ISBN 3-925205-91-8
Inhalt
Einleitung 5
16 Ein Irrer ist nur ein bißchen mehr verrückt als du 401
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Die Welt des Tantra
[Sutra]
Devi fragt:
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Das Buch der Geheimnisse
Ein paar Dinge zur Einführung. Erstens: Die Welt des „Vigyana
Bhairava Tantra” ist nicht intellektuell. Sie ist nicht philosophisch.
Ideologie ist für sie bedeutungslos. In ihr geht es um Methoden
und Techniken, ganz und gar nicht um Prinzipien. Das Wort
„Tantra” heißt Technik, Methode, Weg. Es ist also keine Philoso-
phie — vergeßt das nicht. Es hat nichts mit intellektuellen Proble-
men und Fragestellungen zu tun. Es hat nichts mit dem „Warum”
der Dinge zu tun. Es hat etwas mit dem „Wie” zu tun — nicht da-
mit, was Wahrheit ist, sondern wie man zur Wahrheit gelangt.
„Tantra” heißt Technik. Diese Abhandlung ist also eine wissen-
schaftliche. Der Wissenschaft geht es nicht um das Warum, der
Wissenschaft geht es ums Wie. Das ist der grundlegende Unter-
schied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Die Philosophie
fragt: „Warum ist diese Existenz?” Die Wissenschaft fragt: „Wie ist
diese Existenz?” Sobald man „Wie?” fragt, werden Methode und
Technik wichtig. Theorien werden bedeutungslos. Erfahrung wird
zum Mittelpunkt.
Tantra ist Wissenschaft. Tantra ist nicht Philosophie. Philoso-
phie zu verstehen ist nicht schwer, weil ihr dabei nur euren Intel-
lekt gebraucht. Wer Sprache versteht, wer Begrifflichkeit versteht,
der kann Philosophie verstehen. Man braucht sich nicht zu än-
dern, man braucht keine Transformation zu erfahren. Du kannst,
so wie du bist, Philosophie verstehen. Aber nicht Tantra.
Du wirst dich ändern müssen. Ja, was du brauchst, ist eine
Mutation! Solange du nicht anders bist, kann Tantra nicht ver-
standen werden; denn Tantra ist kein intellektuelles Konzept, es ist
eine Erfahrung. Solange du für diese Erfahrung nicht empfänglich,
bereit, verwundbar bist, kann sie dich nicht erreichen.
Philosophie ist Verstandessache. Der Kopf genügt, du brauchst
deine Gesamtheit nicht dazu. Tantra fordert dich in deiner Ge-
samtheit. Es ist eine tiefere Herausforderung. Du mußt dich mit
Haut und Haaren darauf einlassen. Es ist nicht fragmentarisch. Ein
anderes Verständnis, eine andere Einstellung, ein anderer Geist
sind erforderlich, um es zu empfangen.
Weil das so ist, sind Devis Fragen nur scheinbar philosophisch.
Tantra nimmt mit Devis Fragen seinen Anfang. All diese Fragen
können philosophisch aufgefaßt werden.
Kapitel 1
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Kapitel 1
Tantra weiß nur so viel: daß einer, der fragt, was Licht ist, beweist,
daß er blind ist. Tantra geht daran, den Betreffenden zu opene-
ren, den Betreffenden zu verändern, so daß er sehen kann. Tantra
wird dir nicht sagen, was Licht ist. Tantra wird dir sagen, wie du
zur Einsicht gelangst, wie du das Augenlicht, wie du Sehkraft ge-
winnst. Ist die Sicht da, so ist auch die Antwort da. Tantra gibt dir
nicht die Antwort, Tantra gibt dir die Technik, wie du zur Ant-
wort gelangst.
Nun wird es keine intellektuelle Antwort mehr sein. Wenn du
einem Blinden etwas vom Licht erzählst, so ist das intellektuell.
Wenn der Blinde selbst sehen lernt, so ist es existentiell. Das mei-
ne ich, wenn ich Tantra existentiell nenne.
Shiva wird also Devis Fragen nicht beantworten. Und dennoch
wird er antworten. Das ist das erste.
Das zweite: Dies hier ist eine andere Sprache. Ihr müßt darü-
ber etwas wissen, bevor wir da hineingehen. Alle Tantra-Texte
sind Dialoge zwischen Shiva und Devi. Devi fragt, und Shiva ant-
wortet. Alle Tantra-Texte fangen so an. Warum? Warum dieses
Grundmuster? Es ist sehr bedeutsam. Es ist kein Dialog zwischen
einem Lehrer und seinem Jünger. Es ist ein Dialog zwischen zwei
Liebenden. Und damit weist Tantra auf etwas sehr Bedeutsames
hin: daß die tieferen Lehren nur dann gegeben werden können,
wenn zwischen beiden, zwischen dem Lehrenden und dem Ler-
nenden, Liebe da ist. Lernender und Lehrer müssen zutiefst zu
Liebenden werden. Nur dann kann das Höhere, das Jenseitige
zum Ausdruck kommen.
Es ist also eine Sprache der Liebe: Die Haltung des Lernenden
muß die der Liebe sein. Aber nicht nur das: denn auch Freunde
können Liebende sein. Im Tantra muß der Lernende zu reiner
Empfänglichkeit werden. Der Lernende muß von einer weibli-
chen Empfänglichkeit sein, nur so kann etwas geschehen. Man
braucht keine Frau zu sein, aber man muß in einer weiblich-emp-
fänglichen Haltung sein. Devi fragt. Das heißt: die weibliche Hal-
tung fragt. Warum wird soviel Wert auf eine weibliche Haltung
gelegt?
Mann und Frau sind nicht nur körperlich verschieden; sie sind
es auch psychologisch. Das Geschlecht macht nicht nur einen
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 1
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Kapite1 1
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite1 1
Tal weiter, im dunklen Tal. Manchmal steigt jemand auf den Gip-
fel der Liebe, fällt dann aber zurück, weil ihm so schwindlig wird.
So hoch, und du so niedrig; und wie schwer ist es, dort zu leben!
Wer geliebt hat, der weiß, wie schwer es ist, ständig in der Liebe
zu bleiben. Man muß immer wieder zurückkommen. Es ist Shi-
vas Wohnstätte. Er lebt dort. Es ist seine Heimat.
Ein Bhairava lebt in der Liebe: das ist seine Heimat. Wenn ich
sage, daß das seine Heimat ist, meine ich damit, daß er sich nicht
einmal der Liebe gewahr wird — denn wenn du auf dem Kailash
lebst, weißt du nicht, daß dies der Kailash ist, daß dies der Gipfel
ist. Der Gipfel wird zur Ebene. Shiva nimmt die Liebe nicht wahr.
Wir nehmen die Liebe wahr, weil wir in der Nicht-Liebe leben.
Und aufgrund des Kontrastes spüren wir die Liebe. Shiva ist Lie-
be. Ein Bhairava zu sein bedeutet, daß man zu Liebe geworden
ist, nicht, daß man liebt. Nun ist man Liebe, man lebt auf dem
Gipfel. Der Gipfel ist nun die Wohnstätte.
Wie aber wird dieser Gipfel möglich, der Gipfel jenseits von
Dualität, jenseits von Unbewußtheit, jenseits von Bewußtheit, jen-
seits von Körper und jenseits von Seele, jenseits von Welt und jen-
seits von sogenannter Moksha, Befreiung? Wie diesen Gipfel er-
reichen? Die Technik ist Tantra. Aber Tantra ist reine Technik. Es
ist also nicht leicht zu verstehen. Laßt uns erst die Fragen verste-
hen — was sagt Devi?
„Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit?”
Warum diese Frage? Ihr könnt die gleiche Frage stellen, aber es
würde nicht das gleiche bedeuten. Versucht also zu verstehen, war-
um Devi fragt: „Was ist deine Wirklichkeit?” Devis Liebe ist tief.
In tiefer Liebe begegnest du zum erstenmal der inneren Wirk-
lichkeit. Jetzt ist Shiva nicht mehr Formjetzt ist Shiva nicht mehr
Körper. Wenn du liebst, löst sich der Körper des Geliebten auf, er
verschwindet. Die Form ist nicht mehr, und das Formlose offen-
bart sich. Du stehst vor einem Abgrund. Darum haben wir solche
Angst vor der Liebe. Vor einem Körper haben wir keine Angst,
vor einem Gesicht haben wir keine Angst, vor einer Form haben
wir keine Angst. Aber vor einem Abgrund haben wir Angst.
Wenn du jemanden liebst, und wirklich liebst, verschwindet
sein Körper unweigerlich. In einigen wenigen Augenblicken des
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Das Buch der Geheimnisse
Höhepunkts, des Gipfels, wird die Form sich auflösen, und durch
den Geliebten wirst du in das Formlose eingehen. Das ist der
Grund, warum wir Angst haben: Es ist der Fall ins Bodenlose.
Diese Frage kommt also nicht nur aus Neugierde: „Oh Shiva, was
ist deine Wirklichkeit?”
Devi muß sich in die Form verliebt haben. So fangt es immer
an. Sie muß diesen Mann als Mann geliebt haben, und nun, da die
Liebe gereift ist, da die Liebe zur Blüte gelangt ist, ist dieser Mann
verschwunden. Er ist formlos geworden. Jetzt ist er unauffindbar:
„Oh Shiva, was ist deine Wirklichkeit?” Es ist eine Frage, die in
einem sehr intensiven Augenblick der Liebe gestellt wird. Und
wenn Fragen gestellt werden, kommt es ganz darauf an, aus wel-
cher Haltung heraus sie gestellt werden.
Versetzt euch also in die Situation, in die Atmosphäre der Frage.
Parvati muß ratlos sein. Devi muß ratlos sein. Shiva ist ver-
schwunden. Wenn die Liebe ihren Höhepunkt erreicht, ver-
schwindet der Liebende. Warum geschieht das? Das geschieht,
weil in Wirklichkeit jeder formlos ist. Du bist kein Körper. Du be-
wegst dich als Körper, du lebst als Körper, aber du bist kein Körper.
Solange wir jemanden nur von außen sehen, ist er ein Körper. Die
Liebe dringt ins Innere ein, und wir sehen den andern nicht mehr
von außen. Liebe kann den andern so sehen, wie der andere sich
selbst von innen her sieht. Dann verschwindet die Form.
Ein Zen-Mönch, Rinzai, erlangte die Erleuchtung. Das erste,
was er aussprach war: „Wo ist mein Körper? Was ist aus meinem
Körper geworden?” Und er fing an, ihn zu suchen. Er rief seine
Schüler und sagte: „Geht und findet heraus, wo mein Körper ge-
blieben ist. Ich habe meinen Körper verloren.”
Er war ins Formlose eingegangen. Du bist ebenfalls eine form-
lose Existenz, aber du kennst dich nicht unmittelbar, sondern nur
durch die Augen anderer. Du kennst dich durch den Spiegel.
Schließ einmal, während du in den Spiegel blickst, die Augen und
überlege, und meditiere dann: Wenn es keinen Spiegel gäbe, wo-
her würdest du dann dein Gesicht kennen? Ohne Spiegel gäbe es
kein Gesicht. Du hast kein Gesicht. Spiegel geben dir Gesichter.
Stell dir eine Welt ohne Spiegel vor! Du bist allein, kein Spiegel
ist da, nicht einmal die Augen anderer können dir noch ein
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Kapitel 1
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Das Buch der Geheimnisse
„Nur wenn ihr werdet wie die Kinder, werdet ihr das Himmel-
reich Gottes betreten.” Warum? Weil man nicht religiös sein kann,
solange das Universum nicht zum Wunder wird. Das Universum
läßt sich erklären; euer Ansatz ist dann wissenschaftlich. Das Uni-
versum ist bekannt oder unbekannt, aber was unbekannt ist, kann
jederzeit bekannt werden. Es ist nicht untrennbar. Das Universum
wird erst dann unkennbar, erst dann zum Geheimnis, wenn eure
Augen mit Wundern erfüllt sind.
Devi fragt: „Was ist dies von Wundern erfüllte Universum?”
Plötzlich also ein Spring von einer persönlichen Frage zu einer sehr
unpersönlichen. Sie hatte gefragt: ,Was ist deine Wirklichkeit?", und
nun plötzlich: „Was ist dies von Wundern erfüllte Universum?”
Wenn die Form verschwindet, wird der Mensch, den du liebst,
zum Universum, zum Formlosen, zum Unendlichen. Plötzlich
wird Devi gewahr, daß sie gar nicht Shivas wegen fragt; ihre Fra-
ge gilt dem ganzen Universum. Jetzt ist Shiva zum All geworden.
Jetzt kreisen alle Sterne in ihm und das gesamte Firmament, der
ganze Weltraum wird von ihm umhüllt. Jetzt ist er der allumfas-
sende Faktor, das „Große Allumfassende”. Karl Jaspers hat Gott
als das „Große Allumfassende” definiert.
Wenn du in die Liebe hineingehst, in die zuriefst intime Welt
der Liebe, dann verschwindet der Mensch, verschwindet die
Form, und der Geliebte ist nunmehr eine Tür zum Universum.
Deine Neugier ist vielleicht nur eine wissenschaftliche. Dann
mußt du deinen Weg durch die Logik nehmen, dann darfst du
nicht ans Formlose denken. Dann hüte dich vor dem Formlosen.
Dann gib dich mit der Form zufrieden. Daher gibt sich die Wis-
senschaft immer nur mit der Form ab. Wann immer der wissen-
schaftliche Geist mit etwas Formlosem konfrontiert wird, muß er
es zu Form zurechtschneiden. Solange es keine Form hat, ist es
bedeutungslos. Man verleihe ihm zuerst eine Form - eine defini-
tive Form; erst dann kann das Forschen losgehen. Solange es in
der Liebe noch Form gibt, ist sie noch nicht am Ende. Löst die
Form auf! Wenn die Dinge formlos werden, verschwommen,
ohne Grenzen - alles dringt in alles ein, das ganze Universum
wird zum All, zum Einen - dann, nur dann ist es ein von Wun-
dern erfülltes Universum.
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Kapitel 1
„Was ist der Same?” fährt Devi fort; vom Universum kommt sie
auf die Frage: „Was ist der Same?” Dies formlose, von Wundern
erfüllte Universum — woher kommt es? Wo hat es seinen Ur-
sprung? Oder hat es gar keinen Ursprung? Was ist sein Same?
„ Wer hält das Rad des Alls im Gleichgewicht?” so fragt Devi. Das
Rad dreht sich und dreht sich — all diese enormen Wandlungen,
dies ständige Fließen! Aber wer hält es im Gleichgewicht? Wo ist
die Achse, der Mittelpunkt, der ruhende Pol?
Sie läßt ihm keine Zeit zu antworten ... Sie fragt immer
weiter, als frage sie gar niemanden, als spräche sie zu sich selbst.
„ Was ist dies Leben jenseits von Form, das alle Form durchdrintgt?
Wie können wir vollends hineingelangen? Hinaus über Raum und
Zeit, Namen und Bezeichnungen? Schaffe meinem Zweifel
Klarheit!”
Die Betonung liegt nicht so sehr auf dem Fragen, sondern auf
dem Zweifeln. „Schaffe meinem Zweifel Klarheit!” Dies ist sehr
bedeutsam. Wenn du eine intellektuelle Frage stellst, fragst du
nach einer definitiven Antwort, so daß dein Problem gelöst wird.
Aber Devi sagt: „Schaffe meinem Zweifel Klarheit!” Sie fragt nicht
wirklich um Antwort. Sie bittet um geistige Transformation; denn
ein zweifelnder Sinn wird ein zweifelnder Sinn bleiben, wie auch
immer die Antworten ausfallen mögen. Merkt es euch gut: ein
zweifelnder Sinn bleibt ein zweifelnder Sinn. Antworten sind
gleichgültig. Bekommst du eine Antwort, und du hast einen zwei-
felnden Geist, so wirst du sie anzweifeln. Gebe ich dir eine weitere
Antwort, wirst du sie ebenfalls anzweifeln. Du hast einen zweif-
lerischen Geist. Ein zweiflerischer Geist — das bedeutet, daß du
hinter alles ein Fragezeichen setzt.
Antworten nutzen also nichts. Du fragst mich: „Wer erschuf die
Welt"?, und ich sage dir: „A erschuf die Welt.” Daraufhin fragst
du unweigerlich, wer A erschuf. Das wirkliche Problem lautet also
nicht: Wie soll man Fragen beantworten? Das wirkliche Problem
lautet: Wie soll man den zweiflerischen Geist verändern? Wie ei-
nen Geist hervorbringen, der nicht zweifelt — oder der vertrauen
kann? So sagt Devi: „Schaffe meinem Zweifel Klarheit.”
Noch zwei oder drei Dinge. Wer eine Frage stellt, mag aus
vielerlei Gründen fragen. Einer davon mag einfach nur sein, daß
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Das Buch der Geheimnisse
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f
Kapitel 1
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Das Buch der Geheimnisse
Elektrizität? Das machen doch nur die Christen, denn der christ-
liche Geist hat sie entdeckt!" Die Wissenschaft gehört nicht den
Rassen und Religionen an. Und Tantra ist eine Wissenschaft.
Merkt euch also: Dies hier hat absolut nichts mit Hinduismus zu
tun. Diese Techniken wurden von Hindus entwickelt, aber des-
halb sind diese Techniken nicht hinduistisch. Deshalb werden in
diesen Techniken keine religiösen Rituale erwähnt. Es ist kein
Tempel für sie nötig. Du selbst bist Tempel genug. Du bist das La-
bor. Das ganze Experiment besteht darin, in dich hineinzugehen.
Glaube ist nicht nötig.
Dies ist nicht Religion. Dies ist Wissenschaft. Glaube ist nicht
nötig. Es ist nicht nötig, an den Koran oder an die Veden oder an
Buddha oder an Mahavir zu glauben. Nein, Glaube ist nicht nötig.
Nötig ist nur eine Abenteuerlust aufs Experimentieren, ein ge-
wisser Mut zum Experiment. Das ist das Schöne. Ein Moslem
kann diese Techniken praktizieren und wird zu den tieferen Be-
deutungen des Korans gelangen. Ein Hindu kann sie praktizieren
und wird zum erstenmal wissen, was die Veden eigentlich sind.
Und ein Jaina kann sie praktizieren, und ein Buddhist kann sie
praktizieren. Sie brauchen darum ihre Religion nicht aufzugeben.
Tantra wird sie erfüllen, wo immer sie sind. Tantra wird auf jedem
Pfad, für den man sich entscheiden kann, hilfreich sein.
Merkt es euch also gut: Tantra ist reine Wissenschaft. Du magst
ein Hindu sein oder Mohammedaner oder Parse — oder was im-
mer. Tantra rührt überhaupt nicht an deine Religion. Tantra sagt,
daß Religion eine gesellschaftliche Angelegenheit ist. Gehöre also
irgendeiner Religion an, gleichgültig welcher. Aber du kannst dich
verwandeln, und diese Verwandlung erfordert eine wissenschaft-
liche Methodologie. Wenn du krank bist, wenn du krank gewor-
den bist und Tuberkulose oder sonst etwas hast, dann macht es
keinen Unterschied, ob du Hindu oder Moslem bist. Der Tuber-
kulose ist dein Hinduismus, ist dein mohammedanischer oder
sonstiger Glaube, egal — ob politisch, gesellschaftlich oder religiös.
Tuberkulose muß wissenschaftlich behandelt werden. Es gibt kei-
ne hinduistische Tuberkulose, keine islamische Tuberkulose.
Du bist unwissend, du bist zerrissen, du schläfst: das ist Krank-
heit, eine spirituelle Krankheit. Diese Krankheit muß mit Tantra
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Kapitel 1
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite11
ändern, aber er kann nicht mit dem Stehlen aufhören. Ein gieriger
Mensch kann die Objekte seiner Gier wechseln, aber er kann
nicht un-gierig werden. Man kann ihn zwingen, oder er kann sich
selbst zur Nicht-Gier zwingen, aber das auch nur aus einer ge-
wissen Gier heraus. Wenn ihm der Himmel versprochen wird,
versucht er vielleicht, nicht-gierig zu sein. Aber das ist Gier par
excellence. Das Paradies, Moksha — Befreiung, Satchitananda —
Sein, Bewußtsein, Seligkeit — das sind die neuen Objekte seiner
Gier.
Tantra sagt, man kann den Menschen nicht verändern, es sei
denn, man gibt ihm authentische Methoden, sich zu andern. Nur
durch predigen ändert sich nichts. Das läßt sich in der ganzen
Welt beobachten: Was immer Tantra sagt, steht überall geschrie-
ben. Überall wird es gepredigt, überall wird moralisiert; Priester,
Prediger, überall — die ganze Welt ist voll von ihnen. Und trotz-
dem ist alles so häßlich und so unmoralisch.
Warum ist das so? Das gleiche wäre der Fall mit euren Kran-
kenhäusern, wenn ihr sie den Priestern überlassen würdet. Sie
würden hingehen und zu predigen anfangen. Und sie würden je-
dem kranken Menschen das Gefühl geben: „Du bist dran schuld!
Du hast diese Krankheit erzeugt; jetzt sieh zu, daß sich das än-
dert!” Wenn den Predigern die Krankenhäuser überlassen wür-
den, was wäre dann die Situation in den Krankenhäusern? Genau
die gleiche Situation wie in der ganzen Welt.
Prediger predigen immer nur. Sie sagen den Leuten dauernd:
„Seid nicht wütend!” — ohne ihnen zu sagen, wie! Und wir haben
diese Belehrungen schon so oft gehört, daß wir nicht einmal dar-
auf kommen zu fragen: „Was sagst du da? Ich bin wütend, und du
sagst einfach: Sei nicht wütend!` Wie denn? Wenn ich wütend
bin, heißt das, daß ich Wut bin, und du sagst einfach so: Sei nicht
wütend!` Auf diese Art kann ich mich nur unterdrücken.”
Aber das erzeugt nur noch mehr Wut. Das erzeugt Schuldge-
fühle. Denn wenn du versuchst, dich zu ändern, und es gelingt
dir nicht, bekommst du Minderwertigkeitskomplexe. Du be-
kommst Schuldgefühle, weil es dir nicht gelingt. Du kannst dei-
ne Wut nicht besiegen; niemand kann das! Man braucht gewisse
Waffen, man braucht gewisse Techniken, denn deine Wut ist nur
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Das Buch der Geheimnisse
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T-
Kapitel 1
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Das Buch der Geheimnisse
sie augenblicklich ein. Ich werde also hier jeden Tag über Metho-
den sprechen. Probiert sie aus. Spielt einfach mit ihnen: Geht nach
Hause und probiert sie aus. Die richtige Methode wird, sobald
man auf sie stößt, einfach einrasten. Etwas in dir explodiert, und
du weißt: Das ist für mich die richtige Methode. Aber es gehört
Anstrengung dazu, und eines Tages magst du überrascht feststel-
len, daß dich plötzlich eine bestimmte Methode erfaßt hat.
Während ich also hier sprechen werde, spielt ihr parallel dazu
mit diesen Methoden. Ich sage „spielt”, denn ihr dürft nicht allzu
ernst dabei sein. Spielt einfach! Etwas paßt vielleicht zu dir. Wenn
es zu dir paßt, dann nimm es ernst, dann geh tief hinein, intensiv,
ehrlich, mit deiner ganzen Energie, mit deiner ganzen Geistes-
kraft. Aber vorher spielt einfach nur.
Ich habe beobachtet, daß euer Geist offener ist, wenn ihr spielt.
Wenn ihr ernst seid, ist euer Geist weniger offen. Er ist verschlos-
sen. Spielt also nur. Seid nicht zu ernst: spielt nur. Und diese Me-
thoden sind einfach. Ihr könnt mit ihnen spielen. Nehmt eine
Methode und spielt damit wenigstens drei Tage lang. Wenn sie in
euch Anklang findet, entsteht in euch ein gewisses Wohlgefühl.
Wenn sie euch das Gefühl gibt, daß dies das Richtige für euch ist,
dann nehmt es ernst. Dann vergeßt all die andern; spielt nicht
mehr mit anderen Methoden. Bleibt bei dieser — zumindest drei
Monate lang. Es können Wunder geschehen. Es kommt einzig
und allein darauf an, daß die Technik zu dir paßt. Wenn die Tech-
nik nichts für dich ist, dann passiert nichts. Dann kannst du über
viele Leben hin damit weitermachen, ohne daß etwas passiert.
Wenn die Methode zu dir paßt, sind sogar drei Minuten schon
genug.
Diese 112 Methoden können also eine wunderbare Erfahrung
für euch werden; es kann aber auch beim bloßen Zuhören blei-
ben. Das kommt auf euch an. Ich werde alle Methoden unter al-
len möglichen Gesichtspunkten beschreiben, eine nach der an-
dern. Wenn ihr eine bestimmte Verwandtschaft mit einer von ih-
nen spürt, dann spielt drei Tage lang mit ihr: danach laßt es sein.
Habt ihr das Gefühl, daß sie paßt, daß etwas in euch einrastet,
dann macht damit drei Monate lang weiter. Das Leben ist ein
Wunder. Wenn ihr sein Mysterium noch nicht erfahren habt,
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Kapitel 1
dann zeigt das nur, daß ihr die Technik noch nicht kennt, wie ihr
ihm näherkommen könnt.
Shiva stellt 112 Methoden vor. Das sind alle Methoden, die es
gibt. Wenn keine einrastet, und keine dir das Gefühl gibt, das
Richtige für dich zu sein, dann bleibt nichts mehr übrig. Vergeßt
das nicht. Dann kannst du die Spiritualität vergessen und so glück-
lich sein. Dann ist sie nichts für dich.
Aber diese 112 Methoden gelten für die gesamte Menschheit;
für alle Zeitalter, die vergangen sind, und für alle Zeitalter, die
noch kommen werden. Zu keiner Zeit hat es auch nur einen
Menschen gegeben, und es wird auch nie einen geben, der sagen
könnte: „Diese 112 Methoden sind allesamt nichts für mich.” Un-
möglich! Das ist unmöglich.
Jeder Typus ist berücksichtigt worden. Jedem nur denkbaren
Typus wird in Tantra eine Technik gegeben. Es gibt viele Metho-
den, für die es noch gar keinen Menschen gibt: sie sind für die Zu-
kunft. Es gibt viele Methoden, für die es heute keinen Menschen
mehr gibt: Sie galten für die Vergangenheit. Aber habt keine
Angst. Es gibt viele Methoden, die für euch da sind. Morgen be-
ginnen wir also mit dieser Reise.
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Der Weg des. Yoga und der Weg des Tantra
[Fragen]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 2
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Das Buch der Geheimnisse
kann man den Trieb zulassen, ohne von ihm überwältigt zu wer-
den? Wie kann man im Sexakt bewußt sein, ganz und gar wach?
Das macht Angst. Das scheint gefährlich. Nicht, daß es gefährlich
ist, aber nach allem, was du vom Sex weißt, kommt dir das ge-
fährlich vor. Du kennst dich, du weißt, wie du dich täuschen
kannst. Du weißt sehr genau, wie listig du bist. Du kannst dich
auf ein Verlangen einlassen — auf Sex, auf alles mögliche — und dir
dabei selber vormachen, daß du es mit voller Bewußtheit tust.
Darum scheint es gefährlich.
Die Gefahr liegt nicht im Tantra, die Gefahr liegt in dir. Und
der Reiz des Yoga kommt auch aus dir, aus deiner gewöhnlichen
Einstellung, deiner sex-verdrängten, sex-ausgehungerten, sex-
überfluteten Einstellung. Yoga reizt, weil die übliche Einstellung
zum Sex ungesund ist. Wäre die Menschheit besser dran und
wäre sie sexuell gesund, ganz natürlich, ganz normal, dann läge
der Fall anders. Wir sind nicht natürlich, wir sind nicht normal.
Wir sind absolut anormal, ungesund, ja geradezu geisteskrank.
Aber weil alle andern auch so sind, merken wir es nicht. Unsere
Geisteskrankheit ist so normal, daß es eher anormal ist, wenn ei-
r mal nicht geisteskrank ist. Ein Buddha ist für uns anormal, ein
Jesus ist für uns anormal. Solche Leute gehören nicht zu uns. Un-
sere „Normalität” ist eine Krankheit, und gerade sie macht Yoga
so anziehend. Sobald ihr den Sex natürlich nehmen könnt, ohne
ihn mit Philosophie zu verbrämen, ohne Ideologie für oder wi-
der, sobald ihr den Sex so nehmen könnt wie eure Hände, eure
Augen, genauso selbstverständlich, dann wird Tantra interessant.
Und nur dann kann Tantra vielen helfen. Aber Tantra ist irn Kom-
men. Früher oder später wird Tantra in den Massen explodieren,
denn zum erstenmal ist die Zeit reif — reif dafür, den Sex ganz
natürlich zu nehmen. Vermutlich wird diese Explosion aus dem
Westen kommen, denn Freud, Jung und Reich haben ihr den Bo-
den bereitet. Sie wußten nichts von Tantra, aber sie haben den
richtigen Boden bestellt, auf dem Tantra gedeihen kann. Die west-
liche Psychologie ist zu dem Schluß gekommen, daß die
grundsätzliche Krankheit des Menschen irgendwie mit dem Sex
zu tun hat, daß die grundsätzliche Gestörtheit des Menschen sei-
ne Sexfixiertheit ist.
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Kapitel 2
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Das Buch der Geheimnisse
kann verstehen, nur eine tiefe Einfühlung, nur ein tiefes Mitge-
hen kann überhaupt verstehen. Du kannst den Sex nur verstehen,
wenn du in ihn hineingehst, so wie ein Dichter einen Blumen-
garten betritt — nur so. Wenn dir die Blumen Schuldgefühle ma-
chen, dann gehst du zwar durch den Garten, aber tust es mit ge-
schlossenen Augen und wie von einer tiefen, wahnsinnigen Hast
getrieben. Nur raus aus dem Garten! Wie kann man da bewußt
bleiben?
Tantra sagt also, akzeptiere dich, egal was du bist. Du bist ein
vielschichtiges Mysterium: Akzeptiere alles und gehe mit jeder
Energie mit, in tiefer Sensibilität, Bewußtheit, Liebe, Einsicht. Fol-
ge ihr! Dann wird jedes Verlangen zum Vehikel, das über sich
selbst hinausführt. Dann wird dir jede Energie zur Hilfe. Und
dann ist genau diese Welt das Nirvana, dann ist genau dieser Kör-
per der Tempel — ein Heiligtum, eine heilige Stätte. Yoga ist Ver-
neinung; Tantra ist Bejahung. Yoga denkt dualistisch: daher das
Wort „Yoga”, welches bedeutet: „zwei Dinge werden zusam-
mengefügt”, „zwei Dinge unter einem Joch”. Diese Zweiheit, die-
se Dualität bleibt immer bestehen. Für Tantra gibt es überhaupt
keine Dualität. Wenn Dualität existiert, können die zwei Seiten
nie zusammenkommen; was man auch anstellt, sie werden zwei-
erlei bleiben, und so geht der Zwist weiter, der Dualismus bleibt
bestehen.
Wenn Welt und Gott zweierlei sind, können sie nie zusammen
kommen. Nur wenn sie in Wirklichkeit nicht zwei sind, sondern
nur so erscheinen, können sie auch vereint werden. Wenn Kör-
per und Seele zwei sind, können sie nicht zusammenkommen.
Wenn du und Gott zweierlei seid, könnt ihr nie vereint sein, son-
dern müßt entzweit bleiben.
Für Tantra gibt es Dualität nicht — oder allenfalls als Schein.
Warum also den Schein verstärken? Tantra fragt: Warum diesen
Schein der Dualität noch fördern? Löst ihn jetzt gleich auf! Seid
eins! Im Akzeptieren wirst du eins, nicht durch Kampf. Akzep-
tiere die Welt, akzeptiere den Körper, akzeptiere alles, was in ihm
wohnt. Stelle kein anderes Zentrum in dir her, denn für Tantra ist
dies andere Zentrum nichts weiter als das Ego. Für Tantra, vergeßt
das nicht, ist es nichts als das Ego. Bau kein Ego auf. Sei dir ledig
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Kapitel 2
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Kapitel 2
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Das Buch der Geheimnisse
nichts, das „Teufel” genannt werden könnte: alles ist göttlich, alles
ist heilig. Und das scheint der richtige Standpunkt zu sein, der tief-
gehendste. Denn sollte irgend etwas auf dieser Welt unheilig sein,
woher kommt es dann und wie kann es überhaupt existieren?
Es gibt also zwei Alternativen. Erstens die des Atheisten, der
sagt: Alles ist unheilig. Das ist okay; er ist ein Nicht-Dualist, er
sieht nichts Heiliges in der Welt. Und es gibt die Alternative des
Tantrikers, der sagt: Alles ist heilig. Auch er ist ein Nicht-Dualist.
Aber die sogenannten religiösen Leute dazwischen sind nicht
wirklich religiös. Sie sind weder religiös noch areligiös, weil sie
i mmer im Zwiespalt leben. Und ihre ganze Theologie dient nur
dazu, die Widersprüche zu vereinen – aber diese Widersprüche
lassen sich nicht vereinen.
Ist auch nur eine einzige Zelle, ein einziges Atom in diesem
Universum ungöttlich, dann wird die ganze Welt damit ungött-
lich: denn wie kann dies ungöttliche Atom in einer göttlichen
Welt existieren? Wie kann es überhaupt da sein? Alles trägt es; um
da sein zu können, muß es von allem getragen werden. Und
wenn dies ungöttliche Element auf all die göttlichen Elemente
angewiesen ist, wo liegt dann der Unterschied zwischen ihm und
ihnen? Entweder ist die Welt also restlos göttlich – ohne Ausnah-
me –, oder sie ist ungöttlich. Es gibt keinen Mittelweg.
Tantra sagt, daß alles heilig ist; darum ist Tantra uns so fremd.
Tantra ist der tiefste nicht-dualistische Standpunkt, den es gibt –
sofern man es noch einen Standpunkt nennen kann. Es ist keiner,
denn jeder Standpunkt ist zwangsläufig dualistisch. Tantra ist ge-
gen nichts gerichtet, ist also auch kein Standpunkt mehr. Tantra
ist gefühlte Einheit, gelebte Einheit.
Dies sind also die beiden Wege -- Yoga und Tantra. Tantra zieht
deshalb weniger an, weil wir so verkrüppelt sind. Aber sobald der
Mensch innerlich gesund wird und nicht mehr chaotisch ist, ge-
winnt Tantra seine Schönheit zurück. Nur so ein Mensch kann
verstehen, was Tantra ist. Die Attraktion von Yoga liegt an unse-
rer verworrenen Einstellung.
Vergeßt nie: Es ist letztlich immer der Kopf, der etwas attraktiv
und unattraktiv macht. Du selbst bist der entscheidende Faktor.
Die Ansätze unterscheiden sich. Ich sage nicht, daß man durch
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Kapitel 2
Yoga nicht auch ankommen kann. Man kann auch durch Yoga an-
kommen, aber nicht durch das modische Yoga. Das heute übliche
Yoga ist in Wirklichkeit kein Yoga, sondern das, was kranke
Gemüter daraus gemacht haben. Yoga kann als authentischer Weg
zum Allerhöchsten führen, aber auch nur dann, wenn deine Ein-
stellung gesund ist, wenn du keine krankhafte und verkrüppelte
Einstellung hast. Dann wird Yoga zu etwas ganz anderem.
Mahavir zum Beispiel ging den Weg des Yoga, aber er unter-
drückte den Sex nicht. Er hatte ihn kennengelernt, er hatte ihn
durchlebt, er war tief mit ihm vertraut. Aber Sex wurde sinnlos,
also ließ er ihn sein. Buddha ging den Weg des Yoga, aber er hat
gelebt, er war tief mit der Welt vertraut. Er kämpfte nicht gegen
sie an.
Was du erfahren hast, davon bist du frei. Es fällt ab wie welkes
Laub. Das ist nicht Entsagung; mit Kampf hat das nichts zu tun.
Seht Buddhas Gesicht: Es ist nicht das Gesicht eines Kämpfers. Er
hat keinen Kampf hinter sich. Er ist so entspannt! Sein Gesicht ist
geradezu der Inbegriff der Entspannung: konfliktlos. Seht euch
eure Yogis an: Kampf ist ihnen ins Gesicht geschrieben. In ihnen
herrscht Aufruhr. Sie sitzen auf Vulkanen. Seht ihnen in die Au-
gen, ins Gesicht, und ihr werdet es spüren. Sie haben all ihre
Krankheiten rief unterdrückt, nicht transzendiert.
In einer gesunden Welt in der jeder authentisch lebt, individuell
und ohne andere nachzuahmen, jeder auf eigene Weise, sind bei-
de Wege möglich. Dann könnt ihr jene tiefe Sensibilität erfahren,
die über jedes Verlangen hinausgeht: ihr kommt an den Punkt,
wo alles Verlangen unsinnig wird und abfällt. Auch Yoga kann ein
Weg dahin sein, aber das nur in einer Welt, in der auch Tantra
möglich ist — vergeßt das nicht. Wir brauchen eine gesunde Ein-
stellung, einen natürlichen Menschen. Für so eine Welt, für so ei-
nen Menschen, können sowohl Tantra wie Yoga zur Transzen-
denz der Wünsche führen.
Für unsere sogenannte kranke Gesellschaft sind weder Yoga
noch Tantra ein Weg, denn wenn wir Yoga wählen, dann nicht,
weil wir über unsere Begierden hinaus sind ... nein! Sie sind sehr
wohl noch da: sie gehen nicht von selbst weg. Wir verdrängen sie
einfach.
43
Das Buch der Geheimnisse
Wie kann einer, der den Weg der Hingabe geht, unter 112 Methoden
die richtige für sich herausfinden?
Für den Weg des Willens gibt es Techniken — eben diese 112.
44
Kapitel 2
Für den Weg der Hingabe ist Hingabe selbst die Methode, und es
gibt keine andere. Methode heißt Nicht-Hingabe, denn Metho-
de bedeutet, auf sich selbst gestellt zu sein. Du tust etwas: die
Technik ist vorgegeben, nun kannst du sie anwenden. Auf dem
Weg der Hingabe bist du nicht mehr da, kannst also gar nichts
tun. Du hast das Höchste getan, das Letzte: du hast dich ganz aus-
geliefert. Auf dem Weg der Hingabe ist Hingabe der einzige Weg.
All diese 112 Methoden erfordern einen gewissen Willen: et-
was muß von dir aus getan werden. Du manipulierst deine Ener-
gie, du balancierst deine Energie aus, du schaffst ein Zentrum in
deinem Chaos. Du tust etwas. Daß du dir Mühe gibst, ist we-
sentlich, fundamental, unerläßlich. Auf dem Weg der Hingabe ist
nur eines nötig: dich aufzugeben. Wir wollen tief in diese 112 Me-
thoden eindringen, und so lohnt es sich, etwas über die Hingabe
zu sagen; denn Hingabe kennt keine Methode. In diesen 112 Me-
thoden wird nichts über Hingabe gesagt. Warum hat Shiva nichts
über sie gesagt? Weil es nichts zu sagen gibt. Bhairavi selbst, Devi
selbst, ist nicht durch eine Methode zu Shiva gelangt. Sie hat sich
ihm einfach nur hingegeben. Das ist wichtig hervorzuheben: Sie
stellt diese Fragen etwa nicht um ihrer selbst willen. Sie stellt die-
se Fragen für die gesamte Menschheit. Sie ist bei Shiva angekom-
men, ist schon in seinem Schoß, liegt schon in seiner Umarmung.
Sie ist langst eins mit ihm. Und doch fragt sie.
Bedenkt also: sie fragt Shiva nicht um ihrer selbst willen; das
braucht sie nicht. Sie fragt für die gesamte Menschheit. Aber war-
um muß sie erst Shiva fragen, wo sie doch selbst erleuchtet ist?
Kann sie nicht selbst zur Menschheit sprechen? Nun, sie ist auf
dem Weg der Hingabe angekommen, also weiß sie nichts von
Methoden. Sie selbst ist dem Weg der Liebe gefolgt. Liebe an sich
genügt! Liebe braucht weiter nichts. Devi ist durch die Liebe an-
gekommen, also weiß sie nichts von irgendwelchen Methoden,
Techniken. Darum fragt sie.
Shiva spricht also von 112 Methoden. Auch er sagt nichts von
Hingabe, weil Hingabe nicht wirklich eine Methode ist. Ihr lie-
fert euch erst aus, wenn jede Methode fehlschlägt, wenn ihr durch
keine Methode weiterkommt: Du hast dein Bestes versucht, hast
umsonst an jede Tür geklopft: du hast es auf allen Wegen
45
Das Buch der Geheimnisse
versucht, und kein Weg führt weiter; du hast überhaupt alles ge-
tan, was du nur tun konntest, und nun bist du hilflos. In dieser to-
talen Hilflosigkeit lieferst du dich aus.
Auf dem Weg der Hingabe gibt es also keine Methode. Aber
was ist dann Hingabe, und wie funktioniert sie? Und wenn Hin-
gabe funktioniert, wozu dann 112 Methoden? „Wozu die Mühe?”
fragt sich der Kopf. „Dann okay! Wenn es mit Hingabe geht, ist
es doch besser, sich auszuliefern. Warum sich mit Methoden ab-
strampeln? Und wer weiß, welche Methode nun ausgerechnet für
mich gut ist? Es mag viele Leben dauern, bis ich das herausfinde.
Besser also, ich gebe mich hin.” Aber das ist nicht so leicht. Gut,
aber schwer, das Allerschwerste von der Welt. Methoden sind
nicht schwierig. Sie sind leicht. Man kann trainieren. Aber Hin-
gabe kann man nicht trainieren. Kein Training! Du kannst nicht
fragen: „ Wie kann ich üben, mich hinzugeben?” — die Frage wäre
absurd. Wie kannst du fragen, wie man das macht? Kannst du fra-
gen, wie man liebt?
Entweder ist die Liebe da oder nicht, aber du kannst nicht fra-
gen, wie man liebt. Und wenn es dir einer beibringen will, wirst
du — vergiß das nicht — niemals lieben können. Hast du erst eine
Technik für die Liebe, dann klammerst du dich daran. Darum
können Schauspieler nicht lieben. Sie kennen so viele Techniken,
so viele Methoden ... und wir alle sind Schauspieler! Beherrschst
du den Trick, wie man liebt, kann keine Liebe mehr aufblühen,
denn jetzt kannst du eine Fassade errichten, kannst etwas vor-
spielen, und damit hältst du dich raus. Du bist nicht mehr inner-
lich beteiligt. Du hast dich in Sicherheit gebracht ... Liebe heißt,
total offen, verwundbar zu sein. Das ist gefährlich. Das macht un-
sicher. Man kann nicht fragen, wie man liebt. Man kann nicht fra-
gen, wie man sich hingibt. Es geschieht! Liebe geschieht, Hingabe
geschieht. Liebe und Hingabe sind im Kern eins.
Aber was sind sie? Da wir nicht wissen, wie man sich ausliefert,
können wir zumindest nachschauen, wie wir uns davor schützen,
wie wir uns dagegen sperren, uns auszuliefern. So viel läßt sich er-
kennen, und das führt schon etwas weiter. Wie kommt es, daß du
dich noch nie ausgeliefert hast? Was ist deine „Technik”, dich nicht
auszuliefern? Wenn du dich noch nie der Liebe ausgeliefert hast,
46
Kapitel 2
dann ist die wirkliche Frage nicht, wie man das macht, sondern
wie du es bisher geschafft hast, die Liebe zu umgehen. Was ist
dein Trick, deine Technik, deine Strategie – deine Verteidigungs-
strategie, mit der du ohne Liebe gelebt hast? Das kann erkannt
und verstanden werden.
Das erste: Wir leben mit dem Ego, im Ego, wir sind im Ego
zentriert. Ich bin, ohne zu wissen, wer „ich” bin. Ich höre nicht
auf zu erklären, daß „ich bin”. Dieses „ich bin” ist eine Lüge, weil
ich gar nicht weiß, wer ich bin. Und solange ich nicht weiß, wer
ich bin, wie kann ich da „ich” sagen? Dies „ich” ist ein Pseudo-Ich.
Dies falsche Ich ist das Ego; es ist ein Abwehrmechanismus. Es
schützt dich davor, dich auszuliefern. Du kannst dich niemandem
und nichts hingeben, aber dir diesen Schutzmechanismus klar-
machen, das kannst du. Wenn du ihn dir klargemacht hast, löst er
sich auf. Nach und nach entziehst du ihm immer mehr deine Un-
terstützung, und eines Tages fühlst du plötzlich: „Ich bin nicht.”
Noch im gleichen Augenblick geschieht die Selbst-Auslieferung.
Versuche also herauszufinden, ob du bist. Wirklich – gibt es in dir
irgendein Zentrum, das du „mein Ich” nennen kannst? Geh rief
in dich hinein, hör nicht auf nachzuforschen, wo dies „Ich” ist, wo
dieses Ego ist.
Rinzai ging zu seinem Lehrer, seinem Guru, und sagte: „Gib
mir Freiheit!” Der Lehrer sagte: „Bring dich selbst her. Wenn du
bist, werde ich dich frei machen. Bist du jedoch nicht, wie kann
ich dich dann befreien? Dann bist du schon frei. Und Freiheit ”,
fuhr der Guru fort, „ist nicht deine Freiheit. Freiheit ist in Wirk-
lichkeit Freiheit von dir. Geh also und finde heraus, wo dies „Ich”
ist, wo du bist; dann komm zu mir. Das ist deine Meditation. Geh
und meditiere.”
Der Schüler Rinzai geht also und meditiert – Wochen, Mona-
te – und kommt dann wieder. Er sagt: „Ich bin nicht der Körper.
Das ist alles, was ich herausgefunden habe.” Also sagte der Guru:
„Um so viel bist du freier geworden. Geh zurück. Suche weiter.”
Er versucht es erneut, meditiert und findet heraus: „Ich bin nicht
mein Geist, denn ich kann meine Gedanken beobachten. Also ist
der Beobachter und das, was er beobachtet, nicht dasselbe. Ich bin
nicht mein Geist.” Da sagt sein Guru: „Jetzt bist du zu dreiviertel
47
Das Buch der Geheimnisse
frei. Jetzt geh noch einmal und finde heraus, wer du nun eigent-
lich bist."
Da dachte er sich: „Ich bin nicht mein Körper. Ich bin nicht
mein Geist.” Er hatte viel gelesen, studiert, er war gut informiert,
also dachte er: „Wenn ich nicht mein Körper und nicht mein Geist
bin, muß ich meine Seele sein, mein Atman.” Er meditierte, und
er fand heraus, daß es kein Atman gab, keine Seele: denn dies At-
man, diese Seele, war nichts weiter als eine gespeicherte Informa-
tion — nur Ideologie, Worte, Philosophie.
Da kam er eines Tages angerannt und rief „Jetzt bin ich nicht
mehr da!” Da sagte sein Guru:.,Soll ich dich nun die Methoden
der Freiheit lehren?" Rinzai sagte: „Ich bin frei, weil ich nicht
mehr bin. Da ist niemand mehr, der unfrei ist, ich bin nur eine
weite Leere, ein Nichts. ”
Nur ein Nichts kann frei sein. Wenn du ein Etwas bist, bist du
unfrei. So lange du bist bist du Sklave. Nur ein Vakuum, ein lee-
rer Raum, kann frei sein, läßt sich nicht binden. Rinzai kam an-
gerannt und sagte: „Ich bin nicht mehr. Ich kann mich nirgends
finden.” Das ist Freiheit. Und zum erstenmal berührte er die Füße
seines Gurus ... zum allererstenmal! Nicht tatsächlich — er hatte
es schon oft getan —, aber der Guru sagte: „Zum erstenmal hast du
meine Füße berührt.”
Rinzai fragte: „Warum sagst du zum erstenmal`? Ich habe dei-
ne Füße schon so oft berührt!” Der Guru sagte: „Aber da warst du
noch da — wie kannst du meine Füße berühren, wenn du vor-
handen bist? Wie kannst du meine Füße berühren, solange du da
bist?” Das Ich kann keinem die Füße berühren, auch wenn es so
tut; es berührt — auf Umwegen — nur immer seine eigenen Füße.
„Du hast zum erstenmal mir die Füße berührt”, sagte der Lehrer,
„weil du jetzt nicht mehr bist. Und es ist auch das letztemal”, sag-
te der Lehrer. „Das erste- und das letztemal.”
Ausgeliefert hast du dich erst, wenn du nicht mehr bist: Du
kannst dich also nicht hingeben. Darum ist Hingabe keine Tech-
nik. Du kannst dich nicht hingeben — du selbst bist das Hinder-
nis. Wenn du nicht bist, ist Hingabe da. Du und Hingabe, das geht
nicht zusammen, es gibt keine Koexistenz zwischen dir und der
Hingabe. Entweder du oder Hingabe. Finde also heraus, wo du
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Kapitel 2
49
Das Buch der Geheimnisse
kann sagen, Gott dränge von allen Seiten zu ihm hin, dringe in
ihn ein, durch jede Pore, erfülle ihn ganz. Diese Hingabe, dies
Zum-Tal-Werden„ zum Abgrund, dies Sich-Ausliefern, kann auf
manche Weise erfahren werden. Es kann in kleinem Umfang ge-
schehen, es kann in großem Umfang geschehen. Selbst bei einer
geringeren Form der Hingabe kann man es fühlen. Sich einem
Guru hinzugeben, ist eine geringere Form der Hingabe, aber du
beginnst es auch hier zu fühlen, weil der Guru augenblicklich in
dich einzuströmen beginnt. Wenn du dich ihm hingibst, spürst du
seine Energie sofort in dich einströmen. Wenn du keine Energie
in dich einströmen fühlst, dann sei dir bewußt, daß du dich ihm
noch nicht einmal in dieser geringen Form hingegeben hast. Du
hast dich überhaupt nicht ausgeliefert.
Es gibt da viele Geschichten, die schwierig zu verstehen sind,
weil wir nicht wissen, was sich abspielt. Mahakashyap kam zu
Buddha, und Buddha brauchte nur seinen Kopf zu berühren, und
es passierte, und Mahakashyap begann zu tanzen. Ananda fragte
Buddha: „Was ist mit ihm passiert? Und ich bin seit vierzig Jahren
bei dir! Ist er verrückt? Oder hält er uns nur zum Narren? Was ist
los mit ihm? Und ich habe deine Füße tausend — und abertau-
sendmal berührt!”
Natürlich, einem Ananda mußte er verrückt oder unecht er-
scheinen. Ananda war seit vierzig Jahren bei Buddha: aber da gab
es ein Problem. Er war sein älterer Bruder — Buddhas Stiefbruder:
Das war das Problem. Als Ananda zu Buddha kam, war dies das
erste, was er zu Buddha sagte: „Ich bin dein älterer Bruder, und
wenn du mich einweihen willst, werde ich dein Jünger. Doch ge-
währe mir drei Dinge, ehe ich dein Jünger werde, denn danach
kann ich nicht mehr fordern. Erstens: Ich will immer bei dir sein.
Versprich mir dies. Du kannst nicht zu mir sagen: Geh woanders
hin`. Ich werde dir überallhin folgen. Zweitens: Ich will im glei-
chen Zimmer mit dir schlafen. Du kannst nicht zu mir sagen:
,Geh hinaus!` Ich werde dir folgen wie dein Schatten. Und drit-
tens: Ich kann bringen, wen ich will, und wann immer ich will,
sogar uni Mitternacht, und du wirst ihm antworten müssen. Du
kannst nicht sagen: Nichtjetzt. ' Und diese drei Versprechen mußt
du mir geben, so lange ich noch dein älterer Bruder bin, denn bin
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Kapitel 2
ich erst einmal dein Jünger, muß ich dir folgen. Du bist immer
noch der Jüngere von uns beiden, also mußt du mir dies verspre-
chen."
Also versprach es Buddha - und dann wurde genau das zum
Problem. Das war das Problem! Vierzigjahre lang war Ananda
mit Buddha, aber er konnte sich ihm nie ausliefern, denn das ist
nicht der Geist der Hingabe. Ananda fragte viele, viele Male:
„Wann werde ich ankommen?” Buddha sagte: „Nicht bevor ich
tot bin.” Und Ananda gelangte tatsächlich erst zur Erleuchtung,
als Buddha gestorben war.
Was passierte plötzlich mit diesem Mahakashyap? Ist Buddha
ungerecht? Zieht er Mahakashyap vor? Nein! Er strömt, strömt
unentwegt. Aber du mußt ein Teil sein, ein Schoß, um ihn zu
empfangen. Wenn du über ihm stehst, wie kannst du ihn emp-
fangen? Diese strömende Energie kann dich so nicht erreichen.
Sie geht an dir vorbei. Verbeuge dich also. Selbst bei einer gerin-
gen Hingabe an einen Guru beginnt die Energie zu fließen. Plötz-
lich, augenblicklich wirst du zum Gefäß einer großen Kraft. Es
gibt da Tausende von Geschichten: einfach nur durch eine
Berührung, durch einen Blick, wurde jemand erleuchtet. Das
kommt uns irrational vor. Wie ist das möglich? Es ist möglich! Ein
bloßer Blick in deine Augen kann dein ganzes Wesen verwan-
deln, aber die Verwandlung kann nur geschehen, wenn deine Au-
gen leer sind wie ein Tal. Wenn du den Blick des Lehrers augen-
blicklich aufnehmen kannst, wirst du ein anderer. Dies also sind
geringere Formen der Hingabe, die der totalen Hingabe voraus-
gehen und dich darauf vorbereiten. Sobald du einmal erfahren
hast, daß du durch Hingabe etwas Unbekanntes erfährst, etwas
Unglaubliches, Unerwartetes, nie Erträumtes, dann bist du bereit
für eine größere Hingabe. Und das ist die Arbeit eines Guru - dir
zu kleinen Formen der Hingabe zu verhelfen, damit du Mut sam-
meln kannst, zu einer größeren Hingabe, zur totalen Hingabe.
Was sind die genauen Anzeichen, an denen man erkennt, welche be-
stimmte Technik zum Allerhöchsten führt?
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite12
53
Das Buch der Geheimnisse
54
Kapitel 2
chere mir nur, daß er nicht zur Hölle gefahren oder zum Tier ge-
worden ist, sondern daß er im Himmel ist, ein Gott oder sowas.
Wenn du mir nur so viel versichern kannst, dann ist alles okay.
Dann kann ich es aushalten. Sonst bin ich todunglücklich."
Da würde ein Priester sagen: „Klar, dein Mann ist als Gott im
siebten Himmel wiedergeboren worden, und er ist sehr glücklich.
Und er erwartet dich schon.”
Gebete sind Mittel der Anpassung, sie erleichtern. Meditation
ist Wissenschaft. Sie verhilft dir nicht zur Anpassung. Sie verhilft
dir zur Transformation. Darum nenne ich diese drei Anzeichen,
die als Hinweise für ihre Wirkung auftreten. Zur Stille wird es
auch kommen, aber das wird nicht Anpassung sein. Die Stille
kommt als ein inneres Aufblühen. Solche Stille ist keine Anpas-
sung an die Gesellschaft, an die Familie, an die Welt, an das Ge-
schäft ... nein! Diese Stille ist wahr, sie ist im Einklang mit dem
All, und nicht mit der Gesellschaft, der Familie usw. Dann blüht
zwischen dir und der Totalität eine tiefe Harmonie auf. Dann wird
Stille sein. Aber das kommt später. Erst wirst du aufgestört, erst
wirst du verrückt: denn du bist verrückt — auch wenn es dir nicht
bewußt ist.
Wenn eine Technik paßt, macht sie dir alles bewußt, was du
bist. Deine Anarchie, dein Denken, deinen Wahnsinn, alles
kommt ans Licht. Du bist nur ein dunkler Wirrwarr. Paßt die
Technik, wird alles plötzlich Licht, und das ganze Durcheinander
wird deutlich. Zum erstenmal wirst du dir begegnen, so wie du
bist. Du möchtest lieber das Licht ausschalten und dich wieder ins
Bett legen. Es ist zum Fürchten! Das ist der Punkt, wo der Guru
gebraucht wird. Er sagt: „Hab keine Angst. Das ist nur am Anfang
so.
Und lauf nicht weg! Anfangs zeigt dir dies Licht, was du bist,
und wenn du immer weitergehen kannst, verwandelt es dich lang-
sam zu dem, was du sein kannst.
55
Atem —der Nabel des Lebens
Sutras]
Shiva antwortet:
2. Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt und dann
wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt — durch diese
beiden Wendungen, erkenne!
4. Oder, wenn der Atem ganz draußen ist, oder ganz drinnen, und
von allein stillsteht — in solch einer universalen Pause verschwindet
das eigene kleine Selbst. Dies ist schwierig nur für den Unreinen.
57
Das Buch der Geheimnisse
Die Wahrheit ist immer hier. Sie ist schon da. Sie ist nicht ein
Ziel in der Zukunft. Die Wahrheit — das bist du, ganz genau hier
und jetzt. Sie ist nicht etwas, das erschaffen oder ausgedacht oder
gesucht werden muß. Versteht dies ganz klar; dann sind diese
Techniken leicht zu verstehen und auch auszuführen.
Dein Geist ist ein Wunsch-Mechanismus. Dein Geist befindet
sich immer im Wunschzustand — immer sucht er etwas, immer
verlangt er etwas. Sein Ziel ist immer in der Zukunft: um die Ge-
genwart kümmert sich der Geist überhaupt nicht. In diesen Mo-
ment kann der Geist nicht hineingehen, da hat er keinen Raum.
