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727 Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr.

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unbewußt bestimmen sie kirchliches Leben und Reden und den lichen Glaubens überwinden. Das dürfte mit der beste Dienst
Stil traditioneller Frömmigkeit noch immer. Wer jedoch heute sein, den man heute der Kirche tun kann.
glauben will, muß gelehrt werden, den Weg des Denkens zu Wer sich auf diese Bahn begibt, wagt sich freilich auf einen
gehen. Glauben ohne Denken ist ein Ausweichmanöver, das der harten Weg. Denn es hat nur Sinn weiterzugehen, wenn man
Wirklichkeit des Lebens fern bleibt. Das läßt sich leicht sagen, radikal zu fragen und radikal zu argumentieren bereit ist. Das
aber man muß auch erkennen, wie oft Stil und Form unserer aber bedeutet immer wieder, liebgewordene, mitgebrachte Vor¬
Frömmigkeit zu diesem Fluditweg dennoch unbewußt einladen. stellungen abwerfen zu müssen, und es bedeutet audi, neugewon¬
Unsere Neigung, den Glauben als eine besondere Situation, als nene immer wieder kritisch in Frage stellen zu lassen. Es gibt auf
eine eigene Provinz, als ein vom natürlichen Fluß des Lebens keinem Gebiet Erkenntnis ohne Schmerz, und das ist auch hier
abgehobenes Terrain anzusehen und zu meinen, daß dort das so. Ratlosigkeit und Verlegenheit werden einem oft nicht erspart
Gefilde der Frömmigkeit mit ihren überlieferten Weisen sei, ist bleiben. Jenseits dieses Durchgangsstadiums werden dann manche
verdächtig groß. Dieser Neigung widerstehen heißt: Denken und oder gar viele herkömmliche Weisen und Übungen eines tradi¬
Glauben aufeinander beziehen. Denn Glauben ohne Denken ist tionellen Glaubens nicht mehr möglich sein. Wir werden zugleich
für einen erwadisenen Menschen so kindisch, als wollte er andere aber die Freiheit und den größeren Atem zu neuen Weisen und
wesentliche Entscheidungen oder Situationen seines Lebens ge¬ eigenen Wegen finden. Denn der Glaube und die von ihm ge¬
dankenlos übernehmen. Das eine geht so wenig wie das andere, prägte Frömmigkeit wandeln sich am Leben, und zugleich prägen
und es ist vollauf berechtigt, wenn viele der Kirche distanziert sie das Leben. Das ist mehr als nur ein Austausch von unmoder¬
gegenüberstehende Mensdien diese Zumutung ablehnen. Es nen mit modernen Vokabeln. In Wandlungen der Frömmigkeit
kommt hinzu, daß die Lebensfremdheit und die Indolenz man¬ allein kann der Glaube sich und seinem Ursprung treubleibcn.
ches Zeitgenossen, der sich auf seinen sogenannten Glauben be¬ V.
ruft, nur zu deutlich zeigt, wie unsinnig dieser eingeschlagene
Weg ist. Überblicken wir die genannten Aspekte, die ja ihrerseits
Dabei geht die gegenwärtige Situation mit ihrer erschrecken¬ auch nur Auswahlcharakter haben, so zeigt 6ich, daß das ratio¬
den Diskrepanz zwischen theologischem Denken und der Fröm¬ nale Moment in allen eine entscheidende Rolle spielt. Wird also
migkeit der Gemeinde zum guten Teil gerade in Sachen mangel¬ hier der Glaube und seine Lebensform, die Frömmigkeit, an die
hafter theologischer Information zu Lasten der Kirche. Es hat Ratio ausgeliefert? Sind Glaube und Ratio miteinander identisch
Zeiten gegeben, in denen die Predigt der Kirche aus vielerlei geworden, ist die Ratio Maßstab?
Motiven ihre Gemeinden über die gegenwärtige theologische Si¬ Wir kommen damit auf unsere Eingangsüberlcgungen zurück.
tuation vollkommen im Linklaren gelassen hat, und man kommt Am verstehenden Menschen sich orientieren, heißt noch nicht ihn
auch heute sehr oft an der Frage nicht vorbei, ob diese Zeiten verabsolutieren. Die Ratio konsequent in die Lebensform und
wirklich schon ganz zu Ende sind. Die Verkündigung der Kirche Lebensdeutung des Glaubens einzubeziehen, heißt noch nicht, sie
und ihre anderweitigen Verlautbarungen bis hin zu den Lebcns- zum absoluten Maßstab erheben. Aber unser Welt- und Lebens¬
erdnungen sind bis in den Bezirk des Unbeabsichtigten hinein verständnis wird generell derart durch rationale Durchdringung
beredte Beispiele. Jedenfalls ist soviel deutlich: Wer heute gelehrt bestimmt, daß davon niemand absehen oder dahinter wieder zu¬
werden will, in den Dingen des Glaubens nüchtern, klar und ver- rück kann, es sei denn um den Preis wahrer Lebens- und Welt-
antwortlidi zu denken, der wird im Durchschnitt von dem An¬ verantwertung — es sei denn um den Preis des Glaubens! Wenn
gebot kirchlicher Verkündigung nicht immer befriedigt sein kön¬ dies aber so ist, dann gibt es auch für den gelebten Glauben kei¬
nen. Es kommt noch erschwerend hinzu, daß ein nicht geringer nen Weg an der Ratio, am Denken vorbei. Vielmehr liegt auf die¬
Kreis von Menschen sich der Verkündigung der Kirche aus vie¬ sem Weg die Möglichkeit neuer Erfahrungen des Glaubens am
lerlei Gründen gar nicht aussetzt, deswegen aber nicht minder Material des Lebens. Und dies heißt auch: So erst kann begrif¬
intensiv theologisch interessiert ist und theologisch fragt. Daher fen werden, daß in der Verkündigung und ihrer Erhellung
ist es eine unabweisbare Notwendigkeit, die traditionellen For¬ menschlich-geschichtlichen Lebens von Horizonten die Rede ist,
men kirchlicher Verkündigung immer wieder zu durchbrechen und die letztlich rational gerade nicht aufgehen. Aber: Das rational
auf andere Weise zu versuchen, jene Denkhilfen zum Glauben nicht Aufgehende gewährt sich uns heute nicht im vorrationalen
zu geben, auf die jeder heute angewiesen ist. So könnte man ein Feld, sondern im begreifenden Durchschreiten aller in¬
wenig überspitzt sagen: Die Funktion, die früher Andachtsbücher tellektuellen Möglichkeiten, die Zeit und Geschichte uns aufge¬
gehabt haben, müssen heute Darlegungen übernehmen, in denen geben haben.
es um gedankliche Klärungen geht, wie 6ie uns die Theologie un¬ Dieser Weg führt zugleich fort von allen bloß individuellen,
serer Tage an die Hand gibt. Man kann ja nicht Andacht halten, innerlichen Formen der Frömmigkeit vergangener Zeit. Gelebter
man kann auch nicht beten in der Gegenwart, wenn man nicht Glaube gewinnt wohl heute nur in dem Maße seine zu reditferti-
das, was man damit tut, gründlich durchdenkt. Es muß uns um der gende Gestalt, da der Einzelne sich gesellschaftlich zu begreifen
Lebendigkeit und nicht zuletzt auch um der Argumentations¬ vermag. Was das überhaupt bedeutet, für Formen und Strukturen
fähigkeit gegenüber Andersdenkenden willen daran liegen, Theo¬ der Frömmigkeit, für die Verkündigung und das Handeln der
logie und Glauben wieder ganz und gar aneinanderzurücken, Kirche, das muß immer aufs neue bedacht werden. Dazu bedarf es
Theologie und Glauben wieder in ihrem gegenseitigen Durchdrun¬ dringlich der Aufarbeitung wesentlicher „nichttheologischer" Er¬
gensein zu begreifen, damit wir die Geistlosigkeit eines vermeint¬ kenntnisse seitens der Theologie und der Kirche.

Zeloten und Sikarier


Von Günther Baumbach, Berlin
Herrn Professor D. Dr. Johannes Schneider zum 70. Qehurtstag
Die Auffindung der Qumrantexte und ihre wissenschaftliche schrieben werden muß"1. Fragwürdig ist vielmehr alles das ge¬
Auswertung in den letzten Jahren hat manche festgefügte Mei¬ worden, was über das Judentum und seine Gruppierungen in den
nung in Frage gestellt. Das durch diese Texte notwendig ge¬ Neutestamcntlichen Zeitgeschichten weithin als opinio commu¬
wordene wissenschaftlidie Umdenken bezieht sich nun aber nis vertreten wurde; denn die hinter den verschiedenartigen
nicht, wie in der ersten Entdeckerfreude vermutet wurde, darauf, Qumranschriften stehende Gemeinschaft läßt sich in unser bis¬
daß die ,,Qumranliteratur unsere bisherige Auffassung von den heriges schematisches Bild von dem Judentum des 1. nachchrist-
Anfängen des Christentums umzuwälzen verspricht" und deshalb
„alles, was bis heute über das Neue Testament existiert, umge- ') E. Wilson: Die Schriftrollen vom Toten Meer, 1956, 67.
