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Dem Zeitgeist um Jahre voraus

07.02.2009 00:00

Café Verkehrt seit 25 Jahren kultureller Treffpunkt

Dem Zeitgeist um Jahre voraus

Kleinkunstforum, Musikbühne, Galerie, Szenetreffpunkt: Seit nun 25 Jahren ist das „Café Verkehrt“ in
Murg-Oberhof eine feste Größe im Kulturleben. Bekannt ist das Lokal nicht nur am Hochrhein und im
Südschwarzwald. Das „Verkehrt“ war und ist Anlaufstelle von Musikgruppen aus ganz Deutschland.

25 Jahre Café Verkehrt: Erinnerungen werden wach bei den heute über 40-Jährigen. Die Erinnerungen
sind verbunden mit Heimatgefühl und einer zur damaligen Zeit in Murg-Oberhof nie da gewesenen
Verbindung von gastronomischer und musikalischer Kultur.

All das in Mitten eines kleinen Dorfes, in dem kaum einer vermutete, dass eine derart weltoffene
Institution, am Fuße des Hotzenwaldes überhaupt möglich ist. Auf den ersten Blick nicht sofort zu
erkennen, aber dennoch nicht zu übersehen. Schnell wusste jeder, was gemeint war, wenn es hieß:
„Treffen wir uns heute Abend im Café?“

Das Café und sein Herz, das in ihm schlug, hat sicherlich etliche Jugendliche geprägt, in einer Zeit, in der
Gründer Klaus Reymann fünf Tage die Woche seine einzigartige Wirtskultur lebte und stets dem Zeitgeist
um viele Jahre voraus war.

Wo gab es das damals schon: eine Teezeremonie in gebranntem Tongeschirr, Biosäfte, eine Speisekarte
voll kulinarischer Genüsse und der unverkennbare Duft der heiß begehrten Crêpes, egal ob süß oder
deftig, der sich Appetit treibend durch die vier Ebenen des Cafés zog. Wer hatte schon die Gabe, aus einer
mehrere Tausend Schallplatten umfassenden Sammlung entsprechend der individuellen Stimmung
zielgenau die passende Scheibe heraus zu greifen? Und genau über diesen Griff eine Atmosphäre ins Café
zu zaubern, die alle ansprach? Oder wer kam zu damaliger Zeit schon auf die Idee, einen Nichtrauchertag
einzuführen?

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„Wer das Café kannte, blieb in ihm hängen“, denkt Sonja Sarmann an die Zeit zurück, als sie im Alter von
24 Jahren sozusagen zum Inventar zählte. Jedes Wochenende fuhr die heutige Jugendberaterin vom
Studium in Köln mit dem letzten Zug in Murg ein, um pünktlich im Café zu sein, wenn es öffnete. Sie
gehörte aber nicht zu den Gästen, sie unterstützte Klaus Reymann, der im Alter von nur 27 Jahren den
Scheunenboden mit vier Ebenen neben dem Gasthof Löwen in Oberhof zu einer Einrichtung von
unnachahmlichem Charme umbaute. Zu einem Ort, der Menschen aus der ganzen Region anzog und für
den etliche Kilometer gefahren wurden, ohne dass lange darüber nachgedacht werden musste.

Das Café Verkehrt, dessen Name für das miteinander Verkehren, aber auch für das etwas andere Café
steht, war seinerzeit Kult und nicht mehr wegzudenken aus den Köpfen vieler „Heimatsuchender“, wie es
Sonja Sarmann liebevoll umschreibt. „Hier haben die Gäste ein außergewöhnliches Zuhause gefunden, in
dem sie sich wohl fühlten, wo man auch als Frau alleine hingehen konnte, Freunde traf und im
Handumdrehen ins Gespräch kam.“ Oder wo sich Jugendliche trafen, um einfach nur die eine oder andere
Runde am Billardtisch bei einem Glas Cola, Wein oder Bier zu verbringen.

Zwei Jahre, nachdem Reymann, auch bekannt unter dem Namen „Ivan Bunt“, das Café eröffnet hatte,
wurde im Juli 1985 die Hotzenwälder Kleinkunstbühne (HKKB) ins Leben gerufen. „Von Beginn an ist
die Kultur über die Grenzen hinaus gegangen“, erzählt die heute 49-Jährige Sonja Sarmann. Erst fanden
wöchentlich Konzerte statt, später kamen hochkarätiges Kabarett, Theater, Lesungen und Ausstellungen
hinzu.

Im Verkehrt gaben sich bekannte Künstler wie Podewitz, Faltsch Wagoni, Holger Paetz, Stiller Has und
Jürgen Waidele die Klinke in die Hand. Sogar Schlagzeug-Weltstar Billy Cobham trommelte hier.

Angesichts der vielen Einträge und Bilder in zahlreichen Alben, denkt Sonja Sarmann beim Durchblättern
mit einem Lächeln an die Erlebnisse im Laufe der Jahre zurück und erzählt: „Den Veranstaltungen
schlossen sich immer lange Gespräche bis in die tiefe Nacht, oder vielmehr bis in die frühen
Morgenstunden an.“ Die Fachsimpeleien, amüsante wie ernsthafte, tiefschürfende oder hoch intellektuelle
Gespräche waren nicht selten begleitet von spezieller Kochkunst in der offenen Küche des Cafés
beziehungsweise der privaten Räumlichkeiten von Klaus Reymann oberhalb des Cafés, in denen noch
etwas Feines gebrutzelt wurde. Denn die auftretenden Künstler wurden verwöhnt und nicht nur mit einem
belegten Brötchen abgespeist. Der Nichtrauchertag, eingeführt 1989, entwickelte sich zum absoluten
Renner.

„250 bis 300 Gäste füllten jeden Mittwoch das Café oder vielmehr den Eingangsbereich vor der Tür“,
schmunzelt Sonja Sarmann. Traurig wird sie, wenn sie an den Januar 1998 zurückdenkt: Klaus Reymann
kommt in seiner Wohnung durch einen tragischen Unfall ums Leben.

Nach etlichen Pächterwechseln öffneten die heutigen Eigentümer - seit 2002 Reinhard und Daniela Schrot
- wieder die Pforten des Cafés. Dank ihnen und dem unermüdlichen Engagement der Mitglieder der
Hotzenwälder Kleinkunstbühne füllen rund 15 Veranstaltungen und zehn Partyabende für die Jugend pro
Jahr das Café weiterhin mit Leben. „Die Atmosphäre von damals ist zwar sicherlich nicht mehr
gegenwärtig, aber mit jedem Auftritt lassen die Künstler sie wieder aufleben und es ist schön, wenn man
das Gefühl von damals mit anderen teilen kann“, sagt Sonja Sarmann.

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Klaus Reymann, der Gründer des Café Verkehrt, starb 1998.


Privat

Sonja Sarmann erinnert sich an 25 Jahre Café Verkehrt.


Ramsteck

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