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§5 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit:

A. Grundlagen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit:


I. Prinzipien der Staatenverantwortlichkeit:

Ein Staat ist für Verletzungen der Völkerrechtspflichten verantwortlich, dh er


muss für sie einstehen (= Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit). Da neben
Staaten auch IO für Verletzungen ihrer Pflichten
einstehen müssen, wird von dem Grundsatz der völkerrechtlichen
Verantwortlichkeit gesprochen.

Lesen: S. 164 Rn. 376

Beim Begriff „Haftung“ ist es besser zu trennen: Haftung (= liability) setzt


Verantwortlichkeit (= responsibility) voraus. Verantwortlichkeit ist das
Einstehenmüssen für rechtswidriges Verhalten. Eine Haftung kann auch an
rechtmäßiges Verhalten knüpfen.

Vom Staatenunrecht (oder Organisationsunrecht) ist die individuelle


Verantwortlichkeit der handelnden Organe zu unterscheiden. Bei schweren
Verstößen gegen das Völkerrecht tritt neben die Staatenverantwortlichkeit noch
die strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Personen nach dem
Völkerstrafrecht. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten ist dem
Völkerrecht unbekannt.

Durch den Verstoß entstehen zwischen dem Rechtsbrecher und dem Verletzten
eine neue Rechtsbeziehung: Die Pflicht, sich an die Regeln zu halten, existiert
weiter und entfällt nicht durch die Verletzung (= Primärpflicht). Aus diesem
Grunde ist auch die Pflicht zur Beendigung eines noch andauernden Rechtsverstoßes
unmittelbar Ausdruck und Inhalt der Primärpflicht. Es tritt aber eine
Sekundärpflicht ein zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustandes.

Orientierung über die Regeln vermitteln die Artikel der ILC zur
Staatenverantwortlichkeit (Articles on State Responsibility, ASC). 2001 wurden
sie der UN-Generalversammlung vorgelegt und diese hat sie zur Kenntnis
genommen und der Aufmerksamkeit der Regierung empfohlen. Dennoch stellen die
ASR, die für sich genommen nicht rechtsverbindlich sind, in weiten Teilen eine
Kodifizierung des geltenden Gewohnheitsrechts dar.
II. Verantwortlichkeit IO
Die ASR betreffen nur die Staatenverantwortlichkeit. Zur Verantwortlichkeit IO
gibt es seit 2002 einen Artikelkatalog (Draft Articles on the Responsibility of
International Organisations, DARIO). Die meisten Regeln der
Staatenverantwortlichkeit sind übertragbar.

Die völkerrechtliche Deliktsfähigkeit knüpft an die Rechtsfähigkeit, so schlägt die


partielle und relative Völkerrechtspersönlichkeit auf die Ebene der
Verantwortlichkeit für mögliche Völkerrechtsverstöße durch: Rechtsfähigkeit hat eine
IGO nur soweit, wie sie durch den Gründungsvertrag bzw im Rahmen der implied
powers ermächtigst ist.
Eine IGO existiert als Völkerrechtssubjekt nur für den Staat, der sie anerkennt, hat.

(P) Ist fragliches Verhalten der IO zuzurechnen?


Die meisten Organe sind Staatsvertreter, die an Weisungen der Heimatstaaten
gebunden sind.

B. Das völkerrechtliche Delikt: Überblick:


Verletzt ein Völkerrechtssubjekt seine völkerrechtlichen Pflichten, begeht es ein
völkerrechtliches Delikt. Um festzustellen, ob ein solches vorliegt, müssen
folgende Voraussetzungen geprüft werden.

I. Deliktsfähigkeit:
Deliktsfähig sind nur Völkerrechtssubjekte, da diese Träger Rechte und Pflichten
sind. Die Deliktsfähigkeit von Staaten ist unproblematisch, so muss sie für
Internationale Organisationen oder De-Facto-Regime besonders festgestellt
werden.

