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§ 3 Quellen des Völkerrechts

A. Überblick:

Unter den Rechtsquellen versteht man sämtliche Vorschriften, Akte und


ungeschriebenen Regeln, die Rechtsfolgen auslösen, dh die für die Frage nach der
Rechtslage Antworten geben können. Aus den völkerrechtlichen Rechtsquellen
ergeben sich also die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten der Staaten und
sonstigen Völkerrechtssubjekte.

Es gibt die universellen Völkerrechtsquellen und die


regionalen/partikulären Rechtsquellen. Die universellen zielen auf weltweite
Fragen ab, die regionalen beziehen sich auf Rechtsbeziehungen zwischen einzelnen
Staaten. Universeller Regelungsanspruch ist von der Frage der Bindungswirkung zu
unterscheiden: Auch wenn Vertrag sich mit universellen Themen beschäftigt, ist er
nicht wegen seines Gegenstandes nicht verbindlich → Nur Vertragsparteien

Die wichtigsten Arten finden sich in Art 38 (1) des IGH-Statuts.


Das Völkerrecht kennt als Rechtsquellen:
- völkerrechtliche Verträge
- Gewohnheitsrecht
- allgemeine Rechtsgrundsätze
- Als Rechtserkenntnisquellen sind Entscheidungen internationaler und
nationaler Gerichte und Schiedsgerichte sowie die Völkerrechtslehre
anerkannt.
- Liste wird kritisiert, da sie unvollständig sei
o Es fehlen ins. einseitige Rechtsakte, die ebenfalls Völkerrechtliche
Pflichten begründen können sowie Sekundärrecht IO
▪ Indem solche Sekundärrechtsakte ihre Geltung aber aus dem
Gründungsvertrag als Primärrecht herleiten und indem die
Verbindlichkeit einseitiger Rechtsakte z. T. aus allgemeinen
Rechtsgrundsätzen abgleitet, wird (v.a. Treu und Glaube), lassen
sich diese beiden Ganz überwiegend nicht als Rechtsquelle
einordnen
o Ganz überwiegend nicht als Völkerrechtsquelle wird das sog. soft law
angesehen, das gleichwohl von großer praktischer Bedeutung für die
internationalen Beziehungen und auch für die Entwicklungen des
Völkerrechts ist

B. Völkerrechtliche Verträge:
I. Grundsätzliches:
1. Begriff des völkerrechtlichen Vertrages:
Völkerrechtliche Verträge sind:
- Vereinbarungen
- zwischen Völkerrechtssubjekten, die
- vom Völkerrecht bestimmt und
- von einem Rechtsbindungswillen getragen sind.
- Schriftlichkeit
1. Vereinbarung: Verträge beruhen auf dem Konsens der Parteien. Wie im
Privatrecht auch wird der Konsens durch übereinstimmende
Willenserklärungen der Parteien hergestellt. Eine Annahmeerklärung führt zu
keinem Vertragsschluss, sondern stellt ein Angebot dar. Wegen der
Rechtssicherheit ist die Schriftlichkeit von Vorteil.

2. Zwischen Völkerrechtssubjekten: Verträge zwischen Staaten sind am


häufigsten.
Verträge zwischen anderen Völkerrechtssubjekten (va Internationale
Organisationen) oder Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten sind möglich.

(P) Staat und ausl. Wirtschaftsunternehmen?


- Solche Verträge wurden, jedenfalls wenn sie eine entsprechende Klausel
enthielten, teilweise als internationalisierte Verträge angesehen, die dem VR
unterstanden und nicht dem Recht des Partners
-Private Privatpartner sollte Stellung als Quasi-Völkerrechtssubjekt erhalten
- Das Verfolgte Ziel, ausländische Investoren ggü. dem zugriff des Gaststaates
wird heute überwiegend durch zwischenstaatliche Investitionsschutzabkommen
geregelt, die dem Investor aus völkerrechtlicher Ebene Schutzrechte garantieren,
ohne dass der Rückgriff auf solche Hilfskonstruktion nötig wäre
- offenbleibt, inwieweit das VR auf Verträge mit anderen Rechtspersonen ohne
Völkerrechtspersönlichkeit, z.B. mit NGO oder Rebellengruppen in einem
bewaffneten Konflikt, zumindest entsprechende Anwendung finden kann.

3. Vom Völkerrecht bestimmt: Den Staaten steht es wegen der souveränen


Handlungsfreiheit frei, den Vertrag auch nach nationalem Recht eines
Vertragspartners zu schließen. Dies geschieht bei politischen Verträgen nicht,
aber bei Kaufverträgen. Sofern die Unterstellung unter das Recht eines Partners
nicht ausdrücklich erfolgt, so ist ein Vertrag vom Völkerrecht bestimmt.

4. Rechtsbindungswille: An dem erforderlichen Willen fehlt es bei


Gentlemen’s Agreements oder politischen Absichtserklärungen, die als soft law
indirekt Einfluss auf die Rechtsentwicklung gewinnen können.
→ Beispiel: KSZE-Schlussakte
RBW ist aus objektiver Sich zu bestimmen, Anhaltspunkte Sprache, form und
umstände.

Lies S. 82 Qatar Rn. 193

2. Arten völkerrechtlicher Verträge:


Man kann zwischen bilateralen (zweiseitige) und multilateralen (mehrseitige)
Verträge unterscheiden.In der älteren Völkerrechtsliteratur findet sich eine
Unterscheidung zwischen normbildenden Verträgen (= traités-lois, law-making
treaties) und Austauschverträgen (= traités-contracts, contractual treaties)
Diese Unterscheidung wird heute abgelehnt. Kritik: Mischformen: zB Verträge die
sowohl reziproke Verpflichtungen als auc objektiv normsetzende Bestimmungen
enthalten

Es existieren Mischformen, das sind Verträge, die sowohl reziproke Verpflichtungen


als auch objektiv normsetzende Bestimmungen enthalten. Austauschverträge regeln
privatrechtsähnliche Verpflichtungen auf Basis der Gegenseitigkeit, so sind
normbildende Verträge auf die Errichtung einer objektiven Ordnung (odre public)
gerichtet. Die Unterscheidung hilft zu verstehen, warum zB Gewohnheitsrecht nach
Ansicht des IGH nur aus vertraglichen Bestimmungen mit normbildendem Charakter
entstehen oder warum Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen nach Sinn und
Zweck solcher Verträge problematisch sind
3. Rechtsquellen der Völkervertragsrechts:
Wie völkerrechtliche Verträge geschlossen, ausgelegt, geändert, suspendiert und
beendet werden hat sich durch das Gewohnheitsrecht gebildet

Eine Kodifikation findet sich seit 1969 in der Wiener Vertragsrechts-Konvention


(WVK). Die WVK hat 111 Vertragsstaaten. Der Anwendungsbereich der WVK ist in
dreifacher Hinsicht begrenzt:

sachtlich (ratione materiae): Die WVK behandelt nur schriftliche


völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten. Nicht erfasst sind mündliche Verträge,
privat-, staats- oder verwaltungsrechtliche Verträge oder Verträge mit oder zwischen
oder zwischen IO.

persönlich (ratione personae): Die WVK ist selbst ein Vertrag und bindet nur
die Vertragsparteien. Meisten Regeln des Übereinkommens stellen jedoch, wie
ausgeführt, zugleich Gewohnheitsrecht dar und binden auch Nichtparteien.

zeitlich (ratione temporis): Die WVK gilt nur für Verträge, die nach ihrem
Inkrafttreten geschlossen wurden. Der Grundsatz des sogenannten
intertemporalen Rechts zeigt sich hier, wonach rechtlich relevante Handlungen
am Maßstab des Rechts zu messen sind, dass zum Zeitpunkt der Vornahme gegolten
hat. Auch für das VR gilt, dass es regelmäßig keine Rückwirkung hat. (vgl. 28 WVK)
Lies Fall Gentlemen`s Agreement S. 84 Rn. 199

II. Abschluss und Wirkung völkerrechtlicher Verträge:


1. Verfahren beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge:

Völkerrechtliche Verträge von untergeordneter Bedeutung werden im einphasigen


Verfahren abgeschlossen, bei dem der Vertrag mit Unterschrift verbindlich ist nach
Art 12f WVK. Bedeutsamere Verträge werden im mehrphasigen
(zusammengesetzten) Verfahren geschlossen.

Auf die diplomatischen Vorverhandlungen (= Sondierungen) folgt die Prüfung


der Vollmachten nach Art 7 (1) WVK.Staatsoberhäupter, Regierungschefs und
Außenminister werden als Bevollmächtigte angesehen. Auch Diplomaten oder
Sondergesandte im Rahmen von Beglaubigung Nach Abschluss der
Verhandlungen wird der Vertrag von den Unterhändlern paraphiert, dh mit
einem Namenskürzel versehen. Daraufhin erfolgt die Unterzeichnung durch die
befugten Stellen.

In vielen Staaten dürfen wichtige Verträge nicht von der Regierung allein
abgeschlossen werden. Es ist hier verfassungsrechtlich ein innerstaatliches
Zustimmungsverfahren notwendig, das in das zusammengesetzte Verfahren auf
völkerrechtlicher Ebene eingeschoben wird.

In parlamentarischen Demokratien geht es darum, die Zustimmung des Parlaments


zu dem unterzeichneten Vertrag einzuholen. In DE bedürfen gem. Art. 59 II GG
„Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf
Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, .. der Zustimmung oder der
Mitwirkung der jeweils für Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der
Form eines Bundesgesetzes“. Umgangssprachlich ist hier oft die Rede davon, der
Bundestag „ratifiziere“ den Vertrag. Juristisch betrachtet, ist dieser Ausdruck
unzutreffend: Verfassungsrechtlich handelt es sich um die Zustimmung zu einem
Vertrag in form Bundesgesetzes („Zustimmungsgesetz“).