Der Geist braucht die Zukunft, um sich zu bewegen. Er kann ent-
weder in die Vergangenheit oder in die Zukunft gehen. In der Ge-
genwart kann er sich nicht bewegen, da ist kein Raum. Die Wahr-
heit ist in der Gegenwart, und der Geist ist immer in der Zukunft
oder in der Vergangenheit. So kommen Geist und Wahrheit nie
zusammen.
Wenn du weltliche Ziele hast, ist es nicht so schwierig. Da ist
das Problem nicht absurd, da kann es gelöst werden. Aber wenn
du nach der Wahrheit suchst, wird dieses Suchen selbst unsinnig
— weil die Wahrheit hier und jetzt ist, dein Geist aber immer dann
und dort. Da gibt es kein Zusammentreffen. Versteht also das er-
ste: Ihr könnt die Wahrheit nicht suchen. Ihr könnt sie finden,
aber suchen könnt ihr sie nicht. Das Suchen selbst ist das Hinder-
nis.
I m gleichen Moment, wo du zu suchen anfängst, hast du dich
von der Gegenwart entfernt, auch von dir selbst, weil du immer in
der Gegenwart bist. Der Sucher ist immer in der Gegenwart und
das Suchen immer in der Zukunft. Du wirst, was auch immer du
suchst, nicht finden. Laotse sagt: „Suche nicht, sonst verfehlst du
es. Du darfst nicht suchen, dann findest du.” All diese Techniken
Shivas holen euren Geist einfach nur aus Vergangenheit und Zu-
kunft in die Gegenwart zurück. Das, was ihr sucht, ist bereits da.
Es ist bereits der Fall. Der Geist muß vom Suchen auf das Nicht-
Suchen umgelenkt werden. Das ist schwierig. Wenn man darü-
ber intellektuell nachdenkt, ist es sehr schwierig — Wie soll man
das Denken vom Suchen zum Nicht-Suchen umlenken? — denn
dann macht der Kopf sogar aus dem Nicht-Suchen ein Ziel! Dann
58
Kapitel 3
sagt er: „Jetzt will ich nicht mehr suchen, jetzt wünsche ich mir
die Wunschlosigkeit.” Das Suchen ist wieder dabei. Das Verlan-
gen hat sich durch die Hintertür wieder eingeschlichen. Die ei-
nen haben weltliche Ziele, die andern glauben, nicht-weltliche
Ziele zu haben, aber alle Ziele sind weltlich, weil Suchen gleich
Welt ist.
Man kann also nicht etwas Nicht-Weltliches suchen. Im Au-
genblick wo ihr sucht, wird es weltlich. Wenn ihr nach Gott sucht,
wird Gott zu einem Teil der Welt. Wenn ihr nach Moksha sucht,
Nirvana, dann wird eure Befreiung Teil der Welt. Eure Befreiung
ist dann nicht etwas, das über die Welt hinausgeht, weil Suchen
gleich Welt ist, weil Verlangen gleich Welt ist. Ihr könnt also nicht
nach Nirvana verlangen; ihr könnt nicht die Begierdelosigkeit be-
gehren. Wenn ihr das intellektuell zu verstehen sucht, wird es
zum Rätsel.
Shiva sagt nichts darüber. Er geht gleich dazu über, euch Tech-
niken zu geben. Sie sind nicht intellektuell. Er sagt nicht etwa zu
Devi: „Die Wahrheit ist hier. Suche sie nicht, und du wirst sie fin-
den.” Er gibt sofort Techniken. Diese Techniken sind nicht intel-
lektuell. Mach sie, und dein Geist wird sich umkehren. Die Wen-
dung ist nur eine Folge, nur ein Nebenprodukt — nicht ein Ziel.
Die Umkehr ist nur ein Nebenprodukt.
Wenn du eine Technik befolgst, kehrt dein Geist auf seiner Rei-
se in die Zukunft oder Vergangenheit um. Plötzlich findest du
dich in der Gegenwart wieder. Darum haben Buddha, Lao Tse,
Krishna euch Techniken gegeben. Aber sie führen ihre Techniken
immer mit intellektuellen Konzepten ein. Nur Shiva macht es an-
ders. Er gibt sofort Techniken, ohne intellektuelle Einführung,
denn er weiß: Der Intellekt ist trickreich, ist das Gerissenste über-
haupt. Er kann aus allem ein Problem machen. Jetzt wird das
Nicht-Suchen zum Problem.
Es gibt Leute, die mich fragen, wie man nicht begehrt. Sie be-
gehren die Begierdelosigkeit. Sie haben irgendwelches spirituel-
les Geschwätz gehört oder gelesen, daß man die Seligkeit erlangt,
wenn man ohne Begierden ist. „Wenn du nichts begehrst, bist du
frei, wenn du nichts begehrst, hört alles Leid auf.” Jetzt begehren
sie diesen leidlosen Zustand — und fragen, wie man nicht begehrt!
59
Das Buch der Geheimnisse
Ihr Kopf führt sie an der Nase herum. Sie begehren immer noch,
nur hat sich jetzt das Ziel verändert. Früher wollten sie Geld,
Ruhm, Ansehen, Macht. Jetzt wollen sie das Nicht-Wollen. Nur
das Objekt hat sich verändert, sie selbst aber bleiben gleich, und
ihr Wollen auch, nur ist es jetzt versteckter. Aus diesem Grund be-
ginnt Shiva ohne jede Einführung sofort. Er spricht sofort von
Techniken. Befolgt man diese Techniken, lenken sie das Denken
um: es wird auf die Gegenwart gerichtet. Und wenn das Denken
zur Gegenwart kommt, bleibt es stehen. Es ist nicht mehr. Du
kannst in der Gegenwart kein Denker sein. Das ist unmöglich.
Wie könntest du im Hier und Jetzt denken? Die Gedanken ste-
hen still, weil sie sich nicht bewegen können. Die Gegenwart hat
keinen Spielraum; du kannst nicht denken. Wie kannst du dich
im jetzigen Augenblick bewegen? Der Geist bleibt stehen; du bist
im Nicht-Geist.
Vor allem ist also wichtig, wie man ins Hier und Jetzt gelangt.
Du kannst es versuchen, aber die Mühe wird umsonst sein – denn
wenn du mit Absicht in der Gegenwart sein willst, dann hat dich
diese Absicht schon in die Zukunft gebracht. Wenn du fragst, wie
du in der Gegenwart sein kannst, fragst du wieder nach der Zu-
kunft. Während du fragst: „ Wie kann ich gegenwärtig sein? Wie
hier und jetzt sein?”, geht dieser Augenblick verloren, und die Ge-
danken plappern schon und träumen von der Zukunft: eines Ta-
ges bist du soweit, daß es keine Bewegung, kein Motiv, kein Su-
chen mehr gibt, sondern nur noch Seligkeit. Darum also: „Wie
komme ich in die Gegenwart?”
Shiva sagt darüber nichts. Er gibt dir einfach eine Technik. Mach
sie, und plötzlich findest du dich hier und jetzt wieder. Und dein
Hier-und-Jetzt-Sei ist die Wahrheit, ist die Freiheit, ist dein Nir-
vana. Die ersten neun Techniken beschäftigen sich mit dem At-
men. Laßt uns also erst ein wenig über das Atmen lernen; danach
gehen wir auf die Techniken ein.
Wir atmen ständig, vom Augenblick der Geburt bis zum Au-
genblick des Todes. Alles andere zwischen diesen beiden Punk-
ten ändert sich. Alles ändert sich, nichts bleibt gleich: das einzig
Beständige zwischen Geburt und Tod ist das Atmen. Aus dem
Kind wird ein Jugendlicher; der Jugendliche wird alt, krank, sein
60
Kapitel 3
Körper verfällt: alles verändert sich. Mal glücklich, mal elend und
leidend: Ständig ändert sich alles. Aber was auch immer zwischen
diesen beiden Punkten geschieht — man muß atmen. Ob glück-
lich oder unglücklich, jung oder alt, erfolgreich oder erfolglos —
gleich, was du bist, eines ist gewiß: Zwischen Geburt und Tod at-
mest du.
Das Atmen ist ein ständiger Fluß: keine Lücke ist möglich.
Wenn du auch nur für einen Augenblick zu atmen vergißt, bist
du nicht mehr. Darum hängt das Atmen auch nicht von dir ab,
denn sonst würde es problematisch. Jemand könnte für einen Mo-
ment das Atmen vergessen, und was dann? In Wirklichkeit also
atmest nicht du, weil du dazu nicht gebraucht wirst. Schläfst du
tief, geht das Atmen weiter. Bist du unbewußt — das Atmen geht
weiter; liegst du im Koma — das Atmen geht weiter. Du wirst
nicht gebraucht: Das Atmen geht auch ohne dich weiter. Das At-
men ist eine Konstante deines Daseins — das ist also das erste. Und
das Atmen ist wesentlich und fundamental — das ist das zweite.
Du kannst nicht ohne Atem leben. So sind Atem und Leben
gleichbedeutend. Das Atmen ist der Mechanismus des Lebens,
und das Leben ist tief mit dem Atmen verbunden. Darum nen-
nen wir beides in Indien Prana. Wir haben ein Wort für beides.
Prana bedeutet Vitalität, Lebenskraft: Dein Leben ist dein Atem.
Drittens: Dein Atem ist eine Brücke zwischen dir und deinem
Körper, er verbindet dich, verknüpft dich mit deinem Körper. Er
ist auch eine Brücke zwischen dir und dem Universum. Dein
Körper ist nichts anderes als das zu dir gekommene Universum,
das, was dir am nächsten ist.
Dein Körper ist Teil des Universums. Alles im Körper ist Teil
des Universums -jedes Teilchen, jede Zelle. Er ist das, was dich
dem Universum am nächsten bringt. Dein Körper ist dir der al-
lernächste Zugang zum Universum. Der Atem ist die Brücke.
Wenn die Brücke unterbrochen ist, bist du nicht mehr im Körper.
Wenn die Brücke unterbrochen ist, bist du nicht mehr im Uni-
versum. Dann gehst du in eine unbekannte Dimension; dann be-
findest du dich nicht mehr im Raum und in der Zeit. Drittens also
ist der Atem die Brücke zwischen dir, dem Raum und der Zeit.
Der Atem ist daher von höchster Bedeutung — das Wichtigste
61
Das Buch der Geheimnisse
überhaupt. Daher haben die ersten neun Techniken mit dem At-
men zu tun. Durch sie kommst du plötzlich in die Gegenwart,
triffst du plötzlich auf die Quelle des Lebens, kannst du Zeit und
Raum hinter dir lassen. Durch bestimmte Atemtechniken wirst
du in der Welt sein und zugleich jenseits von ihr.
Der Atem hat zwei Pole — der eine ist dort, wo er den Körper
und das Universum berührt, und der andere dort, wo er dich
berührt, und damit das, was über das Universum hinausgeht. Wir
kennen nur den einen Teil des Atems. Wir kennen ihn nur dort,
wo er ins Universum, in den Körper geht. Aber er geht jedesmal
vom Körper zum Nicht-Körper, vom Nicht-Körper zum Körper.
Den anderen Punkt kennen wir nicht. Wenn man sich den ande-
ren Punkt bewußt macht, das andere Ende der Brücke, den ande-
ren Brückenkopf, wird man plötzlich verwandelt, in eine andere
Dimension versetzt.
Aber bedenkt: Shiva spricht nicht von Yoga, sondern von Tan-
tra. Yoga arbeitet ebenfalls mit dem Atem, aber die Techniken von
Yoga und Tantra unterscheiden sich grundsätzlich. Yoga will das
Atmen systematisieren. Wenn du dein Atmen systematisierst,
macht dich das gesünder. Wenn du dein Atmen systematisierst
und die Geheimnisse des Atmens kennst, verlängert sich dein Le-
ben: du wirst gesünder und lebst länger. Du wirst stärker, ener-
giegeladener, vitaler — lebendig, jung, frisch. Aber darum geht es
beim Tantra nicht. Im Tantra geht es nicht um irgendeine Syste-
matisierung des Atmens, sondern allein darum, den Atem als
Technik dafür zu nutzen, sich nach innen zu wenden. Man muß
keinen bestimmten Atemstil üben, weder ein bestimmtes Atem-
system, noch einen bestimmten Atemrhythmus — nein! Man
nimmt das Atmen so, wie es ist. Man muß sich dabei nur gewis-
se Punkte bewußt machen.
Es gibt da gewisse Punkte, aber wir sind uns ihrer nicht bewußt.
Wir atmen seit eh und je, wir werden atmend geboren und wir
sterben atmend, aber wir sind uns dieser Punkte nicht bewußt.
Und das ist seltsam. Der Mensch forscht, dringt rief in den Welt-
raum vor, fährt zum Mond. Der Mensch will immer weiter von
der Erde ins All dringen und kennt nicht das, was ihm im Leben
am nächsten ist. Es gibt beim Atmen bestimmte Punkte, die ihr
62
Kapite13
euch noch nie bewußt gemacht habt, und diese Punkte sind Türen
- die allernächsten Türen, die euch in eine andere Welt hinein-
führen können, in ein anderes Dasein, ein anderes Bewußtsein.
Aber sie sind sehr versteckt.
Einen Mond zu beobachten ist nicht sehr schwer. Selbst den
Mond zu erreichen ist nicht sehr schwer: Das ist nur eine Reise
im Groben. Man braucht dazu die Technologie des Maschinen-
zeitalters, man braucht spezialisiertes Wissen, und dann geht's. At-
men ist euch das allernächste, und je näher ein Objekt, desto
schwerer ist es zu erkennen. Je näher, desto schwieriger; je offen-
sichtlicher, desto schwieriger. Es ist euch so nah, daß es schon kei-
nen Raum mehr zwischen euch und eurem Atmen gibt. Oder,
der Abstand ist so gering, daß eine äußerst scharfsichtige Beob-
achtung dazu gehört, bevor man bestimmter Punkte gewahr wird.
Um diese Punkte geht es bei diesen Techniken. Jetzt also jede
Technik im einzelnen:
Shiva antwortet:
Das ist die Technik: „Strahlende, diese Erfahrung mag dir zwi-
schen zwei Atemzügen dämmern.” Nachdem der Atem herein-
gekommen, das heißt unten ist, und kurz bevor er nach außen
geht, das heißt aufsteigt - „die Wohltat”. Richte deine Bewußtheit
auf das, was zwischen diesen zwei Punkten ist - und dann das Er-
eignis ... Wenn dein Atem hereinkommt, schau zu. Wenn dein
Atem hereinkommt, beobachte! Für einen einzigen Moment, oder
den tausendsten Teil eines Moments, ist kein Atem da: ehe er sich
aufwärts wendet, ehe er nach außen geht. Der Atem kommt her-
ein - dann kommt ein gewisser Punkt, und das Atmen steht still.
Danach geht der Atem hinaus. Wenn der Atem hinausgeht, bleibt
das Atmen wiederum für einen einzigen Moment - oder den
Bruchteil eines Moments - stehen. Dann wieder das Einatmen.
63
Das Buch der Geheimnisse
Ehe der Atem sich wendet, nach innen oder außen, kommt ein
Moment, wo du nicht atmest. In diesem Moment ist das Ereignis
möglich, denn wenn du nicht atmest, bist du nicht in der Welt.
Macht euch das klar: Wenn du nicht atmest, bist du tot: du bist
zwar noch, aber tot. Aber der Augenblick ist von so kurzer Dau-
er, daß du es nie bemerkst.
Für Tantra ist jeder Atem, der nach außen geht, ein Tod, und
jeder neue Atemzug ist eine Neugeburt. Einströmender Atem ist
Wiedergeburt, ausströmender Atem ist Tod. Der ausströmende
Atem ist gleichbedeutend mit Tod: der einströmende Atem ist
gleichbedeutend mit Leben. Mit jedem Atemzug stirbst du also
und wirst wiedergeboren. Die Lücke dazwischen ist von sehr kur-
zer Dauer, aber eine scharfe, unbestechlich wache Beobachtung
kann dir die Lücke bewußt machen. Wenn du die Lücke spüren
kannst, so sagte Shiva — „die Wohltat”. Dann ist nichts anderes
nötig. Du bist gesegnet. Du hast erkannt: die Sache ist passiert.
Du brauchst das Atmen nicht zu üben. Lasse es, wie es ist. Wie
kann eine Technik so einfach sein?! Es sieht einfach aus, nicht
wahr? Eine so einfache Technik soll zur Wahrheit führen? Die
Wahrheit zu erkennen heißt: das zu erkennen, was weder gebo-
ren wird noch stirbt, jenes ewige Element, das immer ist. Den Ein-
Atem, den Aus-Atem kannst du erkennen, aber die Lücke da-
zwischen erkennst du nie.
Versuche es. Plötzlich wird dir der Punkt bewußt. Und du
kannst ihn finden: er ist bereits da. Nichts braucht dir oder deiner
Struktur hinzugefügt zu werden: Alles ist schon da. Alles ist schon
da, außer der Bewußtheit. Wo also anfangen? Werde dir zunächst
des einströmenden Atems bewußt: beobachte ihn, vergiß alles an-
dere und beobachte den Ein-Atem — einfach nur das Strömen.
Wenn der Atem deine Nasenlöcher berührt, spüre ihn dort. Dann
laß den Atem einströmen. Gehe voll bewußt mit dem Atem mit.
Wenn du mit dem Atem tief nach innen gehst, bleibe am Ball.
Eile ihm nicht voraus; folge ihm nicht nach, begleite ihn nur.
Denk daran: Laufe nicht vor und folge nicht wie ein Schatten,
sondern gehe mit ihm mit.
Atem und Bewußtheit müssen quasi eins werden. Der Atem
kommt herein: Du gehst mit. Nur so ist es möglich, den Punkt
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Kapite13
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Das Buch der Geheimnisse
Wenn sich der Atem von unten nach oben kehrt, und dann
wiederum, wenn er sich von oben nach unten kehrt — durch diese
beide Wendungen, erkenne!
Das ist das gleiche, aber mit einem feinen Unterschied. Die Be-
tonung liegt jetzt nicht auf der Lücke, sondern auf dem Wende-
punkt. Ein — und ausströmender Atem bilden einen Kreis. Ihr
dürft nicht vergessen, daß es sich nicht um zwei parallele Linien
handelt. Wir stellen uns hier immer zwei parallele Linien vor —
einströmender Atem und ausströmender Atem. Das stimmt nicht.
Der einströmende Atem ist die eine Hälfte des Kreises; der aus-
strömende Atem ist die andere.
Das müßt ihr verstehen. Erstens: Ein — und Ausatmen bilden
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Kapitel 3
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Kapitel 3
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Kapitel 3
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Das Buch der Geheimnisse
nichts vom Atmen, und darum wird es euch schwerfallen, dies Su-
tra zu verstehen.
Shiva sagt: „Oder, wann immer der einströmende Atem mit
dem ausströmenden Atem zusammenfließt, in diesen Augenblick
berühre das energielose, energieerfüllte Zentrum.” Er benutzt sehr
widersprüchliche Begriffe: „Energielos, energieerfüllt.” Energie-
los — weil weder dein Körper noch dein Geist deinem Zentrum
Energie geben können. Deine Körperenergie befindet sich nicht
dort, deine geistige Energie befindet sich nicht dort, und so ver-
standen ist es „energielos” in bezug auf deine Identität, wie du
dich kennst. Aber es ist energieerfüllt, weil ihm die kosmische
Energiequelle zur Verfügung steht und gar nicht auf deine Kör-
perenergie angewiesen ist.
Deine Körperenergie ist nur Brennstoffenergie. Sie ist nur Ben-
zin. Du ißt etwas, du trinkst etwas: Das erzeugt Energie. Damit
gibst du lediglich dem Körper Brennstoff. Hör auf zu essen und
zu trinken, und dein Körper fällt tot um; nicht gleich jetzt — es
wird mindestens drei Monate dauern, denn du hast Benzin-
reserven. Du hast viel Energie akkumuliert; der Körper kann min-
destens drei Monate weiterlaufen ohne zu tanken. Er läuft und
läuft: er hat einen Reservetank. Im Notfall, irgendeinem Notfall —
könntest du ihn brauchen. Das ist Brennstoffenergie. Dein Zen-
trum bekommt keine Brennstoffenergie. Darum nennt Shiva es
„energielos”. Es ist nicht von deinem Essen und Trinken abhän-
gig. Es ist mit der kosmischen Quelle verbunden; es ist kosmische
Energie, daher spricht er von dem „energielosen, energieerfüllten
Zentrum”. In dem Moment, da du das Zentrum fühlen kannst,
genau den Punkt, von wo aus der Atem ein — und ausströmt, wo
er verschmilzt, wo die Atemzüge verschmelzen — wenn dir die-
ses Zentrum bewußt wird, dann ... die Erleuchtung.
Oder, wenn der Atem ganz draußen ist oder ganz drinnen,
und von allein stillsteht — in solch einer universalen Pause
verschwindet das eigene kleine Selbst. Dies ist schwierig nur
für den Unreinen.
76
Kapitel 3
Aber dann ist es für jeden schwierig, denn er sagt: „Dies ist
schwierig nur für den Unreinen. ” Wer ist aber schon rein? Es ist
schwierig für euch. Ihr könnt diese Technik nicht praktizieren.
Aber manchmal stößt man plötzlich darauf. Du fährst Auto und
plötzlich merkst du, daß gleich ein Unfall passiert. Der Atem
stockt. Hast du grade ausgeatmet, bleibt der Atem draußen. Hast
du grade eingeatmet, bleibt er drinnen. In einer solchen Situation
kannst du nicht atmen. Das kannst du dir nicht leisten. Alles steht
still, fällt ab von dir.
„Oder, wenn der Atem ganz draußen ist, oder ganz drinnen,
und von allein stillsteht - in solch einer universalen Pause ver-
schwindet das eigene kleine Selbst. ” Dein „kleines Selbst” ist nur
ein täglicher Gebrauchsgegenstand. In Krisensituationen kannst
du dich nicht daran erinnern: Wer du bist - dein Name, dein
Konto, dein Prestige -, all das löst sich einfach in Dunst auf. Dein
Wagen fährt genau auf einen anderen Wagen zu; noch einen Mo-
ment, und der Tod ist da. In diesem Moment entsteht eine Pause.
Selbst für den „Unreinen” wird es eine Pause geben. Plötzlich
steht der Atem still. Wenn du in diesem Moment bewußt bleibst,
kannst du das Ziel erreichen.
Die Zen-Mönche in Japan haben sehr viel mit dieser Methode
experimentiert. Darum kommen uns ihre Methoden so ausgefal-
len, so absurd, so merkwürdig vor. Sie machen die überraschend-
sten Dinge: ein Lehrer wirft zum Beispiel jemanden aus dem
Haus. Oder der Lehrer schlägt plötzlich auf den Schüler ein, ohne
jeden Sinn und Zweck, ohne Grund.
Du hast eben noch neben deinem Lehrer gesessen, und alles
war okay. Ihr habt nur so geplaudert, und plötzlich gibt er dir ei-
nen Schlag - um die Pause zu erzeugen. Gäbe es irgendeinen
Grund, könnte die Pause nicht entstehen. Hättest du deinen Leh-
rer beschimpft und er hätte dich daraufhin geschlagen, dann gäbe
es eine Kausalität. Dein Kopf versteht: „Ich habe ihn beleidigt, nun
schlägt er mich.” Das war zu erwarten gewesen, es entsteht also
keine Lücke. Aber vergiß nicht: Ein Zen-Lehrer wird dich, wenn
du ihn beleidigst, nicht schlagen; er wird lachen, weil dann sein
Gelächter die Lücke erzeugt. Du hast ihn beschimpft und ihm
lauter unverschämte Dinge gesagt und hast mit seiner Wut
77
Das Buch der Geheimnisse
gerechnet: Aber er fängt zu lachen oder zu tanzen an. Das ist un-
verhofft: das erzeugt eine Pause. Du kannst es nicht verstehen.
Was er nicht verstehen kann, davor stutzt der Geist. Und wenn
der Geist stillsteht, steht der Atem still. Es gilt für beide Richtun-
gen: steht der Atem still, steht der Geist still: steht der Geist still,
steht der Atem still.
Du hast den Lehrer bewundert, hast dich wohl gefühlt und
gedacht, jetzt muß er aber mit mir zufrieden sein`. Und dann
nimmt er seinen Stock und schlägt dich, und zwar gnadenlos,
denn Zen-Meister sind gnadenlos. Er schlägt dich, und du weißt
nicht, was los ist. Dein Denken steht still, es gibt eine Pause.
Wenn du sie zu nutzen weißt, kannst du zu deinem Selbst vor-
dringen.
Es gibt viele Geschichten, wie jemand zur Buddhaschaft ge-
langte, weil ihm der Lehrer plötzlich einen Hieb versetzte. Ihr fin-
det das unbegreiflich: „Was für ein Unsinn? Wie soll man zur
Buddhaschaft gelangen, wenn man von jemandem verprügelt
oder aus dem Fenster geworfen wird? Selbst wenn mich jemand
töten würde, könnte ich dadurch keine Buddhaschaft erlangen.”
Aber wenn ihr diese Technik versteht, werdet ihr es leicht be-
greifen können. Vor allem im Westen wird Zen in den letzten
dreißig oder vierzig Jahren immer beliebter, zur Mode. Aber be-
vor sie im Westen diese Technik nicht verstehen, können sie auch
Zen nicht verstehen. Sie können zwar nachahmen, aber Nachah-
mung bringt nichts. Im Gegenteil, sie ist gefährlich. Dies sind kei-
ne Dinge, die man nachahmen kann.
Die gesamte Zen-Methodik beruht auf der vierten Technik Shi-
vas. Aber unglücklicherweise müssen wir heute den Zen aus Japan
i mportieren, weil wir in Indien die ganze Tradition verloren ha-
ben; wir kennen sie nicht mehr. Shiva war der Experte par excel-
lence in dieser Methode. Als er kam, um Devi zu heiraten, mit
seinem ganzen Gefolge, seinem Barat, da muß es der ganzen Stadt
den Atem verschlagen haben, die ganze Stadt stand still!
Devis Vater war nicht gewillt, seine Tochter an diesen Hippie
zu verheiraten. Shiva war der Ur-Hippie. Devis Vater war total
gegen ihn, und kein Vater der Welt hätte diese Ehe zugelassen,
keiner! Wir dürfen es Devis Vater nicht übelnehmen; kein Vater
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Kapitel 3
würde die Ehe mit Shiva billigen. Aber dann bestand Devi darauf,
und er mußte einwilligen — widerstrebend, unglücklich, aber er
willigte ein.
Dann kam die ganze Hochzeitprozession. Es heißt, daß alle
rannten, um Shiva und seine Prozession zu sehen. Das gesamte
Barat mußte LSD genommen haben, Marihuana. Alle waren an-
getörnt. Und wirklich, LSD und Marihuana sind kleine Fische:
Shiva mit seinen Freunden und Schülern waren im absoluten Psy-
chedelikum: Soma rasa. Aldous Huxley hat den Inbegriff aller
Drogen nur Shiva zu Ehren „Soma” genannt. Alle waren an-
getörnt, tanzten und schrien und lachten. Die ganze Stadt rannte
davon. Sie muß diese Pause, den Stillstand gespürt haben.
Alles Plötzliche, Unerwartete, Unglaubliche kann für den Un-
reinen die Pause erzeugen. Aber für den Reinen sind solche Din-
ge nicht nötig. Für den Reinen ist die Pause immer da. Die Pause
währt immer! Viele Male bleibt dem reinen Geist der Atem ste-
hen, viele Male! Wenn dein Geist rein ist — und „rein” heißt, daß
du nichts verlangst, begehrst, herbeisehnst, daß du schweigend
rein, unschuldig rein bist — dann kannst du einfach nur dasitzen,
und plötzlich bleibt dein Atem einfach stehen.
Vergeßt nicht: Damit sich der Geist bewegen kann, braucht er
die Atembewegungen. Ein schneller Gedankenablauf braucht eine
schnelle Atembewegung. Darum geht der Atem so schnell, wenn
du wütend bist. Im Sexakt wird das Atmen schneller. Darum steht
in der Ayurveda, daß Sex lebensverkürzend wirkt: dein Leben
wird laut Ayurveda durch zuviel beschnitten, denn die Ayurveda
mißt das Leben nach Atemzügen. Wenn dein Atem zu schnell
geht, wird dein Leben verkürzt.
Die modernen Mediziner sagen, daß Sex für den Kreislauf gut
ist, daß er zur Entspannung verhilft, und daß derjenige, der den
Sex verdrängt, Schwierigkeiten bekommt, vor allem Herzbe-
schwerden. Und sie haben recht. Und die Ayurveda hat auch
recht. Das scheint widersprüchlich, aber die Ayurveda wurde vor
fünftausend Jahren geschrieben, wo jedermann hart arbeitete. Das
Leben bestand aus Schwerarbeit, man brauchte also keine Ent-
spannungsübungen, man brauchte den Blutkreislauf nicht künst-
lich anzuregen.
79
Das Buch der Geheimnisse
Aber heute ist für die Menschen, die keine körperliche Schwer-
arbeit tun, der Sex die einzige Schwerarbeit. Darum hat auch die
moderne Medizin recht, die den modernen Menschen betrifft. Er
strengt sich körperlich nicht so an, und da bietet der Sex die nöti-
ge Anstrengung: das Herz schlägt schneller, der Kreislauf wird an-
geregt, der Atem geht tief, bis zum Zentrum. Darum fühlt man
sich nach dem Geschlechtsverkehr entspannt und kann leicht ein-
schlafen. Freud nennt den Sex das beste Beruhigungsmittel: und
das ist er auch, wenigstens für den modernen Menschen. Im Sex
geht der Atem also schneller, in der Wut auch. Im Sex ist der Geist
voller Verlangen, Wollust — „Unreinheit”. Wenn der Geist rein ist
und kein Verlangen, kein Suchen, keine Motivation in ihm ist —
du willst nirgendwo hin, sondern bleibst nur im Hier und Jetzt,
ein Teich von Unschuld, den nicht die leiseste Welle kräuselt —
dann hört das Atmen automatisch au£ Es ist nicht mehr nötig.
Auf diesem Weg verschwindet das kleine Selbst, und du ge-
langst zum höheren Selbst, zum Allerhöchsten Selbst.
80
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Die Täuschungsmanöver des Kopfes
[Fragen]
83
Das Buch der Geheimnisse
Diese Frage ist wichtig, und sie ist sicher schon in vielen Köp-
fen aufgetaucht. Hier gibt es also vieles zu verstehen. Erstens: daß
die Spiritualität für eine schwierige Errungenschaft gehalten wird.
Sie ist weder-noch, das heißt, sie ist weder schwierig, noch eine
Errungenschaft. Was immer du bist, du bist schon spirituell: dei-
nem Wesen braucht nichts Neues hinzugefügt zu werden. Und
nichts von deinem Wesen braucht verworfen zu werden. Du bist
so perfekt wie nur möglich. Nicht, daß du irgendwann in der Zu-
kunft einmal perfekt sein wirst, nicht, daß du dich furchtbar an-
strengen mußt, um du selbst zu sein! Es ist keine Reise irgend-
wohin; es geht nirgends hin. Du bist schon angekommen. Das,
was es zu erreichen gibt, ist schon erreicht. Laß diese Vorstellung
tief einsinken, nur dann kannst du verstehen, warum so einfache
Techniken helfen können.
Wenn Spiritualität eine Errungenschaft ist, dann wird es natür-
lich schwierig — nicht nur schwierig, sondern unmöglich. Wenn
du nicht schon spirituell bist, kannst du es nie sein. Du kannst es
nie sein, denn wie soll einer, der nicht schon spirituell ist, spiritu-
ell werden? Wenn du nicht schon göttlich bist, dann führt kein
Weg dorthin. Und du kannst anstellen, was du willst — niemand,
der nicht bereits göttlich ist, kann Göttlichkeit erzeugen. Un-
möglich!
Aber es ist alles ganz anders: du bist schon das, was du erreichen
willst. Hier und jetzt, in diesem Augenblick, bist du das, was man
„das Göttliche” nennt. Das Letzte und Höchste ist hier, es findet
bereits statt. Aus diesem Grund können einfache Techniken hel-
fen. Es ist keine Errungenschaft, sondern eine Entdeckung. Es ist
versteckt, und zwar in ganz, ganz kleinen Dingen.
Die Persona ist wie Kleider. So wie dein Körper da ist und in
Kleidern steckt, genauso ist deine Spiritualität da und steckt ge-
wissermaßen in Kleidern. Diese Kleider sind deine Persönlichkeit.
Du kannst hier und jetzt ganz nackt sein, und genauso kannst du
auch in deiner Spiritualität ganz nackt sein. Aber du weißt nicht,
was diese Kleider sind. Du weißt nicht, inwiefern du in ihnen ver-
steckt bist; du weißt nicht, wie du nackt sein kannst. Du lebst
schon so lange in deinen Kleidern — viele, viele Leben lang hast
du schon mit Kleidern gelebt und dich mit den Kleidern identifi-
84
Kapitel 4
ziert -, daß du sie jetzt nicht mehr für Kleider hältst. Du glaubst,
diese Kleidung, das wärst du. Das ist das einzige Hindernis.
Zum Beispiel besitzt du einen Schatz, hast es aber vergessen
oder noch nicht erkannt und gehst auf die Straße betteln. Du bist
ein Bettler. Wenn jemand sagt: „Geh nach Hause und schau dich
dort um, du brauchst kein Bettler zu sein, du kannst gleich jetzt
ein Kaiser sein”, dann antwortet der Bettler natürlich: „Was redest
du da für Unsinn? Wie kann ich in diesem Augenblick ein Kaiser
sein? Ich bettle seit Jahren und bin immer noch ein Bettler, und
selbst wenn ich das ganze Leben lang weiter bettle, werde ich
trotzdem kein Kaiser sein. Wie absurd und unlogisch, daß ich jetzt
in diesem Augenblick ein Kaiser sein könnte!”
Ausgeschlossen - der Bettler kann es nicht glauben. Warum?
Weil die Bettel-Haltung eine lange Gewohnheit ist. Aber wenn
der Schatz wirklich im Haus versteckt ist, dann kann er gehoben
werden, einfach indem man ein bißchen gräbt, ein bißchen Erde
wegräumt. Und augenblicklich ist man kein Bettler mehr, man ist
ein Kaiser.
Genauso ist es mit der Spiritualität. Sie ist ein verborgener
Schatz. Nichts braucht irgendwo in der Zukunft erreicht zu wer-
den. Du weißt es noch nicht, aber sie ist vorhanden, ist schon in
dir. Du bist der Schatz, aber du gehst weiter betteln. Einfache
Techniken können also helfen. Ein wenig zu graben, ein bißchen
Erde beiseite zu räumen, das ist keine große Anstrengung; du
kannst augenblicklich zum Kaiser werden. Du brauchst nur ein
bißchen zu graben und Erde wegzuräumen. Und wenn ich sage,
„Erde wegräumen”, dann meine ich das nicht nur symbolisch.
Dein Körper gehört buchstäblich der Erde an, und du hast dich
mit dem Körper identifiziert. Räume diese Erde etwas zur Seite,
grabe ein Loch hinein, und du wirst den Schatz erkennen.
Darum wird sich diese Frage vielen, ja, jedem stellen: „Eine so
belanglose Technik wie diese - nur auf den Atem zu achten, auf
das Ein - und Ausatmen und die Pause dazwischen -, ist das ge-
nug?” So etwas Einfaches! Reicht das zur Erleuchtung? Soll das
der einzige Unterschied zwischen dir und Buddha sein, daß du
die Lücke zwischen zwei Atemzügen noch nicht wahrgenommen
hast, Buddha aber schon? Das soll alles sein? Das scheint absurd.
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 4
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 4
Auch dies sind Formeln; wenn man also nur die Formel sieht,
erscheint sie ganz klein und einfach. Das ist sie nicht! Probiere sie
aus! Wenn du es tust, dann weißt du, daß es nicht so einfach ist. Es
sieht einfach aus, gehört aber zum Allertiefsten. Laßt uns den Vor-
gang analysieren, dann werdet ihr verstehen.
Wenn ihr einatmet, fühlt ihr nie den Atem. Ihr habt nie den
Atem gefühlt! Das werdet ihr sofort bestreiten und sagen: „Das
stimmt nicht. Wir mögen nicht ständig drauf achten, aber fühlen
tun wir ihn.” Nein, ihr fühlt den Atem nicht: Ihr fühlt nur sein
Strömen.
Das meint Shiva nicht, wenn er sagt: „Nehmt ihn wahr.” Seht
euch das Meer an: Wellen sind da, ihr seht die Wellen. Aber die-
se Wellen werden von der Luft erzeugt, dem Wind. Aber den
Wind seht ihr nicht. Ihr seht nur die Auswirkung auf dem Was-
ser. Wenn ihr Atem holt, berührt er die Nasenflügel. Ihr fühlt die
Nasenflügel, aber nie den Atem. Er geht hinunter: Ihr fühlt ihn
strömen. Er kommt zurück: Wieder fühlt ihr ihn strömen. Den
Atem fühlt ihr nie. Ihr fühlt nur seine Berührung, wenn er durch-
kommt. Anfangs müßt ihr sein Vorbeikommen wahrnehmen.
Und wenn ihr das vollkommen könnt — erst dann — werdet ihr
nach und nach den Atem selbst wahrnehmen. Und wenn ihr den
Atem wahrnehmt, könnt ihr auch die Lücke, das Intervall bewußt
wahrnehmen. Es ist nicht so leicht, wie es aussieht. Es ist nicht so
leicht!
Für Tantra, für die ganze indische Spiritualität, gibt es Bewußt-
seinsschichten. Wenn ich dich umarme, nimmst du zuerst meine
Berühumg auf deinem Körper wahr — nicht meine Liebe. Meine
Liebe ist weniger grob. Und gewöhnlich nehmen wir Liebe über-
haupt nicht wahr. Wir nehmen nur Körperbewegungen wahr.
Wir kennen liebevolle Gesten, wir kennen lieblose Gesten — aber
Liebe selbst erkennen wir nie. Wenn ich dich küsse, nimmst du
die Berührung wahr, nicht meine Liebe, diese Liebe ist etwas sehr
Feines. Und solange du nicht meine Liebe wahrnimmst, ist der
Kuß einfach tot, er bedeutet nichts. Nur wenn du meine Liebe
wahrnehmen kannst, nur dann kannst du auch mich wahrneh-
men, denn das ist wieder eine tiefere Schicht.
Der Atem kommt herein: du fühlst seine Berührung, nicht den
89
Das Buch der Geheimnisse
Atem selbst. Aber du bist dir nicht einmal dieser Berührung be-
wußt. Nur wenn etwas nicht stimmt, wenn du Probleme mit dem
Atem hast, dann spürst du ihn; sonst aber nimmst du ihn nicht
wahr. Der erste Schritt ist also, sich das passieren des Atems be-
wußt zu machen, seine Berührung zu spüren. Dadurch wächst
deine Empfindsamkeit. Es wird Jahre dauern, so empfindsam zu
werden, daß man nicht nur die Berührung, sondern die Atembe-
wegung selbst erkennt. Dann, so sagt Tantra, hat man das Prana
kennengelernt — die Lebens-Energie. Und nur dann erscheint
auch die Lücke, wo der Atem anhält, wo der Atem sich nicht be-
wegt — oder das Zentrum, an das der Atem rührt, oder der Fu-
sionspunkt, oder der Wendepunkt, wo der einströmende Atem
sich wieder nach außen wendet. Es wird schwer sein; es ist nicht
so leicht.
Nur wenn du es ausprobierst, wenn du wirklich in das Zentrum
gehst, wirst du wissen, wie schwierig es ist. Buddha brauchte sechs
Jahre dazu, um zu diesem Zentrum jenseits des Atems zu kom-
men. Um zu diesem Wendepunkt zu gelangen, benötigte er eine
lange, entbehrungsreiche Reise von sechs Jahren. Dann geschah
es. Mahavir arbeitete zwölf Jahre daran, ehe es geschah. Aber die
Formel ist einfach, und theoretisch kann es jetzt gleich geschehen
— theoretisch, vergiß das nicht. Theoretisch gibt es da keine Hin-
dernisse, warum also nicht gleich jetzt? Du bist das Hindernis. Es
liegt nur an dir, daß es nicht in diesem Augenblick passiert. Der
Schatz ist da; die Methode ist dir bekannt: Du kannst graben. Aber
du willst gar nicht graben. Selbst diese Frage ist ein Trick, um
nicht graben zu müssen, denn dein Kopf sagt: „So etwas Einfa-
ches? Sei kein Dummkopf. Wie kannst du durch so etwas Einfa-
ches zum Buddha werden? Das kann doch nicht sein!” Also tust
du gar nichts, denn wie kann das angehen? Der Kopf ist voller
Tricks. Sage ich, daß es sehr schwer ist, sagt er, daß es so schwer
ist, daß du es nicht schaffen kannst. Sage ich, es ist sehr leicht, sagt
der Kopf: „Das ist zu leicht! Da können nur Narren drauf reinfal-
len.” Der Kopf rationalisiert immer nur und rennt vor dem Tun
davon. Der Kopf schafft Hindernisse. Du blockierst dich, wenn
du glaubst, es sei zu einfach oder zu schwer — denn was dann?
Wenn du nichts Leichtes und nichts Schweres tun kannst, was tust
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Kapitel 4
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite14
aber nicht für euch. Euer Kopf wird Schwierigkeiten machen. Pro-
biert es nur!
Wenn ich dieser Methode folge, auf meinen Atem zu achten, wenn
ich also nur auf mein Atmen achtgebe, dann kann ich nichts anderes
tun. Meine ganze Aufmerksamkeit ist daraufgerichtet. Und wenn
ich etwas anderes tue, dann kann ich nicht auf mein Atmen achten.
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Das Buch der Geheimnisse
dein Gehen wie für dein Atmen. Schaffe keinen Konflikt zwi-
schen dem Gehen und dem Atmen. Beobachte beides; es ist nicht
schwierig.
Schaut, ich kann zum Beispiel meine ganze Aufmerksamkeit
auf ein Gesicht hier richten. Wenn ich nur ein Gesicht ansehe, exi-
stieren alle anderen Gesichter hier nicht für mich. Wenn ich mei-
ne Aufmerksamkeit auf ein Gesicht richte, sind alle anderen aus-
geklammert. Wenn ich meine Aufmerksamkeit nur auf die Nase
in diesem Gesicht richte, dann wird das übrige Gesicht ausge-
klammert. Ich kann meine Aufmerksamkeit auf einen einzigen
Punkt verengen.
Das Umgekehrte ist auch möglich. Ich nehme das ganze Ge-
sicht wahr, und dann sind auch Augen und Nase und alles übrige
da. Dann verschiebe ich meinen Brennpunkt: ich sehe euch nicht
als Individuen, sondern als Gruppe. Dann ist meine Aufmerk-
samkeit auf die ganze Gruppe gerichtet. Wenn ich zwischen euch
und dem Lärm auf der Straße einen Unterschied mache, dann
klammere ich die Straße aus. Ich kann aber euch und die Straße
als ein Ganzes betrachten, dann kann ich euch und auch die Straße
bewußt wahrnehmen. Ich kann den ganzen Kosmos bewußt
wahrnehmen. Es kommt auf den Blickwinkel an, darauf, daß er
immer größer und weiter wird. Fangt aber erst mit Aufmerksam-
keit an und vergeßt nicht, daß ihr in die Bewußtheit hineinwach-
sen müßt. Legt also eine bestimmte kurze Zeit fest: der Morgen
ist gut, weil man dann frisch ist, die Energien sind unverbraucht,
alles erwacht. Am Morgen bist du lebendiger. Die Physiologen sa-
gen, daß du morgens nicht nur lebendiger bist, sondern sogar et-
was größer als am Abend. Wenn du einen Meter achtzig groß bist,
dann bist du am Morgen einen Meter einundachtzig. Und abends
bist du wieder einen Meter achtzig. Ein Zentimeter ist verloren-
gegangen, denn dein Rückgrat schrumpft, wenn es müde ist. Mor-
gens bist du also frischjung, sprühend vor Energie.
Am besten setzt du die Meditation nicht an die letzte Stelle in
deinem Tagesplan, sondern an die erste. Wenn es dann keine
Anstrengung mehr ist, eine ganze Stunde völlig ins Atmen ver-
sunken dazusitzen, bewußt, aufmerksam, wenn du dir gewiß bist,
daß du ohne Mühe aufs Atmen achten kannst und es auch ent-
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Kapitel 4
spannt und ohne Zwang genießt, dann hast du den Bogen raus.
Füge dann etwas anderes hinzu — zum Beispiel Spazierengehen.
Achte auf beides, und mach allmählich immer mehr. Nach einer
gewissen Zeit wirst du ständig auf deinen Atem achten können,
sogar wenn du schläfst. Und solange du ihn nicht auch im Schlaf
beobachten kannst, lernst du nicht seine Tiefen kennen. Aber es
wird geschehen: mit der Zeit wirst du es können. Man muß ge-
duldig sein und die Sache auf richtige Art und Weise beginnen.
Das mußt du, denn dein gerissener Verstand wird dir immer ein-
flüstern wollen, falsch anzufangen, damit du nach zwei, drei Tagen
aufhören und sagen kannst: Hoffnungsloser Fall. Der Verstand
will dir einen falschen Start geben. Achte darauf, daß du es richtig
anfängst, denn damit ist es schon halb getan. Aber wir fangen
falsch an.
Du weißt genau, wie schwierig es ist, aufmerksam zu bleiben,
denn du weißt, wie fest du schläfst. Wenn du also gleich auf dein
Atmen achten willst, während du etwas anderes tust, dann geht es
nicht. Und dann hörst du nicht etwa mit dieser anderen Beschäf-
tigung auf, sondern achtest nicht mehr auf den Atem. Mach dir
also keine unnötigen Probleme. Irgendwo in vierundzwanzig
Stunden läßt sich eine kleine Ecke finden. Vierzig Minuten genü-
gen, da kannst du diese Technik ausprobieren. Aber der Verstand
findet viele Ausreden. Der Verstand sagt: „Woher die Zeit neh-
men? Es gibt so schon Arbeit genug zu tun. Wo ist die Zeit dazu?”
Oder: „Es ist jetzt nicht möglich, verschiebe es auf später. Irgend-
wann in Zukunft, wenn es mir besser paßt, werde ich es tun.”
Hüte dich vor dem, was dir dein Verstand sagt. Vertraue dem
Verstand nicht allzu sehr. Und wir bezweifeln den Verstand nie.
Wir können alles anzweifeln, nur nicht unseren eigenen Verstand.
Selbst die Leute, die immerzu von Skepsis, Zweifel und Ver-
nunft reden — selbst sie bezweifeln nie ihren eigenen Verstand. Und
euer Verstand hat euch dahin gebracht, wo ihr jetzt seid. Wenn
ihr in der Hölle lebt, hat euch euer Verstand dahin gebracht, und
ihr zweifelt nie an diesem Führer! Ihr könnt jeden Lehrer, jeden
Meister bezweifeln, aber ihr bezweifelt nie euren Verstand. Ohne
geringstes Zögern macht ihr ihn zum Guru. Und der Verstand hat
euch in das Chaos, in das Elend gebracht, das ihr seid. Wenn ihr
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Kapitel 4
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Das Buch der Geheimnisse
Er ist sehr intelligent. Aber weil du glaubst, es sei dein Kopf, hast
du nie Zweifel an ihm. Es ist aber nicht dein Kopf: er ist nur ein
gesellschaftliches Produkt. Er ist nicht deiner. Er ist dir mitgege-
ben worden; er ist dir aufgezwungen worden. Du bist auf eine be-
stimmte Weise erzogen und konditioniert worden. Von frühester
Kindheit an ist dein Kopf von anderen geprägt worden — von El-
tern, Gesellschaft, Lehrern. Die Vergangenheit prägt deinen Kopf,
beeinflußt deinen Kopf. Die tote Vergangenheit zwängt sich stän-
dig den Lebenden auf. Lehrer sind nur die Agenten, die Agenten
der Toten gegen die Lebenden. Sie zwingen euch ständig etwas
auf. Aber dein Geist ist dir so eng vertraut, der Abstand ist so ge-
ring, daß du dich mit ihm identifizierst.
Du sagst: „Ich bin ein Hindu.” Überleg es dir, denk noch einmal
nach. Du bist kein Hindu! Du bist zum Hindu gestempelt wor-
den. Du bist nur als ein einfaches, unschuldiges Wesen geboren
worden, nicht als Hindu, nicht als Mohammedaner. Aber dir wur-
de ein mohammedanischer Stempel aufgedrückt, ein hinduisti-
scher Stempel. Du bist in eine besondere Form gezwängt, ge-
bunden, eingekerkert worden, und dann fügt das Leben dieser
Einstellung immer mehr hinzu, und dein Kopf wird schwer, er
belastet dich schwer. Du kannst nichts tun; dein Denken fängt an,
dir sein Gesetz aufzuerlegen. Es verleibt sich deine Erfahrungen
ein. Ständig beeinflußt deine Vergangenheit jeden deiner gegen-
wärtigen Augenblicke. Wenn ich dir etwas sage, dann wirst du
darüber nicht auf eine frische Weise nachdenken, auf eine offene
Weise. Dein alter Geist, deine Vergangenheit wird sich dazwi-
schenschieben, wird anfangen, dafür oder dagegen zu reden, zu
plappern.
Vergeßt nicht, euer Geist gehört nicht euch. Euer Körper gehört
nicht euch. Er kommt von euren Eltern. Euer Verstand gehört
ebensowenig euch. Auch er kommt von den Eltern. Wer bist du?
Entweder ist man mit dem Körper oder mit dem Geist identi-
fiziert. Du hältst dich für jung, du hältst dich für alt: du hältst dich
für einen Hindu, du hältst dich für einen Jaina, für einen Parsen.
Das bist du nicht! Du wurdest als reines Bewußtsein geboren. Dies
alles sind Gefängnisse. Diese Techniken, die euch so einfach
erscheinen, sind nur deshalb nicht so einfach, weil der Verstand
98
Kapitel 4
99
Das Buch der Geheimnisse
anderes verstehen; ihr könnt nur den Intellekt verstehen. Und die-
se Techniken lassen sich intellektuell nicht verstehen. Wie also
kommunizieren?
Entweder müßt ihr verstehen lernen, ohne daß sich der Intel-
lekt einmischt, oder es muß ein Weg gefunden werden, diese
Techniken intellektuell verständlich zu machen. Letzteres ist nicht
möglich, aber ersteres ist möglich.
Du mußt mit dem Intellekt beginnen, aber darfst nicht an ihm
festhalten. Wenn ich sage: „Tu es!” — dann versuche es zu tun. So-
bald dann etwas in dir losgeht, kannst du deinen Intellekt beisei-
te lassen und mich direkt, ohne den Intellekt, erreichen. Ohne
Meditation, ohne Meditierenden. Aber du mußt anfangen, etwas
zu tun. Reden können wir bis in alle Ewigkeit. Dein Kopf kann
mit vielem Zeug vollgestopft werden, aber das bringt nichts, son-
dern schadet, denn du wirst zu viel wissen. Und wenn du zu viel
weißt, verwirrt dich das. Es ist nicht gut, soviel zu wissen. Es ist
besser, weniger zu wissen, es dafür aber auszuführen. Eine einzi-
ge Technik kann genügen: Es hilft immer, etwas zu tun. Warum
ist das so schwierig?
Tief unten hast du Angst. Tust du es, meldet sich die Angst, daß
etwas aufhören könnte, was bisher war. Es mag paradox erschei-
nen: aber ich bin vielen begegnet, sehr vielen Menschen, die glau-
ben, sich andern zu wollen. Sie sagen, daß sie Meditationen brau-
chen. Sie bitten um eine riefe Transformation. Aber tief drinnen
haben sie auch Angst. Sie denken gespalten, doppelt. Sie haben ei-
nen gespaltenen Geist. Sie fragen immer, was sie tun sollen, ohne
es je zu tun. Warum aber fragen sie dann immer wieder? Nur um
sich vorzumachen, daß sie tatsächlich an ihrer Veränderung inter-
essiert sind.
Das verleiht eine Fassade, es gibt den Anschein, wirklich ehr-
lich an der eigenen Veränderung interessiert zu sein. Darum stel-
len sie Fragen, darum gehen sie von einem Guru zum anderen,
suchen und probieren, ohne je etwas zu tun. Tief innen haben sie
Angst.
Erich Fromm hat ein Buch geschrieben, „Die Furcht vor der Frei-
heit”. Der Titel scheint widersprüchlich. Alle glauben, die Freiheit
zu wollen; jeder glaubt, daß es ihm um Freiheit geht, in dieser wie
100
Kapitel 4
auch in jener Welt. Wir wollen Moksha, die Befreiung, wir wol-
len von aller Beschränkung, von aller Knechtschaft frei werden.
Wir wollen total frei sein. Sagen wir. Aber Erich Fromm sagt, daß
der Mensch Angst vor der Freiheit hat. Wir wollen sie; jedenfalls
sagen wir immer, daß wir sie wollen, überzeugen uns immer, daß
wir sie wollen, aber in Wirklichkeit haben wir Angst vor der Frei-
heit. Wir wollen sie nicht! Warum? Woher diese Spaltung?
Freiheit bringt Angst, und Meditation ist die tiefste Freiheit, die
es gibt. Da wirst du nicht nur von äußeren Beschränkungen frei,
du wirst aus der inneren Knechtschaft befreit, vom Geist selbst,
auf dem alle Knechtschaft beruht. Du wirst von der gesamten Ver-
gangenheit befreit. Im Augenblick, wo du keinen Geist mehr hast,
ist die Vergangenheit verschwunden. Du hast die Geschichte
transzendiert. Jetzt gibt es keine Gesellschaft mehr, keine Religion,
keine Schrift, keine Tradition, denn sie alle haben ihr Obdach im
Geist. Jetzt gibt es keine Vergangenheit mehr, keine Zukunft,
denn Vergangenheit und Zukunft sind Teil des Geistes, des Ge-
dächtnisses, der Vorstellungswelt.
Dann bist du hier und jetzt in der Gegenwart. Jetzt gibt es kei-
ne Zukunft mehr. Jetzt gibt es nur noch jetzt und jetzt und jetzt —
ewiges Jetzt. Nun bist du völlig befreit; du hast alle Tradition trans-
zendiert, alle Geschichte, den Körper, den Geist, alles. Man wird
frei von allem Furchterregenden. So viel Freiheit?! Wo wirst du
dann sein? Kannst du in solcher Freiheit existieren? Kannst du
dein kleines Ich, dein Ego behalten in einer solchen Freiheit, einer
solchen unermeßlichen Weite? Wirst du dann noch sagen kön-
nen: „Ich bin”?
Du kannst sagen: „Ich bin eingesperrt”, weil du deine Grenzen
erkennst. Ohne Gefängnis aber gibt es keine Grenzen mehr. Du
wirst einfach zum Zustand: einfache Nichtheit, Leere. Das macht
dir Angst; und darum redet man immer nur vom Meditieren —
wie man es macht — und bleibt dabei, es nicht zu tun.
Alle Fragen kommen aus dieser Angst. Fühlt diese Angst, denn
wenn ihr sie erkennt, wird sie verschwinden. Solange ihr sie nicht
erkennt, wird sie weitergehen. Bist du bereit zu sterben, im spiri-
tuellen Sinn? Bist du bereit, nicht zu sein?
Wann immer jemand zu Buddha kam, sagte er: „Dies ist die
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Das Buch der Geheimnisse
102
Kapitel 4
belschalen. Das ist der Grund, warum dich, wenn du in tiefer Me-
ditation dieser Nichtheit näherkommst, die Angst überfällt und
du zu zittern beginnst. Man hat das Gefühl, gleich zu sterben.
Man möchte davonlaufen, vor dieser Nichtheit, zurück in die
Welt. Und viele gehen zurück: und dann wenden sie sich nie wie-
der nach innen. Und soviel ich sehen kann, hat jeder von euch in
irgendeinem Leben es schon einmal mit einer meditativen Tech-
nik probiert. Ihr seid schon einmal der Nichtheit nahegewesen,
und dann hat euch die Angst gepackt und ihr seid davongerannt.
Und ganz rief in euren Erinnerungen steckt dieser Denkzettel.
Und das ist jetzt der Block. Jedesmal, wenn du jetzt wieder ans
Meditieren denkst, funkt tief in deinem Unterbewußten jene ver-
gangene Erinnerung und sagt: „Mach weiter mit dem Denken,
handle nicht. Du hast es schon einmal gemacht.”
Es ist schwer, einen Menschen zu finden — und ich habe schon
in viele hineingeschaut —, der es nicht schon ein — oder zweimal in
irgendeinem Leben mit dem Meditieren versucht hätte. Die Er-
innerung ist da, aber sie ist dir nicht bewußt. Dir ist nicht klar, wo
diese Erinnerung steckt. Sie ist da. Jedesmal, wenn du etwas zu
tun beginnst, wird sie zur Schranke, und dann hält dich dies und
jenes davon ab, alles mögliche. Wenn du also wirklich am Medi-
tieren interessiert bist, spüre zuerst deine eigene Angst. Sei ehr-
lich: Hast du Angst?
