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A. Überblick:
B. Völkerrechtliche Verträge:
I. Grundsätzliches:
1. Begriff des völkerrechtlichen Vertrages:
Völkerrechtliche Verträge sind:
- Vereinbarungen
- zwischen Völkerrechtssubjekten, die
- vom Völkerrecht bestimmt und
- von einem Rechtsbindungswillen getragen sind.
- Schriftlichkeit
1. Vereinbarung: Verträge beruhen auf dem Konsens der Parteien. Wie im
Privatrecht auch wird der Konsens durch übereinstimmende
Willenserklärungen der Parteien hergestellt. Eine Annahmeerklärung führt zu
keinem Vertragsschluss, sondern stellt ein Angebot dar. Wegen der
Rechtssicherheit ist die Schriftlichkeit von Vorteil.
persönlich (ratione personae): Die WVK ist selbst ein Vertrag und bindet nur
die Vertragsparteien. Meisten Regeln des Übereinkommens stellen jedoch, wie
ausgeführt, zugleich Gewohnheitsrecht dar und binden auch Nichtparteien.
zeitlich (ratione temporis): Die WVK gilt nur für Verträge, die nach ihrem
Inkrafttreten geschlossen wurden. Der Grundsatz des sogenannten
intertemporalen Rechts zeigt sich hier, wonach rechtlich relevante Handlungen
am Maßstab des Rechts zu messen sind, dass zum Zeitpunkt der Vornahme gegolten
hat. Auch für das VR gilt, dass es regelmäßig keine Rückwirkung hat. (vgl. 28 WVK)
Lies Fall Gentlemen`s Agreement S. 84 Rn. 199
In vielen Staaten dürfen wichtige Verträge nicht von der Regierung allein
abgeschlossen werden. Es ist hier verfassungsrechtlich ein innerstaatliches
Zustimmungsverfahren notwendig, das in das zusammengesetzte Verfahren auf
völkerrechtlicher Ebene eingeschoben wird.
Mit der Ratifikation treten meistens die vollen Vertragsbindungen für den Staat ein,
es sei denn, die Parteien haben einen Stichtag für das Inkrafttreten vereinbart.
Bis zum Inkrafttreten eines multilateralen Vertrages kann einige Zeit vergehen.
Sollen bestimmte Rechtswirkungen vor Inkrafttreten bereits eintreten, können die
Parteien die vorläufige Anwendung vereinbaren.
Die Rechtsbindungen treten für das gesamte Hoheitsgebiet ein nach Art 28 WVK.
Nach sog. Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen gilt dies auch bei einer
späteren Vergrößerung des Staatsgebietes. Abweichende Regelungen bleiben möglich
vgl. Art. 56 EMRK Siehe Rn. 211
Dem Dritten werden keine neuen Pflichten auferlegt.Ebenso wenig bricht zB die
vertragliche Internationalisierung eines Kanals (Statusvertrags) mit der Pacta-tertiis-
Regel. Wenn teilweise auch Gründungsabkommen IO als institutionellen Verträgen
„objektiver“ Charakter zugesprochen wird, so trifft dies nur zu, sofern man von einer
objektiven Völkerrechtspersönlichkeit IO ausgeht; nach h.M. freilich bedürfen außer
der UNO IO der Anerkennung, um im Verhältnis zum anerkennenden Staat als
Völkerrechtssubjekt gelten können. Lies Problem USA Rn. 213
Mit einem Vorbehalt kann eine Vertragspartei die Geltung einzelner Bestimmungen
für sich ausschließen. Schwierig ist die Abgrenzung von bloßen
Interpretationserklärungen. Vorbehalte werden oftmals als Erklärungen
angesehen, weil jene im Unterschied zu Vorbehalten ohne weiteres möglich sind.
Schließt der Staat etwas aus, was die Norm regeln soll, handelt es sich um einen
Vorbehalt, schließt er etwas aus, was die Norm regeln könnte, liegt eine
Interpretationserklärung vor. Eine solche ist dann wirkungsvoll, wenn die Partei
selbst über die Auslegung des Vertrages entscheiden.
Ein Vorbehalt muss bei Unterzeichnung, Ratifikation, Beitritt erklärt werden. Vgl.
Art. 2 I lit. d WVK. Nachträgliche Einschränkung der Vertragsbindung kommt nicht
in Betracht – sie verstieße gegen den pacta sunda servanda. Ein Staat kann jedoch
einen Vertrag kündigen und anschließend unter Vorbehalt erneuert beitreten.