Die Ratifikation ist völkerrechtlich die nach außen gerichteter verbindlicher


Erklärung eines Staates, durch den Vertrag völkerrechtlich gebunden zu sein.
Die Ratifikation geschieht bei bilateralen Verträgen durch Austausch der
Ratifikationsurkunden, bei multilateralen Abkommen werden die Urkunden bei
einem Verwahrer (= Depositar) hinterlegt. Bei multilateralen Verträgen besteht auch
die Möglichkeit, durch späteren Beitritt Vertragspartei zu werden. Dies geschieht
durch Hinterlegung der Beitrittsurkunde.

2. Wirksamwerden von Verträgen:

Mit der Ratifikation treten meistens die vollen Vertragsbindungen für den Staat ein,
es sei denn, die Parteien haben einen Stichtag für das Inkrafttreten vereinbart.

Bei multilateralen Verträgen ist es üblich, das Inkrafttreten an eine bestimmte


Mindestzahl an Ratifikationen bzw Beitritten zu koppeln. Nach Ratifikation voll
gebunden vgl. Art. 84 WVK

Bis zum Inkrafttreten eines multilateralen Vertrages kann einige Zeit vergehen.
Sollen bestimmte Rechtswirkungen vor Inkrafttreten bereits eintreten, können die
Parteien die vorläufige Anwendung vereinbaren.

Auch die Unterzeichnung erzeugt eine gewisse Vorwirkung. Von der


Unterzeichnung an hat der Staat alle Handlungen zu unterlassen, die den
Vertragszweck vereiteln können (= Frustrationsverbot nach Art 18 lit a WVK).
Zur Befreiung der Bindung muss der Staat seine Absicht klar erkennen geben, nicht
mehr Vertragspartei werden zu wollen (Unterschrift zurückziehen). Das
Frustrationsverbot gilt auch für die Phase zwischen Inkrafttreten und Ratifikation
des Vertrages, außer es verzögert sich ungebührlich Art. 18 lit. b
3. Wirkung völkerrechtlicher Verträge
Mit Inkrafttreten für einen Vertragsstaat hat dieser die Pflicht, sich an den Vertrag
nach pacta sunt servanda zu halten. Eine Vertragsverletzung ist ein
völkerrechtliches Delikt, für das der Staat nach der Staatenverantwortlichkeit
Wiedergutmachung schuldet. Die Rückkehr zur Vertragstreue dürfen die Staaten
durch Gegenmaßnahmen erzwingen. Bei schwerwiegenden Verletzungen können sie
auch den Vertrag kündigen. Art. 60 WVK
Einen Verstoß kann ein Staat nicht mit abweichenden Verpflichtungen durch sein
innerstaatliches rechtfertigen. Art. 27 WVK
Ausnahme: Art. 46 WVK : Anfechtung +, wenn Vertrag von einer Person geschlossen
wurde, die nach innerstaatlichen Recht auch für andere Staaten erkennbar
offenkundig unzuständig war. Sieht Fall Unbefugt Rn. 210

Die Rechtsbindungen treten für das gesamte Hoheitsgebiet ein nach Art 28 WVK.
Nach sog. Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen gilt dies auch bei einer
späteren Vergrößerung des Staatsgebietes. Abweichende Regelungen bleiben möglich
vgl. Art. 56 EMRK Siehe Rn. 211

Aus der konsensualen Grundlage folgt, dass völkerrechtliche Verträge


unbeteiligte (dritte) Staaten ohne deren Einwilligung weder verpflichten noch
berechtigen können (= pacta-tertiis-Regel) vgl. Art. 34 WVK. Vertragsfreiheit
als Ausdruck staatlicher Souveränität. Gewohnheitsrecht bindet auch Nichtparteien
Verträge können auch faktische Wirkung besitzen.

Von der pacta-tertiis-Regel scheinen Ordnungsverträge abzuweichen. Diese


schaffen Rechtstatsachen, die auch für außenstehende Staaten beachtlich sind.
Zu ihnen zählen Verfügungs- und Statusverträge) Beispiel: Verfügungsvertrag
zB vertragliche Zession )

Dem Dritten werden keine neuen Pflichten auferlegt.Ebenso wenig bricht zB die
vertragliche Internationalisierung eines Kanals (Statusvertrags) mit der Pacta-tertiis-
Regel. Wenn teilweise auch Gründungsabkommen IO als institutionellen Verträgen
„objektiver“ Charakter zugesprochen wird, so trifft dies nur zu, sofern man von einer
objektiven Völkerrechtspersönlichkeit IO ausgeht; nach h.M. freilich bedürfen außer
der UNO IO der Anerkennung, um im Verhältnis zum anerkennenden Staat als
Völkerrechtssubjekt gelten können. Lies Problem USA Rn. 213

III. Vorbehalte zu multilateralen Verträgen:


1. Grundsätzliches:

Mit einem Vorbehalt kann eine Vertragspartei die Geltung einzelner Bestimmungen
für sich ausschließen. Schwierig ist die Abgrenzung von bloßen
Interpretationserklärungen. Vorbehalte werden oftmals als Erklärungen
angesehen, weil jene im Unterschied zu Vorbehalten ohne weiteres möglich sind.

Schließt der Staat etwas aus, was die Norm regeln soll, handelt es sich um einen
Vorbehalt, schließt er etwas aus, was die Norm regeln könnte, liegt eine
Interpretationserklärung vor. Eine solche ist dann wirkungsvoll, wenn die Partei
selbst über die Auslegung des Vertrages entscheiden.

Ein Vorbehalt muss bei Unterzeichnung, Ratifikation, Beitritt erklärt werden. Vgl.
Art. 2 I lit. d WVK. Nachträgliche Einschränkung der Vertragsbindung kommt nicht
in Betracht – sie verstieße gegen den pacta sunda servanda. Ein Staat kann jedoch
einen Vertrag kündigen und anschließend unter Vorbehalt erneuert beitreten.

Vorbehalte haben den Zweck, multilateralen Vertragswerken einen möglichst


großen Beteiligtenkreis zu erschließen. Ein Staat, der mit zielen und Inhalten eines
Abkommens zum größten Teil übereinstimmt und nur einzelne Bestimmungen nicht
mittragen will, kann so als Vertragspartei gewonnen werden. Das Ziel einer möglichst
großen Beteiligung wird aber um den Preis einer inhaltlichen „Durchlöcherung“ der
Vertragsbindung erkauft (Verträge „a la carte“)

Bei bilateralen Verträgen gibt es keine Vorbehalte. Wird ein Vorbehalt geäußert,
so fehlt es am notwendigen Konsens → stellt ein neues Angebot dar.

2. Erklärung und Annahme:


Verfahren und Rechtswirkungen von Vorbehalten sind in den Art 19ff WVK
geregelt.

Vor Abschluss der WVK drei Grundpositionen:

Absoluten Theorie (Westen): Wirksamkeit eines Vorbehalts die Annahme durch


sämtliche Vertragsparteien notwendig / striktes Konsensprinzip

Relative Theorie (Lateinamerika): geht davon aus, dass der Vertrag zwischen dem
erklärenden und dem widersprechenden Staat nicht in Kraft trete, im Verhältnis zu
den Staaten, die keinen Widerspruch einlegten, der den Vorbehalt einlegende Staat
aber Vertragspartei werde.

Erweiterte Relative (sozialistische); geht ein Schritt weiter, in dem diejenigen


Bestimmungen, auf die sich der Widerspruch bezog, von der Geltung zwischen den
Parteien ausnahmen wollte.

Die WVK folgt einem modifizierten Konsensprinzip: Vorbehalte bedürfen der


Annahme durch die anderen Parteien nach Art 20f WVK, die Ablehnung durch
einzelne andere Vertragsstaaten beeinträchtigt aber nicht die Vertragsmitgliedschaft
des Staates, der den Vorbehalt erklärt, insgesamt

Das zweite Prinzip ist der Grundsatz der Reziprozität: Im bilateralen Verhältnis
sollen die wechselseitigen Rechte und Pflichten sich decken.
o Es gilt:
▪ 1. bei Annahme des Vorbehalts durch eine andere Vertragspartei:
Im Verhältnis zu dieser Partei gilt die Vertragsbindung
beiderseitig nur in dem durch den Vorbehalt eingeschränkten
Umfang
▪ 2. bei Ablehnung des Vorbehalts durch eine andere
Vertragspartei: Im Verhältnis zu dieser Partei tritt der Vertrag in
Kraft, er bleibt aber außer Anwendung, soweit der Vorbehalt
reicht, weil soweit kein Konsens besteht, Art. 21 III VWK
▪ 3. bei qualifizierter Ablehnung des Vorbehalts durch eine andere
Vertragspartei: Lehnt ein anderer Vertragsstaat den Vorbehalt ab
und widerspricht einem Inkrafttreten des Vertrages zwischen
sich und dem Staat, der den Vorbehalt erklärt, so tritt der
Vertrag zwischen diesen Parteien nicht in Kraft. Art. 20 4 lit.
o Lese Fall Schilderstreit Rn. 220
• Im Ergebnis führt dies zu einer Bilateralisierung multilateraler
Verträge
3. Unzulässige Vorbehalte:
• Nach Art 19 WVK sind Vorbehalte unzulässig,
o (a) wenn der Vertrag sie explizit verbietet
o (b) wenn der Vertrag nur bestimmte Vorbehalte zulässt oder
o (c) wenn sie mit Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind.

Die Unzulässigkeit nach (c) eröffnet große Interpretationsspielräume.

Umstritten ist, ob Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen unzulässig


sind, weil sie Sinn und Zweck solcher Abkommen zuwiderlaufen.