Es ist zwischen der aktiven Deliktsfähigkeit (des Rechtsbrechers) und der


passiven (des in seinen Rechten Verletzten) zu unterscheiden. Die aktive setzt
zur Rechtsfähigkeit die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit voraus. Ein failed
state kann die völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht einhalten und er kann sie
nicht verletzen. Für die passive reicht die Rechtsfähigkeit aus. In den Rechten
kann auch ein Staat verletzt sein, der selbst nicht mehr handlungsfähig ist. Während
früher Individuen ihrer Mediatisierung wegen nicht Beteiligte eines völkerrechtlichen
Delikts sein konnten, wird heute zunehmend angenommen, dass bestimmte
Konstellationen auch Einzelmenschen aktiv (z.B. Terroristen) bzw. passiv (z.B. im
Rahmen von Menschenrechten) deliktsfähig sein können. Der Menschenrechtsschutz
kennt eigene, speziellere Regeln nach denen eine
Rechtsverletzung festgestellt wird.
II. Zurechenbarer Normverstoß:
Im Zentrum des völkerrechtlichen Delikts steht der Verstoß gegen eine
völkerrechtliche Norm, die dem Rechtsbrecher Pflichten gegenüber dem
Verletzten auferlegt. Der Verstoß muss dem Verletzerstaat zurechenbar sein.
1. Zurechenbares Verhalten:
Menschliches Verhalten führt nur dann zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit
des Deliktssubjekts, wenn es diesen zurechenbar ist. Ein Staat hat für das
Verhalten der Organe einzustehen. Das Handeln von Privatpersonen ist nicht
zurechenbar. Der Staat muss hierfür Vorkehrungen treffen, um zu verhindern,
dass es von Privaten Übergriffe auf ausländische Staaten kommt.
2. Normverstoß:
Das Verhalten muss gegen eine Pflicht verstoßen, die dem Deliktssubjekt
gegenüber dem Deliktsobjekt obliegt. Eine Besonderheit besteht bei
völkerrechtlichen Pflichten erga omnes: Die Beachtung hat jeder zu befolgen,
denn ein Verstoß gegen eine Erga-omes-Verpflichtung verletzt jeden Staat.

Die verletzte Pflicht kann sich aus jeder anerkannten Rechtsquelle ergeben. Der
Verstoß kann in einem Handeln oder Unterlassen liegen. Ein Unterlassen setzt
die Existenz der Handlungspflicht voraus.

Der Normverstoß kann auch in der Beteiligung (vgl. Art. 16 ASR) am


Völkerrechtsbruch eines anderen Staates liegen. Für eine rechtswidrige Beihilfe ist
erforderlich, dass der
Beitrag des Unterstützerstaates für sich schon rechtswidrig ist (z.B. Verstoß gegen ein
Embargo bei Waffenlieferung an einen Staat, der Kriegsverbrechen).

Beilhilfe
1. Kenntnis vom Rechtsverstoß des Unterstützten
2. Unterstützung leistet „signifikanten“ Beitrag zum Völkerrechtstoß des
Unterstützten und wird zu diesem Zweck geleistet
3. Bindung des Unterstützers an die vom Unterstützen verletzte Norm

Beispiel: Ein klassischer Fall, dass ein Staat einem anderen sein Territorium zur
Durführung eines völkerrechtswidrigen Angriffs auf einen dritten Staat zur
Verfügung stellt; Lieferung von Waffen, wenn diese zur Verletzung von
Menschenrechten etc. eingesetzt werden

Leitet ein Staat den Völkerrechtsbruch eines anderen Staates an, so ist er nach Art
17 ASR verantwortlich, wenn er dies in Kenntnis der Umstände der
völkerrechtswidrigen Handlung tut und wenn die Handlung völkerrechtswidrig wäre,
wenn er sie selbst beginge. Nötigt ein Staat einen anderen zu einem Bruch, ist er
nach Art 18 ASR selbst
verantwortlich, wenn die Handlung bei Abwesenheit von Nötigung eine
völkerrechtswidrige Handlung des gezwungenen Staates wäre und wenn der
nötigende Staat dies in Kenntnis der Umstände der Handlung tut. Vergleichbare
Regeln finden sich in den Art. 14 ff. ARIO hinsichtlich einer Beteiligung IO an
Völkerrechtsbrüchen von Staaten. Nach Art 17 ARIO ist eine Internationale
Organisation auch für Rechtsbrüche verantwortlich, zu denen sie ihre Mitglieder
verpflichtet ist bzw. ermächtigt oder die sie ihnen empfiehlt (=Umgehungsgedanke).
(P) Diskutiert wird, ob eine Haftung im Völkerrecht ausnahmsweise auch
ohne einen Normverstoß begründet werden kann
- Schäden aus einem rechtmäßigen, aber gefährlichen Verhalten
(=Gefährdungshaftung).
- umstr. Auch besonders gefährliche Aktivitäten z.B. Atomenergie

