscheinlich, daß diese Kultform nicht im Geiste der Klingen-
kultur selbst erwachsen, sondern daß sie das Geschenk eines anderen Kultur-
kreises sei. Diesen vermutet Menghin in den jungpaläolithischen Faustkeil-
kulturen, mit denen er weiter das Pflanzertum in Verbindung setzen will.
Dieser Zusammenhang mit dem Pflanzertum gibt nun Menghin die Grund-
lage zu denken, daß wir es bei den Venusfigürchen mit den Darstellungen
jener mütterlichen Gottheit zu tun haben, die später in den bodenbebauenden
Kulturen des Orients so häufig vorkommt und uns als große Erdmutter, als
Magna Mater, wohlbekannt ist. Menghin geht damit als erster über eine rein
spekulative Betrachtung der Frauenstatuetten hinaus und sucht die geistigen
Voraussetzungen zu den Frauenbildern in der Wirtschaft, ja speziell in der
wirtschaftlichen Bedeutung der Frau im Hinblick auf das Pflanzertum. Wenn
auch Menghins vorsichtig tastende Schritte dabei keinen sicheren Grund
fanden, daß er die Wirtschaft als Wurzelboden für das kultische Kunst-
schaffen in Betracht zieht, soll uns ein wertvoller AVegweiser bei unseren
Überlegungen sein.
Ich habe bei dem Überblick über die hauptsächlichsten der bisher be-
stehenden Auslegungen der jungpaläolithischen Frauenstatuetten bereits
durchblicken lassen, daß ich die Methode, mit der vielfach an ihr Problem
herangegangen wurde, nicht billige. Es kann doch nur zu ganz subjektiven,
7T
) C. S c h u c h h a r d t , Alteuropa, Berlin 1920, S. 27—32.
'") 0. M e n g h i n, Weltgeschichte der Steinzeit, Wien 1M1. S. 148.
10*

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148 l>r. Franz flaneur:

wissenschaftlich wertlosen Vermutungen führen, wenn die Frauenfigürchen,


herausgerissen aus ihren Fund- und Kulturkomplexen, nun in der Denk-
perspektive eines Menschen des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Wir
haben tiefer zu gehen. Das unmittelbar und sachgemäß zu den Frauen-
figürchen Aussagende sind ihre Kulturverbände und ihre Fundverhältnisse.
Für sie ist nun auf Grund der osteuropäisch-nordasiatischen Aufdeckungen
unantastbar erhärtet, daß sich die Frauenfigürchen nur innerhalb von Wohn-
bauten gefunden haben. Sowohl die dargelegten Fundumstände der Figür-
chen aus Kostjenki I, aus Gagarino, Jeliseevici, Mezin und Malta als auch
die der Figürchen aus Willendorf, Unterwisternitz, Pfedmost, Mainz usw.
zeigen diese unbedingte Zusammengehörigkeit.
Wir gewinnen daraus, daß also nur jungpaläolithische Stämme mit einem
gewissen hohen Grad von Seßhaftigkeit Frauenbilder gehabt haben. Es läßt
sich für den ganzen weiten Bereich der Venusfigürchen die Jägerseßhaftig-
keit des Aurignacien-Solutreen nicht allein durch die oft gewaltigen .Knochen-
anhäufungen, sondern auch durch die erschlossenen Wohnbauten nach-
weisen70)· Ganz ungezwungen erklärt sich somit das Fehlen der Frauen-
figürchen bei den westeuropäischen Magdalenienleuten, die sich mit der Ver-
folgung des Rens den Gewohnheiten dieses Tieres anpassen, im Laufe des
Jahres die Siedlungsplätze wechseln mußten und an Seßhaftigkeit einbüßten.
Die Besonderheit der Aurignacien-Sölutreen-Seßhaftigkeit wird gekenn-
zeichnet: 1. durch die Ursache ihrer Entstehung. Das Seßhaftwerden kann
nur auf wirtschaftlicher Nötigung beruhen. Von nordamerikanischen Jägern
wissen wir, daß sie dort, wo es Wild, Fische und Früchte in genügender
Menge gibt, seßhaft werden. .Solch günstige Verhältnisse dürfen wir zwar für
den eiszeitlichen osteuropäisch-nordasiatischen Leberisraum nicht annehmen.
Doch müssen wir im Hinblick auf seinen Wildstand den besonderen Zug-
straßencharakter seiner Gebiete an den wegweisenden Strömen sowie die
ganz besondere Ergiebigkeit des Mammuts als Jagdbeute erwähnen. Daß sein
Vorrang unter den Beutetieren der Jäger Osteuropas das ganze Jungpaläoli-
thikum hindurch ausgeprägt anhielt und in ihm ganz eindeutig das wirtschaft-
liche Schwergewicht bis weit ins Bühlstadium hinein ruhte, konnte' nicht
ohne Auswirkung auf die Lebensweise, nicht ohne fördernden Einfluß auf
die Seßhaftigkeit bleiben. Außerdem läßt sich vorstellen, daß die Nötigung
zur Jägerseßhaftigkeit schließlich auch der Ungunst der klimatischen Ver-
hältnisse entsprungen sein kann. Wurde nicht die .Jagdtätigkeit durch die
Schneestürme der langen Winter unterbrochen? Ergab sich daraus nicht
zwangsläufig die Notwendigkeit, Nahruhgsvorräte anzusammeln, die Jagd-
beute intensiver auszuwerten, umsichtige Vorsorge zu üben, wie sie nu^ bei
7i)
) Siehe hierzu beispielsweise: Fourneau du Diable in der Dordogue (D. P e y -
r o n y , Un fond de hutte de l'epoque solutreenne. Inst. Intern. d'Anthr. Sess. d'Amster-
dain 1928, S. BIS— 318), Solutre (Ducros et Lortet, Etudes siir la station prehistorique de
Solutre. Archives du Musee d'histoire Naturelle de LTyon, I, 1872), Linsenberg bei Mainz
(E. N e e b , a. a. 0?)·;' Langmann ersdorf (J. B a y ' e r , a. a. 0.) — auch das „Brüdergrab 4
von P edmost dürfte ein Wohnbau gewesen sein — und die vorgeführten osteuropäisch-
sibirischen Siedlungsplätze (P. P. J e f i m e n k o , IGAIMK, t. XI, v 3—4).