Während der IGH in seinem früheren Gutachten zur Völkermord-Konvention


Vorbehalte auch bei menschenrechtlichen Abkommen im Prinzip für möglich
gehalten hat, hat der UN-Menschenrechtsausschuss für den IPBPR die Zulässigkeit
von Vorbehalten weitgehend verneint und für sich das Recht reklamiert, über die
Frage der Zulässigkeit konkreter Vorbehalte zum Zivilpakt zu entscheiden. Gerade
wenn man von der Unteilbarkeit der Menschenrechte ausgeht und diese letztlich aus
der Würde des Menschen fließen passen Vorbehalte nur schlecht zum normbildenden
Charakter solcher Abkommen. Soweit Menschenrechtsgarantien dem zwingenden
Völkerrecht zuzurechnen (ius cogens) sind, sind Vorbehalte von vornherein
unzulässig. Vorbehalte sind ebenso unzulässig, wenn sie die Pflicht zur Beachtung der
Menschenrechte generell und in unspezifischer Weise relativieren.
o Lesen: Rn 223

Es ist eine Prüfung notwendig, ob der Vorbehalt in concreto gegen Sinn und Zweck
des Vertrages verstößt oder unvereinbar mit dem Wesensgehalt eines in dem Vertrag
für nicht-derogierbar erklärten Rechts ist.
Die Rechtswirkungen unzulässiger Vorbehalte werden von der WVK nicht
geregelt. Wer die staatliche Souveränität in den Mittelpunkt stellt, hält auch
unzulässige Vorbehalte für annahmefähig. Da Art. 19 WVK keine Antworten gebe,
stehe es im souveränen Blieben der Vertragsparteien, auch an sich unzulässige
Verträge anzunehmen und wirksam werden zu lassen. Dies jedoch hieße, dass es
zwischen unzulässigen und zulässigen Vorbehalten kein Unterschied bestünde. Art.
19 WVK somit eben doch eine Aussage: Unzulässige Vorbehalte sind unwirksam.

Eine weitere Frage ist, wert bei Art 19 lit c WVK die Unvereinbarkeit mit Sinn und
Zweck feststellt. Für Abkommen wie den IPBPR, die über ein Vertragsorgan
verfügen, das auch für die Interpretation des Abkommens zuständig ist, spricht vor
allem das Interesse an Rechtsklarheit dafür, diesem Organ auch dann die primäre
Kompetenz zur Beurteilung zuzuordnen, wenn es nicht generell „authentischer
Interpret“ des Vertrags ist. Ansonsten wird man den Staaten einen gewissen
Einschätzungsspielraum zubilligen müssen, ob ein Vorbehalt gegen Sinn und Zweck
verstößt oder nicht.

Wird Unwirksamkeit angenommen, stellt sich die weitere Frage, ob der Staat, der den
unwirksamen Vorbehalt erklärt hat, vorbehaltlos an den Vertrag gebunden ist oder
ob die Vertragsbindung entfällt. Vollständiger Wegfall entspräche der absoluten
Konsenstheorie, wäre weder dem Ziel größtmöglicher Beteiligung zuträglich noch
stets interessengerecht. Sofern nicht feststeht, dass der betreffende Staat nur unter
Gang des fraglichen Vorbehalts Vertragspartei zu werden beabsichtigte, ist er nach
Auffassung der ILC vorbehaltlos an den Vertrag gebunden. Erscheint sachgerecht:
Das Risiko einer Unwirksamkeit des Vorbehalts hat der Staat selbst gesetzt und sollte
es auch tragen

Da Vorbehalte Ausnahmecharakter haben, sollte das Bekenntnis zum Vertrag auch


dann überwiegen, wenn ein Vorbehalt sich wegen Unzulässigkeit als unwirksam
erweist. Staat bleibt die Möglichkeit sich zu lösen. Soll eingeschränkt werden, wenn
die Unwirksamkeit des Vorbehalts von einem besonderen Vertragsorgan festgestellt
worden ist. Zwar dürfte die in einem solchen Fall längeres Schweigen tatsächlich zu
einer Verwirkung des Rechts zum Rückzug schon nach geltendem Völkerrecht
führen, die von der ILC angegebene Frist von 12 Monaten ist allerdings ein Vorschlag
de lege ferenda. Eine regelmäßig vorbehaltlose Bindung des betreffenden Staates
nehmen insbesondere der EGMR für die EMRK und der UN-
Menschenrechtsausschuss für den IPBPR.
▪ Lese Fall: Unter Vorbehalt Rn. 227
Sofern nicht feststeht, dass der Staat nur Vertragspartei wird, wenn der Vorbehalt
akzeptiert wird, ist der Vertragspartner nach Auffassung des ILC vorbehaltslos an den
Vertrag gebunden

IV. Auslegung völkerrechtlicher Verträge:


Die Auslegung nimmt nach Art 31 WVK ihren Ausgang beim Text des Vertrages,
dh der Wille spielt nur insoweit eine Rolle, als er in der Vertragsnorm
Niederschlag gefunden hat. Es ist eine objektivierte Auslegung.
→ Die canones der Auslegung völkerrechtlicher Verträge entsprechen im Grundsatz
denen des innerstaatlichen Rechts, weisen aber einige Besonderheiten auf

Wörtliche Auslegung: Ausgangspunkt ist der Wortlaut der Vorschrift in seinem


gewöhnlichen Verständnis (= ordinary meaning rule). Diese Verträge sind meist
in mehreren Sprachen gefasst. Werden 2 oder mehr Sprachfassungen als
authentisch festgelegt, gelten alle als verbindlich. Gem. Art. 33 III WVK wird
vermutet, dass Ausdrücke in jedem authentischen Text dasselbe bedeuten

Systematische Auslegung: Der Regelungszusammenhang ist für die


Interpretation einer Vertragsklausel zu berücksichtigen. Dazu zählen auch die
Präambeln, Anlagen, Protokolle und andere Urkunden, die sich auf den Vertrag
beziehen. Die Einpassung in den Kontext macht aber nicht an den Grenzen des
jeweiligen Vertragsdokument halt
Nach Art. 31 III WVK sind außer Zusammenhang in gleicher weise zu berücksichtigen

a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des
Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen;

b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die
Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht

c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare


einschlägige Völkerrechtssatz

Art. 31 Abs. 3 lit. a: bezieht sich auf spätere Abreden zur Interpretation
Art. 31 Abs. 3 lit. b: ermöglicht eine spätere Praxis der Vertragsparteien zur
Auslegung heranzuziehen
Art 31 abs. 3 lit. c: fordert dazu auf, andere einschlägige Völkerrechtssätze zu
berücksichtigen, die zwischen den Vertragsparteien Anwendung finden

Teleologische Auslegung: Von Bedeutung ist die Ermittlung von Ziel und Zweck
des Vertrages. Die dynamische Interpretation spielt eine wichtige Rolle im
Völkerrecht. Besondere Bedeutung haben der Effektivitätsgrundsatz (= effet
utile), wonach ein Vertrag so auszulegen ist, dass er seinen Zweck bestmöglich
erreicht und der Grundsatz der necessary implication, wonach auch andere
Rechte, die nicht ausdrücklich garantiert sind, im Vertrag enthalten sind, wenn
sie zur Erreichung des Ziels notwendig sind.

Historisch-genetische Auslegung: Die vorbereitenden Arbeiten sind nach Art 32


WVK nur hilfsweise heranzuziehen, um Unklarheiten aufzuklären, die nach
Anwendung der anderen Auslegungsmethoden noch bestehen.

Lesen: San Juan River Rn. 233

V. Änderung und Modifikation von Verträgen:


Die WVK unterscheidet in den Art 39ff zwischen Vertragsänderungen und
Modifikationen.

Vertragsänderungen: Vereinbaren alle Parteien eines Vertrages untereinander


Modifikationen: Betreffen nur einen Teil der Parteien eines multilateralen
Vertrages

Diese Modifikationen sind als „Inter-se-Abkommen“ nach Art 41 WVK nur


zulässig, wenn der Rechtsstatus der Parteien, die sich daran nicht beteiligen,
unberührt bleibt und die Abweichung nicht Ziel und Zweck des Vertrages
beeinträchtigt.

Bei den Vertragsänderungen werden wiederum Änderungen einzelner


Vertragsbestimmungen und die Revision eines ganzen Vertrages unterschieden.
Vertragsänderungen sind politisch schwer durchzusetzen. Es gibt mehrere
Änderungsmechanismen, die in Teilen Abhilfe schaffen. Eine Möglichkeit ist die
Ergänzung und Änderung durch Zusatzprotokolle, die aber gesonderter Ratifikation
bedürfen. Beziehen sich Änderungen auf institutionelle Strukturen, so müssen alle
Vertragsparteien das Protokoll ratifizieren. Es ist auch möglich, dass nur ein Teil der
Vertragsparteien auch Partei eines ergänzenden oder ändernden Protokolls wird.
Beispiel: Umweltvölkerrecht

Insbesondere können Gründungsverträge IO vorsehen, dass eine


Vertragsänderung durch eine qualifizierte Mehrheit beschlossen werden kann.
Für die UN-Charta-Änderung genügen nach Art 108 eine Mehrheit von 2/3 in der
Generalversammlung und die Ratifikation durch 2/3 der UN-Mitglieder.

