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Schwerpunkt: Der Patient mit Schock

Internist 2004 · 45:258–266 U. Janssens1 · J. Graf2


DOI 10.1007/s00108-003-1135-x 1 Innere Medizin 1,Caritas-Krankenhaus,Bad Mergentheim
Online publiziert: 6.Februar 2004 2 Medizinische Klinik I,Universitätsklinikum Aachen
© Springer-Verlag 2004

Schwerpunktherausgeber
K.Werdan, Halle
H.-P.Schuster, Hildesheim
Was ist „Schock“?

D ie Notfall- und Intensivmedizin hat


die Aufgabe, akute kritische Abweichun-
Historisches gender zellulärer Hypoxie verursacht
wird.
gen der physiologischen Homöostase des Das Wort „shock“ ist die englische Über- Die Erforschung sog. Ziel- oder End-
Patienten zu überwachen, auszugleichen setzung des französischen Begriffs „choc“, organe des Schocks stand in der zweiten
und somit den drohenden Tod zu verhin- welcher durch den französischen Chirur- Hälfte des 20.Jahrhunderts im Mittelpunkt
dern. Der Schock stellt die Maximalvari- gen Le Dran erstmals 1737 zur Beschrei- des pathophysiologischen Interesses. Be-
ante einer Dysregulation der fein aufein- bung großer Traumata bzw. Schusswun- griffe wie Schockniere, Schocklunge und
ander abgestimmten Regelsysteme des den in der medizinischen Literatur Ver- septischer Schock oder Aussagen wie „The
Organismus als Reaktion auf ein initial wendung fand („Traité ou reflexions tirées gut – motor of shock“ [7] prägten die wei-
schädigendes Ereignis dar. Im Zentrum de la pratique sur les playes d’armes à feu“; tere experimentelle und klinische Ausein-
steht hierbei der kritische Abfall des Herz- [4]).Im englischen Sprachgebrauch wur- andersetzung mit dem Syndrom Schock.
zeitvolumens (HZV) bzw. ein inadäqua- de der Begriff „shock“ erstmals 1743 in der Gegenwärtig liegt der Fokus der Schock-
tes HZV mit konsekutiver Mikrozirkula- Übersetzung der Arbeit Le Drans durch forschung auf subzellulärem Niveau, d. h.
tionsstörung und unzureichender Ver- Sparrow verwendet („A treaties of reflec- die molekularbiologischen Regulations-
sorgung der einzelnen Organsysteme und tions drawn from the experience with prozesse mit den sehr komplexen Media-
Gewebe [9]. Somit ist allen Schockfor- gunshot wounds“; [9]). Schon Ende des torennetzwerken und die genetische Prä-
men ein Missverhältnis von Sauerstoff- 19. Jahrhunderts finden sich bereits Fall- disposition des einzelnen Patienten wer-
angebot und Sauerstoffverbrauch ge- berichte über Patienten im Schock durch den eingehend untersucht.
meinsam. Elektrolyt- und Flüssigkeitsverluste bei
Die adäquate Behandlung des Schocks Cholerakranken (O’Shaugnessy und Lat- Definition und Einteilung der
ist eine der Hauptaufgaben des Notfall- ta 1831/32), den Schock beim Coma dia- Schockformen
und Intensivmediziners. beticum (Fagge 1874) und das Schocksyn-
drom bei Verbrennungspatienten (Blum Schock ist definiert als unzureichende
▃ Nur durch einen möglichst frühen und 1876; [20]). Durchblutung vitaler Organsysteme un-
schnellen Behandlungsbeginn lässt sich Zunächst wurde ein muskulär-vaso- terschiedlicher Ausprägung mit nachfol-
ein Schockzustand erfolgreich behandeln. motorisches Versagen zusätzlich verstärkt gender Gewebehypoxie als Ausdruck des
durch einen Vagusreiz als wesentlicher Missverhältnisses zwischen Sauerstoff-
Unbehandelt verläuft dieses Krankheits- pathophysiologischer Mechanismus des transport (DO2) und Sauerstoffaufnahme
bild in der Regel tödlich. Schocks angenommen. Erst im späten (VO2).Dabei beruht die kritische Abnah-
Auch wenn die gemeinsame Endstre- 19. Jahrhundert wies Crile auf die Bedeu- me der Durchblutung unabhängig von der
cke des Schocks die Hypotonie mit Hy- tung des unzureichenden (Blut)volumens Ätiologie entweder auf einem absolut oder
poperfusion der Organe ist, bestehen in im Schock und auf eine Senkung der Le- relativ vermindertem Herzminutenvolu-
der auslösenden Ursache doch erhebliche talität durch Volumen- und Blutgabe hin men,vermindertem intravasalem Blutvo-
Unterschiede.Die differenzierte Kenntnis [8]. Nach dem 1. Weltkrieg wurde zuneh- lumen,einer Verteilungsstörung des Blut-
der Pathogenese und Pathophysiologie mend wissenschaftlich akzeptiert, dass flusses in der Peripherie oder einer Kom-
der einzelnen Schockformen hat eine er- ein Kreislaufschock nicht allein durch Hy- bination dieser Störungen [19].
hebliche Bedeutung für die Diagnostik potension, sondern durch die konsekuti- Die klassische Einteilung der Schock-
und vor allem für eine erfolgreiche The- ve und andauernde Minderperfusion kri- formen nach Hinshaw u. Cox [16] erfolgt
rapie [15]. tischer Organe und Gewebe mit nachfol- in 4 Kategorien (⊡ Tabelle 1; [19, 29]):