III. Ausschluss der Rechtswidrigkeit:


Die Gegenmaßnahme ist von besonderer Bedeutung. Andere Gründe zum
Ausschluss der Rechtswidrigkeit sind Einwilligung des Verletzten,
Selbstverteidigung, Notstand.
IV. Sonstige Voraussetzungen?:
(P) Ob ein Deliktssubjekt nur für schuldhaftes Verhalten verantwortlich
war, war
lange umstritten.

- Heute wird eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung angenommen,


wobei bei Unterlassungsdelikten die im Einzelfall geschuldete Sorgfalt geprüft
werden muss

- Sonderfälle unverschuldeter Rechtsverstöße behandeln die ASR als Fälle des


Ausschlusses der Rechtswidrigkeit. (Art. 23, 24)

Dass ein Schaden notwendige Voraussetzung für ein Delikt ist, wird verneint.
- Der Schaden lässt sich oft kurz im Zusammenhang mit der Rechtsfolge ansprechen,
denn Art und Umfang der zu leistenden Wiedergutmachung hängen vor dem
zugefügten Schaden ab.
- Soweit ein Schaden eingetreten ist, muss zwischen dem Rechtsverstoß und dem
Schaden sowohl dem Grunde („haftungsbegründend“) als auch dem Umfang
(„haftungsausfüllend“) nach einem kausalen Zusammenhang bestehen.

V. Rechtsfolge: Wiedergutmachung:
Das Deliktssubjekt schuldet die Wiederherstellung des vorigen Zustands,
gegebenenfalls Schadensersatz. Art und Umfang der Wiedergutmachung werden
zwischen den Beteiligten vereinbart. Ein immaterieller Schaden kann durch
Genugtuung (= förmliche Entschuldigung) beglichen werden. Bei Verstößen gegen
zwingendes Völkerrecht (ius cogens) sind alle Staaten in der Pflicht, den durch den
Rechtsverstoß entstandenen Zustand nicht anzuerkennen und zusammenzuarbeiten,
um ihm „mit rechtmäßigen Mitteln ein Ende zu setzen“.
C. Das völkerrechtliche Delikt: Einzelfragen:
I. Zurechnung:
Der Staat hat für das Verhalten der Organe einzustehen, für das Handeln von
Privatpersonen nur, soweit zwischen dem Staat und dem Privathandeln eine
Sonderverbindung besteht. Zurechnungsgründe finden sich in den Art 4-11 ASR, Art
6-0 ARIO.
1. Verantwortlichkeit für Organhandeln:
a) Organe und De-facto-Organe:

Staaten sind juristische Personen, dh sie benötigen Organe, um zu handeln. Es gehört


zum Wesen des Organhandelns, dass dieses der juristischen Person, für die das
Organ handelt, zugerechnet wird. Dass Staaten für das Verhalten der Organe
verantwortlich sind, ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.

Der Staat wird als Einheit betrachtet, dh weder Gewaltenteilung noch


bundesstaatliche Strukturen werden berücksichtigt. Der Gesamtstaat hat für das
Handeln der Gliedstaaten einzustehen, und zwar bei allen Formen staatlicher
Tätigkeit (Legislative, Exekutive, Judikative) vgl. Art. 4 Abs. 1 ASR

Lesen: LaGrand-Fall (IGH 2001): Rn. 400 S. 172

Wer ist Organ des Staates? Hier verweist das Völkerrecht auf das
innerstaatliche
Recht (vgl. Art. 4 Abs. 2 ASR). Das bedeutet nicht, dass das Verhalten von Personen,
denen das innerstaatliche Recht keine förmliche Organeigenschaft zubilligt, dem
Staat nicht zurechenbar wäre.