Für Vertragsänderungen gilt die Formfreiheit. Verträge können mündlich oder


stillschweigend durch eine abweichende Praxis geändert werden. Dabei ist nicht
leicht auseinanderzuhalten, ob man mit einer nach Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK für die
Auslegung eines Vertrages relevanten Vertragsparteien oder eine Vertragsfortbildung
zu tun hat, die sich zwar noch innerhalb der Ziele und Grundrisse des Vertrags
bewegt, aber verschiedentlich Bestimmungen des Ausgangsvertrags abändert
Ob man eine solche Fortbildung methodisch noch als Auslegung nach Art. 31 Abs. 3
lit. b WVK kategorisiert oder als Ausdruck derogierenden (d.h. vertraglichen
Regeln abbedingenden) Gewohnheitsrecht ist letztlich eine Frage der Perspektive

VI. Ungültigkeit, Beendigung und Suspendierung von Verträgen


1. Allgemeines
Die Ungültigkeit bezieht sich auf anfängliche Mängel eines Vertrages, so bezieht sich
die Beendigung auf einen zunächst wirksamen Vertrag. Das mildere Mittel der
Beendigung ist die Suspendierung. Hier wird die Vertragsbindung nicht aufgelöst,
sondern nur ausgesetzt. Ein Verfahren zur Geltendmachung der Ungültigkeit,
Beendigung oder Suspendierung sehen die Art 65ff WVK vor, die nicht geltendes
Gewohnheitsrecht reflektieren

2. Ungültigkeit von Verträgen:


Verträge können wegen Mängeln zum Zeitpunkt des Abschlusses oder wegen des
Inhalts ungültig sein nach Art 46 – Art 53 WVK. Mängel beim Vertragsschluss
betreffen den Irrtum über wesentliche Umstände Art 48, Betrug Art 49, Bestechung
Art 50, Bedrohung eines Staatenvertreters Art 51 oder eines Staates Art 52.
Die beiden letztgenannten Fälle erfassen nur die völkerrechtswidrige Drohung mit
Gewalt; legale Maßnahmen gegen einen Angreiferstaat sollen hier nicht unterbunden
werden Art. 74. Auf eine fehlende innerstaatliche Befugnis zum Abschluss darf sich
ein Staat nicht berufen, es sei denn die fehlende Befugnis des Vertreters war bei
Vertragsschluss offenkundig (Art. 46).
In dem Streit zwischen Relevanztheorie 1 und Irrelevanz Theorie 2 hat die WVK sich
für die mittlere Linie entschiedenn (Evidenztheorie).

1
Diese erklärte die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung für maßgeblich, weil das Völkerrecht die
Bestimmungen der Vertragsschlusskompetenz überlasse, und verneinte damit selbst die Möglichkeit eines
völkerrechtlichen Gestaltungsrrahmens
2
Diese erklärte im Interesse der Rechtssicherheit im völkerrechtlichen Verkehr das innerstaatliche Recht für
unbeachtlich und verschloss sich damit der staatlichen Verfassungsautonomie
Aus inhaltlichen Gründen ungültig schließlich ist ein Vertrag, der bei seinem
Abschluss gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) verstößt nach Art 53 WVK.
In den Fällen der Art 46 – Art 50 WVK wird die Ungültigkeit von der betroffenen
Vertragspartei geltend gemacht (Vertrag ist anfechtbar), so ist der Vertrag in den
Fällen der Art 51 – Art 53 WVK automatisch ungültig (Nichtigkeit).Diese entspricht
dem gravierenden Verstoß gegen den völkerrechtlichen odre public in diesen Fällen.

Ungültigkeitsgründe spielen in der internationalen Praxis eine untergeordnete Rolle


Grund: völkerrechtlicher Vertragsschluss erstreckt sich über einen längeren Zeitraum
und viele Personen / Institutionen sind bei der Aushandlung/Abschluss involviert,
die in der Aushandlung/Abschluss erfahren sind.

3. Beendigung und Suspendierung von Verträgen


Die Vertragsbindungen enden durch eine Lösung im Einvernehmen aller Parteien
(Art. 53-64 WVK). Durch einseitige Lösung einer Partei vom Vertrag oder aber
unabhängig vom Willen der Partei dann, wenn der Vertrag gegen entstandenes
Völkerrecht verstößt. Beendigungsgründe von erheblicher praktischer Relevanz

Eine übereinstimmende Beendigung kann sich aus dem Vertrag nach Art 54 lit a
WVK ergeben:
- Durch Erbringung der geschuldeten Leistung (= Erfüllung),
- Durch Zeitablauf bei befristeten Verträgen, durch Eintritt einer Bedingung
Es ist daneben auch immer eine einvernehmliche Auflösung möglich nach Art 54 lit b
WVK, auch implizit durch einen späteren Vertrag (Novation). Voraussetzungen
hierfür sind die Gleichheit der Vertragsparteien und des Vertragsgegenstandes, die
Unvereinbarkeit des neuen Vertrags mit dem früheren Vertrag sowie eine
Ersetzungsabsicht der Parteien
- Beispiel: implizite Ersetzung der Seerechtskonvention von 1958
Es kommt auch unter besonderen Umständen eine stillschweigende
Vertragsbeendigung in Betracht. Da die Regeln der WVK keinen abschließenden
Charakter besitzen, ist dies z.B. durch Hinnahme der Vertragsaufsge einer Partei
durch die anderen Parteien nach den Grundsätzen der sog. acquiescence3 möglich.

Ein einseitiges Recht zur Kündigung bzw. Suspendierung kann sich aus explizit
4oder implizit 5aus dem Vertrag ergeben. Im letztgenannten Fall muss feststehen,

dass die Parteien das Lösungsrecht zulassen wollten oder es sich aus der Natur des
Vertrages ergeben hat. Ansonsten gibt es drei durch die WVK anerkannte Fälle der
Beendigung von Verträgen:
- die erhebliche Vertragsverletzung durch den anderen Vertragsteil nach Art 60
WVK
- Die Unmöglichkeit der Erfüllung (Art. 61 WVK)
- und die grundlegende Änderung der Umstände (Art. 62 WVK)

Bei einer eheblichen Vertragsverletzung kann es für die vertragstreue Partei


unzumutbar sein, an dem Abkommen festzuhalten. Sie erhält das Recht den Vertrag
zu kündigen oder zu suspendieren. In Art 60 (3) WVK wird als erhebliche
Vertragsverletzung eine nach der WVK unzulässige Ablehnung des Vertrags oder die
Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks
wesentlichen Bestimmung definiert. → durch Auslegung ermittelt werden
Bei multilateralen Abkommen formuliert der Art 60 (2) WVK Sonderregeln:
- Die vertragstreuen Parteien können einvernehmlich die vertragsbrüchige
Partei aus dem Vertrag vorübergehend oder endgültig ausschließen oder aber
den Vertrag beenden oder suspendieren.
- Eine besonders betroffene Partei kann den Vertrag zum vertragsbrüchigen
Partner suspendieren. (nicht beenden)
- Art. 60 II lit. c. WVK: hat Abrüstungsverträge im Blick:
o Grund: Gegenseitigkeit ist Wesenskern des Abkommens
o Abs. 5: ausgeschlossen von Beendigung o. Suspendierung über Schutz
menschlichen Person → Charakter von Menschenrechtsabkommen

Von den vertragsinternen Reaktionen auf Vertragsbruch sind Gegenmaßnahmen zu


unterscheiden, die den allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit
folgen (vgl. Art. 73 WVK). Solche Gegenmaßnahmen setzen vertagsextern an6
Die Unmöglichkeit der Erfüllung nach Art 61 WVK: Auch eine nachträgliche
„unverschuldete“ Unmöglichkeit der Erfüllung kann Anlass für die einseitige

3
Acquiescence (englisch ‚Schweigen im Rechtsverkehr‘; auch konkludente Zustimmung) beschreibt im
Common Law ein stillschweigendes Verhalten, das eine Person auch ohne ihren ausdrücklichen Willen rechtlich
bindet.
4
Art. 54 lit. a WVK, vgl. z.B. Art. XVI Abs. 2 Chemiewaffen-Übereinkommen von 1993 o. Art. 50 EUV)
5
Vgl. Art. 56 WVK
6
D. h. sie rechtfertigen es, in Reaktion auf die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht (hier: eine
Vertragsverletzung) mit der Verletzung einer anderen Pflicht (z. B. aus einem anderen Abkommen) zu
reagieren, um Rechtsbrecher zum Einlenken zu bewegen
Beendigung des Vertrages sein (zB wenn eine Insel untergeht und Nutzungsrechte
untergraben werden).

Es gibt die sogenannte clausula rebus six stanibus (= Klausel von den
gleichbleibenden Umständen). Hier darf ein Vertrag beendet oder suspendiert
werden, wenn eine grundlegende, unvorhersehbare Änderung von
Umständen eintritt. Voraussetzungen des Art. 62 WVK:
- grundlegende Änderung von Umständen
- von den Parteien nicht vorgesehen
- Umstände waren (aus objektiver Sicht) wesentliche Grundlage für die
Zustimmung aller Parteien
- Änderung führt zu tiefgreifender Umgestaltung der noch zu erfüllenden
Pflichten
- kein Grenzvertrag
- keine Herbeiführung durch die Partei, die sich vom Vertrag lösen will

clausa rebus six stanibus umstr, da durch Verknüpfung mit den Motiven und dem
Entstehungskontext rechtsunsicher. Über gewohnheitsrechtliche Geltung besteht
kein Streit jedoch Anwendungsbereich

(P) ob politischer Systemwechsel in einem Vertragsstaat die Lösung von


politischen Verträgen des vorherigen Systems gestatten (zB schrittweise
Auflösung Warschauer Pakt 1990)
- Anders sieht es bei Fällen der Staatennachfolge aus: Hier ist – anders als beim
Systemwegwechsel als innerer politischer Vorgang – die völkerrechtliche Ebene von
vornherein affiziert.
- Eine Lösung über die crss von Verträgen des Vorgängerstaates in Frage, sofern diese
auf den Nachfolgestaat übergangen sind und nicht der Regelung der Staatsgrenzen
dienen