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Zusammenfassung · Abstract

▂ Kardiogener Schock (primäres Internist 2004 · 45:258–266


Pumpversagen des Herzens unter- DOI 10.1007/s00108-003-1135-x
© Springer-Verlag 2004
schiedlicher Ätiologie).
▂ Distributiver Schock (pathologischer U. Janssens · J. Graf
Anstieg der Gefäßkapazität, typische
Beispiele sind der septische, anaphy- Was ist „Schock“?
laktische und der seltene neurogene
Schock). Zusammenfassung
․Der septische Schock ist eine sep- Schock,abgeleitet vom französischen „choc“,ist grund.Ziel der Gegenregulationen ist die Wie-
sisinduzierte Verteilungsstörung definiert als unzureichende Durchblutung vitaler derherstellung und Aufrechterhaltung eines aus-
des zirkulierenden Blutvolumens. Organsysteme unterschiedlicher Ausprägung mit reichenden Herzzeitvolumens mit suffizienter Or-
․Der anaphylaktische Schock wird nachfolgender Gewebehypoxie als Ausdruck des ganperfusion.Eine Laktatazidose ist Ausdruck ei-
durch IgE-abhängige, Typ-I-aller- Missverhältnisses zwischen Sauerstofftransport ner zellulären Hypoxie.Die Minderperfusion und
gische, klassisch-anaphylaktische und Sauerstoffaufnahme.Da der Schock mit ei- Ischämie führt zu einer systemischen inflamma-
Überempfindlichkeitsreaktionen ner hohen Morbidität und Letalität einhergeht, torischen Reaktion,die,wird der Schockzustand
bzw. physikalisch, chemisch oder ist für die weitere zielgerichtete Therapie die Zu- überlebt,sekundäre Organschäden und ein Mul-
osmotisch bedingte, IgE-unabhän- ordnung der Schockform zu einer der 4 Hauptka- tiorganversagen verursachen kann.
gige anaphylaktoide Überempfind- tegorien (kardiogener,obstruktiver,distributiver
lichkeitsreaktionen ausgelöst. und hypovolämischer Schock) von besonderer Schlüsselwörter
․Der neurogene Schock beruht auf Bedeutung.Pathophysiologisch stehen beim Schock · Systemische inflammatorische
einer generalisierten und ausge- Schock die Aktivierung des sympathischen Ner- Antwort · Multiorganversagen · Gewebehypoxie ·
dehnten Vasodilatation mit relati- vensystems sowie renale,neurohumorale und lo- Hypotension
ver Hypovolämie infolge einer Im- kale vasoregulatorische Mechanismen im Vorder-
balance zwischen sympathischer
und parasympathischer Regulation
der glatten Gefäßmuskulatur [1]. Shock – what are the basics?
▂ Obstruktiver Schock (Behinderung
der Auswurffunktion des Herzens, Abstract
z. B. bei fulminanter Lungenembolie, Shock,derived from the French “choc”, is defined and neurohumoral mechanisms act to preserve
kritischer Aortenstenose und schwe- as a syndrome precipitated by a systemic deran- cardiac output and perfusion of the vital organ
re Behinderung der passiven diasto- gement in perfusion leading to widespread cel- systems.Lactate acidosis serves as a marker of
lischen Füllung der Ventrikel, z. B. lular hypoxia and vital organ dysfunction.There is critical hypoperfusion.Persistent hypoperfusion
akute Perikardtamponade). an apparently mismatch of oxygen delivery and und ischemia induce a systemic inflammatory
▂ Hypovolämischer Schock (verursacht oxygen uptake on the cellular level.Shock is as- response syndrome which may lead to multiple
durch einen herabgesetzten venösen sociated with significant morbidity and mortali- organ dysfunction or even multiple organ failure.
Rückstrom zum Herzen bei norma- ty.Therefore,rational therapy should rely on the
ler Pumpfunktion, z. B. bei akuten allocation to one of the four primary circulatory Keywords
Blutverlusten, Flüssigkeitsverlusten defects: cardiogenic,obstructive,distributive and Shock · Systemic inflammatory response
über die Niere, den Gastrointestinal- hypovolemic shock.Compensatory mechanisms syndrome · Multiple organ failure ·
trakt und bei Verbrennungen; ⊡ Ta- such as activation of the sympathoadrenal axis Cellular hypoxia · Hypotension
belle 2).