Bei bilateralen Verträgen gibt es keine Vorbehalte. Wird ein Vorbehalt geäußert,
so fehlt es am notwendigen Konsens → stellt ein neues Angebot dar.
Relative Theorie (Lateinamerika): geht davon aus, dass der Vertrag zwischen dem
erklärenden und dem widersprechenden Staat nicht in Kraft trete, im Verhältnis zu
den Staaten, die keinen Widerspruch einlegten, der den Vorbehalt einlegende Staat
aber Vertragspartei werde.
Das zweite Prinzip ist der Grundsatz der Reziprozität: Im bilateralen Verhältnis
sollen die wechselseitigen Rechte und Pflichten sich decken.
o Es gilt:
▪ 1. bei Annahme des Vorbehalts durch eine andere Vertragspartei:
Im Verhältnis zu dieser Partei gilt die Vertragsbindung
beiderseitig nur in dem durch den Vorbehalt eingeschränkten
Umfang
▪ 2. bei Ablehnung des Vorbehalts durch eine andere
Vertragspartei: Im Verhältnis zu dieser Partei tritt der Vertrag in
Kraft, er bleibt aber außer Anwendung, soweit der Vorbehalt
reicht, weil soweit kein Konsens besteht, Art. 21 III VWK
▪ 3. bei qualifizierter Ablehnung des Vorbehalts durch eine andere
Vertragspartei: Lehnt ein anderer Vertragsstaat den Vorbehalt ab
und widerspricht einem Inkrafttreten des Vertrages zwischen
sich und dem Staat, der den Vorbehalt erklärt, so tritt der
Vertrag zwischen diesen Parteien nicht in Kraft. Art. 20 4 lit.
o Lese Fall Schilderstreit Rn. 220
• Im Ergebnis führt dies zu einer Bilateralisierung multilateraler
Verträge
3. Unzulässige Vorbehalte:
• Nach Art 19 WVK sind Vorbehalte unzulässig,
o (a) wenn der Vertrag sie explizit verbietet
o (b) wenn der Vertrag nur bestimmte Vorbehalte zulässt oder
o (c) wenn sie mit Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind.
Es ist eine Prüfung notwendig, ob der Vorbehalt in concreto gegen Sinn und Zweck
des Vertrages verstößt oder unvereinbar mit dem Wesensgehalt eines in dem Vertrag
für nicht-derogierbar erklärten Rechts ist.
Die Rechtswirkungen unzulässiger Vorbehalte werden von der WVK nicht
geregelt. Wer die staatliche Souveränität in den Mittelpunkt stellt, hält auch
unzulässige Vorbehalte für annahmefähig. Da Art. 19 WVK keine Antworten gebe,
stehe es im souveränen Blieben der Vertragsparteien, auch an sich unzulässige
Verträge anzunehmen und wirksam werden zu lassen. Dies jedoch hieße, dass es
zwischen unzulässigen und zulässigen Vorbehalten kein Unterschied bestünde. Art.
19 WVK somit eben doch eine Aussage: Unzulässige Vorbehalte sind unwirksam.
Eine weitere Frage ist, wert bei Art 19 lit c WVK die Unvereinbarkeit mit Sinn und
Zweck feststellt. Für Abkommen wie den IPBPR, die über ein Vertragsorgan
verfügen, das auch für die Interpretation des Abkommens zuständig ist, spricht vor
allem das Interesse an Rechtsklarheit dafür, diesem Organ auch dann die primäre
Kompetenz zur Beurteilung zuzuordnen, wenn es nicht generell „authentischer
Interpret“ des Vertrags ist. Ansonsten wird man den Staaten einen gewissen
Einschätzungsspielraum zubilligen müssen, ob ein Vorbehalt gegen Sinn und Zweck
verstößt oder nicht.