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Zum Problem der Veniisstatuetten im eurasiatischen JungpaläoliUiikuin 149

Seßhaftigkeit möglich ist? Eine jagdgünstige Lage und das streng eiszeitliche
Klima haben also die Aurignacien-Solutreen-Jägerseßhaftigkeit verursacht.
Ein zweites Kennzeichen der Aurignacien-Solutreen-Seßhaftigkeit ist die
mit ihr verbundene wirtschaftliche Wichtigkeit der Frau. Infolge der er-
schließbaren Verlegung der männlichen Arbeitskraft auf die Jagd, infolge
der Bindung der männlichen Gruppe an auswärtige Arbeit fiel zweifellos der
weiblichen Gruppe all das an Arbeit zu, was mit Hütte und Herd, mit zeit-
gebotener Höchstausnutzung der erlegten Fleisch- und Pelztiere zu Speise
und Vorrat, für Kleidung und Hüttenschutz zusammenhing. Mehr als von der
Menge der Jagdbeute hing in den schweren Zeiten der Vergletscherung der
Fortbestand der Jägerhorde von dieser haushälterischen Höchstauswertung
der vorhandenen Existenzmittel ab. Solcherart war die Frau zweifellos dem
Schwerpunkt der Aurignacien-Solutreen-Jägerwirtschaft nähergerückt.
Die Frau gewann auch in gesellschaftlicher Hinsicht um so mehr Be-
deutung — und das bildet das dritte Kennzeichen der Aurignacien-Sotutreen-
Seßhaftigkeit —, als mit der Seßhaftwerdung natürlicherweise der „Zu-
sammenschluß blutsverwandter Gruppen in Abstammung von einer gemein-
samen Mutter", ja auch von einer gemeinsamen Ahn- oder Stammutter her
Hand in Hand gehen mußte. Bildnisse eines solch weiblichen Anfangs als
Zeichen des inneren Zusammenschlusses der seßhaften Jägerhorde könnte
man entsprechend dem Tofemverband der wandernden Jäger in den jung-
paläolithischen Frauenstatuetten sehen.
Mit einer solchen Auffassung tragen wir einerseits den aufgeschlossenen
Wirtschafts- und Gemeinschaftsverhältnissen Rechnung, entsprechen anderer-
seits auch den Eindrücken, welche wir unmittelbar bei Betrachtung der
Statuettchen von ihnen gewinnen und verfallen auch nicht in eine unsach-
liche Modernisierung ihres Gedankeninhaltes. Damit gewinnen auch gewisse
rätselhafte Einzelheiten der Fundumstände eine ungezwungene Erklärung,
beispielsweise die Tatsache, daß die osteuropäisch-nordasiatischen Frauen-
figürchen sich immer unfern der Hüttenwand, sogar in eigenen Nischen und
Vertiefungen gefunden haben, was für eine besonders sorgfältige Verwahrung
spricht, die ihrerseits wieder zu einem kultisch umrahmten Ahnmutterbild
sehr gut paßt. Die Figürchen erweisen sich mit ihren zugespitzten Fußenden
auch geeignet, entweder in die Erde oder in ein Gestell gesteckt zu werden,
was ebenfalls einem Kultbild entspräche. Ich denke auch, daß bei den Malta-
figürchen das Loch nicht zu einem ganz unnatürlichen, kopfabwärts ge-
wendeten Auffädeln, sondern vielmehr zu einer aufrechten Befestigung
mittels eines Stiftes an der Hüttenwand gedient haben könnte. Im selben
Blickwinkel betrachtet, erklärt sich auch, daß in Kostjenki I, in den offen-
sichtlich unter Zwang verlassenen Wohngruben, die Statuetten in einem Zu-
stand zurückgeblieben sind, als hätte man sie mit Gewalt zertrümmert, um die
zum Haus zugehörigen, hier bisher schützenden Ahnmütterbilder zu ver-
nichten. Meines Erachtens läßt sich weiter die Sorgfalt für Frisur und Kopf-
putz bei einem mütterlichen Symbol der beginnenden Sippenbildung gut
begreifen, nachdem uns von heutigen Primitivvölkern bekannt ist, welch
große Rolle die Haartracht bei der Sippenkennzeichnung spielt. Unter