Kriegszustand zwischen den Vertragsparteien kann zur Suspendierung rechtfertigen


außer Vertrag regelt humanitäres Völkerrecht.
Auch unabhängig vom Willen der Parteien kann der Vertrag untergehen, wenn
ein (älterer) Vertrag gegen eine in der Zwischenzeit entstandene Norm des
zwingenden Völkerrechts verstößt. Hier wird der Vertrag automatisch nichtig und
erlischt. (ius cogens superveniens).
Nicht in der WVK geregelt ist der Fall, dass einer der Vertragspartner nicht mehr
existiert. Möglicherweise kann der Vertrag nach Regeln der
Staatennachfolge in Verträge auf einen Nachfolgestaat übergehen.
Fall: Ein Automes Joint-Venture lesen (Rn. 249)

C. Das Völkergewohnheitsrecht:
I. Allgemeines:
1. Bedeutung und Verbreitung:

Das Gewohnheitsrecht ist das Urgestein des Völkerrechts. Das Gewohnheitsrecht


wird so im System der Völkerrechtsquellen zunehmend in eine faktische
Auffangfunktion gedrängt. Das Völkergewohnheitsrecht ist überwiegend universell,
dh seine Regeln gelten weltweit für alle Völkerrechtssubjekte. Es gibt auch noch
regionales Gewohnheitsrecht
II. Elemente
Das Gewohnheitsrecht setzt sich aus einer Übung von einiger Dauer (= consuetudo)
als objektivem Element und einer diese Übung tragenden Rechtsüberzeugung (=
opinio iuris) als subjektivem Element zusammen (vgl. Art. 38 I lit. b IGH-Statut).
Auch umgekehrte Weg ist möglich: wird eine Praxis eingestellt, weil die Staaten sich
nicht länger zu ihr verpflichtet sehen, führt diese sog. desuetudo zum Untergang der
Norm.

1. Übung (consuetudo)
An der internationalen Übung nehmen alle Völkerrechtssubjekte teil. Die wohl h.M.
hält am Dogma der Staatenpraxis fest und interpretiert den Beitrag der IO als Beitrag
der Mitgliedstaaten. Eine solche bloße indirekte Beteiligung der IO an der
Völkerrechtsentwicklung wirkt gekünstelt und wird dem eigenständigen Beitrag
„starker“ Organisation wie UNO und EU nicht gerecht.

Innerhalb von Staaten sind v. a. Exekutive und Legislative die maßgeblichen Träger
der relevanten Praxis.
(P) Rolle der Innerstaatlichen Gerichte
- Nach Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut sind ihre Entscheidungen Hilfsmittel für die
Erkenntnis von Rechtsnormen
- Begreift man Rspr. als rechtschöpferischen Akt, kann man Gerichtsentscheidungen
als Teil der Staatenpraxis begreifen, sofern sie über bloße Rechtfeststellungen
hinausgehen
- Wo Gerichte das Handeln der beiden ersten Gewalten im Staat steuern,
beeinflussen sie zumindest mittelbar die Praxis ihres Staates
(P) Problematisch kann seine innerstaatliche Praxis heranzuziehen
- Hier kann es sein, dass ein Staat sich in einer bestimmten Weise verhält, weil er sich
verfassungsrechtlich, nicht aber völkerrechtlich hierzu verpflichtet sieht
o Beispiel: IKRK 2005 zurückgriff auf US-Militärhandbücher
Die Entstehung von Gewohnheitsrecht setzt eine gewisse Dauer, Einheitlichkeit und
Verbreitung der Übung voraus. Es genügt auf eine verbreitete und repräsentative
Praxis abzustellen. Aus dieser „Quasi-Universalität“ heraus haben es große
Staaten leichter eine neue Übung zu machen, hier können jedoch andere Staaten
wieder die Position des persistent objector erhalten. Ein Staat, der eine
Gewohnheitsrechtsnorm nicht akzeptiert, muss die Ablehnung durch Protest deutlich
machen. Der Staat, der protestiert ist als persistent objector von der neuen
Gewohnheitsrechtsregel ausgenommen.

(P) Ob sich an einer Praxis überwiegende Zahl der Staaten aktiv


beteiligen musss oder ob auch die Duldung der Praxis einiger Staaten
durch Staatenmehrheit ausreicht
- Betrifft eine Gewohnheitsrechtsnorm nur bestimmte Staaten auf Grund ihrer
Beschaffenheit (z.B. als Küsten- oder als Archipelstaaten) oder Fähigkeit (z.B.
Weltraumnutzung), kommt es auf die Praxis und Haltung dieser Staaten an

Das Völkergewohnheitsrecht ist überwiegend universell d. h. seine Regeln gelten


weltweit für alle Völkerrechtssubjekte. Daneben gibt es aber auch regionales
Gewohnheitsrecht. Ein klassisches Beispiel ist diplomatische Asyl, das allein in
Südamerika gewohnheitsrechtlich verankert ist. Als weiteres Beispiel mag das Verbot
der Todesstrafe. Fall lesen: Asyl-Fall I (IGH 1950) Rn. 354

2. Rechtsüberzeugung (opinio juris)


Die Rechtsüberzeugung ist als eine Art innere Tatsache nicht leicht zu belegen. Sie
wird aus der Stellungnahme der Staatsorgane abgeleitet. Proteste gegen RV der
Staaten als deutlicher Ausdruck einer Rechtsüberzeugung. Es fehlt an einer
Rechtsüberzeugung, wo Staaten sich nicht an eine Praxis halten, weil sie sich
rechtlich verpflichtet, meinen, sondern aus Gründen der Bequemlichkeit oder der
Höflichkeit (= Courtoisie) im internationalen Verkehr. Beispiel: sog. Dippen der
Flagge im Seerecht bei der Begegnung mit einem Schiff unter fremder Flagge

3. Persistent objector:
Ein Staat, der eine Gewohnheitsrechtsnorm nicht akzeptiert, muss die Ablehnung
durch Protest deutlich machen. Der Staat, der protestiert ist als persistent objector
von der neuen Gewohnheitsrechtsregel ausgenommen
• (P) Existenz
o E.A: solche Regelung gibt es nicht, Arg: kein Staat dürfe sich auf Dauer
gegen die Internationale Gem. stellen
o Nicht zulässig ist der Widerstand gegen eine etablierte oder sich
formierende Regel des zwingenden Völkerrechts
o Arg: Dies folgt aus dem verfassungsähnlichen Charakter des ius cogens,
findet aber auch in der Staatenpraxis einen gewissen Rückhalt
• Unklarheiten bei der Figur bzgl. Häufigkeit und Frequenz der Proteste →
Einzelfallbetrachtung

II. Feststellung von Gewohnheitsrecht


(P) Das Problem ist die Feststellung
Nach Traditionelle Auffassung ist die Praxis das Primäre, sodass vorerst die
einschlägige Staatenpraxis zusammenzutragen ist, um anschließend Indizien für eine
Überzeugung zu sammeln, dass diese Praxis Ausdruck einer Rechtpflicht ist.

Diese Aufgabe wird erleichtert, wenn man einem modernen Ansatz folgend
umgekehrt an der Rechtsüberzeugung ansetzt und für diese Bestätigungen in der
Staatenpraxis sucht. vgl. Nicaragua Urteil 19867

Unterstützend gibt es die Möglichkeit, Rechtsprechung und Literatur als


Rechtserkenntnisquellen heranzuziehen (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. d IHG).
Nichtbeachtung verneint nicht die gewohnheitsrechtliche Pflicht

(P) Es ist daher umstritten, ob zahlreiche Regeln gewohnheitsrechtliche


Geltung beanspruchen können oder nicht

Um Streit über die Existenz zu vermeiden, ist die Schriftlichkeit von Vorteil.
Insbesondere ist die UN-Völkerrechtskommission (ILC) mit der Ausarbeitung
völkerrechtlicher Verträge befasst, die zu einem großen Teil gewohnheitsrechtlich
geltendes Völkerrecht kodifizieren und aber auch neue Regelungen enthalten.
Es kann aber auch aus Vertragsrecht Gewohnheitsrecht entstehen, wenn
Staaten vertragliche Pflichten unabhängig von einer vertraglichen Verpflichtung als
bindend betrachten. zB Genfer Rotkreuz Konvention, Gewaltverbot Art. 2 Nr. 4.

Der IGH hat hierzu in seinem Festlandsockel Urteil 1969 richtungsweisende


Aussagen getroffen. Danach muss es um Regelungen mit normbildendem Charakter,

7
„The court must satisfy itself that the existence of the rule in the opinio
die sich aus dem Vertrag mit umfassender und repräsentativer Beteiligung ergeben
und nahezu (!) einheitliche Staatenpraxis zur Folge haben.