Wird Unwirksamkeit angenommen, stellt sich die weitere Frage, ob der Staat, der den
unwirksamen Vorbehalt erklärt hat, vorbehaltlos an den Vertrag gebunden ist oder
ob die Vertragsbindung entfällt. Vollständiger Wegfall entspräche der absoluten
Konsenstheorie, wäre weder dem Ziel größtmöglicher Beteiligung zuträglich noch
stets interessengerecht. Sofern nicht feststeht, dass der betreffende Staat nur unter
Gang des fraglichen Vorbehalts Vertragspartei zu werden beabsichtigte, ist er nach
Auffassung der ILC vorbehaltlos an den Vertrag gebunden. Erscheint sachgerecht:
Das Risiko einer Unwirksamkeit des Vorbehalts hat der Staat selbst gesetzt und sollte
es auch tragen
a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des
Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen;
b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die
Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht
Art. 31 Abs. 3 lit. a: bezieht sich auf spätere Abreden zur Interpretation
Art. 31 Abs. 3 lit. b: ermöglicht eine spätere Praxis der Vertragsparteien zur
Auslegung heranzuziehen
Art 31 abs. 3 lit. c: fordert dazu auf, andere einschlägige Völkerrechtssätze zu
berücksichtigen, die zwischen den Vertragsparteien Anwendung finden
Teleologische Auslegung: Von Bedeutung ist die Ermittlung von Ziel und Zweck
des Vertrages. Die dynamische Interpretation spielt eine wichtige Rolle im
Völkerrecht. Besondere Bedeutung haben der Effektivitätsgrundsatz (= effet
utile), wonach ein Vertrag so auszulegen ist, dass er seinen Zweck bestmöglich
erreicht und der Grundsatz der necessary implication, wonach auch andere
Rechte, die nicht ausdrücklich garantiert sind, im Vertrag enthalten sind, wenn
sie zur Erreichung des Ziels notwendig sind.
1
Diese erklärte die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung für maßgeblich, weil das Völkerrecht die
Bestimmungen der Vertragsschlusskompetenz überlasse, und verneinte damit selbst die Möglichkeit eines
völkerrechtlichen Gestaltungsrrahmens
2
Diese erklärte im Interesse der Rechtssicherheit im völkerrechtlichen Verkehr das innerstaatliche Recht für
unbeachtlich und verschloss sich damit der staatlichen Verfassungsautonomie
Aus inhaltlichen Gründen ungültig schließlich ist ein Vertrag, der bei seinem
Abschluss gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstößt nach Art 53 WVK.
In den Fällen der Art 46 – Art 50 WVK wird die Ungültigkeit von der betroffenen
Vertragspartei geltend gemacht (Vertrag ist anfechtbar), so ist der Vertrag in den
Fällen der Art 51 – Art 53 WVK automatisch ungültig (Nichtigkeit).Diese entspricht
dem gravierenden Verstoß gegen den völkerrechtlichen odre public in diesen Fällen.
Eine übereinstimmende Beendigung kann sich aus dem Vertrag nach Art 54 lit a
WVK ergeben:
- Durch Erbringung der geschuldeten Leistung (= Erfüllung),
- Durch Zeitablauf bei befristeten Verträgen, durch Eintritt einer Bedingung
Es ist daneben auch immer eine einvernehmliche Auflösung möglich nach Art 54 lit b
WVK, auch implizit durch einen späteren Vertrag (Novation). Voraussetzungen
hierfür sind die Gleichheit der Vertragsparteien und des Vertragsgegenstandes, die
Unvereinbarkeit des neuen Vertrags mit dem früheren Vertrag sowie eine
Ersetzungsabsicht der Parteien
- Beispiel: implizite Ersetzung der Seerechtskonvention von 1958
Es kommt auch unter besonderen Umständen eine stillschweigende
Vertragsbeendigung in Betracht. Da die Regeln der WVK keinen abschließenden
Charakter besitzen, ist dies z.B. durch Hinnahme der Vertragsaufsge einer Partei
durch die anderen Parteien nach den Grundsätzen der sog. acquiescence3 möglich.
Ein einseitiges Recht zur Kündigung bzw. Suspendierung kann sich aus explizit
4oder implizit 5aus dem Vertrag ergeben. Im letztgenannten Fall muss feststehen,
dass die Parteien das Lösungsrecht zulassen wollten oder es sich aus der Natur des
Vertrages ergeben hat. Ansonsten gibt es drei durch die WVK anerkannte Fälle der
Beendigung von Verträgen:
- die erhebliche Vertragsverletzung durch den anderen Vertragsteil nach Art 60
WVK
- Die Unmöglichkeit der Erfüllung (Art. 61 WVK)
- und die grundlegende Änderung der Umstände (Art. 62 WVK)
3
Acquiescence (englisch ‚Schweigen im Rechtsverkehr‘; auch konkludente Zustimmung) beschreibt im
Common Law ein stillschweigendes Verhalten, das eine Person auch ohne ihren ausdrücklichen Willen rechtlich
bindet.