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150 D f · Frcinx Hancar:

diesem Gesichtspunkt lassen sich auch die „porträtähnlichen Züge" einzelner


Figürchen, die Wiedergabe der verschiedenen weiblichen Körpertypen, der
möglicherweise tätowierte Brustgürtel der Venus von Kostjenki I sowie über-
haupt jener Gesamteindruck verstehen, daß man es bei den Figürchen mit
Darstellungen konkreter Frauen zu tun habe, den Kühn, Gerasimov, Zam-
jatnin und andere äußerten.
Zur Aufhellung der kultischen, Bedeutung der jungpaläolithischen
Frauenfigürchen verweise ich auf die Frau im Höhlenlöwenfell sowie auch
darauf, daß Zamjatnin das eigenartige Schürzchen, das die Venus von Les-
pugue rückwärts zeigt, die rätselhaften fransenähnlichen Einschnitte, die ein
Figürchen von Kostjenki unter der Gesäßpartie aufweist, und ein möglicher-
weise durch das Fehlen der rückwärtigen Trennungslihie zwischen den Ober-
schenkeln angedeutetes Schürzchen der zweiten Venus von Willendorf80) im
Hinblick auf die tatsächlich zu Gagarino gefundenen Mammutschwänze als
Tierschwänze, wichtig bei magischen Handlungen, erkennt81). Die besondere
Wichtigkeit gewisser Tierschwänze am Schamanenkleid heutiger Sibirier
sowie bei der „Maskierung" der jungpaläolithischen „Zauberer" ist bekannt
Es ist möglich, daß die häufig gefundenen Eisfuchs- und auch Vielfraß- und
Höhlenlöwenpfoten in einem verwandten magisch-kultischen Sinne ver-
wendet wurden. Ich verweise schließlich auch auf die von Zamjatnin als
inhaltlich zusammengehörig und ebenfalls als kultisch erkannten fünf Relief-
darstellungen von Laussei (Abb. 10). Zu dieser Wiederherstellung muß ge-
sagt werden, daß die drei Frauenbilder auf drei einzelnen Kalkplatten und
die Frau links oben ohne den Schmuck der Tierschwänze aufgedeckt und
der Mann ohne Arme und das Tier abseits davon auf einer fünften und
sechsten Platte gefunden wurden. Es besteht also bloß die Möglichkeit und
große Wahrscheinlichkeit, aber keineswegs die Sicherheit, daß die Rekon-
struktion Zamjatnins den einstigen Verhältnissen entspricht. Sie zeigt uns
eine Szene gemeinsamer magischer Tätigkeit, ausgeführt von drei nackten
Frauen mit Hilfe von Tierhörriern und offensichtlich hinzielend auf Jagd-
erfolg. Die Gebärde der Arme läßt vermuten, daß das zweite Gagarino-
figürchen (Taf. III) eine ähnliche, mit dem Kult verbundene Bewegung aus-
drücken soll.
Diese Erscheinungen lassen uns keinen Zweifel über die Bedeutung der
Frau im Jagdzauber und über die Wichtigkeit ihrer tatsächlichen Mitwirkung
in den jagdmagischen Handlungen. Es gibt auch eine Reihe völkerkundlicher
Parallelen, die uns diese Auffassung bestätigen. Ich'erwähne, daß zum Bei-
spiel noch heute beim Frühlingsfest der Tungusen auch die Frauen kultische
Tätigkeiten, zugehörig zu den jagdmagischen Handlungen der Männer, aus-
führen. Sehr vielsagend für unser Verständnis · der jungpaläolithischen
Venusfigürchen ist auch, daß heutige sibirische Renntierjäger, wie die Ost-
jaken, Golden, Jakuten, Öuvasen usw. aus Lärchen- oder Espenholz
80
) J. B a y e r , a. a. 0. S. 52.
81
) P. P. J e f j J j n e n k o , IGAIMK XI, 3—4, S. 8, 13, vermutet in ihnen eher einen
offen herunterhängenden 'Schamgürtel. Ähnlich' will er den Wulst in der Kretizgegend
bei der Venus von Kostjenki I erklären.