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liehen Jahrhunderts nur schwer einordnen. Auf diese Weise ist „Sikarier" als eine besonders fanatische Fraktion der „Zeloten"
das Mißtrauen gegenüber den Quellen, denen wir ein solches gelten. Schon 1856 findet sich bei H. Graetz die Unterscheidung
Bild verdanken, verstärkt worden. Da die Hauptquelle auf die¬ zwischen der „zelotischen Revolutionspartei" bzw. den „patri¬
sem Gebiet die Schriften des Josephus (Jos.)2 sind, ergibt sich otischen Zeloten unter Eleazar" und den „zuchtlosen Sikariern",
für uns heute die Aufgabe, die von Jos. gebotene Darstellung wobei er die „Sikarier" als den „Auswurf der Zelotenpartei,
der jüdischen Gruppenbildung kritisch zu beleuchten. Von deren Führer später die Enkel des Galiläers Juda mit Namen
großer Bedeutung ist dabei die Frage nach der zelotischen Auf¬ Menahem und Eleasar ben Jair geworden sind", versteht8. Judas
standsbewegung, weil die Schilderung dieser „Partei" offen¬ gilt ihm als Stifter und Gründer der „Zelotenpartei", die „an¬
kundige Widersprüche und Entstellungen aufweist. So duldete fangs nur von den Schammaiten gebildet wurde" und nichts mit
nach BJ II, 118 die von dem „Galiläer Judas" gegründete den „Sikariern" zu tun hatte"9. In Anlehnung an E. Sdiürer, der
Widerstandsbewegung nach Gott keine sterblichen Gebieter über die Sikarier als „fanatischere Fraktion der Patrioten" charakteri¬
sich. Deshalb bildeten sie eine eigene „Sekte" (löia uigeoig), siert hatte10, kennzeichnen O. Michel und O. Bauernfeind die
„die den anderen in nichts glich". Dagegen heißt es in Ant. Sikarier als den „radikalen Flügel der Zeloten", der „eine Art
XVill, 4. 9. 23, daß von dem „Gaulaniter Judas und dem patriotischer Geheimorganisation" bildete11. Auch M. Hengel
Pharisäer Saddok" etwa 6 n. Chr. „eine vierte Philosophen¬ nennt die Sikarier „jene aktivste und zugleich führende Gruppe
schule" gegründet worden sei, „deren Anhänger in allen ande¬ der zum Krieg hindrängenden Aufrührer" und spricht ebenfalls
ren Stücken mit den Pharisäern übereinstimmen, dabei aber mit von einem „wohlorganisierten Geheimbund". „Parteien" wur¬
großer Zähigkeit an der Freiheit hängen und Gott allein als den erst dann sichtbar, „als zu Beginn des Aufstands in der
ihren Herrn und König anerkennen". Ubereinstimmung besteht jüdischen Freiheitsbewegung eine Spaltung eintrat"1". Demzufolge
zwischen beiden Aussagen nur darin, daß als Charakteristikum kommt nach Hengel „mit der Ermordung Menahems. .. die
dieser „Partei" ihr radikales Verständnis des 1. Gebots ange¬ Betrachtung der Zeloten als einer geschlossenen Partei zum Ab¬
geben wird'. Die Problematik der genannten Aussagen wird schluß"13. Im Gegensatz zu diesen Forschern, die den Namen
noch verstärkt, wenn wir die „Refutatio omnium haeresium" „Zeloten" der von Judas gegründeten Partei beilegen, haben
des Hippolyt heranziehen, der in IX, 18—28 ausführlich die Be¬ Jackson - Lake darauf hingewiesen, daß Jos. die „vierte Philoso¬
sonderheit der Essener schildert und dabei in IX, 26 erwähnt, phenschule" nicht „Zeloten" nennt, vielmehr mit diesem Namen
die Essener hätten sich im Laufe der Zeit in vier Parteien ge¬ ausschließlich die Anhänger des Johannes von Gischala meine:
spalten, von denen die eine ein radikales Verständnis des Bilder¬ „It is quite clear from Josephus that the name ,Zealot'.. .
verbots, die zweite eine gewaltsame Durchführung der Beschnei¬ applies to John's following and to no other — a party equally
dung und die dritte eine rigoristische Auslegung des 1. Gebots opposed to the Sicarii, to the priests, and to the faction of
vertrat. Merkwürdigerweise wird gerade über die Anhänger der Simon ben Giora"11. Unter den „Sikariern" sind nach Jackson -
2. Partei gesagt: „So haben sie dieser Sache wegen den Namen Lake die in der Zeit des Felix aufgetretenen, mit einem Doch
Zeloten angenommen; manche nennen sie Sikarier"4. Demzu¬ (sica) bewaffneten Aufrührer zu begreifen, die dann später in
folge wird diese „Partei" nach der einen Quelle von« allen Masada ihr Hauptquartier hatten15.
anderen jüdischen Gruppen prinzipiell unterschieden, während
sie nach der anderen Quelle von den Pharisäern und nach der II.
dritten von den Essenern herkam.
Mit Ausnahme von Jackson - Lake betrachten also alle
In den genannten drei Quellen5 fällt nun aber auf, daß angeführten Autoren die von Judas Galiläus gegründete Auf-
nicht nur über den Ursprung dieser Aufstandsgruppe, sondern ständigenpartei als „Zeloten" und verstehen die „Sikarier" als
auch über ihre Bezeichnung keine Übereinstimmung besteht. eine daraus hervorgegangene radikale Gruppe. Insofern lassen
Gemäß BJ war diese Aufstandspartei in verschiedene Gruppen diese Forscher die Tatsache unberücksichtigt, daß Jos. weder die
zerspalten, von denen eine „Zeloten" und eine andere „Sikarier" von Judas gegründete „Partei" noch die von den Nachfolgern
genannt wird6. Im Unterschied dazu spricht Jos. in Ant. nur von des Judas befehligten galiläischen Aufständischen als „Zeloten"
..Sikariern", vermeidet also den Terminus „Zeloten" völlig. bezeichnet. Statt dessen ergibt sich aus BJ VII, 253 f., daß Jos.
Hippolyt erwähnt demgegenüber eine von „manchen" vorge¬ die von Judas ins Leben gerufene Bewegung „Sikarier" nennt10.
nommene Gleichsetzung von „Zeloten" und „Sikariern". Wir In dem Rückblick auf die Aufstandsbewegung in BJ VII, 262
wollen uns deshalb im folgenden der Frage zuwenden, ob es —268 führt Jos. an erster Stelle die Sikarier17, an zweiter Stelle
sich bei „Zeloten" und „Sikariern" um ein und dieselbe Gruppe Simon bar Giora, an dritter Stelle die Idumäer und an vierter
oder um zwei voneinander verschiedene Gruppen handelt. und letzter Stelle die Zeloten an. Da der in Ant. vorliegende
I.
Tatbestand in die gleiche Richtung weist18, liegt kein Grund vor,
mit M. Hengel die in BJ VII, 262 ff. enthaltene Aufzählungs¬
Eine Durchsicht der wichtigsten Literatur zu diesem Kom¬ anordnung der einzelnen Aufständisdiengruppen als „entgegen
plex macht deutl-'ch, daß entweder g'anz unreflektiert alle jüdi¬ der historischen Reihenfolge"19 zu kritisieren. Entsprechend der
schen Aufständischen des 1. nachchristlichen Jahrhunderts zu von Jos. gebotenen Reihenfolge wollen wir jetzt mit der ge-
der „zelotischen Bewegung" gerechnet werden7 oder daß die
karier" begegnet bei ihm nirgends (vgl. auch: Die Geschidite des
2) An erster Stelle ist hier die Vespasian und Titus gewidmete Christus, 19232, 304 ff.).
(vgl. Vita 361; Ap. 1,50) Schrift: De Belle- Judaico zu nennen, die 6) H. Graetz: Geschichte der Juden, III, 1856, 349. 369. 376
jedoch eine einzige Verherrlichung Roms und eine Anklage gegen die (= 1906"', 432. 454. 461).
in den schwärzesten Farben geschilderte jüdische Aufstandsbewegung 9) H. Graetz, a. a. O., 249 f.
darstellt. Die Antiquitates sind demgegenüber nicht prorömisch einge¬ 10) E. Schürer, a. a. O., 574.
stellt und geben dank ihrer stärkeren Verwendung von Ouellen (vgl. n) O.Michel — O. Bauernfeind: Flavius Josephus, De bello judaico
E. Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 1, 1960, 444.