4
Art. 54 lit. a WVK, vgl. z.B. Art. XVI Abs. 2 Chemiewaffen-Übereinkommen von 1993 o. Art. 50 EUV)
5
Vgl. Art. 56 WVK
6
D. h. sie rechtfertigen es, in Reaktion auf die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht (hier: eine
Vertragsverletzung) mit der Verletzung einer anderen Pflicht (z. B. aus einem anderen Abkommen) zu
reagieren, um Rechtsbrecher zum Einlenken zu bewegen
Beendigung des Vertrages sein (zB wenn eine Insel untergeht und Nutzungsrechte
untergraben werden).
Es gibt die sogenannte clausula rebus six stanibus (= Klausel von den
gleichbleibenden Umständen). Hier darf ein Vertrag beendet oder suspendiert
werden, wenn eine grundlegende, unvorhersehbare Änderung von
Umständen eintritt. Voraussetzungen des Art. 62 WVK:
- grundlegende Änderung von Umständen
- von den Parteien nicht vorgesehen
- Umstände waren (aus objektiver Sicht) wesentliche Grundlage für die
Zustimmung aller Parteien
- Änderung führt zu tiefgreifender Umgestaltung der noch zu erfüllenden
Pflichten
- kein Grenzvertrag
- keine Herbeiführung durch die Partei, die sich vom Vertrag lösen will
clausa rebus six stanibus umstr, da durch Verknüpfung mit den Motiven und dem
Entstehungskontext rechtsunsicher. Über gewohnheitsrechtliche Geltung besteht
kein Streit jedoch Anwendungsbereich
C. Das Völkergewohnheitsrecht:
I. Allgemeines:
1. Bedeutung und Verbreitung:
1. Übung (consuetudo)
An der internationalen Übung nehmen alle Völkerrechtssubjekte teil. Die wohl h.M.
hält am Dogma der Staatenpraxis fest und interpretiert den Beitrag der IO als Beitrag
der Mitgliedstaaten. Eine solche bloße indirekte Beteiligung der IO an der
Völkerrechtsentwicklung wirkt gekünstelt und wird dem eigenständigen Beitrag
„starker“ Organisation wie UNO und EU nicht gerecht.
Innerhalb von Staaten sind v. a. Exekutive und Legislative die maßgeblichen Träger
der relevanten Praxis.
(P) Rolle der Innerstaatlichen Gerichte
- Nach Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut sind ihre Entscheidungen Hilfsmittel für die
Erkenntnis von Rechtsnormen
- Begreift man Rspr. als rechtschöpferischen Akt, kann man Gerichtsentscheidungen
als Teil der Staatenpraxis begreifen, sofern sie über bloße Rechtfeststellungen
hinausgehen
- Wo Gerichte das Handeln der beiden ersten Gewalten im Staat steuern,
beeinflussen sie zumindest mittelbar die Praxis ihres Staates
(P) Problematisch kann seine innerstaatliche Praxis heranzuziehen
- Hier kann es sein, dass ein Staat sich in einer bestimmten Weise verhält, weil er sich
verfassungsrechtlich, nicht aber völkerrechtlich hierzu verpflichtet sieht
o Beispiel: IKRK 2005 zurückgriff auf US-Militärhandbücher
Die Entstehung von Gewohnheitsrecht setzt eine gewisse Dauer, Einheitlichkeit und
Verbreitung der Übung voraus. Es genügt auf eine verbreitete und repräsentative
Praxis abzustellen. Aus dieser „Quasi-Universalität“ heraus haben es große
Staaten leichter eine neue Übung zu machen, hier können jedoch andere Staaten
wieder die Position des persistent objector erhalten. Ein Staat, der eine
Gewohnheitsrechtsnorm nicht akzeptiert, muss die Ablehnung durch Protest deutlich
machen. Der Staat, der protestiert ist als persistent objector von der neuen
Gewohnheitsrechtsregel ausgenommen.