ILA: hält in der Prinziperklärung in seltenen / Ausnahmeregelungen, dass ein


Vertrag von sich aus Gewohnheitsrecht schafft, wenn Inhalt auf universelle Geltung
gerichtet ist ; zB Art. 2 Nr. 6 UNCh sowie Teile der Genfer Rotkreuz Konventionen
Festlandsockel Fall Rn. 260 S. 260 lesen

III,„Ex iniuria ius oritur?“ („Geht aus Unrecht Recht hervor?“):


Eine neue Regel des Gewohnheitsrechts entsteht nicht im rechtlichen Vakuum.
Probleme gibt es, wenn Staaten für sich Rechte reklamieren, die nach bisherigem
Völkerrecht ausgeschlossen waren oder dann, wenn ein Staat für ein bislang nicht
verbotenes Verhalten von anderen Staaten erstmals zur Verantwortung gezogen wird.
Auch wenn sich die neue Praxis als Gewohnheitsrecht durchsetzen sollte, entsteht die
neue Norm im Widerspruch zum bisherigen Völkerrecht.Da es wieder der
Übung von einiger Dauer bedarf, verstoßen die ersten Fälle der neuen Praxis gegen
das zurzeit geltende Völkerrecht und erhalten erst die Legitimation im Nachhinein
Bsp.: Entwicklung der Wirtschaftszonen heute Art. 55 ff SRÜ siehe Rn. 261

Es fehlt daher nicht an Versuchen, die Etablierung neuer Regeln des


Völkerrechts zu erleichtern, indem man die Anforderungen an Dauer und Häufigkeit
der Anwendungsfälle reduziert.
Der IGH hat es für möglich gehalten, dass eine weit verbreitete Praxis auch innerhalb
kurzer Zeit neues Recht schaffen kann, vgl. Festsockel. Dauer u. Verbreitung: bilden
„kommunizierende Röhren“ innerhalb des objektiven Elements

Befürwortet wird auch pragmatische „Verrechnung“ von Praxis und opinio iuris: Je
deutlicher und verbreiteter eine Rechtsüberzeugung geäußert wird, desto weniger
Praxis ist nötig, um eine Norm zu Gewohnheitsrecht zu machen, vgl. Nürnberger
Prozess.

Erleichtert wird dieser Schluss von Rechtsüberzeugung auf die Praxis, wenn man –
entgegen der traditionellen Sicht – in der Opinio iuris von vornherein das primäre
Element des Gewohnheitsrechts erblickt. Diese Fokussierung auf die
Rechtsüberzeugung wird in der umstrittenen Figur des instant custom noch
zugespitzt.

Die Vorstellung eines „sofortigen Gewohnheitsrecht“ kann nicht funktionieren: Egal


welches Element man als das primäre ansieht, von Gewohnheit kann man nur bei
gewissen Verhaltensmustern sprechen, die durch einen Einzelfall noch nicht in
Erscheinung getreten sein können. Nicht in den anerkannten Rechtsquellenkanon
einzupassen sind schließlich auch Positionen, die das Gewohnheitsrecht als eine Art
declaratory law, betrachten, bei dem auf Praxis verzichtet wird.

In der Folge sollen v.a. Resolutionen der UN-Generalversammlung oder von UN-
Weltgipfeln ohne weiteres Gewohnheitsrecht etablieren können.
Völkergewohnheitsrecht kann einen rapiden Wandel erfahren. Eine „im Entstehen
begriffene“ Norm ist (noch) nicht Bestandteil des Völkerrechts, wird aber – eine sich
verfestigte Rechtsüberzeugung und eine entsprechende Bestätigung in der Praxis
vorausgesetzt – als Kandidat für den Status einer Rechtsnorm behandelt.
Fortentwicklung des Völkerrechts auch ohne oder gegen den Willen
einzelner Staaten möglich. Im Vertragsrecht findet eine Bindung ohne
Einwilligung nicht statt und Widerstände können nur im Rahmen vertraglicher
Ermächtigung überwunden werden, zB durch sekundärrecht IO oder
satzungsgemäße Mehrheitsbeschlüsse.
Das Gewohnheitsrecht jedoch eröffnet Spielräume für das Überspielen einzelner
Abweichler:

- Durch die Unklarheiten über die genauen Inhalte und die


Rechtswirkungen zwingenden Völkerrechts
- über die Möglichkeit, den Geltungsbereich vertraglicher Normen
- durch Übergang ins Gewohnheitsrecht zu erweitern, dessen Voraussetzung
nicht präzise zu benennen sind
- durch das Abstellen auf die Praxis und Rechtsüberzeugung lediglich
einer überwiegenden Zahl der Staaten
- durch offene Fragen rund um den presistent objector
- durch Verrechnungen des objektiven und subjektiven Elements

Da all diese Unschärfen den Streit über die Existenz bzw. den Inhalt einer
Gewohnheitsrechtsnorm befeuern, kommt den autoritativen
Rechtserkenntnisquellen des Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut, namentlich den
internationalen Gerichten, hier eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der
Fortentwicklung des Völkerrechts zu

D. Allgemeine Rechtsgrundsätze:

Allgemeine Rechtsgrundsätze in einem weiteren Sinne sind Normen, die


grundlegende Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit verkörpern und die in
allen Rechtsordnungen anerkannt sind. Es wird unterschieden:

- Grundbedingungen jeder Rechtsordnung: Hierzu zählt der Grundsatz


„pacta sunt servanda“. Ohne die Verbindlichkeit von Verträgen und ganz
allgemein von Recht, kann keine Rechtsordnung existieren.

- Grundsätze aus der spezifischen Natur des Völkerrechts: zB die


souveräne Gleichheit der Staaten oder das Interventionsverbot. Es
handelt sich um Grundsätze der internationalen Beziehungen, bei denen
von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung ausgegangen werden kann.

- Grundsätze der Rechtslogik: Hierzu zählen formale Grundsätze wie der


Vorrang der speziellen Rechtsnorm vor der allgemeinen, der neueren vor
der älteren, der höherrangigen vor der niederrangigen. Ihre Allgemeinheit folgt aus
der Bezogenheit aus normtheoretischen Aspekten.

Als allgemeine Rechtsgrundsätze werden übereinstimmende Regeln


staatlicher Rechtsordnung bezeichnet. Im fragmentarischen Völkerrecht erfüllen
sie die Funktion, Lücken dort zu schließen, wo der Rückzug auf die staatliche
Souveränität nicht angemessen ist

Voraussetzung ist, dass


- (1) die betreffende Regel„von den Kulturvölkern anerkannt“ ist und
- (2) dass sie sich sinnvoll auf die internationale Ebene übertragen lässt

Ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz auf internationaler Ebene erfolgreich, so


kann er in Gewohnheitsrecht übergehen. Die Kulturvölker (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. c
IGH-Statut) sind nach überwiegender Auffassung alle Mitgliedstaaten der Vereinten
Nationen; a.A.: Achtung der universellen Menschenrechte abstellen

Es genügt, wenn bei dem erforderlichen Rechtsvergleich repräsentative


Rechtsordnungen aus den großen Rechtskreisen der Welt berücksichtigt, werden.

Das IGH-Statut erreicht dies organisatorisch durch eine Zusammensetzung des IGH,
die gem. Art. 9 Angehörige aller großen Rechtskreise erfassen muss.
Welche Grundsätze eignen sich zu einer Transposition auf die internationale
Ebene?
Dies zeigt sich durch den genossenschaftlichen Charakter des Völkerrechts:
Neben Grundsätzen des Prozessrechts sind es v.a dem Privatrecht entstammende
Grundsätze, die den Weg in das Völkerrecht geschafft haben.
Hierzu zählen folgende Grundsätze:
- Der Rechtsverkehr hat sich an Treu und Glauben (good faith, bona fide) zu
orientieren. Dem verwandt ist das Verbot widersprüchlichen Verhaltens
(venire contra factum proprium) → in Prozessen wird widersprüchliches
Verhalten durch das dem Common Law entstammenden Prinzip des estoppel
(estopped) sanktioniert
- Dass ein Staat für sein völkerrechtswidriges Verhalten einzustehen hat und
Wiedergutmachung zu leisten hat, leitet sich aus den übereinstimmenden
nationalen Rechtsordnungen ab, ist aber auch gewohnheitsrechtlich anerkannt
- Auch der Rechtsverlust durch Zeitablauf (Verjährung, Ersitzung) ist ein
Grundsatz, der nationalen Rechtsordnungen entstammend in das Völkerrecht
importiert wird

Die Herleitung allgemeiner Grundsätze aus dem öffentlichen Recht scheitert


daran, dass solche Prinzipien nicht in allen Staaten anerkannt sind, da
unterschiedliche politische Systeme.

E. Sonstige Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen:


I. Einseitige Akte:
Einseitige Akte können Rechtsfolgen auslösen. Es können selbständige einseitige
Akte von einseitigen Rechtshandlungen (Vorbehalt, Beitritt, Kündigung) im Rahmen
von Vertragsbeziehungen unterschieden werden.

Selbständige einseitige Akte kommen wie folgt vor:


- einseitige rechtsgeschäftliche Handlungen
- Protest gegen fremdes Verhalten
- Anerkennung ohne rechtsgeschäftliche Bedeutung.

Nur bedingt dazu gehört die Notifizierung

1. Einseitige rechtsgeschäftliche Handlungen:


Völkerrechtssubjekte können durch einseitige Erklärungen gegenüber einem anderen
Völkerrechtssubjekt oder der internationalen Gemeinschaft als ganzer Verpflichtung
übernehmen.

Im Unterschied zum Vertrag wird die Erklärung nicht auf eine Gegenerklärung
abgegeben
Dazu gehören:
- die Anerkennung fremder Rechtsansprüche,
- der Verzicht auf eigene Rechtsansprüche
oder das Versprechen eines künftigen Verhaltens

Die Verbindlichkeit wird aus Treu und Glauben Grundsatz abgeleitet. Die
Rechtsverbindlichkeit ist also auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von
Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut „aufgestellt“.

Um politische Äußerungen von rechtsverbindlichen einseitigen Erklärungen


abzugrenzen, bedarf es bestimmter Voraussetzungen:
- Zuständigkeit des versprechenden Staatsorgans (wer verspricht was?)
- hinreichende inhaltliche Bestimmtheit (was wird versprochen?)
- Ernsthaftigkeit und Rechtsbindungswille (wird etwas versprochen?)

Ob letzteres vorliegt, ist danach zu bestimmen, wie die fragliche Aussage verstanden
werden konnte (= objektivierter Empfängerhorizont). Schriftform ist nicht
erforderlich, mündliche reicht aus.