19014, 82 ff.) ein zuverlässigeres Bild des Geschehens, brechen aber 12) M. Hengel, a.a.O., 49 f. 384; vgl. 88. 372.
leider mit Beginn des Jüdischen Krieges ab. Die Vita ist wenig 13) M. Hengel, a. a. O., 373.
ergiebig. 14) F. J. F. Jackson —K. Lake: The Beginnings of Christianity,
3) Vgl. Ant. XVIII, 23 f.; BI II, 118. 433; VII, 323. 410. 418. I, 1920, 423.
4) Vgl. dazu M. Hengel: Die Zeloten, 1961, 73—76. 15) Vgl. a. a. O., 422.
r') Über weitere Ouel'en, die aber gegenüber den oben genannten 16) VII, 2 54: tots yaQ ot oixaoim ovveoxr)oav em xobt vjiaxorFiv
nur von nntereeordneter Bedentung sind, vgl. M. Hengel, a. a. O., 19 ff. 'Pcoualatr iWAorrnc bezieht sich auf den zuvor in 253 genannten
°) Vgl. dazu unsere Ausführungen unten auf Sp. 73 3 ff. Judas, der z. Zt. des Quirinius die Juden zum Ungehorsam gegen die
') So z.B. A. Schlutter: Die Theologie des I"dentums nach dem Römer anstachelte.
Bericht des Josefus. 1932. 82 A. 2; 21 5 ff. In: D;e Geschichte der ersten 17) BI VII, 262: arnwxoi fiev ovv o'i oixdgtot.
Christenheit, 1927\ 317 f., redet Schlattcr jedoch von einer Spaltung 18) S. oben Sp. 729.
des Zelotismus „in zwei unversöhnliche Lager". Der Ausdruck „Si- ln) M. Hengel, a. a. O., 67.
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schichtlichen Darstellung der „Sikarier" einsetzen. Nach BJ II, xaßoh'). Insofern wird hier ein zweiter Anlaß zum Krieg an¬
118 verleitete der als Organisator dieser ,.Partei" genannte gegeben, der völlig anderer Art ist als der erstgenannte und mit
Judas Galiläus die Einwohner Galiläas zum Abfall, ,,indem er es einer anderen Gruppe in Verbindung steht. Daraus ergibt sich
für einen Frevel erklärte, wenn sie bei der Steuerzahlung an die die Folgerung: Es gab neben den galiläischen Sikariern, die für
Römer verbleiben und nach Gott menschliche Herren aner¬ die Reinheit des Landes kämpften, eine priesterliche Aufstands¬
kennen würden". Das bedeutet: Judas faßte den Provinzialcensus partei in Jerusalem, die sich für die Reinheit des Tempels und
und die damit verbundene Personen- und Besitzaufnahine als seines Kultus einsetzte. Indem Jos. diese aufständische Priester¬
unvereinbar mit Gottes Verheißung über sein Volk und sein gruppe CijXanai nennt'"', wird bestätigt, daß es sich hierbei um
Land auf; denn Gott hat sich die Zählung Israels in dem Land, eine gegenüber den Sikariern prinzipiell andersartige Aufstands¬
das sein Besitz ist, für die Endzeit vorbehalten'0. Die Anordnung partei handelt. Der Protest der Priester-Zeloten richtete sich
der Römer stellte somit einen Eingriff in Gottes Recht dar und gegen den während der römischen Herrschaft eingerissenen
mußte darum um Gottes willen bekämpft werden. Daraus läßt Zustand, daß die Römer ihren jüdischen Vasallenkönjgen die
sich folgern, daß die Sikarier ihren aktiven Widerstand gegen Verfügungsgewalt über den Tempel und die heiligen Gelder
die Römer als „heiligen Krieg" auffaßten21. In diese Richtung sowie die Vollmacht, die Hohenpriester zu ernennen, zugestan¬
weist auch die häufige Erwähnung von Propheten, die allerdings den hatten31. Diese Rechtsbefugnisse wurden besonders von
von Jos. durchweg als „Gaukler" und „Betrüger" abgetan Agrippa II. reichlich ausgenutzt, so daß das Amt des Hohen¬
werden". Das prophetische und das eschatologische Element priesters sowie die hohen Tempelämter nur durch beträchtliche
dürften also in dieser Bewegung eine große Rolle gespielt haben. Geldsummen erkauft werden konnten32. Die altgläubigen Prie¬
Das soziale Subjekt der Sikarierpartei war zunächst die Land¬ ster faßten solche „Neuerungen" als unerlaubte Einmischung in
bevölkerung Galiläas. Von Johannes von Gischala, einem der ihre Angelegenheiten und ak Übertretung der Tora auf und
Anführer der Aufständischen, berichtet Jos., daß er „überhaupt setzten sich dagegen zur Wehr. Unter dem Prokurator Felix kam
nicht von niederem Stande war""'3; aus einer anderen Notiz er¬ es nach Jos. dazu, daß „jetzt auch die Hohenpriester mit den
fahren wir jedoch, daß er arm und mittellos war24. Daraus ergibt Priestern und den Vornehmsten zu Jerusalem in Streit gerieten,
sich der Schluß, daß er zu der durch die hellenistische Wirtschafts¬ so daß jeder von ihnen eine Schar verwegener und aufrühre¬
form verarmten Schicht des alten Landadels gehörte, woraus rischer Gesellen um sich sammelte"33. Von den Römern wurde
sich seine scharfe Animosität gegen alles hellenistisch gesinnte deshalb jeder Gottesdienst im Tempel argwöhnisch beobachtet,
römerfreundliche Wesen erklären läßt. Weil der Hellenisierungs- weil sie nie sicher waren, daß sich die dort — besonders an den
prozeß in Galiläa schon weiter fortgeschritten war als in Judäa Festtagen — versammelten Menschenmengen nicht zu einem Auf¬
— Herodes hatte seine neuen Städte und Tempel vor allem im stand zusammenrotteten34. Aus diesem Grund hatte Agrippa II.
und um Galiläa gebaut25 — brach hier der Gegensatz zwischen ein neues Gebäude oberhalb des Tempels errichten lassen, von
der besitzenden hellenisierten städtischen Oberschicht und den dem aus er alle Vorgänge im Tempel genau kontrollieren
verarmten ländlichen Untertanen, d. h. zwischen Stadt und Land, konnte. Aus Wut über diese „ungebräuchliche und ungesetz¬
besonders scharf auf. Wie die Makkabäer z. Zt. Antiochus IV. liche" Beobachtung ihrer heiligen Handlungen errichteten die
zogen diese altgläubigen Kreise der Landbevölkerung, die sich Juden gegenüber der neuen Halle eine hohe Mauer, die sowohl
nicht zum „Abfall von den heimischen Gebräuchen und zur Agrippa als auch den Römern, die von der Burg Antonia aus
Übertretung der Gesetze nötigen lassen wollten""'", zunächst in die Vorgänge im Tempel überwachten, den Ausblick versperrte.
einsame Höhlen und Berge und führten von dort aus ihre Straf¬ Selbstverständlich ließen sich Agrippa und Festus ein solches
aktionen gegen die „Gottlosen", d. h. gegen die Römer und ihre Verhalten nicht bieten und gaben Befehl, die Mauer niederzu¬
Gesinnungsgenossen durch. Das Ziel dieser Streifzüge bestand reißen. Daraufhin schickten die Juden umgehend eine Gesandt¬
darin, entweder die hellenistische Bevölkerung zur Beschneidung schaft an Nero, der ihnen die Zurücknahme dieses Befehls zu¬
zu zwingen27 oder aber, falls sich diese weigerte, durch ihre sicherte35. In diesem Zusammenhang muß auch das durch die
Ausrottung das Land zu reinigen und damit die Voraussetzung „Aufrührer" veranlaßte Abbrechen der Säulenhallen erwähnt
für das Kommen der Gottesherrschaft zu schaffen. Die Ant. XX, werden, die den Tempel mit der Burg Antonia verbanden und
2 geschilderte bewaffnete Erhebung des „gemeinen Volks" aus auf denen an den jüdischen Feiertagen römische Soldaten postiert
Peräa „ohne Vorwissen der Angesehenen des Landes", die zur waren36. Der offene Krieg gegen die Römer brach in Jerusalem
„Ermordung vieler" in Philadelphia geführt hatte, ist also im in dem Augenblick aus, als sich die Priester unter Führung des
eschatologischen Sinne zu verstehen. Jos. führt kaum ohne Tempelhauptmanns Eleazar weigerten, von Nichtjuden Gaben
Grund eine solche erbitterte Auseinandersetzung zwischen Juden oder Opfer anzunehmen37. Indem unmittelbar vorher diesen
und Hellenen, wie sie sich 66 n. Chr. in Caesarea ereignet hatte, Priestern in einer Rede Agrippas bestätigt wurde: „Euer Eifer
als „Anlaß zum Ausbruch des Krieges"28 an, obwohl der erste geht ja dahin, auch nicht eines der überkommenen Gebote auf¬
direkte Angriff auf die römischen Soldaten erst durch riveg rcöv zuheben"38, wird klar, daß die Zeloten nicht einem politischen
/idhoja y.tvovvzwv tov Jiökejuov mit der Einnahme der Patriotismus huldigten, sondern für die Freiheit ihres traditio¬
Festung Masada erfolgte28. nellen Tempelkultus sowie für die Reinigung des Tempels
III.