Daher ist ebenso die Regel in Art. 5 ASR gewohnheitsrechtlich etabliert, dass die
Zurechnung auch das Verhalten von Personen erfasst, die zwar nicht den förmlichen
Status eines Staatsorgans innehaben, die aber kraft staatlicher Ermächtigung
hoheitlichen Aufgabe erfüllen (De-facto-Organe). Art 5 ASR lässt aber
eine Zweideutigkeit, indem er formuliert, die fragliche Person muss „empowered
by the law of that State to exercise elements of the governmental authority“ sein.
(Gesetz oder Recht?). Im Montreux Dokument 2008 haben die teilnehmenden
Staaten in Hinblick auf den Einsatz privater Militär- und Sicherheitsunternehmen
eine gesetzliche Ermächtigung nach geltendem VR zusammengetragen und eine
gesetzliche Ermächtigung als Basis der Zurechnung verlangt. Damit halten sich die
beteiligten Staaten in kaum überzeugender Weise den Weg zu einem contracting-out
offen. Will man vermeiden, dass die Staaten in der Hand haben, sich durch Wahl
einer bestimmten Rechtsform der Verantwortlichkeit zu entledigen, kann es nicht
darauf ankommen, ob dieser Ermächtigung per Gesetz oder mittels Vertrags erfolgt.
Der zunehmende Einsatz privater Militär- und Sicherheitsunternehmen durch die
UNO wirft vergleichbare Fragen hinsichtlich der Verantwortlichkeit IO auf.
Schwer in die Systematik der ASR einzupassen ist die Auffassung des IGH, wonach
eine „vollständige Abhängigkeit“ von einem Staat dazu führen kann, das
Handeln von Personen dem von Staatsorganen gleichzustellen.

b) Organleihe:
Problematisch ist die Organleihe, wie sie zwischen Staaten oder zwischen
Staaten und IO erfolgen kann. Hier leiht sich ein Staat Staatsorgane (z.B.
Polizeikräfte) eines anderen Staates zur Erfüllung eigener Aufgaben aus.

Wem das entliehene Organ zuzurechnen ist, kommt darauf an, in wessen Namen
das entliehene Organ tätig wird und darauf, ob das entliehene Organ in die
Befehlsstrukturen des Entleiherstaates eingegliedert ist oder nicht. Nur wenn das
entliehene Organ im Namen des entleihenden Staates tätig ist und an dessen
Weisungen gebunden ist, kann das Verhalten diesem Staat zurechenbar sein. Die
entsprechende Regelung in Art. 6 ASR ist zwar mangels ausreichender Praxis wohl
nicht gewohnheitsrechtlich fundiert, folgt aber aus der inneren Logik des Handelns
von Organen, die für eine bestimmte juristische Person tätig werden.

Schwierig sind die Verantwortlichkeitsstrukturen bei multinationalen Einsätzen,


va solchen bei denen eine Internationale Organisation involviert ist. Relevanz bei
UN-Einsätzen mangels geeigneten Rechtsschutzes auf UN-Ebene.

Theoretisch kann die Verantwortlichkeit bei der IO, dem truppenstellenden Staat
der einer lead nation oder bei mehreren gemeinschaftlich. Eine Organleihe im
engeren Sinne, bei der das fremde Staatsorgan vollständig in die Strukturen des
Entleihers eingegliedert wird, kommt nur selten vor. Der Heimatstaat beansprucht
mindestens die exekutive disziplinarische und strafjustizielle Gewalt über seinem
eigenen Staatsorgan.

Eine operative Kontrolle (= operational control), die sich stärker an der


Gesamtleitung einer Operation orientiert (Feststellung in Resolutionen, Beschlüssen
oder Abkommen), genügt nach Ansicht der ILC für eine Zurechnung regelmäßig
nicht.

Nach Art 7 ARIO kommt es für die Zurechnung auf die effektive Kontrolle
über
das konkrete Verhalten (= effective control over that conduct) an, dh auf
die
faktische Situation vor Ort. Lesen Rn. 405 S. 175f. Inhalt und Bedeutug der
effektiven Kontrolle werden diskutiert. Dabei geht es u.a. um den Zusammenhang
zwischen Zurechnung, Verantwortlichkeit und Haftung. Geht man davon aus, dass
nur Organisation oder nur der Mitgliedstaat effektive Kontrolle innehaben und der
effective control Test nicht die bloße Zurechnung, sondern wer verantwortlich ist und
haftet, entstehen Haftungslücken wie. z.B. bei der UNO1. Daher werden verschiedene
Formen der „geteilter Verantwortlichkeit“ diskutiert.

