Mikroschulungen
Von Mareike Tolsdorf
Kranke Menschen oder deren Angehörige der Lebensalltag in den Blick genommen. nach Zielgruppen differenziert werden, zu-
müssen immer mehr Aufgaben selbst über- Der grobe Verlauf, didaktische Schritte, das dem lohnt es sich nur, solche Kurse für gro-
nehmen. Die Erfordernisse liegen jedoch Übungs- und Anschauungsmaterial und die ße Prävalenzgruppen anzubieten wie z. B.
weder darin, jemandem „mal eben“ etwas Art der Dokumentation sind vorgegeben, Pflege bei Demenz, Apoplexie, Brustkrebs.
zu zeigen, noch erfüllen umfangreiche, ebenso Hinweise zur Evaluation der Mik- Dies ist durch die eins zu eins bzw. eins zu
vorgegebene Lehrkonzepte diesen Zweck. roschulung. Den umfangreichsten Textteil zwei Situation in Mikroschulungen anders.
Einzelne Fertigkeiten müssen häufig indi- nimmt die Sachanalyse ein, also das neu- Ein weiterer Nachteil vieler bisheriger Schu-
viduell, also maßgeschneidert, vermittelt zeitliche Wissen zum Thema, – hier sollte lungskonzepte ist der Versuch, Patienten zu
werden, deshalb sind Schulung und Bera- auf wissenschaftliche Stützung bzw. Evi- einem bestimmten Verhalten zu erziehen
tung wichtige Handlungsfelder in der Pflege. denzbasierung geachtet werden. und sie zu belehren. Der Patient bleibt ein
Dafür bieten sich Mikroschulungen an. passiver Empfänger, der Wissen konsumiert.
Der Begriff Mikroschulung zeigt, dass es Mikroschulungen dagegen sind darauf aus-
Merkmale von sich um ein kleinschrittiges Vorgehen in gerichtet, das Wissen und die Fähigkeiten
des Adressaten zu ergänzen, seine Selbst-
Mikroschulungen einem kurzen Zeitrahmen und um eine
bestimmung zu fördern und ihm zu helfen,
Schulung, also ein geplantes, zielorien-
Mikroschulungen sind kleine Lerneinhei- tiertes Vorgehen, handelt. Im Rahmen Experte in eigener Sache zu werden.
ten mit einer Zeitdauer von zehn bis 30 einer Mikroschulung können auch kur-
Minuten, die beliebig oft wiederholt wer-
Geeignete Themen
ze beratende und informierende Anteile
den können. Sie richten sich an ein bis zwei vorhanden sein. Im Rahmen einer Mikroschulung können
Adressaten, zumeist an einen Patienten nahezu alle Themen bearbeitet werden, wie
und/oder seine Bezugsperson. Im Rahmen folgende Aufzählung beispielhaft zeigt:
der Mikroschulung werden je nach The- Vorteile von ▪ Augentropfengabe
mengebiet Fertigkeiten, Verhaltensweisen ▪ Antibiotikamedikation
und/oder Wissensportionen vermittelt. Für
Mikroschulungen ▪ Anziehen von Kompressionsstrümpfen
die jeweilige Mikroschulung existiert ein Herkömmliche Schulungsprogramme sind ▪ Ernährung bei Diabetes mellitus
schriftliches Konzept, um ein planvolles oft auf große Gruppen ausgerichtet, bei ▪ Umgang mit Fatigue bei Krebserkran-
Vorgehen und eine Grundlage zu schaffen, denen auf den Einzelnen nicht individuell kungen (s. hierzu den Beitrag „Fatigue“
an der sich alle schulenden Personen ori- eingegangen werden kann. Die Lernziel- in den Zusatzinformationen zu Lernein-
entieren können. Trotzdem können Ziele, orientierung bleibt allgemein gehalten, es heit 5 in CNE.online)
Inhalte und das Vorgehen individuell an- ist wenig Übertragung auf den konkreten Aber auch die Umsetzung vielschichtige-
gepasst werden; vorhandene Erfahrungen Alltag des Einzelnen möglich. Da große rer Inhalte im Rahmen von Mikroschu-
und Fähigkeiten werden berücksichtigt, Gruppen gebildet werden, kann nur wenig lungskonzepten ist durchaus möglich. Das
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Sozial- und Personalkompetenz 11
Netzwerk Patienten- und Familieneduka- sehen ist, dennoch ist ein Einsatz in diesem abhängig vom Themengebiet verschiedene
tion in der Pflege e. V. hat beispielsweise Rahmen möglich und wird mit ca. 80 Euro Dinge enthalten:
neben dem Thema „subkutane Injektion“ pro Doppelstunde vergütet. Leider machen ▪ mögliche Zielsetzungen
auch das Thema „Sturzvorbeugung“ als Mi- die Pflegekassen kaum Aussagen zur Qua- ▪ Broschüren und Informationsblätter
kroschulung konzeptionalisiert (Tolsdorf litätssicherung des zu vermittelnden Wis- ▪ Materialien zum praktischen Üben
2009). sens. Im Gegensatz dazu muss im Rahmen ▪ Tafeln zur Erläuterung
Bei der Auswertung des Konzeptes von Disease-Management-Programmen ▪ Gesprächsleitfäden
„Mikroschulung am Beispiel der subkuta- (SGB V) jede Aussage evidenzbasiert sein. ▪ Checklisten sowie Dokumentations- und
nen Injektion“ wurde der Bedarf an man- Der Einsatzort und Zeitpunkt einer Mik- Evaluationsbögen
nigfaltigen Themen deutlich. Auf die Frage, roschulung sind flexibel. Mikroschulungen
welche Themen für die praktische Arbeit können beispielsweise im Patientenzimmer Schulungsablauf. Der eigentliche Schu-
als nächstes in Form einer Mikroschu- im Krankenhaus stattfinden, in der häusli- lungsablauf gliedert sich in verschiedene
lung umgesetzt werden sollten, wurden chen Umgebung des Betroffenen oder auch Anteile (➙ Infobox). Grundlegend ist dabei
an erster Stelle die Themen Umgang mit in den Räumlichkeiten eines Patienten- die individuelle Einschätzung des Adressa-
harnableitenden Systemen (transurethral, Informationszentrums (PIZ). Am besten ist ten.