kämpften und darin den Makkabäern glichen. Diese zelotischen
Priester setzten deshalb alles daran, die Hohenpriester und deren
Auffälligerweise wird nun aber in BJ II, 409 f. berichtet, Anhang aus dem Tempel und der unteren Stadt zu vertreiben30.
daß „zur gleichen Zeit" der Führer der Tempelwache mit Namen Zugleich ordneten sie den Ausschluß dieses Personenkreises vom
Eleazar, Sohn des Hohenpriesters Ananus, die Priester über¬ Gottesdienst an40. Außerdem schlich sich „ein großer Haufen von
redete, keine Gaben oder Opfer von Nichtjuden anzunehmen, Sikariern", also von Angehörigen der galiläischen Aufstands¬
wozu Jos. bemerkt: tovxo 6* fjv tov ngö? 'Po)/iatovg noktfiov y.a- bewegung, in den Tempel ein, „mit deren Hilfe sie nun die An-
20) Vgl. Lev. 25, 23; Hos. 2,1; ApAb. 29, 17; zum Problem s.
M. Hengel, a. a. O., 132 ff. I0) Vgl. BI II, 564. 651; IV, 160 f. 224 ff. 302 ff. u. ö.; zu BJ II,
21) Vgl. M. Hengel, a. a. O., 277 ff. 443, s. unsere Ausführungen unten auf Sp. 734 ff.
**) Vgl. BJ II, 259 ff.; IV, 85; V. 317; VI, 286; VII, 437 f.; Ant. 31) Vgl. Ant. XX, 15 f.
XVIII, 85 ff.; XX, 97 f. 160. 167. 188. 32) Vgl. Ant. XX, 179 ff. 205 ff. 211 ff.
**) BJ IV, 213: SW.OK ov xü>v ciarjftoyv. 33) Ant. XX, 180.
21) BJ II, 585. M) Vgl. BI II, 224; Ant. XX, 105 ff.
25) Vgl. Ant. XV, 326 ff. 341. 363 f.; BJ I, 404 ff. 408 ff. 422 ff. 35) Vgl. Ant. XX, 189 ff.
26) Ant. XV, 327; vgl. BJ II, 228 f. 235. 264 f.; VII, 254 f.; Ant. 30) Vgl. BJ II, 330 f. 224.
XX, 2. 5. 121 f. 185 ff. 37) Vgl. BJ II, 409. In Spannung dazu steht BJ II, 284.
") Vgl. Vita 113; BJ II, 454. •») BJ II, 393.
M) BJ II, 284; vgl. 266 f. 3B) Vgl. BJ II, 422 ff.
") Vgl. BJ II, 408. *°) Vgl. BJ II, 425.
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griffe heftiger fortsetzten". Von den Sikariern wird sodann be¬ schlössen, die ihm dann in den Tempel nachfolgten. Durch die
richtet, daß sie in die Oberstadt stürmten, „das Haus des Hohen¬ Wendung xovg £rjXa>Tag IvonXovg i<pe/MÖluevog!'1 könnte Jos.
priesters Ananias und den Palast des Agrippa und der Berenike demzufolge die große Macht und Bedeutung des Menahem unter¬
niederbrannten; danach legten sie Feuer an das Archiv und be¬ streichen wollen. Weil in Vita 21.46 die Begleitung des
eilten sich, die Schuldverschreibungen der Gläubiger zu ver¬ Menahem nicht „Zeloten" genannt wird, sollte auch die Er¬
nichten, um so die Eintreibung der Schulden unmöglich zu wähnung von „Zeloten" in BJ II, 444 nicht überbewertet wer¬
machen und die Menge der Schuldner auf ihre Seite zu ziehen"41. den. Der Einzug Menahems in einem „königlichen Gewand" legt
An diesem Punkt zeigt sich besonders deutlich, daß es sich bei die Vermutung nahe, „daß er sich als Messias geberdete und als
,,Zeloten" und „Sikariern" um zwei völlig anders strukturierte solcher Verehrung und Gehorsam verlangte, weil sein Name
Gruppen handelte. Während die „Zeloten" die Reinigung des Menachem (der Tröster) nach der damaligen mystischen Schrift¬
Tempels beabsichtigten, kämpften die „Sikarier" für die Neu¬ deutung eine höhere Beziehung andeute"5". Schon in der Wahl
ordnung der Besitzverhältnisse im Sinne einer Beseitigung der dieses Namens kommt der messianische Anspruch seines Trägers
sozialen Ungleichheit und der Wiederherstellung des „Ursprünge zum Ausdruck, wobei sich aber gerade gegen einen solchen An¬
liehen gottgegebenen Zustands"42, wie er in Lev. 25 und Dtn. 15 spruch, wie er auch bei dem königlichen Einzug in den Tempel
geboten ist. demonstriert wurde, die priesterlichen Aufständischen unter
IV. Eleazar wandten, indem sie auf Menahem losstürzten, ihn aus
dem Tempel trieben und ihn dann umbrachten53. Damit wird
Von großer Bedeutung für das Verständnis der Aufstands¬ auch hier wieder der tiefe Graben, der die beiden Hauptgruppen
bewegung sind die folgenden Aussagen des Jos., die davon der jüdischen Aufständischen voneinander trennte, sichtbar. Die¬
reden, daß zu dieser Zeit „ein gewisser Menahem (Mavdrjfioc) jenigen von den Anhängern Menahems, die entkommen konn¬
„der Sohn (Enkel?) des Judas, der der Galiläer genannt wurde", ten, flüchteten zu dem Zentrum der Sikariergruppe nach Masada
mit einen Anhängern nach Masada zog, das nach BJ II, 408 be¬ und führten von dort aus den Kampf gegen die Römer, bis sie
reits von den „Sikariern" eingenommen war4'1, dort das Zeug¬ im Jahre 73 besiegt wurden. Ein Teil der Sikarier floh von
haus des Königs Herodes erbrach, seine Anhänger bewaffnete Masada nach Ägypten, wo sie die dortigen Juden zu überreden
und wie ein König nach Jerusalem kam, sich an die Spitze des suchten, „sich für die Freiheit zu erheben. . . und keinen Ge¬
Aufstands stellte und die Leitung der Belagerung übernahm'"1. bieter außer Gott anzuerkennen"54. Die Gleichheit dieser Parole
Gemäß BJ II, 443 erhoben sich jedoch nach kurzer Zeit „Eleazar mit der des Judas bestätigt, daß mit der von Judas gegründeten
und seine Leute"45 gegen ihn und griffen ihn im Tempel an, „vierten Philosophenschule" die Sikarier gemeint sind. Von hier
„wohin er im stolzen Prunk zum Gebet gegangen war, mit aus ist zu fragen, ob sich nicht auch bei Hippolyt in der Unter¬
königlichem Gewand geschmückt y.ru rovg £r]X(orag ßvöjrlovg scheidung mehrerer Gruppen, in die sich die Essener gespalten
i(pE?.x6juevOg". Diese Bezeichnung der Begleitung Menahems haben sollen, eine Erinnerung daran erhalten hat, daß „Zeloten"
(„bewaffnete Zeloten") ist auffällig. Bezeichnenderweise über¬ und „Sikarier" nicht identisch waren; denn das für die zweite
setzen Thackeray: „armed fanatics"48 und Paret: „bewaffnete Gruppe angegebene Kennzeichen zielt genau auf die „Zeloten",
Anhänger"47, wogegen M. Hengel eingewendet hat: „Ein Ver¬ wie es ja auch ausdrücklich von Hippolyt hervorgehoben wird,
gleich mit dem sonstigen griechischen Sprachgebrauch zeigt, daß während nach der Nennung des Namens „Sikarier" die Rede von
man rovg t^/arrdc nicht mit ,seine Anhänger' übersetzen Angehörigen einer „anderen Richtung" ist, die niemanden als
darf; das Wort ist determiniert und ohne nähere Bestimmung, „Herr" bezeichnen außer Gott, „selbst wenn sie einer marterte
genau so wie es auch sonst von Jos. speziell als Parteiname ge¬ oder gar tötete". Daß diese letztere Aussage auf die „Sikarier"
braucht wird. Der Schluß liegt nahe, daß schon die Parteigänger zutrifft, wird außer durch Ant. XVIII, 23 f. hauptsächlich durch
jenes Menahem die Bezeichnung ol ^rjXonai trugen"48. Gegen BJ VII, 417 ff. erwiesen. Aus BJ VII, 437 f. läßt sich zudem ent¬
den hier von M. Hengel gezogenen „Schluß" spricht aber einmal, nehmen, daß die messianische Prophetie ein Charakteristikum
daß es mißlich ist, auf eine Stelle allein eine solch weitreichende gerade der „Sikarier" war, indem r/ tcöv amaqUiiv ajrövoia
Folgerung aufzubauen, zum anderen, daß Menahem ein Sohn am Beispiel des Webers Jonathan demonstriert wird, der „nicht
bzw. Enkel des Judas Galiläus, des Gründers der „Sikarier", war, wenige besitzlose Leute an sich zog und sie in die Wüste
zum dritten, daß Menahem wohl kaum zufällig vorher gerade in führte, wo er ihnen Wunder und Erscheinungen zu zeigen ver¬
Masada, dem „Jerusalem der Sicarier"411, seine Anhänger bewaff¬ sprach". Die Erwähnung der unter der Schicht der Vollbürger
net hatte, und zum vierten, daß M. Hengel selbst die „Entschei¬ stehenden „Besitzlosen" {änoQoi) unterstreicht zugleich die für
dung in Jerusalem" dem „Eingreifen der kampfgeübten .Sicarier', die „Sikarier" typische soziale Ausrichtung. Bezeichnenderweise
der Elitetruppe des Menahem", zuschreibt50. Da Jos. die „Zelo¬ wurden gemäß BJ VII, 442 die JiXovaicüiaxoi tcöv 'Iovöntmv
ten" immer im Zusammenhang mit dem Tempel sieht, wird es ver¬ infolge der Anschuldigungen dieses „Sikariers" von Catullus
ständlich, weshalb er beim Einzug in den Tempel von „bewaffne¬ hingerichtet. Da nach BJ VII, 447 f. (vgl. Vita 424 f.) Jonathan
ten Zeloten" spricht, die Menahem mit sich führte. Im Blick auf auch den Jos. anschwärzte, wird der große Haß des Jos. auf die
BJ II, 434 erscheint es möglich, daß sich Menahem, als er in „Sikarier" und seine von böswilligen Entstellungen bestimmte
Jerusalem fjye/ichv zfjg ardoewg wurde, auch „Zeloten" an- Darstellung ihres Verhaltens verständlich.