Wenn du Angst hast, dann muß zunächst etwas mit dieser
Angst passieren, nicht mit der Meditation. Buddha kannte da vie-
le Hilfsmittel. Zum Beispiel sagte jemand: „Ich habe Angst vor
dem Meditieren.” (Und dies ist ein Muß: Du mußt dem Lehrer
sagen, daß du Angst hast; du kannst den Lehrer nicht täuschen,
und das ist auch nicht nötig. Sonst täuschst du dich nur selbst.)
Wenn ihm also jemand sagte, daß er vorm Meditieren Angst hät-
te, sagte Buddha jedesmal: „Du erfüllst jetzt die erste Vorausset-
zung. Wenn du selbst zugibst, Angst vor dem Meditieren zu ha-
ben, dann ist etwas möglich: denn du hast etwas sehr Tiefes ent-
deckt. Was ist also die Angst? Meditiere über sie. Gehe und grabe
aus, woher sie kommt, was ihr Ursprung ist.”
Alle Angst ist im Grunde Angst vor dem Tod — alle Angst! Egal
in welcher Form und Spielart, egal in welcher Gestalt, unter
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Das Buch der Geheimnisse
104
Kapitel4
die inneren Ängste verschwinden und du dir sicher bist, daß der
Tod eine Wirklichkeit ist. Wenn du also in Meditation stirbst, gibt
es keine Angst: Der Tod steht fest. Selbst wenn sich beim Medi-
tieren der Tod einstellt, hast du keine Angst. Erst dann kannst du
in die Meditation hineingehen, und dann kannst du mit Rake-
tengeschwindigkeit vorwärtskommen, weil die Schranken nicht
mehr da sind.
Zeit ist erforderlich, nicht der Entfernung, sondern dieser
Schranken wegen. Du kannst in diesem Augenblick hinkommen,
wenn keine Schranke mehr da ist. Du bist schon da, wäre die
Schranke nicht. Es ist ein Hindernisrennen, und du baust dir im-
mer mehr Hindernisse auf. Du fühlst dich gut, wenn du ein Hin-
dernis überwindest. Dann hast du das gute Gefühl, jetzt eine Hür-
de genommen zu haben. Und das Idiotische daran ist, daß die
Hürde überhaupt erst von dir aufgestellt wurde. Es hat sie nie ge-
geben. Du baust immer neue Hürden auf, springst hinüber, fühlst
dich dann gut, baust wieder neue auf und springst wieder. Du
drehst dich im Kreis und kommst so nie und nimmer zur Mitte.
Der Kopf baut Hürden auf, weil er Angst hat. Er wird mit vie-
len Erklärungen aufwarten, warum du nicht meditierst; glaube ih-
nen nicht. Geh tief nach innen; finde den eigentlichen Grund her-
aus. Warum redet jemand ständig vom Essen, ohne je einen Bis-
sen zu sich zu nehmen? Warum macht er das? Ist der Mann
verrückt?
Ein anderer spricht ewig von der Liebe und liebt niemals. Und
wieder ein anderer redet von wieder etwas anderem, und nie tut
er etwas. Das Darüber-Reden wird zur Manie. Es wird zwanghaft.
Man macht immer weiter, man verwechselt das Reden mit dem
Tun. Indem du redest, hast du das Gefühl, etwas zu tun, und das
erleichtert dich. Also tust du etwas — wenigstens reden, wenigstens
lesen, wenigstens zuhören. Das ist nicht mit Tun gemeint. Das ist
Vorspiegelung falscher Tatsachen. Fallt nicht darauf herein.
Ich will über diese 112 Methoden hier nicht deshalb reden, um
euren Geist zu füttern, nicht um eurer Allgemeinbildung willen,
nicht um euch besser zu informieren. Ich will keine Gelehrten
aus euch machen. Ich rede hier, um euch eine bestimmte Tech-
nik zu vermitteln, die euer Leben ändern kann. Welche Methode
105
Das Buch der Geheimnisse
dich auch ansprechen mag — rede nicht darüber, mach sie! Sei still,
mach sie! Dein Kopf wird mit vielen Fragen kommen. Forsche
zunächst gründlich nach, bevor du mich etwas fragst. Forsche im-
mer erst in die Tiefe, ob diese Fragen wirklich wichtig sind, oder
ob der Kopf nur seine Spiegelfechtereien treibt.
Erst probiere, und dann frage. Dann wird deine Frage praktisch.
Und ich weiß, welche Frage aus dem Tun heraus gestellt wurde
und welche nur aus Neugier, nur aus dem Intellekt. Mit der Zeit
werde ich also eure intellektuellen Fragen überhaupt nicht mehr
beantworten. Tut was. Dann werden eure Fragen sinnvoll sein.
Fragen wie diese: „Was, so eine einfache Übung ... ?” sind nicht
aus dem Tun heraus gestellt worden. Es ist nicht so einfach. Und
doch muß ich es jetzt am Ende wieder sagen: Du bist bereits die
Wahrheit! Du mußt nur aufwachen! Du brauchst nirgendwo an-
ders hinzugehen. Und in dich hineingehen kannst du jetzt sofort.
Wenn du deinen Geist beiseite lassen kannst, betrittst du das Hier
und Jetzt.
Diese Techniken sind dafür gedacht, den Geist auszuschalten.
Diese Techniken sind nicht wirklich Meditationstechniken: sie
sind dazu da, den Geist auszuschalten. Ist der Geist erst einmal
nicht mehr da, bist du da.
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Meister über Traum und Tod
[Sutras]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 5
vor dein geistiges Auge treten. Laß deine Form sich füllen mit
Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes — und von dort nieder-
regnen als Licht.
Dies also war die Technik, die man Pythagoras gab. Pythagoras
brachte diese Technik nach Griechenland. Und tatsächlich wurde
er zum Ursprung, zur Quelle aller Mystik des Abendlandes. Er ist
der Vater aller Mystik des Westens.
Diese Technik gehört zu den ganz tiefen Methoden. Versucht,
sie zu verstehen: „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augen-
brauen ...” Die moderne Physiologie, die wissenschaftliche For-
schung sagt, daß sich zwischen den Augenbrauen eine Drüse be-
findet, die der mysteriöseste Teil des Körpers ist. Diese Drüse, ge-
nannt Zirbeldrüse, ist das „Dritte Auge” der Tibetaner — Shivaneta:
„Das Auge Shivas”, das tantrische Auge. Zwischen unseren zwei
Augen existiert ein drittes, aber es ist nicht in Funktion. Es ist da
und kann jederzeit in Funktion treten. Nur funktioniert es nicht
von Natur aus. Man muß etwas tun, damit es sich öffnet. Es ist
nicht blind. Es ist nur geschlossen. Diese Technik soll das dritte
Auge öffnen.
„Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen_ ” Schließe
die Augen und lenke beide Augen auf die Mitte zwischen den
Augenbrauen; blicke mit geschlossenen Augen genau auf die Mit-
te, so als würdest du mit offenen Augen hinsehen. Richte deine
Aufmerksamkeit total darauf.
Dies ist eine der einfachsten Methoden, aufmerksam zu sein.
Auf keinen anderen Teil des Körpers läßt sich die Aufmerksam-
keit so leicht richten. Diese Drüse nimmt Bewußtheit in sich auf,
wie sonst nichts anderes. Wenn du die Aufmerksamkeit darauf
richtest, werden deine beiden Augen vom dritten Auge hypno-
tisiert. Sie werden starr, können sich nicht bewegen. Dich auf ir-
gendeinen anderen Teil des Körpers zu konzentrieren, fällt
schwerer. Dies dritte Auge zieht Aufmerksamkeit auf sich, ja
erzwingt sie. Es ist wie ein Magnet. Alle Methodenlehren der
Welt haben davon Gebrauch gemacht. Es ist die einfachste Me-
thode, die Aufmerksamkeit zu schulen; denn nicht nur du
bemühst dich um Aufmerksamkeit, die Drüse selbst hilft dir
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Das Buch der Geheimnisse
11 2
sie wie einen Gegenstand betrachten. Jetzt hast du nicht das Ge-
fühl, daß du die Wut bist, du hast das Gefühl, von der Wut um-
geben zu sein — eine Wolke von Wut hat sich um dich gelegt.
Aber du bist nicht die Wut — und wenn du nicht die Wut bist,
wird die Wut machtlos. Sie kann dich nicht berühren; du bleibst
unberührt. Die Wut wird kommen und gehen, und du ruhst in
deiner Mitte.
Diese fünfte Technik ist eine Technik, den Zeugen zu ent-
decken. „Die Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen: Laß
das Denken vor dein geistiges Auge treten.” Nun besieh dir dei-
ne Gedanken, nun begegne deinen Gedanken. „Laß deine Form
sich füllen mit Atemessenz bis zum Scheitel des Kopfes — und von
dort als Licht niederregnen.” Wenn sich die Aufmerksamkeit auf
das dritte Auge konzentriert, zwischen den Augenbrauen, dann
geschieht zweierlei. Erstens wirst du plötzlich zum Zeugen. Und
du wirst im dritten Auge zentriert sein.
Versuche, Zeuge zu sein. Gleich was geschieht, versuche ein
Zeuge zu sein. Du bist krank, der Körper schmerzt und tut weh,
du leidest und fühlst dich elend, egal, was es ist: sei ein Zeuge. Was
immer geschieht, identifiziere dich nicht damit. Sei Zeuge — sei
Beobachter. Wenn dann das Zeugesein möglich wird, hast du dei-
ne Energie im dritten Auge konzentriert.
Und zweitens ist es auch umgekehrt möglich: daß du, wenn du
deine Energie im dritten Auge konzentrierst, zum Zeugen wirst.
Diese beiden Dinge gehören zusammen. Das erste ist also: indem
du im dritten Auge zentriert bist, stellt sich das betrachtende Selbst
ein. Jetzt kannst du deinen Gedanken begegnen. Dies ist das erste.
Und das zweite ist, daß du nun die feinen, unmerklichen Schwin-
gungen des Atmens spüren kannst. Jetzt kannst du die Form des
Atmens, die eigentliche Essenz des Atems spüren. Versucht
zunächst zu verstehen, was mit „Form” gemeint ist und was mit
„Atemessenz”. Wenn du atmest, atmest du nicht nur Luft. Die
Wissenschaft sagt, daß du nur Luft atmest — nur Sauerstoff, Was-
serstoff und all die anderen Gase in ihrer Verbindung als „Luft”.
Sie sagt, daß du „Luft” atmest. Tantra dagegen sagt, daß die Luft
nur der Träger ist, nicht das Eigentliche. Ihr atmet Prana — Le-
benskraft. Die Luft ist nur das Medium, Prana ist ihr Inhalt. Du
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Das Buch der Geheimnisse
atmest Prana, nicht nur Luft. Die moderne Wissenschaft ist im-
mer noch nicht in der Lage zu beantworten, ob es so etwas wie
Prana gibt. Aber es gibt Forscher, die auf etwas Mysteriöses ge-
stoßen sind. Atem ist nicht einfach Luft: das haben viele moderne
Wissenschaftler auch schon entdeckt. Vor allem ein Name muß
hier genannt werden — Wilhelm Reich, ein deutscher Psychologe,
der es „Orgon-Energie” nannte. Das ist dasselbe wie Prana. Er
sagt, daß beim Atmen die Luft nur der Behälter ist, in dem ein
mysteriöser Inhalt steckt, der Orgon oder Prana oder elan vital ge-
nannt werden kann. Aber das ist sehr feinstofflich. Es ist in Wirk-
lichkeit nicht stofflich. Die Luft ist das Stoffliche; der Behälter ist
stofflich. Aber etwas Feines, Nichtstoffliches durchströmt ihn.
Man kann es an seinen Auswirkungen spüren. Wenn du mit ei-
nem sehr lebendigen Menschen zusammen bist, fühlst du eine be-
stimmte Vitalität in dir aufsteigen. Wenn du mit einem sehr kran-
ken Menschen zusammen bist, fühlst du dich leergesogen, als wäre
dir etwas weggenommen worden. Warum fühlst du dich so müde,
wenn du ins Krankenhaus gehst? Du wirst von allen Seiten aus-
gesaugt. Die ganze Atmosphäre dort ist krank, und jeder braucht
elan vita4 braucht Prana. Im Krankenhaus also fließt plötzlich dein
Prana ab. Warum fühlst du dich manchmal dem Ersticken nahe,
wenn du in einer Menschenmenge bist? Weil dir dein Prana ab-
gesaugt wird. Wenn du allein bist unter dem Himmel am Mor-
gen, unter den Bäumen, fühlst du dich plötzlich voller Lebenskraft
— Prana. Jeder braucht einen gewissen Raum für sich. Wenn du
diesen Raum nicht bekommst, wird dir Prana abgesaugt.
Wilhelm Reich hat viel damit experimentiert, aber er wurde für
verrückt erklärt. Die Wissenschaft hat ihren eigenen Aberglau-
ben, sie ist sehr orthodox. Die Wissenschaft kann noch nicht glau-
ben, daß es noch etwas mehr gibt als nur Luft, aber in Indien hat
man damit seit Jahrhunderten experimentiert. Ihr habt vielleicht
schon davon gehört oder gelesen, daß jemand ins Samadhi einge-
hen konnte, ins kosmische Bewußtsein, und zwar unter der Erde,
tagelang, ohne jede Luftzufuhr.
I m Jahre 1880 ist jemand in Ägypten in ein solches unterirdi-
sches Samadhi gegangen — und blieb vierzig Jahre darin! Die, die
ihn begraben hatten, starben einer nach dem anderen — er sollte
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Kapitel 5
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 5
Diese fünfte Technik ist die Grundlage aller Hypnose. Wenn je-
mand hypnotisiert wird, bekommt er gesagt, daß er seine Augen
auf einen bestimmten Punkt richten soll, auf ein Licht, einen
Fleck an der Wand oder auf die Augen des Hypnotiseurs. Wenn
du deine Augen auf einen bestimmten Punkt richtest, strömt dein
Bewußtsein nach drei Minuten dem dritten Auge zu. Und sobald
deine innere Aufmerksamkeit zum dritten Auge geht, verändert
sich dein Gesicht. Der Hypnotiseur erkennt, wann sich dein Ge-
sicht verändert: Plötzlich verschwindet alle Vitalität daraus. Es er-
lischt, wie im Tiefschlaf. Der Hypnotiseur erkennt sofort, wann
dein Gesicht seinen Ausdruck, seine Lebendigkeit verliert. Und
das bedeutet, daß jetzt die Bewußtheit vom dritten Auge aufge-
sogen wird. Dein Gesicht ist abgestorben; die ganze Energie
strömt dem Zentrum des dritten Auges zu.
Damit weiß der Hypnotiseur, daß alles, was er sagt, auch ge-
schehen wird. Er sagt zum Beispiel: „Jetzt fällst du in einen tiefen
Schlaf ...” - und augenblicklich tust du es. Er sagt: „Jetzt wirst du
bewußtlos” - augenblicklich wirst du bewußtlos. Jetzt kann alles
geschehen. Wenn er sagt: „Jetzt bist du zu Napoleon oder Hitler
geworden”, dann wirst du es. Du wirst dich wie ein Napoleon be-
nehmen, du wirst wie ein Napoleon reden. Deine Gesten werden
anders. Dein Unbewußtes nimmt den Befehl an und stellt die ent-
sprechende Wirklichkeit her. Wenn du an etwas leidest, kann dir
jetzt befohlen werden, daß dein Leiden verschwindet, und es wird
verschwinden. Oder, es kann auch ein neues Leiden erzeugt wer-
den. Der Hypnotiseur kann dir einen einfachen Kiesel auf die
Hand tun und sagen: „Es ist Feuer auf deiner Hand” - und du
wirst eine ungeheure Hitze empfinden; deine Hand wird ver-
brannt, nicht nur im Kopf, sondern wirklich. Deine Haut wird
tatsächlich verbrannt. Du wirst ein Gefühl von Brennen haben.
Was passiert? Es ist kein Feuer da, nur ein einfacher Stein - kalt.
Wie, wie kommt es zur Verbrennung? Du bist in deinem dritten
Auge zentriert; deine Vorstellungskraft empfängt Befehle vom
Hypnotiseur, und sie werden aktualisiert. Wenn der Hyptnotiseur
sagt: „Jetzt bist du tot”, wirst du augenblicklich sterben. Dein Herz
bleibt stehen. Es wird stehenbleiben!
Es geschieht durch das dritte Auge. Im dritten Auge sind
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite15
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 5
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Das Buch der Geheimnisse
Mit unspürbarem Atem in der Mitte der Stirn. Sobald er das Herz
erreicht, im Augenblick des Schlafes, hast du Gewalt über die Träu-
me und selbst über den Tod.
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Kapitel 5
ihren Todestag voraus? Es ist leicht, denn wenn du den Inhalt des
Atems sehen kannst, das Prana, das in dich strömt, dann spürst du
den Augenblick, wo sich der Prozeß umkehrt. Ehe du stirbst,
sechs Monate zuvor, kehrt sich der Prozeß um. Das Prana beginnt
aus dir herauszuströmen. Dann bringt es der Atem nicht mehr mit
herein. Im Gegenteil, der Atem nimmt es mit hinaus — der gleiche
Atem!
Ihr spürt es nicht, weil ihr das unsichtbare Element nicht er-
kennt. Ihr kennt nur das Sichtbare, nur das Vehikel, und das bleibt
gleich. Normalerweise bringt der Atem das Prana herein und läßt
es dort zurück. Dann kehrt das Vehikel leer um, füllt sich mit Pra-
na und geht wieder hinein. Der einströmende und der ausströ-
mende Atem sind also nicht dasselbe, vergeßt das nicht. Ein — und
ausströmender Atem sind als Vehikel gleich, aber der einströ-
mende Atem ist mit Prana gefüllt, und der ausströmende Atem
ist leer. Ist das Prana absorbiert, wird der Atem leer. Das Umge-
kehrte geschieht, wenn du dich deinem Tod näherst. Der einströ-
mende Atem wird „pranalos”, leer. Weil dein Körper kein Prana
mehr aus dem Kosmos absorbieren kann, stirbst du. Du brauchst
es nicht mehr. Der ganze, Prozeß hat sich umgekehrt. Und wenn
der Atem ausströmt, nimmt er dein Prana mit. Jemand, der ge-
lernt hat, das Unsichtbare zu sehen, kann augenblicklich seinen
Todestag erkennen. Sechs Monate zuvor kehrt sich der Prozeß
um.
Dies Sutra ist sehr, sehr bedeutsam: „Mit unspürbarem Atem in
der Mitte der Stirn: Sobald er das Herz erreicht, im Augenblick
des Schlafes, hast du Gewalt über die Träume und selbst über den
Tod.” Diese Technik muß geübt werden, während du einschläfst:
nur dann, zu keiner andern Zeit. Das ist der richtige Augenblick
für diese Technik. Du schläfst langsam ein, langsam, ganz langsam
übermannt dich der Schlaf. In wenigen Augenblicken löst sich
dein Bewußtsein auf, hörst du auf wahrzunehmen. Bevor dieser
Augenblick eintrat, achte auf den Atem und seine unsichtbare Es-
senz, das Prana, und fühle, wie es ins Herz geht.
Bleibe bei dem Gefühl, wie es zum Herzen geht, immer näher
zum Herzen. Das Prana verbreitet sich vom Herzen aus über den
ganzen Körper. Fühle, fühle immerzu, wie das Prana ins Herz
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 5
Prana gefüllt wird, mit jedem Atemzug vom Prana berührt wird,
ständig, der wird zum Meister seiner Träume. Und dies ist eine
ganz seltene Meisterschaft! So einer kann träumen, was immer er
will, er nimmt sich nur beim Einschlafen vor, was er träumen will,
und genau das kommt. Oder er sagt sich: „Diesen Traum will ich
nicht haben”, und er träumt ihn nicht.
Aber wozu zum Meister seiner Träume werden? Ist das nicht
nutzlos? Nein, es ist nicht nutzlos. Bist du nämlich erst einmal
Herr deiner Träume, dann wirst du gar nicht mehr träumen.
Dann ist es absurd. Wenn du Herr deiner Träume bist, hört das
Träumen auf. Es ist nicht mehr nötig. Und wenn es kein Träumen
mehr gibt, hat dein Schlaf eine völlig andere Qualität, nämlich die
Qualität des Todes.
Der Tod ist ein tiefer Schlaf. Wenn dein Schlaf so tief werden
kann wie der Tod, dann bedeutet dies, daß es kein Träumen mehr
gibt. Träumen macht den Schlaf oberflächlich. Der Träume we-
gen bleibst du an der Oberfläche. Weil du an den Träumen hän-
genbleibst, bewegst du dich nur an der Oberfläche. Wenn es kei-
ne Träume mehr gibt, versinkst du einfach im Meer, dringst du in
seine Tiefen vor.
I m Tod ist es ebenso. Darum hat es in Indien immer geheißen,
daß der Schlaf ein kurzer Tod, und der Tod ein langer Schlaf ist.
Der Qualität nach sind beide gleich. Schlaf ist ein Tod von Tag zu
Tag. Der Tod ist ein Phänomen von Leben zu Leben, ein Schlaf
von Leben zu Leben. Jeden Tag wirst du müde, fällst du in Schlaf
und gewinnst am Morgen deine Vitalität zurück, deine Leben-
digkeit. Du wirst wiedergeboren. Nach einem Leben von 70 oder
80 Jahren bist du völlig erschöpft. Jetzt reichen solche kurzfristi-
gen Tode nicht mehr aus. Du brauchst einen langen Tod. Nach
diesem großen Tod — oder großen Schlaf — wirst du dann mit ei-
nem vollkommen neuen Körper wiedergeboren.
Wenn du einmal den traumlosen Schlaf kennst und ihn bewußt
erfährst, gibt es keine Todesangst mehr. Niemand ist je gestorben,
und niemand kann sterben: Das ist die einzige Unmöglichkeit.
Erst gestern sagte ich euch, daß der Tod die einzige Gewißheit ist,
und jetzt sage ich euch, daß der Tod unmöglich ist. Niemand ist je
gestorben, und niemand kann sterben: Das ist die einzige
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 5
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Das Buch der Geheimnisse
Buddha das Leben zu schenken, es ist ein solcher Gipfel, daß die
Mutter danach nicht mehr leben kann."
Also starb die Mutter. Und Buddha hatte in seinem vorigen Le-
ben gesagt, daß er geboren werde, während seine Mutter unter ei-
ner Palme stehen würde. Und so geschah es auch. Die Mutter
stand unter einer Palme — und Buddha wurde geboren. Und er
hatte weiter gesagt: „Ich werde geboren, während meine Mutter
unter einer Palme steht, und ich werde sieben Schritte tun. Ich
werde augenblicklich laufen. Dieses sind die Zeichen, die ich euch
gebe, damit ihr erkennt, daß ein Buddha geboren wurde.” Und so
führte er die ganze Regie.
Und das ist nicht nur bei Buddha so. Es ist das gleiche mit Jesus,
mit Mahavir, mit vielen anderen. Jeder Teerthankera der Jainas
kündigte in seinem vorletzten Leben an, wie er geboren würde.
Sie gaben bestimmte Traum-Sequenzen an, bestimmte Zeichen,
und sagten genau voraus, wie es geschehen würde.
Du kannst Regie führen. Kannst du einmal deine Träume diri-
gieren, kannst du alles dirigieren, denn Träume sind genau der
Stoff, aus dem die Welt gemacht ist. Diese Welt besteht aus dem
gleichen Stoff wie die Träume. Kannst du erst einmal deine Träu-
me lenken, kannst du über alles Regie führen. Dies Sutra sagt:
„ ... selbst über den Tod.” Dann kann man sich eine bestimmte
Geburt, ein bestimmtes Leben geben. Wir sind bloße Opfer. Wir
wissen nicht, warum wir geboren werden, warum wir sterben.
Wer führt Regie über uns? Und warum? Es scheint keine Grün-
de zu geben. Es scheint alles Chaos zu sein, reiner Zufall. Es liegt
daran, daß wir nicht die Herren sind. Sind wir erst einmal die
Meister, wird es anders sein.
Mit äuß erster Hingabe zentriere dich auf die beiden Verknüpfungs-
punkte des Atems und erkenne den Erkennenden.
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Kapitel 5
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Das Buch der Geheimnisse
„Lege dich hin wie tot ...” Versuche es: Plötzlich bist du tot.
Verlasse den Körper! Bewege ihn nicht: denn du bist tot. Stell dir
einfach vor, daß du tot bist. Du kannst den Körper nicht rühren,
du kannst die Augen nicht bewegen, du kannst nicht weinen, du
kannst nicht schreien, du kannst gar nichts tun. Du bist einfach
tot. Und dann sieh, wie sich das anfühlt. Aber du darfst dich nicht
betrügen. Das ist möglich — du kannst mogeln, aber das darfst du
nicht. Wenn eine Mücke kommt, dann mußt du den Körper wie
tot behandeln. Dies ist eine der allergebräuchlichsten Techniken,
eine der meistgebrauchten überhaupt.
Raman Maharshi gelangte durch diese Technik zu seiner Er-
leuchtung. Aber für ihn war es gar keine Technik, ihm passierte
es spontan, mitten im Alltag, plötzlich. Aber er mußte es in einem
früheren Leben lange geübt haben, denn nichts passiert spontan.
Alles hat eine Kausalkette, eine Kausalität. Plötzlich fühlte Raman
eines nachts — er war noch ganz jung, gerade vierzehn oder fünf-
zehn —, daß er sterben würde. Und das war ihm eine solche
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Kapite15
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Das Buch der Geheimnisse
wird kein seliges Gefühl sein, tot dazuliegen. Angst wird dich
übermannen, Wut oder Frustration wird sich melden, Trauer,
Kummer, Qual, was immer. Es wird von Individuum zu Indivi-
duum verschieden sein.
Das Sutra sagt: „Wutentbrannt, verharre so.” Wenn du dich wü-
tend fühlst, bleibe so. Wenn du traurig bist, bleibe so. Wenn du
Angst hast, Furcht, bleibe so. Du bist tot und kannst nichts tun,
verharre also darin. Gleich, was für Gedanken kommen, der Kör-
per ist tot, und du kannst einfach nichts tun - also bleibe so.
Diese Worte sind wunderschön. Wenn du ein paar Minuten so
verharren kannst, wirst du plötzlich fühlen, daß sich alles verän-
dert hat. Aber wir fangen an, uns zu bewegen. Wenn sich in uns
eine Emotion rührt, regt sich der Körper sofort. Darum heißt es
„Emotion” : Sie erzeugt „motio” - Bewegung - im Körper. Wenn
du wütend bist, fängt dein Körper plötzlich an, sich zu bewegen.
Bist du traurig, bewegt sich der Körper. Darum heißt es „Emo-
tion” - weil sie im Körper Bewegung hervorruft. Fühl dich tot
und erlaube keiner Emotion, den Körper zu bewegen. Laß sie da
sein, aber du „verharre so” - unbeweglich, tot. Was immer da ist
- keine Bewegung. Bleibe so! Keine Bewegung!
„Oder: Starre, ohne mit der Wimper zu zucken.” Dies ohne mit
der Wimper zu zucken, war die Methode von Meher Baba. Jah-
relang starrte er nur seine Zimmerdecke an, jahrelang, wie tot,
ohne mit der Wimper zu zucken, ohne die Augen zu bewegen.
Lange lag er so. Die Augen starren zu lassen ist gut, weil man so
wieder im dritten Auge zentriert wird. Und wenn du erst einmal
im dritten Auge fixiert bist, kannst du mit keiner Wimper zucken,
selbst wenn du wolltest. Die Lider werden starr.
Meher Baba gelangte so zur Erleuchtung - und ihr wundert
euch, wie es mit so unbedeutenden Techniken möglich ist! Aber
er starrte drei Jahre lang die Zimmerdecke an, ohne sonst etwas
zu tun. Drei Jahre ist eine lange Zeit. Macht es einmal drei Mi-
nuten lang, und es wird sein wie drei Jahre. Die drei Minuten wer-
den euch sehr, sehr lang werden. Es ist, als ginge die Zeit nicht
weiter, als stünde die Uhr still.
Meher Baba starrte und starrte und starrte. Nach und nach blie-
ben die Gedanken stehen, blieb alle Bewegung stehen, und er
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Kapitel 5
133
Das Buch der Geheimnisse
du erst einmal der Angst ins Auge gesehen hast, ohne von ihr be-
wegt zu werden, wirst du ihr Herr.
„Oder: Starre, ohne mit der Wimper zu zucken. Oder: Sauge
etwas, und werde zum Saugen.” Letzteres ist rein körperlich und
ganz leicht zu machen, denn Saugen ist das erste, was ein Kind
tun muß. Saugen ist die erste Handlung im Leben. Wenn das
Kind geboren wird, fängt es zu weinen an. Ihr mögt noch nicht
weiter darüber nachgedacht haben, warum das Kind weint. In
Wirklichkeit weint es nicht: das klingt nur so. Es saugt Luft ein.
Und wenn das Kind nicht weinen kann, ist es nach wenigen Mi-
nuten tot, denn das Weinen ist sein erster Versuch, Luft einzu-
saugen. Im Mutterleib hat das Kind nicht geatmet. Es hat gelebt,
ohne zu atmen. Es hat das gleiche getan, was Yogis unter der Erde
tun: Es bekam Prana, ohne zu atmen — reines Prana von der Mut-
ter.
Daher ist die Liebe zwischen Kind und Mutter etwas ganz an-
deres als jede andere Form von Liebe, weil die reinste Energie —
Prana — beide verbindet. Und nun ist das vorbei! Eine subtile pra-
nische Beziehung hatte beide verbunden, die Mutter hatte ihr Pra-
na dem Kind gegeben, und das Kind brauchte so nicht zu atmen.
Bei der Geburt wird es aus der Mutter in eine unbekannte Welt
gestoßen. Von nun an kann das Prana — die Energie — es nicht
mehr so leicht erreichen. Es muß selbst atmen.
Der erste Schrei ist die Anstrengung zu saugen, und danach
saugt es Milch aus der Mutterbrust. Dies sind eure ersten Hand-
lungen. Alles andere kommt erst später. Dies sind die ersten Le-
bensakte. Ihr könnt eine Technik aus ihnen machen: Dies Sutra
sagt: „Oder: Sauge etwas und werde zum Saugen.” Sauge etwas:
Sauge einfach die Luft ein, aber vergiß die Luft und werde zum
Saugen. Was bedeutet das? Wenn du normalerweise etwas saugst,
bist du der Saugende, nicht das Saugen. Du stehst hinter dem Sau-
gen und tust es.
Dies Sutra sagt, daß du nicht dahinter stehen darfst, daß du im
Saugen aufgehen und es werden sollst. Das kannst du mit allem
versuchen: Wenn du rennst, werde das Rennen, sei nicht der Ren-
nende. Werde zum Rennen, und vergiß den Rennenden. Fühle,
daß es keinen Rennenden gibt, sondern nur den Vorgang des
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Kapitel 5
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Das Buch der Geheimnisse
machte ich ihm Mut: „Hab keine Angst, zögere nicht. Sei offen
und sag's mir.” Er sagte: „Es ist absurd, aber vor mir taucht eine
Brust auf.” Und da hatte er Schuldgefühle. Also sagte ich: „Fühle
dich nicht schuldig, eine Brust ist nichts Verkehrtes, es gibt kaum
etwas Schöneres — warum sich schuldig fühlen?”
Aber er sagte: „Das war schon immer eine fixe Idee von mir.”
Und er fragte: „Sag mir bitte erst — du kannst mir dann gleich dei-
ne Technik und Methode geben — sag mir erst, warum ich so an
der Frauenbrust interessiert bin? Immer wenn ich eine Frau sehe,
sehe ich als erstes ihre Brust. Der ganze übrige Körper ist
zweitrangig.”
Und das geht nicht nur ihm so. So ist es mit jedem — mit prak-
tisch jedem. Und es ist auch natürlich, weil die Brust der Mutter
die erste Berührung mit dem Universum war. Sie ist elementar.
Der erste Kontakt mit dem Universum war die Brust der Mutter.
Das ist der Grund, warum Brüste so attraktiv sind. Sie sehen schön
aus, sie ziehen an, sie haben eine magnetische Kraft. Diese Mag-
netkraft kommt aus dem Unbewußten. Es war dein erster Kon-
takt auf der Welt, und zwar ein überaus angenehmer. Es fühlte
sich so schön an. Die Brust gab dir Nahrung, augenblickliche Vi-
talität, Liebe, alles. Der Kontakt war sanft, empfangend, einladend.
Und das ist dir tief in Erinnerung geblieben.
Also sagte ich zu dem Mann: „Jetzt will ich dir die Methode ge-
ben.” Und genau das war die Methode, die ich ihm gab: „Sauge
etwas, und werde zum Saugen.” Ich sagte zu ihm: „Schließe ein-
fach die Augen. Stelle dir die Brust deiner Mutter vor oder von
einer anderen Frau, die du magst. Stelle sie dir vor und fange an zu
saugen, als ob eine wirkliche Brust da wäre.” Er fing zu saugen an.
Binnen drei Tagen saugte er so schnell, so wahnsinnig, er war so
hingerissen davon, daß er mir sagte: „Es ist zum Problem gewor-
den. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag lang saugen. Und es
ist so schön, und es entsteht eine so tiefe Ruhe dadurch!”
Innerhalb von drei Monaten wurde das Saugen zu einer sehr,
sehr stillen Gebärde. Die Lippen bewegten sich nicht mehr. Man
hätte niemals erraten können, daß er da etwas tat. Es hatte ein in-
neres Saugen eingesetzt. Er saugte den ganzen Tag lang. Es wur-
de ein Mantra, ein Japa, eine ständige Wiederholung. Nach drei
13 6
Kapitel s
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Der Mensch ist Schlaf, seine Welt ist Traum
[Fragen]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 6
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 6
nerung mehr daran habt, wer ihr seid, wenn das Träumen fort-
fällt.
Wenn diese ganze Welt plötzlich verschwinden sollte und du
allein übrig bliebest, wäre das ein solcher Schock für dich, daß du
sterben würdest. Das gleiche wäre der Fall, wenn plötzlich alles
Träumen aus dem Bewußtsein verschwinden würde. Deine Welt
würde verschwinden, denn deine Welt war dein Traum. Wir sind
nicht wirklich in der Welt. Oder besser, „die Welt” besteht für uns
nicht aus äußeren Dingen, sondern aus unseren Träumen. Jeder
lebt also in seiner eigenen Traumwelt.
Vergeßt nicht: Es ist nicht ein und dieselbe Welt, von der wir
alle reden. Geographisch ist sie es, aber psychologisch gibt es so
viele Welten, wie es Köpfe gibt. Jeder Kopf ist eine Welt für sich.
Und wenn dein Träumen verschwindet, verschwindet deine Welt.
Ohne Träume kannst du praktisch nicht leben. Darum werden
plötzliche Methoden im allgemeinen nicht benutzt. Nur allmäh-
liche Methoden werden benutzt.
Es ist aber gut, dies festzuhalten: allmähliche Methoden werden
nicht deshalb benutzt, weil ein allmähliches Fortschreiten nötig
wäre. Nein, du kannst sofort in diesem Augenblick in die Er-
kenntnis springen. Nichts kann dich hindern. Es hat nie ein Hin-
dernis gegeben. Du bist schon die Erkenntnis, du kannst in die-
sem Augenblick hineinspringen. Aber das kann sich als gefährlich
erweisen, ja tödlich. Du magst nicht fähig sein, es auszuhalten. Es
wird einfach zu viel für dich sein.
Du bist nur auf falsche Träume eingestellt. Der Wirklichkeit
kannst du nicht ins Gesicht sehen, du kannst ihr nicht begegnen.
Du bist eine Treibhauspflanze. Du kannst nur in deinen Träumen
leben. Sie helfen dir auf so manche Weise. Es sind nicht einfach
nur Träume: Für dich ist es Wirklichkeit.
Allmähliche Methoden werden also nicht deshalb benützt, weil
zur Erkenntnis etwa die Zeit benötigt würde — zur Erkenntnis ist
keine Zeit nötig! Zur Erkenntnis ist überhaupt keine Zeit nötig.
Erkenntnis ist nicht etwas, das irgendwann in der Zukunft erreicht
werden muß: aber mit langsamen Methoden wirst du sie in der
Zukunft erreichen. Was bewirken also die langsamen Methoden?
Sie helfen dir nicht wirklich, die Erkenntnis zu realisieren — sie
14 3
Das Buch der Geheimnisse
helfen dir, sie zu ertragen! Sie machen dich fähig, stark, so daß du
es, wenn sich das Ereignis ereignet, ertragen kannst.
Es gibt sieben Methoden, durch die du dir sofortigen Zugang
zur Erleuchtung erzwingen kannst. Aber du wirst sie nicht ertra-
gen können. Du kannst blind werden ... zu viel des Lichts! Oder
du magst plötzlich sterben ... zu viel der Seligkeit! Dieser Traum,
dieser tiefe Schlaf, in dem wir uns befinden — wie können wir
über ihn hinausgelangen? Wenn man das will, ist diese Frage
wichtig.
„Kannst du uns bitte erklären, was es noch für andere Mög-
lichkeiten gibt, sich das Träumen bewußt zu machen?”
Ich will noch zwei weitere Methoden besprechen. Eine be-
sprachen wir gestern. Heute noch zwei weitere, die sogar noch
einfacher sind.
Die eine war, mit dem Schauspielern anzufangen, sich so zu
verhalten, als wäre die Welt einfach nur ein Traum. Was du auch
tust, vergiß nicht: Dies ist ein Traum. Während du ißt, vergiß
nicht — dies ist ein Traum. Während du gehst, vergiß nicht — dies
ist ein Traum. Behalte es ständig im Gedächtnis, während du wach
bist: alles ist Traum. Das ist der Grund, warum die Welt Maja ge-
nannt worden ist — eine Illusion, Traum. Das ist keine philoso-
phische Behauptung.
Unglücklicherweise hat man Shankara, als er ins Englische,
Deutsche und Französische übersetzt wurde, in die westlichen
Sprachen, für einen Philosophen gehalten. Das hat zu vielen Irr-
tümern geführt. Im Westen gibt es solche Philosophen, zum Bei-
spiel Berkeley, die sagen, daß die Welt nur ein Traum ist, eine Pro-
jektion des Geistes. Aber das ist eine philosophische Theorie.
Berkeley stellt das als eine Hypothese auf.
Wenn dagegen Shankara davon spricht, daß die Welt ein
Traum ist, dann ist das nicht Philosophie — keine Theorie. Shan-
kara bietet es als Hilfe an, als Unterstützung einer bestimmten
Meditation, und zwar folgender: Wenn du dich im Traum dar-
an erinnern willst, daß dies ein Traum ist, dann mußt du das im
Wachzustand üben. So, wie es jetzt ist, kannst du dich beim Träu-
men nicht daran erinnern, daß du träumst. Für dich ist es Wirk-
lichkeit.
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Kapitel 6
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Das Buch der Geheimnisse
werden. Dann wiederum dekodiere ich sie, und auf diese Weise
weiß ich, was passiert.
Ich bin immer innen, und ihr seid immer außen, und es gibt
kein Zusammentreffen. Ob ihr also wirklich seid oder nur ein
Traum, ist ein Problem. Selbstjetzt, in diesem Augenblick, besteht
keine Möglichkeit zu beurteilen, ob ich träume oder ob ihr wirk-
lich vorhanden seid.
Wie könnt ihr, während ihr mir zuhört, sagen, daß ihr mir wirk-
lich zuhört? Daß ihr nicht etwa träumt? Es gibt keine Möglich-
keit. So kommt es, daß die Einstellung, an der ihr den ganzen Tag
über festhaltet, auch in die Nacht mit hineingenommen wird.
Und während ihr träumt, haltet ihr es für wirklich.
Versucht es einmal umgekehrt; genau das meint Shankara. Er
sagt, die ganze Welt ist eine Illusion; er sagt, die ganze Welt ist ein
einziges Träumen. Aber wir sind Dummköpfe. Wenn Shankara
sagt: „Es ist alles Traum”, dann sagen wir: „Wozu dann noch et-
was tun?” Wenn es doch nur ein Traum ist, dann brauchen wir
nicht zu essen. Warum dann immer weiteressen, wenn wir es
doch träumen? Also eßt nicht. Aber dann vergeßt nicht, daß es
auch ein Traum ist, wenn ihr hungrig seid. Oder eßt und wenn es
zuviel war, erinnert euch: Es ist ja nur ein Traum.
Shankara sagt nicht, daß ihr etwas an dem Traum verändern
sollt, vergeßt das nicht: denn wenn man sich die Mühe macht, den
Traum zu verändern, dann basiert das wieder auf der falschen An-
nahme, daß er Wirklichkeit ist. Wozu sonst etwas daran ändern?
Shankara sagt nur, daß alles so, wie es ist, Traum ist.
Vergeßt also nicht: Tut nichts, um es zu ändern. Erinnert euch
nur immer daran; versucht, drei Wochen lang ständig im Ge-
dächtnis zu behalten, daß alles, was ihr tut, nur ein Traum ist. Am
Anfang ist das sehr schwer. Ihr werdet wieder und wieder in das
alte Denkmuster verfallen und denken, daß dies Wirklichkeit ist.
Ihr werdet euch ständig aufwecken müssen, um euch daran zu er-
innern, daß dies ein Traum ist. Wenn ihr diese Einstellung drei
Wochen lang ständig durchhalten könnt, dann werdet ihr euch in
der vierten oder fünften Woche plötzlich, irgendwann eines
Nachts, während des Träumens daran erinnern, daß „dies ein
Traum ist”.
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Kapitel 6
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 6
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Das Buch der Geheimnisse
weiter und erinnere dich weiter: „Ich bin, ich bin.” Vergiß es nicht!
Es ist schwierig, weil du bereits zu wissen glaubst, daß du bist.
Wozu es sich also ständig ins Gedächtnis rufen? Du erinnerst dich
nie daran, aber es ist eine sehr, sehr starke Technik. Wenn du spa-
zierengehst, erinnere dich: „Ich bin.” Laß das Gehen da sein, geh
weiter. Aber bleibe ununterbrochen auf diese Selbsterinnerung fi-
xiert, auf dies „Ich bin, ich bin, ich bin”. Vergiß es nicht. Du hörst
mir zu, mache es gleich hier! Du hörst mir zu: sei nicht so völlig
eingetaucht, beteiligt, identifiziert. Was immer ich sage, erinnere
dich daran, hör nicht auf, dich zu erinnern. Das Zuhören ist da,
Wörter sind da, jemand, der redet — und du ... „Ich bin, ich bin,
ich bin” ... laß dies „Ich bin” zum ständigen Teil deines Bewußt-
seins werden.
Das ist sehr schwer. Du kannst dich nicht einmal eine Minute
lang daran erinnern. Versuche es. Sieh auf deine Armbanduhr, und
schau auf die Zeiger, die sich bewegen. Eine Sekunde, zwei Se-
kunden, drei Sekunden — hör nicht auf hinzusehen. Tu zweierlei:
Schau auf den Sekundenzeiger und erinnere dich ständig an dies
„Ich bin, ich bin”. Erinnere dich jede Sekunde daran: „Ich bin.”
Nach fünf oder sechs Sekunden wirst du feststellen, daß du es ver-
gessen hast. Plötzlich stellst du fest, daß viele Sekunden verstri-
chen sind, ohne daß du dich an dies „Ich bin” erinnert hast.
Sich auch nur eine einzige volle Minute zu erinnern, kommt
einem Wunder gleich. Und wenn du dich eine Minute lang erin-
nern kannst, ist das die richtige Methode für dich. Dann mach sie.
Durch sie wirst du fähig, über das Träumen hinauszugehen und
zu erkennen, daß Träume Träume sind.
Wie funktioniert es? Wenn du dich den ganzen Tag über an das
„Ich bin” erinnern kannst, dann dringt es auch bis in deinen Schlaf.
Und dann wirst du dich auch im Traum ständig erinnern: „Ich
bin.” Wenn du dich an dies „Ich bin” im Traum erinnern kannst,
wird der Traum plötzlich zum Traum. Dann kann der Traum
dich nicht mehr täuschen. Dann kann der Traum nicht mehr als
Wirklichkeit erfahren werden. Und so sieht der Mechanismus
aus: Der Traum wird nur deshalb als Wirklichkeit erfahren, weil
du es versäumst, dich an dich selbst zu erinnern. Du verfehlst das
„Ich bin”. Wenn keine Selbst-Erinnerung da ist, dann ist Traum
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Kapitel 6
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Das Buch der Geheimnisse
russischen Stadt — Tiflis. Gurdjieff rief ihn heraus, und sie gingen
auf die Straße. Ouspensky schreibt in seinem Tagebuch: „Zum er-
stenmal begriff ich, was Jesus meint, wenn er sagt, daß der Mensch
schläft. Die ganze Stadt kam mir vor, als schliefe sie. Die Leute lie-
fen im Schlaf herum, die Krämer verkauften ihre Waren im
Schlaf, die Kunden kauften im Schlaf. Die ganze Stadt schlief. Ich
sah Gurdjieff an: Er allein war wach. Die ganze Stadt schlief. Sie
waren wütend, sie stritten sich, sie liebten sich, sie kauften und
verkauften, sie taten und machten alles mögliche.” Ouspensky sagt
weiter: „Jetzt konnte ich plötzlich ihre Gesichter sehen, ihre Au-
gen: Sie schliefen! Sie waren nicht da, das innere Zentrum fehlte.
Es war einfach nicht da.” Ouspensky sagte zu Gurdjieff: „Ich will
hier nie wieder herkommen — was ist mit der Stadt passiert? Alle
scheinen zu schlafen oder unter Drogen zu stehen.” Gurdjieff sag-
te: „Mit der Stadt ist nichts passiert. Etwas ist mit dir passiert. Du
bist nicht mehr betäubt. Die Stadt ist wie immer, sie ist der gleiche
Ort, wo du vor drei Monaten herumgelaufen bist. Aber du konn-
test nicht sehen, daß die andern Leute schliefen, weil du selber
schliefst. Jetzt kannst du es sehen, weil eine gewisse Bewußtheit
in dich gekommen ist. Dadurch, daß du drei Monate lang ständig
dies „Ich bin” geübt hast, bist du zu einem ganz geringen Grade
bewußt geworden. Du bist bewußter geworden. Ein Teil deines
Bewußtseins ist über das Träumen hinausgegangen. Darum
kannst du sehen, daß jeder schläft und wie tot, wie betäubt her-
umläuft, wie hypnotisiert.”
Ouspensky sagt: „Ich konnte das gar nicht aushalten — dies Phä-
nomen, daß alle schlafen! Was immer sie tun, sie sind nicht ver-
antwortlich.” Wirklich nicht! Wie können sie verantwortlich sein?
Nach Hause zurückgekehrt, fragte er Gurdjieff: „Was ist los? Spielt
hier irgendein Betrug mit? Hast du etwas mit mir angestellt, daß
mir die ganze Stadt wie schlafend erscheint? Ich kann meinen ei-
genen Augen nicht trauen.”
Aber das wird jedem so ergehen. Wenn du dich an dich selbst
erinnern kannst, dann wirst du erkennen, daß niemand sonst sich
an sich selbst erinnert, und daß sich alle so bewegen. Die ganze
Welt schläft. Aber fang damit an, während du wach bist. Wann
i mmer du dich erinnern kannst, fang an: „Ich bin ...” Ich meine
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Kapite16
es nicht so, daß ihr anfangen sollt, die Worte „Ich bin” zu wie-
derholen, sondern es geht um das entsprechende Gefühl. Nimmst
du ein Bad, dann fühle „Ich bin”. Laß die Berührung der kalten
Dusche da sein und bleibe dahinter, fühle es und erinnere dich
„Ich bin”. Noch einmal: Du brauchst es nicht wörtlich zu wie-
derholen. Das kannst du zwar, aber diese Wiederholung wird dir
keine Bewußtheit bringen. Wiederholung kann dich sogar noch
tiefer in den Schlaf wiegen. Es gibt viele Leute, die ständig irgend
etwas wiederholen. Sie wiederholen „Ram-Ram-Ram”, und
wenn sie es ohne Bewußtheit tun, dann wird aus diesem „Ram-
Ram-Ram” einfach nur ein Schlafmittel. Sie können dann besser
schlafen.
Aus diesem Grund hat Mahesh Yogi eine solche Anziehungs-
kraft im Westen, denn er gibt Mantras zu wiederholen auf. Und
i m Westen ist das Einschlafen zu einem der größten Probleme
überhaupt geworden. Der Schlaf ist völlig gestört. Der natürliche
Schlaf ist verschwunden. Man kann nur noch mit Beruhigungs-
mitteln und Schlaftabletten einschlafen, andernfalls ist Schlaf un-
möglich geworden. Das ist der Grund für die Anziehungskraft
von Mahesh Yogi: Denn wenn man ständig etwas wiederholt,
verhilft das zu einem tiefen Schlaf. Das ist alles.
Die sogenannte Transzendentale Meditation ist also nichts wei-
ter als eine psychologische Schlaftablette. Sie ist lediglich ein Be-
ruhigungsmittel. Sie hilft, aber sie verhilft nur zum Schlaf, nicht
zur Meditation. Man kann gut schlafen. Es kommt ein ruhigerer
Schlaf dabei heraus. Das ist gut, hat aber mit Meditation nicht das
geringste zu tun. Wenn man ständig ein Wort wiederholt, erzeugt
das eine gewisse Langeweile. Und Langeweile ist gut fürs Ein-
schlafen.
Alles, was monoton ist, was sich wiederholt, ist zum Einschlafen
gut. Das Kind im Mutterleib schläft neun Monate lang ununter-
brochen; ihr wißt vielleicht nicht, warum das so ist: der Grund ist
nur das „Tick Tack, Tick-Tack” vom Herzen der Mutter. Ständig
derselbe Rhythmus, der Herzschlag — es gibt nichts Monotone-
res. Der gleiche Rhythmus, ständig wiederholt, betäubt das Kind.
Es schläft ununterbrochen.
Darum legt die Mutter, sobald ihr Kind schreit, seinen Kopf an
15 3
Das Buch der Geheimnisse
154
Kapitel 6
Es ist die gleiche Frage; sie enthält den gleichen Trugschluß. Ich
sage ja nicht, daß alles vorherbestimmt ist. Ich stelle das nicht als
Theorie auf, um das Universum zu erklären. Es ist nur ein Hilfs-
mittel.
In Indien hat man schon seit jeher mit diesem Trick gearbeitet.
Damit ist aber nicht gemeint, daß alles tatsächlich vorherbestimmt
ist. Keinesfalls. Mein einziger Grund, das so zu behaupten, ist der,
daß euch alles zum Traum wird, wenn ihr alles für vorherbe-
sti mmt haltet. Wenn ihr die Dinge einmal so seht, wenn ihr ein-
mal annehmt, daß alles vorherbestimmt ist — zum Beispiel auch,
daß ihr an einem bestimmten Tag sterben werdet — dann wird al-
les zum Traum.
Es ist nicht vorherbestimmt. Es steht nicht fest. Niemand hat
ein solches Interesse an dir, und das Universum hat nicht die ge-
ringste Ahnung von dir und wann du sterben wirst. Es kann nichts
damit anfangen — dein Tod ist für das Universum völlig irrelevant.
Halte dich nicht für so wichtig, daß das ganze Universum den
Tag deines Todes vorherbestimmt — die Zeit, die Minute, die Se-
kunde — nein! Du bist nicht der Nabel der Welt. Es macht für das
Universum keinen Unterschied, ob du da bist oder nicht. Aber
dieser Trugschluß sitzt sehr rief in euch drin. Er entsteht in der
Kindheit und wird später unbewußt.
Ein Kind wird geboren. Es hat der Welt nichts zu geben, muß
aber vieles nehmen. Es kann nicht zurückzahlen, es kann nichts
zurückgeben. Es ist so machtlos — einfach hilflos. Es braucht Nah-
rung, es braucht Liebe, es braucht Geborgenheit, es braucht Wär-
me. Alles das muß bereitgestellt werden.
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Das Buch der Geheimnisse
Ein Kind wird absolut hilflos geboren — vor allem das Kind des
Menschen. Kein Tier ist so hilflos. Darum könnte kein Tier eine
Familie gründen. Es ist auch nicht nötig. Aber das Kind des Men-
schen ist so hilflos, so ganz und gar hilflos, daß es nicht ohne eine
Mutter existieren könnte, die es schützt, ohne einen Vater, eine
Gesellschaft. Es kann nicht allein existieren. Es würde sofort ster-
ben.
Es ist so abhängig! Es braucht Liebe, es braucht Nahrung, es
braucht alles, und es fordert alles. Und die Mutter versorgt es da-
mit, der Vater versorgt es damit, die Familie versorgt es. Das Kind
fängt an zu glauben, daß es der Mittelpunkt der Welt sei. Alles
muß ihm geliefert werden, es muß nur fordern. Zu fordern ist die
einzige Mühe, die es sich machen muß.
So fängt das Kind an, sich für den Mittelpunkt zu halten, und
alles passiert seinetwegen. Die ganze Existenz scheint seinetwe-
gen da zu sein. Die ganze Existenz hat nur darauf gewartet, daß
es komme und fordere, und alles wird erfüllt ... Es ist notwendig,
daß seine Forderungen erfüllt werden, sonst stirbt es. Aber diese
Notwendigkeit wird ihm sehr gefährlich. Es wächst auf mit die-
ser Einstellung, daß „ich der Mittelpunkt” bin. Nach und nach
verlangt es immer mehr. Die Bedürfnisse eines Kindes sind sehr
einfach: sie können erfüllt werden. Aber mit zunehmendem Al-
ter werden seine Forderungen komplexer. Manchmal wird es
nicht möglich sein, sie zu erfüllen, ihnen nachzukommen — abso-
lut unmöglich. Es mag nach dem Mond fragen oder dergleichen.
Je älter es wird, desto komplexer seine Forderungen — uner-
füllbar. Dann setzt die Frustration ein, und das Kind fängt an zu
glauben, daß es betrogen wird. Es war bisher doch selbstver-
ständlich, daß es der Nabel der Welt war! Jetzt kommen Proble-
me auf, und nach und nach wird es vom Thron gestoßen. Es wird
entthront. Sobald es erwachsen ist, wird es endgültig entthront.
Dann weiß es, daß es nicht der Mittelpunkt ist. Aber tief unten
i m Unbewußten setzt sich die Vorstellung fort, daß es der Mit-
telpunkt ist.
Die Leute kommen her und fragen mich, ob ihr Schicksal fest-
gelegt sei. Was sie in Wirklichkeit fragen ist: sind sie so wichtig,
so bedeutsam für das Universum, daß ihr Geschick von vorn-
15 6
Kapite16
herein festgelegt werden muß: „Was ist der Sinn meines Daseins?”
fragen sie mich. „Wozu wurde ich erschaffen?” Dieser kindliche
Unfug, daß du das Zentrum der Welt bist, führt zu Fragen wie:
„Zu welchem Zweck wurde ich erschaffen?” Du bist zu keinem
Zweck erschaffen worden. Und es ist gut so, daß du nicht zu ei-
nem Zweck erschaffen wurdest; sonst wärst du nämlich eine Ma-
schine. Eine Maschine wird zu einem Zweck erschaffen. Der
Mensch wird zu keinem Zweck erschaffen, zu nichts — nein! Der
Mensch ist nichts als ein Luxus, ein Überfluß der Schöpfung. Al-
les ist einfach da. Die Blumen sind da und die Sterne sind da und
du bist da. Alles ist einfach nur ein Überfließen, eine Freude, ein
Jubel der Schöpfung — ohne jeden Zweck.
Aber diese Schicksalstheorie, diese Bestimmung, führt zu Pro-
blemen, denn wir nehmen es nicht als Theorie. Wir glauben, al-
les sei tatsächlich vorherbestimmt; aber nichts ist vorherbestimmt.
Diese Methode allerdings benutzt es als Mittel. Wenn es darin
heißt, daß alles vorherbestimmt sei, wird euch das nicht als eine
Theorie gesagt. Die Absicht dabei ist: wenn du das Leben als
Theater nimmst, als vorherbestimmt, dann wird es zum Traum.
Wenn ich zum Beispiel wüßte, daß ich an dem und dem Tage, an
dem und dem Abend zu euch sprechen würde und daß die Wor-
te, die ich dann zu euch sagen würde, vorherbestimmt wären, und
das stünde so fest, daß sich nichts daran ändern ließe, daß ich nicht
ein einziges neues Wort würde sagen können, dann habe ich
plötzlich mit diesem ganzen Vorgang nichts mehr zu tun, denn
dann bin ich nicht mehr die Quelle des Handelns. Wenn alles vor-
herbestimmt ist, und wenn jedes Wort vom Universum selbst ge-
sagt wird, oder vom Göttlichen, oder wie immer ihr es nennen
wollt, dann bin ich nicht mehr der Ursprung davon. Dann kann
ich zum Zuschauer werden — zum einfachen Zuschauer.