3. Persistent objector:
Ein Staat, der eine Gewohnheitsrechtsnorm nicht akzeptiert, muss die Ablehnung
durch Protest deutlich machen. Der Staat, der protestiert ist als persistent objector
von der neuen Gewohnheitsrechtsregel ausgenommen
• (P) Existenz
o E.A: solche Regelung gibt es nicht, Arg: kein Staat dürfe sich auf Dauer
gegen die Internationale Gem. stellen
o Nicht zulässig ist der Widerstand gegen eine etablierte oder sich
formierende Regel des zwingenden Völkerrechts
o Arg: Dies folgt aus dem verfassungsähnlichen Charakter des ius cogens,
findet aber auch in der Staatenpraxis einen gewissen Rückhalt
• Unklarheiten bei der Figur bzgl. Häufigkeit und Frequenz der Proteste →
Einzelfallbetrachtung
Diese Aufgabe wird erleichtert, wenn man einem modernen Ansatz folgend
umgekehrt an der Rechtsüberzeugung ansetzt und für diese Bestätigungen in der
Staatenpraxis sucht. vgl. Nicaragua Urteil 19867
Um Streit über die Existenz zu vermeiden, ist die Schriftlichkeit von Vorteil.
Insbesondere ist die UN-Völkerrechtskommission (ILC) mit der Ausarbeitung
völkerrechtlicher Verträge befasst, die zu einem großen Teil gewohnheitsrechtlich
geltendes Völkerrecht kodifizieren und aber auch neue Regelungen enthalten.
Es kann aber auch aus Vertragsrecht Gewohnheitsrecht entstehen, wenn
Staaten vertragliche Pflichten unabhängig von einer vertraglichen Verpflichtung als
bindend betrachten. zB Genfer Rotkreuz Konvention, Gewaltverbot Art. 2 Nr. 4.
7
„The court must satisfy itself that the existence of the rule in the opinio
die sich aus dem Vertrag mit umfassender und repräsentativer Beteiligung ergeben
und nahezu (!) einheitliche Staatenpraxis zur Folge haben.
Befürwortet wird auch pragmatische „Verrechnung“ von Praxis und opinio iuris: Je
deutlicher und verbreiteter eine Rechtsüberzeugung geäußert wird, desto weniger
Praxis ist nötig, um eine Norm zu Gewohnheitsrecht zu machen, vgl. Nürnberger
Prozess.
Erleichtert wird dieser Schluss von Rechtsüberzeugung auf die Praxis, wenn man –
entgegen der traditionellen Sicht – in der Opinio iuris von vornherein das primäre
Element des Gewohnheitsrechts erblickt. Diese Fokussierung auf die
Rechtsüberzeugung wird in der umstrittenen Figur des instant custom noch
zugespitzt.
In der Folge sollen v.a. Resolutionen der UN-Generalversammlung oder von UN-
Weltgipfeln ohne weiteres Gewohnheitsrecht etablieren können.
Völkergewohnheitsrecht kann einen rapiden Wandel erfahren. Eine „im Entstehen
begriffene“ Norm ist (noch) nicht Bestandteil des Völkerrechts, wird aber – eine sich
verfestigte Rechtsüberzeugung und eine entsprechende Bestätigung in der Praxis
vorausgesetzt – als Kandidat für den Status einer Rechtsnorm behandelt.
Fortentwicklung des Völkerrechts auch ohne oder gegen den Willen
einzelner Staaten möglich. Im Vertragsrecht findet eine Bindung ohne
Einwilligung nicht statt und Widerstände können nur im Rahmen vertraglicher
Ermächtigung überwunden werden, zB durch sekundärrecht IO oder
satzungsgemäße Mehrheitsbeschlüsse.
Das Gewohnheitsrecht jedoch eröffnet Spielräume für das Überspielen einzelner
Abweichler:
Da all diese Unschärfen den Streit über die Existenz bzw. den Inhalt einer
Gewohnheitsrechtsnorm befeuern, kommt den autoritativen
Rechtserkenntnisquellen des Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut, namentlich den
internationalen Gerichten, hier eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der
Fortentwicklung des Völkerrechts zu
D. Allgemeine Rechtsgrundsätze:
Das IGH-Statut erreicht dies organisatorisch durch eine Zusammensetzung des IGH,
die gem. Art. 9 Angehörige aller großen Rechtskreise erfassen muss.
Welche Grundsätze eignen sich zu einer Transposition auf die internationale
Ebene?
Dies zeigt sich durch den genossenschaftlichen Charakter des Völkerrechts:
Neben Grundsätzen des Prozessrechts sind es v.a dem Privatrecht entstammende
Grundsätze, die den Weg in das Völkerrecht geschafft haben.