Die priesterlichen Zeloten blieben nach Menahems Flucht
") BJ II, 425 ff. in Jerusalem und kämpften dort bis zum eigentlichen Kriegs¬
1!) M. Hengel, a.a.O., 139. ende im Jahre 70 weiter, wurden aber durch die während des
") Sollte, wie Hengel, a. a. O., 365 A. 2, vermutet, in BJ II, 433 f.
„noch einmal dasselbe erzählt" sein wie in II, 408 ff., dann wäre damit Krieges in Jerusalem eingedrungenen aufständischen Gruppen des
noch eindeutiger erwiesen, daß Menahem der Führer der Sikarier war. Simon bar Giora, des Johannes von Gischala und der Idumäer in
Wenig überzeugend ist dagegen, daß er „das Haupt der zelotischen den Hintergrund gedrängt. Daß es sich dabei um verschiedene
Bewegung im ganzen Lande" (M. Hengel, a. a. O., 369) gewesen sein Parteien handelte, läßt sich nicht mir aus dem Rückblick des
soll. Jos. in BJ VII, 262—270 ableiten, sondern auch aus BJ V, 358 f.
") Vgl. BJ II, 43 3 f. und VI, 148, wo die Idumäer, die Heerschar Simons, die Leute
45) Mit diesem „Eleazar" ist offensichtlich der BJ II, 409, 424; des Johannes und der Haufe der Zeloten genannt werden, und
Ant. XX, 208 erwähnte Tempelhauptmann, Sohn des Ananias, gemeint, aus BJ VI, 92, wo von der Gruppe des Johannes, von der Simons,
der im Tempel die Kaiseropfer einstellen ließ (vgl. dazu A. Schlatter:
Die hebräischen Namen bei Josephus, BFTh XVII, 3, 1913, 18).
*') H. St. J. Thackeray: Josephus with an English translation II 51) Ein avrov steht bezeichnenderweise nicht bei fj/Acord?.'
(The Loeb Classical Library 203), 1956, 497. 52) H. Graetz, a.a.O., (III, 19065) 461.
,7) H. Paret: Des Flavius Josephus Werke I, 1855, 310. 53) Vgl BI II, 445-448.
,p) M. Hengel, a.a.O., 66 f. 54) BJ VII, 410; vgl. BJ II, 118. 433; VII, 253 f.; Ant. XVIII,
") H. Graetz, a.a.O., (III, 19065) 509. 23, wo die gleiche Formulierung im Mur.de des judas Galiläus be¬
w) M. Hengel, a. a. O., 370. gegnet.
735 Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 10 736

zu der hier die Idumäer gezählt werden, und von der der Zeloten geworden war, entschlossen sich „die Zeloten", „um den
die Rede ist. Aus den in BJ V, 21 erzählten Angriffen der Johannes überwältigen zu können, den Simon aufzunehmen""1.
„Männer um Eleazar, die über die heiligen Erstlingsgaben ver¬ „Mit stolzer Herablassung willigte Simon ein, ihr Herrscher zu
fügten", gegen die Gruppe des Johannes und den Angriffen der sein, und rückte in die Stadt ein, um diese von den Zeloten zu
Johannesgruppe gegen Simons Truppe ergibt sich, daß sich diese befreien aajzijg vjio toü ör'juov xal Xtfde/Mbvefxprjftovfist'os""',
drei Gruppen in dem belagerten Jerusalem rivalisierend gegen¬ Hier verschaffte er sich bald die erstrebte herrschende Stellung,
überstanden. Sind jedoch mit den „Männern um Eleazar, die weil auch der größte Teil der Idumäer ihm unterstanden63. Die
über die heiligen Erstlingsgaben verfügten", die Zeloten ge¬ scharfe Gegensätzlichkeit zwischen Simon und den Zeloten
meint, dann ist zu fragen, ob die Johannes- und die Simons¬ führte dann dazu, daß sich „die Zeloten, die aufgehört hatten,
anhänger zu den Sikariern zu rechnen sind. Über Johannes von eine Sondergruppe zu bilden", dem Johannes von Gischala
Gischala berichtet Jos. in BJ IV, 208 ff., daß dieser nach der anschlössen"'. Nur die Furcht vor dem gefährlicheren Simon be¬
Flucht aus Gischala nach Jerusalem kam, wo er sich bei Ananus wirkte also den Zusammenschluß der beiden feindlichen Brüder:
einschmeichelte und sich als Abgesandter zu den Zeloten der Zeloten und der Johannesgruppe, so daß im Jahre 70, als
schicken ließ, die er aber gegen seinen Auftraggeber aufstachelte. Titus zum Sturm auf Jerusalem ansetzte, die Aufstandsbewegung
Als Führer der Zeloten, mit denen er verhandelte, werden in in der Stadt nur noch aus zwei Parteien: den Johannes- und den
BJ IV, 225 der Priester Eleazar, „Sohn Giors", der jedoch iden¬ Simon-Anhängern bestand. Daß Simon bedeutender und seine
tisch sein muß mit dem BJ II, 564; V, 5 ff. genannten Zeloten¬ Gruppe größer war als Johannes mit seiner Truppe, wird auch
führer Eleazar, „Sohn Simons"50, und der ebenfalls aus priester¬ daran erkennbar, daß Simon i().vMyj'h] . . . tcJ jlgiü/i/jq)
lichen Kreisen stammende Zacharias, Sohn des Amphikallei, an¬ oq>üyi.ov, . . . 'Icodvvrjg duojuulz aiu>viutgm. Die Geschichte
geführt. Als Folge der Verleumdung des Ananus durch Johannes der Aufstandsbewegung zeigt somit, daß zunächst Sikarier und
wurden die Idumäer zu Hilfe gerufen und in die Stadt hinein¬ Zeloten zwei selbständige und streng voneinander getrennte
gelassen56. Nach BJ IV, 3 89 strebte Johannes nach der Herrschaft, Gruppen darstellten, von denen sich die eine hauptsächlich aus
„gewann kleinere Gruppen von den besonders Verwerflichen der galiläischen Landbevölkerung zusammensetzte und eine neue
nach und nach für sich und machte sich vom ovvTaypa" frei". Ordnung für das Land erstrebte, während die andere aus Jeru¬
Fortan bildete er also eine eigene selbständige Gruppe, die wohl salemer Priestern bestand und für die Reinigung des Tempels
aus den radikalen Elementen der Zeloten zusammengestellt war. und seines Kultus kämpfte. Erst im Laufe des Krieges führten
Aus BJ IV, 55 8 f. ergibt sich jedoch, daß „die aus Galiläa die Machtkämpfe der beiden aus dem Lager der Sikarier kom¬
stammende Truppe, die alle anderen an verbrecherischer Ge¬ menden, sich wahrscheinlich messianisch verstehenden Führer""
sinnung und Wagemut übertraf", es gewesen war, „die dem Simon bar Giora und Johannes von Gischala dazu, daß neue
Johannes zu seiner Stellung verholfen hatte". Demnach ver¬ Gruppierungen entstanden.