Zum einen lässt sich die Verantwortlichkeit nach der „effektiven Kontrolle“ ergänzen
durch Ausbau von Mitverantwortlichkeiten vgl. ARIO. Eine Internationale
Organisation ist insoweit mitverantwortlich, wieweit sie ein bestimmtes Verhalten
autorisiert oder sogar anordnet.
Schließlich kann man aber den „effektive control“ Test offener gestalten für
mehrfache Zurechnung, indem man auf die Möglichkeit zur Verhinderung einer

1
Durch Immunitäten und ein unzureichendes internes Entschädigungssystems als Haftungsschuldner
ungeeignet
Rechtsverletzung abstellt. Dies eröffnet die Möglichkeit, über nicht genutzte
Vetopositionen IO verstärkt gemeinsam verantwortlich zu machen.

Beispiel: Eine „geteilte Verantwortlichkeit“ hat das OVG Münster im Fall der
Übergabe mutmaßlicher Piraten an Kenia durch die Besatzung einer deutschen
Fregatte die an dem EUNAVFOR-Einsatz vor der Küste Somalias teilnahm, bejaht.
Lesen Rn. 407 S. 177
c) Handeln ultra vires:
In den genannten Fällen liegt eine Ermächtigung durch den Staat vor, dem
dieses
Handeln zugerechnet wird. Gewohnheitsrechtlich anerkannt ist die Regel Art 7
ASR, wonach dem Staat das Verhalten der Organe auch zuzurechnen ist, wenn
diese die Grenzen der Befugnisse überschreiten (= Handeln ultra vires). Diese
Regel wurde auf der Haager Kodifizierungskonferenz von 1930 akzeptiert
(leading case). Voraussetzung ist, dass das Organ im Zusammenhang mit der
ihm
zugewiesenen Aufgabe tätig wird oder diesen Anschein erweckt.

Die Idee
dahinter:
- Die Kompetenzgrenzen sind dem staatlichen Binnenbereich zuzuordnen
und für Außenstehende nicht erkennbar (= Erkennbarkeitsgedanke)
- Erst die Ermächtigung zum hoheitlichen Handeln ermöglicht dem Organ
das völkerrechtswidrige Verhalten (= Ermöglichungsgedanke)
- Es wäre sonst für Staaten einfach sich der Verantwortlichkeit zu
entziehen, indem sie vortragen, das Staatsorgan habe die Befugnisse
überschritten (= Missbrauchsgedanke)
Lesen: Rn. 408 S. 178 Caire-Fall
2. Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit dem Handeln Privater:
Das Handeln von Privatpersonen ist dem Staat nicht zurechenbar. Er hat
nur die
Pflicht zu verhindern, dass von seinem Staatgebiet aus Recht anderer Staaten
verletzt werden. Der Staat steht nicht in der Verantwortung, wenn Private
Rechte anderer Staaten verletzen. Er schuldet nur eine angemessene Sorgfalt
(due diligence) bei der Verhütung solcher Angriffe.