Das Alter des Patienten, relevante Vorer-


krankungen und die Dauer des Schock-
zustandes spielen für den Krankheitsver-
lauf eine entscheidende Rolle.

Klinische Zeichen

Bei allen Schockformen lassen sich bei


der klinischen Untersuchung die Auswir-
kungen der generalisierten Hypoperfusi-
on sichern [1]:

▂ Agitiertheit und ggf. Bewussteinstrü-


bung infolge zerebraler Hypoxie,

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Schwerpunkt: Der Patient mit Schock

konsekutiv zu metabolischen Störungen


führen und im Multiorganversagen en-
den [9].
Abb. 1  Ursachen des
kardiogenen Schocks bei Epidemiologie
1422 Patienten des
SHOCK-Registers mit
Kardiogener Schock
Myokardinfarkt.
(Nach [17])
Die häufigste Ursache für einen kardio-
genen Schock stellt der akute Myokard-
infarkt mit seinen mechanischen Kom-
plikationen,wie z.B.Ventrikelseptumrup-
tur, Papillarmuskelabriss oder linksvent-
rikulärem Pumpversagen dar (⊡ Abb. 1).
Die Inzidenz des kardiogenen Schock
beim akuten Myokardinfarkt ist über den
Zeitraum der letzten 2–3 Jahrzehnte mit
ca.7,5% konstant geblieben [13].Trotz frü-
her perkutaner Reperfusionsstrategien
und mechanischer Unterstützungssyste-
me wie z. B. der intraaortalen Ballonge-
genpulsation beträgt die Krankenhausle-
talität des kardiogenen Schock gegenwär-
tig immer noch etwa 50–60% [17].