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Zum Problem der Venusstatuetteu im eurasiatischen Jungpaüiolilhikum 151

Menschenfigürchen anfertigen, die sie Dzuli nennen82). Die Tigürchen sind


weiblich. Nach der Auffassung der Negidal'cen ist der Dzuli der menschliche
Anfang, von dem das ganze Volk hervorgegangen ist. Nach dem Glauben der
Sibirier sind die Dzuli Schutzgeister der Familie und des Stammes. Sie

Abb. 10. Reliefbilder aus Laussei,


Wiederherstellungsversuch Zamjatoins.

gehen von Geschlecht zu Geschlecht über. Dem Dzuli wird die Hütte anver-
traut, wenn man auszieht zur Jagd. Heimgekehrt, füttert man ihn mit Grütze
und Fett und spricht dabei: „Mach, daß wir gesund bleiben, mach, daß wir
viele Tiere erschlagen!*' Darin drückt sich die jagdmagische, aber auch die
auf das körperliche Befinden einwirkende Kraft der Ahnmütter aus. Psycho-
logisch liegt dem zugrunde, daß man die Frau besonders während der
Schwangerschaft als Sitz und Ausgangspunkt wirksamer magischer Kräfte
fühlt und erkennt
h2
) D. K. Z e l e n i n , Kui't ongonov v Sibiri, Moskau—Leningrad 19HG, S. 259 R*.

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J52 J}J'· Franz Hancar:

Im Hinblick auf die jungpaläolithischen Frauenfigürchen stellen wir also


für den Zeitgeist, für die zusammenschließende Lebensgesinnung, die sie
hervorbrachte, als wesentlich fest: 1. Die große wirtschaftliche Bedeutung
der Frau als unentbehrliche Arbeitskraft im seßhaften Jägertum; 2. die hohe
gesellschaftliche Stellung der Frau in den durch die Seßhaftigkeit sich
bildenden blutsverwandten Gruppen; und 3. die Wichtigkeit der Frau als
Mitwirkende in den jagdmagischen Handlungen, wobei gerade in ihrer Ver-
treterschaft der gebärenden und vermehrenden Urkraft der Grund ihrer
Heranziehung gelegen ist.
Geistesgeschichtlich tritt uns damit das jungpaläolithische Venus-
figürchen als frühest erfaßbarer Ausdruck jenes unsterblichen Kultgedankens
entgegen, der im Weib die Verkörperung von Anfang und Fortbestand des
Lebens, das Gleichnis der Unsterblichkeit des an sich gestaltlosen Stoffes
erkennt.
Die Weltanschauung unserer Zeit mit ihrer verantwortungsbewußten
Grunderkenntnis der wurzelhaft untrennbar und nicht zu beeinflussenden
Verbundenheit von Rasse und Geistigkeit, von Rasse und Lebensgesinnung,
drängt uns natürlich zu der Frage, ob die altsteinzeitlichen Erfinder und
Träger dieses Kultgedankens der weiblichen Urschöpferkraft rassisch be-
stimmbar sind.
Was Osteuropa und Nordasien an anthropologischem Material zu diesem
Problem beibringen kann, ist einstweilen äußerst wenig. Als erstes liegt ein
Baggerfund aus der Wolga vor, dessen Fundschicht mit ziemlicher Sicherheit
ins Ende des Jungpaläolithikums, in die Zeit des Magdalenien datiert wird.
Die Skelettreste beschränken sich auf ein Stirnbein, das bei Chvalinsk an
der unteren Wolga aus dem Strom gehoben wurde. Nach Weinert handelt
es sich um ein Stück eines cro-magrionartigen Schädels. An ihm sind außer-
dem postneandertale Züge zu erkennen. Das reiht den Chvalinsker Schädel-
fund nahe an den Cro-Magnonschädel III von Predmost in Mähren, dessen
postneandertale Züge er sogar übertrifft. Für uns ist diese Tatsache insofern
nicht belanglos, als dieser Predmostschädel aus jenem Massengrab mit
20 Individuen vom Kindes- bis zum Greisenalter stammt, das uns zu den
Unmengen von Steinwerkzeugen, Mammutknochen und auch zur eigentüm-
lichen Kunstschöpfung der Venus von Predmost, dieser höchst geometri-
sierten Frauendarstellung des Jungpaläolithikums, den zugehörigen Men-
schen überlieferte.
Als zweites besitzen wir den Grabfund aus Malta bei Irkutsk. In anthro-
pologischer Hinsicht konnte einstweilen nur festgestellt werden: Stirnbein-
und Schläfenknochen gehören einem Langschädel an. Die Augenbrauenbogen
sind schwach entwickelt. Das sind Kennzeichen, .die für den Cro-Magnon-
typus sprechen könnten. Die eingehende anthropologische Analyse der
Skelettreste steht aber noch aus.
Wenn wir als Ergänzung dazu die Frauenfigürchen von Malta im Hin-
blick auf ihren anthropologischen Menscheritypus ins Auge fassen, müssen
wir an ihnen als Kennzeichnend hervorheben : den großen plumpen Kopf, die
offensichtliche Quadratschädelform mit breit ausladender, rechteckiger Kiefer-

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Zum .Problem der Venusstatuetteii im eurasialischen Jungpaliiolitliikum 153

Winkelbildung, die stark ausgebuckelte, hohe Stirn mit schwach ausgebildeten


Augenbrauenwülsten, die massive Nase mit breiten Nasenlöchern und das
kräftige, wenn auch nicht stark hervortretende Kinn. All diese Einzelheiten
sind zugleich Kennzeichen des Cro-Magnonschädeis. Es ist schade, daß die
Augen an den Statuettchen so selten und dann nur ganz flüchtig wieder-
gegeben sind, denn gerade in der eckigen Form der Augenhöhlen besitzt
der Cro-Magnonmensch einen typischen Charakterzug.
Ganz vorsichtig ausgedrückt, verstärkt also das neue Material aus dem
osteuropäisch-asiatischen Jungpaläolithikum den durch die Funde von Pred-
most schon gegebenen Hinweis auf die Möglichkeit einer ursprünglichen Zu-
sammengehörigkeit von Cro-Magnonrasse und dem Kultgedanken des Weibes
als Verkörperung der Urschöpferkraft. Auch aus dem Einzugsgebiet der
Vezere, an der Cro-Magnon als klassische Fundstätte des Menschen dieser
Type liegt, sowie aus den Grimaldihöhlen bei Mentone stammen sowohl
Frauenfigürchen als auch Skelettreste "Vom Cro-Magnontypus.
Damit sind wir in der Betrachtung der Venusstatuette als einheitliche
Kunstform des europäisch-nordasiatischen Jungpaläolithikums dahin gelangt,
sie als Ausdruck der Geistigkeit jener seßhaften Mammutjäger zu erkennen,
die am Ende der Würmvereisung das mittlere Eurasien von Südfrankreich
bis Baikalien bewohnten und möglicherweise rassisch einheitlich dem Alt-
menschen vom Cro-Magnustypus zugehörten. Noch ist aber die Frage offen,
wie sich das Verschwinden dieser Kunstform im späten Jungpaläolithikum
erkläre.
Wir haben in unserer Wertung der Seßhaftigkeit hinsichtlich ihres Ein-
flusses auf Denkweise und Gemeinschaftszusammenschluß schon darauf
hingewiesen, daß bei den Renjägern des westlichen Magdalenien die Ver-
minderung der Seßhaftigkeit und die damit verbundenen Abänderungen wirt-
schaftlicher, gesellschaftlicher und geistiger Art den Venusfigürchen den
Wurzelboden genommen haben. Im Osten kennen wir aber eine solch aus-
geprägte Ablöse des Mammuts durch das Ren nicht. Timonovka, Kirillov-
skaja ulica, Honcy usw. zeigen im wesentlichen eindeutig den Fortbestand,
jener Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse, die für das Spätaurignacien-
Solutreen kennzeichnend sind, und dennoch räumt das altsteinzeitliche Venus-
figürchen einer Kunstübung das Feld, die ohne Entwicklungszusammenhang
unkenntliche Tierbilder und rätselhaftes Gestrichel (Taf. XII) an den Platz
der Frauendarstellung setzt.
Es erscheint mir nicht gleichgültig, daß einer der Vertreter dieser Kunst
aus Melitopol am Asowschen Meer, also aus jenem Südgebiet stammt, aus
dem ein weiterer Skelettfund uns darin bestärkt, schon-für das Jungpaläo-
lithikum eine rasseneigene Kunst anzunehmen.
Dieser Fund eines jungpaläolithischen Menschen stammt aus dem Fels-
dach Fatma-Koba auf der Krim83). Dort traf man in einer Fruhtardenoisien-
schicht in 70 cm Tiefe das Skelett eines Mannes. Er war in einer kleinen
M
) F. H a n e a r , Urgeschichte Kaukasiens von den Anfängen seiner Besiedlung
bis in die Zeit meiner frühen Metallurgie, Wien 1937, S. 121-123.