dankte Johannes seine Macht den aus Galiläa stammenden
Sikariern. Zudem läßt sich aus BJ IV, 558 f. entnehmen, daß V.
auch Idumäer zur Gruppe des Johannes gehörten. Insofern ver¬ Wenn Sikarier und Zeloten infolge ihrer unterschiedlichen
einigte Johannes von Gischala eine große Machtfülle in seiner Struktur von Anfang an zwei selbständige „Parteien" darstel¬
Person. Die genannten Aussagen verbieten es, mit Jackson-Lake len, von denen die Sikarier auf Judas Galiläus zurückgeführt
den Namen „Zeloten" als Bezeichnung für das Gefolge Johannes werden, dann ist zu fragen, wem die Zeloten ihr Entstehen ver¬
von Gischalas zu verstehen58. Im Blick auf die Tätigkeit des danken. Für die Beantwortung dieser Frage könnte eine nur in
Johannes in Galiläa und auf seine hauptsächlich von dort stam¬ Ant. enthaltene Notiz von Wichtigkeit sein, in der davon die
mende Truppe läge es demgegenüber sehr viel näher, Johannes Rede ist, daß die „vierte Philosophenschule" nicht nur von Judas
zu den Sikariern zu rechnen. Diese Annahme wird gestützt durch Galiläus, sondern auch von dem Pharisäer Saddok67 begründet
BJ V, 98 ff., wo berichtet wird, daß Johannes „einige weniger wurde"8. In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, daß uns
bekannte unter seinen Anhängern" mit versteckt gehaltenen in den PsClemRecog. I, 53 f. überliefert wird, die Sadduzäer
Waffen in den von den Zeloten unter Eleazar besetzten Tempel hätten sich in den Tagen Johannes des Täufers von den übrigen
einschmuggelte, denen es gelang, den inneren Tempelbezirk in Juden als die Gerechteren abgesondert. Bei diesen „Sadduzäern"
ihre Hand zu bekommen und sich dadurch die „Zeloten" Unter¬ kann es sich jedoch, worauf R. Meyer hingewiesen hat"8, „weder
tan zu machen.
Den einzigen Konkurrenten dieser Johannesgruppe stellte um die alten Sadokiden noch um die Saddu?äer des Tempel¬
Simon bar Giora dar. Nach BJ IV, 503 stammte er aus Gerasa, staates, sondern allein um die Anhänger des Sadok handeln, der
nach BJ IV, 504 hatte er sich „den Räubern, die Masada erobert als geistiger Führer des Zelotismus erscheint". In diesem späten
hatten, angeschlossen". Daraus ist zu folgern, daß Simon den und ungenauen Bericht der Pseudoclementinen, der fast wörtlich
Sikariern angehörte. Da er gemäß BJ IV, 508 „nach Allein¬ rischerauch
gleich
Kern
bei Ephrem zu finden ist70, könnte somit ein histo¬
erhalten sein, der die Entstehung der priesterlichen
herrschaft strebte", setzte er sich nach dem Tod des Ananus ,,in Zeloten betrifft, deren „Eifer" sich nach BI 'I 393 auf die völlige
das Bergland ab, verkündete den Sklaven die Freiheit und den Erfüllung aller „überkommenen Gebote" richtete und die deshalb
Freien Geschenke und sammelte auf diese Weise von überall durchaus als „die Gerechteren" bc7eichnet werden konnten.
her die Bösewichter um sich". Diese Handlungsweise offenbart, Hinzu kommt, daß die Zeloten eindeutig sadokidische Tenden¬
daß er die sozialen Ziele der Sikarier zu verwirklichen trachtete. zen vertraten, die ihnen den Namen ..SadnViden" eingebracht
Als „die Zeloten" von seinem Zug nach Jerusalem hörten, haben könnten: denn nach BJ IV, 153 ff. wählte diese Gruppe im
„zogen sie mit ihrer Hauptmacht in voller Bewaffnung zur Stadt
hinaus. Simon rückte ihnen entgegen, nahm den Kampf an . . ."59. Verlauf des Jüdischen Krieges einen Hohenpriester, der dem
Diese mehrfach berichtete Gegnerschaft der Zeloten gegen 61) BJ IV, 573.
Simon"0 zeigt, daß zwischen den Zeloten und der aus den °2) BJ IV, 575.
Sikariern hervorgegangenen Anhängerschaft des Simon eine un¬ Vgl. BJ VI, 92; V, 248 f.
überbrückbare Kluft war. Erst als der Gegensatz zwischen den ol) BJ V, 250 (m CrjXmritl Trnvnniirvni rnü fimrr-ioFn&ni); vgl
Zeloten und den Anhängern Johannes von Gischalas zu groß aber die etwas andersartige Darstellung in BJ V, 97 ff.
°5) BJ VI, 434; vgl. BJ VII, 154 f.
5r>) Vgl. dazu O. Michel - O. Bauernfeind, a.a.O., II, 1, 36 A. 6") Vgl. dazu M. Hengel, a. a. O., 296—307, und O. Michel —
90 und 216. O. Bauernfeind, a.a.O., II, 1, 209.
50) Vgl. BJ IV, 228 ff. 67) Vgl. dazu A. Schlatter: Die hebräischen Namen bei Josephus,
57) O. Michel — O. Bauernfeind, a.a.O., II, 1, 63 übersetzen: BFTh XVII, 3, 1913, 93.
„vom Hauptverband der Zeloten". 6y) Ant. XVIII, 4. 9.
r,s) F. I. F. Jackson — K. Lake, a.a.O., 423. In: ThWB VII, 42 A. 46.
M) BI IV, 514. 70) Vgl. R. Meyer, in: ThWB VII, 40 A. 39, wo beide Texte
60) Vgl. BI IV, 538 ff. 556 ff. untereinander abgedruckt sind mit genauen Stcllcnangaben.
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hohenpriesterlichen Stamm Eniachin = Jakim'1 angehörte. In An¬ Tempel gemeint ist. Besonders instruktiv ist hierfür die „Be¬
lehnung an die alte pnesterliche und kultische Sitte wurde dabei schreibung des neuen Jerusalems" (1 Q XXXII) mit ihren starken
durch das Los ein gewisser Pinchas'"', Sohn des Samuel, ermittelt Anklängen an Hes. 40—48. H. Bardtke hat darum die Vermutung
und als Hoherpriester eingesetzt. Da die Sippe Jakim nach geäußert, daß „diese Beschäftigung mit dem Tempelkult mit
1. Chr. 24, 12 zur sadokidischen Linie gezählt wird, aus der der einer Wandlung in der Gruppenanschauung zusammenhängt""1.
„Eiferer" Pinchas von Num. 25, 7 ff. hervorgegangen war, ergibt Diese auf die Erneuerung des Tempels gerichtete „Wandlung"
sich, daß die Zeloten mit dieser Wahl die aite legitime, aber seit in der Lehre der Qumran-Essener macht die enge Berührung die¬
Antiochus IV. aus Jerusalem vertriebene sadokidische Linie ser Gruppe mit den Jerusalemer Zeloten, die das gleiche
wieder in ihre alten Rechte einsetzen wollten'J. Der Name des priesterlich bestimmte Ziel verfolgten, verständlich. Indem unter
neugewählten Hohenpriesters „Pinchas" dürfte darum genauso Eleazar ein Essäer mit Namen Johannes zu einem Distrikts¬
symbolisch zu begreiten sein wie der des Gründers der Zeloten befehlshaber der zelotischen Streitmacht im jüdischen Krieg er¬
„Saddok" und wie der des „Menahem". Die Namen „Saddok" nannt wurde''"', bestätigt sich, daß zwischen einem Teil der sog.