Hierzu zählen folgende Grundsätze:
- Der Rechtsverkehr hat sich an Treu und Glauben (good faith, bona fide) zu
orientieren. Dem verwandt ist das Verbot widersprüchlichen Verhaltens
(venire contra factum proprium) → in Prozessen wird widersprüchliches
Verhalten durch das dem Common Law entstammenden Prinzip des estoppel
(estopped) sanktioniert
- Dass ein Staat für sein völkerrechtswidriges Verhalten einzustehen hat und
Wiedergutmachung zu leisten hat, leitet sich aus den übereinstimmenden
nationalen Rechtsordnungen ab, ist aber auch gewohnheitsrechtlich anerkannt
- Auch der Rechtsverlust durch Zeitablauf (Verjährung, Ersitzung) ist ein
Grundsatz, der nationalen Rechtsordnungen entstammend in das Völkerrecht
importiert wird
Im Unterschied zum Vertrag wird die Erklärung nicht auf eine Gegenerklärung
abgegeben
Dazu gehören:
- die Anerkennung fremder Rechtsansprüche,
- der Verzicht auf eigene Rechtsansprüche
oder das Versprechen eines künftigen Verhaltens
Die Verbindlichkeit wird aus Treu und Glauben Grundsatz abgeleitet. Die
Rechtsverbindlichkeit ist also auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von
Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut „aufgestellt“.
Ob letzteres vorliegt, ist danach zu bestimmen, wie die fragliche Aussage verstanden
werden konnte (= objektivierter Empfängerhorizont). Schriftform ist nicht
erforderlich, mündliche reicht aus.
2. Protest
Mit einem Protest sagt ein Völkerrechtssubjekt, dass es das Verhalten eines anderen
für rechtswidrig oder eine Rechtsbehauptung für unzutreffend hält.
Der Protest ist für die Rechtswahrung auf Seiten des Protestierenden da. Er
verhindert, dass dieser eines Rechts im Wege der acquiescence (dazu sogleich)
verlustig geht; er kann erreichen, dass eine im Entstehen begriffene Norm des
Gewohnheitsrechts den Protestierenden nicht erfasst, geht es um eine Änderung
zwingenden Völkerrechts können Proteste die Rechtsänderung sogar ganze
verhindern, da diese von der internationalen Gemeinschaft als ganzer getragen sein
müssen.
Dies gibt dem einzelnen Staat eine Vetoposition bei Veränderung der Grundwerte der
Völkerrechtsgemeinschaft. Wird ein Protest unterlassen, wo er zu erwarten gewesen
wäre, kann auch ein Rechtsverlust eintreten. Dieser wird so behandelt, als habe er
stillschweigend eingewilligt. (= acquiescence8). Demnach ist es möglich, dass
rechtsgeschäftliche Bindungen durch Schweigen eintreten oder erlöschen → Ein
Konsens der Beteiligten wird unwiderleglich vermutet
8
Entspricht römisch-rechtlichen Grundsatz Qui-tacet Grundsatz)
Lies Tempel von Preah Vihear (IGH 1962) S. 118 Rn 273
3. Annerkennung
Anerkennungserklärungen können je nach dem Gegenstand unterschiedliche
Wirkungen im Völkerrecht haben. Die Anerkennung hat von Staaten nur
deklaratorische Bedeutung.
In Bezug auf Kräfte innerhalb eines Staates gilt: Die Anerkennung einer
Regierung ist bloß ein politisch bedeutsamer Akt. Wird eine Gegenregierung
anerkannt, die nicht über die effektive Gewalt im Staat verfügt, so liegt ein Verstoß
gegen das Interventionsverbot vor.
II. Beschlüsse IO
Beschlüsse IGOs sind abgeleitetes Recht (= „Sekundärrecht“) → Gründungsvertrag.
Angesichts dieser vertraglichen Basis ist offensichtlich, dass Beschlüsse nur ggü. den
Mitgliedstaaten verbindlich. Ob und welche Beschlüsse rechtsverbindlich sind, hängt
vom Inhalt des Gründungsvertrages ab. So sind nach der UN-Charta die Beschlüsse
des Sicherheitsrates verbindlich nach Art 25, nicht aber Resolutionen der GV.
Unverbindliche Beschlüsse gehören dem soft law an.
Ins. Im Bereich der Menschenrechte führen solche Wechselbezüge zwischen soft law
und verbindlichen Normen zur Ausbildung von Menschenrechtsstandards.
IV. Rechtserkenntnisquellen
Als nichtschriftliche Rechtsquelle ist das Gewohnheitsrecht nicht leicht feststellbar.