Wenn du das Leben als vorherbestimmt verstehst, dann kannst
du es beobachten. Dann bist du nicht hineinverwickelt. Bist du
ein Versager, so war es vorherbestimmt; hast du Erfolg, so war es
vorherbestimmt. Wenn beides vorherbestimmt ist, bekommt es
den gleichen Wert, dann wird es synonym. Dann ist der eine
Ram, der andere Ravan, und alles ist vorherbestimmt. Ravan
braucht sich nicht schuldig zu fühlen, Ram braucht sich nicht
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Das Buch der Geheimnisse
158
Kapitel 6
Aber ich sagte: „Das braucht es auch nicht. Dein Ansatz stimmt
absolut nicht. Beides sind Mittel: keins von beiden stimmt, keins
von beiden ist falsch. Beides sind Hilfsmittel.” Er hatte keine Ah-
nung, was ich mit „Hilfsmittel” meinte.
Mohammed, Jesus und Moses sprachen zu einem ganz be-
sti mmten Menschentyp: Buddha, Mahavir und Krishna dagegen
sprachen zu einem völlig anderen Zeitgeist. Es gibt in Wirklich-
keit nur zwei Grundreligionen: die hinduistische und die jüdische.
Alle Religionen, die aus Indien stammen, alle Religionen, die aus
dem Hinduismus stammen, glauben an die Wiedergeburt, an vie-
le Geburten; und alle Religionen, die aus dem jüdischen Denken
geboren wurden — der Islam, das Christentum — glauben an nur
ein einziges Leben. Es handelt sich hier um zwei verschiedene
Methoden, Hilfestellungen.
Versucht, dies zu verstehen. Weil unsere Vorstellungen so ein-
gefahren sind, sehen wir diese Dinge als selbstverständliche Wahr-
heiten an, nicht als methodische Mittel. Und so kommen laufend
Leute zu mir und sagen: „An einem Tag sagst du, dies sei richtig,
und am nächsten sagst du, das sei richtig, und beides kann nicht
richtig sein.” Natürlich, beides kann nicht richtig sein, aber nie-
mand behauptet, beides sei richtig. Ich kümmere mich überhaupt
nicht darum, was richtig und was falsch ist. Mich kümmert allein,
welches Mittel wirkt.
In Indien wirkte dies Mittel der vielen Leben. Warum? Da gibt
es vieles zu erwähnen. Alle Religionen, die im Westen geboren
wurden, vor allem aus dem jüdischen Denken, waren Arme-Leu-
te-Religionen. Ihre Propheten waren ungebildet. Jesus war unge-
bildet, Mohammed war ungebildet, Moses war ungebildet. Sie alle
waren ungebildet, unkultiviert, einfach, und sie redeten zu Mas-
sen, die nicht die geringste Bildung besaßen, die arm waren. Sie
waren nicht reich.
Für einen armen Menschen ist aber ein Leben mehr als genug
... mehr als genug! Er nagt am Hungertuch, er stirbt. Wenn du
ihm erzählst, daß er noch viele Leben vor sich hat, daß er noch
viele Male wiedergeboren werden wird, daß er sich in einem Rad
von tausend und einem Leben befindet, wird der arme Mann sich
nur frustriert abwenden. „Was sagst du da?” wird der arme Marin
15 9
Das Buch der Geheimnisse
fragen. „Ein Leben ist mir schon zu viel, erzähl mir also nichts von
Tausenden von Leben, von Millionen von Leben. Bitte sag nicht
so etwas! Gib uns den Himmel gleich nach diesem Leben!” Gott
wird für ihn nur real, wenn er ihn gleich nach diesem Leben er-
reichen kann — sofort!
Buddha, Mahavir, Krishna sprachen zu einer sehr reichen Ge-
sellschaft. Das ist heute sehr schwer zu verstehen, weil sich das
Rad völlig gewendet hat. Heute ist der Westen reich und der
Osten arm. Damals war der Westen arm und der Osten reich.
Alle Avatare der Hindus, alle T'eerthankeras, die Weltlehrer der
Jainas, alle Buddhas waren Prinzen. Sie gehörten königlichen Fa-
milien an. Sie. waren kultiviert, gebildet, vornehm, auf jede er-
denkliche Weise verfeinert. Man konnte einen Buddha nicht noch
mehr verfeinern. Er war absolut vornehm, kultiviert, gebildet. Es
gab da nichts hinzuzufügen, selbst vom heutigen Standpunkt aus.
Sie sprachen also zu einer Gesellschaft, die reich war, und eine
reiche Gesellschaft hat andere Probleme. Für eine reiche Gesell-
schaft ist „Genuß” unbedeutend, ist ein „Himmel” uninteressant.
Für eine arme Gesellschaft ist der Himmel äußerst wichtig. Wenn
die Gesellschaft schon im Himmel lebt, wird der Himmel unin-
teressant. Man darf ihnen also nicht mit so etwas kommen. Man
kann auf diese Weise keinen Drang wecken, etwas für das Para-
dies zu tun. Sie sind schon drin — und langweilen sich!
Buddha, Mahavir, Krishna reden also nicht vom Himmel. Sie
reden von der Freiheit. Sie reden nicht von einer angenehmen
Welt im Jenseits. Sie reden von einer transzendentalen Welt, wo
es weder Schmerz noch Genuß gibt. Der Himmel von Jesus hät-
te sie nicht gereizt. Sie waren schon darin.
Und zweitens ist für einen Reichen das wirkliche Problem die
Langeweile. Einem Armen muß man für die Zukunft Genuß ver-
sprechen. Für einen Armen ist Leiden das Problem. Dem Reichen
ist das Leiden kein Problem, dem Reichen ist Langeweile das Pro-
blem. Er findet alle Genüsse langweilig.
Mahavir, Buddha und Krishna haben alle drei diese Langewei-
le genutzt und gesagt: „Wenn ihr nichts unternehmt, werdet ihr
wieder und wieder geboren. Dies Rad dreht sich weiter. Vergeßt
nicht: Das gleiche Leben wird sich wiederholen. Der gleiche Sex,
16 0
Kapitel 6
der gleiche Reichtum, das gleiche Essen, die gleichen Paläste, wie-
der und wieder. Tausendundeinmal wirst du dich mit dem Rad
drehen."
Für einen reichen Menschen, der alle Genüsse kennengelernt
hat, ist das keine angenehme Aussicht, diese Wiederholung. Wie-
derholung ist sein Problem. Das ist sein Leiden. Er will etwas Neu-
es, und Mahavir und Buddha sagen: „Es gibt nichts Neues. Diese
Welt ist alt. Nichts ist neu unter dem Himmel. Alles ist uralt. Und
du hast von alledem schon früher gekostet und wirst immer wie-
der davon kosten. Du bist in einem Rad und drehst dich. Steig aus,
wage den Absprung von diesem Rad!”
Wenn man für den Reichen einen Trick finden kann, der sein
Gefühl der Langeweile verstärkt, dann ist das der einzige Weg,
ihn zur Meditation zu bewegen. Wenn man zu einem armen
Menschen zu Langeweile spricht, redet man sinnloses Zeug. Ein
armer Mensch hat nie Langeweile! Nie und nimmer. Nur ein Rei-
cher ist gelangweilt. Ein Armer ist nie gelangweilt: Er denkt im-
mer an die Zukunft. Etwas wird geschehen, und dann wird alles in
Ordnung sein. Der arme Mensch braucht ein Versprechen, aber
wenn die Verheißung noch sehr lange auf sich warten läßt, wird
sie bedeutungslos. Sie muß unmittelbar bevorstehen.
Jesus soll gesagt haben: „Noch zu meinen Lebzeiten, noch zu eu-
ren Lebzeiten werdet ihr das Himmelreich Gottes erblicken!” Die-
se Aussage verfolgt die Christenheit seit zweitausend Jahren wie ein
Gespenst, diese Worte von Jesus: „Noch in eurem Leben, sehr bald,
werdet ihr das Himmelreich Gottes erblicken!” Und bis heute ist
das Himmelreich Gottes noch nicht eingetreten; was also hat er ge-
meint? Und er hatte gesagt: „Die Welt wird bald enden, verliert
also keine Zeit! Die Zeit ist knapp.” Jesus hatte gesagt: „Die Zeit ist
sehr knapp. Es ist töricht, sie zu verschwenden. Der Untergang der
Welt steht unmittelbar bevor, und ihr werdet euch verantworten
müssen — bekehrt euch also!” Jesus schuf eine Atmosphäre der
Dringlichkeit mit Hilfe der Vorstellung von einem Leben. Er wuß-
te Bescheid, genauso gut wie Buddha und Mahavir. Was genau sie
wußten, wird nirgends gesagt. Bekannt ist nur, was für Tricks sie
sich ausdachten. Dies war ein Trick, um Unmittelbarkeit herzu-
stellen, Dringlichkeit, damit die Leute anfingen, etwas zu tun.
16 1
Das Buch der Geheimnisse
162
Liebe löst
(Sutras]
16 5
Das Buch der Geheimnisse
Der Mensch hat eine Mitte, aber er lebt nicht darin — er lebt
nicht im Zentrum. Das erzeugt eine innere Spannung, ständiges
Chaos, ständige Qual. Du bist nicht, wo du sein solltest; du bist
nicht richtig im Gleichgewicht. Du bist aus dem Gleichgewicht,
und dies Aus-dem-Gleichgewicht-Sein, dieses Ohne-Mitte-Sein,
ist die Basis aller geistigen Verspannungen. Wenn es zuviel wird,
wird man verrückt. Ein Verrückter ist einer, der völlig aus sich
selbst herausgerückt ist. Der erleuchtete Mensch ist genau das Ge-
genteil von einem Verrückten. Er ruht in seiner Mitte. Ihr seid da-
zwischen. Ihr seid nicht ganz aus euch gerückt, ver-rückt, und ihr
seid auch nicht in eurer Mitte. Ihr bewegt euch im Zwischenfeld.
Manchmal rückt ihr weit, weit weg, so daß ihr für Momente ver-
rückt seid. In der Wut, im Sex, in allem was euch zu weit von
euch selber wegführt, seid ihr für Momente verrückt. Dann ist
kein Unterschied zwischen euch und einem Verrückten. Der Un-
terschied ist nur, daß er ständig dort ist und ihr nur zeitweilig. Ihr
kommt wieder zurück.
Wenn du wütend bist, ist das Verrücktheit, nur keine perma-
nente. Qualitativ gibt es da keinen Unterschied, nur quantitativ.
Die Qualität ist gleich. Manchmal kommt ihr also an den Wahn-
sinn heran, und manchmal, wenn ihr ganz entspannt seid, total
entspannt, berührt ihr auch euer Zentrum. Das sind die seligen
Augenblicke. Es gibt sie. Darin seid ihr genau wie ein Buddha oder
Krishna, aber nur zeitweilig, momentan. Ihr bleibt nicht dort. Ja,
i m gleichen Moment, wo ihr wahrnehmt, daß ihr selig seid, seid
ihr schon wieder weiter. Es währt so kurz, daß die Seligkeit schon
vorbei ist, wenn ihr sie erkennt.
'
Wir schwanken ständig zwischen diesen beiden Polen, aber dies
Schwanken ist gefährlich. Dies Schwanken ist gefährlich, weil du
so kein Selbstbild von dir herstellen kannst, kein festes Selbstbild.
Du weißt nicht, wer du bist. Wenn du in dir ständig zwischen
Wahnsinn und Zentriertheit hin- und herschwankst, wenn dies
Schwanken nie aufhört, weißt du nicht, wer du bist — schwer zu
sagen. Darum bekommst du sogar Angst, wenn dir ein seliger Au-
genblick bevorsteht, und du möchtest dich irgendwo dazwischen
verankern.
Genau das meinen wir mit dem „Durchschnittsmenschen”: er
16 6
Kapitel 7
reicht in seiner Wut nie an den Wahnsinn heran, und rührt auch
nie an jene totale Freiheit, jene höchste Ekstase. Er weicht nie von
seinem festen Image ab. Der Durchschnittsmensch ist in Wirk-
lichkeit ein toter Mensch, zwischen diesen zwei Punkten. Darum
sind alle außergewöhnlichen Menschen - große Künstler, Maler,
Dichter - nicht normal. Sie sind sehr fließend. Manchmal rühren
sie an die Mitte, manchmal werden sie verrückt. Blitzschnell
wechseln sie von einem zum andern. Natürlich ist ihre Qual un-
geheuer, ihre Spannung enorm. Sie müssen zwischen zwei Wel-
. ten leben, sie verändern sich ständig. Darum haben sie das Gefühl,
keine Identität zu haben. Sie fühlen sich, wie Colin Wilson es aus-
drückt, als „Außenseiter”. In unserer Welt der Normalität sind sie
Außenseiter.
Es wird uns helfen, diese vier Typen zu definieren: zunächst
den Normalmenschen, der eine gefestigte, solide Identität hat, der
weiß, wer er ist - er ist Arzt, Ingenieur, Professor, ein frommer
Mensch usw. -, er weiß, wer er ist, und entfernt sich nie davon.
Er klebt ständig an seinem Selbstbild, an seinem Image. Dann
kommen die Menschen mit dem fließenden Selbstbild, die Dich-
ter, Künstler, Maler, Sänger. Sie wissen nicht, wer sie sind. Manch-
mal sind sie ganz normal, manchmal werden sie verrückt, manch-
mal rühren sie an die Ekstase eines Buddha. Drittens gibt es die,
die permanent wahnsinnig sind. Sie sind außer sich geraten und
kommen nie mehr nach Hause zurück. Sie wissen nicht einmal
mehr, daß sie ein Zuhause haben. Und viertens die, die zu Hause
angelangt sind ... Buddha, Christus, Krishna.
Diese vierte Kategorie - die „Angekommenen” - sind die völ-
lig entspannten Menschen. In ihrem Bewußtsein gibt es keine
Spannung mehr, keine Anstrengung, kein Verlangen. Kurz gesagt,
es gibt kein „Werden” mehr. Sie wollen nichts mehr werden. Sie
sind, sie waren ... aber sie werden nicht! Und sie sind mit ihrem
Dasein glücklich. Was immer sie sind, sie sind es zufrieden. Sie
wollen nichts daran ändern, wollen nirgendwo hin. Sie haben kei-
ne Zukunft. Dieser jetzige Augenblick ist für sie Ewigkeit. Ohne
Sehnsucht, ohne Wunsch. Das heißt nun nicht, daß ein Buddha
nicht ißt oder ein Buddha nicht schläft. Er ißt, er schläft - aber das
sind keine Wünsche. Ein Buddha projiziert diese Wünsche nicht:
16 7
Das Buch der Geheimnisse
Er ißt nicht morgen, er ißt heute. Vergeßt dies nicht: Ihr eßt im-
mer erst morgen, in der Zukunft, in der Vergangenheit, gestern.
Ganz selten nur eßt ihr heute ... Während ihr eßt, wandern die
Gedanken woanders hin. Während ihr einzuschlafen versucht,
denkt ihr ans morgige Essen oder erinnert euch an Vergangenes.
Ein Buddha ißt heute. Diesen Moment lebt er. Er projiziert
nicht sein Leben in die Zukunft: Es gibt für ihn keine; denn die
Zukunft kommt als Gegenwart, immer heute, immer jetzt.
Buddha ißt auch, aber nie im Geiste, macht euch das klar. Es gibt
für ihn kein zerebrales Essen. Ihr eßt ständig im Hirn. Das ist ab-
surd, denn das Hirn ist nicht fürs Essen gedacht. All eure Zentren
sind durcheinander. Euer gesamtes Körper-Geist-Arrangement ist
chaotisch, ist verrückt.
Ein Buddha ißt, aber er denkt nie ans Essen. Und das gilt für al-
les. Ein Buddha ist so gewöhnlich wie ihr, während er ißt. Glaubt
nicht, daß ein Buddha nicht ißt, oder in der heißen Sonne nicht
schwitzt, oder im kalten Wind nicht friert. Er fühlt es, aber fühlt
es immer nur gegenwärtig, niemals zukünftig. Es gibt kein Wer-
den. Wo kein Werden ist, ist keine Spannung. Das müßt ihr ganz
klar verstehen. Wenn es kein Werden gibt, wie kann es da ir-
gendeine Spannung geben? Spannung heißt, daß du etwas ande-
res sein möchtest als du bist.
Du bist A und möchtest B sein. Du bist arm und möchtest reich
sein; du bist häßlich und möchtest schön sein, oder du bist dumm
und möchtest weise sein. Was immer du dir wünschst, was im-
mer dein Verlangen ist, die Form bleibt gleich: A will zu B wer-
den. Was immer du bist, du bist damit nicht zufrieden. Um zu-
frieden zu sein, ist etwas anderes nötig: dies ist das feste Muster
der Wunschhaltung. Wenn du es bekommst, sagt der Verstand so-
fort, daß es nicht genügt, daß etwas anderes nötig ist. Das Denken
eilt immer weiter. Was immer du bekommst, wird wertlos; im
Augenblick, wo du es bekommst, ist es wertlos. Das ist Verlangen.
Buddha hat es Trishna genannt, „Werden”. Ihr eilt von einem Le-
ben zum andern weiter, von einer Welt zur andern, und das hört
nie auf. Es kann so weitergehen, ad infinitum. Da gibt es kein
Ende. Das Verlangen, das Wünschen kennt kein Ende. Aber wenn
es kein Werden mehr gibt, wenn du dich total so akzeptierst, wie
168
Kapite1 7
du bist — häßlich oder schön, weise oder dumm, reich oder arm,
ganz gleich wie du bist — wenn du es in seiner Totalität akzeptierst,
hört das Werden auf. Dann fällt alle Spannung ab. Dann kann
Spannung nicht mehr existieren. Dann gibt es keine Qual mehr,
du fühlst dich wohl, du hast keine Sorgen mehr. Dieser nicht wer-
dende Geist ist Geist, der sich im Selbst gesammelt hat.
Genau am entgegengesetzten Pol befindet sich der Wahnsinni-
ge. Er hat kein Sein, er ist nur noch ein Werden. Er hat vergessen,
wer er ist. Das A ist völlig vergessen, und er versucht, B zu sein. Er
weiß nicht mehr, wer er ist, er kennt nur noch das gewünschte
Ziel. Er lebt nicht hier und jetzt: er lebt woanders. Darum kommt
er uns verrückt vor, wahnsinnig, denn wir leben in dieser Welt,
und er lebt in seiner Traumwelt. Er gehört nicht eurer Welt an, er
lebt woanders. Er hat seine Wirklichkeit, hier und jetzt, vollkom-
men vergessen. Und indem er sich selbst vergessen hat, hat er die
Welt um sich herum vergessen, die wirklich ist. Er lebt in einer
unwirklichen Welt. Für ihn ist das die einzige Wirklichkeit.
Ein Buddha lebt ständig jetzt im Sein und der Wahnsinnige ge-
nau umgekehrt; er lebt nie im Hier und Jetzt, im Sein, sondern
immer im Werden — irgendwo am Horizont. Dies sind die bei-
den polaren Gegensätze.
Bedenkt also, daß der Wahnsinnige nicht euer Gegenteil ist —
er ist das Gegenteil eines Buddha. Und bedenkt auch, daß der
Buddha nicht euer Gegensatz ist, sondern der des Wahnsinnigen.
Ihr seid dazwischen. Ihr seid beides, vermischt. Ihr habt Wahn-
sinn, und ihr habt Augenblicke der Erleuchtung, aber beides ver-
mengt.
Manchmal passiert es, daß ihr von selbst einen Blick in das Zen-
trum erhascht, und zwar wenn ihr entspannt seid. Es gibt Mo-
mente, wo ihr euch entspannt. Du liebst einen Menschen: Für ei-
nige Augenblicke, für einen einzigen Augenblick ist der geliebte
Mensch bei dir. Es war ein langer Wunsch, eine lange Mühe, und
schließlich ist der geliebte Mensch mit dir. Einen Augenblick lang
tritt der Geist ab. Du hast dich lange darum bemüht, mit dem Ge-
liebten zusammenzusein. Deine Gedanken haben sich gesehnt
und gesehnt und gesehnt, du hast ständig und ständig an den Ge-
liebten gedacht. Jetzt ist der geliebte Mensch da, und plötzlich
169
Das Buch der Geheimnisse
kann der Kopf nicht mehr denken. Der alte Vorgang kann nicht
mehr weitergehen. Du hast dich nach dem Geliebten gesehnt,
nun ist er da, und jetzt bleibt der Geist einfach stehen.
In dem Moment, wo der Geliebte da ist, hört das Sehnen auf.
Du bist entspannt. Plötzlich bist du auf dich zurückgeworfen. Und
solange der geliebte Mensch dich nicht auf dich selbst zurückwirft,
ist es keine Liebe. Solange du in der Gegenwart des Geliebten
nicht du selbst wirst, ist es nicht Liebe. Solange dein Geist in der
Gegenwart des Geliebten nicht völlig zu arbeiten aufhört, ist es
nicht Liebe.
Manchmal geschieht es, daß der Geist stillsteht und alles Wün-
g
schen für einen Au enblick fort ist. Liebe ist wunschlos. Versucht,
das zu verstehen: Ihr mögt nach Liebe verlangen, aber Liebe selbst
ist ohne Verlangen. Wenn die Liebe kommt, ist kein Verlangen
da. Der Geist ist still, ruhig, entspannt, kein Werden mehr, kein
Ziel.
Aber dies geschieht nur für wenige Augenblicke, wenn über-
haupt. Wenn du wirklich je geliebt hast, dann war es ein paar Au-
genblicke lang so. Es kommt als Schock. Der Geist funktioniert
nicht mehr, weil seine ganze Funktion nutzlos und absurd wird.
Derjenige, nach dem du dich gesehnt hast, ist da, und nun weißt
du nicht mehr, was du tun sollst.
Ein paar Augenblicke steht der ganze Mechanismus still. Du
bist völlig in dir entspannt. Du hast dein Sein, deine Mitte berührt,
und fühlst dich an der Quelle allen Wohlbefindens. Glückselig-
keit erfüllt dich: Ein Duft hüllt dich ein. Plötzlich bist du nicht
mehr der Mensch, der du warst.
Darum verändert die Liebe so sehr. Wenn du hebst, kannst du
es nicht verbergen. Das ist unmöglich. Wenn du liebst, sieht man
dir das an. Deine Augen, dein Gesicht, dein Gang, die Art wie du
sitzt, alles verrät es, weil du nicht mehr der gleiche bist. Kein
Wünschen mehr. Für ein paar Augenblicke bist du ein Buddha.
Das kann nicht lange währen, weil es nur ein Schock ist. Der Geist
findet augenblicklich Schliche und Vorwände, um wieder denken
zu können. Zum Beispiel mag der Geist zu denken anfangen, daß
du nun dein Ziel erreicht hast, deine Liebe erreicht hast ... was
nun, was sollst du jetzt machen? Dann fängt das Spekulieren über
170
Kapitel 7
171
Das Buch der Geheimnisse
können sie nicht passieren, weil die ganze Situation jetzt anders
ist. Wenn zwei Menschen sich zum erstenmal begegnen, ist die
ganze Situation neu. Der Kopf findet sich nicht zurecht, so sehr
sind sie überwältigt, so sehr von der neuen Erfahrung erfüllt, von
dem neuen Leben, dem unerwarteten Blühen! Aber gleich
danach fängt der Kopf zu arbeiten an, und beide denken: „Was
für ein herrlicher Augenblick! Den möchte ich jeden Tag wie-
derholen, also sollte ich heiraten.” Der Kopf zerstört alles. Ehe
heißt Kopf. Liebe ist spontan: Ehe ist Kalkül. Heiraten ist etwas
Mathematisches. Jetzt wartet ihr auf diese Augenblicke, aber sie
kommen nie wieder. Darum ist jeder verheiratete Mann, jede
verheiratete Frau frustriert, denn sie warten auf Dinge, die früher
tatsächlich geschehen sind. Warum geschehen sie nicht mehr?
Sie können es nicht, weil die ganze Situation dafür fehlt. Jetzt
seid ihr euch nicht mehr neu; jetzt ist keine Spontaneität mehr
da, jetzt ist die Liebe Routine. Jetzt ist alles Erwartung und For-
derung. Jetzt ist Liebe Pflicht, kein Spaß mehr. Anfangs war sie
Spaß. Jetzt ist sie Pflicht. Und Pflicht kann euch nicht das glei-
che Glücksgefühl geben wie Spaß. Unmöglich! Und das ganze
Ding hat der Kopf ausgeheckt. Jetzt erwartet ihr immer etwas,
und je mehr ihr erwartet, desto geringer die Chance, daß es pas-
siert.
Das passiert überall, nicht nur in der Ehe. Du gehst zu einem
Guru, und die Erfahrung ist neu für dich. Seine Präsenz, seine
Worte, seine Art zu leben ist neu. Plötzlich steht dein Denken still.
Und dann denkst du: „Das ist der Mann für mich, da muß ich je-
den Tag hin.” Dann bist du mit ihm verheiratet. Nach und nach
setzt die Frustration ein, weil du eine Pflicht, eine Routine daraus
gemacht hast. Jetzt kommen diese Erfahrungen nicht mehr, und
du glaubst, daß dieser Mann dich betrogen hat oder daß du ir-
gendwie zum Narren gehalten worden bist. Nun denkst du: „Die
erste Erfahrung war Halluzination, ich muß hypnotisiert gewesen
sein oder so was ähnliches. Es war nicht echt.” Es war echt. Dein
routiniertes Denken macht es unecht. Und nun willst du es her-
beizwingen; aber als es das erstemal geschah, hattest du keine Er-
wartungen. Du warst ohne alle Erwartungen gekommen. Du
warst einfach offen für alles.
172
Kapitel 7
173
Das Buch der Geheimnisse
174
Kapite1 7
175
Das Buch der Geheimnisse
Die Gegenwart ist nicht Teil der Zeit. Die Gegenwart ist Teil der
Ewigkeit. Alles Vergangene ist Zeit und alles, was kommen wird,
ist Zelt. Das, was ist, ist nicht Zelt; denn es geht nie vorbei. Es ist
immer da. Das Jetzt ist immer hier. Es ist immer hier! Dieses Jetzt
ist ewig.
Wenn du von der Vergangenheit her kommst, gelangst du nie
in die Gegenwart. Aus der Vergangenheit geht der Weg immer
nur in die "Zukunft. Es kommt nie ein Augenblick, der gegenwär-
tig ist. Aus der Vergangenheit gehst du immer nur in die Zukunft.
Aus der Gegenwart kannst du niemals in die Zukunft gehen. Aus
der Gegenwart gehst du tiefer und tiefer, mehr und mehr in Ge-
genwart hinein. Das ist mit„ immerwährendes Leben" gemeint.
Wir können es auch so sagen: Aus der Vergangenheit zur Zu-
kunft — das ist Zeit. Zeit heißt, daß ihr euch auf einer Ebene be-
wegt, auf einer geraden Linie; wir können auch sagen: horizon-
tal. Sobald man in der Gegenwart ist, verändert sich die Dimen-
sion: man bewegt sich vertikal — aufwärts oder abwärts, entweder
in die Höhe oder in die Tiefe, aber nie horizontal. Ein Buddha,
ein Shiva lebt in der Ewigkeit, nicht in der Zeit. Jesus wurde ge-
fragt: „Was wird in deinem Reich Gottes passieren?” Der Mann,
der diese Frage stellte, wollte nichts über die Zeit wissen. Er woll-
te wissen, was aus seinen Wünschen würde, ob sie wohl erfüllt
würden. Er wollte wissen, ob es da ein ewiges Leben oder einen
Tod geben würde, ob es dort auch Elend oder Vorgesetzte und
Untergebene geben würde ... kurz er wollte Dinge wissen, die
von dieser Welt waren. Und Jesus antwortete – seine Antwort er-
innert eher an einen Zen-Mönch -:„Es wird dort keine Zeit mehr
geben."
Der Mann, der diese Antwort bekam, wird sie kaum begriffen
haben. „Es wird dort keine Zeit mehr geben” — das ist alles, was
Jesus dazu sagte. Es wird dort keine Zeit mehr geben, weil die Zeit
horizontal ist, und das Reich Gottes ist vertikal: es ist ewig. Es ist
immer hier! Du brauchst dich nur aus der Zeit fortzubegeben, um
es zu betreten.
Liebe ist also die erste Tür. Durch sie kannst du die Zeit verlas-
sen. Und darum willjeder geliebt werden, will jeder lieben. Und
kein Mensch weiß, warum die Liebe so wichtig ist, warum die
17 6
Kapitel 7
Sehnsucht nach Liebe so tief ist. Und solange du dies nicht richtig
verstehst, kannst du weder lieben noch geliebt werden, denn die
Liebe ist eines der tiefsten Dinge auf dieser Erde. Wir glauben im-
mer, jeder wäre fähig zu lieben — so wie er ist. Das ist nicht der
Fall: Es ist nicht so. Deswegen seid ihr so frustriert. Liebe ist eine
ganz andere Dimension. Wenn ihr einen Menschen in der Di-
mension der Zeit lieben wollt, ist es vergebliche Liebesmüh. In der
Zeit ist Liebe nicht möglich.
Mir fällt eine Anekdote ein. Meera war voller Liebe für Krish-
na. Sie war eine verheiratete Frau, die Gemahlin eines Fürsten.
Der Fürst wurde eifersüchtig auf Krishna. Krishna gab es nicht
mehr. Krishna war gar nicht mehr gegenwärtig, war kein physi-
scher Körper. Zwischen der physischen Existenz von Krishna und
der physischen Existenz von Meera lagen fünftausend Jahre! Wie
konnte Meera also wirkliche Liebe für Krishna empfinden? Der
Zeitabstand war etwas groß ...
Eines Tages fragte der Fürst seine Meera, fragte ihr Mann sie:
„Du redest immer von deiner Liebe, du tanzt und singst immer
um Krishna herum, aber wo ist er? In wen bist du denn so ver-
liebt? Mit wem redest du die ganze Zeit?” Meera redete nämlich
mit Krishna, sang und lachte, stritt sich sogar mit ihm. Sie erschien
wie eine Verrückte. In unseren Augen war sie es. Der Fürst sagte:
„Bist du verrückt geworden? Wo ist dein Krishna? Wen liebst du?
Mit wem unterhältst du dich? Und ich bin hieb und mich hast du
ganz vergessen.” Meera sagte: „Krishna ist hier du nicht: denn
Krishna ist ewig, du nicht. Er wird immer hier sein, er war immer
hier, er ist hier. Du wirst nicht hier sein, du warst nie hier, nicht
einen einzigen Tag warst du hier. Du wirst nicht einen Tag hier
sein. Wie kann ich also glauben, daß es dich zwischen diesen
Nicht-Existenzen geben soll? Wie ist eine Existenz zwischen zwei
Nicht-Existenzen möglich?”
Der Fürst ist in der Zeit, aber Krishna ist in der Ewigkeit. Man
kann also dem Fürsten physisch nahe sein, aber die Entfernung ist
trotzdem unüberwindbar. Du wirst weit von ihm entfernt sein.
Du magst zeitlich sehr, sehr weit von Krishna entfernt sein, aber
du kannst ihm nahe sein — nur in einer ganz anderen Dimension
natürlich.
17 7
Das Buch der Geheimnisse
Ich sehe geradeaus und sehe vor mir eine Wand: ich bewege
meine Augen weiter, und da ist ein Himmel. Wenn ihr in der Di-
mension der Zeit seht, ist immer eine Wand da. Wenn ihr über
die Zeit hinaus seht, ist da ein offener Himmel — unendlich. Lie-
be öffnet die Unendlichkeit, das Immerwährende der Existenz.
Wer also je geliebt hat, für den kann Liebe zur Meditationstech-
nik werden. Und genau dies ist die Technik: „Während du geliebt
wirst, süße Prinzessin, gehe in der Umarmung auf wie im im-
merwährenden Leben.”
Bleibe bei der Liebe nicht abseits — draußen. Werde zum Lie-
ben, und gehe in die Ewigkeit ein. Wenn du jemanden liebst, bist
du dann noch als der Liebende da? Wenn ja, dann bist du in der
Zeit, und die Liebe ist unecht, nur pseudo. Wenn du immer noch 1
da bist und sagen kannst, „Ich bin”, dann mögt ihr euch zwar kör-
perlich nahe sein, aber spirituell seid ihr meilenweit voneinander
entfernt.
Wenn du liebst, darfst du nicht sein, sondern es darf nur Liebe
da sein, nur das Lieben selbst. Werdet zum Lieben. Wenn du den
Geliebten oder die Geliebte umarmst, werde zur Umarmung.
Wenn du küßt, sei weder Küssender noch Geküßter. Werde zum
Kuß. Vergiß das Ego vollkommen: Löse es im Liebesakt auf. Geh
so tief in den Akt hinein, daß der Agierende nicht mehr ist. Und
wer nicht im Lieben aufgehen kann, der kann noch weniger im
Essen oder Laufen aufgehen — weil die Liebe der einfachste Weg
ist, das Ego aufzulösen. Darum können Egoisten nicht lieben. Sie
mögen davon reden; sie mögen davon singen; sie mögen darüber
schreiben; aber sie können nicht leben. Das Ego kann nicht he-
ben!
Shiva sagt: „Werde zum Lieben. Werde in der Umarmung zur
Umarmung, werde zum Kuß. Vergiß dich so total, daß du sagen
kannst:,Ich bin nicht mehr, nur noch die Liebe ist. ` Dann schlägt
nicht mehr dein Herz, sondern die Liebe. Dann kreist nicht mehr
das Blut in den Adern: Liebe kreist in deinen Adern. Und nicht
mehr die Augen sehen: Die Liebe sieht. Dann strecken sich nicht
mehr die Hände zur Berührung aus: Die Liebe sucht die
Berührung.
Werde zur Liebe und geh ein in das immerwährende Leben.
178
Kapitel 7
17 9
Das Buch der Geheimnisse
dann flüsterte er Jung ins Ohr: „Das sind unsere privaten Teile.”
Als Jung zurückkam, traf er einen großen Gelehrten, einen
großen Kenner der östlichen Weltanschauung, der Mythologie
und Philosophie des Orients - Heinrich Zimmer. Er erzählte
Zimmer diese Anekdote. Zimmer gehört zu den begabtesten Gei-
stern, die je versuchten, in das indische Denken einzudringen. Er
war ein Liebhaber Indiens und der indischen Denkungsart, der
asiatischen, nicht-logischen, mystischen Weltanschauung. Als er
dies von Jung hörte, lachte er und sagte: „Das ist endlich mal etwas
anderes. Ich habe immer nur von großen Indern gehört - Bud-
dha, Krishna, Mahavir. Was Sie mir erzählen, handelt zur Ab-
wechslung mal nicht von, den großen Indern, sondern einfach von
Indern.”
Liebe ist für Shiva das große Tor. Und für ihn ist Sex nichts Ver-
dammungswürdiges. Für ihn ist Sex der Same und Liebe die Blü-
te. Wer den Samen verdammt, verdammt auch die Blüte. Sex
kann zu Liebe werden. Wenn er nicht zu Liebe wird, ist er ver-
krüppelt. Verdammt seine Verkrüppelung, aber nicht den Sex
selbst. Er muß zur Liebe aufblühen. Sex muß zu Liebe werden.
Wenn es nicht geschieht, dann liegt es nicht am Sex, dann hegt es
an euch.
Sex darf nicht Sex bleiben; das ist die Lehre von Tantra. Er muß
zu Liebe verwandelt werden. Und Liebe darf auch nicht Liebe
bleiben. Sie muß zu Licht verwandelt werden, zu meditativer Er-
fahrung, zum letzten, höchsten, mystischen Gipfel. Wie kann man
die Liebe verwandeln? Sei der Akt, und vergiß den Agierenden.
Wenn du liebst, sei die Liebe - einfach Liebe. Dann ist es nicht
deine Liebe oder meine Liebe oder die Liebe von sonst jeman-
dem. Es ist einfach Liebe. Wenn du nicht da bist, wenn du der ur-
sprünglichen Quelle oder Strömung ausgeliefert bist und dann
liebst, dann bist nicht du es, der hebt. Wenn die Liebe dich ver-
schlungen hat, bist du verschwunden. Du bist zu reiner, strömen-
der Energie geworden.
D. fl. Lawrence, einer der schöpferischsten Menschen dieses
Zeitalters, war - ob er es wußte oder nicht - ein Adept des Tan-
tra. Er wurde im Westen völlig verurteilt. Seine Bücher wurden
verboten. Es gab viele Gerichtsverfahren, nur weil er gesagt hatte:
180
Kapitel 7
„Sexenergie ist die einzige Energie. Und wenn man sie verdammt
und verdrängt, wendet man sich gegen das Universum, und dann
wird man nie die höhere Blüte dieser Energie kennenlernen kön-
nen. Und wenn sie unterdrückt wird, wird sie häßlich, und dies
ist der Teufelskreis.”
Priester, Moralisten, sogenannte religiöse Menschen, Päpste,
Shankaracharyas und dergleichen, verdammen immerzu den Sex.
Sie nennen ihn etwas Häßliches. Ja, wenn ihr ihn unterdrückt,
wird er häßlich! Und dann sagen sie: „Seht! Was wir gesagt haben,
stimmt. Ihr beweist es ja. Seht doch nur, was ihr da treibt: es ist
häßlich, und ihr wißt genau, daß es häßlich ist.” Aber es ist nicht
der Sex, der häßlich ist. Es sind diese Priester, die ihn häßlich ge-
macht haben. Und haben sie ihn erst einmal abstoßend gemacht,
dann haben sie recht. Und da sie recht haben, wird er immer noch
abstoßender ...
Sex ist eine unschuldige Energie -- es ist das Leben, das in euch
fließt, die Schöpfung, die in euch lebt. Verkrüppelt sie nicht. Er-
laubt ihr, sich zu voller Höhe zu entwickeln. Und das heißt: Sex
muß zu Liebe werden. Was ist der Unterschied? Wenn ihr nur
Sex im Kopf habt, beutet ihr den andern aus. Der andere wird
zum Instrument, das benutzt und fortgeworfen wird. Wenn Sex
zu Liebe wird, dann ist der andere kein Instrument, dann dient er
nicht zur Ausbeutung, dann ist der andere in Wirklichkeit gar
nicht „der andere”. Wenn du liebst, dann nicht der Selbstsucht zu-
liebe, sondern weil dir der andere wichtig, unersetzlich ist.
Nicht, daß du ihn etwa ausbeutest, nein! Im Gegenteil, ihr seid
beide in einer tiefen gemeinsamen Erfahrung verbunden. Ihr seid
Partner in einer tiefen Erfahrung, seid weder Ausbeuter noch Aus-
gebeutete. Ihr helft einander, in eine andere Welt der Liebe hin-
einzugehen. Sex ist Ausbeutung. Liebe heißt: gemeinsam eine an-
dere Welt betreten.
Wenn dies nicht nur momentan geschieht, sondern meditativ
wird - und das heißt: Wenn ihr euch völlig selbst vergessen könnt,
so daß der Liebende und der Geliebte verschwinden und nur
noch die Liebe fließt -, dann, so sagt Shiva, ist euch immer-
währendes Leben gewiß.
181
Das Buch der Geheimnisse
Das sieht sehr einfach aus, ist es aber nicht. Ich will es noch ein-
mal lesen: „Schließe die Türen deiner Sinne, wenn du das Krab-
beln einer Ameise spürst. Dann. ” Dies ist nur ein Beispiel: Alles
andere tut es auch. Verschließe die Tore der Sinne, wenn du eine
Ameise krabbeln fühlst, und dann — dann — wird die Sache pas-
sieren. Was will Shiva damit sagen?
Du hast einen Dorn im Fuß. Es ist schmerzhaft, es tut weh.
Oder, eine Ameise läuft dir übers Bein. Du spürst es und willst
sie abschütteln. Nimm, was du willst. Du hast eine Wunde: es
ist schmerzhaft! Du hast Kopfschmerzen oder irgendwelche an-
deren Schmerzen — es kommt nicht darauf an, was es ist. Sie ist
nur ein Beispiel, diese krabbelnde Ameise. Shiva sagt: „Schließe
die Türen deiner Sinne, wenn du das Krabbeln einer Ameise
spürst.” Was immer du gerade spürst — verschließe alle Tore dei-
ner Sinne.
Was mußt du tun? Mach die Augen zu, und bilde dir ein, daß
du blind bist und nicht sehen kannst. Verschließe die Ohren und
stell dir vor, daß du nicht hören kannst. Verschließe einfach alle
fünf Sinne. Wie aber kannst du sie verschließen? Es ist leicht. Höre
einen Moment lang zu atmen auf, und alle Sinne werden ver-
schlossen sein! Wenn du zu atmen aufhörst und alle Sinne ver-
schlossen sind, wo ist dann dies Krabbeln? Wo ist die Ameise?
Plötzlich bist du außerhalb — weit entfernt.
Ein Freund von mir, ein alter Freund — er war sehr alt —, fiel ein-
mal die Treppe hinunter. Die Ärzte sagten, daß er für drei Mona-
te nicht mehr würde aufstehen können, daß er drei Monate lang
still liegen müsse. Und er war ein sehr unruhiger Mensch: es war
nicht leicht für ihn. Ich ging ihn besuchen, und er sagte: „Bete für
mich, und segne mich, damit ich sterben kann, denn diese drei
Monate sind schlimmer als der Tod. Ich kann nicht wie ein Stein
hier liegen.” Und die andern sagten: „Rühr dich nicht.” Ich sagte
zu ihm: „Das ist eine wunderbare Gelegenheit. Mach einfach die
182
Kapitel 7
Augen zu und denke, du bist ein Stein. Du kannst dich nicht be-
wegen. Wie denn? Du bist ein Stein, einfach ein Stein, eine Statue!
Schließe die Augen. Fühl dich jetzt gleich wie ein Stein, eine Sta-
tue." Er wollte wissen, was passieren würde. Ich sagte: „Versuch`s
nur. Ich sitze ja hier. Und es ist sowieso nichts zu ändern, absolut
nichts! Du mußt ja doch drei Monate hier liegen. Also versuch`s.”
Er hätte es nie und nimmer versucht, aber die Situation war so
ausweglos, daß er sagte: „Okay, ich will es versuchen, vielleicht
kommt ja etwas dabei heraus. Aber ich glaub` es nicht”, sagte er.
„Ich kann nicht glauben, daß es irgend etwas bringen soll, nur weil
ich mir denke, daß ich wie ein Stein bin, tot wie eine Statue. Aber
ich will es versuchen.” Und so versuchte er es.
Ich glaubte so wenig wie er, daß irgend etwas passieren würde,
denn so war er nun mal. Aber manchmal, wenn man in einer un-
möglichen Situation ist, hoffnungslos, passieren gewisse Dinge. Er
schloß die Augen. Ich wartete, weil ich damit rechnete, daß er sie
in zwei oder drei Minuten wieder aufmachen und sagen würde:
„Es ist nichts passiert.” Aber er machte die Augen nicht auf, und es
vergingen dreißig Minuten. Und ich konnte fühlen und sehen,
daß er zu einer Statue geworden war. Alle Spannungen auf seiner
Stirn verschwanden. Sein Gesicht war verändert. Ich mußte ge-
hen, aber er machte die Augen nicht auf. Er war so still, als wäre
er tot. Sein Atem wurde ruhig und da ich gehen mußte, sagte ich:
„Ich will jetzt gehen, mache also bitte die Augen auf und sage mir,
was passiert ist.” Als er sie aufschlug, war er ein anderer Mensch.
Und er sagte: „Das ist ein Wunder! Was hast du mit mir ge-
macht?” Ich sagte zu ihm: „Ich habe überhaupt nichts gemacht.”
Er sagte: „Du mußt etwas gemacht haben, denn dies ist ein Wun-
der. Als ich anfing, mich wie ein Stein, wie eine Statue zu fühlen,
bekam ich plötzlich das Gefühl, daß ich meine Hände nicht mehr
bewegen konnte, selbst wenn ich es wollte. Ich wollte meine Au-
gen so oft aufschlagen, aber sie waren wie Stein, also konnte ich es
nicht. Ich machte mir sogar schon Sorgen, was du wohl denken
würdest, weil es so lange dauerte, aber was konnte ich tun? Ich
habe mich in dieser halben Stunde nicht rühren können. Und als
jede Bewegung aufhörte, verschwand plötzlich die Welt, und ich
war allein, tief unten in mir selbst. Da verschwand der Schmerz.”
183
Das Buch der Geheimnisse
Sitzend auf einem Bett oder Kissen, laß dich schwerelos werden,
jenseits des Geistes.
Ihr sitzt hier: Fühlt einfach, daß ihr schwerelos geworden seid.
184
Kapitel 7
Es ist kein Gewicht mehr da. Ihr werdet spüren, daß es irgendwo
noch Gewicht gibt, aber fühlt euch weiter in diese Gewichtslo-
sigkeit hinein. Es kommt. Es kommt ein Augenblick, wo man sich
gewichtslos fühlt. Wenn es kein Gewicht mehr gibt, ist man kein
Körper mehr weil das Gewicht zum Körper gehört, nicht zu dir.
Du bist schwerelos.
Damit hat man schon viele Experimente gemacht: Wissen-
schaftler auf der ganzen Welt haben versucht, einen Sterbenden
zu wiegen. Wenn es einen Unterschied gäbe, wenn das Gewicht
des Lebenden größer und das Gewicht des Toten geringer wäre,
dann könnte die Wissenschaft sagen, daß sich etwas aus dem Kör-
per entfernt hat, daß die Seele oder das Selbst oder das Etwas, das
vorher vorhanden war, nicht mehr da ist; denn für die Wissen-
schaft kann nichts Gewichtsloses existieren — nichts!
Gewicht ist eine Grundeigenschaft aller Materie. Sogar Son-
nenstrahlen haben Gewicht, ein sehr, sehr leichtes, ganz geringes,
kaum zu wiegen, aber die Wissenschaftler haben sie gewogen.
Wenn man die Sonnenstrahlen wiegt, die ein Feld von fünf Qua-
dratmeilen bedecken, kommt ihr Gewicht dem eines Haares
gleich. Sonnenstrahlen haben also tatsächlich Gewicht: man hat
sie gewogen. Für die Wissenschaft kann es nichts Gewichtsloses
geben. Und wenn es etwas Gewichtsloses gibt, dann ist es nicht
stofflich, es kann nicht Materie sein. Und die Wissenschaft der
letzten zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre hat geglaubt, daß es
nichts gibt außer Materie.
Wenn also ein Mensch stirbt und etwas entweicht, dann muß
das Gewicht sich ändern. Aber es ändert sich nie. Das Gewicht
bleibt gleich. Manchmal nimmt es sogar zu; das ist das Problem.
Der lebende Mensch wiegt weniger, und der Tote gewinnt an
Gewicht. Das hat zu neuen Problemen geführt, denn was man
wirklich herausfinden wollte, war, ob Gewicht verloren ging.
Dann könnte man sagen, daß etwas entwichen ist. Aber es schi-
en im Gegenteil, daß etwas hereingekommen war. Was passiert?
Gewicht ist stofflich, aber du bist kein Gewicht. Du bist nicht
stofflich.
Um diese Technik der Gewichtslosigkeit auszuprobieren, mußt
du dir nur einbilden, gewichtslos zu sein, und nicht nur einbilden,
185
Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 7
18 7
Das Buch der Geheimnisse
plötzlich das Bild. Du bist eine unendliche Macht, die sich mit ei-
nem sehr endlichen Körper identifiziert hat. Sobald du dein Selbst
erkennst, wird die Gewichtslosigkeit größer und das Gewicht des
Körpers geringer. Dann hebst du ab: der Körper kann aufsteigen.
Es gibt viele Geschichten, die noch nicht wissenschaftlich be-
wiesen werden können, die aber eines Tages bewiesen sein wer-
den; und wenn eine Frau mehr als einen Meter hoch steigen
kann, dann gibt es keine Schranke. Dann kann ein anderer drei-
hundert Meter aufsteigen, und wieder ein anderer völlig im Kos-
mos aufgehen. Theoretisch gibt es da kein Problem: Ein Meter
oder hundert Meter oder tausend Meter machen keinen Unter-
schied.
Es gibt Geschichten über Ram und über viele andere, die völlig,
mitsamt dem Körper verschwunden sind. Ihre Körper wurden nie
tot aufgefunden. Mohammed verschwand völlig — nicht nur mit
seinem Körper: es heißt sogar, mit seinem Pferd! Diese Geschich-
ten erscheinen unglaublich, sie erscheinen mythologisch — aber
sie müssen nicht unbedingt mythologisch sein. Sobald du die Kraft
der Schwerelosigkeit kennst, bist du zum Meister über die Gravi-
tation geworden. Du kannst sie gebrauchen, sie ist dir zu Dien-
sten. Du kannst völlig mit deinem Körper verschwinden.
Aber die Schwerelosigkeit fällt uns nicht so leicht. Die Technik
des Siddhasan, die Sitzposition Buddhas, ist am besten dazu ge-
eignet, schwerelos zu sein. Du setzt dich auf die Erde, nicht auf ei-
nen Stuhl oder sonst ein Sitzmöbel, sondern einfach auf den Fuß-
boden. Und es ist gut, wenn der Boden nicht aus Zement oder ir-
gendeinem künstlichen Material besteht. Sitze einfach auf der F
Erde, so daß du der Natur so nah wie möglich bist. Es ist gut,
wenn du nackt dasitzen kannst. Setze dich nackt auf die Erde, in
der Buddha-Position, Siddhasan, weil Siddhasan die beste Position
dafür ist, sich gewichtslos zu machen. Warum? Weil du mehr r
Gewicht spürst, wenn sich dein Körper vor — oder zurücklehnt.
Dann wird eine größere Fläche des Körpers von der Schwerkraft
betroffen. Wenn ich auf diesem Sessel sitze, dann wird eine größe-
re Fläche meines Körpers von der Gravitation erfaßt. s
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Kapitel 7
18 9
Akzeptiere das Tier in dir —
und werde zum Gott
[Fragen]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 8
Je mehr das Denken zunimmt, desto mehr verliert das Kind sei-
ne Reinheit. Dann wird die Wut Absicht, sie ist nicht mehr spon-
tan. Jetzt unterdrückt das Kind manchmal seine Wut, wenn die
Situation es nicht erlaubt. Und wenn die Wut unterdrückt wird,
dann wird sie manchmal auch auf eine andere Situation übertra-
gen. Nun wird man wütend, wenn es dafür gar keinen Grund
gibt, weil die unterdrückte Wut irgendein Ventil braucht. Und da-
mit wird alles unrein, weil sich nun das Denken eingeschlichen
hat.
Ein Kind kann in unseren Augen ein Dieb sein, aber vor sich
selbst ist ein Kind niemals ein Dieb, weil die bloße Vorstellung,
daß die Dinge einzelnen Menschen gehören, noch nicht in ihm
existiert. Wenn es deine Uhr nimmt, dein Geld oder sonst etwas,
ist das für das Kind kein Diebstahl, weil die bloße Vorstellung von
Eigentum für es nicht existiert. Sein Diebstahl ist rein, wohingegen
sogar euer Nicht-Diebstahl unrein ist; denn der Kopf ist da.
Tantra sagt, daß man rein ist, wenn man wieder zu einem Kind
wird. Natürlich ist man kein Kind, sondern lediglich wie ein Kind.
Da gibt es sowohl einen Unterschied als auch eine Ähnlichkeit.
Die Ähnlichkeit ist die wiedergewonnene Unschuld. Man ist wie-
der wie ein Kind. Ein Kind geht nackt: Kein Mensch empfindet es
als Nacktheit, weil ein Kind sich seines Körpers noch nicht be-
wußt ist. Seine Nacktheit unterscheidet sich wesentlich von eurer
Nacktheit. Ihr seid euch eures Körpers bewußt.
Der Weise muß diese Unschuld wiedergewinnen. Mahavir
steht wieder nackt da. Seine Nacktheit hat wieder die gleiche Un-
schuldsqualität. Er hat seinen Körper vergessen; er ist nicht mehr
der Körper.
Aber es gibt auch einen Unterschied, und zwar einen sehr
großen. Das Kind weiß einfach überhaupt nichts; das macht seine
Unschuld aus. Aber der Weise ist weise: Das macht seine Un-
schuld aus.
Das Kind wird sich eines Tages seines Körpers bewußt und
empfindet dann seine Nacktheit. Es wird sie zu verstecken suchen,
wird sich schuldig fühlen, sich schämen. Es wird bewußt. Seine
Unschuld ist also eine Unschuld des Nichtwissens. Wissen wird
sie zerstören.
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Das Buch der Geheimnisse
19 4
Kapitel 18
Garten Eden ging das noch leicht, da gab es einfach einen Baum.
Zum Ersatz für den Baum haben wir heute Schulen und Univer-
sitäten. Jedes Kind muß da durch, muß nicht-unschuldig werden,
muß seine Unschuld verlieren. Um überhaupt in der Welt zu exi-
stieren, braucht man Wissen. Zum bloßen Überleben braucht
man Wissen, wir können nicht ohne Wissen existieren. Und mit
dem Wissen kommt auch die Spaltung. Ihr fangt an, zwischen
Gut und Schlecht zu unterscheiden.
Für Tantra ist das Unreine also die Unterscheidung zwischen
Gut und Böse. Vorher bist du rein, nachher bist du rein, dazwi-
schen bist du unrein. Aber Wissen ist ein notwendiges Übel. Ihr
könnt es nicht umgehen. Man muß da durch, das gehört zum Le-
ben. Aber: Man muß nicht immer darin bleiben. Man kann dar-
über hinausgehen. Transzendenz macht dich wieder rein und un-
schuldig. Wenn alle Unterscheidungen ihre Bedeutung verlieren,
wenn das W issen, welches zwischen Gut und Böse unterscheidet,
nicht mehr ist, könntest du wieder mit unschuldigen Augen auf
die Welt blicken.
Jesus sagt: „Nur wenn ihr wieder wie die Kinder werdet, könnt
ihr in mein Himmelreich eingehen.” „Nur wenn ihr wieder wie
die Kinder werdet... ”" — das ist die Reinheit des Tantra. Lao Tse
sagt: „Nur ein Daumenbreit an Unterscheidung, und es gibt Him-
mel und Hölle.”
Un-Geteiltheit ist der Geist des Weisen — nicht die geringste
Teilung. Ein Weiser weiß nicht, was gut oder was schlecht ist. Er
ist wie ein Kind — aber auch wieder nicht, denn er hat die Spal-
tung kennengelernt. Er ist durch diese Spaltung gegangen und hat
sie transzendiert. Er ist darüber hinausgegangen. Er hat die Dun-
kelheit und das Licht gesehen, aber jetzt ist er darüber hinaus —
jetzt sieht er Dunkelheit als Teil des Lichts und Licht als Teil der
Dunkelheit. Jetzt gibt es keine Teilung mehr. Licht und Dunkel
sind beides eins geworden — Abstufungen ein und desselben Phä-
nomens. Jetzt sieht er alles als Nuancen eines gemeinsamen
Ganzen. Wie entgegengesetzt sie auch sind, sie sind nicht zwei.
Leben und Tod, Liebe und Haß, Gut und Böse, alles ist nur Teil
eines einzigen Phänomens, einer einzigen Energie. Der Unter-
schied ist nur gradweise, und ein Trennstrich kann nirgends
195
Das Buch der Geheimnisse
gezogen werden. Man kann keine Linie ziehen, daß „von hier an”
unterschieden wird. Es gibt kein Unterscheiden.
Was ist gut? Was ist schlecht? Von wo aus kann man es defi-
nieren und als getrennt markieren? Es gehört immer zusammen.
Es sind nur verschiedene Grade ein und derselben Erscheinung.
Sobald dies bewußt empfunden wird, wird der Geist wieder rein.
Das ist die Reinheit, die Tantra meint. Ich will tantrische Reinheit
also als Unschuld definieren, nicht als Gut-sein.
Unschuld kann unwissend sein. Dann ist sie wertlos, und man
muß sie verlieren; man muß daraus verstoßen werden, sonst kann
man nicht reifen. Die Unschuld aufgeben und das Wissen trans-
zendieren, beides gehört zum Reifungsprozeß dazu, zum wirkli-
chen Erwachsen werden. Geht also da hindurch, bleibt dabei nicht
stehen, geht weiter! Geht immer weiter. Es kommt der Tag, wo
ihr beides hinter euch gelassen habt.
Darum ist tantrische Reinheit so schwer zu verstehen; sie kann
leicht mißverstanden werden. Sie ist etwas sehr Delikates. Einen
tantrischen Weisen zu erkennen, ist praktisch unmöglich. Ge-
wöhnliche Heilige und Weise sind zu erkennen, denn sie folgen
euch — euren Maßstäben, euren Definitionen, eurer Moral. Ein
tantrischer Weiser ist überhaupt nicht zu erkennen, weil er alle
Unterscheidungen hinter sich gelassen hat. So überliefert uns die
gesamte Geschichte des menschlichen Wachstums praktisch gar
nichts über tantrische Weise. Nichts wird über sie gesagt oder auf-
geschrieben; denn es ist sehr schwer, sie überhaupt zu erkennen.
Konfuzius kam zu Lao Tse. Der Geist von Lao Tse ist der Geist
eines Erwachten, eines Weisen im tantrischen Sinne. Er hat das
Wort Tantra nie gekannt, das Wort selbst würde ihm nichts sagen.
Er hat nichts von Tantra gewußt, aber was er gesagt hat, ist reines
Tantra. Konfuzius repräsentiert unsere Geisteshaltung. Er ist unser
Erzrepräsentant. Er denkt ununterbrochen in Begriffen: von Gut
und Böse, was man tun sollte und was nicht. Er ist ein Legalist —
der größte Legalist aller Zeiten. Er suchte Lao Tse auf und fragte
ihn: „Was ist gut? Was sollte man tun? Was ist schlecht? Definie-
re bitte klar.”