Septischer Schock

Im Krankenhaus beträgt die Inzidenz des


septischen Schocks 3–7% [23, 24]. In ei-
nem prospektiven französischen Regis-
ter [2] lag die Häufigkeit des septischen
Abb. 2 ▲ Pathophysiologie des kardiogenen Schocks. (Nach [6])
Schocks bei 8,2/100 Intensivpatienten mit
einer seit 1995 steigenden Tendenz. Die
durchschnittliche Letalität dieser Patien-
▂ Hautblässe und Kaltschweißigkeit in- fund eines Schocks muss nicht immer ten betrug 60%. Die Letalität von Patien-
folge Vasokonstriktion bei sympa- nachweisbar sein.Bei einer ausgeprägten ten mit septischem Schock, die im Rah-
thoadrenerger Aktivierung, sympathoadrenergen Gegenregulation men von publizierten Studien behandelt
▂ Tachypnoe und Hyperventilation, oder Einsatz von Vasopressoren kann trotz wurden, liegt von 1958 bis 1997 im Mittel
▂ Hypotonie und Tachykardie, manifestem Schock ein normaler bis ho- bei etwa 49%, mit einem leichten Rück-
▂ Oligurie. her Blutdruck vorliegen. gang in den letzten Jahren [12].Der prädo-
Das HZV ist in der Regel erniedrigt minante Fokus der Sepsis ist die Lunge,
Die distributiven Schockformen bieten (z. B. Herzzeitindex <2,2 l/min/m2 beim gefolgt vom Abdomen [2,12].Die Häufig-
im Hautbefund ein anderes Erschei- kardiogenen Schock), bei anderen keit eines septischen Schocks ohne Erre-
nungsbild: Beim septischen Schock ist Schockformen kann es normal oder wie gernachweis nimmt in den letzten Jahren
die Haut heiß, gerötet und trocken, nur beim septischen Schock sogar erhöht zwar ab, beträgt aber immer noch min-
selten blass, kühl und feucht [1]. Beim sein. destens 30% [2].
anaphylaktischen Schock geht die sich Eine frühe Schockmanifestation ist die
meist rasch entwickelnde systemische Re- Gewebehypoxie,die sich an erhöhten Lak- Übrige Schockformen
aktion in mehr als 90% der Fälle mit tatkonzentrationen im Serum ablesen
Hauterscheinungen wie Pruritus, Flush lässt. Darüber hinaus setzt eine generali- Ausreichend verlässliche epidemiologi-
und Erythem einher. In schweren Fällen sierte inflammatorische Reaktion ein,die sche Daten zum hypovolämischen und
können Urtikaria und ein Angioödem im Rahmen einer erfolgreichen Schock- distributiven Schock liegen nicht vor.
auftreten. therapie (Ischämie – Reperfusion) weiter
Die arterielle Hypotonie (Blutdruck getriggert wird. Diese generalisierte In-
systolisch <90 mmHg, arterieller Mittel- flammation bestimmt entscheidend den
druck <60 mmHg) als wesentlicher Be- klinischen Verlauf des Patienten und kann