Sorgt ein Staat nicht für die angemessene Sorgfalt, wird ihm nicht der private
Übergriff als solcher zugerechnet, er hat dafür einzustehen, dass er den
Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Es geht um den Vorwurf eines
originär staatlichen Unterlassens. Solche staatlichen Schutzpflichten sind
traditionell an das eigene Staatsgebiet gebunden. Sie werden auch als
extraterritorial wirkende Pflichten diskutiert, um zu erreichen, dass Verletzungen
internationalen Rechtsgüter (Menschenrechte, Umwelt etc.) durch private Akteure
wirksam unterbunden werden können.
3. Zurechnung von Privathandeln bei „Sonderverbindung“:
Um die ausnahmsweise Zurechnung von Privathandeln zum Staat geht es in den
Fällen des Art 8-11 ASR. Hier liegt eine Sonderverbindung zwischen der
privaten
Handlung und einem Staat vor. Das Ultra-vires-Problem stellt sich hier nicht:
Zugerechnet kann nur das tatsächliche Verhalten werden. Dies erklärt, warum
Art 7 ASR zwischen den Art 4-6 ASR und Art 8-11 ASR steht.
Die gewohnheitsrechtliche Geltung ist in vielen Fällen umstritten:
a) Steuerung oder Kontrolle:
vgl. Art. 8 ASR: Ein Staat kann Private rechtlich zu hoheitlichem Handeln
ermächtigen. Er kann sie aber auch ohne eine Ermächtigung zur Verfolgung der
politischen Ziele
einsetzen. Durch die Kontrolle bzw Steuerung des privaten Handelns verlängert
der Staat den Arm und ist völkerrechtlich verantwortlich. Dies betrifft subversive
Aktivitäten (Fernsteuerung Aufständischer, Sabotageakte). Im Nicaragua Urteil 1986
hat der IGH auch indirekte Gewalt durch Unterstützung bewaffneter Übergriffe
anderer Staaten oder militärisch organisierter nicht staatlicher Verbände als Verstoß
gegen das Gewaltverbot anerkannt (nicht bloße finanzielle Unterstützung).

Hinsichtlich der Unterstützung des internationalen Terrorismus wird seit


den Anschlägen vom 11. Sep. 2001 vertreten, dass auch substantielle
Unterstützungshandlungen die Zurechnung begründen. Die von den USA entwickelte
harbo(u)ring doctine geht am weitesten. Danach soll der Aufenthalt von Terroristen
auf fremdem Staatsgebiet zur Zurechnung der Terrorakte zu jenem Staat führen,
wenn dieser nicht willens ist, gegen Terrorismus vorzugehen. Diese Doktrin ist nicht
Bestandteil des Völkerrechts.

b) Handeln im Interesse des Staates:


Die gewohnheitsrechtliche Geltung der Geschäftsführung ohne Auftrag
in Art 9
ASR ist zweifelhaft. Hier geht es um einen Fall, wo die staatlichen Institutionen
handlungsunfähig sind und ein Privater eigenmächtig an Stelle der staatlichen
Organe im Interesse des Staates handelt.
Beispiel: Übernahme von Polizeifunktionen durch Milizen nach Zusammenbruch
der Staatsgewalt
Lesen: Rn. 415 S. 181
c) Handeln Aufständischer:
Art 10 ASR soll helfen, dass Bürgerkriegsverbrechen, die von Aufständischen
begangen werden, uU ungesühnt bleiben. Die ILC hat sich für eine
Hypothekenlösung entschieden, die zu einer rückwirkenden Zurechnung führt.

Gedacht ist an zwei Konstellationen:


- Aufständische übernehmen die Regierungsgewalt im Staat (Abs 1): Auch
wenn der Staat die Aufständischen früher bekämpft hat (und für deren
Handlungen daher nicht verantwortlich gemacht werden konnte), solle er
mit Regierungsübernahme durch die Aufständischen die völkerrechtliche
Verantwortlichkeit für Verbrechen seiner (neuen) Regierung
übernehmen.
- Den Aufständischen gelingt eine Sezession und sie gründen einen neuen
Staat (Abs 2): Dieser neue Staat soll von vornherein mit der Hypothek der
Völkerrechtsverstöße seiner Gründer belastet sein.

d) Adoption oder Anerkennung:


Art 11 ASR geht über das Völkergewohnheitsrecht hinaus, wenn er auch die
verbale Anerkennung oder Adoption privater Rechtsverletzungen durch einen
Staat für die Zurechnung genügen lässt. Z.B. durch Auszeichnung der Täter, durch
öffentliche Solidaritätsbekundungen). Hier geht es um einen Akt politischer Rhetorik
und Symbolik, der uU unfreundlich sein kann, aber kaum für sich genommen die
Zurechnung trägt.

Präzedenzfall Teheraner Geisel:


- Regierung erklärte sich während noch einer andauernden Rechtsverletzung mit den
Verletzern solidarisch → Regierung gibt zu erkennen, dass sie ihren Schutzpflichten
nicht nachkommen will
Lesen: Rn 417 S. 182
II. Ausschluss der Rechtswidrigkeit:
Ausnahmen, warum ein Verstoß gegen eine völkerrechtliche Pflicht im Einklang
mit dem Völkerrecht stehen kann, finden sich in Art 20-27 ASR.
Rechtfertigung und Einwilligung sind solche Fälle.