und „Pinchas" weisen ja auch in die gleiche Richtung; denn in „Essener" und den priesterlichen Zeloten die denkbar engsten
1. Chr. 5, 29—34 werden die Sadokiden als Nachkommen des Zusammenhänge bestanden haben dürften'3. Da sich in den
Pinchas verstanden. Pinchas selbst galt als der Eiferer schlechthin, älteren Qumranschriften sowohl die messianische Zukunfts¬
wie sich aus Sifre Num. 25, 5 ff. ergibt, und damit als das Vor¬ erwartung der Sikarier als auch die priesterliche Endhoffnung der
bild der Gruppe der „Eiferer" d. h. der Zeloten, weil er in sei¬ Zeloten angedeutet finden'1, ist zu fragen, ob hinter Hippolyt
nem Eifer für Gott der Gottlosigkeit gewaltsam Einhalt geboten, Ref. IX, 26 nicht doch eine alte Tradition stehen könnte, derzu-
dadurch Gottes Zorn von Israel abgewendet und den Israeliten folge sowohl die Sikarier als auch die Zeloten auf eine Spaltung
Sühne erwirkt hatte". Sifre Num. 25, 5 ff. stellt deshalb „eine der Essener zurückzuführen wären"5. Die durch ihre innerweltliche
Verherrlichung des Zelotentums, für das Pinchas der Prototyp Ausrichtung und ihren Naherwartungscharakter bestimmte
ist", dar". Wenn Sanh. IX, 6 gesagt wird, daß die „Zeloten den¬ Eschatologie verbindet ja Essener, Sikarier und Zeloten engstens
jenigen, den sie in Gcschlechtsgemeinschaft mit einer Aramäerin miteinander. Genau an diesem Punkt liegt auch die tiefgreifende
(= Heidin) antrafen", auf der Stelle totschlugen, so bekunden Differenz zu den Pharisäern, von denen Saddok hergekommen
sie durch ein solches Verhalten, daß ihr Vorbild Pinchas ist. sein soll. Wenn es Ant. XVIII, 23 f. heißt, daß die Anhänger der
Dieser dürfte auch darum für die Zeloten besonders bedeutsam „vierten Philosophenschule" „in allen anderen Stücken mit den
gewesen sein, weil er in Num. 30, 6 ff. als Führer im heiligen Pharisäern übereinstimmen", so kann damit nur ihre mit den
Krieg gegen Midian und in Targ. Jer. I Ex. 6, 18 mit dem Hohen¬ Pharisäern übereinstimmende — und dementsprechend von den
priester Elia gleichgesetzt wird, „der zu den Exulanten Israels Essenern abweichende — Halacha gemeint sein'". Weil jedoch der
gesandt wird am Ende der Tage"76. Es kann deshalb kein Zufall Akzent bei den Zeloten nicht auf der Gesetzeskasuistik als
6ein, daß der Name des neuen, von der zelotischen Priester- solcher, sondern auf dem als Mittel zum Herbeizwingen des
gruppe gewählten sadokidischen Hohenpriesters Pinchas lautete. Eschaton verstandenen Gesetz lag87, ergab sich ein auffallender
In der Erwähnung zweier Gründer der „vierten Philosophen- Gegensatz zu den Pharisäern, die aufgrund ihrer andersartigen,
schulc" in den Ant. muß dämm ein Reflex der wirklichen Auf¬ nicht durch eine immanente Naherwartung bestimmten Eschato¬
gliederung der Aufstandsbewegung in zwei von vornherein logie den Krieg gegen die Römer nicht als „heiligen Krieg" an¬
unterschiedlich strukturierte Gruppen gesehen werden. Daß der erkennen konnten und sich dadurch hinsichtlich ihres Verhaltens
Gründer der zweiten Aufstandsgruppe, der Pharisäer Saddok, im im jüdischen Krieg grundsätzlich von den Essenern, Sikariern
BJ nicht erwähnt wird, gründet in dem Wunsch des Jos., „to und Zeloten unterschieden. Die einseitige Betonung der imma¬
clear his party from war guilt. (This) would have been reason nenten, sadokidisch orientierten Naheschatologie durch die
enough for him not to mention Zadok in his BJ"77. Priester-Zeloten führte demgegenüber zu einem Zusammengehen
Aber nicht nur bei den Zeloten, sondern auch in der von Zeloten und Qumran-Essenern und zu einem gleichen
Qumrangemeinschaft wurden sadokidische Traditionen gepflegt™, eschatologischen Verständnis des Krieges gegen die Römer —
die wahrscheinlich für das Entstehen dieses Ordens von aus¬ trotz unterschiedlicher Gcsetzesauslegung, deren Differenz an¬
schlaggebender Bedeutung gewesen sind. Es ist nämlich anzu¬ gesichts des gleichen eschatologischen Bewußtseins verblaßte.
nehmen, daß eine Gruppe gesetzesstrenger Priester aus Protest Ein solches Zusammengehen beider Gruppen dürfte in dem
gegen das verweltlichte unsadokidischc Jerusalemer Priestertum Augenblick erfolgt sein, als ein Angehöriger des legitimen sado¬
die Tempelstadt verließ und sich in Qumran zu einer selbstän¬ kidischen Hohenpriestcrgeschlechts von der zelotischen Priester¬
digen Gemeinschaft konstituierte, um in strenger Abgeschlossen¬ gruppe in Jerusalem eingesetzt worden war. Die in l QM I, 3 f.
heit die priesterlichen Reinheitsbestimmungen zu befolgen „bis berichtete Rückkehr der „Verbanntenschar der Lichtsöhne" als
zum Auftreten der Messiasse aus Aaron und Israel"78. Aus die¬ des Qumranordens „aus der Wüste der Völker, um zu lagern
sem Grund nannten sie sich wahrscheinlich auch „die Frommen" in der Wüste Jerusalems" und die sich daran anschließende Be¬
= hasaia = Essäer. Die Erwartung dieses Ordens richtete sich teiligung an dem eschatologisch verstandenen Krieg würde dann
gemäß den jüngeren Qumranschriften darauf, daß „am Ende der durch die Erfüllung der sadokidisch geprägten Zukunftserwar¬
Tage die Söhne Sadoks auftreten" würden"0, womit die Wieder¬ tung der Qumran-Essener durch die Zeloten bedingt sein.
einsetzung des sadokidischen Priestertums am Jerusalemer
81) H. Bardtke: Die Handschriftenfunde am Toten Meer. Die
71) Vgl. dazu M. Hengel, a.a.O., 224 A. 4; J. Jeremias, Jeru¬ Sekte von Qumran, 1958, 173.
salem zur Zeit Jesu, 19633, 217. a2) Vgl. BJ H, 567. 152 f.
;'-') Die Überlieferung dieses Namens schwankt, vgl. O. Michel — 83) Weil M. Hengel diesen sadokidischen Charakter der beiden
O. Bauernfeind, a. a. O., II, 1, 26 A. 65. Zur Entsprechung 'Parti = Gruppen kaum in Rechnung stellt, bleiben seine Ausführungen über
Pinchas vgl. A. Schlatter, a.a.O., 90 f. und O. Michel —O. Bauern¬ die Beziehungen zwischen Zeloten und Essenern so farblos und ver¬
feind, a. a. O., II, 1, 26 A. 66. schwommen; vgl. a.a.O., 282. 284 A. 1. 287 (und 384: „Gewisse
73) Vgl. J. Jeremias, a.a.O., 216 f. Beziehungen bestanden auch zu den Essenern, deren Anschauungen —
'*) Vgl. besonders Num. 25, 6. 11. ebenso wie die der Pharisäer jener Zeit — rigoristisch-zelotisdie Züge
n) K. G. Kuhn: Sifre zu Numeri, 1954-59, 519. enthielten").
7") Vgl. zu diesem ganzen Fragenkomplex M. Hengel, a. a. O,
160 ff.
"") Vgl. 1 QS IX, 11; V, 2. 9.
85) Eine mögliche positive Beantwortung dieser Frage kann in
77) W. R. Farmer: Maccabees, Zealots, and Josephus, 1956, 33 f. diesem Aufsatz nur angedeutet werden. Die notwendige eingehendere
Begründung soll in einem anderen Rahmen erfolgen.
"j Vgl. CD IV, 2 ff.; 1 QS V, 2. 9; 1 QSa I, 2. 24; II, 3; 1 QSb
III, 22 f.
m) Auf den „inneren Zusammenhang" der zelotischen 18 Verbote
mit den strengen Maßregeln der Schammaiten hat H. Graetz, a. a. O.,
7") 1 QS IX, Iii vgl. G. Vermis: Discovery in the Judaean III, bereits 1856 in Note 26 (554—563 = 19065, 805—813) hin¬
Dcscrt. 1957, 70 ff. gewiesen.
eo) CD IV, 4. 87) Vgl. M. Hengel, a. a. O., 129 ff.
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Das starre Schema von dem in vier selbständige Parteien dynamischere Größe war, als es die auf philosophische Unter¬
streng geschiedenen Judentum läßt sich also nicht in der bis¬ scheidungsmerkmale ausgerichtete und von mancherlei Affekten
herigen Form aufrechterhalten. Diese Erkenntnis wurde durch die geleitete Darstellung des Jos. wahrhaben will. Darum sollte man
Entdeckung der Qumranschriften und die wissenschaftliche Be¬ auch die sog. „vierte Philosophenschule" des Jos. kritisch be¬
schäftigung mit ihnen ermöglicht. Es zeigt sich jetzt deutlich, daß trachten und sie unter keinen Umständen als einen einheitlichen
das Judentum vor der Katastrophe des Jahres 70 eine viel „wohlorganisierten Geheimbund" verstehen.