Lies: Rn. 271 Nukleartest S. 117

2. Protest
Mit einem Protest sagt ein Völkerrechtssubjekt, dass es das Verhalten eines anderen
für rechtswidrig oder eine Rechtsbehauptung für unzutreffend hält.

Der Protest ist für die Rechtswahrung auf Seiten des Protestierenden da. Er
verhindert, dass dieser eines Rechts im Wege der acquiescence (dazu sogleich)
verlustig geht; er kann erreichen, dass eine im Entstehen begriffene Norm des
Gewohnheitsrechts den Protestierenden nicht erfasst, geht es um eine Änderung
zwingenden Völkerrechts können Proteste die Rechtsänderung sogar ganze
verhindern, da diese von der internationalen Gemeinschaft als ganzer getragen sein
müssen.

Dies gibt dem einzelnen Staat eine Vetoposition bei Veränderung der Grundwerte der
Völkerrechtsgemeinschaft. Wird ein Protest unterlassen, wo er zu erwarten gewesen
wäre, kann auch ein Rechtsverlust eintreten. Dieser wird so behandelt, als habe er
stillschweigend eingewilligt. (= acquiescence8). Demnach ist es möglich, dass
rechtsgeschäftliche Bindungen durch Schweigen eintreten oder erlöschen → Ein
Konsens der Beteiligten wird unwiderleglich vermutet

8
Entspricht römisch-rechtlichen Grundsatz Qui-tacet Grundsatz)
Lies Tempel von Preah Vihear (IGH 1962) S. 118 Rn 273

3. Annerkennung
Anerkennungserklärungen können je nach dem Gegenstand unterschiedliche
Wirkungen im Völkerrecht haben. Die Anerkennung hat von Staaten nur
deklaratorische Bedeutung.

In Bezug auf Kräfte innerhalb eines Staates gilt: Die Anerkennung einer
Regierung ist bloß ein politisch bedeutsamer Akt. Wird eine Gegenregierung
anerkannt, die nicht über die effektive Gewalt im Staat verfügt, so liegt ein Verstoß
gegen das Interventionsverbot vor.

Durch Anerkennung von Aufständischen als Kriegsführende kann die


bekämpfte Regierung erreichen, dass „Kriegsrecht“ Anwendung findet, was mit Blick
auf den Schutz Verwundeter und Gefangener von Vorteil sein kann. Heute an
Bedeutung verloren, denn durch Erstreckung des Humanitären Völkerrecht auch auf
den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt besteht heute kaum noch Bedürfnis
nach einer solchen „Aufwertung“ der Insurgenten.

Anerkennungen können auch in Bezug auf die Gerichtsbarkeit vorliegen. So kann


die Gerichtsbarkeit eines internationalen Gerichts von einem Staat anerkennt
werden, indem er sich diesem für den Einzelfall unterwirft.
Anerkennungen fremder Hoheitsakte kommen schließlich u. a. im Rahmen der
Rechts- und Vollstreckungshilfe in Betracht.

II. Beschlüsse IO
Beschlüsse IGOs sind abgeleitetes Recht (= „Sekundärrecht“) → Gründungsvertrag.
Angesichts dieser vertraglichen Basis ist offensichtlich, dass Beschlüsse nur ggü. den
Mitgliedstaaten verbindlich. Ob und welche Beschlüsse rechtsverbindlich sind, hängt
vom Inhalt des Gründungsvertrages ab. So sind nach der UN-Charta die Beschlüsse
des Sicherheitsrates verbindlich nach Art 25, nicht aber Resolutionen der GV.
Unverbindliche Beschlüsse gehören dem soft law an.

III. Soft law:


Hierbei handelt es sich nicht um Recht, sondern um nicht rechtsverbindliche
Resolutionen, Erklärungen und Übereinkünfte. Das soft law kann als Initiator oder
als Katalysator zur Herausbildung von (verbindlichem) Völkerrecht beitragen, und
zwar so als, dass soft law in Verträge aufgenommen werden. Solche
Verrechtlichungsprozesse sind zB die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
u. Bill 0f Rights. Resolutionen von Organen Internationaler Organisationen können
auslegungsleitende Bedeutung erlangen; zB Resolution GV mit Prinzipien
friendly Relations Declaration für Grundsätze des Art. 2 UNCh u. Aggressions-
Definition 1974 den Begriff der „Angriffshandlung“ in Art. 39 UNCh

Ins. Im Bereich der Menschenrechte führen solche Wechselbezüge zwischen soft law
und verbindlichen Normen zur Ausbildung von Menschenrechtsstandards.

IV. Rechtserkenntnisquellen
Als nichtschriftliche Rechtsquelle ist das Gewohnheitsrecht nicht leicht feststellbar.
Auch allgemeine Rechtsgrundsätze oder die Auslegung von Verträgen ist oft nicht
leicht ermittelbar, deshalb haben sie nach Art 38 (1) lit d IGH-Statut den Status einer
Rechtserkenntnisquelle („Hilfsmittel“) zur Ermittlung von Völkerrecht.

Als Rechtserkenntnisquelle können internationale und nationale Gerichte


dienen; Nationale Gerichte: soweit sie rechtsschöpferisch tätig sind → Doppelrolle
als Akteure und Interpreten

Internationale Gerichte sind mit der Einordnung unter die Hilfsmittel nur
unzureichend charakterisiert. Auch ohne Präjudizienbindung besitzen v.a. Judikative
des IGH erhebliche Orientierungswirkung für den internationalen Rechtsverkehr
Die „Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtlicher der verschiedenen Nationen“
verweist schließlich auf die wichtige Rolle, die die Völkerrechtswissenschaft im
Zusammenwirken mit den Gerichten bei der Konsolidierung und Fortentwicklung
des Völkerrechts spielt.

F. Verhältnis zwischen den Rechtsquellen:


I. Normenkollisionen und Normenhierarchien im Völkerrecht:
Zur Beantwortung von Fragen orientiert man sich zuerst an einschlägigen Verträgen
und erst danach an Gewohnheitsrecht. Allgemeine Rechtsgrundsätze kommen im
Anschluss zur Lückenschließung in Betracht. Zwischen den diversen Rechtsquellen
gibt es keine Hierarchie, jedoch ist die Abstufung wegen praktischem Interesse
vorhanden. Bei einem Vertrag ist es leicht, jedoch ist es mit der Vertragsrechtlösung
nicht getan. Eine Vertragsnorm kann nämlich durch eine nachfolgende Praxis
geändert werden.
Weil es zwischen Vertrag und Gewohnheitsrecht keine Hierarchie gibt, kann ein
Vertrag das Gewohnheitsrecht ersetzen und Gewohnheitsrecht kann Regeln ablösen;
derogierendem (abbedingendem) Gewohnheitsrecht

Eine solche Derogation ist nicht schnell anzunehmen. Eine vertragswidrige Praxis ist
zunächst ein Vertragsbruch. Nicht leicht abzugrenzen ist die derogierende
Gewohnheit von einer vertragsausfüllenden und vertragsfortbildenden Praxis (vgl.
Art. 31 Abs.3 lit. b WVK). Letztlich geht es bei der Derogation um die Beseitigung
einer ausdrücklichen vorgesehenen Regelung.

Schwierig kann die Abgrenzung zu dem Fall sein, dass ein Vertrag mangels
Anwendung erlischt, ohne durch eine neue Norm des Gewohnheitsrechts abgelöst
worden zu sein (= desuetudo). Dies wird man auch annehmen, wenn ein Vertrag
längere Zeit keine Anwendung mehr gefunden hat u. gegen Treu und Glauben
verstößt. Beruft sich eine Partei auf einen seit langem „eingeschlafenen“ Vertrag,
kann das Recht bzw. dessen Ausübung je nach den Umständen des Falles u. U. auch
als verwirkt angesehen werden → Arg: Treu und Glaube u. Vertrauensschutz

Unterschied desuetudo: setzt einzelne Partei an, der besonderen Nutzen zieht
Einen echten Vorrang iSe Normenhierarchie, gibt es nur für das zwingende
Völkerrecht (ius cogens). Gegen dieses darf kein Vertrag verstoßen und dagegen kann
sich kein Gewohnheitsrecht entwickeln, das nicht neues zwingendes Recht ist sowie
für die Pflichte der UN-Charta Art. 103.

Völkerrechtliche Rechten und Pflichten sind gleichrangig, wobei die speziellere Regel
der allgemeineren vorgeht und die spätere der früheren. Geht ein Staat
widersprechende Vertragsbindungen mit unterschiedlichen Staaten ein,
so sind beide Verpflichtungen gleichrangig (z.B. kein Vorrang kraft zeitlicher
Priorität). Eine Auslegung nach Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK scheidet aus, da dieser nur
greift, wenn zwei Rechtssätze aufeinandertreffen, die alle Parteien des auszulegenden
Vertrages treffen. Hier gibt weder das Vertragsrecht (vgl. Art. 61 II WVK) noch das
Recht der Staatenverantwortlichkeit eine Lösung. Vertragsbruch durch Notstand vgl.
Art 25 ASR? → der geltende machende Staat darf Situation nicht beigetragen haben.
Es ist ihm aber möglich, sich durch Verhandlungen einvernehmlich von einem der
Verträge zu lösen oder im Einvernehmen mit allen Vertragspartner Modifikationen
beider Verträge zu erreichen.

Lies: S. 123

II. Insbesondere: Zwingendes Völkerrecht


Als zwingendes Völkerrecht (ius cogens) gelten diejenigen Regeln, die, dem
Willen der Staaten weitgehend entzogen, in materieller Hinsicht die
unverbrüchlichen Verfassungsprinzipien der internationalen Gemeinschaft
darstellen.