Lao Tse sagte, daß Definitionen alles durcheinanderbringen,
weil definieren unterscheiden bedeutet: dies ist dies, und das ist
196
Kapitel 8
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Das Buch der Geheimnisse
Tantra ist darum nicht Unordnung. Und das ist ein sehr feiner
Punkt, den man verstehen muß.
Konfuzius konnte Lao Tse nicht verstehen. Als er gegangen
wag lachte Lao Tse aus vollem Halse, so daß ihn seine Jünger frag-
ten: „Was lachst du so, was ist denn passiert?” Lao Tse soll gesagt
haben: „Der Verstand ist ein solches Brett vorm Kopf! Selbst der
Verstand eines Konfuzius ist ein Brett vorm Kopf. Er hat mich
überhaupt nicht verstanden, und was immer er über mich sagen
mag, wird ein Mißverständnis sein. Er glaubt, daß er Ordnung in
die Welt bringt. Man kann die Welt nicht in Ordnung bringen.
Sie hat schon eine innewohnende Ordnung, und die ist immer da.
Wer künstlich eine Ordnung herstellen will, stiftet nur Unord-
nung.” Lao Tse sagte: „Er denkt jetzt, daß ich Unordnung schaffe;
und dabei ist er es, der die Unordnung schafft. Ich bin gegen jede
aufgezwungene Ordnung, weil ich an eine spontane Disziplin
glaube, die automatisch kommt und wächst. Sie braucht nicht auf-
erlegt zu werden.”
Genauso sieht Tantra die Dinge. Für Tantra ist Unschuld gleich
Spontaneität, Sahajata — du bist du selbst, ohne jeden Zwang. Sei
einfach du selbst, und wachse wie ein Baum; nicht wie der Baum
eurer Gärten, sondern wie der Baum eurer Wälder, wildwach-
send, ohne geführt zu werden; denn geführt werden heißt ver-
führt werden — für Tantra ist jede Führung Verführung —, nicht
geführt also, nicht behütet, nicht gelenkt, nicht motiviert, sondern
einfach nur wachsend.
Das innere Gesetz genügt. Ein anderes Gesetz ist nicht nötig.
Und wenn du ein anderes Gesetz brauchst, so zeigt das nur, daß
du das innere Gesetz noch nicht kennst. Du hast den Kontakt mit
ihm verloren. Das Wahre ist also nicht etwas Aufgezwungenes.
Das Wahre ist es, das Gleichgewicht wiederzugewinnen, wieder
zum Zentrum zurückzukehren, wieder nach Hause zurückzu-
kehren, und so das wirkliche, das innere Gesetz zu finden. Aber
nach Auffassung der öffentlichen Moral, der Religionen, der so-
genannten Religionen, muß die Ordnung erzwungen werden,
muß „das Gute” von oben erzwungen werden, von außen. Alle
Religionen, Moralprediger, Priester und Päpste halten euch für
böse von Geburt an, das dürft ihr nicht vergessen. Sie glauben
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Kapitel 8
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Das Buch der Geheimnisse
akzeptiert, sondern immer nur ein Teil. Das ist grundsätzlich so.
Keine Religion akzeptiert euch total, sondern immer nur teil-
weise. Es heißt: „Wir akzeptieren eure Liebe, aber nicht euren
Haß. Rottet den Haß aus.” Und das ist ein sehr tiefes Problem,
denn wenn ihr den Haß völlig zerstört, wird dabei auch die Lie-
be zerstört, weil es nicht zwei verschiedene Dinge sind. Es heißt:
„Wir akzeptieren eure Friedlichkeit, aber wir akzeptieren nicht
eure Wut.” Zerstört die Wut, und alle Lebendigkeit wird mit zer-
stört. Dann wird man ein stiller, aber kein lebendiger Mensch —
eine bloße Leiche. Eine solche Stille ist nicht Leben. Sie ist Fried-
hofsstille. Alle Religionen spalten euch in zwei Teile: das Böse
und das Göttliche. Sie sind für das Göttliche und gegen das Böse.
Das Böse muß ausgerottet werden! Wer ihnen also bis zur letz-
ten Konsequenz folgt, der macht am Ende die Entdeckung, daß
er, wenn er schließlich den Teufel zerstört hat, damit auch Gott
zerstört hat. Aber niemand befolgt die Religionen wirklich. Das
kann auch niemand, weil diese Lehre von vornherein absurd ist.
Was macht man also? Alle tun nur so, als ob. Darum so viel Heu-
chelei. Heuchelei ist das Werk der Religionen. Ihr könnt das, was
sie euch lehren, gar nicht tun, also werdet ihr zu Heuchlern.
Würdet ihr ihnen folgen, würde es euch umbringen; folgt ihr ih-
nen aber nicht, fühlt ihr euch schuldig, denn ihr seid „unreligiös”.
Was also tun?
Der schlaue Kopf macht einen Kompromiß. Er macht Lippen-
bekenntnisse und sagt: „Ich folge euch ja” und macht weiter, was
er will. Man hält an der Wut fest, am Sex, am Geiz, aber ver-
dammt den Geiz, die Wut, den Sex als schlecht, nennt ihn Sünde.
Das ist Heuchelei. Die ganze Welt ist heuchlerisch geworden.
Kein Mensch ist ehrlich. Ehe nicht diese Religionen verschwin-
den, die euch schizophren machen, kann niemand ehrlich sein.
Das scheint paradox, weil doch alle Religionen die Ehrlichkeit pre-
digen. Dabei sind sie die Ursache aller Unehrlichkeit. Sie machen
euch unehrlich: denn sie fordern unmögliche Dinge von euch, die
ihr gar nicht tun könnt, und machen euch so zu Heuchlern.
Tantra akzeptiert euch in eurer Totalität, in eurer Ganzheit,
denn Tantra sagt: Entweder du akzeptierst etwas ganz oder lehnst
es ganz ab. Es gibt kein Zwischending. Ein Mensch ist etwas
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Kapitel 8
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 8
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Das Buch der Geheimnisse
ihr ihn nicht sofort wiederholen. Ihr braucht Zeit, ihr braucht eine
Periode von Brahmacharya, Enthaltsamkeit, mindestens zwei bis
drei Tage. Es kommt auf das Alter an. Diese Enthaltsamkeit ist kei-
ne wirkliche Enthaltsamkeit: Ihr sammelt nur neue Kräfte. Zwi-
schen zwei sexuellen Akten kann es kein Brahmacharya geben.
Ihr nennt die Zeit zwischen zwei Mahlzeiten „Fasten”. Darum
sagt man im Englischen für Frühstück „breakfast”, „Fastenbre-
chen”. Aber was ist das für ein Fasten? Ihr habt nur einen neuen
Anlauf genommen. Ihr könnt nicht unentwegt Essen in euch hin-
einstopfen. Ihr braucht eine Pause, aber diese Pause ist kein Fa-
sten. Sie ist in Wirklichkeit die Vorbereitung auf eine neue Mahl-
zeit, kein Fasten.
Wenn wir also still sind, dann nur zwischen zwei Wutanfällen.
Wenn wir gelöst sind, dann nur zwischen zwei Gipfeln der An-
spannung. Wenn wir enthaltsam sind, dann nur zwischen zwei
Sexakten. Wenn wir lieben, dann nur zwischen zwei Haßaus-
brüchen.
Vergeßt das nicht. Wenn Buddha also still ist, dann dürft ihr das
nicht mit eurer Stille verwechseln. Denn wenn die Wut ver-
schwunden ist, dann ist auch die Stille verschwunden. Sie gehören
zusammen, sie können nicht getrennt werden. Wenn also ein
Buddha ein Brahmachari ist, ein enthaltsamer Mensch, dann dürft
ihr das nicht mit eurer Enthaltsamkeit verwechseln. Ist der Sex
verschwunden, dann ist auch die Enthaltsamkeit fort. Beides
gehört zusammen, also ist beides gemeinsam verschwunden. Mit
einem Buddha tritt ein völlig neues Wesen auf, wie ihr es euch
überhaupt nicht vorstellen könnt. Ihr könnt euch nur die Zwie-
gespaltenheit vorstellen, die ihr von euch selbst kennt. Ihr könnt
euch nicht vorstellen, was für eine Art von Mensch das ist, was
mit ihm geschehen ist.
Die ganze Energie ist auf eine andere Ebene gehoben worden,
eine andere Seinsebene. Der Schlamm ist zum Lotus geworden,
aber er ist nach wie vor vorhanden. Der Schlamm ist nicht aus
dem Lotus entfernt worden, er wurde transformiert.
Alle eure inneren Energien werden also von Tantra akzeptiert.
Tantra will absolut nichts verworfen wissen; Tantra will nur eines:
Transformation. Und Tantra sagt, daß der erste Schritt ist, alles zu
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Kapite18
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Das Buch der Geheimnisse
verpufft — nein! Sie kann nicht aufflammen, wenn sie nicht so-
wieso da ist. Ihr könnt dies Licht hier anschalten, ihr könnt es aus-
schalten, aber der Strom muß dauernd da sein. Ist kein Strom da,
könnt ihr es weder an — noch ausschalten. Der Strom, der Wut-
strom, ist immer da, der Sexstrom ist immer da, der Gierstrom ist
immer da. Ihr könnt ihn anschalten, ihr könnt ihn ausschalten. Ihr
ändert euch, je nach Situation, aber innerlich bleibt ihr gleich. Ak-
zeptieren heißt nun, daß deine Wut kein momentaner Akt mehr
ist, sondern daß du diese Wut bist. Sex ist nicht nur ein Akt, du
bist Sex. Gier ist nicht nur ein Akt: du bist Gier. Dies zu akzeptie-
ren heißt, dein Selbstbild über den Haufen zu werfen. Und wir
alle haben uns wunderschöne Selbstbilder gebastelt. Jeder hat sich
ein wunderschönes Selbstbild aufgebaut — ausgesprochen schön.
Und nichts, was du tust, kann es antasten. Du beschützt es im-
merzu. Dein Image ist geschützt, also kannst du dich wohlfühlen.
Darum kannst du wütend werden, kannst du sexuell werden,
ohne daß es dich weiter stört. Aber wenn du akzeptierst und sagst:
„Ich bin Sex, ich bin Wut, ich bin Gier”, dann bricht dein Selbst-
bild augenblicklich zusammen.
Tantra sagt, daß dies der erste Schritt ist, und der schwierigste —
nämlich dich zu akzeptieren, ganz gleich, was du bist. Manchmal
versuchen wir zwar, uns zu akzeptieren, aber wenn, dann ge-
schieht es doch nur wieder aus Kalkül. Unsere Schlauheit sitzt rief
und ist subtil, unser Verstand kennt feine Schliche des Betrugs.
Manchmal akzeptierst du und sagst: „Ja, ich bin wütend.” Aber
daß du es akzeptierst, liegt nur daran, daß du schon daran denkst,
die Wut zu überwinden. Dann akzeptierst du und sagst: „Okay,
ich bin wütend. Und nun sag mir, wie ich es überwinden kann.”
Du akzeptierst den Sex, um nicht mehr sexuell sein zu müssen.
Sobald du vorhast, dich zu verändern, kannst du dich akzeptieren
— weil auch jetzt wieder dein Selbstbild aufrechterhalten bleibt,
nämlich durch die Zukunft.
Du bist gewalttätig und möchtest gerne gewaltlos werden. Also
akzeptierst du es und sagst: „Okay, ich bin gewalttätig. Heute bin
ich noch gewalttätig, aber morgen bin ich gewaltlos, komme was
da wolle.” Wie willst du da gewaltlos werden? Du vertagst dein
Selbstbild auf die Zukunft. Du stellst dich dir nicht so vor, wie du
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Kapitel 8
jetzt bist, du stellst dich dir im Licht deines Ideals vor — gewaltlos,
voller Liebe und Mitgefühl. Damit bist du in der Zukunft. Die-
se Gegenwart ist nur dazu da, zur Vergangenheit zu werden.
Dein wahres Selbst ist in der Zukunft, also identifizierst du dich
immer nur mit Idealen. Diese Ideale sind auch nur wieder Schli-
che, der Wirklichkeit auszuweichen. Du bist gewalttätig: Das ist
jetzt so. Und die Gegenwart ist das einzige, was existentiell ist:
die Zukunft ist nicht. Deine Ideale sind nur Träume. Sie sind
Tricks, dich zu vertrösten, deine Gedanken auf etwas anderes zu
lenken.
Du bist gewalttätig. Das ist eine Tatsache, akzeptiere sie also.
Und versuche nun nicht, nicht gewaltsam zu sein. Ein gewaltsa-
mer Mensch kann nicht nicht-gewaltsam werden. Wie denn?
Schau tief hinein — du bist gewaltsam, wie kannst du also gewalt-
los sein? Alles, was du tust, wird von diesem gewalttätigen Men-
schen getan — aber auch alles! Selbst in deiner Bemühung, ge-
waltlos zu sein, stammt die Bemühung von einem, der gewalttätig
ist. Du bist gewaltsam, also wirst du auch bei deinem Versuch, ge-
waltlos zu sein, gewaltsam sein. Noch in dem Bemühen, gewalt-
los zu sein, wirst du jede Form von Gewalt anwenden.
Darum schließt du dich diesen Leuten an, die nach Gewaltlo-
sigkeit streben: Sie mögen nicht gewaltlos mit anderen sein, aber
sie sind es mit sich selbst, sie ermorden sich selbst. Und je mehr
sie gegen sich selbst wüten, desto gefeierter sind sie. Wenn sie to-
tal verrückt und selbstmörderisch geworden sind, sagt die Gesell-
schaft: „Dies sind die wahren Weisen!” Aber sie haben nur den
Gegenstand ihrer Gewalt verschoben, sonst nichts. Sie waren
früher mit anderen gewaltsam, jetzt sind sie es mit sich selbst. Aber
die Gewalt ist da. Und wenn du gegen einen anderen Gewalt an-
wendest, kann das Gesetz einschreiten, können die Gerichte hel-
fen, wird dich die Gesellschaft verdammen. Aber wenn du die Ge-
walt gegen dich selbst richtest, gibt es keine Gesetze. Kein Gesetz
kann dich vor dir selbst schützen. Wenn der Mensch gegen sich
selbst ist, gibt es keinen Schutz. Da ist nichts zu machen. Und es
kümmert auch niemanden, denn es ist deine Sache. Niemand an-
ders ist betroffen, es ist deine Sache. Sogenannte Mönche, soge-
nannte Heilige, haben seit je Gewalt gegen sich selbst verübt. Das
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 8
Ihre Gier ist weit größer. Unter gewöhnlichen Menschen mag ein
ungieriger Mensch zu finden sein, aber unter euren sogenannten
Heiligen könnt ihr keinen ungierigen Menschen finden. Sie wol-
len auch Genüsse, aber sie sind gieriger als ihr. Ihr gebt euch mit
momentanen Genüssen zufrieden, sie nicht. Ihre Gier ist größer.
Ihre Gier ist nur durch ewige Genüsse zu befriedigen.
Grenzenlose Gier will grenzenlose Genüsse, denkt daran. Be-
grenzte Gier wird durch begrenzten Genuß befriedigt. Sie wer-
den euch fragen: „Was gebt ihr euch mit einer Frau ab? Sie ist
nichts als Knochen und Blut. Schaut tiefer in die Frau, die ihr liebt
- woraus besteht sie?” Sie haben nichts gegen die Frau, sie haben
etwas gegen die Knochen, das Blut, gegen den Körper. Aber wenn
die Frau aus Gold ist, dann ist es okay. Sie wollen eine Frau aus
Gold!
Solche Frauen sind aber in dieser Welt nicht zu finden, also er-
finden die Gierigen eine andere Welt. Sie sagen: „Im Himmel, da
gibt es goldene Jungfrauen, Apsaras, die schön sind und nie al-
tern.” Im Himmel der Hindus bleiben die himmlischen Mädchen,
die Apsaras, i mmer sechzehn Jahre alt. Sie werden nie älter. Sie
sind immer sechzehn. Nicht weniger, nicht mehr. Was ver-
schwendet ihr also eure Zeit mit diesen gewöhnlichen Frauen? -
denkt an den Himmel! Sie sind also nicht gegen den Genuß. In
Wirklichkeit sind sie gegen den vergänglichen Genuß.
Wenn Gott aus irgendeiner Laune heraus dieser Welt ewige
Genüsse schenken würde, würde der ganze Bau eurer Religion
zusammenbrechen; der ganze Reiz wäre weg. Wenn es einen
Weg gäbe, Bankkonten ins Jenseits mitzunehmen, dann wäre kein
Mensch mehr daran interessiert, Bankkonten irn Jenseits anzule-
gen. Der Tod ist also ein guter Geschäftsfreund der Priester. Ein
gieriger Mensch rennt von einer Gier zur anderen. Wenn du ihm
erzählst und ihm plausibel machst, daß es seine Habgier ist, was
ihn unglücklich macht und daß er sich die Seligkeit damit erhan-
deln kann, daß er die Habgier aufgibt, dann versucht er es viel-
leicht damit, denn das geht nicht wirklich gegen seine Habgier.
Du lockst seine Gier mit neuen Genüssen. Seine Gier kann zu
neuen Weidegründen weiterziehen. Tantra sagt also, daß ein gie-
riger Sinn nicht nicht-gierig werden kann, daß ein gewalttätiger
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite18
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 8
Krieg führen, setzt ihr euch aufs hohe Roß und verdammt die
ganze Welt als aggressiv."
Das gilt für Individuen, für Gesellschaften, für Kulturen, für Na-
tionen. Wenn man Ideale hat, braucht man sich nicht zu ändern.
Man kann immer hoffen, in Zukunft von den Idealen selbst ver-
ändert zu werden. Und darüber hinaus darf man die andern stän-
dig verdammen.
Tantra sagt: Bleibe bei dir. Was immer du bist, akzeptiere es.
Verdamme nicht dich, verdamme nicht andere. Verdammung ist
zwecklos. Energien lassen sich so nicht verändern.
Der erste Schritt ist Akzeptieren. Bleibe beim Tatsächlichen.
Das ist sehr wissenschaftlich. Bleibe bei dem Faktum der Wut, der
Gier, des Sex. Und lerne das Tatsächliche in seiner ganzen Tatsäch-
lichkeit kennen. Streife sie nicht nur so obenhin, sondern erken-
ne die Tatsache in ihrer Totalität, in ihrer totalen Tatsächlichkeit.
Geh bis in die Wurzeln hinein. Und vergiß nicht, daß du alles
transzendierst, was du bis in die Wurzeln erkannt hast. Wenn du
deinen Sex bis in die Wurzeln kennst, wirst du ihn meistern.
Wenn du deine Wut bis in die Wurzeln erkannt hast, wirst du ihr
Meister. Dann wird Wut zum bloßen Werkzeug — du kannst sie
nutzen.
Mir fällt hier Gurdjieff ein. Gurdjieff lehrte seine Schüler „auf
die rechte Art” wütend zu sein. Von Buddha kennen wir das Wort
von der „rechten Meditation”, vom „rechten Denken”, von der
„rechten Kontemplation”. Von Mahavir stammt die Lehre von
„der rechten Sicht und dem rechten Wissen. ” Gurdjieff lehrte die
„rechte Wut und die rechte Gier”, und diese Lehre war von der
alten Tantra-Tradition beeinflußt. Gurdjieff wurde im Westen sehr
verdammt, weil er für den Westen ein lebendiges Tantra-Symbol
war. Er lehrte die „rechte Wut”. Er lehrte, wie man total wütend
sein konnte. Wenn jemand wütend wurde, sagte er: „Weiter! Hal-
te nicht zurück, laß es in seiner Totalität heraus. Geh rein. Werde
zu Wut. Bremse dich nicht, bleib nicht draußen stehen. Spring tief
hinein. Laß deinen ganzen Körper zur Flamme, zu Feuer wer-
den.”
Ihr seid noch nie so tief gegangen, und ihr habt es nie bei
jemandem beobachtet, weil sich jeder mehr oder weniger gut
21 3
Das Buch der Geheimnisse
214
Kapitel 8
in den Sex hineingegangen, daß ihr euch ganz vergessen habt. Ihr
wart immer da, die Gedanken waren immer dabei. Und wenn die
Gedanken im Sex noch dabei sind, dann ist der Sexakt nur pseu-
do, Mache. Das Denken muß sich auflösen; man muß ganz Kör-
per werden. Es darf kein Denken mehr da sein. Wenn das Den-
ken noch da ist, ist man geteilt. Dann heißt Sex nichts weiter, als
einen Überschuß Energie loszuwerden. Ein Dampfablassen,
nichts weiter. Aber ihr habt Angst, total im Sex zu sein: Darum
paßt ihr euch an, zieht ihr mit der Gesellschaft am selben Strang
und sagt, daß der Sex schlecht sei. Ihr habt Angst!
Warum habt ihr Angst? Ihr begebt euch nicht ganz in den Sex
hinein und wißt deshalb nicht, was ihr dann vielleicht anstellen
könntet, was passieren, was für eine animalische Kraft in euch
hochkommen könnte; ihr wißt nicht, in was für Abgründe euch
euer Unbewußtes werfen könnte. Ihr wißt es nicht! Ihr seid nicht
mehr Herr der Sache; ihr habt euch nicht mehr unter Kontrolle.
Euer Selbstbild könnte kaputtgehen. Darum kontrolliert ihr den
Sexakt. Und die beste Methode, ihn zu kontrollieren, ist es, im
Kopf zu bleiben. Den Sexakt zwar zuzulassen, aber nur lokal. Ver-
sucht den Unterschied zwischen lokal und total zu verstehen. Tan-
tra sagt, daß ein Sexakt dann lokal ist, wenn nur das Sexzentrum
betroffen ist. Er ist lokal, eine lokale Entladung. Das Sexzentrum
speichert immerzu Energie. Wenn sie überfließt, mußt du sie frei-
setzen. Sonst entstehen Spannungen, entsteht eine Last. Du gibst
sie frei, aber das ist eine lokale Entspannung. Dein ganzer Körper,
dein ganzes Selbst ist nicht davon betroffen. Ein nicht-lokales, ein
totales Bei-der-Sache-Sein bedeutet, daß jede Faser deines Kör-
per, jede Zelle deines Körpers, daß alles, was du bist, mit hinein-
kommt. Dein ganzes Wesen ist sexuell geworden, nicht nur dein
Sexzentrum.
Aber das macht Angst, denn nun ist alles möglich. Und du
weißt nicht, was passieren kann, weil du deine Totalität nie ken-
nengelernt hast. Du könntest Dinge tun, die du dir jetzt gar nicht
vorstellen kannst.
Dein Unbewußtes wird explodieren. Du wirst nicht nur zu ei-
nem Tier, sondern zu vielen Tieren, denn du hast viele Leben
hinter dir, du bist durch viele Tierkörper gegangen. Du könntest
215
Das Buch der Geheimnisse
216
Die Welt ist dein Zuhause
Sutras]
13. Oder stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem Rade
des Pfaus als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor.
Laß nun ihre Schönheit in dir verschmelzen.
Oder aber mit jedem beliebigen Punkt im Raum, oder auf einer
Wand, bis sich der Punkt auflöst. Dann erfüllt sich dein Wunsch
nach einem anderen.
14. Lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf den Nerv, der mitten
durch dein Rückgratgeht fein wie der Blütenfaden des Lotus. Und
werde so transformiert.
21 9
Das Buch der Geheimnisse
Der Mensch wird mit einer Mitte geboren, aber er hat sie voll-
kommen vergessen. Der Mensch kann leben, ohne seine Mitte zu
kennen, aber der Mensch kann nicht leben, ohne eine Mitte zu
haben. Die Mitte ist die Brücke zwischen Mensch und Schöpfung.
Sie ist die Wurzel. Du magst sie nicht kennen; ob sie gekannt wird
oder nicht, ist für das Dasein der Mitte unerheblich. Aber wenn
du sie nicht kennst, wirst du ein wurzelloses Leben führen - ent-
wurzelt. Du fühlst keinen Boden unter dir; du fühlst nicht die
Erde: du fühlst dich nicht zu Hause im Universum. Du bist hei-
matlos.
Natürlich, die Mitte ist da, aber da du sie nicht kennst, wird dein
Leben nur ein Dahintreiben sein - sinnlos, leer, ziellos. Du wirst
das Gefühl haben, ohne Leben zu leben, schleppend, nur auf den
Tod wartend. Du kannst es von Moment zu Moment aufschie-
ben, aber du weißt sehr genau, daß dies Aufschieben nirgendwo-
hin führt. Du läßt nur die Zeit verstreichen, und dies Gefühl tie-
fer Frustration wird dich wie ein Schatten verfolgen. Der Mensch
wird mit einer Mitte geboren, aber nicht mit dem Wissen um sei-
ne Mitte. Dieses Wissen muß erworben werden.
Du hast dies Zentrum. Das Zentrum ist da - du kannst ohne es
nicht existieren. Wie könntest du ohne es sein? Wie könntest du
ohne eine Brücke zwischen dir und der Existenz sein? - oder dir
und „Gott"?, wenn dir das Wort lieber ist. Ohne eine tiefe Ver-
bindung kannst du nicht existieren. Du hast Wurzeln im Göttli-
chen. Jeden Augenblick lebst du durch diese Wurzeln, aber diese
Wurzeln sind unter der Erde. Wie bei jedem Baum sind die Wur-
zeln unter der Erde. Der Baum weiß nichts von seinen Wurzeln.
Auch du hast Wurzeln. Diese Verwurzelung - das ist deine Mit-
te. Wenn ich sage, daß der Mensch damit geboren wurde, meine
ich, daß du die Möglichkeit hast, dir deiner Wurzeln bewußt zu
werden. Wenn sie dir bewußt werden, wird dein Leben wirklich:
andernfalls bleibt dein Leben wie ein tiefer Schlaf - ein Traum.
Das, was Abraham Maslow „Selbstaktualisierung” genannt hat,
ist in Wirklichkeit nichts anderes, als sich seines inneren Zentrums
bewußt zu werden, der Tatsache, daß man mit dem ganzen Uni-
versum verknüpft ist, daß man Wurzeln hat und nicht allein ist.
Kein Atom, sondern Teil dieses kosmischen Ganzen, daß diese
22 0
Kapitel 9
Welt kein Exil ist. Du bist kein Fremder: dies Universum ist dei-
ne Heimat. Aber solange du nicht deine Wurzeln findest, dein
Zentrum, bleibt dies Universum dir fremd und unvertraut.
Sartre sagt, daß der Mensch lebt, als wäre er in diese Welt ge-
worfen worden. Natürlich, wenn du dein Zentrum nicht kennst,
wirst du eine „Geworfenheit” erleben, so als wärest du tatsächlich
in die Welt hineingeworfen worden. Du bist ein Außenseiter: du
gehörst nicht in diese Welt, und diese Welt gehört nicht zu dir.
Dann muß Angst, Unruhe und Seelennot die unausbleibliche Fol-
ge sein. Der Mensch als Außenseiter im Universum muß notge-
drungen eine tiefe Angst, Furcht, Qual und Bedrängnis empfin-
den. Sein ganzes Leben wird zum Kampf, zum Krieg, und zwar
zu einem Krieg, der ohnehin fehlschlagen muß. Der Mensch
kann ihn nicht gewinnen, denn das Teil kann nie gegen das Ganze
gewinnen.
Du hast gegen die Existenz keine Chance. Du hast nur mit ihr
eine Chance, niemals gegen sie. Und das ist der Unterschied zwi-
schen einem religiösen und einem nicht-religiösen Menschen. Ein
nicht-religiöser Mensch ist gegen das Universum, ein religiöser
Mensch ist mit dem Universum. Ein religiöser Mensch fühlt sich
zu Hause. Er fühlt sich nicht in die Welt hineingeworfen, er fühlt
sich als Gewächs der Welt. Merkt euch den Unterschied zwischen
Geworfenheit und Gewachsenheit. Wenn Sartre sagt, daß der
Mensch in die Welt geworfen wurde, so zeigt schon das Wort,
schon der ganze Ausdruck, daß du nicht hierher gehörst. Und das
Wort, die Wortwahl „geworfen” bedeutet, daß du ohne deine Ein-
willigung gezwungen wurdest. So erscheint diese Welt als feind-
lich, und Angst ist die Folge. Das kann nur anders sein, wenn du
nicht in die Welt geworfen wurdest, sondern als ein Teil, d. h. or-
ganisch aus ihr gewachsen bist. Wirklich, man kann den Men-
schen einen Auswuchs` des Universums nennen — gewachsen in
eine bestimmte Dimension hinein, die wir menschlich` nennen.
Das Universum wächst in vielen Formen: in Bäumen, Bergen,
Sternen, in Planeten, in vielen Dimensionen. Der Mensch ist
ebenfalls eine Dimension seines Wachstums. Das Universum ma-
nifestiert sich in vielen, vielen Dimensionen. Der Mensch ist eine
seiner Dimensionen, so gut wie der Berg und der Gipfel. Kein
22 1
Das Buch der Geheimnisse
Baum wird sich seiner Wurzeln bewußt; kein Tier wird sich sei-
ner Wurzeln bewußt, darum kennen sie keine Angst.
Wenn du dir deiner Wurzeln nicht bewußt bist, deines Zen-
trums, kannst du auch nicht todes-bewußt sein. Der Tod existiert
nur für den Menschen, und zwar, weil der Mensch sich seiner
Wurzeln bewußt werden kann, seines Zentrums, seiner Totalität
und seiner Verwurzelung im Universum.
Wenn du ohne ein Zentrum lebst, wenn du dich als Außensei-
ter fühlst, dann ist Angst die Folge. Wenn du dich aber wie zu
Hause fühlst, als ein Wachstumsprodukt, eine Verwirklichung des
Potentials der Existenz selbst, so als wäre die Existenz durch dich
zur Bewußtheit gelangt, als hätte sie in dir Bewußtsein gewonnen;
wenn du so empfindest, wenn du das wirklich erkennst, dann
wirst du selig sein.
Seligkeit ist die Folge einer organischen Einheit mit dem Uni-
versum, und Angst ist die Folge von Feindseligkeit. Aber solange
du das Zentrum nicht kennst, mußt du notwendig eine „Gewor-
fenheit” empfinden, als wäre dir das Leben aufgezwungen wor-
den. Dieses vorhandene Zentrum - auch wenn der Mensch sich
dessen nicht bewußt ist - ist der Gegenstand dieser Sutras, über
die wir sprechen wollen. Aber erst noch zwei oder drei Dinge, be-
vor wir uns wieder der Vigyana Bhairava Tantra zuwenden, und
den Techniken, die das Zentrum betreffen. Das eine: Wenn der
Mensch geboren wird, ist er an einem bestimmten Punkt ver-
wurzelt, in einem bestimmten Chakra oder Zentrum, und zwar
im Nabel. Die Japaner nennen es Hara, daher der Ausdruck Ha-
rakiri. Harakiri heißt Selbstmord. Wörtlich bedeutet das Wort: das
Hara töten, die Achse, das Zentrum. Hara ist das Zentrum. Hara-
kiri bedeutet, das Zentrum zerstören. Aber in gewisser Weise ha-
ben wir alle Harakiri begangen. Wir haben zwar das Zentrum
nicht zerstört, aber wir haben es vergessen oder uns nie daran er-
innert. Es ist da und wartet, und wir sind immer weiter davon ab-
getrieben.
Wem ein Kind geboren wird, ist es im Hara, im Nabel ver-
wurzelt. Es lebt durch das Hara. Seht euch ein atmendes Kind an:
sein Nabel hebt und senkt sich. Es atmet mit dem Bauch, es lebt
aus dem Bauch - nicht aus dem Kopf, nicht aus dem Herzen.
22 2
T
Kapite19
223
Das Buch der Geheimnisse
224
Kapitel19
beiden Zentren, Herz und Kopf, sind periphere Zentr en, keine
wirklichen, sondern unechte Zentren. Das wirkliche Zentrum ist
Nabel - das Hara. Wie aber wieder dahin gelangen? Oder: wie es
verwirklichen?
Es kommt manchmal vor - selten, zufällig kommt es vor -, daß
ihr dem Hara nahekommt. Ein solcher Moment ist sehr tief und
selig. Zum Beispiel kommst du im Sex manchmal in die Nähe des
Hara, weil deine geistige Energie, dein Bewußtsein im Sex, wieder
nach unten geht. Du mußt deinen Kopf hinter dir lassen - und
du fällst nach unten. In einem tiefen sexuellen Orgasmus ge-
schieht es manchmal, daß du deinem Hara nahekommst. Darum
ist der Sex so faszinierend. Es ist nicht wirklich- der Sex, was dir
die Erfahrung von Seligkeit verschafft. Es ist in Wirklichkeit das
Hara.
Wenn du zum Sexzentrum herunterfällst, kommst du durch das
Hara, berührst du es. Aber für den modernen Menschen ist selbst
Sex unmöglich geworden, denn für den modernen Menschen ist
sogar der Sex eine Hirnfunktion, eine mentale Sache. Sogar der
Sex ist in den Kopf gestiegen; der Mensch denkt über ihn nach.
Daher so viele Filme, so viele Romane, so viel Literatur, so viel
Pornographie und dergleichen. Der Mensch denkt über Sex nach,
aber das ist absurd. Sex ist eine Erfahrung; man kann nicht darü-
ber nachdenken. Und wenn man darüber nachzudenken beginnt,
wird es immer schwerer, ihn zu leben, denn er hat nichts mit dem
Kopf zu tun. Den Kopf braucht man dazu nicht. Und je weniger
der moderne Mensch tief in den Sex hineingehen kann, desto
mehr denkt er darüber nach. Es wird zum Teufelskreis. Und je
mehr er darüber nachdenkt, desto mehr wird Sex zur zerebalen
Angelegenheit. Dann wird sogar Sex absurd. Er ist im Westen ab-
surd geworden, zur langweiligen Routine. Nichts kommt dabei
heraus, man frönt nur einer alten Gewohnheit und fühlt sich am
Ende frustriert, betrogen. Warum? In Wirklichkeit darum, weil
das Bewußtsein nicht mehr nach unten, zurück zum Zentrum,
fließt.
Nur wenn das Hara berührt wird, empfindest du Seligkeit.
Gleich aus welchem Grund das Hara berührt wird, du fühlst Se-
ligkeit. Ein Krieger im Kampf berührt manchmal das Hara:
22 5
Das Buch der Geheimnisse
226
Kapitel 9
Oder stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem Rade des Pfaus
als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor. Laß nun ihre
Schönheit in dir verschmelzen.
Oder aber mit jedem beliebigen Punkt im Raum, oder auf einer
Wand, bis sich der Punkt auflöst. Dann erfüllt sich dein Wunsch
nach einem anderen.
22 7
Das Buch der Geheimnisse
Alle diese Sutras haben damit zu tun, wie man das innere Zen-
trum erreicht. Dabei ist der Grundmechanismus, die Grundtech-
nik diese: Wenn du außerhalb, egal wo — im Kopf, im Herzen
oder selbst an einer Wand draußen — ein Zentrum herstellen und
dich total darauf konzentrieren kannst, so daß die ganze Welt aus-
geklammert und vergessen wird und nur noch ein Punkt in dei-
nem Bewußtsein zurückbleibt, dann wirst du plötzlich auf dein
inneres Zentrum zurückgeworfen.
Wie funktioniert das? Das müßt ihr zunächst verstehen. Euer
Denken ist nichts als ein Vagabundieren, ein Herumwandern. Es
bleibt nie bei einem Punkt. Es ist immer in Gang, in Bewegung,
unterwegs, aber nie an einem Punkt. Es geht von einem Gedan-
ken zum andern weiter, von A nach B. Aber es ist nie bei A, nie bei
B, sondern immer unterwegs. Vergeßt es nicht: Das Denken ist
i mmer unterwegs, in der Hoffnung, irgendwo anzukommen,
ohne es je zu tun. Es kann nicht ankommen! Die Struktur des
Denkens selbst ist Bewegung. Es kann nur vorwärts gehen. Das
ist die dem Geist innewohnende Natur. Der geistige Prozeß an
sich ist Bewegung. Von A nach B und B nach C geht es immer
weiter, ohne anzuhalten.
Wenn du bei A oder B oder sonstwo anhältst, wird sich der
Geist wehren. Er wird verlangen, daß du weitergehst, denn bleibst
du stehen, stirbt er augenblicklich. Er kann nur in der Bewegung
überleben. Geist heißt Prozeß. Wenn du anhältst und nicht wei-
tergehst, fällt der Geist tot um. Er ist nicht mehr da. Nur noch Be-
wußtsein bleibt übrig.
Bewußtsein ist deine Natur, Geist ist deine Beschäftigung. So
wie das Gehen. Das ist schwer zu verstehen, weil wir glauben, daß
der Geist etwas Substantielles ist; wir halten den Geist für eine
Substanz. Er ist keine. Geist ist nur eine Tätigkeit. Es wäre also
besser, ihn statt Geist „Geisten ” zu nennen. Er ist ein Vorgang, wie
das Gehen. Gehen ist ein Vorgang. Bleibst du stehen, gibt es kein
Gehen. Du kannst nicht sagen, daß jetzt das Gehen sitzt. Es gibt
kein Gehen mehr. Wenn du anhältst, ist kein Gehen mehr da, das
Gehen hat nun aufgehört. Du hast zwar noch Beine, aber kein
Gehen mehr. Beine können gehen. Aber wenn du anhältst, gibt
es nur noch Beine, aber kein Gehen mehr.
22 8
Kapitel9
Das Bewußtsein ist wie Beine — es ist deine Natur. Geist ist
wie Gehen — nur ein Vorgang. Wenn sich Bewußtsein von ei-
nem Ort zum anderen bewegt, dann ist dieser Vorgang „Geist”.
Wenn sich Bewußtsein von A nach B und von B nach C bewegt,
ist diese Bewegung „Geist”. Wenn du die Bewegung anhältst, ist
kein Geist mehr da. Du bist bewußt, aber es ist kein Geist da.
Du hast Beine, aber kein Gehen. Das Gehen ist eine Funktion,
eine Tätigkeit. Geist ist ebenfalls eine Funktion, eine Tätigkeit.
Wenn du ihn irgendwo anhältst, fängt der Geist an zu kämpfen.
Der Geist wird sagen: „Mach weiter!”
Der Geist wird auf jede erdenkliche Weise versuchen, dich
vorwärts oder rückwärts zu treiben, oder sonstwohin, nur wei-
ter! Ganz gleich wohin, nur bleib nirgendwo an einem Punkt
stehen. Wenn du aber hartnäckig bleibst und nicht auf den Geist
hörst, wird es schwierig, denn bisher hast du immer gehorcht.
Du hast dem Geist nie Befehle gegeben. Du warst nie Herr im
Haus. Das kannst du auch nicht, weil du dich in Wirklichkeit
nie vom Geist losgelöst hast. Du denkst, daß du dein Geist bist.
Dieser Trugschluß, daß du der Geist seist, gibt dem Geist totale
Freiheit, denn dann ist niemand da, der ihn beherrscht, kontrol-
liert. Es ist niemand da! Der Geist selbst wird zum Herrn. Er
mag sich als Meister aufführen, aber diese Meisterschaft ist nur
eine scheinbare. Versuche es nur einmal, und du kannst diese
Meisterschaft brechen. Sie ist unecht.
Der Geist ist nur ein Sklave, der vorgibt, Meister zu sein, und
zwar schon seit langem, seit vielen Leben, so daß sogar der wirk-
liche Herr den Sklaven für den Herren hält. Das ist nur ein Glau-
be. Probiere das Gegenteil aus, und du wirst erkennen, daß dieser
Glaube völlig unbegründet war.
Dies erste Sutra sagt: „Stelle dir die fünffarbigen Augen auf dem
Rade des Pfaus als deine fünf Sinne im unendlichen Raum vor.
Laß nun ihre Schönheit in dir verschmelzen.” Stelle dir deine fünf
Sinne als fünf Farben vor, und diese fünf Farben füllen den ganzen
Raum — wunderschöne Farben, lebendig, über den unendlichen
Raum gebreitet. Dann gehe in diese Farben hinein. Gehe nach in-
nen; fühle einen Mittelpunkt heraus, wo sich alle diese fünf Far-
ben in dir treffen. Das ist zwar nur eine Vorstellung, aber sie hilft.
22 9
Das Buch der Geheimnisse
Stelle dir diese fünf Farben vor, wie sie in dich eindringen und in
dir an einem Punkt verschmelzen.
Die ganze Welt wird sich auflösen. In deiner Einbildung gibt es
nur fünf Farben, aufgefächert wie ein Pfauenrad, so groß, daß es
den ganzen Raum füllt. Und sie dringen tief in dich ein und tref-
fen sich an einem Punkt. Jeder Punkt ist geeignet, aber das Hara
ist am besten. Stelle dir vor, daß sie sich an deinem Nabel treffen,
daß die ganze Welt zu Farben geworden ist und daß diese Farben
in deinem Nabel als Punkt zusammenkommen. Sieh diesen
Punkt, konzentriere dich auf ihn so lange, bis er sich auflöst. Er
löst sich auf! Wenn du dich auf den Punkt konzentrierst, löst er
sich auf, weil er nur Einbildung ist. Und dann wirst du auf dein
Zentrum geworfen.
Die Welt hat sich aufgelöst. Es gibt keine Welt mehr für dich. In
dieser Meditation gibt es nur Farbe. Du hast die ganze Welt ver-
gessen; du hast alle Gegenstände vergessen, dir fünf Farben aus-
gesucht — fünf beliebige Farben. Diese Technik ist vor allem für
Leute geeignet, die ein sehr waches Auge haben, einen sehr tie-
fen Farbsinn. Diese Meditation ist nicht für jeden. Nur wenn du
das Auge eines Malers hast, Farbenbewußtsein, nur wenn du dir
Farben vorstellen kannst, fällt sie dir leicht.
Ist euch jemals aufgefallen, daß eure Träume farblos sind? Nur
ein Mensch unter hundert ist fähig, farbig zu träumen. Ihr träumt
nur schwarz-weiß. Warum? Die ganze Welt ist farbig, und eure
Träume sind farblos! Wenn einer von euch farbig träumt, dann ist
dies die richtige Meditation für ihn. Wenn du dich daran erinnern
kannst, auch nur manchmal in Farben geträumt zu haben, dann
ist diese Meditation für dich da, sie ist für dich gedacht!
Wenn man einen Menschen, der unempfindlich für Farben ist,
auffordert: „Stell dir das Weltall von Farben erfüllt vor”, wird er
es nicht können, selbst wenn er es versucht. Wenn er denkt:
„Rot!”, dann sieht er nur das Wort „Rot”, aber die Farbe sieht er
nicht. Er sagt: „Grün!”, und es ist nur das Wort „Grün” da, aber
nichts Grünes. Wenn du also farbempfindlich bist, dann versuche
es mit dieser Methode. In dir sind fünf Farben. Die ganze Welt
besteht nur aus ihnen, und sie treffen sich in dir. Irgendwo tief in
dir treffen diese fünf Farben zusammen. Auf diesen Punkt kon-
23 0
Kapitel 9
r zentriere dich, und mache immer weiter damit, lasse nicht locke
bleibe dabei. Laß keine Gedanken zu; versuch nicht, dir Grün,
Rot, Gelb oder andere Farben zu denken. Denke nicht. Sieh sie
einfach in dir zusammenkommen. Denke nicht an sie! Wenn du
denkst, - hat sich der Geist weiterbewegt. Sei einfach von Farben
erfüllt, die in dir zusammenkommen, und konzentriere dich dann
auf den Punkt, wo sie sich treffen. Denke nicht! Konzentration ist
nicht Denken. Es ist auch nicht Kontemplation. Wenn du wirk-
lich von Farben erfüllt bist und ganz zum Regenbogen, zum Pfau
geworden bist, und das All ist von Farben erfüllt, dann hast du ein
tiefes Gefühl von Schönheit. Aber denke nicht darüber nach.
Nenne es nicht schön. Laß dich nicht aufs Denken ein. Konzen-
triere dich auf den Punkt, wo all diese Farben sich treffen und blei-
be dabei. Er wird verschwinden, wird sich auflösen, weil er nur
Einbildung ist. Denn wenn du dich zu Konzentration zwingst,
kann keine Einbildung andauern. Sie wird sich auflösen.
Die Welt hatte sich bereits aufgelöst: Es waren nur noch Far-
ben da. Diese Farben waren deine Einbildung. Diese eingebilde-
ten Farben waren an einem Punkt zusammengekommen. Dieser
Punkt war ebenfalls eingebildet, und nun, in tiefer Konzentration,
wird auch er sich auflösen. Wo bist du jetzt? Wo wirst du sein?
Du wirst auf dein Zentrum zurückgeworfen.
Erst haben sich die Gegenstände mit Hilfe von Einbildung auf-
gelöst. Jetzt löst sich die Einbildung durch Konzentration auf. Du
allein bleibst zurück, als Subjektivität. Die objektive Welt hat sich
aufgelöst, die mentale Welt hat sich aufgelöst. Du bist da - allein,
als reines Bewußtsein.
Darum sagt dies Sutra: „ ... mit jedem beliebigen Punkt im
Raum, oder auf einer Wand...” Das geht auch. Wenn du dir kei-
ne Farben vorstellen kannst, dann hilft irgendein Punkt an der
Wand. Nimm dir irgend etwas zu deiner Konzentration vor.
Wenn es etwas Inneres ist, dann um so besser. Aber auch hier gibt
es wieder zwei Persönlichkeitstypen. Für die Introvertierten wird
es leichter sein, sich die Farben vorzustellen, wie sie innen zu-
sammenkommen. Aber es gibt auch die Extrovertierten, die sich
innen nichts vorstellen können. Sie können sich nur Äußeres vor-
stellen. Ihr Geist bewegt sich immer nur in der Außenwelt, sie
23 1
Das Buch der Geheimnisse
können nicht nach innen gehen. Für sie gibt es so etwas wie In-
nerlichkeit nicht.
Der englische Philosoph David Hume hat gesagt: „Wann im-
mer ich nach innen schaue, kann ich kein Selbst finden. Alles, was
ich sehe, sind Reflektionen der Außenwelt — ein Gedanke, ir-
gendein Gefühl, eine Emotion. Ich treffe nie auf die Innerlichkeit:
nichts als Außenwelt, die innen widergespiegelt wird.” Da spricht
der extrovertierte Geist par excellence, und David Hume gehört
zu den erz-extrovertierten Geistern.
Wer also innen nichts fühlen kann, und wer sich fragt, was denn
dies Innerliche sein soll, wie man nach innen gehen kann, der ver-
suche es statt dessen mit irgendeinem Punkt an der Wand. Es gibt
Leute, die zu mir kommen und fragen, wie man nach innen geht.
Es ist ein Problem, denn wer nur Außengerichtetheit kennt, wer
nur nach außen gehende Bewegungen kennt, kann sich schwer
vorstellen, wie man nach innen geht.
Wenn du ein extrovertierter Mensch bist, dann versuche es
nicht mit diesem inneren Punkt. Versuche es mit dem Draußen.
Das Ergebnis ist dasselbe. Mach einen Punkt auf die Wand. Kon-
zentriere dich darauf. Du mußt es mit offenen Augen tun. Wenn
du ein Zentrum im Innern schaffst, einen inneren Punkt, mußt
du dich mit geschlossenen Augen konzentrieren.
Male einen Punkt auf die Wand, und konzentriere dich darauf.
Das Eigentliche passiert aufgrund von Konzentration, es hat nichts
mit dem Punkt zu tun. Ob er sich draußen oder drinnen befin-
det, ist unerheblich. Es kommt auf dich an. Wenn du auf die
Wand blickst, dich auf sie konzentrierst', dann konzentriere dich so
lange, bis sich der Punkt auflöst. Das mußt du dir merken: bis der
Punkt sich auflöst! Kein Lidschlag ist erlaubt, sonst gibst du dem
Geist wieder Spielraum, worin er sich bewegen kann. Starre nur,
sonst fangt der Geist wieder zu denken an. Ein einziger Lidschlag
gibt ihm Spielraum. Mit dem Lidschlag geht die Konzentration
verloren. Also nicht zwinkern!
Ihr habt vielleicht schon von Bodhidharma gehört, einem der
größten Meister der Meditation in der ganzen Geschichte der
Menschheit. Von ihm wird eine wunderschöne Geschichte er-
zählt. Er konzentrierte sich auf etwas außerhalb: seine Augen
232
Kapitel 9
233
Das Buch der Geheimnisse
23 4
Kapitel 9
Lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf den Nerv, der mitten durch
dein Rückgrat geht fein wie der Blütenfaden des Lotus Und werde
so transformiert
23 5
Das Buch der Geheimnisse
einen Nerv, so fein wie der Blütenfaden eines Lotus, der durch
die Achse deines Rückgrats läuft. „ ... und werde so transfor-
miert.” Wenn du kannst, konzentriere dich auf das Rückgrat, und
dann auf den Faden in seiner Mitte — einen sehr feinen Faden, fein
wie ein Blütenfaden, der es durchläuft. Konzentriere dich darauf,
und die bloße Konzentration wirft dich in dein Zentrum. War-
um? Die Wirbelsäule ist die Basis deiner ganzen Körperstruktur.
Alles ist mit ihr verbunden. Dein Hirn ist in Wirklichkeit nichts
anderes als ein Pol deiner Wirbelsäule. Die Physiologen sagen, daß
es nichts als ein Auswuchs der Wirbelsäule ist. Dein Hirn ist
tatsächlich ein Auswuchs deiner Wirbelsäule.
Dein Rückgrat ist mit deinem ganzen Körper verbunden. Alles
ist mit ihm verbunden. Darum wird es Rückgrat genannt — die
Grundstruktur. In diesem Rückgrat gibt es wirklich so etwas wie
einen Faden. Aber darüber sagt die Physiologie nichts, denn er ist
nicht stofflich. In diesem Rückgrat gibt es genau in der Mitte eine
silberne Ader, einen sehr delikaten Nerv. Es ist nicht wirklich ein
Nerv im physiologischen Sinn. Man kann ihn durch keine Ope-
ration finden. Er ist dort nirgends zu entdecken.
Aber in tiefer Meditation kann man ihn sehen. Er ist da. Nur
nicht stofflich. Er ist Energie, nicht Stoff. Und tatsächlich, diese
Energieader in deinem Rückgrat ist dein Leben. Durch sie bist du
sowohl mit der unsichtbaren Existenz als auch mit dem Sichtbaren
verbunden. Sie ist die Brücke zwischen dem Unsichtbaren und
dem Sichtbaren. Durch diesen Faden bist du mit dem Körper ver-
knüpft, und durch diesen Faden bist du auch mit deiner Seele ver-
bunden.
Stelle dir zunächst das Rückgrat vor. Du wirst dich sehr
merkwürdig fühlen. Wenn du dir das Rückgrat vorzustellen ver-
suchst, kannst du es sehen. Und wenn du weitermachst, dann ist
es nicht mehr nur deine Vorstellung. Du wirst es tatsächlich
sehen können.
Ich habe einmal mit einem Sucher durch diese Technik gear-
beitet. Ich gab ihm eine Abbildung der Körperstruktur, auf die er
sich konzentrieren sollte, bis er einen Begriff davon hatte, wie man
sich das Rückgrat von innen vorstellt. Dann fing er an. Nach ei-
ner Woche kam er und sagte: „Dies ist sehr merkwürdig. Ich habe
23 6
Kapitel 9
das Bild zu sehen versucht, das du mir gegeben hast, aber das Bild
verschwand dauernd, und ich sah ein anderes vor mir, nicht ge-
nau wie das, das du mir gezeigt hast." Also sagte ich ihm: „Jetzt
bist du auf dem richtigen Weg. Vergiß das Bild, und sehe in das
Rückgrat hinein, das du sehen kannst.”
Man kann seine eigene Körperstruktur von innen sehen. Wir
versuchen es nie, weil das sehr, sehr angsterregend und ekelhaft
ist, denn wenn du deine eigenen Knochen und Adern und dein
eigenes Blut siehst, macht dir das Angst. Darum haben wir dieses
innere Sehen völlig tabuisiert. Wir sehen den Körper nur von
außen, so als sähe ihn jemand anders, so als würde man aus die-
sem Zimmer hinausgehen und es sich von außen ansehen. Dann
kennst du die Außenwände. Komm herein und sieh dir das Haus
an, dann siehst du auch die Innenwände. Du siehst deinen Kör-
per von außen, als ob du jemand anders wärst, der deinen Körper
sieht. Du hast dich noch nie von innen gesehen. Wir können es,
aber weil wir Angst haben, ist es uns fremd geworden. Indische
Yogabücher erwähnen viele Körperphänomene, die heute von der
wissenschaftlichen Forschung als genau richtig bestätigt werden.
Die Wissenschaft kann sich das nicht erklären: Woher wußten sie
das? Die Chirurgie und das Wissen vom Inneren des menschli-
chen Körpers sind eine moderne Entwicklung. Wie konnten sie
damals von all den Nerven, von all den Zentren, von all den in-
neren Strukturen wissen? Sie wußten sogar von den neuesten Ent-
deckungen. Sie haben davon gesprochen, sie haben damit gear-
beitet. Yoga weiß seit je über alle wesentlichen Dinge im Körper
Bescheid. Aber sie forschten nicht am Körper, sie sezierten ihn
nicht: woher also wußten sie es? Weil es tatsächlich eine andere
Möglichkeit gibt, sich den eigenen Körper anzusehen — von in-
nen her. Wenn du dich nach innen konzentrieren kannst, fängst
du plötzlich an, deinen Körper zu sehen — die innere Füllung des
Körpers. Das ist für diejenigen geeignet, die sehr körperorientiert
sind. Wenn du dich als einen Materialisten erfährst, wenn du das
Gefühl hast, nichts als Körper zu sein, wird dir diese Technik sehr
helfen. Wenn du dich für nichts als einen Körper hältst, wenn du
einem Charvak oder einem Marx folgst und glaubst, daß der
Mensch nichts als ein Körper ist, dann kann dir diese Technik
23 7
Das Buch der Geheimnisse
ausgesprochen helfen. Dann gehe hin und schaue dir den Kno-
chenbau des Menschen an.
In alten Tantra — und Yogaschulen spielten Knochen eine große
Rolle. Selbst heute findet man bei einem Tantriker immer ein paar
Knochen, einen Schädel. Und das hilft tatsächlich bei der Kon-
zentration von innen. Erst konzentriert man sich auf den Schädel,
dann schließt man die Augen und versucht, seinen eigenen Schä-
del von innen zu sehen, und nach und nach bekommt man ein
Gefühl davon. Das Bewußtsein stellt sich darauf ein. Jener äuße-
re Schädel, die Konzentration auf ihn, die Vorstellung, das sind nur
Hilfen. Ist der Blick erst auf das Innere eingestellt, kannst du von
den Zehen bis zum Kopf gehen. Du kannst in dir spazierengehen
... und es ist ein großes Universum. Dein kleiner Körper ist ein
großes Universum.
Dies Sutra benutzt das Rückgrat, weil sich im Rückgrat der Le-
bensfaden befindet. Darum so viel Wert auf ein aufrechtes Rück-
grat: denn wenn das Rückgrat nicht gerade ist, kannst du den in-
neren Faden nicht sehen. Er ist sehr fein, sehr subtil. Er ist minu-
ziös. Er ist ein Energiestrom. Wenn also das Rückgrat gerade ist,
absolut aufrecht, kannst du einen Schimmer von diesem Faden
erhaschen — nur dann.
Aber unser Rückgrat ist nie gerade. Die Hindus achten von
Kindheit an auf ein aufrechtes Rückgrat. Wie sie sitzen, schlafen,
gehen, all das beruht im Grunde auf einer geraden Wirbelsäule.
Wenn das Rückgrat nicht gerade ist, ist es sehr schwer, sein inne-
res Mark zu sehen. Es ist sehr fein und eigentlich nicht stofflich. Es
ist unstofflich, nur ein Kraftstrom. Wenn das Rückgrat absolut ge-
rade ist, läßt sich diese Kraftader leicht erkennen.
„Und werde so transformiert.” Und sobald du diese Ader
fühlen, herausspülen und erkennen kannst, wirst du von einem
neuen Licht erfüllt. Das Licht wird aus deiner Wirbelsäule kom-
men und sich über deinen ganzen Körper ausbreiten, es mag so-
gar über deinen Körper hinausgehen. Wenn es nach außen tritt,
wird eine Aura sichtbar.
Jeder hat eine Aura, aber normalerweise ist deine Aura nur ein
Schatten ohne Licht — einfach dunkle Schatten um dich. Und die-
se Auras spiegeln jede deiner Stimmungen wider. Wenn du wü-
23 8
Kapitel 9
tend bist, wird deine Aura wie bluterfüllt: sie füllt sich mit einem
roten, wütenden Ausdruck. Wenn du traurig, trübe, niederge-
schlagen bist, füllt sich deine Aura mit einem dunklen Geflecht,
als wärest du dem Tod nahe — alles tot und schwer. Wenn ihr die-
se Ader in der Wirbelsäule erkennt, wird eure Aura erleuchtet.
Ein Buddha, ein Mahavir, ein Krishna, ein Christus wird daher
nicht nur zur Zierde mit einer Aura gemalt. Diese Aura gibt es.