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154 i )r ' Fran» Ifancar:

Grube, deren Ausmaße seinem Körper entsprachen, auf der rechten Seite
liegend, die Hände unter dein Kopf, die Beine stark angezogen, bestattet
worden. Die Grube war mit einem Haufen von Steinen bedeckt. Es fanden
sich keine Grabbeigaben. Doch ist die Zeitstellung des Grabes schichtenmäßig
erhärtet. Das Ergebnis der anthropologischen Untersuchung84) ist folgendes:
Nach Beckenknochen und Schädel zu urteilen, ist das Skelett männlich. Das
Alter ist nach den Schädelnähten nicht zu bestimmen. Die abgekauten Zähne
weisen auf ungefähr vierzig Jahre hin. Der Hirnschädel ist verhältnismäßig
groß, das Gesicht niedrig. Mit 168 cm Höhe steht das Skelett über dem Mittel.
Nach dem Gesamthabitus zu schließen, ist der Mensch von Fatma-Koba ein
Altmensch. An den Neandertaler erinnern bloß die Derbheit der Knochen,
die Formung einiger Muskelansatzstellen an den Langknochen und die Größe
der Epiphysen.
Die Zuteilung des Altmenschen aus Fatma-Koba zu einer der altmensch-
lichen Typen ist schwierig. Das niedrige Gesicht, der hohe Nasenrücken und
das starke Hervortreten der Nasenknochen sind Kennzeichen der Cro-
Magnontype, wozu auch die Ausmaße und die Formung der Glieder passen,
aber wesentlich abweichend von ihr erweist sich die Mezognathie. Mit dieser
Eigenheit steht der Mensch von Fatma-Koba den negriden Schädeln aus den
Grimaldi-Grotten und aus dem westlichen Mittelmeergebiet nahe.
Wenn ich von kulturkundlicher Seite hinzufüge, daß die gesamte jung-
paläolithische Entwicklung der Krim die Eigenheit des Miftelmeergebietes
zeigt, indem Solutreen und Magdalenien fehlen, dafür aber die aurignacien-
artige Kultur in gleichförmiger Entwicklung die gesamte Epoche des Jung-
paläolithikums erfüllt, wenn ich also berechtigterweise dem Capsien Nord-
afrikas und Spaniens, dem Grimaldien der Apenninenhalbinsel ein Sjurenien
der Krim an die Seite gestellt habe85) und damit die Gleichartigkeit der Kul-
tur des Mittelmeerkreises im Gegensatz zu der des Binnenlandes zum Aus-
druck bringe, ist eigentlich ganz folgerichtig, daß auch in der Kunst ein über-
einstimmendes Abweichen von der Binnenlandskunst bemerkbar und als
neue Kunstrichtung, getragen von den stromaufwärts vorrückenden Men-
schen, in den späten Werken der jungpaläolithischen Kunst Osteuropas fühl-
bar wird. Kulturkundlich findet diese Ansicht schließlich in dem raschen und
weiträumigen Umsichgreifen der späten Capsienkultur als Tardenoisien eine
Bestätigung.
L i s t e d e r Ab k ü r z u n g e n.
Abhandlungen = Abhandlungen der II. Internationalen Konferenz der Assoziation für
das Studium des europäischen Quartärs, Lieferung V, Leningrad — Mos-
kau 1935.
Dorodovoe = Dorodovoe obscestvo, IGAIMK 79, Moskau — Leningrad 1934.
ESA = Eurasia Septentrionalis Antiqua, Helsinki.
IGAIMK == Izvestija Gosudarstvennoj Akadeniii Istorii Materiäl'noj Kul'tury
Moskau — Leningrad.
F. G. D e b e c . Tardenuazskij kostjak,iz navesa Fat'ma-Koba v Kryniu.
1936, 2, Moskau, sH1^4— 165.
F. H a n g a r , a. a. 0. S. 193 f.

