A. Einführung:
I. Grundrechte und –pflichten der Staaten zwischen Naturrecht und
positivem Recht:
Die ursprüngliche naturrechtlich fundierte Idee, dass Staaten durch ihre bloße
Existenz „von Natur aus“ bestimmte grundlegende Rechte und Pflichten gegenüber
anderen Staaten besitzen, ist im modernen Völkerrecht einer stärker
rechtspositivistischen Auffassung gewichen. Nach Art 51 UNCh wird das
naturgegebene Recht der Staaten zur Selbstverteidigung anerkannt. Die
„Grundrechte“ und „Grundpflichten“ der Staaten umfassen den Kanon von
Rechtsgrundsätzen, der für ein friedliches Zusammenleben der Staaten unerlässlich
ist, also die Verfassungsprinzipien der Staatengemeinschaft. Wichtig sind das
Gewaltverbot und die souveräne Gleichheit der Staaten. Damit verbunden
sind Gebiets- und Personalhoheit und das Interventionsverbot. Ebenso gehört
der internationale Menschenrechtsschutz dazu. Ein im Entstehen begriffenes
völkerrechtliches Prinzip stellt die internationale Solidarität dar, die sich neben dem
Recht der Entwicklungszusammenarbeit in jüngster Zeit v. a. im
Katastrophenschutzrecht auch in konkreten Rechtsnormen niederschlägt
Dazu gehören:
- Gewaltverbot
- Gebot der friedlichen Streitbeilegung
- Interventionsverbot
- Gebot der Kooperation
- Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker
- souveräne Gleichheit der Staaten
- Pflicht aller Staaten, ihre Pflichten aus der UN-Charta zu erfüllen
Die Pflicht aller Staaten, ihre Pflichten zu erfüllen, trifft nur UN-Mitglieder
und ist ein Spezialfall des pacta sunt servanda („Verträge sind einzuhalten“). Die UN
trägt nach Art 2 Nr.6 UNCh die Verantwortung gegenüber Nichtmitgliedern, dass
nach den Grundsätzen gehandelt wird und der Weltfriede geachtet wird.
1. responsibility to prevent
2. responsibility to react
3. responsibility to rebuild)
Zwischen den Untergrundsätzen und den anderen Prinzipien der Friendly Relations
Declaration gibt es Bezüge:
- Rechtsgleichheit: Die Gleichheit ist rechtliche Norm. Sie bezieht sich auf
die Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung, ungeachtet faktischer
Ungleichheiten. Rechtliche Ungleichheiten können nur auf konsensualer
Basis begründet werden (vgl. Vetorecht im UN-SR). Aus diesem Prinzip folgt der
Grundsatz der Staatenimmunität.
- volle Souveränität: Der Grundsatz umfasst das Recht jedes Staates, die
inneren und äußeren Angelegenheiten selbst zu bestimmen, ohne von
fremder Zustimmung abhängig zu sein. Die Souveränität schließt das Recht zur
Selbstbindung durch das Völkerrecht ein, kein Verzicht der Souveränität.
Diese Immunität von Staaten ist gerade unter den Bedingungen der
Globalisierung von Bedeutung, da ein Staat, der fürchten müsste, ungefragt von
Gerichten anderer Staaten verurteilt zu werden, sich mit grenzüberschreitender
Kooperation und Investitionen zurückhalten würde. Aus dem Grundsatz der
Staatenimmunität (2.) folgt in einem weiteren Schritt die Immunität der Organe, die
für den Staat handeln (3).
Die UN-Konvention über gerichtliche Immunität der Staaten und des Eigentums
von 2004 ist noch nicht in Kraft getreten.
Die Immunität des Staates setzt sich im Vollstreckungsverfahren fort. Wenn das
Gericht einem Kläger einen vollstreckbaren Rechtstitel gegen einen fremden
Staat gegeben hat, darf die Zwangsvollstreckung nicht in solches Vermögen des
Staates erfolgen, das hoheitlichen Zwecken dient (vgl. Art. 19 UN-Konvention)
4.