1. Einwilligung:
Art 20 ASR.
Übergriffe in die Rechtssphäre eines anderen Staates stellen keinen Verstoß dar,
wenn der andere Staat eingewilligt hat. Dies beruht auf dem Grundsatz volenti
non fit iniura (Dem Willigen/Einwilligenden geschieht kein Unrecht).
Die Grenze der Einwilligungsfähigkeit ist das ius cogens (vgl Art 53 WVK).

2. Selbstverteidigung:
Art 21 ASR.
Die Selbstverteidigung stellt den einzigen Rechtfertigungsgrund dar, der zur
Anwendung von Gewalt berechtigt. Nach Art 51 UNCh ist sie nur zur Abwehr
bewaffneter Angriffe gestattet.

3. Gegenmaßnahme:
Wichtig im Völkerrecht ist die Gegenmaßnahme. Eine Gegenmaßnahme ist ein an
sich völkerrechtswidriger gewaltfreier (!) Akt, der gestattet ist, wenn er von dem
Opfer eines vorangegangenen, noch andauernden völkerrechtlichen Delikts
begangen wird, um dieses Delikt zu beenden. Es ist ein Mittel zur Selbsthilfe des
Geschädigten gegen Völkerrechtsbrüche. Um Missbräuche auszuschließen,
müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:

- ein andauerndes völkerrechtliches Delikt liegt vor. Auch die fortdauernde


Verletzung sekundärer Rechtspflichten sind Element.

- Der Adressat ist der Urheber, der Autor der Gegenmaßnahme Verletzter
dieses ersten Delikts; Verstoß gegen orga omnes jeder Staat GM

- Die Gegenmaßnahme zielt darauf ab, die Rückkehr zur Rechtstreue zu


erzwingen, dh auf Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens.

- Die Gegenmaßnahme muss vorher angekündigt werden.


- Die Gegenmaßnahme darf nicht verboten sein (= kein Repressalienverbot).
Verboten sind Maßnahmen, die selbst gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen.

(P) * Gegenmaßnahmen können ferner ausgeschlossen sein, weil ein Rechtsgebiet als
sog. self-contained regime (= in sich abgeschlossenes Rechtsregime) nur spezielle
Sanktionsformen zulässt (lex speciales). Klassischer Anwendungsfall ist das
Diplomatenrecht, Schutzgarantien des HM VR.
- Die Gegenmaßnahme darf nicht außer Verhältnis zu dem Delikt stehen,
auf das sie reagiert (= Übermaßverbot).
Lesen: Rn. 422 S. 185

Gegenmaßnahmen (= Repressalien) sind an sich rechtswidrige,


ausnahmsweise
gerechtfertigte Akte. Dies unterscheidet sie von sogenannten Retorsionen (=
unfreundlicher, aber völkerrechtskonformer Akt, der als Reaktion auf einen
Völkerrechtsbruch ohne besondere Voraussetzungen jederzeit zulässig ist).

Abzugrenzen ist die Gegenmaßnahme auch von Sanktionen im Rahmen


Internationaler Organisationen. Richtet sich die Sanktion gegen ein Mitglied,
findet sie die Rechtsgrundlage im Vertrag, nicht im Allgemeinen
Repressalienrecht.

4. Höhere Gewalt, Notlage:


Bei der höheren Gewalt (force majeure, Art 23 ASR) handelt es sich um Folgen
unwiderstehlicher Gewalt. Die Einwirkungen müssen die Beachtung des
Völkerrechts unmöglich machen und nicht nur unzumutbar.

Um tatsächlich mögliche, aber unzumutbare Handlungsalternativen geht es bei


der Notlage (distress, Art 24 ASR). Nicht zugemutet wird einem Staatsorgan, sein
eigenes Leben oder das Leben anderer Personen zu opfern, die seiner Obhut
anvertraut sind.