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123
Schwerpunkt: Der Patient mit Schock
Tabelle 1
Die Pathophysiologie des Schocks sei
Ursachen des Schocks. (Nach [19, 29])a exemplarisch am kardiogenen und septi-
Kardiogener Schock Hypovolämischer Schock schen Schock dargestellt.
Linksherzversagen Intravaskuläre Hypovolämie
Kardiogener Schock
Systolische Dysfunktion, Kontraktilität Ø : Blutung:
• Myokardinfarkt • Gastrointestinal
Ausgangspunkt des kardiogenen Schocks
• Ischämie und globale Hypoxie • Traumatisch
• Kardiomyopathie • Aortendissektion u. a. innere Blutungsquellen
ist die systolische Funktionsstörung mit
• Medikamente mit negativer Inotropie: Flüssigkeitsverluste über die Niere: herabgesetzter Auswurfleistung,aber auch
b -Blocker, Kalziumantagonisten, Antiarrhythmika • Diuretika die diastolische Störung mit Beeinträch-
• Herzkontusion • Osmotische Diurese (z. B. Diabetes mellitus) tigung der ventrikulären Füllung.Als sys-
• Respiratorische Azidose • Diabetes insipidus (centralis/renalis) temische Gegenreaktion erfolgt die Akti-
• Metabolische Störungen: Azidose, Gastrointestinale Flüssigkeitsverluste: vierung des sympathischen Nervensys-
Hypophosphatämie • Erbrechen tems sowie renaler, neurohumoraler und
Diastolische Dysfunktion: • Diarrhö lokaler vasoregulatorischer Mechanismen.
• Ischämie • Verlust über Magensonde Ziel der Gegenregulationen ist die Wie-
• Ventrikuläre Hypertrophie • Verlust über Stomata derherstellung und Aufrechterhaltung ei-
• Restriktive Kardiomyopathie Verlust in den extravasalen Raum: nes ausreichenden HZV mit suffizienter
• Nach prolongiertem septischem oder • Verbrennung Organperfusion.
hypovolämischem Schock • Trauma Der Abfall des Blutdrucks führt über
• Ventrikuläre Interdependenz • Postoperativ Erregung von Baro- und Chemorezepto-
Klappenfehler, strukturelle Schäden: • Sepsis ren zur Aktivierung des sympathischen
• Mitralstenose, Endokarditis Flüssigkeitsverluste über die Haut: Nervensystems. Folge ist ein Anstieg der
• Mitral-/Aorteninsuffizienz • Großflächige Wunden Herzfrequenz sowie eine Zunahme der
• Papillarmuskeldysfunktion/-ruptur • Verbrennungen venösen und arteriellen Vasokonstrikti-
• Ventrikelseptumruptur • Starkes Schwitzen
on insbesondere im Splanchnikus- und
• Ruptur der freien Ventrikelwand • Fieber
Muskelgefäßbett.Durch die Vasokonstrik-
Arrhythmien: Erhöhter venöser Widerstand
tion wird ein erheblicher Anteil des Blu-
Tachykarde Rhythmusstörungen Aszites
tes im Splanchnikusgebiet mobilisiert und
• Supraventrikuläre Tachykardie Tumorkompression oder -einbruch
die Vorlast somit erhöht. Das Renin-An-
• Ventrikuläre Tachykardie PEEP
Bradykarde Rhythmusstörungen Schwangerschaft
giotensin-Aldosteron-System (RAA-Sys-
Rechtsherzversagen Herabgesetzter venöser Tonus tem) wird als Folge inadäquater Nieren-
Kontraktilität Ø : Pharmaka: perfusion und sympathischer Stimulation
• Rechtsherzinfarkt • Sedativa aktiviert.Der konsekutive Anstieg von An-
• Ischämie und Hypoxie • Narkotika giotensin II führt zur peripheren Vaso-
• Azidose • Diuretika konstriktion und vermehrten Aldosteron-
Arrhythmien synthese; die renale Natriumretention und
Klappenfehler, strukturelle Schäden: Wasserresorption und damit das totale
• Trikuspidalklappeninsuffizienz Blutvolumen nehmen zu. Zusätzlich in-
• Klappenendokarditis duziert die Hypotonie die verstärkte Frei-
setzung von antidiuretischem Hormon
a Zur hämodynamischen Charakterisierung der einzelnen Schockformen siehe Tabelle 1 im Beitrag Laggner in
(ADH), das ebenfalls die renale Wasser-
dieser Ausgabe von Der Internist
retention begünstigt.
Der erhöhte Sympathikotonus führt
zur peripheren Vasokonstriktion und stei-
gert damit den peripheren Gefäßwider-
Pathophysiologie ▂ arterieller Sauerstoffpartialdruck, stand. Es kommt zur Kreislaufzentralisa-
▂ HZV. tion mit Minderperfusion von Splanch-
Bei den meisten Schockformen liegt das nikusgebiet,Nieren,Haut und Muskulatur,
Hauptproblem in einem inadäquaten Sau- Die genaue Kenntnis der Determinanten die über eine hohe Dichte an a-adrener-
erstofftransport (DO2). Der systemische des HZV ist zur klinischen Beurteilung gen Rezeptoren verfügen. Insgesamt re-
DO2 wird durch folgende Faktoren be- aber auch Steuerung der Therapie uner- sultiert eine Erhöhung des Blutdrucks mit
stimmt: lässlich. Hierzu zählen die Vorlast, die Umverteilung der Perfusion zugunsten
Nachlast und die Kontraktilität [9]. der lebenswichtigen Organe Herz und
▂ Hämoglobinkonzentration, zentrales Nervensystem (⊡ Abb. 2; [1]).
▂ arterielle Sauerstoffsättigung,