suprapubisch), parenterale Ernährung/ immer die Schulung vor Ort in der Lebens-
Umgang mit PEG, Tracheostoma, Selbstka- und Alltagswelt des Adressaten. » Beispiel. Ein 25-jähriger Patient, der seit
theterismus, Wundversorgung und Stillen frühester Kindheit Diabetiker ist und sei-
genannt. Mikroschulungskonzepte nen Alltag darauf ausgerichtet hat, benötigt
entwickeln andere Inhalte als die 72-jährige Patientin,
Erforderliche Kompetenzen Der Umfang eines Mikroschulungskonzepts bei der kürzlich ein „Altersdiabetes“ diag-
Vor allem Pflegefachkräfte in der Alten- kann je nach Thema variieren, durchschnitt- nostiziert wurde. Bei Ersterem stehen kon-
bzw. Gesundheits- und Krankenpflege, die lich sind es 15 bis 30 Seiten. Einen Großteil krete Fragen und gefährliche Situationen im
sich zusätzlich auf ein Thema spezialisiert nehmen die Sachanalyse, Dokumentations- Vordergrund, die ältere Patientin benötigt
haben, sollten die Mikroschulungen durch- vorlagen und andere Anhänge ein. Trotz dagegen Grundlagenwissen zum Diabetes
führen. Beispielsweise sind beim Thema eines prinzipiell gleichen konzeptuellen mellitus. «
Sturzvorbeugung zusätzliche Kenntnisse Rahmens können Mikroschulungen ganz
von Bewegungskonzepten erforderlich oder unterschiedlich aufgebaut sein – abhängig Abhängig vom Adressaten und den Rah-
bei der Dekubitusversorgung Kenntnisse im vom Themengebiet. Grundlegend sind je- menbedingungen werden verschiedene
Wundmanagement. Neben dem fachspezifi- doch drei Bestandteile: Wissenstiefen angestrebt (➙ Infobox). Das
schen Wissen sind pädagogische und didak- ▪ Sachanalyse Alltagswissen und subjektive Krankheits-
tische Fähigkeiten notwendig. Dazu gehört, ▪ Schulungsmaterialien theorien des Patienten haben einen großen
dass die schulende Pflegekraft nach Bedarf ▪ Schulungsablauf Einfluss auf die Lernbereitschaft und müssen
informierende, schulende oder beratende deshalb erfasst und berücksichtigt werden.
Anteile anpasst. Sachanlayse. Mikroschulungskonzepte Der Schulende sollte die Ängste, Hemmnis-
Daneben sind grundsätzliche Aspekte zeichnen sich u. a. durch die Wissensba- se und Probleme des Patienten, aber auch
wichtig, wie eine wertschätzende Haltung, sierung aus, daher wird jede Mikroschu- seine Fähigkeiten, Bedürfnisse, Ressourcen
Ermutigung, eine verständliche, alltagsnahe lung auf Grundlage einer Recherche der und Lernmöglichkeiten sowie sein Lebens-
Sprache, die Fähigkeit, sich dem Tempo des aktuellen wissenschaftlichen Literatur er- umfeld kennen. Beispielsweise kann allein
Lernenden anzupassen (Pausen, Wiederho- stellt, die ggf. durch Expertenbefragungen die Materialbeschaffung und -entsorgung
lung, etc.) und seine Erfahrungen einzube- ergänzt wird. Eine solche Sachanalyse ist zu Hause Probleme aufwerfen.
ziehen. Die themenzentrierte Interaktion unumgänglich, gerade weil die evidenzba-
nach Ruth C. Cohn (Cohn 1975, Schneider- sierte Pflege noch in den Kinderschuhen
Übersicht Schulungsablauf
Landolf et al. 2009) ist ein Modell, das sich steckt. Einschränkend muss jedoch gesagt
für die Konzeption von Mikroschulungen werden, dass eine Evidenzbasierung nicht ▪ Vorwissen des Adressaten feststellen,
eignet. (s. auch den Beitrag „Edukative An- immer möglich ist. Hilfreich sind die Ex- Haltung und Motivation erkennen
sätze in der häuslichen Pflege“ in dieser pertenstandards des Deutschen Netzwerks ▪ Richtziel und Feinziele vereinbaren
Lerneinheit). für Qualität in der Pflege (DNQP), die als ▪ Wissen ergänzen, Inhalte materialge-
evidenzbasiert gelten und somit als theo- stützt darstellen, ggf. praktische De-
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