Auch allgemeine Rechtsgrundsätze oder die Auslegung von Verträgen ist oft nicht
leicht ermittelbar, deshalb haben sie nach Art 38 (1) lit d IGH-Statut den Status einer
Rechtserkenntnisquelle („Hilfsmittel“) zur Ermittlung von Völkerrecht.
Internationale Gerichte sind mit der Einordnung unter die Hilfsmittel nur
unzureichend charakterisiert. Auch ohne Präjudizienbindung besitzen v.a. Judikative
des IGH erhebliche Orientierungswirkung für den internationalen Rechtsverkehr
Die „Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtlicher der verschiedenen Nationen“
verweist schließlich auf die wichtige Rolle, die die Völkerrechtswissenschaft im
Zusammenwirken mit den Gerichten bei der Konsolidierung und Fortentwicklung
des Völkerrechts spielt.
Eine solche Derogation ist nicht schnell anzunehmen. Eine vertragswidrige Praxis ist
zunächst ein Vertragsbruch. Nicht leicht abzugrenzen ist die derogierende
Gewohnheit von einer vertragsausfüllenden und vertragsfortbildenden Praxis (vgl.
Art. 31 Abs.3 lit. b WVK). Letztlich geht es bei der Derogation um die Beseitigung
einer ausdrücklichen vorgesehenen Regelung.
Schwierig kann die Abgrenzung zu dem Fall sein, dass ein Vertrag mangels
Anwendung erlischt, ohne durch eine neue Norm des Gewohnheitsrechts abgelöst
worden zu sein (= desuetudo). Dies wird man auch annehmen, wenn ein Vertrag
längere Zeit keine Anwendung mehr gefunden hat u. gegen Treu und Glauben
verstößt. Beruft sich eine Partei auf einen seit langem „eingeschlafenen“ Vertrag,
kann das Recht bzw. dessen Ausübung je nach den Umständen des Falles u. U. auch
als verwirkt angesehen werden → Arg: Treu und Glaube u. Vertrauensschutz
Unterschied desuetudo: setzt einzelne Partei an, der besonderen Nutzen zieht
Einen echten Vorrang iSe Normenhierarchie, gibt es nur für das zwingende
Völkerrecht (ius cogens). Gegen dieses darf kein Vertrag verstoßen und dagegen kann
sich kein Gewohnheitsrecht entwickeln, das nicht neues zwingendes Recht ist sowie
für die Pflichte der UN-Charta Art. 103.
Völkerrechtliche Rechten und Pflichten sind gleichrangig, wobei die speziellere Regel
der allgemeineren vorgeht und die spätere der früheren. Geht ein Staat
widersprechende Vertragsbindungen mit unterschiedlichen Staaten ein,
so sind beide Verpflichtungen gleichrangig (z.B. kein Vorrang kraft zeitlicher
Priorität). Eine Auslegung nach Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK scheidet aus, da dieser nur
greift, wenn zwei Rechtssätze aufeinandertreffen, die alle Parteien des auszulegenden
Vertrages treffen. Hier gibt weder das Vertragsrecht (vgl. Art. 61 II WVK) noch das
Recht der Staatenverantwortlichkeit eine Lösung. Vertragsbruch durch Notstand vgl.
Art 25 ASR? → der geltende machende Staat darf Situation nicht beigetragen haben.
Es ist ihm aber möglich, sich durch Verhandlungen einvernehmlich von einem der
Verträge zu lösen oder im Einvernehmen mit allen Vertragspartner Modifikationen
beider Verträge zu erreichen.
Lies: S. 123
Diese können ihren Sinn nur erfüllen, wenn und soweit sie allen Staaten von
vertraglicher Bindung unabhängig obliegen. Beide Bestandteile des universellen
Gewohnheitsrechts sind aber nicht deckungsgleich, denn nur weniger Normen des
universellen Gw. Haben zwingenden Charakter
Inhalte des ius cogens: Gewaltverbot, das Verbot des Völkermords, Sklaverei verbot
und Verbot der Apartheid sowie Kerngewährleistungen der Menschenrechte.
Zum ius cogens wird man „elementare Erwägung der Menschlichkeit“
rechnen können. Der IGH hat diese Formel 1949 in Korfu-Kanal-Urteil verwendet
und 1986 im Nicaragua mit Blick auf den humanitären Mindeststandard des
gemeinsamen Art. 3 der Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 wieder aufgriffen.