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Tabelle 1 (Fortsetzung)
Septischer Schock
Ursachen des Schocks. (Nach [19, 29])a
Im Verlauf der Sepsis kommt es infolge Distributiver Schock Obstruktiver Schock
einer Stimulation des Immunsystems und
Septischer Schock Fulminante Lungenembolie
Endokrinium zur Aktivierung und Frei-
Anaphylaktischer Schock Aortenstenose
setzung einer Vielzahl von humoralen und
Neurogener/spinaler Schock Hypertrophe obstruktive CM
zellulären Mediatoren.Die überschießen-
Perikardtamponade
de Freisetzung wird als Mediatorexplosi- Vermehrte Perikardflüssigkeit infolge
on bezeichnet.Als frühe Aktivatoren spie- • Perikarditis
len v. a. TNF-a und Interleukine eine be- • Urämische Perikarditis
sondere Rolle.Die beteiligten Systeme ver- • Tumorinvasion mit Blutung
laufen kaskadenartig, können aber auch Konstriktive Perikarditis
im Sinne eines Netzwerks miteinander Erhöhter intrathorakaler Druck
verbunden sein [1].Durch eine überschie- Spannungspneumothorax
ßende Entzündungsantwort kommt es zu Massive Pleuraergüsse
einer gestörten Vasoregulation und Endo- Mechanische Beatmung mit PEEP
theldysfunktion mit nachfolgender Dis- Erhöhter intraabdomineller Druck
tributionsstörung in der Makro- und Mik- Aszites
rozirkulation. Schwangerschaft
In diesem Zusammenhang kommt Paralytischer Ileus
Stickstoffmonoxid (NO) eine zentrale
a Zur hämodynamischen Charakterisierung der einzelnen Schockformen siehe Tabelle 1 im Beitrag Laggner in
Rolle zu. NO wird ubiquitär durch ver-
dieser Ausgabe von Der Internist
schiedene Zelltypen gebildet und entfal-
tet auf vaskulärer und zellulärer Ebene Tabelle 2
sowohl nützliche als auch schädliche Ef-
Spezielle Formen des hypovolämischen Schocks
fekte [18, 28]. Unter physiologischen Be-
dingungen wird NO aus L-Arginin (L- Hämorrhagischer Schock Akute Blutung ohne wesentliche Gewebeschädigung
Arg) im Endothel durch die konstitutive Hypovolämischer Schock im engeren Sinne Kritische Abnahme des zirkulierenden Plasma-
NO-Synthase (cNOS) gebildet. NO dif- volumens ohne akute Blutung
fundiert in die benachbarten glatten Mus- Traumatisch-hämorrhagischer Schock Akute Blutung mit ausgedehnter Gewebeschädigung
kelzellen and aktiviert die Guanylatcy-
Traumatisch-hypovolämischer Schock Kritische Abnahme des zirkulierenden Plasma-
clase. Zyklisches Guanosinmonophos- volumens ohne akute Blutung mit ausgedehnter
phat (cGMP) wird gebildet,welches durch Gewebeschädigung
Aktivierung einer cGMP abhängigen Pro-
teinkinase zu einer Relaxation der Ge-
fäße führt. Während einer Sepsis stimu-
lieren verschiedene inflammatorische ▂ Der Sauerstofftransport nimmt bei identifiziert werden,andererseits entfalten
Mediatoren wie Interferon, TNF-a, IL-1 progredienter myokardialer Funkti- Zytokine wie z. B. TNF-a, IL-1 und IL-6
oder plättchenaktivierender Faktor (PAF) onsstörung ab. nachweislich eine kardiodepressive Wir-
und Endotoxin die Bildung der induzier- kung [11].
baren NO-Synthase (iNOS) mit nachfol- Diese 3 Faktoren führen zu einem zuneh- Organminderperfusion, Zellhypoxie
gender Generierung großer Mengen NO mend gestörten Verhältnis zwischen DO2 und intrazelluläre Energieverarmung stel-
und konsekutiv ausgeprägter Vasodilata- und VO2. len die gemeinsame pathogenetische End-
tion [18]. Darüber hinaus konnten zahlreiche strecke der Organdysfunktion und damit
Der zelluläre Sauerstoffwechsel unter- Untersucher nachweisen, dass es bei der die Hauptfaktoren für die Entwicklung
liegt bei der Sepsis und im septischen Sepsis und v.a.dem septischen Schock zu des Multiorganversagens dar [1].
Schock dramatischen Veränderungen [18, einer kardialen Dysfunktion kommt.Da-
27]: bei ist sowohl der linke als auch der rech- Gemeinsame Endstrecke
te Ventrikel betroffen [22]. Die Ursachen
▂ Der Sauerstoffbedarf nimmt bei er- der Kardiodepression bei Sepsis sind wei- Als gemeinsame Endstrecke der Gegen-
höhtem Zellstoffwechsel zu. terhin nicht eindeutig geklärt.So wird die regulation des Organismus im Schock las-
▂ Die Sauerstoffextraktion (O2ER) Gegenwart von direkt kardiodepressiv sen sich folgende pathophysiologische
ist bei Veränderungen der mikro- wirkenden Substanzen im Blutstrom dis- Prozesse identifizieren [5]:
vaskulären Strombahn und erythro- kutiert, sogenannte „myocardial de-
zytären Sauerstoffabgabe [14] ge- pressant substances“ (MDS; [18]). Eine
stört. singuläre Substanz konnte bisher nicht