Das Rückgrat fängt an Licht auszustrahlen. Man wird von innen
her erleuchtet, der ganze Körper wird zu einem Lichtkörper.
Dann durchdringt er das Äußere. Ein Buddha, einer der erleuch-
tet ist, braucht daher niemanden zu fragen, wer er ist. Die Aura
zeigt alles. Und wenn jemand erleuchtet wird, so weiß es der Leh-
rer, weil die Aura alles verrät.
Ich will euch eine Geschichte erzählen: Hui Neng, ein chinesi-
scher Meister, arbeitete unter seinem Guru. Aber als Hui Neng
zu seinem Guru gekommen war, hatte dieser gesagt: „Wozu bist
du hergekommen? Du brauchst nicht zu mir zu kommen.” Hui
Neng konnte es nicht verstehen; Hui Neng glaubte, er sei noch
nicht soweit, akzeptiert zu werden, aber der Lehrer sah etwas ganz
anderes, er sah, daß seine Aura wuchs. Was er damit sagte, war:
„Selbst wenn du nicht zu mir kommst, muß es früher oder später
irgendwo passieren. Du bist schon dort, wo du hinwillst, du
brauchst also gar nicht erst zu mir zu kommen.”
Aber Hui Neng sagte: „Weise mich bitte nicht ab.” Also nahm
der Guru ihn an und sagte ihm, er solle nur nach hinten, in die
Küche des Klosters, gehen. Es war ein großes Kloster mit fünf-
hundert Mönchen. Der Guru sagte zu Hui Neng: „Gehe einfach
nur hinten in das Kloster und hilf in der Küche. Und komme
nicht wieder zu mir. Wann immer es nötig sein wird, werde ich zu
dir kommen.”
Hui Neng bekam keine Meditation, keine Schriften zu lesen,
nichts zu studieren oder zu meditieren. Er wurde nicht unter-
richtet. Er wurde einfach in die Küche geschickt. Das ganze Klo-
ster war emsig. Es gab Pundits, Gelehrte, es gab Meditierer und
Yogis, und das ganze Kloster summte vor Emsigkeit. Jeder war am
arbeiten, und dieser Hui Neng putzte nur Reis und machte
Küchenarbeit.
23 9
Das Buch der Geheimnisse
24 0
Kapitel 9
schön. Schließlich kamen ein paar Mönche in die Küche. Sie tran-
ken Tee und unterhielten sich, und Hui Neng bediente sie. So
hörte er, was geschehen war. Als er diese vier Zeilen hörte, lachte
er. Da fragte ihn jemand: „Was gibt es da zu lachen, du Narr! Was
weißt denn du? Zwölfjahre lang hast du hier in der Küche ge-
dient; was hast du zu lachen?”
Niemand hatte ihn bisher auch nur einmal lachen hören. Er galt
als ein Idiot, der nicht einmal reden konnte. Jetzt sagte er: „Ich
kann nicht schreiben, und ich bin auch nicht erleuchtet, aber die-
se Zeilen stimmen nicht. Wenn jemand mit mir kommt, will ich
vier Zeilen schreiben. Aber es muß jemand mitkommen, der sie
an die Wand schreibt. Ich selbst kann nicht schreiben.” Also kam
jemand mit, nur zum Spaß. Eine Menge versammelte sich und
Hui Neng sagte: „Schreib: Es gibt keinen Geist, und es gibt keinen
Spiegel, wo soll sich also der Staub sammeln? Wer das weiß, ist
64
erleuchtet.'
Aber da kam schon der Lehrer heraus und sagte zu Hui Neng:
„Das ist falsch.” Hui Neng berührte ihm die Füße und ging wie-
der in seine Küche zurück.
In der Nacht, als alle schliefen, kam der Lehrer zu Hui Neng
und sagte: „Du hast recht, aber ich konnte das nicht vor all diesen
Idioten sagen — und es sind gelehrte Idioten! Und wenn ich ge-
sagt hätte, daß du als mein Nachfolger bestimmt bist, würden sie
dich umbringen. Fliehe also! Du bist mein Nachfolger, aber sag es
keinem. Und ich wußte es schon am Tag, als du kamst. Deine
Aura wuchs bereits. Darum brauchte ich dir gar keine Meditation
zu geben. Es war nicht nötig. Du warst schon in Meditation. Und
diese zwölf Jahre Schweigen — wo du nichts getan hast, nicht ein-
mal meditiert — haben dich endgültig von deinem Geist gereinigt,
und deine Aura hat sich endgültig entfaltet. Du bist zum Voll-
mond geworden. Aber fliehe von hier! Sonst töten sie dich. Du
bist seit zwölf Jahren hier, und das Licht ist ständig von dir ausge-
gangen. Aber niemand hat es bemerkt, sie mochten noch so oft
zur Küche kommen. Jeder ist zwei-, dreimal am Tag in der Küche
gewesen, jeder kommt da durch. Genau deswegen habe ich dich
nämlich in die Küche gesteckt. Aber kein Mensch hat deine Aura
erkannt, also mach, daß du von hier fortkommst.”
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapite19
243
Das Buch der Geheimnisse
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Man muß kein Genie sein, um Buddha zu werden
[Fragen]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 10
hal verwirklicht hat, erlebst du den Gipfel des Lebens, der Liebe,
der Existenz.
Abraham Maslow, der diesen Begriff „Selbstaktualisierung” be-
nutzt hat, hat auch einen anderen Ausdruck geprägt: „Gipfeler-
lebnis.” Wenn man zu sich selbst gelangt, erreicht man einen Gip-
fel - einen Gipfel der Glückseligkeit. Nun gibt es keine Sehnsucht
mehr - nach nichts. Man ist endgültig mit sich zufrieden. Nun
fehlt nichts mehr: Kein Wunsch, kein Verlangen, kein Aus-sich-
Herausgehen. Was immer man ist, man ist völlig mit sich zufrie-
den. Die Selbstverwirklichung wird zum Gipfelerlebnis, und nur
ein selbstverwirklichter Mensch kann zu Gipfelerlebnissen gelan-
gen. Dann wird alles zum Gipfelerlebnis; was er tut, was er nicht
tut, was er berührt, ja sein bloßes Dasein wird zum Gipfelerleb-
nis. Einfach nur dazusein ist Seligkeit. Dann hat Seligkeit nichts
mehr mit irgend etwas Äußerem zu tun, sondern ist nur eine Fol-
ge inneren Wachstums.
Ein Buddha ist ein Mensch, der sich verwirklicht hat. Darum
stellen wir Buddha, Mahavir und andere in Skulpturen, Bildern
und Abbildungen auf einem voll erblühten Lotus sitzend dar. Die-
ser voll erblühte Lotus ist der Inbegriff des inneren Aufblühens.
Sie sind innerlich aufgeblüht, haben sich zur vollen Blüte geöff -
net. Dies innere Blühen gibt ihnen Glanz, eine nicht endende Se-
ligkeit geht von ihnen aus. Alle, die auch nur ihren Schatten be-
treten, die ihnen nahekommen, fühlen eine Aura der Stille, die sie
umgibt.
Es gibt einen interessanten Bericht über Mahavir. Ein Mythos,
aber Mythen sind schön, und sie sagen vieles, was sich anders
nicht sagen läßt. Es heißt, daß überall, wo Mahavir hinging, alles
zu blühen anfing, im Umkreis von vierundzwanzig Meilen. Selbst
wenn es nicht Blütezeit war, öffneten sich alle Knospen. Das ist
poetisch ausgedrückt: aber wer selbst nicht verwirklicht war und
mit Mahavir in Kontakt kam, wurde von seinem Blühen ange-
steckt und spürte auch in sich ein inneres Erblühen. Auch wenn
für ihn selbst die Blütezeit noch nicht gekommen war, auch wenn
er noch nicht soweit war, spürte er den Widerhall, das Echo. Wem
sich Mahavir näherte, der konnte in sich ein Echo fühlen und ei-
nen Schimmer von dem erfahren, was er selbst fähig war zu sein.
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 10
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 10
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Das Buch der Geheimnisse
Ihr seid in Wirklichkeit nicht zentriert. Ihr seid nur für Augen-
blicke zentriert. Jeder Augenblick hat sein eigenes Zentrum, und
so geht ihr von einem zum anderen. Wenn der Kopf funktioniert,
fühlt ihr den Kopf als Zentrum. Wenn ihr liebt, fühlt ihr, daß es
das Herz ist. Wenn ihr nichts Bestimmtes tut, dann wißt ihr es
nicht. Ihr könnt dann nicht herausfinden, wo es ist. Denn ihr
könnt es nur spüren, wenn ihr etwas Bestimmtes tut, wenn ihr et-
was Bestimmtes arbeitet. Dann wird ein bestimmter Teil des Kör-
pers zum Zentrum. Aber du bist nicht zentriert. Wenn du nicht
etwas Bestimmtes tust, kannst du nicht sagen, wo dein Daseins-
zentrum ist.
Ein vollständiger Mensch ist zentriert. Was immer er tut, er
bleibt in seiner Mitte. Wenn sein Geist funktioniert, denkt er. Das
Denken spielt sich im Kopf ab, aber er bleibt im Nabel zentriert.
Das Zentrum geht nie verloren. Er benutzt den Kopf, aber geht
nie in den Kopf. Er benutzt das Herz, aber geht nicht ins Herz.
All diese Dinge werden zu Instrumenten, er aber bleibt zentriert.
Zweitens: Er ist ausgewogen. Natürlich, wenn man zentriert ist,
ist man ausgewogen. Das Leben ist ein tiefes Gleichgewicht. Man
ist nie einseitig; man ist nie in einem Extrem. Man bleibt in der
Mitte. Buddha nennt das den „mittleren Pfad”. Er bleibt immer in
der Mitte.
Ein Mensch, der nicht zentriert ist, geht immer ins Extrem.
Wenn er ißt, dann ißt er zuviel, er überißt sich. Oder er fastet viel-
leicht, aber die richtige Menge zu essen, ist ihm unmöglich. Er
kann leicht fasten und sich leicht überessen. Er kann in der Welt
sein, völlig in sie verwickelt, oder er kann der Welt entsagen, aber
er wird niemals ausgeglichen sein. Er kann nie in der Mitte blei-
ben, denn wenn man nicht zentriert ist, weiß man nicht, was
„Mitte” heißt.
Ein Mensch, der zentriert ist, ist immer in der Mitte; er geht nie
ins Extrem, egal, was er tut. Buddha nennt ein solches Essen „rech-
tes Essen”, weder Völlerei noch Fasten. Seine Arbeit nennt er
„rechte Arbeit”: weder zuviel noch zuwenig. Was immer ge-
schieht, er ist ausgeglichen.
Das erste ist also: Ein selbstverwirklichter Mensch ist zentriert.
Das zweite: ausgewogen. Das dritte: Wenn diese beiden Dinge
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Kapitel10
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Das Buch der Geheimnisse
und der Kaiser kein Jemand. Und wirklich, wenn Kaiser Buddha
entgegentraten, haben sie sich wie Bettler gefühlt, und Bettler wie
Kaiser. Das Flair, der Mensch, die Qualität bleibt gleich. Solange er
lebte, fragte er seine Jünger jeden Morgen: „Wenn ihr etwas zu
fragen habt, so fragt.” Am Tag als er starb, an jenem Morgen, war
es auch so. Er rief seine Jünger und sagte: „Wenn ihr jetzt etwas
zu fragen habt, dann könnt ihr fragen, und bedenkt, daß dies der
letzte Morgen ist. Ehe dieser Tag zu Ende geht, werde ich nicht
mehr sein.” Er war der gleiche. Das war der letzte Tag, aber er war
der gleiche. Genau wie an jedem anderen Tag fragte er: „Okay,
wenn ihr etwas zu fragen habt, dann fragt — aber das ist heute der
letzte Tag.” Sein Tonfall war unverändert, aber die Jünger fingen
zu weinen an. Sie vergaßen das Fragen ganz.
Buddha fragte: „Warum weint ihr? Hättet ihr an einem ande-
ren Tag geweint, wäre es okay gewesen, aber heute ist der letzte
Tag, ich werde am Abend nicht mehr sein, verschwendet also kei-
ne Zeit mit Weinen. An einem anderen Tage wäre es okay gewe-
sen. Da hättet ihr Zeit verschwenden können. Verschwendet eure
Zeit nicht mit Weinen. Warum weint ihr? Fragt, wenn ihr etwas
zu fragen habt.” Er war der gleiche, im Leben wie im Tod.
Drittens also ist so ein Mensch ganz entspannt: Ihm sind Leben
und Tod, Seligkeit und Unglück gleich. Nichts stört, nichts holt
ihn aus seinem Zuhause, aus seiner Ausgewogenheit heraus. Ei-
nem solchen Menschen könnt ihr nichts mehr hinzufügen. Ihr
könnt ihm nichts nehmen, ihr könnt ihm nichts hinzufügen. Er
ist erfüllt. Jeder seiner Atemzüge ist ein erfüllter Atemzug — still,
selig. Er ist angekommen. Er ist bei der Existenz, beim Dasein an-
gekommen. Er ist zum ganzen Menschen erblüht.
Dies ist kein teilweises Erblühen, Buddha ist nicht etwa ein
großer Dichter. Natürlich, alles, was er sagt, ist Dichtung. Er ist
ganz und gar kein Dichter, aber schon sein Gehen, jede seiner
Bewegungen ist Poesie. Er ist kein Maler, aber wenn er spricht,
wird alles, was er sagt, zum Gemälde. Er ist kein Musiker, aber
sein ganzes Wesen ist Musik par excellence. Dieser Mensch ist in
seiner Ganzheit angekommen. Was er auch tut oder nicht tut,
selbst wenn er schweigend dasitzt und gar nichts tut, so wirkt und
erschafft seine Gegenwart selbst noch im Schweigen. Es ist krea-
256
Kapitel 10
tiv. Tantra befaßt sich nicht mit dem Wachstum, das nur einen
Teil von dir betrifft. Es befaßt sich mit dir als ganzem Wesen. Drei
Dinge sind also grundlegend: du mußt zentriert, verwurzelt, aus-
gewogen sein; das heißt, daß du immer in der Mitte bist, ohne
jede Mühe, natürlich: wenn es anstrengend ist, bist du nicht aus-
gewogen. Du mußt entspannt sein — entspannt im Universum, zu
Hause in der Schöpfung, und dann ergibt sich vieles. Dies ist ein
Grundbedürfnis, denn wirklich, bevor nicht dieses Bedürfnis er-
füllt ist, wirst du nur dem Namen nach ein Mensch sein, bist du
Mensch nur als Möglichkeit. Du bist nicht wirklich Mensch. Du
kannst es aber sein, du hast die Anlage dazu. Aber die Anlage muß
verwirklicht werden.
25 7
Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 1 0
25 9
Das Buch der Geheimnisse
Die Frage ist wichtig. Der Geist selbst fragt, wie der Geist über
den Geist hinausgelangen kann! Wie kann irgendein mentaler
Prozeß dabei helfen, etwas herzustellen, was nicht zum Geist
gehört? Es erscheint widersprüchlich. Wie kann dein Geist versu-
chen, einen Zustand herzustellen, der nicht Geist ist? Versucht,
das wirklich zu verstehen. Solange der Geist da ist, was ist dann
da? Ein Denkvorgang! Geht es aber um den Nicht-Geist, was ist
dann da? Kein Denkvorgang! Wenn deine Denkvorgänge immer
weniger werden, wenn du dein Denken immer mehr auflöst,
kommst du nach und nach, langsam aber sicher zum Nicht-Geist.
Geist heißt Denken; Nicht-Geist heißt Nicht-Denken. Und der
Geist kann dabei helfen! Der Geist kann bei seinem Selbstmord
mithelfen. Jeder kann Selbstmord begehen, aber es wird nie ge-
fragt, wie denn ein lebender Mensch sich selbst dazu verhelfen
kann, tot zu sein?! Du kannst dir helfen, tot zu sein. Jeder macht
es. Ihr könnt eurem Sterben nachhelfen und lebt trotzdem. Ge-
nauso kann der Geist dabei helfen, zu Nicht-Geist zu werden.
Wie kann er das?
Wird der Denkprozeß immer dichter, dann gehst du vom Geist
zu Mehr-Geist. Wenn der Denkvorgang sich lichtet, abnimmt,
sich verlangsamt, hilfst du dir selbst, dich in Richtung Nicht-Geist
zu bewegen. Es kommt auf dich an. Und der Geist kann helfen,
weil „Geist” nämlich in Wirklichkeit das ist, was du im Augen-
blick aus deinem Bewußtsein machst. Wenn du dein Bewußtsein
in Ruhe läßt, ohne irgend etwas damit zu tun, wird es zu Medita-
tion.
Es gibt also zwei Möglichkeiten: entweder du verringerst lang-
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Kapite110
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 10
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 10
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Das Buch der Geheimnisse
ihr nie, woran ihr mit einem solchen Menschen seid, weil ihr euch
zwischen diesen beiden Zentren keine Beziehung vorstellen
könnt: Sie erscheinen gegensätzlich.
Wenn ich etwas sage, dann muß ich es mit Hilfe des Verstan-
des sagen. Also ziehe ich viele Leute an, die rational, die kopf-
orientiert sind. Und dann sehen sie eines Tages, daß ich Singen
und Tanzen erlaube. Dann wird ihnen unwohl: was ist los? Wo ist
denn da die Beziehung?! Aber für mich gibt es da keinen Gegen-
satz. Tanzen ist auch eine Art zu sprechen und manchmal sogar
eine tiefere. Der Verstand ist auch eine Art zu sprechen, und
manchmal sogar eine sehr klare. Beide sind also Arten des Aus-
drucks.
Würdet ihr einen Buddha tanzen sehen, gerietet ihr in Verwir-
rung. Wenn ihr einen Mahavir in seiner Nacktheit dastehen und
Flöte spielen seht, raubt euch das den Schlaf. Was ist mit Mahavir
los? Ist er verrückt geworden? Bei Krishna ist die Flöte okay, aber
bei Mahavir ist sie absolut unglaublich. Eine Flöte in der Hand
von Mahavir? — Undenkbar! Man kann es sich nicht einmal vor-
stellen. Aber der Grund ist nicht, daß es zwischen Mahavir und
Krishna, zwischen Buddha und Chaitanya einen Widerspruch
gäbe: Es ist nichts als ein Unterschied im Ausdruck. Buddha zieht
einen bestimmten geistigen Typ an, den kopforientierten Men-
schen, und Chaitanya und Ramakrishna ziehen genau das Ge-
genteil an, den herzorientierten Menschen.
Aber solche Schwierigkeiten können auftreten: Ein Mensch wie
ich macht Kopfzerbrechen. Ich ziehe nämlich beide an — und da-
bei fühlt sich niemand ganz wohl: denn solange ich rede, fühlt sich
der kopforientierte Mensch wohl, aber sobald ich den anderen
Ausdruck zulasse, wird es dem kopforientierten Menschen un-
gemütlich. Und umgekehrt genauso. Wenn eine emotionale Me-
thode benutzt wird, fühlt sich der herzorientierte Mensch wohl.
Aber wenn ich diskutiere, wenn ich ein Argument bis zu Ende
ausführe, dann tritt er ab, dann ist er nicht mehr hier. Er sagt: „Das
ist nichts für mich.”
Gerade gestern kam eine Dame zu mir und sagte: „Ich war mit
in Mount Abu, und da wurde es schwierig. Am ersten Tag, als ich
dir zuhörte, war es wunderbar. Ich fühlte mich angezogen: Ich
268
Kapitel 10
war ganz aufgeregt. Aber dann sah ich Kirtan, Tanzen und Sin-
gen, und entschloß mich, sofort abzureisen; das war nichts für
mich. Ich ging zum Omnibusbahnhof: aber dann wußte ich nicht
weiter. Ich wollte dich sprechen hören, also kam ich zurück. Ich
wollte mir nicht entgehen lassen, was du sagtest." Es muß ihr sehr
schwer gefallen sein. Sie sagte zu mir: „Es war ein solcher Gegen-
satz!”
Das scheint so, weil diese Zentren widersprüchlich sind, und
weil dieser Widerspruch in euch ist. Euer Kopf verträgt sich nicht
mit eurem Herzen. Sie sind in Konflikt. Und aufgrund eures in-
neren Konflikts, scheinen Ramakrishna und Krishnamurti in Kon-
flikt zu sein. Stellt eine Brücke zwischen eurem Kopf und eurem
Herzen her, dann werdet ihr erkennen, daß es nur Medien sind.
Ramakrishna war vollkommen ungebildet: keinerlei Entwicklung
des Verstandes. Er war reines Herz. Nur ein Zentrum war ent-
wickelt – das Herz. Krishnamurti ist reiner Verstand. Er befand
sich in den Händen rigoroser Rationalisten — von Anni Besant,
Leadbeater und anderen Theosophen. Das waren die größten Sy-
stememacher dieses Jahrhunderts. Wirklich, die Theosophie
gehört zu den größten Systemen, die je geschaffen wurden — ab-
solut durchrationalisiert. Er wurde von Rationalisten erzogen. Er
ist reiner Verstand. Selbst wenn er von Herz und Liebe spricht, ist
seine ganze Ausdrucksweise rational.
Ramakrishna ist anders. Selbst wenn er vom Verstand spricht,
ist er absurd. Totapuri kam zu ihm und begann, ihn Vedanta zu
lehren. Also sagte Totapuri zu ihm: „Laß diesen ganzen Anbe-
tungskram. Laß diese Mutter Kali endgültig fallen. Wenn du die-
sen ganzen Unsinn nicht läßt, werde ich dich nicht lehren, denn
Vedanta hat nichts mit Anbetung zu tun. Es ist Erkenntnis.”
Ramakrishna sagte: „Okay, aber gestatte mir einen Augenblick,
damit ich die Große Mutter fragen kann, ob ich diesen ganzen
Unsinn lassen darf. Gib mir einen Augenblick Zeit, um die Mut-
ter zu fragen.”
Das ist der herzorientierte Mensch! Selbst um die Mutter zu
verlassen, muß er sie um Erlaubnis bitten. Und er sagte: „Sie ist so
voller Liebe, sie wird es mir erlauben, mach dir also keine Ge-
danken.” Totapuri konnte nicht begreifen, was er da sagte.
269
Das Buch der Geheimnisse
Ramakrishna sagte: „Sie ist so liebevoll, sie hat mir noch nie etwas
abgeschlagen. Wenn ich zu ihr gehe und ihr sage: Mutter, ich
muß dich verlassen, denn ich lerne jetzt Vedanta und darf diesen
ganzen Anbetungskram nicht mehr machen, laß mich gehen`,
dann wird sie es mir erlauben. Sie wird mir totale Freiheit lassen.”
Baut eine Brücke zwischen Herz und Kopf, und dann sagen
alle, die je erleuchtet wurden, das gleiche — mögen sich ihre Spra-
chen auch unterscheiden.
2 70
Die Reise nach innen
Sutras]
15. Wenn du alle sieben Öffnungen des Kopfes mit deinen Händen
verschließt wird der Raum zwischen den Augen allumfassend.
17. Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ...
2 73
Das Buch der Geheimnisse
Der Mensch gleicht einem Kreis ohne Mitte. Sein Leben ist
oberflächlich: sein Leben spielt sich nur am Rand ab. Ihr lebt an
der Außenseite: Ihr lebt niemals innen. Und bevor ihr keine Mit-
te findet, könnt ihr es auch nicht. Ich habe entdeckt, daß ihr nicht
innen leben könnt. Ja, ohne Mitte habt ihr gar kein „Innen”, son-
dern nur ein „Außen”. Darum reden wir immer nur über das In-
nere, darüber, wie man nach innen geht, wie man sich selbst er-
kennt, wie man ins Innere eindringt, aber diese Worte sind ohne
wirkliche Bedeutung. Ihr wißt den Sinn der Worte, aber ihr könnt
nicht fühlen, was sie bedeuten, weil ihr niemals innen seid. Ihr seid
niemals nach innen gegangen!
Selbst wenn du allein bist, ist in deinem Kopf ein Gedränge.
Wenn außen niemand da ist, bist du darum noch lange nicht in-
nen. Du denkst ständig an andere; du gehst weiterhin nach außen.
Selbst wenn du schläfst, träumst du von den anderen. Du bist nicht
innen. Nur in einem sehr tiefen Schlaf, wenn keine Träume da
sind, bist du innen, aber dann bist du unbewußt. So ist es: Wenn
du bewußt bist, bist du nicht in dir, und wenn du in dir bist, im
Tiefschlaf zum Beispiel, bist du unbewußt. Also ist dein ganzes
Bewußtsein auf das Außen gerichtet. Und immer, wenn wir da-
von reden, nach innen zu gehen, sind zwar unsere Worte ver-
ständlich, aber nicht ihr Sinn, weil die Worte den Sinn nicht ent-
halten können: Ihr Sinn kommt durch Erfahrung.
Wörter sind ohne Sinn. Wenn ich sage „innen”, versteht ihr das
Wort, aber nur das Wort, nicht den Sinn. Ihr wißt nicht, was „in-
nen” ist, denn ihr wart nie bewußt innen. Euer Geist geht ständig
nach außen. Ihr habt kein Gefühl dafür, was„das Innere" bedeutet.
Das meine ich, wenn ich sage: „Ihr seid wie ein Kreis ohne
Mitte” — nur eine Peripherie; die Mitte ist zwar da, aber ihr
berührt sie nur, wenn ihr nicht bewußt seid. Wenn ihr bewußt
seid, geht ihr nach außen, und darum ist euer Leben nie intensiv;
das kann es auch nicht sein. Es ist nur lauwarm. Ihr lebt, als wärt
ihr tot: ihr seid beides zugleich. Ihr seid tot-lebendig, lebt ein tod-
gleiches Leben. Ihr existiert am Minimum. Nicht am maximalen
Gipfel, sondern am Minimum. Ihr könnt sagen: „Ich bin” — das
ist aber auch alles. Wenn ihr sagt, daß ihr lebt, heißt das nur, daß
ihr nicht tot seid.
2 74
Kapite111
Aber das Leben läßt sich nie von der Peripherie her erkennen.
Das Leben kann nur vom Zentrum aus erkannt werden. An der
Peripherie ist nur lauwarmes Leben möglich. Ihr lebt also in
Wirklichkeit ein ganz unechtes Leben, und so wird sogar der Tod
unecht — denn jemand, der nicht wirklich gelebt hat, kann auch
nicht wirklich sterben. Nur ein echtes Leben kann zu einem ech-
ten Tod führen. Dann ist der Tod schön: Alles Echte ist schön. Da-
gegen ist ein Leben, das unecht ist, häßlich. Und euer Leben ist
häßlich — verrottet. Nichts passiert. Ihr wartet immer nur und
hofft, daß irgendwas irgendwann irgendwo passiert. Jetzt im Au-
genblick ist nur Leere da, und so war es schon immer — einfach
nur leer. Ihr wartet auf die Zukunft, hofft, daß etwas passiert, ir-
gendwann — ihr seid immer am Hoffen. So geht jeder Augenblick
verloren. Es ist in der Vergangenheit nichts passiert, es wird auch
in Zukunft nichts passieren. Nur jetzt, in diesem Augenblick kann
etwas passieren. Aber dazu gehört Intensität, durchdringende In-
tensität. Ihr müßt im Zentrum Wurzeln haben, die Peripherie ist
nicht genug. Ihr müßt den Augenblick für euch entdecken.
Wir denken tatsächlich nie darüber nach, was wir sind: und was
i mmer wir zu sein glauben ist nur Hokuspokus. Ich wohnte ein-
mal mit einem Professor auf einem Universitätsgelände zusam-
men. Eines Tages kam er ganz aufgeregt an, und ich fragte ihn:
„Was ist los?” Er sagte: „Ich habe Fieber.” Ich las gerade und riet
ihm: „Leg dich schlafen. Nimm diese Bettdecke und ruhe dich
aus.” Er ging ins Bett, aber nach ein paar Minuten sagte er: „Nein,
ich habe kein Fieber, in Wirklichkeit bin ich wütend. Jemand hat
mich beleidigt, und ich habe eine Stinkwut auf ihn.” Da fragte ich:
„Warum hast du zuerst gesagt, daß du Fieber hättest?” Er sagte:
„Ich konnte nicht zugeben, daß ich wütend war, aber in Wirk-
lichkeit bin ich es. Ich habe kein Fieber.” Er warf die Bettdecke
weg, und ich sagte: „Okay, wenn du wütend bist, dann nimm die-
ses Kopfkissen. Schlage drauf und tobe dich daran aus. Laß dei-
nen Aggressionen freien Lauf. Und wenn dir das Kissen nicht
reicht, dann bin ich auch noch da. Du kannst mich schlagen. Laß
diese ganze Wut raus.”
Er lachte, aber sein Lachen war falsch, nur aufgesetzt. Es husch-
te über sein Gesicht und verschwand sofort wieder. Es ging gar
275
Das Buch der Geheimnisse
nicht in ihn hinein. Es kam nicht von innen. Es war nur ein auf-
gesetztes Lachen, aber das Lachen, auch wenn es falsch war, schuf
eine Lücke. Er sagte: „Nein, ich bin eigentlich nicht wirklich wü-
tend: jemand hat etwas über mich vor anderen gesagt, und das hat
mich sehr verlegen gemacht. Das ist es in Wirklichkeit.”
Nun sagte ich zu ihm: „Du hast deine Aussage über deine Ge-
fühle in einer halben Stunde dreimal geändert. Erst sagst du, du
hast Fieber, dann bist du wütend, und jetzt bist du nicht wütend,
sondern verlegen. Was stimmt?” Er sagte: „In Wirklichkeit bin ich
verlegen.” Ich sagte: „Was bist du wirklich? Als du sagtest, daß du
Fieber hättest, warst du auch sicher, daß es stimmt. Als du sagtest,
daß du wütend bist, warst du dir auch sicher. Und jetzt bist du
auch wieder sicher. Bist du ein Mensch oder viele? Wie lange wird
diese Gewißheit anhalten?”
Da sagte der Mann: „Wirklich, ich weiß nicht, was ich eigentlich
fühle. Ich weiß nicht, was es ist. Ich bin einfach verwirrt. Ob du es
nun Wut, Verlegenheit oder sonst etwas nennst, ich weiß es nicht.
Dies ist nicht der Augenblick, darüber zu diskutieren.” Er sagte:
„Laß mich in Ruhe, du hast meine Situation philosophisch ge-
macht. Du diskutierst darüber, was wirklich ist, was authentisch
ist, und ich bin ganz verstört!”
Diese Geschichte handelt nicht von irgend jemandem, von X,
Y oder Z, sondern von dir. Du bist dir nie sicher, weil Gewißheit
nur kommt, wenn du irn Zentrum bist. Du bist dir nicht einmal
deiner selbst gewiß. Es ist unmöglich, Gewißheit über andere zu
haben, wenn du nie Gewißheit über dich selbst hast. Da ist nichts
als Ungewißheit, Nebelhaftigkeit. Nichts ist gewiß.
Erst vor ein paar Tagen war jemand bei mir und fragte mich:
„Ich liebe eine Frau und will sie heiraten.” Ich sah ihm ein paar
Minuten tief in die Augen, ohne etwas zu sagen. Er wurde unru-
hig und sagte: „Warum siehst du mich so an? Ich werde ganz ver-
legen.” Ich sah ihn unverwandt an. Er sagte: „Glaubst du, daß mei-
ne Liebe verlogen ist?” Ich sagte nichts, sah ihn nur weiterhin an.
Er sagte: „Warum glaubst du, daß diese Heirat nicht gut sein
wird?” Er sagte das von sich aus. „Ich hab ' s mir eigentlich noch gar
nicht richtig überlegt, darum bin ich ja zu dir gekommen. In
Wirklichkeit weiß ich nämlich nicht, ob ich sie liebe oder nicht.”
276
Kapitel 11
Ich hatte kein einziges Wort gesagt. Ich sah ihm einfach nur in
die Augen. Aber er wurde unruhig, und Dinge, die in ihm waren,
kamen hoch, sprudelten hoch.
Ihr seid nicht sicher. Ihr könnt nicht sicher sein, über gar nichts.
Weder über eure Liebe, noch über euren Haß, noch über eure
Freundschaften. Es gibt nichts, worüber ihr Gewißheit habt, denn
ihr habt kein Zentrum. Ohne Zentrum gibt es keine Gewißheit.
Alle eure Gefühle von Gewißheit sind falsch und momentan. In
einem Moment glaubt ihr, euch sicher zu sein, aber irn nächsten
ist die Gewißheit schon weg, weil ihr jeden Augenblick ein ande-
res Zentrum habt. Ihr habt kein permanentes Zentrum, kein kri-
stallisiertes Zentrum. Jeder Augenblick ist ein Atom für sich, und
so hat jeder Augenblick sein eigenes Selbst. Georg Gurdjieff sag-
te immer, daß der Mensch eine Menschenmenge ist. Deine Per-
sönlichkeit ist nur ein Trugbild, denn du bist keine Person. Du bist
viele Personen. Wenn also eine Person aus dir spricht, ist sie für
einen Augenblick dein Zentrum. Im nächsten Augenblick ist ein
anderes Zentrum da. In Jedem Augenblick, in jeder noch so klei-
nen Situation bist du dir über etwas sicher, und bemerkst nie, daß
du ein Fluß bist, mit vielen Wellen, ohne irgendein Zentrum. Am
Ende hast du dann das Gefühl, dein Leben verschwendet zu ha-
ben. Das kann nicht ausbleiben. Es ist nichts als Vergeudung, ein
Umherirren — sinnlos, bedeutungslos.
Bei Tantra, Yoga, Religion geht es vor allem darum, wie man
das Zentrum entdeckt — wie man erst einmal ein Individuum wird.
Es geht darum, wie man das Zentrum finden kann, das in allen Si-
tuationen gleich bleibt. Dann bleibt das Zentrum im Inneren er-
halten, während das Leben außen weitergeht, während der Strom
des Lebens weiter und weiterfließt, während Wellen kommen
und gehen. Dann bleibst du einheitlich — verwurzelt, zentriert.
Diese Sutras sind Techniken, die helfen, das Zentrum zu fin-
den. Das Zentrum ist bereits da, denn einen Kreis ohne Mittel-
punkt gibt es nicht. Der Kreis kann nur da sein, wenn ein Zen-
trum da ist. Also ist das Zentrum nur vergessen. Es ist da, aber wir
sind uns dessen nicht bewußt. Es ist da, aber wir wissen nicht, wie
wir es ins Auge fassen können. Wir wissen nicht, wie wir unser
Bewußtsein darauf lenken können.
277
Das Buch der Geheimnisse
Das ist eine der ältesten Techniken, eine, die am meisten ver-
wendet wird, und dazu eine der einfachsten: Verschließe alle Öff-
nungen des Kopfes – Augen, Ohren, Nase, Mund –, alle Öffnun-
gen des Kopfes. Wenn alle Öffnungen des Kopfes verschlossen
sind, wird das Bewußtsein, das ständig nach außen fließt, plötzlich
gestoppt: es kann nicht mehr nach außen gehen. Ihr mögt es noch
nie bemerkt haben – aber wenn ihr den Atem auch nur für einen
Moment anhaltet, steht der Verstand still, denn er kann sich nur
mit dem Atmen bewegen. Das ist die Konditionierung des geisti-
gen Prozesses. Ihr müßt verstehen, was Konditionierung heißt,
dann wird dieses Sutra leicht verständlich.
Pavlow, einer der berühmtesten russischen Psychologen, hat aus
diesem Ausdruck „Konditionierung” oder „bedingter Reflex” ein
Alltagswort gemacht, das die ganze Welt kennt. Jeder, der auch
nur ein bißchen von Psychologie weiß, kennt dieses Wort. Zwei
Gedankengänge – beliebige Gedankengänge – können so assozi-
iert werden, daß mit dem einen auch der andere automatisch aus-
gelöst wird.
Pavlow experimentierte mit einem Hund. Er fand heraus, daß
sich im Maul des Hundes Speichel bildet, wenn man ihm Futter
vorsetzt. Die Zunge des Hundes hängt heraus, und er wartet auf
sein Fressen. Das ist natürlich. Wenn er die Nahrung sieht, oder
sie sich auch nur vorstellt, fließt der Speichel. Aber Pavlow ver-
band diesen Vorgang mit noch einem andern. Wann immer das
Futter da war und der Speichel floß, machte er noch etwas ande-
res. Zum Beispiel schlug er eine Glocke an. Fünfzehn Tage lang
läutete es jedesmal, wenn die Nahrung kam. Am sechzehnten Tag
wurde dem Hund kein Futter vorgesetzt, sondern nur die Glocke
angeschlagen, und der Speichel floß, die Zunge kam heraus, als
ob es Futter gäbe.
Es war aber keins da – nur die Glocke läutete. Es gibt keine
natürliche Verbindung zwischen einer läutenden Glocke und
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Kapite111
279
Das Buch der Geheimnisse
280
Kapite111
schen gekannt hat, die zu diesem inneren Raum des dritten Auges
vorgedrungen sind. Aber in einem islamischen Land war es
schwierig. Und Mansoors Aussage -„Ich bin Gott", „Anal Haq”,
„Aham Brahmasmi” — wurde als Lästerung empfunden, weil der
Islam es nicht für möglich hält, daß Mensch und Gott eins wer-
den können. Der Mensch ist Mensch, das Geschaffene, und Gott
ist der Schöpfer. Wie kann also das Geschöpf zum Schöpfer wer-
den? Also wurde diese Behauptung von Mansoor, „Ich bin Gott”,
nicht verstanden. Darum hat man ihn umgebracht. Aber als er
umgebracht, getötet wurde, lachte er. Da fragte jemand: „Warum
lachst du, Mansoor?”
Mansoor soll geantwortet haben: „Ich lache, weil ihr mich nicht
töten könnt. Ihr laßt euch von diesem Körper täuschen. Aber ich
bin nicht dieser Körper. Ich bin der Schöpfer dieses Universums,
und es war mein Finger, der dies ganze Universum in Gang ge-
setzt hat.”
In Indien wäre er ohne weiteres verstanden worden. Diese
Sprache ist hier seit Jahrhunderten und aber Jahrhunderten be-
kannt. Wir wissen längst, daß ein Augenblick kommt, wo dieser
innere Raum erkannt wird. Dann wird man einfach verrückt. Und
diese Erkenntnis ist so gewiß, daß selbst, wenn ihr einen Mansoor
tötet, er seine Behauptung niemals ändern wird — denn wirklich,
ihr könnt ihn gar nicht töten. Er ist zum Ganzen geworden. Es
gibt keine Möglichkeit, ihn zu zerstören.
Nach Mansoor merkten sich die Sufis gut, daß es besser ist, den
Mund zu halten. Und so ist in der Sufi Tradition nach Mansoor
diese Lehre beständig weitergereicht worden: „Wann immer du
auf das dritte Auge stößt, sei still und sage nichts. Wann immer
dies geschieht, bleib still. Sage nichts, oder sage nur Dinge, die die
Leute glauben können.”
Und so hat der Islam heute zwei Traditionen: eine ist nur
äußerlich, exoterisch, die andere — der wirkliche Islam — ist der
Sufismus, die esoterische Tradition. Aber die Sufis bleiben seit
Mansoor still, weil sie gelernt haben, daß es dich unnötig in
Schwierigkeiten bringt, wenn du die Sprache sprichst, die dich
überkommt, wenn sich das dritte Auge öffnet — und weil nie-
mandem damit geholfen ist. Dies Sutra sagt: „Wenn du alle sieben
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 11
283
Das Buch der Geheimnisse
sie mit den Händen zu. Dann, wenn du wirklich unbewußt wer-
den solltest, werden sich die Hände lockern, und der Atem wird
hereinkommen. Es gibt also eine eingebaute Sicherung. Diese
Methode kann von vielen benutzt werden.
Die vierte Methode ist für diejenigen, die ein sehr entwickeltes
Herz haben, für liebende, fühlende, emotionale Menschen: „Ge-
segnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind, gehe in
die Mitte des Lotus.” Diese Methode kann nur von herzorien-
tierten Menschen benutzt werden. Darum müßt ihr zunächst ver-
stehen, was das ist: ein herzorientierter Mensch. Danach wird die
Methode verständlich.
Bei einem, der herzorientiert ist, führt alles zum Herzen hin —
alles! Wenn du ihn hebst, wird sein Herz deine Liebe fühlen, nicht
sein Kopf. Ein kopforientierter Mensch fühlt deine Liebe zerebral,
i m Kopf. Er denkt darüber nach: er macht Pläne. Selbst seine Lie-
be ist eine bewußte Anstrengung des Verstandes. Ein fühlender
Mensch lebt ohne Vernünfteln. Natürlich hat das Herz seine ei-
gene Vernunft, aber es lebt ohne Vernünfteln. Wenn jemand dich
fragt: „Warum liebst du?” und du kannst ihm die Frage beant-
worten, dann bist du ein kopforientierter Mensch. Und wenn du
sagst: „Ich weiß nicht, ich liebe einfach”, bist du ein herzorien-
tierter Mensch. Selbst wenn du sagst, daß du ihn liebst, weil er
schön ist, ist es ein Grund. Für den herzorientierten Menschen ist
jemand schön, weil ich ihn hebe. Der kopforientierte Mensch liebt
jemanden, weil er schön ist. Erst kommt der Grund, dann die Lie-
be. Für den Herzorientierten kommt die Liebe zuerst, alles ande-
re danach. Der fühlende Typ ist im Herzen zentriert, also berührt
alles, was geschieht, sein Herz.
Beobachte dich nur selbst. In deinem Leben geschehen ständig
viele Dinge. Wo berühren sie dich? Du gehst auf der Straße, und
ein Bettler geht vorbei. Wo berührt dich der Bettler? Fängst du
an, über ökonomische Bedingungen nachzudenken? Denkst du
darüber nach, daß das Betteln gesetzlich verboten werden sollte
oder daß man eine soziale Gesellschaft schaffen sollte, in der nie-
mand betteln muß? Dann bist du ein kopforientierter Mensch.
Dieser Bettler ist für dich nur ein Vorwand, nachzudenken. Dein
Herz bleibt unberührt, nur dein Kopf wird berührt. Du wirst für
284
Kapitel 11
den Bettler hier und jetzt nichts tun — nein! Der Kopforientierte
wird etwas für den Kommunismus tun, er wird etwas für die Zu-
kunft tun, für irgendein Utopia. Er mag ihr sogar sein ganzes Le-
ben widmen, aber im Moment kann er nichts tun.
Der Kopf tut immer erst in der Zukunft etwas, das Herz ist im-
mer hier und ietzt. Ein herzorientierter Mensch wird jetzt irgend-
etwas für diesen Bettler tun. Dieser Bettler ist ein Individuum,
kein Computerdatum. Aber für einen kopforientierten Menschen
ist dieser Bettler nur eine mathematische Ziffer. Sein Problem ist,
wie das Betteln abgeschafft werden soll, nicht, wie diesem Bettler
zu helfen ist: das ist unerheblich.
Beobachte dich also. Beobachte dich in vielen Situationen, wie
du handelst. Hast du mit dem Herzen oder hast du mit dem Kopf
zu tun? Wenn du das Gefühl hast, daß du ein herzorientierter
Mensch bist, dann wird dir diese Methode sehr helfen. Aber du
mußt wissen, daß jeder sich gerne für einen Herzmenschen hält.
Jeder möchte gerne, daß er ein sehr liebender Mensch, ein sehr
gefühlvoller Mensch ist, denn die Liebe ist ein solches Grundbe-
dürfnis, daß sich niemand mit der Erkenntnis wohlfühlen kann,
daß er keine Liebe hat, kein liebendes Herz. Jeder denkt und
glaubt es immerzu, aber Glauben bringt nichts. Beobachte dich
sehr unparteiisch, als würdest du einen anderen beobachten, und
entscheide dann; denn du brauchst dich nicht selbst zu täuschen,
und es wird dir auch nicht helfen. Selbst wenn du dich selbst
täuschst, diese Technik kannst du nicht täuschen. Wenn du dann
nämlich diese Technik machst, hast du das Gefühl, daß nichts pas-
siert.
Es kommen Leute zu mir, und ich frage sie, zu welchem Typ
sie gehören. Sie wissen es nicht so richtig. Sie haben nie darüber
nachgedacht. Sie haben nur vage Vorstellungen von sich, und die-
se Vorstellungen sind weiter nichts als reine Einbildung. Sie haben
gewisse Ideale und ein Image von sich selbst, und sie glauben —
oder vielmehr wünschen, daß sie ihrem Image entsprechen. Sie
tun es nicht, und oft kommt es vor, daß sie sich genau als das Ge-
genteil entpuppen.
Dafür gibt es einen Grund. Ein Mensch, der darauf besteht, daß
er herzorientiert ist, mag es deshalb tun, weil er fühlt, daß er nicht
285
Das Buch der Geheimnisse
im Herzen ist und Angst hat. Er kann sich nicht bewußt machen,
daß er kein Herz hat. Seht euch die Welt an! Wenn jeder recht
hätte, was sein Herz betrifft, dann könnte diese Welt nicht so
herzlos sein. Diese Welt ist so wie wir sind, also muß irgendwo
irgendein Fehler stecken. Es ist kein Herz da. Und es ist auch nie
dazu erzogen worden, dazusein. Der Kopf wird ausgebildet, also
ist er da. Es gibt Schulen, Colleges, Universitäten, die den Kopf
trainieren. Aber es gibt nirgends einen Ort, wo das Herz erzogen
wird. Und die Erziehung des Kopfes macht sich bezahlt, aber die
Erziehung des Herzens ist gefährlich, denn wenn dein Herz ent-
faltet wird, wirst du absolut untauglich für diese Welt — weil die
ganze Welt vom Verstand kontrolliert wird.
Wenn dein Herz erzogen wird, fällst du einfach aus dem
ganzen Muster als absurd heraus. Wenn die ganze Welt sich nach
rechts bewegt, wirst du dich nach links bewegen. Überall wirst du
auf Schwierigkeiten stoßen. Tatsächlich wird der Mensch um so
herzloser, je mehr er sich zivilisiert. Wir haben wirklich ganz ver-
gessen, daß es existiert oder daß es überhaupt ausgebildet werden
muß. Aus diesem Grunde funktionieren Methoden wie diese nie,
obwohl sie ganz leicht funktionieren könnten.
Die meisten Religionen gründen sich auf herzorientierte
Techniken — Christentum, Islam, Hinduismus und viele andere
auch. Sie gründen sich auf die herzorientierten Menschen. Je äl-
ter eine Religion, desto mehr wurde sie auf den herzorientier-
ten Menschen errichtet. Wirklich, als die Veden geschrieben
wurden und der Hinduismus sich entwickelte, gab es herz-
orientierte Menschen. Und damals war es schwierig, einen kopf-
orientierten Menschen zu finden. Aber heute ist das Umge-
kehrte das Problem. Ihr könnt nicht beten, weil Beten eine herz-
orientierte Technik ist. Darum ist sogar im Westen, wo das
Christentum, eine Religion des Betens, vorherrscht, das Beten
schwierig geworden. Vor allem die katholische Kirche ist gebets-
orientiert.
Für das Christentum gibt es so etwas wie Meditation überhaupt
nicht. Aber heute werden die Menschen sogar im Westen völlig
verrückt nach Meditation. Niemand geht in die Kirche, und selbst
wenn es jemand tut, dann nur formal, nur sonntags. Denn das
286
Kapitel11
28 7
Das Buch der Geheimnisse
Kopf, und fühle dich kopflos. Es ist kein Kopf da. Es ist gut, wenn
du in deinem Schlafzimmer ein Bild von dir hast, auf dem du
ohne Kopf zu sehen bist. Konzentriere dich darauf: du bist ohne
Kopf; laß den Kopf nicht herein. Wenn du Musik hörst, höre sie
vom Herzen her. Fühle die Musik in dein Herz kommen; laß dein
Herz mit ihr schwingen. Laß deine Sinne mit dem Herzen ver-
bunden sein, nicht mit dem Kopf. Versuche dies mit allen Sinnen,
und fühle mehr und mehr, daß alle Sinne ins Herz gehen und sich
dort auflösen.
„Gesegnete! Wenn alle Sinne im Herzen aufgenommen sind,
gehe in die Mitte des Lotus” — das Herz ist der Lotus. Jeder Sinn
öffnet nur den Lotus mehr, ist ein Blütenblatt des Lotus. Versu-
che zunächst, deine Sinne auf das Herz zu ziehen. Stell dir zwei-
tens jedesmal vor, daß jeder Sinn bis rief ins Herz eindringt und
von ihm absorbiert wird. Wenn diese beiden Dinge zur Ge-
wohnheit geworden sind, dann werden dir deine Sinne anfangen
zu helfen, dann werden sie dich von sich aus dem Herzen zu-
führen ... und dein Herz wird zum Lotus.
Dieser Lotus des Herzens wird dich zentrieren. Kennst du erst
einmal das Zentrum des Herzens, wird es sehr leicht, sich ins Na-
belzentrum fallenzulassen. Sehr leicht! Ja, dies Sutra erwähnt es
nicht einmal, so einfach ist es. Wenn du wirklich total im Herzen
aufgehst, und der Verstand nicht mehr arbeitet, dann fällst du:
vom Herzen ins Nabelzentrum. Nur aus dem Kopf ist es schwie-
rig, zum Nabel hinunterzusinken. Oder, wenn du zwischen bei-
den bist, zwischen dem Herzen und dem Kopf, ist es auch schwie-
rig, zum Nabel zu kommen. Bist du erst einmal im Nabel absor-
biert, dann bist du jenseits vom Herzen. Du bist nun zum
Nabelzentrum gefallen, welches die Basis von allem ist, das Ur-
sprüngliche.
Darum hilft Beten. Darum konnte Jesus sagen: „Liebe ist Gott.”
Es stimmt nicht genau, aber Liebe ist die Tür. Wenn du tief liebst,
gleich wen — es kommt nicht darauf an, wen, es kommt auf die
Liebe an, nicht auf die Person —, wenn du jemanden tief liebst, so
sehr liebst, daß es keine Kopfbeziehung mehr ist, wenn nur noch
das Herz funktioniert, dann wird diese Liebe zur Andacht, und
deine Geliebte oder dein Geliebter werden göttlich.
28 8
Kapitel 11
Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte – bis ...
„Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte — bis ... ": So
kurz ist dies Sutra. Genau wie jede wissenschaftliche Formel ist
sie kurz, aber selbst diese wenigen Worte können dein Leben total
verändern. „Ohne auf den Geist zu achten, bleib in der Mitte —
bis ...” Bleib in der Mitte ...
Buddha entwickelte seine ganze Methodik der Meditation aus
diesem Sutra. Sein Weg ist als Ma_jhim nikaya bekannt — als der
Mittelweg. Buddha sagt: „Bleib immer in der Mitte — in allem.”
Eines Tages ließ sich ein gewisser Prinz Schraun einweihen:
Buddha gab ihm Sannyas. Dieser Prinz war ein einmaliger Mann,
und als er Sannyas nahm, als er initiiert wurde, staunte sein ganzes
Königreich. Sein Volk konnte nicht glauben, daß Prinz Schraun
ein Sannyasin werden konnte. Niemand hatte es je für möglich
gehalten, denn er war ein Mann von Welt — der sich alles ge-
stattete, jede Ausschweifung, bis ins Extrem. Wein und Frauen
waren sein ganzer Lebenszweck.
28 9
Das Buch der Geheimnisse
Dann kam plötzlich Buddha in seine Stadt, und der Fürst such-
te ihn auf, bat um einen Darshan. Er fiel Buddha zu Füßen und
sagte: „Weihe mich ein, ich werde diese Welt verlassen.” Seine Be-
gleiter hatten keine Ahnung. Es kam aus heiterem Himmel. Alle
fragten sie Buddha: „Was ist los? Es ist ein Wunder. Schraun ist
doch gar nicht der Typ, und er lebte immer sehr luxuriös. Bis jetzt
konnte gar kein Gedanke daran sein, daß er Sannyas nehmen
könnte. Was ist also passiert? Du hast etwas mit ihm gemacht.”
Buddha sagte: „Ich habe nichts getan. Der Geist kann leicht von
einem Extrem zum andern gehen. Das ist die Natur des Geistes –
von einem Extrem ins andere zu gehen. Schraun macht also nichts
Neues. Es war zu erwarten. Nur weil ihr nicht die Gesetze des
Geistes kennt, seid ihr überrascht.”
Der Geist geht von einem Extrem zum anderen. Das ist die Na-
tur des Geistes. Und so kommt es jeden Tag vor, daß ein Mensch,
der wie verrückt hinter dem Geld her war, alles aufgibt und zum
nackten Fakir wird. Wir denken: „Was für ein Wunder!” Aber es
ist nichts — nur eine gewöhnliche Gesetzmäßigkeit. Von einem
Menschen, der nicht wie verrückt hinter dem Geld her war, kann
man nicht erwarten, daß er ihm entsagt, denn man geht nur von
dem einen Extrem zum anderen, genau wie ein Pendel — von ei-
nem Extrem zum andern.
Ein Mensch also, der wie verrückt hinter Geld her war, wird
wie verrückt dagegen sein, aber die Verrücktheit wird bleiben: Das
ist der Geist. Ein Mensch, der nur den Sex kannte, mag enthalt-
sam werden, mag in Isolation gehen, aber sein Wahnsinn wird
bleiben. Erst hat er nur für den Sex gelebt, jetzt lebt er nur noch
gegen den Sex — aber die Haltung, die Einstellung bleibt die glei-
che. So ist ein Brahmachari, ein zölibatärer Mensch, nicht wirklich
über den Sex hinausgelangt: Sein ganzes Denken ist sexorientiert.
Er ist dagegen, aber nicht über ihn hinaus. Der Weg darüber hin-
aus geht immer durch die Mitte. Er führt nie ins Extrem. Daher
sagte Buddha: „Das war zu erwarten. Es ist kein Wunder gesche-
hen. So funktioniert der Geist.”
Schraun wurde ein Bettler, ein Sannyasin, ein Bhikkhu, ein
Mönch. Und bald stellten die anderen Jünger Buddhas fest, daß
er zum anderen Extrem ging. Buddha verlangte von niemandem,
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Kapitel 11
291
Das Buch der Geheimnisse
„Ohne auf den Geist zu achten ...” Ihr werdet dies hören, ihr
werdet es verstehen, aber der Geist wird nicht darauf hören. Der
Geist wählt immer nur die Extreme.
Das Extrem hat eine Faszination für den Geist Warum? Weil er
in der Mitte stirbt. Seht euch ein Pendel an: Wenn ihr irgendeine
alte Standuhr habt, seht euch das Pendel an. Das Pendel kann den
ganzen Tag weitergehen, wenn es sich zu den Extremen bewegt.
Wenn es nach links geht, sammelt es Schwungkraft, um nach
rechts zu gehen. Wenn es nach rechts geht, dann dürft ihr nicht
denken, daß es wirklich nach rechts geht, es sammelt nur
Schwungkraft, um nach links zu gehen. Die Extreme sind also
rechts, links, rechts, links. Halte seine Schwungkraft in der Mitte
an. Laß das Pendel in der Mitte still stehen. Die ganze Schwung-
kraft wird verlorengehen; nun hat das Pendel keine Energie, denn
seine Energie kommt von einem der Extreme. Dann wirft dies
Extrem es zum anderen und das andere wieder zurück, und es ist
ein Kreis: Das Pendel bewegt sich immer weiter. Halte es in der
Mitte, und die Bewegung wird aufhören. Der Geist ist genau wie
ein Pendel, und wenn du ihn jeden Tag beobachtest, wirst du das
erkennen. Du entscheidest eine Sache an dem einen Extrem und
gehst dann zum anderen über. Du bist wütend, dann bereust du.
Du entschließt dich: „Nein, jetzt reicht es. Jetzt will ich nie wie-
der wütend werden.” Aber du siehst nicht das Extreme daran.
„Niemals”, ist ein Extrem. Wie kannst du so sicher sein, daß du
nie wieder wütend wirst? Was sagst du da? Denk noch einmal
nach. Nie? Dann geh in die Vergangenheit, erinnere dich, wie oft
du dich entschlossen hast, nie wieder wütend zu werden. Wenn
du sagst, daß du nie wieder wütend werden willst, dann vergißt
du, daß du, als du wütend wurdest, nur die Schwungkraft gesam-
melt hast, um zum anderen Extrem zu gehen. Jetzt fühlst du
Reue, jetzt fühlst du dich schlecht. Dein Image ist gestört, er-
schüttert. Jetzt kannst du dich nicht mehr einen guten Menschen
nennen, jetzt bist du kein religiöser Mensch mehr. Du bist wü-
tend gewesen, und wie kann ein frommer Mann wie ich wütend
sein, wie kann ein guter Mensch wütend sein? Also bereust du,
um deine Anständigkeit wiederzugewinnen. Wenigstens in dei-
nen eigenen Augen kannst du dich besser fühlen, wenn du be-
292
Kapitel 11
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 11
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Das Buch der Geheimnisse
es. Das ist ein Sutra fürs ganze Leben. Du kannst es nicht nur
manchmal praktizieren. Du mußt dir dessen ständig bewußt sein.
I m Tun, irn Gehen, im Essen, in Beziehungen, überall — bleib in
der Mitte. Versuche es wengistens, und du wirst spüren, wie sich
in dir eine gewisse Stille entwickelt, dich Ruhe überkommt, wie
in dir ein ruhiges Zentrum wächst.