Auch hier geht es um eine letzte Grenze staatlichen Verhalten, an der alle
Rechtfertigungsversuche scheitern müssen
Den wichtigsten Referenzpunkt für das ius cogens bildet Art. 53 WVK. Dieser regelt
nur bestimmte Wirkungen des zwingenden Rechts, bestätigt aber die Existenz dieser
Klasse von Rechtsnormen und definiert die zwingende Norm:
- Norm mit internationaler Anerkennung, von der nicht abgewichen werden
darf und nur durch Normen des allg. Völkerrechts derselben Rechtsnatur
geändert werden kann
Verstößt ein Vertrag gegen eine Norm des zwingenden Völkerrechts, ist er nichtig.
Verträge, die gegen eine inzwischen entstandene Ius-cogens-Norm verstoßen, werden
nichtig (vgl. Art. 53, 64 WVK). Ius cogens etabliert eine Normenhierarchie im
Völkerrecht (im Sinne eines Geltungsvorrangs bestimmter, höherrangiger Normen.
Normen des zwingenden Völkerrechts gelten erga omnes, d. h. ihre Einhaltung ist
allen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft gegenüber geschuldet
(Erfüllungsstruktur von Normen)
Meisten völkerrechtlichen Pflichten gelten nur inter partes, d.h. zwischen den
Parteien eines Vertrages oder den Beteiligten eines völkerrechtlichen Delikts; =/Erga
omnes partes = Pflichten ggü allen Vertragsparteien
In ihrem Artikel zu Staatenverantwortlichkeit (2001) ist die ILC bei der Frage von
Reaktionen auf Ius-Cogens-Verstöße vage geblieben (vgl. Art. 41)
3. Dieser Artikel berührt nicht die anderen in diesem Teil genannten Folgen und alle
weiteren Folgen, die eine Verletzung auf dieses Kapitel Anwendung findet, nach
dem Völkerrecht nach sich ziehen kann
„rechtmäßigen Mitteln“ zur Beendigung des Verstoßes muss nach Art der Reaktion
differenziert werden:
- Klagen vor dem IGH, sollten von dem klagenden Staat in Prozessstandschaft
auch auf Verletzungen erga omnes gestützt werden
- Gewaltfreie Maßnahmen nach Kapitel VIII UNChR
- Gewaltsame Interventionen nach Autorisierung des UN-Sicherheitsrats
Desweiteren muss die Lücke planwidrig sein. Hierhinter steht die Idee einer auf
einheitlichen, verklammernden Wertungen beruhenden Rechtsordnung (z.B.
Menschenrechte, Gewaltverbot).
Mit dem schrittweise Wandel des Westfälischen Systems kommen aber auch im
Völkerrecht Analogieschüsse verstärkt in Betracht; Beispiel: Die weitgehende
Annährung des Rechts des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts an das Recht
des internationalen bewaffneten Konflikts im Tadic-Urteil des ICTY beruht auch auf
Analogieschlüssen, die sich aus dem übergreifenden humanitären Anliegen
rechtfertigen.
2. Billigkeit
Wo eine Völkerrechtsregel nicht existiert, können Staaten internationale Gerichte
ermächtigen, nach Billigkeit zu entscheiden (vgl. Art. 38 II IGH-Statut).
Kaum Praxisrelevant.
Von der korrektiven Billigkeit ist die Billigkeit intra legem (= innerhalb des Gesetzes)
zu unterscheiden. Diese verpflichtet im Rahmen der Erfüllung völkerrechtlicher
Pflichten diejenige Lösung zu wählen, die den Besonderheiten am besten gerecht
wird.
3. Non liquet:
Non liquet bedeutet, dass es unklar ist. Davon wird gesprochen, wenn das Gericht
den Fall nicht entscheiden kann, weil es an einer Regel fehlt oder das Gericht den
Inhalt nicht ermitteln kann. Taucht eine Lücke auf, hängt der Eintritt eines non liquet
davon ab, ob man den Richter für ermächtigt hält, diese im Wege der Analogie oder
der Billigkeit zu schließen. Je mehr man in der Völkerrechtsordnung eine verfasste
Werteordnung erblickt, desto eher wird man dem Gericht dies zubilligen.
Anders aus traditioneller Sicht: Hier kann ein non liquet mit Hilfe der Lotus-Regel
ausgeschlossen werden, die immer dann, wenn eine Rechtsbindung nicht existiert
oder nicht ermittelbar ist, auf die ungebundene staatliche Souveränität zurückgreift.
Die angemessene Methode des Umgangs mit den Völkerrechtsquellen baut daher auf
eine Mischung aus beiden Ansätzen