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Schwerpunkt: Der Patient mit Schock

Abb. 3  Entwicklung von


Organdysfunktionen,
-versagen in Folge eines
Schocks

Abb. 4  Schock und Multi-


organversagen. (Nach [26])

▂ Freisetzung von vasoaktiven Hormo- gung oder niedrigem Hämoglobin. Bei Organbeteiligung
nen wie Adrenalin, Noradrenalin so- manchen Schockformen wie der Sepsis,
wie Kortison. Verbrennung oder Trauma besteht ein Unabhängig von der auslösenden Ursa-
▂ Herzfrequenzanstieg und Steigerung deutlich erhöhter Sauerstoffbedarf. Un- che finden sich bei einem schweren und
der Kontraktilität mit dem Ziel, das ter normalen Bedingungen ist die Sauer- persistierenden Schock Schäden und Fehl-
HZV anzuheben. stoffaufnahme (VO2) unabhängig vom funktionen nahezu aller Organsysteme
▂ Arterioläre Vasokonstriktion mit DO2,da der Bedarf über die Sauerstoffex- (⊡ Abb.3). Ursächlich hierfür ist die Aus-
Umverteilung des Blutvolumens zu traktion geregelt wird. Die Sauerstoffex- bildung einer generalisierten Entzün-
Gehirn und Herz auf Kosten von traktionsrate kann von 25% bis auf 75% dungsreaktion,wodurch es zu einer inad-
Haut, Skelettmuskulatur, Nieren und gesteigert werden.Ab einem bestimmten äquaten und exzessiven Freisetzung von
Splanchnikusgebiet (Kreislaufzentra- Punkt, dem sogenannten kritischen DO2, Entzündungsmediatoren mit konsekuti-
lisation). besteht jedoch eine lineare Abhängigkeit ver Zellschädigung kommt [25].
▂ Konstriktion von venösen Kapazi- der VO2 vom DO2 [3]. Der zelluläre Ener- Jedes einzelne Organsystem sollte eng-
tätsgefäßen, um einen vermehrten giestoffwechsel muss in dieser Situation maschig auf eine beginnende Fehlfunk-
venösen Rückstrom zu erreichen. auf die anaerobe Glykolyse umstellen, tion hin überprüft werden, dazu zählen
▂ Freisetzung von ADH und Aktivie- wobei neben Adenosintriphosphat Lak- neben der klinischen Untersuchung auch
rung des RAA-Systems. Hierdurch tat entsteht. organbezogene Laborparameter.
vermehrte Wasser- und Natriumre- Dieses Konzept der pathologischen Nach der Phase der Multiorgandys-
tention, um das Intravasalvolumen Sauerstofftransportabhängigkeit wurde funktion schließt sich das Multiorganver-
aufrechtzuerhalten. jedoch vor allem für die Sepsis immer sagen (MOV) an.Dieses MOV,ein gleich-
wieder in Frage gestellt [9]. Hier scheint zeitiger oder in kurzen Abständen aufein-
Sauerstoffschuld es zu einer Entkoppelung der mitochon- anderfolgender Ausfall von Organsys-
drialen oxidativen Phosphorylierung zu temen, stellt bei den Patienten, die
Der Schweregrad eines Schocks ist mit kommen, sodass es trotz ausreichender den Schockzustand überlebt haben, im-
dem Grad der Sauerstoffschuld auf zel- oder sogar erhöhter VO2 zu einer Abnah- mer noch die Haupttodesursache dar
lulärer Ebene assoziiert [3]. In den meis- me der intrazellulären Energiespeicher (⊡ Abb. 4).
ten Fällen beruht das Sauerstoffdefizit auf kommt [10].
einem ungenügenden DO2 bei herabge-
setztem HZV, schlechter Sauerstoffsätti-