Gottesdienst und Gemeinschaft


Von Karl-Heinrich B i e r i t z, Sagard auf Rügen
Es war eine Entscheidung von großer Tragweite und beacht- ligt gewesen; „. . . . auch die Gegner einer Liturgiereform sind
licher pastoraler Klugheit, als sich die mit der Verwirklichung genügend vertreten" (Spülbeck). Die veränderte Zusammen-
der Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils (im Setzung machte es notwendig, „ganze Fragenkomplexe wieder¬
folgenden LK) beauftragten Organe entschlossen, die Durch- um von Grund auf zu debattieren" (Spülbeck). Dennoch wurde
Setzung der Normen und Intentionen der LK nicht in einem nach verhältnismäßig kurzer Vorbereitungszeit die ILK mit über¬
einzigen großen Reformakt nach Abschluß aller Vorbereitungs- raschender Einmütigkeit verabschiedet, von Kardinal Lercaro
arbeiten, sondern „Schritt für Schritt und stufenweise" zu voll- dem Papst vorgelegt und von diesem am 26. 9. 64 bestätigt,
ziehen. Die römische Instruktion vom 26. 9. 641 (im folgenden Die Bischöfe der Diözesen Deutschlands faßten daraufhin
ILK) und die in ihrem Gefolge am 7. 3. 65 in Kraft getretenen am 6. 11. 64 in Rom einige Beschlüsse zur Durchführung der ILK
liturgischen Reformen haben deshalb zwar einen definitiven und in ihrem Jurisdiktionsbereich und erteilten am 7.11.64 ihrer
bleibenden, aber noch keinen abschließenden Charakter; sie sind Liturgischen Kommission den Auftrag, die „Richtlinien für die
der erste größere Schritt auf einem Wege, dessen Ende noch Feier der heiligen Messe in Gemeinschaft" auf Grund der ILK
nicht abzumessen ist. neu zu überarbeiten. Diese neuen „Richtlinien" konnten am
Das hier zu behandelnde Dokument enthält lediglich den 20. 1. 65 bestätigt werden. Am 27. 1. 65 jedoch wurde von den
Text der ILK ohne Erläuterungen und Kommentar; ein Blick auf zuständigen römischen Autoritäten ein der ILK angepaßter neuer
die Vorgeschichte des Dokuments ist jedoch z*m Verständnis „Ordo Missae" und „Ritus servandus in celebratione Missae"
unumgänglich notwendig. promulgiert; die Richtlinien der deutschen Bischöfe wurden da¬
durch bereits in manchen Punkten wieder überholungsbedürftig.
1. Zur Vorgeschichte der Instruktion
Am 4. 12. 63 wurde die LK in der Schlußsitzung der II. Ses- 2- Aufgabe und Aufbau der Instruktion
sion des Konzils feierlich promulgiert. Ein Reskript, das die Die ILK wil] nidlt die LK in inrer Gesamtheit, sondern nur
Freigabe einzelner Artikel der LK regeln sollte, wurde von in „einigen Einzelheiten" zur Durchführung bringen, und zwar
Paul VI. angekündigt. Dieses Reskript erschien am 25.1.64 als in solchen punkten) die ohne eine grundlegende Reform der
Motu proprio unter dem Namen „Sacram Liturgiam". In diesem iiturgiscrien Bücher jetzt schon praktiziert werden können: „Die
Motu proprio wurde die Bildung eines „Rates zur Ausführung Instructjo baut ganz auf der Constitutio auf und führt sie im
der Konstitution über die heilige Liturgie" („Consilium ad einzeinen weiter.....Sie will die Constitutio ausdeuten, und
exsequendam Constitutionen! de sacra Liturgia") bekanntge- M >iuxta spjrjtum et litteram' der Constitutio, gemäß dem
geben. Am 5. 3. 64 wurden im „Osservatore Romano" die Geist und dem Buchstaben, will erste praktische Anwendungen
Namen der Mitglieder dieses Gremiums veröffentlicht. Vor- vorschlagen und solche Dinge einführen, die später bei der end¬
sitzender ist Kardinal Lercaro, Erzbischof von Bologna; das gültigen Reform bleiben werden____All das soll jetzt schon
Consilium umfaßt 42 Bischöfe aus aller Welt, darunter nur eingeübt werden und zwar soweit, als es v o r der Neuheraus-
17 Mitglieder der Liturgiekommission des Konzils. gabe der liturgischen Bücher geschehen kann" (Spülbeck a. a. O.;
In dem Brief, mit dem Kardinalstaatssekretär Cigognani vgl. auch ILK 3 u. 9). Im gleichen Sinne wird auch im Vorwort
(der Bruder des verstorbenen Präfekten der Ritenkongregation) die Aufgabe der ILK beschrieben (Art. 1-3 „De natura huius
die Konstituierung des Rates mitteilte, wurden auch dessen Instructionis"; Art. 4-7 „De nonnullis principiis animadver-
Arbeitswcise und Hauptaufgaben umschrieben: Bedeutsamste und tendis"; Art. 8 „De fructibus qui exinde sperantur"). Durch die
weitreichendste Aufgabe des Rates ist die grundlegende Erneu- jlk sollen ferner „etwa vorhandene Zweifel" in bezug auf die
erung der gesamten liturgischen Bücher; besondere Arbeitskreise Auslegung von LK und „Sacram Liturgiam" beseitigt werden. Die
sollen sich mit der Messe, dem Brevier, dem Pontifikale, den Aufgaben der Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der Liturgie
Ritualien und dem Zeremoniale befassen. Da man sich jedoch sollen durch die ILK genauer bezeichnet und „einige Grund¬
entschlossen hat, die liturgischen Reformen „gradatim atque per ggtze, die in den vorgenannten Dokumenten nur in allgemeiner
progressiones" (ILK 4) durchzuführen, ergibt sich die Notwen- form enthalten sind, deutlicher umschrieben" werden (ILK
digkeit, Kriterien zu erarbeiten, die die endgültige Reform be- 3). ]n den Art. 4-7 des Vorworts wird noch einmal die theolo-
reits in den Hauptpunkten festlegen und die Richtung der litur- gische und pastorale Grundhaltung der LK nachdrücklich einge-
gischen Entwicklung definitiv anzeigen. Im Zusamenhang damit schärft.
steht eine weitere Aufgabe, die Cigognani in seinem Schreiben In ihrem Aufbau folgt die ILK Artikel für Artikel der LK.
nennt: Die Erarbeitung von Richtlinien „zur weiteren Einzel- Das j. Kapitel gibt „Allgemeine Richtlinien". Zunächst werden
durchführung der LK", das heißt die Vorbereitung einer Teil- die Fragen der liturgischen
reform, die für die gesamte Kirche Verbindlichkeit haben kann , „ T.
Bildung„und_,Ausbildung
.
behandelt:
. ,,,, ,
,
und j.j. n fj,. i ,. j ii^-j-d • Art. 11—13 (LKumsetzt.
15, 16, 18):
v\ -\ "„Die liturgische Ausbildung der
ta- wesentliche
t -i ! Gesichtspunkte
i. • • ] dert LK in die Praxis
j • Kleriker .
Diese Teilreform liegt jetzt in der „Instructio ad exsecutionem Art H_17 (LK ,7). Die iiturgische Formung des geistlichen
Ccnstitutionis de sacra Liturgia recte ordinandam" vor. Lebens der Kleriker".
Bischof O. Spülbeck berichtete in einem Vortrag vor dem Art. 18: „Die liturgische Bildung in den religiösen Geinein-
Berliner Liturgischen Kongreß (25.-28. 1. 65) über den Werde- Schäften".
gang der ILK und über die Schwierigkeiten, die sich aus der Art. 19: „Die liturgische Bildung der Gläubigen".
Zusammensetzung des Rates ergaben; die Mehrheit der Mit- Die Art. 20—31 regeln (gemäß LK 22, nicht 20, wie im
glieder war nicht unmittelbar an der Erarbeitung der LK betei- vorliegenden Text irrtümlich angegeben!) die „in liturgischen
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„Ober die heilige Liturgie". Lateinischer Text und deutsche Über- Bestimmungen über die Rolle und die Arbeitsweise der Bischofs¬
setzung. Miinster/W.: Aschendorff [1964]. 35 S. gr. 8° = Sonderdruck konferenzen getroffen, denen nach LK 22, § 2 die Vollmacht zu-
aus Liturgisches Jahrbuch, 4/1964. kommt, „innerhalb festgelegter Grenzen die Liturgie zu ordnen".

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