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Zum Problem der Venusstatuetten im eurasiatisclien Jungpaläolithikuin 155

INQUA = Internationale Quartal-Vereinigung.


IPEK —· Jahrbuch für prähistorische und ethnographische Kunst, Berlin.
MAGW . = Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien, Wien.
PGA1MK = Probtemy Jstorii ..., Gosudarstvennoj. Akademii Istorii Materiarnoj
Kul'tury, Moskau—Leningrad.
PZ = Prähistorische Zeitschrift, Berlin.
PR =« Priroda, Leningrad.
RANION = Rossijskaja Associacija Naucno-Issledovatel'skich Institutov Obscestven-
nych Nauk, Moskau.
RA# = (Russkij) Antropologiceskij £urnal, Moskau.
SET = Sovetskaja Etnografija, Moskau—Leningrad.
SA = Sovetskaja Archeologija, Moskau—Leningrad.
SGA1MK = Soobscenija Gosudarstvennoj Akademii istorii Material'noj Kul'tury,
Leningrad—Moskau.
TKIC = Trudy Komissii po izuceniju cetverticnogo perioda, Leningrad.
WPZ = Wiener Prähistorische Zeitschrift, Wien.

N a c h w e i s de* r A b b i l d u n g e n .
Tafel l nach P. P. Jefimenko, 2enskie statuetki orin'jakskoj epoch u. SGAIMK 1931,
7. Moskau—Leningrad.
Tafel II nach S. N. Zamjatnin, Paleolit SSSR, IGAIMK 118, Abb. 22.
Tafel III nach S. N. Zamjatnin, a.a.O., Abb. 23.
Tafel IV 1—4 nach S. N. Zamjatnin, a.a.O., Abb. 24, 25; nach L. Sawicki, Materials
do znajomosci prehistorji Rosji, Taf. VII, Poznan 1928.
Tafel V l, 4 nach M. M. Gerasimov, Raskopki paleoliticeskoj stojanki v Mal'te, Paleolit
SSSR. IGAIMK 118, Abb. 5, 7; 3 nach V. I. Gromov, 0 vnesnem viele pescernogo
l'va v svjazi s nekotorymi archeologiceskimi nachodkami, PGAIMK 1935, 1—2,
Abb. 1. 2; 2, 5 nach A. Salmony, Die Kunst des Aurignacien, Sibirien, IPEK 1931,
Berlin 1931, Tafel 1/28-32, 6.
Tafel VI 1—4, 6 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 28. 29, 3, 30; 5 nach A. Salmony,
a. a. 0., Taf. 11/22—24.
Tafel VII nach M. Rudins'kij, Viznaenisi serii kistjanich virobiv Mizins'koi paleoliticno'i
stacii v osvitlenni Fedora Vovka, KÜ'v 1931, Taf. XVI, XVII; 3 nach Fedorovs'kij,
Instrukcii ta programi, Charkiv 1927, Abb. 6.
Tafel VIII l nach A. V. Gorodcov Archeologija, Kamennyj period, 192B, Abb. 56, 57; 2, 3
nach M. Rudins'kij, a.a.O., Taf. XIV/4, 5.
Tafel IX nach Rudins'kij, a.a.O., Taf. XI/1, XU/1.
Tafel X nach Rudins'kij, a.a.O., Taf. XI/2, XU/2, XV/1, 2—5.
Tafel XI l nach Rudins'kij, Les trouvailles paleolithiqucs dOzarynei, Recueil d'etudes
dedie au Dr. W. Demelrykiewicz, Abb. 2; 2, 4 nach A. V, Gorodcov, Soziarno-
ekonomifceskij stroj drevnich obitatelej Timonovskoj paleoliticeskoj stojanki, SET
1935, 3; 3 nach V. Chvojko, Kamennyj period srednego Pridneprov'ja, Tr. XI, Kievsk.
arch, sjezda, t. I, 1901, Tafel XVII.
Tafel XII l nach V. Scerbakivskyj, Bemerkungen über neue und wenig bekannte paläoli-
thische Stationen in der Ukraine, Die Eiszeit IV, Wien 1927, S. 121, Abb. 1; 2 nach
Scerbakivskyj, Eine paläolitbische Station in Honey, Die Eiszeit III, Wien 1920, S. 115,
Abb. VIII und IX; 3 nach 0. Bader, Dve ekspedidi po iziiueniju paleolita v severnoui
Priiernomor'e, S. 1 4. Abb. 2.