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Bedrohung für den Notfall- und Intensivpati- 11. Finkel MS, Oddis CV, Jacob TD,Watkins SC, Hattler BG,
enten.Rasches Erkennen der auslösenden Ur- Simmons RL (1992) Negative inotropic effects of cyto-
sache, zielgerichtete Diagnostik und sofort kines on the heart mediated by nitric oxide.Science
257: 387–389
einsetzende Therapie können den ansonsten 12. Friedman G, Silva E,Vincent JL (1998) Has the mortality
letalen Krankheitsverlauf aufhalten.Dabei ist of septic shock changed with time.Crit Care Med 26:
die genaue Kenntnis der Pathophysiologie 2078–2086
13. Goldberg RJ, Samad NA,Yarzebski J, Gurwitz J, Bigelow
der zu Grunde liegenden Krankheitsbilder C, Gore JM (1999) Temporal trends in cardiogenic shock
von herausragender Bedeutung, da sich hie- complicating acute myocardial infarction.N Engl J Med
raus durchaus unterschiedliche Therapiean- 340: 1162–1168
14. Graf J, Eichelbroenner O, Sibbald WJ (1999) The red
sätze ergeben können.Kardiogener, hypo- blood cell and nitric oxide.In: Vincent JL (ed) Yearbook
volämischer, distributiver und obstruktiver of intensive care and emergency medicine.Springer,
Schock stellen die ordnenden Kategorien dar. Berlin Heidelberg New York Tokio, pp 448–458
15. Higgins TL, Chernow B (1995) Receptor pyhsiology and
Überlappungen und fließende Übergänge pharmacology in circulatory shock.In: Sivak ED, Higgins
zwischen den einzelnen Schockarten sind im TL, Seiver A (eds) The high risk patient: management of
klinischen Alltag eher die Regel als die Aus- the critically ill.Williams & Wilkins, Baltimore, pp
1313–1337
nahme.Die systemische inflammatorische 16. Hinshaw LB, Cox BG (1972) The fundamental mecha-
Reaktion mit nachfolgender Organdysfunkti- nisms of shock.Plenum Press, New York
on tritt bei nahezu jedem überlebten Schock- 17. Hochman JS, Buller CE, Sleeper LA et al.(2000) Cardio-
genic shock complicating acute myocardial infarction –
zustand auf und kann in seiner Maximal- etiologies, management and outcome: a report from
ausprägung, dem Multiorganversagen, the SHOCK Trial Registry.Should we emergently revas-
Morbidität und Letalität dramatisch erhöhen. cularize occluded coronaries for cardiogenic shock? J
Am Coll Cardiol 36: 1063–1070
18. Janssens U (2003) Die septische Kreislauferkrankung.
Korrespondierender Autor Dtsch Med Wochenschr 128: 803–809
Priv.-Doz. Dr. U. Janssens 19. Janssens U, Hanrath P (1994) Schock.Internist 35:
673–689
Innere Medizin 1, Caritas Krankenhaus 20. Klippe HJ, Albrecht C (2001) Woher kommt der Begriff
Bad Mergentheim, „Schock“? Anasthesiol Intensivmed Notfallmed
Uhlandstraße 7, 97989 Bad Mergentheim Schmerzther 36 (Suppl): S79–S82
21. Landry DW, Oliver JA (2001) The pathogenesis of vaso-
E-Mail: uwe.janssens@ckbm.de
dilatory shock.N Engl J Med 345: 588–595
22. Parker MM (1996) Cardiovascular function in septic
Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor shock.In: Vincent JL (Hrsg) 1996 yearbook of intensive
versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, care and emergency medicine.Springer, Berlin Heidel-
deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer berg New York Tokio, pp 39–44
Firma,die ein Konkurrenzprodukt vertreibt,bestehen.

Der Internist 3 · 2004 | 265


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