Beispiele:
- Pinochet 1999 (chilenischen Diktator), Folter während seiner Amtszeit
- Yerodia Fall 2000: Der IGH hielt den belgischen Haftbefehl gegen einen
kongolesischen Minister auch angesichts des Völkermordvorwurfs für unvereinbar
mit dem Grundsatz der Immunität hochrangiger Regierungsvertreter gegenüber
Gerichten anderer Staaten. Dagegen bejahte er die Befugnis internationaler
Strafgerichte zur Strafverfolgung
Die Klage Belgiens gegen Senegal auf Überstellung des ehemaligen Präsidenten des
Tschad, Habre wegen Beteiligung an Völkermordtaten hat der IGH aus Gründen
seiner Jurisdiktion allein auf Grundlage der UN-Antifolterkonvention
stattgegeben, die eine Pflicht zur Auslieferung kennt, wenn der Staat des
Aufenthalts nicht selbst Strafverfolgungsmaßnahmen einleitet (aut dedere aut
judicare rn. 1314)
Die Ausnahmen von der Immunität für amtliche Handlungen können sich
systematisieren lassen:
b) Staatenimmunität:
Diskutiert wird, ob in Fällen schwerwiegender
Menschenrechtsverletzungen
auch der Grundsatz der Immunität des Staates vor den Gerichten eines
anderen
Staates durchbrochen wird. Als Argumente werden die zentrale Bedeutung der
Menschenrechte im heutigen Völkerrecht, die Idee des völkerrechtlichen ius cogens
und eine Analogie zur Durchbrechung der strafrechtlichen Immunität von
Staatsorganen angeführt. Formal betrachtet betrifft die Immunität das gerichtliche
Verfahren, dh die Frage, ob sich ein Gericht mit der Sache befassen darf.
EGMR:
- zwar Wandel der gewohnheitsrechtlichen Immunitätsgrundsätze möglich, aber es
fehlt an der Staatenpraxis, die darauf schließen lässt
- Immunität ist eine verfahrensrechtliche Regelung, die man von materiell-
rechtlichen Fragen des Verstoßes gegen ius cogens unterscheiden müsse
Aus der Gebietsausschließlichkeit folgt, dass ein Staat, der Hoheitsakte auf einem
fremden Staatsgebiet vornimmt, die Gebietshoheit verletzt und sich in die
inneren Angelegenheiten eines Staates einmischt. Ein Gericht darf keine Zeugen
im Ausland vernehmen oder ein Polizist darf niemanden jenseits der
Staatsgrenzen festnehmen. Solche Befugnisse können vertraglich festgelegt werden.
Unzulässig sind insbesondere auch heimliche Aktion, etwa Sabotageakte oder
Entführungen von fremdem Hoheitsgebiet.
Keinen Verstoß gegen die Gebietshoheit stellt die Vornahme von Hoheitsakten
dar, die keine Auswirkung auf die fremde Rechtsordnung haben, sofern sich das
handelnde Staatsorgan in zulässiger Weise im Ausland aufhält. Die Gebietshoheit
ist nicht verletzt, wenn zB der Bundespräsident auf Staatsbesuch im Ausland
Beamtenerkennungsurkunden unterzeichnet.
Lesen: Fall beförderter Kommandeur Rn 339 S. 149
Diese Pflicht spielt nicht nur im Zusammenhang mit privaten Gewaltakten eine
wichtige Rolle, sondern auch Umweltvölkerrecht (Nachbarschaftsrecht).
II. Personalhoheit:
Die Personalhoheit ist ein Recht, Regelungen in Bezug auf seine eigenen
Staatsangehörigen zu treffen. Bei Auslandsaufenthalten kollidiert das Recht des
Heimatstaates mit der Gebietshoheit des Aufenthaltsstaates.
Hier erhält die Gebietshoheit Vorrang und der Aufenthaltsstaat schuldet dem
Heimatstaat des Fremden die Achtung der Personalhoheit. Der Aufenthaltsstaat
muss die Fremden mit dem Fremdenrecht behandeln. Grundregeln: Respekt Leib
vor Leib und Leben des Fremden, seine Anerkennung als Rechtspersönlichkeit, der
Zugang zu Gerichten und der Schutz vor willkürlicher und entschädigungsloser
Enteignung.
Ob ein staatliches Gesetz sich auf ausländische Sachverhalte beziehen darf, wird
danach bestimmt, ob ein völkerrechtlich anerkannter Anknüpfungspunkt
vorliegt.
Je nach Rechtsgebiet differieren die Anknüpfungspunkte:
Jeder Staat hat das Recht sein politisches, soziales, wirtschaftliches und
kulturelles System frei zu wählen (= Teil des Interventionsverbotes). Geschützt
wird die Entscheidungsfreiheit des Staates. Das Interventionsverbot findet die
Rechtsgrundlage im Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten: Aus der
Souveränität folgt das Recht die innere und äußere Politik selbst zu bestimmen, aus
der Gleichheit das Verbot andere Staaten zu bevormunden. Die Geltung des
Interventionsverbotes wird allgemein anerkannt.