Notlage und höhere Gewalt enthalten Verschuldenselemente und privilegieren


nicht schuldhaftes Verhalten eines Einzelnen, der für einen Staat handelt, bzw
einen Staat, der eine Rechtsverletzung nicht verhindern kann.
5. Notstand:
Der Notstand (necessity, Art 25 ASR) stellt ein Dilemma des Staates dar. Wo
wesentliche Interessen betroffen sind, hat ein Staat die Möglichkeit, sich als
ultima ratio seinen Rechtspflichten zu entziehen. Dieser Notstand gestattet keine
regellose Selbsthilfe. Der IGH hat den Notstand als Rechtfertigungsgrund
anerkannt.
Voraussetzungen sind:
- Einem wesentlichen staatlichen Interesse droht unmittelbar schwere
Gefahr. Völkerrechtsverstoß ist die einzige Möglichkeit zum Schutz des
Interesses.
- Der Verstoß beeinträchtigt kein wesentliches Interesse anderer Staaten
oder der internationalen Gemeinschaft ernsthaft.
- Die Berufung auf den Notstand darf nicht ausgeschlossen sein.
Insbesondere gestattet das Notstandsrecht keine gewaltsamen
Maßnahmen.
- Keine Provokation des Notstandes durch den Staat, der sich auf ihn zur
Rechtfertigung eines Völkerrechtsverstoßes berufen will.
Lesen: Fall Gabcokoco S. 188 Rn. 429
BverfG: Notstand rechtfertigt nur Völkerrechtsverstöße ggü anderen Staaten
NICHT PIRATEN
6. Einhaltung zwingenden Völkerrechts:
Art 26 ASR stellt klar, dass Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht unter
keinen
Umständen gerechtfertigt sind. Alle Staaten sind verpflichtet, zu einer
Beendigung fortdauernder Verletzungen zusammenzuarbeiten nach Art 40 (1)
ASR und zustande gekommene Zustände nicht anzuerkennen nach Art 40 (2)
ASR. Die zweite Pflicht stellt eine Fortführung der Stimson-Doktrin dar. USA
erklärte, dass sie gewaltsame Gebietsveränderungen nicht anerkennen würde.

III. Rechtsfolgen:
Liegt ein Delikt vor, so wird die Wiedergutmachung geschuldet. Diese Pflicht tritt
als sekundäre Pflicht neben die fortbestehende Primärpflicht, die verletzte
Völkerrechtsregel zu beachten. Die Wiedergutmachung ist ein allgemeiner
Rechtsgrundsatz. Durch Bestätigungen auf internationaler Ebene ist auch eine
gewohnheitsrechtliche Anerkennung anzunehmen. Die Staatenpraxis ist
hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung uneinheitlich, da die verletzten
Staaten
aus politischen Gründen flexibel reagieren.

Es gibt 3 anerkannte Grundformen der Wiedergutmachung.

- Restitution Art 35 ASR: Das ist die Verpflichtung des Schädigers, den
Zustand herzustellen, der ohne die Schädigungshandlung besteht
würde. Sie kommt nicht in Betracht, wo sie unmöglich ist. Mitverschulden
ist zu beachten.

- Schadenersatz Art 36 ASR: Das ist die Entschädigung für erlittene Schäden
in Geld. Dieser umfasst jeden messbaren Schaden einschließlich des
entgangenen Gewinns. Nach Krieg wird die Entschädigung meistens
Pauschal bezahlt.

- Genugtuung Art 37 ASR: Ist ein symbolischer Akt, der dort eine adäquate
Form der Wiedergutmachung darstellt, wo kein wirtschaftlich messbarer
Schaden eintrat. (Geständnis der Verletzung, Ausdruck des Bedauerns
oder förmliche Entschuldigung). Mit der Genugtuung teilt die Versicherung der
Nichtwiederholung, dass sie auf ein ideelles Interesse zielt. In der Ergänzung des
Rechts der Staatenverantwortlichkeit um Elemente der Prävention liegt eine wichtige
Fortentwicklung ggü. den retroperspektiven“ von Chorzow Grundsätzen.

Lesen: LaGrand S. 191 Rn. 436

In erster Linie wird Restitution geschuldet, dann Schadenersatz und Genugtuung. Bei
der Bestimmung der Wiedergutmachung ist nach Art. 39 ASR ein etwaiges
Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen.

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