Diese können ihren Sinn nur erfüllen, wenn und soweit sie allen Staaten von
vertraglicher Bindung unabhängig obliegen. Beide Bestandteile des universellen
Gewohnheitsrechts sind aber nicht deckungsgleich, denn nur weniger Normen des
universellen Gw. Haben zwingenden Charakter

Inhalte des ius cogens: Gewaltverbot, das Verbot des Völkermords, Sklaverei verbot
und Verbot der Apartheid sowie Kerngewährleistungen der Menschenrechte.
Zum ius cogens wird man „elementare Erwägung der Menschlichkeit“
rechnen können. Der IGH hat diese Formel 1949 in Korfu-Kanal-Urteil verwendet
und 1986 im Nicaragua mit Blick auf den humanitären Mindeststandard des
gemeinsamen Art. 3 der Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 wieder aufgriffen.
Auch hier geht es um eine letzte Grenze staatlichen Verhalten, an der alle
Rechtfertigungsversuche scheitern müssen

Fall: Korfu-Kanal-Fall (IGH 1949) Rn- 289 S. 124

Den wichtigsten Referenzpunkt für das ius cogens bildet Art. 53 WVK. Dieser regelt
nur bestimmte Wirkungen des zwingenden Rechts, bestätigt aber die Existenz dieser
Klasse von Rechtsnormen und definiert die zwingende Norm:
- Norm mit internationaler Anerkennung, von der nicht abgewichen werden
darf und nur durch Normen des allg. Völkerrechts derselben Rechtsnatur
geändert werden kann

Durch den besonderen Charakter können Änderungen nur im Einvernehmen aller


Mitgliedstaaten der IG → vereinzelnde Widerstände müssen nicht berücksichtigt
werden. Ein neues Fundamentprinzip muss an die Stelle des alten treten.
Veränderung sehr unwahrscheinlich → etwas anderes dürfte allein für die
Erweiterung anerkannter Ausnahmen vom Gewaltverbot gelten.

Verstößt ein Vertrag gegen eine Norm des zwingenden Völkerrechts, ist er nichtig.
Verträge, die gegen eine inzwischen entstandene Ius-cogens-Norm verstoßen, werden
nichtig (vgl. Art. 53, 64 WVK). Ius cogens etabliert eine Normenhierarchie im
Völkerrecht (im Sinne eines Geltungsvorrangs bestimmter, höherrangiger Normen.

Normen des zwingenden Völkerrechts gelten erga omnes, d. h. ihre Einhaltung ist
allen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft gegenüber geschuldet
(Erfüllungsstruktur von Normen)
Meisten völkerrechtlichen Pflichten gelten nur inter partes, d.h. zwischen den
Parteien eines Vertrages oder den Beteiligten eines völkerrechtlichen Delikts; =/Erga
omnes partes = Pflichten ggü allen Vertragsparteien

Lies: Barcelona Traction (IGH 970) Rn. 292 S. 126

(P) Wer ist die internationale Gemeinschaft?


- Schwer greifbarer Adressat, man kommt nicht umhin, nach einem Treuhändler zu
suchen
- VN unumstrittener Kandidat

(P) einzelne Staaten, regionale Bündnisse aus eigenem Antrieb als


Treuhändler der IG begreifen und zwingendes VölkerR durchsetzen

In ihrem Artikel zu Staatenverantwortlichkeit (2001) ist die ILC bei der Frage von
Reaktionen auf Ius-Cogens-Verstöße vage geblieben (vgl. Art. 41)

1. Die Staaten arbeiten zusammen, um jeder schwerwiegenden Verletzung im Sinne


des Art. 40 mit rechtmäßigen Mitteln ein Ende zu setzen
2. Kein Staat erkennt einen Zustand, der durch eine schwerwiegende Verletzung im
Sinne des Artikels 40 herbeigeführt wurde, als rechtmäßig an oder leistet Beihilfe
oder Unterstützung zur Aufrechterhaltung dieses Zustands

3. Dieser Artikel berührt nicht die anderen in diesem Teil genannten Folgen und alle
weiteren Folgen, die eine Verletzung auf dieses Kapitel Anwendung findet, nach
dem Völkerrecht nach sich ziehen kann

„rechtmäßigen Mitteln“ zur Beendigung des Verstoßes muss nach Art der Reaktion
differenziert werden:
- Klagen vor dem IGH, sollten von dem klagenden Staat in Prozessstandschaft
auch auf Verletzungen erga omnes gestützt werden
- Gewaltfreie Maßnahmen nach Kapitel VIII UNChR
- Gewaltsame Interventionen nach Autorisierung des UN-Sicherheitsrats

III. Lücken im Völkerrecht


1. Analogie
Existiert eine planwidrige Regelungslücke im innerstaatlichen Recht, so ist der
Richter ermächtigt eine für einen vergleichbaren Fall bestehende Regelung
sinngemäß auf diesen Fall zu übertragen. Analogien im Völkerrecht sind
problematisch. Das liegt daran, dass aufgrund des Westfälischen Systems Pflichten
nur insoweit erfüllt werden müssen, wie sie sich selbst dazu verpflichtet haben (sog.
Lotus Regel Rn. 40). Liegt eine Verpflichtung nicht vor, ist der Staat bindungsfrei,
daher schwierig Vorliegen einer Regelungslücke zu begründen

Desweiteren muss die Lücke planwidrig sein. Hierhinter steht die Idee einer auf
einheitlichen, verklammernden Wertungen beruhenden Rechtsordnung (z.B.
Menschenrechte, Gewaltverbot).

Mit dem schrittweise Wandel des Westfälischen Systems kommen aber auch im
Völkerrecht Analogieschüsse verstärkt in Betracht; Beispiel: Die weitgehende
Annährung des Rechts des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts an das Recht
des internationalen bewaffneten Konflikts im Tadic-Urteil des ICTY beruht auch auf
Analogieschlüssen, die sich aus dem übergreifenden humanitären Anliegen
rechtfertigen.

2. Billigkeit
Wo eine Völkerrechtsregel nicht existiert, können Staaten internationale Gerichte
ermächtigen, nach Billigkeit zu entscheiden (vgl. Art. 38 II IGH-Statut).
Kaum Praxisrelevant.

(P) Gerichte diese Befugnis auch ohne ausdrückliche Ermächtigung


haben
Der IGH sieht eine Verpflichtung der Streitparteien, unter Beachtung der Billigkeit
im Verhandlungswege eine Lösung zu finden. (= korrektive Billigkeit/lückenfüllend).

Von der korrektiven Billigkeit ist die Billigkeit intra legem (= innerhalb des Gesetzes)
zu unterscheiden. Diese verpflichtet im Rahmen der Erfüllung völkerrechtlicher
Pflichten diejenige Lösung zu wählen, die den Besonderheiten am besten gerecht
wird.

3. Non liquet:
Non liquet bedeutet, dass es unklar ist. Davon wird gesprochen, wenn das Gericht
den Fall nicht entscheiden kann, weil es an einer Regel fehlt oder das Gericht den
Inhalt nicht ermitteln kann. Taucht eine Lücke auf, hängt der Eintritt eines non liquet
davon ab, ob man den Richter für ermächtigt hält, diese im Wege der Analogie oder
der Billigkeit zu schließen. Je mehr man in der Völkerrechtsordnung eine verfasste
Werteordnung erblickt, desto eher wird man dem Gericht dies zubilligen.

Anders aus traditioneller Sicht: Hier kann ein non liquet mit Hilfe der Lotus-Regel
ausgeschlossen werden, die immer dann, wenn eine Rechtsbindung nicht existiert
oder nicht ermittelbar ist, auf die ungebundene staatliche Souveränität zurückgreift.

Beispiel: Nuklearwaffen-Gutachten 1996; Lies Rn. 297

III. Zwischen Induktion und Deduktion:


Umgang mit den Rechtsquellen im Prozess der Rechtsfindung: In einer
idealtypischen Gegenüberstellung verfährt das Common law induktiv,
d.h. man schließt vom Einzelfall auf die allgemeine Regel. Der Richter schaut
frühere Fälle durch, um den aktuellen Fall nach diesem Muster zu lösen.

Demgegenüber baut die kontinentaleuropäische Tradition auf ein deduktives


Vorgehen: Von den allgemeinen Regeln ausgehend wird über verschiedene
Stufen der Auslegung und Konkretisierung die Lösung des Einzelfalls
vorbereitet.

Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile.

induktive Ansatz deduktive Ansatz


- Der induktive Ansatz ist im - Oft erscheint der Rückzug auf Lotus-
traditionellen Völkerrecht verwurzelt Regel unbefriedigend
und kann auf größere Akzeptanz bei den
Staaten rechnen, die ihre Souveränität - Der deduktive Ansatz fördert die
nicht eingeschränkt sehen wollen dynamische Fortentwicklung
des Völkerrechts, läuft aber Gefahr, im
Nachteil: ist eine Neigung zum Beharren konstitutionellen Überschwang
und eine geringere Rechtsschöpfung zu betreiben
Problemlösungsfähigkeit des
Völkerrechts - Bei Verträgen steht ein deduktiver
Rechtsfindungsmodus im Vordergrund:
- Das Gewohnheitsrecht wird induktiv, * hier liegen allgemeine Vertragsnormen
durch Suche nach Staatenpraxis, gelöst. vor, die es – continental style – auf den
* man will das Gewohnheitsrecht nicht Einzelfall anzuwenden gilt
zu einem reinen deklarativen Recht
denaturieren + Einbeziehung von
allgemeinen Rechtsgrundsetzen

Bsp. Streit um den belgischen


Haftbefehl Rn. 301

Die angemessene Methode des Umgangs mit den Völkerrechtsquellen baut daher auf
eine Mischung aus beiden Ansätzen

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