Private verstoßen auch dann nicht gegen das Interventionsverbot, wenn sie in der
Lage sind, auf ausländische Staaten erheblichen Druck auszuüben.
Mit jedem Vertrag, den ein Staat unterschreibt, unterwirft er sich und öffnet
seine Rechtsordnung für Einflüsse des Völkerrechts. (oben als
Vervölkerrechtlichung)
Der Bereich der Innen- und Außenpolitik, der vom Völkerrecht unabhängig ist, wird
hierdurch reduziert. Solange es die völkerrechtliche Verpflichtung gibt, können
andere Staaten die Einhaltung dieser Pflichten einfordern und auf friedlichem Wege
erzwingen, ohne dass es das Interventionsverbot verletzt.
Eine Reduktion erfährt der domaine réservé durch die Praxis des Sicherheitsrates
zu Kapitel VII der Satzung. Der Friede war früher von Art 39 UNCh ausschließlich
negativ verstanden, so ist der Sicherheitsrat schrittweise zu einem positiven
Friedensbegriff übergegangen.
III. Verstöße gegen das Interventionsverbot:
1. Zwischen Gewaltverbot und zulässiger politischer Kritik:
Früher wurde das Interventionsverbot als Verbot gewaltsamer Intervention in
einem Völkerrecht verstanden. Mit Herausarbeitung des Verbots des
Angriffskrieges hat sich der Anwendungsbereich verschoben. Gewaltsame
Interventionen verstoßen noch immer gegen das Interventionsverbot, dies ist
jedoch nur bei Einmischungen unterhalb der Gewaltschwelle von
Bedeutung.
Verboten ist nicht bereits eine politische Stellungnahme zu den
Verhältnissen in
anderen Staaten. Hinzu treten muss ein Zwangselement.
Die UN-Generalversammlung hat 1981 eine Erklärung über die Unzulässigkeit
der Intervention und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von
Staaten angenommen.
2. Fallgruppen:
Es haben sich mehrere Fallgruppen herausgebildet. Es wird deutlich, dass Zwang
ein normativer Begriff ist. Aus diesem Grunde werden teilweise diejenigen Fälle, in
denen es an unmittelbaren Zwang fehlt, einem vom Interventionsverbot
unterschiedenen Verbot der Nichteinmischung unterstellt oder als Verletzung
der Souveränität selbst qualifiziert.
a) Destabilisierung im Innern:
Kein Staat darf gegenüber einem anderen aktiv eine Politik des Regimewechsels
verfolgen oder die Destabilisierung des anderen Staates betreiben. Wird ein
Regimewechsel militärisch erzwungen, liegt ein Verstoß gegen das Gewaltverbot
vor. Auch Anschläge und Sabotageakte stellen eine verbotene Intervention dar.
Lesen: Rn. 363 S. 158
Hintergrund: Ost-West-Konflikt
Akt: Radio Propaganda → unzulässige Einmischung
- Bei einer Aufstachelung oder Hetzpropoganda dagegen kann der suggestive Einfluss
der von Medien auch in einer das Interventionsverbot verletzende Weise genutzt
werden
- Annahme eines Interventionsverbotes bei politscher Manipulation durch Fake news
o. technische Eingriffe in Wahlvorgänge
Mehrzahl der Staaten: hält am Grundsatz male xaptus bene detentus („rechtswidrig
gefangen, rechtmäßig in Haft“)
Einige Gerichte: (-) Zulässigkeit des Strafverfahrens Arg: Recht des fairen
Verfahrens, Staat muss mit sauberen Händen vor Gericht erscheinen (clean hands
rule)
d) Ökonomischer Zwang:
(P) Anwendung ökonomischer Druckmittel
Bei Wirtschaftsblockaden und Embargos dürfte ein an sich unzulässiger
wirtschaftlicher Zwang bejaht werden können, nicht bei bloßer Unterbrechung
der Wirtschaftsbeziehungen oder bei Einstellung von Entwicklungshilfe.
Auch wenn vertragliche Regelungen existieren, die durch solche Maßnahmen verletzt
würden, gehören diese nicht zum domaine réservé. Es gibt keinen Anspruch auf
Aufrechterhaltung dieser Beziehungen und Hilfeleistungen. Das
Interventionsverbot setzt nicht nur die Ausübung von Zwang voraus, sondern
auch das Ziel die politische Willensbildung zu beeinflussen.
Lesen: Fall: Gaspreisexplosion Rn. 375 S. 162