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156 l i. N i etsch:

Abb. 1 nach l*. P. Joiimonko, Staluctka soljulrcjskogo vremeni s beregov Dona. Materialy
po otnogrufü. T. i l i, vyp. l, Leningrad 1920.
Abb. 2 mich S. N, Zamjalnfn, tiagarino, 1GAIMK 88, Abb. 9.
Abb. :> nach S. N. Zamjalnin, a. a. 0., Abb. 8.
Abb. 4 nach M. M. (ienisimov, a.a.O., Abb. 34.
Abb. ) nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abi). 35.
Abb. ü nach P. P. Jcfimenko, Dorodovoe, 1934, Titelbild.
Abb. 7 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 15.
Abb. «S nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 36.
Abb. 9 nach M. M. Gerasimov, a.a.O., Abb. 37.
Abb. 10 nach S. N. Zarnjatnin, JGAIMK 118, Abb. 26.

Beschreibung einer Hirtensiedlung


an der unteren Dräu, als Beitrag zur Beurteilung
vorgeschichtlicher Siedlungsgrundrisse
Von H. Niet seh, Berlin

A. E i n l e i t u n g
Es ist nicht das erstemal, daß der Versuch gemacht wird, altertümliche
Siedlungsformen der Gegenwart zur Klärung vorgeschichtlicher Fragen her-
anzuziehen. Jede Gelegenheit dazu sollte wahrgenommen werden, denn was
jetzt noch die lebende Gegenwart zeigt, wird vielleicht schon in wenigen
Jahrzehnten sich nur noch an Museumsmodellen wesentlich unvollkommener
nachstudieren lassen.
Schon 1925 war mir nahe der ehemaligen serbischen Grenze in einem
ausgedehnten Waldgebiet unmittelbar am Ufer der Save, zwischen dem Dorf
Jamena und dem Jägerhaus Domuskela, eine Gruppe von vier oder fünf
kleinen, rundlich-kuppelförmigen Hütten aufgefallen, die für die Zeiten der
herbstlichen Eichelmast zur Aufnahme des Schweinehirten und seiner" Tiere
bestimmt waren. Leider konnte ich der eigenartigen Hüttenanlage nur im
Vorübergehen Aufmerksamkeit zuwenden. Ich beabsichtigte wohl, auf dem
Rückweg noch einige Aufnahmen zu machen, kam aber nicht mehr dazu.
Im Juni 1939 erfuhr ich in dem Städtchen Apatin von dem Tagelöhner
Baumann, daß sich ähnliche Hütten sogar in großer Reichhaltigkeit am Ufer
der Dräu, nur wenige Kilometer oberhalb ihrer Einmündung in die Donau,
befänden. Meine Erwartungen wurden bei dem? daraufhin unternommenen
Besuch der Stelle nicht enttäuscht. Obgleich sich nicht genau die gleiche Art
der Anlage vorfand, wie sie mir aus dem Savegebiet in Erinnerung geblieben
ist, handelt es sich im Grunde eben doch um das gleiche: Hütten einfachster
Bauart für die Unterbringung der im Freien* aufgezogenen Weideschweine,
und notdürfügeABehausungeri ihrer Hirten, weit außerhalb der ständigen
Siedlung.

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