Selbst wenn es dir nicht gelingt, genau in der Mitte zu sein, ver-
suche trotzdem, in der Mitte zu sein. Nach und nach bekommst
du ein Gefühl dafür, was „Mitte” bedeutet. Was immer anliegt,
Haß oder Liebe, Wut oder Reue, denke immer an die polaren Ge-
gensätze und bleibe dazwischen. Früher oder später wirst du auf
den genauen Mittelpunkt stoßen. Hast du ihn einmal erkannt,
wirst du ihn nie wieder vergessen, denn dieser mittlere Punkt ist
jenseits vom Geist. Dieser Punkt in der Mitte ist genau das, was
„Spiritualität” bedeutet.
296
Jenseits vom Geist ist die Quelle
[Fragen]
29 9
Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 12
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Das Buch der Geheimnisse
302
Kapitel 12
Tantra hat das Sexzentrum benutzt, und ich glaube, daß Tantra
der wissenschaftlichste Ansatz zur menschlichen Transformation
überhaupt ist; denn den Sex zu nutzen, das ist sehr wissenschaft-
lich. Wenn das Bewußtsein ohnehin schon dorthin fließt, warum
den natürlichen Strom nicht als Vehikel nutzen? Das ist der
grundsätzliche Unterschied zwischen Tantra und sogenannten
Morallehren. Morallehrer können niemals das Sexzentrum zur
Transformation nutzen: Sie haben Angst. Und wer Angst vor der
Sexenergie hat, wird es tatsächlich sehr, sehr schwer finden, sich
zu transformieren, weil er gegen den Strom kämpft, unnötig ge-
gen den Fluß anschwimmt.
Es ist leicht, mit dem Fluß zu schwimmen. Laß dich treiben!
Und wenn du ohne jeden Konflikt dorthin treiben kannst, kannst
du dieses Zentrum zur Zentrierung nutzen. Aber jedes andere
Zentrum tut es auch.
Du kannst dir deine eigenen Zentren schaffen: nicht nötig, tra-
ditionell zu sein. Alle Zentren sind Hilfsmittel — Hilfsmittel beim
Zentrieren. Wenn du zentriert bist, wirst du automatisch hinunter
zum Nabelzentrum kommen. Ein zentriertes Bewußtsein geht
zur ursprünglichen Quelle zurück.
Das wird schwer zu verstehen sein, weil du nicht weißt, was das
entgegengesetzte Extrem zum weltlichen Leben ist. Das andere
Ende des Lebens ist immer der Tod. Es hat Lehrer gegeben, die
gesagt haben, Selbstmord ist der einzige Weg. Und nicht nur in
der Vergangenheit, auch heute in der Gegenwart gibt es Denker,
die sagen, daß das Leben absurd ist. Wenn das Leben als solches
bedeutungslos ist, wird der Tod bedeutungsvoll. Leben und Tod
303
Das Buch der Geheimnisse
sind die polaren Gegensätze, und so ist das Gegenteil von Leben
der Tod. Versuche das zu verstehen. Und das wird dir dabei hel-
fen, den „Mittleren Weg” für dich selbst herauszufinden. Wenn
der Tod der polare Gegensatz des Lebens ist, dann kann sich das
Bewußtsein sehr leicht zum Tod hinbewegen; und das kommt
vor. Wenn jemand Selbstmord begeht ... habt ihr je bemerkt, daß
ein Mensch, der Selbstmord begeht, zu sehr am Leben hängt?
Nur diejenigen, die zu sehr am Leben hängen, können Selbst-
mord begehen.
Zum Beispiel: Du hängst zu sehr an deinem Mann oder an dei-
ner Frau und glaubst, nicht ohne sie oder ihn leben zu können.
Nun stirbt der Mann oder die Frau, und du begehst Selbstmord.
Du bist zum anderen Extrem gegangen, weil du zu sehr am Le-
ben gehangen hattest. Wenn dich das Leben frustriert, kannst du
zum anderen Extrem gehen.
Es gibt zwei Arten von Selbstmord: Entweder du bringst dich
gleich um, oder du begehst Selbstmord auf Raten. Man kann
Selbstmord auf Raten begehen: Indem man sich allmählich dem
Leben entzieht, sich davon abschneidet und ganz allmählich stirbt.
Es gab in Buddhas Zeiten Schulen, die den Selbstmord lehrten.
Das waren die wirklichen Gegner des Lebens, des wirklichen Le-
bens. Es gab Schulen, die lehrten, daß der Selbstmord der einzige
Ausweg aus dem Unsinn war, der Leben heißt, der einzige Aus-
weg aus diesem Leiden. Lebendigsein heißt Leiden, sagten sie,
und es gibt keine Möglichkeit, über das Leiden hinwegzukom-
men, solange man lebt. Also begehe Selbstmord, vernichte dich.
Das wird euch als eine sehr extremistische Meinung erscheinen,
aber versucht, sie einmal tief zu verstehen. Es steckt einige Be-
deutung darin.
Sigmund Freud kam nach vierzig Jahren ständiger Arbeit an
der menschlichen Psyche, nach einem der längsten Forschungs-
unternehmen, die ein einzelner Mensch bewältigen kann, zu
dem Schluß, daß der Mensch, so wie er ist, nicht glücklich sein
kann. Die ganze Art, wie der Geist funktioniert, führt zu Lei-
den, und so kann es höchstens die Alternative von weniger oder
mehr Leid geben. Die Wahl, gar nicht zu leiden, stellt sich über-
haupt nicht. Wenn du deinen Geist anzupassen verstehst, wirst
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Kapitel 12
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Das Buch der Geheimnisse
306
..r-
Kapitel 12
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Das Buch der Geheimnisse
Es gibt hier ein Gesetz: Ihr mögt beobachtet haben, daß ein
Blinder schärfere Ohren hat, ein musikalischeres Gehör. Blinde
sind musikalischer: Ihr Gefühl für Musik ist tiefer. Warum? Die
Energie, die gewöhnlich durch die Augen geht, kann jetzt nicht
mehr durch sie hindurchfließen, und so sucht sie sich einen an-
deren Weg: Sie geht durch die Ohren.
Blinde haben einen ausgeprägteren Tastsinn. Wenn dich ein
Blinder berührt, wirst du den Unterschied spüren, denn ge-
wöhnlich tasten wir auch viel mit den Augen: Wir betasten uns
gegenseitig mit den Augen. Ein Blinder kann nicht durch die
Augen tasten, also geht die Energie durch seine Hände. Ein Blin-
der ist empfindlicher als jemand, der Augen hat. Es mag Aus-
nahmen geben, aber im allgemeinen ist es so. Die Energie fängt
an, von einem anderen Zentrum her zu strömen, wenn das erste
nicht da ist.
Versuche es also mit dieser Übung, von der ich spreche, die
Übung der Kopflosigkeit, und plötzlich wirst du etwas Merk-
würdiges feststellen: Es wird sein, als wärest du zum erstenmal im
Herzen. Sei ohne Kopf: setz dich hin zum Meditieren, schließe
die Augen, und fühle einfach, daß du keinen Kopf hast. Fühle:
„Mein Kopf ist verschwunden.” Am Anfang wird es nur ein „als
ob” sein, aber nach und nach hast du das Gefühl, daß dein Kopf
tatsächlich verschwunden ist, und wenn du das fühlst, wird dein
Zentrum zum Herzen hinunterfallen — augenblicklich. Du wirst
die Welt durch das Herz betrachten und nicht durch den Kopf...
Als zum erstenmal Menschen aus dem Westen nach Japan ka-
men, konnten sie es nicht fassen, daß die Japaner einer jahrhun-
dertealten traditionellen Vorstellung anhängen und glauben, daß
man mit dem Bauch denkt! Wenn man ein japanisches Kind, das
nicht westlich erzogen wurde, fragt, wo es denkt, wird es auf sei-
nen Bauch zeigen.
Seit Jahrhunderten lebt Japan ohne den Kopf. Der Kopf ist nur
eine Vorstellung. Wenn man dich fragt: , Wo denkst du?", wirst du
auf den Kopf zeigen, aber ein Japaner auf den Bauch, und dies ist
einer der Gründe dafür, warum der japanische Geist stiller, ruhiger
und gesammelter ist.
Das ist jetzt in Verwirrung geraten, weil der Westen sich über-
30 8
Kapitel 12
allhin verbreitet hat. Heute gibt es keinen Osten mehr. Nur in ei-
nigen Individuen, die hier und dort wie Inseln existieren, über-
lebt der Osten noch. Aber geographisch ist der spirituelle Osten
verschwunden. Heute ist die ganze Welt westlich.
Versuche es mit der Kopflosigkeit. Meditiere vor deinem Spie-
gel im Badezimmer. Schau dir tief in die Augen und fühle, daß du
vom Herzen her schaust. Und nach und nach wird dein Herz-
zentrum zu funktionieren anfangen. Und wenn das Herz funk-
tioniert, verändert sich deine ganze Persönlichkeit, die ganze
Struktur, das ganze Muster, weil das Herz seine eigene Lebens-
weise hat. Das erste also: Versuche es mit der Kopflosigkeit. Zwei-
tens: Sei liebevoller, weil Liebe nicht durch den Kopf funktionie-
ren kann. Sei liebevoller! Darum verliert jemand, der sich verliebt,
den Kopf. Die Leute sagen, er sei verrückt geworden. Wirst du
nicht verrückt, wenn du verliebt bist, dann bist du nicht wirklich
verliebt. Du mußt den Kopf verlieren. Wenn der Kopf unberührt
bleibt, weiterfunktioniert wie üblich, dann ist Liebe nicht mög-
lich, denn um zu lieben, muß dein Herz funktionieren, nicht der
Kopf. Liebe ist eine Funktion des Herzens.
Es kommt vor, daß ein sehr rationaler Mensch dumm wird, wenn
er sich verliebt. Er selbst hat das Gefühl, eine Dummheit zu bege-
hen, eine Albernheit. Was macht er nur! Dann trennt er sein Le-
ben in zwei Teile, stellt eine Spaltung her. Das Herz wird eine stil-
le innerliche Angelegenheit, und wenn er aus dem Hause geht, läßt
er sein Herz zurück. Er lebt in der Welt mit dem Kopf und kommt
nur zum Herzen hinunter, wenn er liebt. Aber das ist sehr schwer.
Sehr, sehr schwer und passiert normalerweise überhaupt nicht.
Ich wohnte in Kalkutta bei einem Freund, und dieser Freund
war Richter am Obersten Gerichtshof. Seine Frau sagte zu mir:
„Ich muß dir ein Problem verraten; kannst du mir helfen?” Also
sagte ich: „Was ist das Problem?” Sie sagte: „Mein Mann ist dein
Freund. Er liebt dich und respektiert dich, wenn du ihm also et-
was sagst, kann es helfen.” Also sagte ich: „Was hast du auf dem
Herzen? Sag es mir.” Sie sagte: „Er bleibt sogar im Bett noch der
Richter vom Obersten Gerichtshof. Ich habe an ihm nie einen
Liebhaber, Freund oder Ehemann gehabt. Er ist vierundzwanzig
Stunden lang am Tag Richter vom Obersten Gerichtshof.”
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Kapitel 12
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zum Kopf und vom Kopf zum Herzen wird dir das Gefühl ge-
ben, etwas total anderes zu sein. Manchmal bist du im Herzen
und manchmal im Kopf, aber du bist weder Herz noch Kopf. Die-
ser dritte Punkt der bloßen Bewußtheit wird dich zum dritten
Zentrum führen — zum Nabel. Und der Nabel ist nicht wirklich
ein Zentrum. Dort bist du. Darum gibt es da nichts zu entwickeln,
sondern nur zu entdecken.
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wütend bist, dann sage, daß du wütend bist — und sei es auch.
Es wird viel Leid geben, aber erleide es. Durch dieses Leiden
wird ein neues Bewußtsein geboren. Dir wird bewußt, was für ein
Unsinn dieser Haß und diese Liebe ist. Du haßt den gleichen
Menschen, den du auch liebst, und du drehst dich immer im Krei-
se. Dieser Kreis wird dir kristallklar werden, und kristallklar wird
er nur, wenn du leidest.
Weiche dem Leiden nicht aus. Was du brauchst, ist ein wirkli-
ches Leiden. Es ist wie ein Feuer, es wird dich verbrennen. Und
alles was falsch ist, wird verbrennen, und alles was echt ist, wird
bleiben. Das ist es, was die Existentialisten „Authentizität” nen-
nen. Sei authentisch, und dann kannst du nicht mehr länger im
Geist bleiben. Sei nicht authentisch, und du wirst viele Leben lang
ein Gefangener des Geistes bleiben.
Du bekommst die Dualität allmählich satt. Aber wie kann man
der Dualität überdrüssig werden, wenn man heuchelt, anstatt
tatsächlich in der Dualität zu leben? Erst dann wirst du erkennen,
daß die sogenannte Liebe eine Krankheit ist.
Habt ihr beobachtet, daß ein verliebter Mensch nicht schlafen
kam? Er ist nicht entspannt, er hat Fieber. Wenn man ihn unter-
sucht, wird er die Symptome von vielen Krankheiten aufweisen.
Diese Liebe, die sogenannte Liebe von Geist und Körper, ist in
Wirklichkeit eine Krankheit, aber sie hält dich auf Trab. Das ist
ihre Funktion. Denn sonst hättest du nichts zu tun, es gäbe über-
haupt nichts auf der Welt zu tun. Dein ganzes Leben würde dir
leer erscheinen, und so taugt die Liebe gut dazu, es auszufüllen.
Der Geist selbst ist die Krankheit, und damit ist alles, was zum
Geist gehört, eine Krankheit. Nur jenseits des Geistes, wo du nicht
in Dualität gespalten bist, wo du eins bist, nur dort wird eine an-
dere Liebe aufblühen.
Jesus nennt es Liebe, Buddha nennt es Mitgefühl. Das sind nur
verschiedene Bezeichnungen. Es ist egal, wie man es nennt. Es
gibt eine Liebe, die kein Gegenteil kennt, aber jene Liebe kann
nur dann kommen, wenn du über diese Liebe hinausgehst. Und
um über sie hinauszugehen, empfehle ich euch, authentisch zu
sein, empfehle ich Authentizität, echt zu sein. Seid authentisch im
Haß, in der Liebe, in der Wut, in allem. Seid wirklich und macht
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Auf das innere Zentrum stoßen
(Sutras]
19. Ohne Unterstützung für Hände oder Füße sitze nur auf dem
Gesäß. Plötzlich — das Zentrum.
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Kapitel 13
macht schon aus diesem Gedanken: „Wie bleibe ich innen?”, ein
Hinausgehen. Wir fangen zu denken an; das Wie fängt zu den-
ken an. Über Innen, das Innere nachzudenken, ist für uns auch
nur ein Gedanke, und jeder Gedanke als solcher gehört der
Außenwelt, niemals der Innenwelt an, weil du im innersten Zen-
trum reine Bewußtheit bist.
Gedanken sind wie Wolken. Sie kommen zu dir, aber gehören
nicht zu dir. Jeder Gedanke kommt von außen. Du kannst nicht
einen einzigen Gedanken innen erzeugen. Jeder Gedanke kommt
von außen. Es gibt keine Möglichkeit, einen Gedanken im Inne-
ren zu erzeugen. Gedanken sind wie Wolken, die zu dir kommen.
Wann immer du also denkst, bist du nicht innen — nicht verges-
sen! Denken heißt, außerhalb sein. Selbst also wenn du über das
Innere, die Seele, das Selbst nachdenkst, bist du nicht innen.
All diese Gedanken über das Selbst, über das Innere, über das
Innen stammen von außen: Sie gehören nicht zu dir. Zu dir gehört
nichts als einfaches Bewußtsein, wie der Himmel ohne Wolken.
Was also tun? Wie zu diesem einfachen Bewußtsein im Inneren
gelangen? Es sind Hilfsmittel nötig, weil du nicht direkt etwas tun
kannst. Hilfsmittel sind nötig, durch die du nach innen geworfen
wirst, darauf gestoßen wirst. Dies Zentrum kann immer nur in-
direkt angegangen werden, es gibt keinen direkten Zugang. Ver-
steh dies ganz klar, denn das ist sehr grundlegend.
Du spielst, und hinterher sagst du, wie schön es war, „wie gut
ich mich gefühlt habe, wie selig ich war”! Es bleibt ein un-
merkliches Glücksgefühl zurück. Jemand hört dich: er ist auch
darauf aus, glücklich zu sein -jeder ist es. Er sagt: Dann muß
ich auch spielen, denn wenn man durch Spielen glücklich wird,
dann muß ich es auch werden. Er spielt also auch: aber ihm
geht es direkt ums Glück, um Seligkeit, um Freude. Glück ist
aber nur eine Nebenerscheinung. Wenn du total bei deinem
Spiel bist, völlig versenkt, ist Glück die Folge. Aber wenn du
dabei ständig nach dem Glück schielst, passiert nichts. Das Spie-
len ist der Auslöser.
Du hörst Musik. Jemand sagt: „Musikhören macht mich ganz
selig”, aber wenn du dauernd ans Glück denkst, kannst du die
Musik nicht einmal hören. Diese Sorge, diese Gier nach Glück
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man also tun? Was mußt du tun, um voller Liebe zu blicken? Das
erste: dich vergessen. Vergiß dich völlig. Blick auf eine Blume und
vergiß dich völlig. Laß die Blume da sein. Du wirst völlig abwe-
send. Fühle die Blume, und eine tiefe Liebe wird dieser Blume
aus deinem Bewußtsein entgegenströmen. Und laß dein Be-
wußtsein von einem einzigen Gedanken erfüllt sein — wie du die-
ser Blume dabei helfen kannst, noch mehr zu blühen, noch schö-
ner zu werden, noch seliger zu werden. Was kannst du für sie tun?
Es kommt nicht darauf an, ob du wirklich etwas tun kannst; dar-
um geht es nicht. Worauf es ankommt„ ist dies Gefühl, etwas tun
zu wollen — dieser Schmerz, dieses tiefe Weh, etwas tun zu wol-
len, das diese Blume schöner, lebendiger; blühender macht. Laß
diesen Gedanken in deinem ganzen Wesen widerhallen. Fühle es
mit jeder Faser deines Körpers und deines Geistes. Du wirst dich
in Ekstase wiederfinden, und die Blume ist zum Menschen ge-
worden.
„Schweife nicht zu einem anderen Gegenstand ab " Du
kannst gar nicht. Wenn du in einer Liebesbeziehung bist, kannst
du das gar nicht. Wenn du einen Menschen in dieser Zuhörer-
schaft liebst, dann vergißt du die ganze Menge; nur ein Gesicht
bleibt. Wirklich, du siehst niemanden sonst, du siehst nur ein Ge-
sicht. All die anderen sind auch da, aber unterschwellig, nur ganz
am Rande deines Bewußtseins. Sie sind nicht, sind Schatten. Nur
ein Gesicht bleibt. Wenn du jemanden liebst, bleibt einfach nur
dieses eine Gesicht. Also kannst du gar nicht abschweifen.
Wandere zu keinem anderen Gegenstand ab: bleibe bei einem.
Bleibe bei der Rosenblüte oder bei dem Gesicht der Geliebten.
Bleibe dort, voller Liebe, fließend mit ungeteiltem Herzen, mit
dem Gefühl: „Was kann ich tun, um diese Geliebte glücklicher,
seliger zu machen?”
”
„ ... Hier, mitten im Gegenstand — die Segnung. Und wenn
dies eintritt, dann bist du abwesend, überhaupt nicht mehr mit dir
beschäftigt, ohne jeden Gedanken an dein Vergnügen, an deine
Befriedigung. Du hast dich völlig selbst vergessen und denkst nur
noch an den anderen. „Der andere” ist zum Mittelpunkt deiner
Liebe geworden: Dein Bewußtsein fließt dem andern zu. Du
denkst an es mit einem tiefen Gefühl, mit einer tiefen Liebe. ,Wie
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ersetzen, das bedeutet Liebe: so, als wärest du jetzt nicht mehr,
und nur der andere ist.
Jean-Paul Sartre sagt: „Der andere ist die Hölle.” Und er hat
recht. Er hat recht: denn der andere macht dir nur das Leben zur
Hölle. Aber er hat auch wieder nicht recht, insofern der andere,
gerade weil er die Hölle sein kann, auch der Himmel sein kann.
Wenn du nur der Lust wegen lebst, wird der andere zur Hölle,
denn dann versuchst du den anderen zu töten. Dann willst du aus
ihm ein Ding machen. Und der andere wird natürlich reagieren
und seinerseits versuchen, ein Ding aus dir zu machen — und so
geht die Hölle los.
Und so machen sich alle Eheleute die Hölle heiß, weil jeder den
andern besitzen will. Aber du kannst nur Dinge besitzen — nie-
mals Menschen. Du kannst nur von einem Menschen besessen
sein, aber nie einen Menschen besitzen. Ein Ding kann Besitz
sein, aber ihr versucht Menschen zu besitzen! Dabei werden die
Menschen zu Dingen. Wenn ich ein Ding aus dir mache, wirst du
reagieren. Dann bin ich dein Feind. Und dann wirst du ein Ding
aus mir machen wollen. Was dabei herauskommt, ist die Hölle.
Du sitzt allein in deinem Zimmer, und plötzlich merkst du, wie
jemand durchs Schlüsselloch guckt. Beobachte nun genau, was
passiert. Fühlst du eine Veränderung? Und warum ärgert dich die-
ser Schlüssellochgucker so? Er tut dir nichts — er guckt nur. War-
um bist du wütend? Er hat aus dir ein Ding gemacht! Er beob-
achtet: Er hat dich zum Objekt gemacht, zu einem Gegenstand.
Das ist dir unbehaglich.
Und ihm geht es genauso, wenn du nun ans Schlüsselloch gehst
und ihn beäugst. Er wird erschüttert, schockiert sein. Eben noch
war er ein Subjekt: Er war der Beobachter, und du warst der Be-
obachtete. Jetzt plötzlich ist er ertappt worden; nun wird er be-
obachtet, während er dich beobachtet, und nun ist er zum Ding
geworden.
Plötzlich fühlst du deine Freiheit beschnitten, zerstört; du wirst
beobachtet. Deshalb kannst du nur dann jemanden lange an-
schauen, wenn du ihn liebst. Ohne Liebe ist Anstarren häßlich
und gewaltsam. Wenn du liebst, dann ist etwas sehr Schönes dar-
an, denn dein langer Blick macht aus dem anderen kein Ding.
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Ohne Unterstützung für Hände oder Füße sitze nur auf dem Gesäß.
Plötzlich – das Zentrum.
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genblick mögt ihr fühlen können, wie ihr auf eurem Hintern sitzt,
aber ihr habt es nie zuvor gefühlt. Euer ganzes Leben lang habt
ihr auf eurem Hinterteil gesessen, ohne es je gemerkt zu haben.
Seine Funktion selbst bringt es mit sich, daß es nicht so empfind-
lich ist.
Zunächst also müßt ihr ihn empfindlich machen. Versucht eine
sehr einfache Methode, und diese Methode kann auch auf jeden
anderen Körperteil angewendet werden. Dadurch wird der Kör-
per empfindlich. Sitze entspannt auf einem Stuhl und schließe die
Augen. Fühle die linke oder rechte Hand, egal welche ... fühle
die linke Hand. Vergiß den ganzen Körper und fühle einfach die
linke Hand. Je mehr du sie fühlst, desto schwerer wird sie. Fühle
sie immer weiter, vergiß den ganzen Körper. Fühle sie immer wei-
ter, als wärest du selbst die linke Hand. Die Hand wird dadurch
i mmer schwerer. Während sie immer schwerer wird, wirst du
selbst immer schwerer. Dann versuch herauszufühlen, was in der
Hand passiert. Gleich welche Empfindung, achte darauf. Jede
Empfindung, jeder Ruck, jede noch so leichte Bewegung - spü-
re, daß dies jetzt geschieht. Und das machst du drei Wochen lang
so. Irgendwann am Tag, zehn Minuten, fünfzehn Minuten lang.
Fühle nur die linke Hand, und vergiß den ganzen Körper.
Nach drei Wochen wirst du eine neue linke Hand an dir fühlen
- oder eine rechte, je nachdem. So empfindlich, so feinfühlig! Und
du wirst die feinsten und empfindlichsten Regungen in der Hand
wahrnehmen.
Wenn es dir mit der Hand gelungen ist, dann versuche es mit
dem Gesäß. Mach das gleiche: Schließe die Augen und fühle, daß
nur zwei Hinterbacken existieren. Du bist nicht mehr. Laß deine
ganze Bewußtheit ins Gesäß gehen. Es ist nicht schwer. Wenn du
es versuchst, ist es ein wunderbares Gefühl: das Gefühl der Le-
bendigkeit, das so in deinen Körper kommt, ist an sich schon be-
seligend. Wenn du deinen Hintern fühlen kannst und er sehr
empfindlich geworden ist, wenn du alles darin spüren kannst,
wenn du die leiseste Bewegung, den leisesten Schmerz oder was
immer wahrnehmen und erkennen kannst, dann ist dein Be-
wußtsein mit dem Gesäß verbunden.
Versuche es zunächst mit einer Hand: die Hand ist sehr
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Das Buch der Geheimnisse
Teil des Ochsenkarrens: Gehe nicht dagegen an. Was immer der
Ochsenkarren auf der Straße macht, werde eins mit ihm. Das ist
der Grund, warum Kinder nie auf Reisen müde werden.
Poonam ist gerade aus London angekommen, mit ihren beiden
Kindern. Und sie hatte Angst, daß die Kinder müde oder krank
werden könnten auf einer so langen Reise. Sie kam müde an; die
Kinder lachten. Als sie mein Zimmer betrat, war sie zu Tode er-
schöpft, und die beiden Kinder fingen sofort zu spielen an. Eine
achtzehnstündige Reise von London nach Bombay, und sie wa-
ren kein bißchen müde! Warum? Weil sie noch nicht gelernt ha-
ben, Widerstand zu leisten.
So kann ein Betrunkener die ganze Nacht auf einem Ochsen-
karren sitzen und sich am Morgen so frisch fühlen wie nie; aber
nicht ihr. Es liegt daran, daß ein Betrunkener sich nicht wehren
kann. Er geht mit dem Gefährt mit. Es gibt keinen Kampf. Das
Kämpfen fehlt. Er ist eins mit dem Wagen.
,W.ege dich rhythmisch, wenn du in einem Fahrzeug fährst... ""
Also erstens: Leistet keinen Widerstand. Und als zweites: Stellt ei-
nen Rhythmus her: Macht die Bewegungen rhythmisch, macht
eine wunderschöne Harmonie aus ihnen. Vergeßt die Straße:
Flucht nicht auf die Straße und die Regierung, vergeßt sie. Ver-
flucht nicht den Ochsen und den Ochsenkarren und den Fahrer,
vergeßt ihn. Schließt die Augen: Leistet keinen Widerstand. Geht
rhythmisch mit, und macht aus der Bewegung eine Musik, als
wäre es ein Tanz. „Wiege dich rhythmisch, wenn du in einem
Fahrzeug fährst — und erfahre!” Das Sutra sagt, daß die Erfahrung
dann zu dir kommt.
„Oder in einem stillstehenden Gefährt ...” Frag dich also nun
nicht: „Wie kann ich an einen Ochsenkarren herankommen?”
Führe dich nicht an der Nase herum, denn das Sutra sagt:
„ ... oder in einem stillstehenden Gefährt , indem du dich kreisen
läßt, in langsamer werdenden, unsichtbaren Kreisen.” Indem du
einfach dasitzt, laß dich im Kreise schwingen. Schwinge im Krei-
se! Mache erst einen großen Kreis, und verlangsame ihn dann, laß
ihn langsamer und langsamer werden, kleiner und kleiner und
kleiner, bis dein Körper sich nicht mehr sichtbar bewegt, sondern
du nur noch innen eine feine unmerkliche Bewegung fühlst.
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Kapitel 13
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Das Buch der Geheimnisse
Körper anderer abgrenzen. Das ist für sie schwer. Sie liegen noch
nicht fest, aber es kommt nach und nach.
Meditation ist der Versuch, diesen Abstand wiederherzustellen.
Inzwischen seid ihr fixiert, fest im Körper verankert. Darum habt
ihr das Gefühl: „Ich bin der Körper.” Wenn ein Abstand herge-
stellt werden kann, könnt ihr erfahren, daß ihr nicht der Körper
seid, sondern etwas jenseits vom Körper. Wiegen und Wirbeln
helfen dabei: Sie stellen den Abstand her.
Dies Sutra sagt: „Steche mit einer Nadel in irgendeinen Teil dei-
ner nektargefüllten Form ...” Dein Körper ist nicht nur ein Kör-
per: Er ist angefüllt mit dir, und dieses du ist der Nektar. Steche in
deinen Körper. Wenn du in deinen Körper stichst, wirst nicht du
gestochen, sondern nur der Körper. Aber ihr glaubt, selbst gesto-
chen worden zu sein: Das ist der Grund, warum ihr Schmerz
fühlt. Wenn du dir bewußt machen kannst, daß nur der Körper
gestochen wird, nicht aber du, wirst du Seligkeit fühlen statt
Schmerzen. Man braucht es nicht mit einer Nadel zu tun; jeden
Tag passieren genug Dinge, und man kann diese Situationen zur
Meditation nutzen. Man kann die Situation aber auch herstellen.
Irgendwo im Körper ist ein Schmerz da. Jetzt tu eines: Vergiß
den ganzen Körper. Konzentriere dich nur auf den Teil, der
schmerzt. Und dann das Merkwürdige: Der Körperteil, der
schmerzt, fängt an zu schrumpfen. Erst war es das ganze Bein,
dann nur noch das Knie ... und schließlich ist es nur noch nadel-
spitzengroß. Wenn es nur noch eine Nadelspitze ist, starre weiter
auf sie, und plötzlich wird auch sie verschwinden, und du wirst
ein Glücksgefühl empfinden. Statt mit Schmerz bist du nun mit
Glück erfüllt.
Wie passiert das? Du und dein Körper, ihr seid zwei, ihr seid
nicht eins. Der, der sich konzentriert, das bist du. Die Konzentra-
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Kapitel 13
tion gilt dem Körper: Das ist dein Objekt. Je mehr du dich kon-
zentrierst, desto weiter wird der Abstand, und die Identifikation
wird gebrochen. Um dich zu konzentrieren, gehst du nach innen,
entfernst dich vom Körper. Um den Punkt des Schmerzes in die
Perspektive zu bekommen, mußt du Abstand nehmen. Dieses
Abstandnehmen schafft die Kluft. Und indem du dich auf den
Schmerz konzentrierst, vergißt du die Identifikation, vergißt du,
daß du den Schmerz fühlst.
Jetzt bist du der Beobachter, und der Schmerz ist woanders. Du
beobachtest den Schmerz und fühlst ihn nicht. Dieser Wechsel
vom Fühlen zum Beobachten schafft die Kluft. Und je größer der
Abstand, desto mehr vergißt du den Körper; du bist dir nur noch
des Bewußtseins bewußt.
Aber du kannst auch diese spezifische Technik versuchen: „Ste-
che mit einer Nadel in irgendeinen Teil deiner nektargefüllten
Form, und geh dann vorsichtig in dieses Stechen hinein ...” Wenn
du sowieso Schmerzen hast, dann mußt du dich zunächst auf ihre
ganze Ausdehnung konzentrieren; erst nach und nach schrumpft
der Schmerz dann zu einer Nadelspitze. Mit der Nadel braucht
man also nicht erst zu warten: Du kannst selbst eine Nadel be-
nutzen. Setze die Nadel an irgendeiner Stelle an, die empfindlich
ist; der Körper hat viele taube Stellen, die bringen nichts.
Vielleicht habt ihr von diesen tauben Stellen am Körper noch
nichts gehört? Dann macht folgendes: Gebt die Nadel einem an-
dern, einem Freund, und bittet ihn, damit verschiedene Punkte
auf deinem Rücken anzustechen. An vielen Punkten wirst du kei-
nen Schmerz fühlen. Du wirst sagen: „Nein, da hast du noch nicht
reingestochen. Ich spüre nichts.” Das sind die tauben Stellen. Mit-
ten auf beiden Backen habt ihr je eine taube Stelle, die ihr aus-
probieren könnt. In indischen Dörfern gibt es Leute, die bei reli-
giösen Festen beide Backen mit einem Pfeil durchbohren. Es sieht
wie ein Wunder aus, ist aber keins. Auf jeder Backe ist ein tauber
Fleck. Durchbohrt man diesen, kommt kein Blut und auch kein
Schmerz. Auf dem Rücken habt ihr Tausende von toten Punkten.
Euer Körper hat also zwei Sorten von Punkten: empfindliche,
lebendige - und tote.
Suche dir also einen empfindlichen Punkt, den du schon mit
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Kapitel 13
Wahrheit, der Güte, der Unschuld. Das Zentrum hat sich verla-
gert und ist jetzt nicht mehr im Körper. Es ist im Bewußtsein.
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Und dann ...
[Fragen]
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Das Buch der Geheimnisse
Zentrieren ist der Weg, nicht das Ziel. Zentrierung ist die Me-
thode, nicht das Ergebnis. Samadhi wird nicht Zentrieren genannt.
Zentrieren ist der Weg zum Samadhi. Natürlich erscheint es pa-
radox, denn wenn die Erleuchtung kommt, die Erkenntnis, ist
kein Zentrum mehr da.
Jakob Böhme hat gesagt, daß sich die Erfahrung des Göttlichen
auf zweierlei Weise beschreiben läßt. Entweder ist die Mitte jetzt
irgendwo oder überall. Beides kommt auf das gleiche hinaus. So
erscheint das Wort „Zentrieren” widersprüchlich, aber der Weg
ist nicht das Ziel, und die Methode ist nicht das Ergebnis. Und
Methoden können widersprüchlich sein. Das müssen wir also ver-
stehen, denn diese 112 Methoden sind Zentrierungsmethoden.
Bist du aber erst einmal zentriert, wirst du explodieren. Das
Zentrieren dient nur dazu, dich total an einem Punkt zu sammeln.
Hast du dich erst einmal an einem Punkt gesammelt, bist du an
einem Punkt kristallisiert, dann explodiert dieser Punkt automa-
tisch. Danach gibt es kein Zentrum mehr — oder: Nun ist das Zen-
trum überall. Zentrieren ist also eine Methode, die zur Explosion
führt.
Warum ist Zentrieren die Methode? Bist du nicht zentriert,
fehlt deiner Energie der Brennpunkt. Sie kann nicht explodieren.
Sie ist zerstreut; sie kann nicht explodieren. Zu einer Explosion
gehört enorme Energie. Explosion heißt, daß du jetzt nicht mehr
zerstreut bist: Du bist auf einem Punkt. Du wirst zum Atom. Du
wirst tatsächlich zu einem spirituellen Atom. Und nur wenn du
genügend zentriert bist, kannst du explodieren. Dann gibt es eine
Atomexplosion.
Von dieser Explosion wird nicht gesprochen, denn da gibt es
r
nichts zu sagen, also wird nur die Methode angegeben. Über das i
Ergebnis wird nichts gesagt. Wenn du die Methode machst, folgt
das Ergebnis, aber sagen läßt sich darüber nichts.
Ihr dürft nicht vergessen: Im Grunde spricht Religion niemals
über die Erfahrung selbst. Es ist immer nur von der Methode die
Rede. Das Wie wird aufgezeigt, nicht das Was. Das Was bleibt dir
überlassen. Wenn du das Wie machst, kommt das Was zu dir.
Und es gibt keine Möglichkeit, es zu vermitteln. Man kann es er-
fahren, aber nicht mitteilen. Es ist eine so unendliche Erfahrung, j
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daß Sprache zwecklos ist. Sie ist so riesig, daß kein Wort sie zum
Ausdruck bringen kann. So also wird nur die Methode angege-
ben.
Buddha soll vierzig Jahre lang immer wieder gesagt haben:
„Fragt nicht nach der Wahrheit, nach dem Göttlichen, nach Nir-
vana, nach Befreiung. Fragt nichts über solche Dinge. Fragt mich
nur, wie ihr dahinkommen könnt. Ich kann euch den Weg zei-
gen, aber ich kann euch nicht die Erfahrung schenken, nicht ein-
mal in Worten.” Die Erfahrung ist persönlich, die Methode un-
persönlich. Die Methode ist wissenschaftlich, unpersönlich, die
Erfahrung ist immer persönlich und poetisch.
Das meine ich mit dieser Unterscheidung: Methode ist wissen-
schaftlich. Wenn du sie nutzen kannst, dann ist Zentrierung das
Ergebnis. Wenn die Methode befolgt wird, muß es so kommen.
Wenn sich das Zentrieren nicht einstellt, dann zeigt dir das, daß
du irgendwo etwas mißverstanden hast. Du hast die Methode
nicht befolgt. Sie ist wissenschaftlich, die Zentrierung ist wissen-
schaftlich, aber die Explosion ist poetisch.
Mit „poetisch” meine ich, daß es jeder von euch anders erfahren
wird. Da gibt es keinen gemeinsamen Boden mehr. Und jeder
wird es auf andere Art ausdrücken. Buddha sagt es so, Mahavir so,
Krishna wieder anders, und Jesus, Mohammed, Moses und Lao
Tse, sie alle unterscheiden sich — nicht in den Methoden, sondern
in der Art, wie sie ihre Erfahrung zum Ausdruck bringen. Nur in
dem einen sind sie sich alle einig, daß alles, was sie sagen, nicht
das zum Ausdruck bringt, was sie erfahren haben. Nur in diesem
einen Punkt stimmen sie alle überein.
Trotzdem versuchen sie es. Trotzdem versuchen sie, irgendwie
Andeutungen zu machen. Es scheint unmöglich, aber einem Her-
zen voller Sympathie könnte vielleicht doch ein bißchen vermit-
telt werden. Aber dazu brauchst du tiefe Sympathie, Liebe und
Ehrfurcht. Wenn also wirklich einmal etwas zu dir hinüber-
kommt, dann liegt das nicht am Übermittler, sondern an dir.
Wenn du es in tiefer Liebe und Ehrfurcht entgegennehmen
kannst, dann kann dich etwas erreichen. Aber wenn du kritisch
dabei bleibst, kommt nichts an. Es ist schon schwierig genug, es
auszudrücken, aber selbst wenn es ausgedrückt wird, seid ihr
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du hast nur davon gehört. Du wünschst, daß dir das auch eines Ta-
ges passiert, aber dir fehlt die Erkenntnis. Ehe du dich zentrierst,
kannst du lange denken, aber dieses Denken wird nichts nützen.
Nachdem du dich zentriert hast, ist kein Denkender mehr da.
Dann weißt du! Es ist passiert! Du bist nicht mehr — nur noch der
Ozean ist. Zentrierung ist die Methode, Samadhi das Ziel.
Es wird nichts darüber gesagt, was im Samadhi passiert, weil
darüber nichts gesagt werden kann. Und Shiva ist sehr wissen-
schaftlich. Er hat kein Interesse daran, etwas darüber zu sagen. Er
faßt sich kurz. Er will kein einziges Wort zu viel sagen. Also deu-
tet er nur an: „die Erfahrung”, „der Segen”, „das Ereignis”. Nicht
einmal soviel: Manchmal sagt er nur:„ ... und dann!" Er sagt zum
Beispiel: „Zentriere dich zwischen zwei Atemzügen — und dann.”
Und dann hört er auf. Oder manchmal sagt er auch: „Sei in der
Mitte, einfach in der Mitte, zwischen zwei Extremen, und das!”
Das sind Fingerzeige: „Das, dann, die Erfahrung, der Segen, das
Ereignis, die Explosion.” Aber dann hält er den Mund. Warum?
Wir würden zu gern mehr darüber hören!
Zwei Gründe. Erstens: „Das” kann nicht erklärt werden. War-
um nicht? Schließlich gibt es Denker zum Beispiel die modernen
Positivisten, die Sprachanalytiker und andere in Europa, die sagen,
daß alles Erfahrbare auch erklärt werden kann. Und das hat etwas
für sich. Sie sagen: „Warum kann man über das, was man erfährt,
nicht auch etwas sagen? Was ist denn eine Erfahrung anderes als
etwas, das du verstanden hast — warum also kann man es nicht
auch anderen verständlich machen?” Also behaupten sie, daß jede
Erfahrung auch ausgedrückt werden kann. Wenn nicht, so zeigt
das nur, daß gar keine Erfahrung da ist. Dann bist du nur ein Spin-
ner, verworren, verschwommen. Und wenn du dich nicht einmal
ausdrücken kannst, dann hast du keine Chance, etwas zu erfah-
ren.
Von diesem Standpunkt aus nennen sie alle Religionen Hokus-
pokus: „Wieso könnt ihr nicht ausdrücken, was ihr eure ,Erfah-
rung` nennt?” Diese Logik leuchtet vielen ein. Aber ihr Argument
ist unbegründet. Ganz abgesehen von „religiösen” Erfahrungen
gibt es ganz alltägliche Erfahrungen, die ebenfalls nicht erklärt und
ausgedrückt werden können.
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eine. Das ist der Grund, warum Shiva nichts über diese Erfahrung
sagt. Er geht nur bis zu dem Punkt, wo ein Fingerzeig als Weg-
weiser helfen kann: „Dann, das, die Erfahrung” ... und wird dann
still.
Zweitens: Könnte man es vielleicht bis zu einem gewissen Grad
ausdrücken, also nicht vollständig, sondern nur teilweise? ... das
ist möglich! Auch wenn es sich nicht voll ausdrücken läßt, könn-
te man doch trotzdem gewisse Parallelen ziehen, die helfen könn-
ten. Aber selbst davon macht Shiva keinen Gebrauch, und zwar
aus folgendem Grund: Weil nämlich unsere Gedanken so gierig
sind, daß sie sich an alles klammern, was über diese Erfahrung
überhaupt gesagt wird. Und dann vergißt man die ganze Metho-
de und denkt nur an die Erfahrung, weil die Methode Anstren-
gung erfordert, eine lange Anstrengung, die manchmal ermüdend
ist, manchmal gefährlich. Eine lange, dauerhafte Anstrengung ist
nötig.
Dann vergessen wir ganz die Methode. Wir denken an das Er-
gebnis und wünschen uns das Ergebnis herbei, fantasieren darü-
ber. Und man kann sich sehr leicht betrügen. Man kann sich vor-
stellen, daß das Ergebnis erreicht sei.
Vor wenigen Tagen kam ein Mann zu mir, ein traditioneller
Sannyasin, ein alter, ein sehr alter Mann. Vor dreißig Jahren hatte
er Sannyas genommen; jetzt ist er fast siebzig. Er kam zu mir und
sagte: „Ich bin gekommen, um ein paar Fragen zu stellen.”
Also fragte ich ihn: „Was willst du wissen?” Plötzlich änderte er
den Ton und sagte: „Nein, eigentlich nicht, um etwas zu wissen,
sondern nur um dich kennenzulernen. Denn ich weiß schon alles,
was man überhaupt wissen kann.”
Dreißigjahre lang hatte er sich etwas vorgemacht, hat sich die
Seligkeit gewünscht, göttliche Erfahrungen, und nun in seinen al-
ten Tagen ist er schwach geworden, und der Tod steht vor der Tür.
Jetzt halluzinierte er, daß er angekommen sei.
Also sagte ich ihm: „Wenn du das Höchste erfahren hast, dann
schweige. Bleib eine kleine Weile hier bei mir, denn Worte sind ja
nicht nötig.”
Da wurde er unruhig und sagte: „Okay, nehmen wir also an, ich
hätte es noch nie erfahren. Sag mir also etwas.” Da sagte ich ihm,
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bin noch nicht angekommen, aber ich habe das Gefühl, daß Sahaj
,das Spontane`, besser ist."
„Aber warum hast du das Gefühl, daß das Spontane besser ist?”
fragte ich. „Wenn man dir erzählt, daß keine Methode nötig sei,
fühlt sich der Kopf erleichtert, weil du nun nichts mehr tun mußt
und alles bekommst, ohne etwas zu tun.”
Genau deshalb ist Zen im Westen so zur Mode geworden; denn
Zen sagt: Strengt euch nicht an. Zen hat recht: es ist keine An-
strengung nötig. Aber ihr dürft nicht vergessen, daß eine lang-
wierige Anstrengung nötig ist, diesen Punkt der Mühelosigkeit zu
erreichen. Aber der oberflächliche Schluß, im Zen sei keine Mühe
nötig, ist für den Westen sehr attraktiv geworden. Wenn keine
Mühe nötig ist, sagt der Kopf „Das ist genau das Richtige für
mich, denn nun kann ich die Hände in den Schoß legen.” Aber
das kann keiner.
Suzuki, der den Zen im Westen bekannt gemacht hat, hat so
viel Gutes getan, wie er Schaden angerichtet hat. Und auf Dauer
wird sich der Schaden langer auswirken. Er war ein sehr authen-
tischer Mann, einer der authentischsten Menschen des Jahrhun-
derts überhaupt, und sein Lebenswerk war, dem Westen die Bot-
schaft des Zen zu bringen. Und allein seine Arbeit hat den Zen
i m Westen bekannt gemacht. Inzwischen ist Zen große Mode.
Überall im Westen gibt es Freunde des Zen. Nichts zieht so an
wie Zen.
Aber am Wesentlichen gehen sie vorbei! Das Attraktive ist, daß
Zen sagt, es sei keine Methode nötig, es sei keine Mühe nötig,
man braucht nichts zu tun: „Es” blühe spontan auf.
Das stimmt — aber ihr seid nicht spontan, und so blüht „Es”
auch nie in euch auf. „Spontan werden” — das scheint absurd und
widersprüchlich: aber ihr habt viele reinigende Methoden nötig,
ehe ihr spontan sein könnt; Methoden, die euch unschuldig ma-
chen, so daß ihr überhaupt spontan sein könnt. So wie ihr seid,
könnt ihr in nichts spontan sein.
Dies Vigyan Bhairav Tantra wurde von Paul Rebs ins Englische
übersetzt. Er hat auch ein schönes Buch geschrieben: „Zenfleisch,
Zenknochen”, in dessen Anhang er dieses Buch, Vigyan Bhairav
Tantra, mit aufgenommen hat. Sein Buch beschäftigt sich mit Zen,
359
Das Buch der Geheimnisse
36 0
Kapitel 14
euer bloßes Sein genug ist. Aber der Kopf kann euch belügen, und
zwar ganz leicht, denn damit kann er euch vertrösten. Shiva
spricht nie von irgendwelchen Ergebnissen, sondern immer nur
von Methoden. Dort liegt der Schwerpunkt, vergeßt das nicht. Tu
etwas, damit ein Augenblick möglich wird, wo nichts mehr zu tun
ist, wo sich dein inneres Wesen einfach in den Kosmos auflösen
kann. Aber das muß man sich verdienen. Zen ist heute aus den
falschen Gründen Mode, und das gleiche gilt für Krishnamurti,
der sagt, daß kein Yoga, keine Methode nötig ist. Ja, er sagt sogar,
daß es überhaupt keine Meditationsmethode gibt. Und er hat
recht.
Er hat recht, aber Shiva, der sagt, daß es diese 112 Meditations-
methoden gibt, hat ebenfalls recht. Aber was euch betrifft, hat Shi-
va mehr recht, und wenn ihr zwischen Krishnamurti und Shiva
zu wählen habt, dann wählt Shiva. Krishnamurti ist euch keine
Hilfe. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, daß Krishnamur-
ti absolut unrecht hat — nur um euch zu helfen. Vergeßt nicht, daß
ich sage: Um euch zu helfen. Denn er kann Schaden anrichten.
Und auch das sage ich nur, um euch zu helfen, denn wenn ihr in
sein System geratet, kommt ihr nicht etwa zum Samadhi, sondern
einzig zu dem Schluß, daß keine Methode nötig ist. Und das ist
gefährlich. Für euch sind Methoden nötig!
Es kommt ein Augenblick, wo keine Methode mehr nötig ist.
Aber dieser Augenblick ist für euch noch nicht gekommen. Und
ehe es soweit ist, wäre es gefährlich, an etwas zu denken, was noch
vor euch liegt. Darum schweigt sich Shiva aus. Er sagt nichts über
die Zukunft, nichts über das, was geschehen wird. Er bleibt bei
euch, bei dem, was ihr seid und was mit euch geschehen muß.
Krishnamurti redet eine Sprache, die ihr noch nicht verstehen
könnt.
Seine Logik ist nachvollziehbar. Seine Logik ist richtig, sie ist
schön. Und es lohnt, sich die Logik von Krishnamurti zu merken.
Er sagt: Wenn man einer Methode folgt, wer ist es darin, der sie
ausführt? Der Verstand. Und wie kann eine Methode, die vom
Verstand geübt wird, den Verstand auslöschen? Sie wird ihn im
Gegenteil nur noch mehr stärken. Dein Verstand wird so nur
noch stärker. Es wird zur Konditionierung, und das ist ein
36 1
Das Buch der Geheimnisse
Holzweg. Meditation ist spontan; man kann für sie nichts tun.
Und was kann man für die Liebe tun? Gibt es eine Methode, wie
man lieben soll? Wer so einer Methode folgt, dessen Liebe wird
falsch sein. Liebe geschieht: sie kann nicht praktiziert werden.
Wenn nicht einmal Liebe praktiziert werden kann, wie kann dann
das Beten praktiziert werden? Wie kann dann Meditation prakti-
ziert werden? Diese Logik stimmt genau, sie ist absolut richtig —
aber nicht für euch, denn wenn ihr euch diese Logik ständig an-
hört, dann werdet ihr von dieser Logik konditioniert werden. Und
diejenigen, die Krishnamurti seit vierzig Jahren zugehört haben,
sind die konditioniertesten Menschen, die mir je begegnet sind.
Sie sagen, es gibt keine Methode, und trotzdem hat sie das nir-
gendwo hingeführt.
Ich frage sie:„ Ihr habt verstanden, daß es keine Methode gibt,
also praktiziert ihr auch keine, aber ist die Spontaneität in euch
aufgeblüht?" Sie sagen nein. Und wenn ich dann sage: „Versucht es
mit einer Methode”, dann schaltet sich augenblicklich ihre Kon-
ditionierung ein. Sie sagen: „Es gibt keine Methode.” Sie haben
keine Methode praktiziert, und kein Samadhi ist in Sicht. Und
wenn man ihnen sagt, versucht es mit einer Methode, sagen sie,
daß es keine gibt. So stecken sie in der Klemme. Sie sind keinen
Zentimeter weiter, und der Grund ist, daß ihnen etwas gesagt
wurde, was nichts für sie ist.
Es ist, als ob man einem Kind etwas über den Sex erzählt. Das
ist vorläufig für das Kind sinnlos, sogar gefährlich, weil man sein
Denken konditioniert. Und es entspricht nicht seinem Bedürfnis,
es hat kein Interesse daran. Es weiß noch nicht, was Sex bedeutet,
denn seine Drüsen funktionieren noch nicht. Sein Körper ist noch
nicht sexuell. Seine Energie ist biologisch noch nicht zum Sex-
zentrum gegangen, und ihr erzählt ihm etwas davon. Glaubt ihr,
daß ihr ihm etwas darüber beibringen könnt, nur weil es Ohren
hat? Glaubt ihr, ihr könnt ihm davon erzählen, nur weil es mit
dem Kopf nicken kann?
Ihr könnt es tun, aber eure Sexerziehung kann gefährlich und
schädlich sein, Sex ist für das Kind keine existentielle Frage. Das ist
noch nicht sein Problem, es hat noch nicht den Reifegrad erreicht,
wo Sex wichtig wird. Wartet ab! Wenn es anfängt, Fragen zu stel-
362
Kapitel 14
len, wenn es reifer wird und Fragen stellt, dann klärt es auf. Und
sagt ihm nie mehr, als es verstehen kann, denn dieses Mehr wird
nur seinen Kopf belasten.
Und das gleiche gilt für das Phänomen der Meditation. Man
kann euch nur Methoden beibringen, aber nichts über Ergebnis-
se sagen. Das hieße, den Dingen vorauseilen. Und solange man
noch nicht festen Fuß in der Methode gefaßt hat, bleibt es reine
Hirnsache, wenn man Dinge vorwegnimmt. Und so kann keine
Methode helfen.
Es ist, wie wenn ein kleines Kind Rechenaufgaben macht. Es
kann immer hinten im Buch die Lösung finden, dort stehen die
Lösungen. Und wenn das Kind die Antwort schon kennt, ist es
sehr schwer, ihm die Methode beizubringen; sie scheint ihm dann
überflüssig. Wenn es schon die Antwort kennt, braucht es die Me-
thode nicht. So wird das Pferd von hinten aufgezäumt, und jede
Pseudomethode kann zum gleichen Ergebnis führen. Da es ja die
richtige Lösung schon kennt, kann es so tun, als ob es zur Lösung
kommt, die Methode mag noch so falsch sein. Und auf dem Ge-
biet der Religion geschieht das so oft, daß jedermann es so zu hal-
ten scheint wie die Kinder.
Die Antwort zu wissen, ist nicht gut für euch. Die Frage ist da,
die Methode ist da, aber die Antwort müßt ihr selber finden. Nie-
mand darf sie euch geben. Die wahren Lehrer verhelfen euch
nicht eher zur Antwort, als bis der methodische Vorgang abge-
schlossen ist. Sie helfen euch nur dabei, den Prozeß abzuschließen.
Und solltet ihr sogar schon irgendwie die Antwort wissen, solltet
ihr sie euch schon von irgendwoher ermogelt haben, dann wer-
den sie sie falsch nennen, selbst wenn sie es nicht ist. Sie werden
sagen: „Das stimmt nicht. Wirf es weg, das brauchst du nicht.” Sie
werden euch daran hindern, die Antwort zu kennen, bevor ihr sie
wirklich erkannt habt. Darum wird keine Antwort gegeben.
Shivas Geliebte Devi hat ihm Fragen gestellt. Er gibt einfache
Methoden zur Antwort. Die Frage ist da, und die Methode ist da,
aber die Antwort bleibt offen. Man muß sie selbst ausarbeiten,
selbst ausleben. Vergeßt also nicht: Das Zentrieren ist die Metho-
de, nicht das Ergebnis. Das Ergebnis ist eine kosmische, ozeanische
Erfahrung, und darin gibt es kein Zentrum mehr.
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Das Buch der Geheimnisse
36 4
Kapite114
Wilhelm Reich begonnen hat. Reich hat gesagt, daß jede Gemüts-
störung aus Mangel an Liebe entsteht. Weil der Mensch keine tie-
fe Liebe fühlen kann, weil er nicht total in ihr aufgehen kann,
sehnt sich sein unerfülltes Wesen nach Erfüllung, und zwar auf
vielen Ebenen.
Wenn ich sage, daß nichts mehr nötig ist, wenn du lieben
kannst, meine ich damit nicht, daß die Liebe allein genügt. Ich
meine damit, daß die Liebe, genau wie jede beliebige Meditation,
zur Tür wird.
Was soll denn bei der Meditation herauskommen? Diese drei
Dinge: Sie wird dir Zufriedenheit geben, sie wird dir helfen in der
Gegenwart zu bleiben, und sie wird dein Ego zerstören. Diese drei
Dinge wird die Meditation tun, gleich mit welcher Methode. Man
kann es auch so sagen: Liebe ist die natürliche Methode. Wenn
die natürliche Methode verfehlt worden ist, dann sind andere,
künstliche Methoden nötig.
Aber du kannst dir auch nur vormachen zu lieben; dann kön-
nen dir diese drei Dinge als Kriterien dienen, als Prüfstein, als
Maßstab, und du kannst nachprüfen, ob diese drei Dinge passie-
ren. Wenn sie nicht passieren, dann kann die Liebe alles mögliche
sein, nur nicht Liebe. Und „Liebe” ist ein weites Phänomen: sie
kann vieles sein. Sie kann Lust sein, sie kann einfach Sex sein, sie
kann nur eine besitzergreifende Tendenz sein, sie kann einfach
nur Beschäftigung sein, weil man es allein nicht aushält und man
jemanden braucht, weil man Angst hat, und sich nicht sicher fühlt.
Die Gegenwart des anderen hilft einem, sich sicher zu fühlen.
Energie braucht Ventile. Die Energie speichert sich ständig, bis
sie zur Last wird. Dann muß man sie abstoßen und freisetzen.
Deine Liebe mag also nur eine Entladung sein. Liebe kann viele
Dinge sein, und Liebe ist vieles. Und gewöhnlich ist Liebe alles
mögliche außer Liebe.
Für mich ist Liebe Meditation. Versuche also folgendes: Sei mit
deinem Geliebten in Meditation. Wann immer dein Geliebter
oder deine Geliebte bei dir ist, gehe in Meditation. Macht aus dem
Zusammensein einen meditativen Zustand.
Gewöhnlich tun wir genau das Gegenteil. Wo Liebende zu-
sammenkommen, streiten sie. Sobald sie sich trennen, fangen sie
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 14
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Das Buch der Geheimnisse
so geht euch eine der größten Chancen verloren. Ihr hättet sie
nutzen können, um tief in euch hineinzugehen. Tantra sagt, sei
i m Sexakt meditativ. Empfinde das ganze Phänomen als heilig,
empfinde keine Schuld. Fühle dich vielmehr gesegnet, daß dir die
Natur eine Quelle geschenkt hat, durch die du unmittelbar in eine
tiefe Ekstase gelangen kannst.
Und dann sei darin total frei. Verdränge nichts, wehre nichts ab!
Laß die sexuelle Kommunion sich deiner bemächtigen. Vergiß
dich, wirf alle Hemmungen ab. Sei absolut natürlich, und dann
wirst du eine tiefe Musik im Körper wahrnehmen. Wenn beide
Körper zu einer Harmonie werden, dann wirst du völlig verges-
sen, was du bist — und dennoch wirst du sein. Nur mußt du das
Ich vergessen, es wird kein Ich mehr da sein, nur noch Existenz,
die mit Existenz spielt, ein Wesen mit dem andern. Und beide
werden eins. Es wird kein Denken da sein, die Zukunft wird auf-
hören, und in diesem Augenblick bist du in der Gegenwart, ohne
jede Schuld, ohne jede Hemmung. Mach eine Meditation daraus,
und der Sex wird transformiert. Nun wird der Sex selbst zur Tür.
Und wenn Sex zu einer Tür wird, dann hört der Sex nach und
nach auf, Sex zu sein. Und es kommt ein Augenblick, wo der Sex
verschwunden ist: Nur der Duft ist geblieben. Dieser Duft ist Lie-
be. Und später noch verschwindet selbst dieser Duft, und was
dann bleibt, ist Samadhi.
Tantra sagt: Betrachte nichts als feindlich: jede Energie ist
freundlich. Man muß nur wissen, wie man sie nutzen kann. Triff
also keine Wahl. Transformiere deine Liebe zu Meditation und
deine Meditation zu Liebe. Dann wirst du bald das Wort verges-
sen und die wahre Sache kennenlernen, die nicht das Wort ist.
Das Wort Liebe ist nicht Liebe, und das Wort Meditation ist nicht
Meditation, und das Wort Gott ist nicht Gott. Das sind alles nur
Worte. Und wenn du so weit vordringen kannst, dann werden
Gott, Meditation, Liebe — dann werden sie alle eins.
36 8
Kapitel 14
Das Kind kommt zur Welt. Das Kind ist hilflos. Vor allem das
Kind des Menschen ist völlig hilflos. Es ist auf andere angewiesen,
um am Leben zu bleiben. Diese Abhängigkeit ist ein Kuhhandel.
Das Kind muß bei diesem Kuhhandel draufzahlen, und der Preis
ist Sensibilität.
Das Kind ist empfindsam; sein ganzer Körper ist empfindsam.
Aber es ist hilflos: Es kann nicht unabhängig sein. Es ist auf seine
Eltern, auf die Familie, auf die Gesellschaft angewiesen. Es muß
in der Abhängigkeit leben, und aufgrund dieser Abhängigkeit und
Hilflosigkeit zwingen Eltern und Gesellschaft das Kind ständig zu
Dingen, denen es sich fügen muß. Anders kann es nicht überleben
und muß sterben. Es muß also viel bei diesem Kuhhandel drauf-
zahlen.
Die erste sehr tiefe und bedeutsame Sache ist seine Empfind-
samkeit. Es muß sie aufgeben. Warum? Je empfindsamer ein Kind
ist, desto mehr ist es in Schwierigkeiten, desto mehr ist es verletz-
bar. Die leiseste Empfindung, und das Kind fängt zu weinen an.
Das stört so sehr, daß die Eltern sein Weinen unterbinden müs-
sen. Je sensibler das Kind, desto mehr Ärger erregt es. Und Kin-
der erregen in der Tat Ärger, also müssen Eltern seine Empfind-
samkeit beschneiden. Das Kind muß lernen, Widerstand zu lei-
sten, es muß Kontrolle lernen. Und nach und nach muß das Kind
sich spalten. Also unterdrückt es viele Empfindungen, weil sie
nicht „gut” sind. Es wird dafür bestraft.
Der ganze Körper des Kindes ist erotisch. Es kann seine. Finger
genießen, es kann seinen Körper genießen, er ist für das Kind ein
großartiges Phänomen. Aber bei seiner Entdeckungsreise kommt
der Augenblick, wo das Kind seine Genitalien entdeckt. Nun ist
das Problem da, denn der Vater und die Mutter sind beide unter-
drückt. Sobald das Kind, ob Junge oder Mädchen, seine Genitalien
berührt, wird es den Eltern unbehaglich.
Hier muß man tief hineinschauen. Ihr Benehmen ändert sich
plötzlich, und das Kind nimmt das wahr. Etwas Falsches ist pas-
siert. Sie rufen plötzlich: „Nicht anfassen.” Nun beginnt das Kind
zu fühlen, daß etwas mit den Genitalien nicht stimmt. Es muß
sich unterdrücken. Und die Genitalien sind der empfindlichste
Teil des Körpers, der empfindsamste, der lebendigste Teil, der
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Das Buch der Geheimnisse
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T
Kapitel 14
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Das Buch der Geheimnisse
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Werde nicht wütend auf das Boot
Sutras]
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 15
Vergangenheit sein wird. Nur der Zeuge in dir ist niemals ver-
gangen, niemals zukünftig. Dein zuschauendes Bewußtsein ist
ewig; es gehört nicht der Zeit an. Darum wird alles, was in der
Zeit geschieht, zum Traum.
Und denkt auch daran, daß ihr euch auch mit dem identifiziert,
was ihr nachts träumt, und daß ihr euch beim Träumen nie be-
wußt seid, daß es ein Traum ist. Erst morgens, wenn ihr aus dem
Traum erwacht seid, könnt ihr euch erinnern, daß es ein Traum
war und nicht Wirklichkeit. Warum? Weil ihr dann Abstand habt,
nicht in ihm seid. Jetzt ist ein Abstand da, ein Zwischenraum, und
so könnt ihr sehen, daß es sich um einen Raum handelt.
Was ist deine ganze Vergangenheit? Abstand ist da, Spielraum
ist da: Jetzt kannst du versuchen, sie als einen Traum zu sehen.
Jetzt ist sie ein Traum, nicht mehr als ein Traum; und genauso wie
ein Traum zur Erinnerung wird, wird auch die Vergangenheit zur
Erinnerung. Du kannst tatsächlich nicht beweisen, daß das, was
du für deine Kindheit hältst, wirklich war, kein Traum. Schwer zu
beweisen! Vielleicht war es nur Traum, vielleicht war es Wirk-
lichkeit. Das Gedächtnis kann nicht zwischen Wirklichkeit und
Traum unterscheiden. Die Psychologen sagen, daß alte Menschen
manchmal durcheinanderwerfen, was sie geträumt haben und was
sie wirklich erlebt haben.
Kinder verwechseln das ständig. Beim Aufwachen können klei-
ne Kinder nicht unterscheiden, daß alles, was sie im Traum gese-
hen haben, nicht wirklich war, und so mögen sie einem Spielzeug
nachweinen, das im Traum kaputtging. Aber auch ihr werdet
noch eine Zeitlang nach dem Aufwachen von dem berührt, was
ihr geträumt habt. Wenn dich im Traum gerade jemand umbrin-
gen wollte, dann schlägt dein Herz immer noch schnell, auch
wenn du nicht mehr schläfst und jetzt völlig wach bist: dein Blut
rast noch in den Adern, du schwitzt, und eine ungreifbare Angst
hat dich immer noch im Griff. Du bist jetzt wach, der Traum ist
vorbei, aber es dauert ein paar Minuten, bis du begreifst, daß es
nur ein Traum war und sonst nichts. Wenn du begriffen hast, daß
es nur ein Traum war, bist du draußen, und die Angst ist weg.
Wenn du das fühlen kannst, daß die Vergangenheit nur ein Traum
war — aber du darfst es nicht projizieren, darfst dir nicht die Idee
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Das Buch der Geheimnisse
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nießt das Ganze so, daß er sich damit identifiziert hat. Und es gibt
nur eine Sünde, die er nicht gebeichtet hat — die Sünde der Iden-
tifikation. Mit jeder Sünde, die er begangen oder nicht begangen
hat, ist er identifiziert — und das ist die einzige Sünde für alle, die
sich wirklich in der Funktionsweise des menschlichen Geistes aus-
kennen.
Als er seine Bekenntnisse zum erstenmal einer kleinen Runde
von Intellektuellen vorlas, glaubte er, ein Erdbeben müsse ge-
schehen, weil er, wie er sagte, der erste Mensch war, der sich so
ehrlich bekannte. Die Intellektuellen hörten ihm zu und versan-
ken mehr und mehr in Langeweile. Rousseau wurde es sehr un-
behaglich zumute, weil er glaubte, jetzt würde ein Wunder ge-
schehen. Als er fertig war, atmeten alle auf, aber keiner sagte ein
Wort. Es herrschte eine Zeitlang absolute Stille. Rousseau war bis
ins Herz erschüttert. Er hatte geglaubt, eine ungeheuer revolu-
tionäre Sache getan zu haben, etwas Erderschütterndes, eine hi-
storische Tat, und nun war da nur betretenes Schweigen. Jeder
dachte nur daran, wie er möglichst schnell entkommen könne.
Wer ist an deinen Sünden interessiert, außer du selbst? Niemand
ist an deinen Tugenden interessiert, niemand ist an deinen Sün-
den interessiert. So ist der Mensch: Seine guten Seiten begeistern
und beflügeln sein Ego genauso stark wie seine Sünden. Nach der
Niederschrift seiner Bekenntnisse begann Rousseau, sich für ei-
nen Heiligen zu halten, weil er gebeichtet hatte. Aber die Ursün-
de blieb: Die Ursünde, mit dem Zeitlichen identifiziert zu sein.
Alles, was in der Zeit geschieht, ist traumgleich, und solange man
sich nicht davon loslöst, seine Identifikation damit aufgibt, wird
man nie erfahren, was Seligkeit ist. Identifikation ist Unglück,
Nicht-Identifikation ist Seligkeit. Diese zehnte Technik hat mit
Identifikation zu tun.
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Kapitel 15
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 15
keiten haben, weil der Kopf gewohnt ist, von 1 bis 100 vorwärts
zu gehen, aber nicht zurück von 100 zu 1.
Genauso mußt du bei dieser Technik zurückgehen. Warum?
Indem du zurückgehst, den Geist zurückspulst, wirst du zum
Zeugen. Du siehst Dinge, die dir geschehen sind, aber nun ge-
schehen sie nicht dir. Jetzt bist du nur ihr Zuschauer, und sie pas-
sieren auf dem Bildschirm des Geistes.
Wenn du dies täglich tust, wirst du eines Tages plötzlich mer-
ken, während du tagsüber arbeitest, im Geschäft, im Büro oder
sonstwo, daß du zum Zeugen von Ereignissen wirst, die gerade
jetzt geschehen. Wenn du im Nachhinein Zeuge sein und auf je-
manden zurückblicken kannst, der dich beleidigt hat, ohne dabei
wütend zu werden, warum dann nicht jetzt gleich, dem gegenü-
ber, was jetzt im Augenblick passiert?
Jemand beleidigt dich: Wo steckt die Schwierigkeit? Du kannst
dich jetzt gleich entziehen und zuschauen, wie dich jemand be-
leidigt, und trotzdem Abstand halten von dir, deinem Körper, dei-
nem Denken, von dem, was dich beleidigt hat. Du kannst Zeuge
bleiben. Wenn du hier jetzt Zeuge bleiben kannst, wirst du nicht
wütend. Das ist unmöglich. Wut ist nur möglich, solange du dich
identifizierst. Bist du nicht identifiziert, dann ist Wut ausge-
schlossen. Wut heißt Identifikation.
Dieser Technik zufolge sollst du dir irgendein vergangenes Er-
eignis anschauen: Deine damalige Gestalt wird auftauchen. Das
Sutra sagt: „Deine Form” — nicht du. Du warst nie da. Es ist immer
nur deine Form beteiligt, niemals du selbst. Wenn du mich belei-
digst, beleidigst du niemals mich. Du kannst mich nicht beleidi-
gen. Du kannst nur die Form beleidigen. Die Form, die ich bin, ist
nur hier und jetzt für euch da. Diese Form kann man beleidigen,
und ich kann mich von dieser Form loslösen. Darum haben die
Hindus immer darauf bestanden, sich von Name und Form zu lö-
sen. Du bist weder dein Name noch deine Form. Du bist das Be-
wußtsein, das die Form und den Namen kennt; und dies Be-
wußtsein ist etwas anderes, etwas total anderes.
Aber es ist schwer. Fange also mit etwas Vergangenem an, dann
ist es leichter, weil dir jetzt die Vergangenheit nicht mehr so wich-
tig ist. Jemand hat dich vor zwanzig Jahren beleidigt, also ist dir
383
Das Buch der Geheimnisse
das nicht so hautnah. Der Mann mag gestorben sein, und alles ist
vorbei. Es ist einfach eine tote Sache, ein totes Stück Vergangen-
heit. Es ist leicht, sich dessen bewußt zu sein, aber wenn es dir erst
einmal bewußt ist, dann ist es nicht mehr schwierig, das gleiche
mit dem zu tun, was gerade jetzt und hier passiert.
Aber beim Hier und Jetzt anzufangen ist schwierig. Das Pro-
blem brennt dir so auf den Nägeln, es ist dir so nah, daß du keinen
Bewegungsspielraum hast. Es ist schwer, Raum zu schaffen, um
sich von dem Vorfall zu entfernen. Aus diesem Grund sagt das Su-
tra: „Beginne mit der Vergangenheit. ” Betrachte deine eigene
Form mit Abstand, aus der Entfernung, gleichgültig, und laß dich
dadurch transformieren.
Du wirst deshalb transformiert, weil es ein tiefer Reinigungs-
prozeß ist, ein Ablösungsprozeß. Dann kannst du erkennen, daß
dein Körper, dein Geist, deine Existenz in der Zeit nicht deine ei-
gentliche Wirklichkeit ist. Deine substantielle Wirklichkeit ist et-
was anderes. Die Dinge tauchen auf und ziehen an ihr vorbei,
ohne dich im geringsten zu berühren. Du bleibst unschuldig, un-
berührt. Du bleibst jungfräulich. Alles zieht vorbei, dein ganzes
Leben zieht vorbei - Gutes und Schlimmes. Erfolg und Nieder-
lage, Lob und Tadel - alles zieht vorbei. Krankheit und Gesund-
heit, Jugend und Alter, Geburt und Tot - alles zieht vorbei. Du
aber bleibst unberührt.
Aber wie kann man diese unberührte Wirklichkeit in sich er-
kennen? Das ist der Zweck dieser Technik. Beginne mit der Ver-
gangenheit. Du hast Abstand, wenn du dir deine Vergangenheit
anschaust. Du siehst alles in Perspektive. Oder schau dir die Zu-
kunft an. Aber sich die Zukunft anzusehen, ist nicht ganz so leicht.
Nur wenige Leute haben keine Schwierigkeit, sich die Zukunft
anzusehen - die Poeten, die Menschen mit Einbildungskraft, die
in die Zukunft blicken können, als wäre sie Wirklichkeit. Aber
normalerweise eignet sich die Vergangenheit am besten. Jeder
kann in die Vergangenheit blicken. Für junge Leute ist es vielleicht
besser, in die Zukunft zu blicken, es ist für sie leichter, in die Zu-
kunft zu sehen, weil die Jugend zukunftsorientiert ist.
Für alte Menschen gibt es keine Zukunft außer dem Tod. Sie
können nicht in die Zukunft blicken; sie haben Angst. Darum fan-
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Kapitel 15
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Das Buch der Geheimnisse
einschlafen, und dein Schlaf wird ein ganz anderer sein, er wird
meditativ sein. Und dann, wenn du am nächsten Morgen auf-
wachst und weißt, daß du jetzt wach bist, dann mach nicht sofort
die Augen auf Geh zurück, zurück in die Nacht.
Es wird anfangs nicht leicht sein. Du wirst vielleicht nicht weit
kommen. Irgendein Stück, irgendein Traumfragment, daß du ge-
rade träumtest, als du aufwachtest, fällt dir vielleicht ein. Aber
nach und nach, mit allmählicher Steigerung, wirst du immer wei-
ter vordringen können, und nach drei Monaten kannst du bis an
den Punkt zurückgehen, wo du eingeschlafen bist. Und wenn du
deinen Schlaf bis in die Tiefen zurückverfolgen kannst, wird sich
dein Schlaf und dein Wachsein qualitativ völlig ändern, weil du
jetzt nämlich gar nicht mehr träumen kannst: Das Träumen ist
zwecklos geworden. Wenn du den Tag und die Nacht zurück-
verfolgen kannst, ist Träumen nicht mehr nötig.
Tatsächlich sagen die Psychologen heute, daß die Träume ein
Aufarbeiten sind: wenn du das selbst erledigst, dann brauchst du
das Träumen nicht mehr. Alles, was im Kopf hängengeblieben ist,
alles Unerfüllte, Unvollständige, versucht sich durch Träume zu
vollenden.
Du hast im Vorbeigehen etwas gesehen - ein schönes Haus -
und in dir hat sich ein heimlicher Wunsch gemeldet, es zu besit-
zen. Aber du warst auf dem Weg zum Büro, und es war nicht die
Zeit zum Tagträumen, also bist du einfach vorbeigegangen. Dir
ist nicht einmal bewußt geworden, daß sich in dir ein Verlangen
geregt hat, dieses Haus zu besitzen. Aber jetzt bleibt dies Verlan-
gen in dir hängen, und wenn es nicht bereinigt wird, fällt es dir
schwer, einzuschlafen.
Schlafstörungen bedeuten im Grunde nur eins: daß dein Tag
noch über dir hängt und du dich von ihm nicht freimachen
kannst. Du klammerst dich an ihn. Dann hast du einen Traum,
daß du zum Besitzer dieses Hauses geworden bist: Jetzt lebst du in
diesem Haus. Im Augenblick, wo dir dieser Traum kommt, hat
sich dein Unbewußtes erleichtert.
Gewöhnlich hält man Träume für Schlafstörungen. Das ist ab-
solut verkehrt. Träume sind keine - chlafstörungen. Sie stören
nicht euren Schlaf, sie helfen ihm vielmehr. Ohne sie könntet ihr
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Kapite115
überhaupt nicht schlafen. So wie ihr seid, könntet ihr nicht ohne
Träume schlafen, weil die Träume helfen, Dinge zu vollenden, die
unvollständig geblieben sind.
Und es gibt Dinge, die gar nicht zu Ende gebracht werden
können. Ihr habt die absurdesten Wünsche, die in Wirklichkeit
gar nicht erfüllt werden können; was also ihin? Solche unerfüll-
ten Wünsche leben in euch weiter, und sie lassen euch hoffen
und grübeln. Was also tun? Du hast eine schöne Frau gesehen,
hast dich zu ihr hingezogen gefühlt. Jetzt ist der Wunsch da, sie
zu besitzen. Es mag nicht möglich sein, die Frau hat dich viel-
leicht nicht einmal angesehen. Was also tun? Ein Traum hilft.
Im Traum kannst du die Frau besitzen, und dann hat sich dein
Kopf erleichtert. Was den Kopf anbelangt, gibt es keinen Un-
terschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Wo liegt der Un-
terschied? Eine Frau in Wirklichkeit zu lieben, oder eine Frau
im Traum zu lieben — wo liegt da der Unterschied? Da gibt es
keinen Unterschied — oder allenfalls diesen: daß das Traumphä-
nomen schöner ist, weil dann die Frau nicht im Wege ist. Es ist
dein Traum, und du kannst tun, was du willst, die Frau wird dir
nicht in die Quere kommen. Der andere ist völlig abwesend. Du
bist allein. Es ist keine Schranke da, also kannst du tun, was dir
beliebt.
Es gibt für den Kopf keinen Unterschied: der Kopf kann kei-
nen Unterschied zwischen dem machen, was Traum ist und was
Wirklichkeit. Zum Beispiel könntest du ein ganzes Jahr lang in
ein Koma versetzt werden. Und du träumst und träumst und
merkst ein ganzes Jahr lang nicht, daß du träumst. Du siehst es als
Wirklichkeit, und dabei träumst du nur — ein ganzes Jahr lang!
Die Psychologen sagen, daß ein Mensch, der hundertJahre lang
un Koma liegt und träumt, in keinem Augenblick gewahr wird,
daß er träumt. Und sollte er sterben, wird er niemals erfahren, daß
sein Leben ein Traum war, daß es niemals wirklich war. Für dei-
ne Wahrnehmung gibt es keinen Unterschied. Wirklichkeit und
Traum sind beide gleich. Der geistige Apparat kann also durch ei-
nen Traum Erfüllung finden.
Wenn du diese Technik anwendest, wirst du keine Träume
brauchen. Die Qualität deines Schlafs wird sich total ändern, denn
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 15
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 1 5
Herz. Schweige mit ihr, schenk ihr ein Gefühl. Vergiß alles; vergiß
die ganze Welt. „Fühle einen Gegenstand vor dir, und fühle die
Abwesenheit von allen anderen Gegenständen.” Denn wenn dei-
ne Gedanken noch mit anderen Dingen beschäftigt sind, kann
dies Gefühl nicht sehr tief gehen. Vergiß alle anderen Rosen, ver-
giß alle anderen Personen, vergiß alles. Laß nur diese Rose da sein,
nur die Rose, die Rose, die Rose! Vergiß alles andere; laß diese
Rose dich vollkommen einhüllen. Du bist in der Rose ertrunken.
Es wird nicht leicht sein, denn so sensibel sind wir nicht. Frau-
en fällt es leichter. Sie können besser fühlen. Für Männer mag es
etwas schwerer sein, es sei denn, sie haben einen sehr entwickel-
ten ästhetischen Sinn, wie etwa Dichter, Maler oder Musiker. Sie
können Dinge fühlen. Aber versucht es. Kinder können es sehr
leicht.
Ich habe diese Methode einmal dem Sohn einer meiner Freun-
de gegeben. Bei ihm ging es ganz leicht. Als ich ihm eine Rose
gab und ihm alles so erklärte, wie ich es euch erklärt habe, tat er
es und genoß es zutiefst. Und dann fragte ich ihn: „Wie fühlst du
dich?” Er sagte: „Ich bin zu einer Rose geworden. So fühle ich
mich, ich bin zu einer Rose geworden.” Kinder können es sehr
leicht, aber wir erziehen sie nie dazu. Sonst wären sie die besten
Meditierer.
Vergiß völlig alle anderen Objekte. „Fühle die Abwesenheit al-
ler anderen Gegenstände außer diesem.” Das ist es, was in der Lie-
be geschieht. Wenn du jemanden liebst, vergißt du die ganze
Welt. Wenn du dich noch an die Welt erinnern kannst, dann sei
dir bewußt, daß es nicht Liebe ist. Du hast die ganze Welt ver-
gessen; nur der Geliebte oder die Geliebte bleibt. Darum sage ich,
daß Liebe Meditation ist. Ihr könnt diese Technik auch als eine
Liebestechnik benutzen: alles andere vergessen.
Erst vor ein paar Tagen kam ein Freund zu mir mit seiner Frau.
Seine Frau beschwerte sich über etwas Bestimmtes. Darum war
sie gekommen. Der Freund sagte: „Ich habe seit einem Jahr me-
ditiert und bin jetzt tief hineingekommen. Und während ich me-
ditiere, empfinde ich es als eine Hilfe, als Höhepunkt meiner Me-
ditation, plötzlich auszurufen: Rajneesh! Rajneesh! Rajneesh! ` Das
hilft mir; aber nun ist etwas Merkwürdiges passiert. Wenn ich mit
391
Das Buch der Geheimnisse
meiner Frau schlafe und zum Orgasmus komme, fange ich plötz-
lich an zu schreien: Rajneesh! Rajneesh! Rajneesh!` Meine Frau
ist deswegen ganz verstört. Und sie sagt: „,Liebst-du nun eigent-
lich mich oder meditierst du, oder was? Und was hät dieser Raj-
neesh damit zu tun?”
Der Mann sagte: „Jetzt ist es ein Problem für mich, denn wenn
ich nicht,Rajneesh! Rajneesh!` schreie, komme ich nicht zum Or-
gasmus. Und wenn ich schreie, ist meine Frau sehr verstört, sie
fangt an zu weinen und macht mir eine Szene. Was soll ich also
tun? Ich habe meine Frau gleich mitgebracht.” Natürlich hat sei-
ne Frau recht, sich zu beschweren, denn sie möchte nicht, daß sich
ein anderer einmischt. Darum gehört zur Liebe die Privatsphäre,
die absolute Intimität. Sie ist wichtig, um alles andere vergessen
zu können.
In Europa und Amerika probieren sie jetzt den Gruppensex aus.
Das ist Unsinn — viele Paare, die sich in einem Zimmer lieben!
Das ist absoluter Unsinn, denn so kann die Liebe niemals tief ge-
hen. Es wird einfach eine Sexorgie daraus. Die Gegenwart von an-
deren wird zur Schranke. So kann es nicht meditativ werden.
Wenn du vor irgendeinem Objekt die ganze Welt vergessen
kannst, dann bist du in tiefer Liebe — mit einer Rose, einem Stein
oder was es auch sei. Aber die Bedingung ist, die Gegenwart die-
ses Objektes zu fühlen — und die Abwesenheit von allem ande-
ren. Laß dieses Objekt das einzig existierende Ding in deinem Be-
wußtsein sein. Es wird leichter sein, wenn du es mit einem Ge-
genstand versuchst, den du von Natur aus liebst.
Einen Stein, einen Felsbrocken vor dich hinzusetzen und darü-
ber die ganze Welt zu vergessen, wird dir schwerer fallen. Das fällt
schwer, aber Zen-Meister haben es getan. Sie kennen Steingärten
für die Meditation: keine Blumen, keine Bäume, nichts als Steine
und Sand. Und sie meditieren über einen Stein, weil dir, wie sie
sagen, kein Mensch mehr verschlossen bleiben kann, wenn du es
fertig bringst, eine tiefe Liebesbeziehung mit einem Stein zu ha-
ben. Und Menschen sind wie Steine. Wenn du einen Stein lieben
kannst, kannst du auch einen Menschen lieben. Dann gibt es kein
Problem: Sie sind wie Stein — sogar noch härter. Es ist schwer, sie
aufzubrechen und in sie einzudringen. Du kannst dir aber einen
3 92
Kapitel 15
Gegenstand wählen, den du von Natur aus liebst: und dann ver-
giß die ganze Welt. Genieße seine Gegenwart, koste ihn aus, he-
be ihn, geh tief hinein und laß ihn tief in dich hinein. „Dann laß
das Gegenstandsgefühl ... beiseite.”
Jetzt kommt die schwierigste Sache bei dieser Technik. Du hast
alle andern Gegenstände fortgelassen, und nur ein Gegenstand ist
geblieben. Du hast alles vergessen: Nur eines ist geblieben. Und
nun laß das Gegenstandsgefühl beiseite, laß jetzt das Gefühl bei-
seite, daß du diesen Gegenstand vor dir hast. „Dann laß das Ge-
genstandsgefühl und das Abwesenheitsgefühl” — der anderen Ob-
jekte -„beiseite. " Nun gibt es nur noch diese beiden Gefühle:
Außer dem Gegenstand ist alles abwesend. Nun wirfst du aber
auch diese Abwesenheit beiseite. Wenn nur noch diese Rose, die-
ses Gesicht, diese Frau, dieser Mann, dieser Fels anwesend ist, läßt
du auch dies beiseite — und auch das Gefühl davon. Plötzlich fällst
du in ein absolutes Vakuum, und nichts bleibt zurück. „Und so”
sagt Shiva, „„erkenne! ` Erkenne dies Vakuum, diese Nichtheit. Dies
ist deine Natur, dies ist reines Sein.
Es wäre zu schwer, dieses Nichts direkt anzugehen; das ist sehr
schwer und anspruchsvoll. Es ist leichter, ein Objekt als Vehikel
zu benutzen. fülle deinen Geist erst mit einem Gegenstand, und
fühle ihn so total, daß du dich an nichts anderes mehr erinnern
kannst. Dein ganzes Bewußtsein ist von diesem einen Objekt er-
füllt. Dann laß auch dies zurück, vergiß auch dieses.
Du fällst in einen Abgrund. Jetzt bleibt nichts zurück, kein Ob-
jekt. Nur noch deine Passivität ist da, rein, unberührt, unbenützt.
Dies reine Sein, dies reine Bewußtsein ist deine Natur. Aber gehe
stufenweise vor, versuche nicht die ganze Technik auf einmal. Er-
zeuge erst ein Objektgeftihl. Übe ein paar Tage lang nur die erste
Phase. Sei vom Objekt erfüllt — und benutze jedesmal das gleiche.
Wechsele nicht, denn mit jedem Objekt mußt du dir wieder die
gleiche Mühe machen. Wenn du eine Rose gewählt hast, dann ge-
brauche jeden Tag eine Rose. Sei von ihr erfüllt, so daß du eines
Tages sagen kannst, jetzt bin ich diese Blume. Und damit ist der
erste Teil erfüllt. Wenn nur noch die Blume da ist, und alles ande-
re vergessen ist, dann genieße diese Vorstellung ein paar Tage lang.
Sie ist schön für dich, sehr, sehr schön, lebensspendend, kraftvoll.
3 93
Das Buch der Geheimnisse
Fühle sie ein paar Tage lang nur, und wenn du dich auf sie ein-
gestellt hast und es leicht geworden ist, brauchst du dich nicht
mehr anzustrengen. Dann ist die Blume plötzlich da und die
ganze Welt ist vergessen, und nur sie allein bleibt.
Dann versuch die zweite Hälfte. Schließe die Augen, und ver-
giß auch die Blume. Wenn du das erste geschafft hast, wird das
zweite nicht schwierig sein. Wenn du die ganze Technik in einem
Zug anwenden willst, wird das zweite unmöglich. Denn erst,
wenn du die erste Hälfte beherrschst und du die ganze Welt um
einer Blume willen vergessen kannst, kannst du auch die Blume
um des Nichts willen vergessen. Die zweite Hälfte kommt also
von allein, aber erst mußt du dich anstrengen. Aber der Verstand
ist sehr trickreich und wird dir einflüstern, alles auf einmal zu ver-
suchen — und dann geht es nicht. Hinterher kann der Kopf sagen:
„Diese Technik bringt's nicht, jedenfalls nicht für mich.” Geh also
schrittweise vor, wenn du damit Erfolg haben willst. Bri ng die er-
ste Hälfte zu Ende, und fang dann die zweite an. Dann ist das Ob-
jekt nicht mehr da; was bleibt, ist dein reines Bewußtsein, wie ein
Licht, eine einsame Flamme.
Du hast eine Lampe, und das Licht der Lampe fällt auf viele
Objekte. Stelle dir vor: dein Zünmer ist voller Objekte, und wenn
du in das Dunkel deines Zimmers eine Lampe bringst, werden all
diese Objekte beleuchtet. Die Lampe scheint auf jedes Objekt, so
daß du alles sehen kannst. Jetzt bleibst du nur bei einem Objekt.
Laß nur noch eines da sein. Es ist dieselbe Lampe, aber nun ist nur
ein Objekt in ihrem Licht. Und nun nimmst du auch noch dies
Objekt weg: Jetzt ist nur noch Licht da, kein einziges Objekt
mehr. Das gleiche geschieht mit deinem Bewußtsein. Du bist eine
Flamme, ein Licht. Die ganze Welt ist dein Objekt. Du läßt die
ganze Welt beiseite und wählst nur ein Objekt für deine Kon-
zentration. Deine Flamme bleibt die gleiche, aber jetzt sind nicht
viele Objekte von ihr bestrahlt, sondern nur eins. Und nun läßt
du auch dieses fallen. Plötzlich ist nur noch Licht da — Bewußt-
sein. Es fällt auf nichts. Buddha hat es Nirvana genannt. Mahavir
hat es Kaivalya genannt — die totale All-einheit. Die Upanischa-
den nennen es die Erfahrung des Brahman oder Atman. Shiva
sagt: Wer nur diese Technik macht, der erkennt das Höchste.
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Kapitel 15
Wenn in dir eine Stimmung gegen oder für jemanden aufsteigt, dann
projiziere sie nicht auf die betreffende Person, sondern bleibe zentriert.
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 1 5
dem Feuer, das in dir war. Du bist die Quelle — erinnere dich! Er-
innere dich bei dieser Technik, daß du die Quelle von allem bist,
was du auf andere projizierst: erinnere dich immerzu. Und jedes-
mal, wenn eine Stimmung aufkommt, „gegen oder für”, gehe au-
genblicklich nach innen, und schau auf die Quelle, wo dieser Haß
herkommt. Bleibe dort zentriert. Wandere nicht zum Objekt ab.
Jemand hat dir die Chance gegeben, dir deine eigene Wut bewußt
zu machen: Danke ihm sofort und vergiß ihn. Schließe die Au-
gen, geh nach innen, und schau jetzt auf die Quelle, aus der diese
Liebe oder Wut kommt. Woher? Geh nach innen; reise nach in-
nen. Du wirst die Quelle dort finden, denn die Wut kommt aus
deiner Quelle.
Haß, Liebe, alles kommt aus deiner Quelle. Und es ist leicht, in
dem Augenblick, da du Wut oder Liebe oder Haß spürst, zur
Quelle zu gehen, denn dann bist du heiß. Jetzt ist es leicht, nach
innen zu gehen. Der Draht ist heiß, und du kannst ihn nach in-
nen verfolgen. Du kannst an dieser Hitze entlang nach innen ge-
hen, und wenn du an einen kühlen Punkt kommst, wirst du plötz-
lich eine andere Dimension erkennen: Eine andere Welt tut sich
vor dir auf. Nutze die Wut, nutze den Haß, nutze die Liebe, um
nach innen zu gehen.
Wir benutzen alles immer nur, um uns auf den anderen zu
richten und fühlen uns ganz frustriert, wenn niemand da ist, auf
den wir projizieren können. Dann projizieren wir sogar auf un-
belebte Gegenstände. Ich habe Leute gesehen, die auf ihre Schu-
he wütend werden, die ihre Schuhe vor Wut an die Wand
schmeißen. Was tun sie? Ich habe wütende Leute mit dem Fuß
gegen eine Tür stoßen sehen, sie ließen ihre Wut an einer Tür aus,
beschimpften die Tür, überschütteten sie mit Schimpfworten! Was
tun sie?
Ich will mit einer Zen-Erkenntnis abschließen. Einer der größ-
ten Zen-Meister, Lin-Chi, erzählte oft: „Als junger Mensch war
ich ein leidenschaftlicher Bootfahrer. Ich hatte ein kleines Boot
und fuhr damit immer allein auf den See hinaus. Stundenlang
konnte ich da bleiben. Einmal geschah es, daß ich mit geschlosse-
nen Augen im Boot saß, ganz in die herrliche Nacht versunken.
Ein leeres Boot trieb mit der Strömung auf mich zu und stieß
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Das Buch der Geheimnisse
mein Boot an. Ich hatte die Augen geschlossen und dachte: je-
mand hat mich mit seinem Boot angerempelt!" Wut kam auf. Ich
öffnete die Augen und wollte gerade mit dem Mann im andern
Boot böse werden, als ich wahrnahm, daß das andere Boot leer
war. Nun wußte ich nicht, wohin mit der Wut. An wem sollte ich
sie auslassen? Das Boot war leer! Ich trieb einfach stromabwärts,
und das andere Boot war gekommen und hatte meines ange-
stoßen." Da ließ sich nichts machen. Es war unmöglich, die Wut
an einem leeren Boot auszulassen.
„Da”, so sagt Lin-Chi, „schloß ich die Augen. Die Wut war da
– aber da sie keinen Auslaß fand, schloß ich einfach die Augen
und ließ mich auf der Wut nach innen treiben. Und dies leere
Boot wurde zu meiner Erkenntnis. Ich kam in dieser stillen Nacht
zu einem Mittelpunkt, der in mir war. Jenes leere Boot war mein
Guru. Und wenn heute jemand mit seinem Boot ankommt und
' mich anrempelt, lache ich und sage: „Auch dieses Boot ist leer. Ich
schließe die Augen und gehe nach innen.”
Versucht diese Methode. Sie kann Wunder wirken für euch.
3 98
Ein Irrer ist nur ein bißchen mehr verrückt als du
[Fragen]
Bei der letzten Technik über die du gestern gesprochen hast heißt es:
Wenn man eine Stimmung für oder gegen jemanden hat, soll man
sie nicht auf die betreffende Person projizieren, sondern zentriert
bleiben. Aber wenn wir mit dieser Technik experimentieren, mit
unserem Haß, unserer Wut usw., haben wir das Gefühl, unsere
Emotionen zu unterdrücken, so daß daraus ein Komplex entsteht,
Erkläre also bitte, wie man diese Technik praktizieren kann ohne
zu verdrängen.
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 16
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 16
den Haß-Kanal, wird sie zu Haß. Geht sie in die Liebe, wird die
gleiche Energie zu Liebe. Und wenn sie zur Quelle geht, wird sie
formlos — zu reiner Energie. Dort ist sie weder Haß noch Liebe,
noch Wut, noch Sex — einfach nur Energie. Jetzt ist sie unschul-
dig, denn Formlosigkeit ist absolute Unschuld. Darum sieht ein
Buddha so unschuldig aus — kindgleich. Seine Energie ist zur
Quelle zurückgekehrt.
Gib ihr keinen Ausdruck, denn du verschwendest sie nur und
stiftest auch den andern an, seine zu vergeuden. Unterdrücke
nichts, denn sonst erzeugst du etwas, das in der Luft hängt und
sich irgendwann entladen muß. Was also tun?
Diese Technik besagt, daß nichts mit dem Gefühl selbst ge-
schehen darf. Geh nur zur Quelle zurück, aus der es kommt. Und
während das Gefühl heiß ist, leuchtet seine innere Spur auf, ist sie
klar sichtbar. Du kannst dieser Spur folgen. Nutze deine Gefühle
für die Meditation. Das Ergebnis kommt einem Wunder gleich —
unglaublich. Und hast du erst einmal den Schlüssel gefunden, wie
du deine Energie zurück zur Quelle leiten kannst, verändert sich
deine Persönlichkeit qualitativ. Dann vergeudest du dich nicht
mehr. Das erscheint dir dann dumm.
Buddha hat gesagt: Wann immer du wütend wirst, bestrafst du
dich selbst für die Untat des anderen.
Der andere hat dich beleidigt: Das ist seine Tat. Und nun be-
strafst du dich dadurch, daß du wütend bist. Du verschleuderst
deine Energie.
Das ist dumm. Aber dann hören wir, was uns ein Buddha und
ein Mahavir, ein Jesus sagt ... und fangen an zu unterdrücken. Wir
unterdrücken unsere Energie, weil wir nun denken, es sei nicht
gut, es sei dumm, wütend zu werden. Was also tun? Die Wut un-
terdrücken! „Du sollst nicht wütend werden. Reiß dich zusam-
men — verschließe dich. Gehe gegen die Wut an, dränge sie
zurück”. Aber dann sitzt du auf einer Zeitbombe. Du sitzt auf ei-
nem Vesuv -jeden Moment kann er explodieren. Und so staut es
sich an: Die Wut des ganzen Tages sammelt sich an, die Wut des
ganzen Monats, des ganzen Jahres, eines ganzen Lebens, ja die
Wut vieler Leben ... Alles noch da! Es kann jeden Moment ex-
plodieren. Dann hast du Angst, überhaupt nur zu leben, denn
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Das Buch der Geheimnisse
408
Kapitel 16
er gefunden hatte. Also machte er sich auf die Suche nach ihnen
und reiste in Bihar herum, von Bodh Gaya bis Benares. Sie waren
in Sarnath. Buddha kehrte nie wieder nach Benares, nie nach
Sarnath zurück, denn er war nur dieser Jünger wegen gekommen.
Er kam in Sarnath an. Es war Abend, und die Sonne ging un-
ter, und diese fünf Asketen saßen auf einem Hügel. Sie sahen
Buddha kommen und sagten: „Da kommt dieser gefallene
Gautam Buddha, dieser Gautam Siddhartha, der vom Weg abge-
kommen ist. Wir wollen ihm keinen Respekt erweisen, nicht ein-
mal den üblichen Gruß.”
Sie schlossen die Augen. Während Buddha näher und näher
kam, spürten diese fünf Asketen eine Veränderung — eine innere
Veränderung. Es war unheimlich. Als Buddha fast schon bei ih-
nen war, öffneten sie plötzlich alle auf einmal die Augen und fie-
len ihm zu Füßen. Buddha sagte: „Aber warum tut ihr das? Ihr
wolltet mir doch noch nicht einmal einen Gruß erbieten — warum
also dies?”
Sie sagten: „Wir können nichts dafür. Du hast etwas entdeckt!
Was ist es? Du bist zu einer magnetischen Kraft geworden. Wir
werden einfach zu dir hingezogen! Was machst du nur mit uns?
Hast du uns hypnotisiert?” Buddha sagte: „Nein. Ich habe euch
nichts getan, aber in mir ist etwas geschehen. Alle meine Energi-
en haben zur Quelle zurückgefunden. Wohin ich auch gehe, wird
nun eine magnetische Kraft von mir ausgehen.” Aus diesem
Grunde konnten die Gegner Buddhas oder Mahavirs sie noch
nach Jahrhunderten verleumden, sie hätten die Menschen hyp-
notisiert. Ihr werdet zwar hypnotisiert — aber das ist etwas anderes.
Wenn die Energie zur ursprünglichen Quelle zurückgeht, wird
man zu einem Zentrum von magnetischer Kraft. Diese Technik
hilft, dieses Magnetzentrum in dir zu erzeugen.
Gestern sagtest du, daß die Meditationstechnik, hei der man seine
Bewußtseinsprozesse zurückverfolgt, sehr bedeutsam sei. Aber im
Westen praktizieren Hunderte von Psychoanalytikern und Psychia-
tern diese Methode — Freud ianer wie Jungianer — ohne Erfolg was
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Das Buch der Geheimnisse
die Transformation des Westens betrifft Was sind die Gründe und
Mängel, die zu ihrem Mißerfolg führen?
410
Kapitel 16
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 16
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Das Buch der Geheimnisse
den Osten erobert; auf sehr grobe Weise. Der Osten hat seine ei-
gene Art zu erobern — eine sehr subtile, sehr stille Art. Heute
dringt das östliche Verständnis tief in das westliche ein. Ohne jede
Gewalt, ohne jeden sichtbaren Konflikt, dringt jetzt der Osten
ganz tief in den Westen ein. Und früher oder später muß die west-
liche Psychologie Vorstellungen von Transzendenz entwickeln —
wie man über den Verstand hinausgelangt.
Das langsame Zurückverfolgen der Gedanken kann auf beiden
Wegen nützlich sein. Wem es nur darum geht, Normalität her-
zustellen, dem kann es helfen. Aber dann ist nicht Transzendenz
das Ziel. Wenn Transzendenz das Ziel ist, kann das langsame
Zurückverfolgen des geistigen Prozesses ebenfalls helfen. All die-
se Techniken können ebensogut zur gewöhnlichen Geistesberu-
higung führen, wie zur wahren Stille, die jenseits des Geistes ist.
Es gibt zwei Arten von Stille — eine innerhalb des Geistes, bei
der der Geist sich beruhigt, und eine andere Stille, wenn es den
Geist nicht mehr gibt. Diese Stille — wo der Geist nicht mehr ist —
hat mit einem geistigen Frieden nichts zu tun, bei dem der Geist
noch da ist, nur nicht mehr ganz so verrückt: Der Wahnsinn hat
nachgelassen — das ist alles.
Die westliche Psychologie muß zu einer Metaphysik werden,
nur dann kann der Mensch transzendieren. Sie muß auch zu Phi-
losophie werden und schließlich zu Religion. Nur so kann dem
Menschen zur Transzendenz verholfen werden.
Du hast uns viele Meditationstechniken erklärt Ist es aber nicht so, daß
keine Methode viel ausrichten kann wenn man nicht in sie initiiert wird?
414
Kapitel 16
Wenn ich über eine Methode spreche und sie euch erkläre,
könnt ihr sie für euch selbst benutzen. Die Methode wird dir er-
klärt, aber ob sie zu dir paßt oder nicht, wie sie auf dich wirken
wird, was für ein Typus du bist, wird nicht besprochen. Das ist
nicht möglich.
Bei der Initiation bist du wichtiger als die Technik. Wenn der
Meister dich in sie einführt, beobachtet er dich, findet deinen Ty-
pus heraus und wieviel du in deinen vergangenen Leben aufgear-
beitet hast, wo du jetzt im Augenblick stehst, an welchem Zen-
trum du jetzt gerade funktionierst, und dann erst entscheidet er
über die Methode: Er wählt sie aus. Sie ist individuell verschieden.
Die Methode ist nicht wichtig, was wichtig ist, bist du. Du wirst
studiert und beobachtet und analysiert. Deine vergangenen Le-
ben, dein Bewußtseinsgrad, dein Geist, dein Körper werden se-
ziert. Du wirst tief „ausgelotet” in bezug auf das, wo du bist, weil
die Reise von dort losgeht, von dem Punkt, wo du gerade jetzt
bist. Nicht jede beliebige Methode tut ` s.
Dann wählt der Meister eine bestimmte Methode für dich
aus, und wenn er das Gefühl hat, daß diese bestimmte Metho-
de für dich abgeändert werden muß, daß winzige Veränderun-
gen oder irgendwelche Zusätze nötig sind, dann fügt er etwas
hinzu, nimmt etwas weg und schneidert dir die Methode auf
den Leib zu. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, daß du nicht
darüber redest, wenn du in eine Methode eingeführt wirst. Sie
muß geheim bleiben, weil sie individuell ist. Wenn du zu ei-
nem anderen darüber redest, hilft das kaum oder kann sogar
schaden. Es muß geheim bleiben, bis du angekommen bist und
der Meister dir sagt, daß du nun andere initiieren kannst. Es darf
kein Wort darüber verloren werden, es muß unausgesprochen
bleiben, selbst vor der Frau, dem Mann, dem Freund. Weil es
sehr heikel ist, muß es absolut geheim bleiben. Die Methode
ist sehr stark. Sie ist für dich ausgewählt und gemacht worden.
Sie wird nur für dich funktionieren, und ist für niemanden sonst
auf der Welt gedacht. Tatsächlich, jedes Individuum ist so ein-
malig, daß es eine eigene Methode braucht: und mit einer
leichten Abänderung kann eine Methode auf dich zugeschnit-
ten werden.
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Das Buch der Geheimnisse
41 6
Kapitel 16
Ich initiiere euch also nicht in diese Methoden. Ich mache euch
nur mit ihnen bekannt. Wenn jemand das Gefühl hat, von einer
Methode tief betroffen zu sein und daß er in diese Methode ein-
geführt werden sollte, so kann ich das tun. Aber das ist dann ein
langer Prozeß. Dann muß mir deine Individualität vollkommen
bekannt sein. Du mußt dich völlig bloßlegen, und es darf nichts
verborgen bleiben. Und dann -ja„ dann erst werden die Dinge
ganz einfach. Denn wenn die richtige Methode dem richtigen
Menschen zum richtigen Zeitpunkt gegeben wird, dann wirkt sie
sofort.
Manchmal geschieht es, daß einjünger während der Initiation
erleuchtet wird. Die Initiation selbst wird zur Erleuchtung! Dann
wird die Methode lebendig: Wenn sie vom Meister privat, indi-
viduell gegeben wird. Das, was ich jetzt mache, ist nicht Initiation
— vergeßt das nicht. Mein Ansatz ist rein wissenschaftlich: Ich
möchte diese 112 Methoden wieder ins Leben rufen, sie bekannt
machen.
Wenn jemand interessiert ist, kann er sich initiieren lassen. Und
wenn du wirklich interessiert bist, wirst du die Initiation suchen,
denn allein mit einer Methode zu arbeiten, ist eine langwierige
Sache. Es mag ganze Leben dauern, es mag Jahre dauern, und dei-
ne Ausdauer mag nicht groß genug sein. Durch Initiation wird es
ganz leicht, und dann wird die Methode zu einer Übertragung.
Dann fängt der Lehrer an, mit Hilfe der Methode an dir zu ar-
beiten. Initiation ist eine lebendige Beziehung mit dem Meister,
und eine lebendige Beziehung geht natürlich tief. Sie transfor-
miert dich.
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 16
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Das Buch der Geheimnisse
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Kapitel 16
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Das Buch der Geheimnisse
lassen kann. Du hast mich reingelegt. Weihe mich jetzt ein und
mache mich zu deinem Jünger. Stehlen hat keinen Zweck mehr.
Das sehe ich jetzt ein. Drei Tage haben gereicht."
Was dein Objekt auch sein mag — was du bewußt tust, wird zu
Meditation. Versuche, dich bewußt zu identifizieren: Es wird zu
Meditation. Unbewußt ist es eine große Sünde!
Ihr seid alle mit irgendwelchen Dingen identifiziert. „Das ist
mein, dies ist mein ...” Ihr seid identifiziert. „Das ist mein Land,
das ist meine Nation, das ist meine Flagge.”
Wenn jemand eure Flagge beleidigt, werdet ihr wütend. Was
fällt ihm ein! Dabei habt ihr gar keine Nation, und alle Flaggen
sind Mythen. Es macht Spaß, wie ein Kind damit zu spielen; sie
sind Spielzeuge. Aber ihr könnt auch dafür morden und ermor-
det werden, und Länder werden geschaffen und zerstört, nur weil
eine Flagge beleidigt wurde. Und es ist nur ein Fetzen Stoff! Was
passiert?
Ihr seid damit identifiziert. Diese Identifikation ist unbewußt.
Unbewußtheit ist Sünde.
422
Über Osho
In der Regel leben wir alle in der Welt der Zeit — Vergangenes
zurückrufend, Zukünftiges vorausnehmend; nur in seltenen
Augenblicken rühren wir an die zeitlose Dimension der Gegen-
wart: in Momenten von großer Schönheit oder plötzlicher Ge-
fahr, in Begegnungen mit geliebten Menschen oder wenn das
Unverhoffte an unsere Tür klopft.
Nur sehr wenige Menschen treten aus der Zeit und dem Reich
unserer Vorstellungen heraus und beginnen ein Leben in der Welt
des Zeitlosen. Und von diesen wenigen haben nur die wenigsten
versucht, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen: Menschen wie Laot-
se, Buddha, Bodhidharma — oder in unserem Jahrhundert Gurd-
jieff, Ramana Maharshi und J. Krishnamurti. Regelmäßig werden
sie von ihren Zeitgenossen für verrückt erklärt, als Ekzentriker
oder arme Irre verschrieen. Nach ihrem Tode avancieren sie dann
zu „Philosophen”, werden zur Legende, blutlos abstrakten We-
sen, allenfalls tauglich als Archetypen für unsere kollektive Sehn-
sucht, über all das Kleinlich-Platte und Sinnlose unseres Alltags
hinauszuwachsen.
Osho wurde am 11. Dezember 1931 im indischen Bundesstaat
Madhya Pradesh geboren. Von frühester Kindheit an bewies er ei-
nen rebellischen, unabhängigen Geist und erforschte seine eige-
ne Wahrheit, statt sich von dem Wissen und Glauben anderer
Leute beeinflussen zu lassen.
Nach seiner Erleuchtung im Alter von einundzwanzig Jahren
schloß Osho sein Universitätsstudium ab und lehrte danach meh-
rere Jahre lang Philosophie an der Universität von Jabalpur. Zwi-
schendurch bereiste er ganz Indien, sprach zu riesigen Menschen-
mengen, traf sich mit Vertretern der gebildeten Schichten und for-
derte das gesamte religiöse und polirische Establishment seines
424
Landes in öffentlichen Debatten heraus, wobei er mit brillanter
Rhetorik die heiligsten Glaubenswerte der indischen Kultur an-
gri ff. Er las unersättlich alles, was ihm Aufschluß über Ursprung
und Zusammenhänge der heute geltenden Glaubenssysteme und
Ideologien gab, kurz, er studierte die kollektive Psychologie des
modernen Menschen.
Ende der sechziger Jahre entwickelte Osho seine einzigartigen
dynamischen Meditationstechniken. Der heutige Mensch, sagt er,
ist so befrachtet mit längst überholten Weltbildern und Tra-
ditionen und so belastet durch die Ängste des modernen Lebens,
daß er einen riefen Reinigungsprozeß durchmachen muß, ehe er
in den Zustand der völlig entspannten, von allen Gedanken be-
freiten Meditation gelangen kann.
In den frühen siebziger Jahren wurden erstmals westliche
Therapeuten, Künstler und Intellektuelle auf Osho aufmerksam.
Ab 1974 wuchs in Pune eine Kommune um ihn heran, und der
Besucherstrom wurde zur Flut. Osho sprach zweimal täglich, Tag
für Tag. Mit den Jahren hat er praktisch jeden einzelnen Aspekt
der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Bewußtseins
durchleuchtet. In einer brillanten, humorvollen, ebenso lockeren
wie universal informierten modernen Sprache hat er speziell für
uns Heutige herausgeschält, worauf es bei der spirituellen Suche
ankommt — nicht aus der Warte des spekulierenden Intellek-
tuellen, sondern aus ureigener Anschauung und Erfahrung.
Er gehört keiner Tradition an. „Ich bin der Anfang eines voll-
kommen neuen religiösen Bewußtseins”, sagt er. „Bitte bringt
mich nicht mit der Vergangenheit in Verbindung — sie ist es nicht
einmal wert, erinnert zu werden.”
Seine „Talks” zu Schülern und Suchern aus aller Welt füllen
über sechshundert Bücher, in über dreißig Sprachen übersetzt. Er
sagt über sein Gesamtwerk: „Meine Botschaft ist eine Wissen-
schaft der Transformation. Nur wer bereit ist, sich als das auf-
zulösen, was er ist, um in etwas Neues hineingeboren zu wer-
den — so neu, daß es vorläufig nicht einmal vorstellbar ist ... nur
diese wenigen Mutigen werden bereit sein, mir zuzuhören; denn
schon das Zuhören wird riskant sein. Indem ihr zuhört, habt ihr
schon den ersten Schritt getan, um neugeboren zu werden. Es ist
42 5
also keine Philosophie, aus der ihr euch einfach ein Mäntelchen
machen könnt, mit dem ihr herumstolziert. Es ist keine Doktrin,
in der ihr Trost für quälende Fragen finden könnt. Nein, meine
Botschaft ist nicht irgendeine verbale Mitteilung. Sie ist weitaus
riskanter. Sie ist nichts Geringeres als Tod und Wiedergeburt."
Osho verließ am 19. Januar 1990 seinen Körper, als Folge einer
Vergiftung, die ihm durch US-Regierungsvertreter beigebracht
wurde, nachdem man ihn 1985 unter dem Vorwand formaler
Einwanderungsverstöße inhaftiert und mehrere Tage lang inko-
gnito versteckt gehalten hatte.
Seine Kommune in Pune ist heute Treffpunkt und spirituelle
Heimat von Hunderttausenden aus fast jedem Land der Erde. In-
spiriert von der Vision Oshos, ist dieser Ort eine Art Labor oder
Experimentierfeld, um den neuen Menschen entstehen zu lassen,
einen Menschen, der mit sich und seiner Umgebung in Harmonie
lebt, frei von all den Ideologien und Glaubenssystemen, die heu-
te die Menschheit zerreißen.
42 6
Die Osho Commune International
Die Osho Commune International in Pune ist nach wie vor das
größte spirituelle Wachstums-Zentrum der Welt. Internationale
Besucher strömen zu Tausenden herbei, um sich dort inmitten
von üppigem Grün und gepflegten Anlagen zu entspannen, an
Meditationen, Therapien, körperlichen Regenerationsprozessen
und kreativen Progammen teilzunehmen — oder einfach den Ge-
schmack eines „Buddhafeldes” kennenzulernen.
Die Osho Multiversity der Kommune bietet Hunderte von
Workshops, Gruppen und Trainings an.
All diese so verschiedenartigen Programme sind dazu da, jedem
auf seine Art die Chance zu bieten, das Aha-Erlebnis der Medi-
tation zu erfahren -jenen Kniff, einfach nur unbeteiligter Zeuge
der eigenen Gedanken, Emotionen und Handlungen zu sein,
ohne zu urteilen oder sich zu identifizieren.
Anders als in alten östlichen Traditionen ist Meditation in
Oshos Kommune keine isolierte Disziplin, sondern untrennbar
mit dem Alltag verbunden — Teil der Arbeit, des Umgangs mit an-
deren, der Lebensprozesse schlechthin. Die Folge davon ist, daß
die Menschen sich nicht von der Welt abkehren, sondern viel-
mehr ihren Geist der Wachheit und des Feierns in sie hinaustra-
gen, in tiefer Achtung vor dem Leben.
42 7
Weitere Titel von Osho
Meditation Meditation –
Die erste und letzte Freiheit
DM 39980 • SFr 36,00 . ÖS 2952-
Das Buch der Geheimnisse
DM 34980 • SFr 33,50 . ÖS 254,-
Das Orangene Buch
DM 14980 • SFr 14,80 . ÖS 1109-
Meditation –
Die Kunst der Ekstase
DM 24,80 • SFr 23,00 . ÖS 1849-
MorgenMeditationen
365 Einstimmungen in den Tag
DM 34,80 • SFr 32,50 . ÖS 2589-
428
Tantra Vom Sex zum kosmischen
Bewußtsein
DM 34,80 • SFr 32,50 . ÖS 2589-
Tantra – die höchste Einsicht
DM 14,80 • SFr 14,80 . ÖS 110,-
Die Tantrische Vision
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