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Die Pädagogik des sicheren Ortes nach Kühn (2007)

Das Referatsthema, welches wir behandelt haben, ist das Konzept des sicheren Ortes nach
Martin Kühn (2006, S.6 ff). Dabei ging es insbesondere um die Rahmenbedingungen und
Funktionen des Konzepts und die verschiedenen Dimensionen zwischen den Klient*Innen
und Pädagog*Innen. Außerdem wurde Anhand des Beispiels einer Schule dargestellt, unter
welchen Voraussetzungen eine Institution ein sicherer Ort sein kann und anschließend eine
praktische Übung zum inneren Sicheren Ort durchgeführt. Mein Themenausschnitt befasst
sich mit dem Konzept der fünf sicheren Orte nach Baierl (2014, S.56 ff). Die fünf sicheren
Orte wurden dabei als Gegenüberstellung und Ergänzung zu dem sicheren Ort nach Kühn
vorgestellt. Die fünf sicheren Orte nach Baierl erläutern unterschiedliche Aspekte des
sicheren Ortes, die neben den von Kühn behandelten Aspekten ebenfalls von Interesse sein
können. Für das Konzept des Sicheren Ortes bilden die fünf sicheren Orte nach Baierl daher
in bestimmten Punkten eine Ergänzung und bieten gemeinsam mit der Pädagogik des
sicheren Ortes nach Kühn hilfreiche Handlungsmöglichkeiten für die Praxis.

Die fünf sicheren Orte nach Baierl (2014)

Die fünf sicheren Orte nach Baierl setzen sich aus dem äußeren sicheren Ort, dem
personalen sicheren Ort, dem Selbst als sicheren Ort, dem spirituellen sicheren Ort und dem
inneren sicheren Ort zusammen (Baierl 2014, S.56). Da traumatisierte Kinder und
Jugendliche ihre Umwelt häufig als gefährlich wahrnehmen, stellt der Äußere sichere Ort
einen Gegenpol dar, an dem Sicherheit und Geborgenheit erfahrbar wird. Ideale
Gegebenheiten für einen äußeren sicheren Ort sind gut abgedeckte körperliche, psychische,
soziale und spirituelle Grundbedürfnisse sowie möglichst viele Resilienzfaktoren und
möglichst wenige Risikofaktoren. Zudem sollten an dem Ort Menschen sein, die positives
ausstrahlen und ein Pädagogisches Klima herrschen, welches schützt, versorgt, stärkt,
fördert und dazu beiträgt, dass Selbstvertrauen, Vertrauen in eigene Fähigkeiten sowie das
Selbstwertgefühl neu erlernt werden können. Dabei sollte eine Transparenz,
Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit des Geschehens gegeben sein. Dies ergibt sich aus
flexibel-stabilen Strukturen, die Halt geben und Möglichkeiten der Partizipation eröffnen.
Ideale räumliche Gegebenheiten sind intakte Möbel, gemütliche gestaltete Räume,
verschließbare Orte für einen sicheren Rückzug, Gemeinschaftsräume, stabile,
individualisierbare Grundausstattung, Bewegungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der
Einrichtung sowie Kommunikationsmöglichkeiten, die unerwünschte Kontakte blockiert und
erwünschte ermöglicht (ebd. S.57 ff). Betroffene fühlen sich oft ungeliebt und glauben andere
Menschen seien gefährlich, nicht in der Lage oder nicht dazu bereit ihnen zu helfen. Ein
personaler sicherer Ort ist eine Person, bei welcher die Betroffenen Sicherheit und

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Geborgenheit erfahren, auch wenn Gefahren drohen. Die sichernde Person spendet Liebe,
Schutz und ist zuverlässig (ebd. S.60).

Der Personale sichere Ort kann eine Person oder eine Gruppe wie die Familie oder ein
Freundeskreis sein. Damit pädagogische Mitarbeiter*Innen ein personaler sicherer Ort sein
können, sollten sie ein Verständnis für komplexe Beziehungsdynamiken und
Bindungstheorien haben. Auch die Anpassung an das Tempo der Klient*Innen, die
Vermeidung von Betreuer- und Ortswechsel und transparente klientenzentrierte
Beziehungsangebote sind gute Voraussetzungen. Verhaltensweisen rufen bestimmte
Emotionen und Reaktionen in Pädagog*Innen hervor. Verstrickung in Persönliche Themen
lassen kein professionelles Klima zu. Supervision, kollegialer Austausch, das Besprechen
mit Freunden und Familie, Selbsthilfeliteratur, Beratung und Psychotherapie beugen dem vor
(ebd. S.60 ff). Kontrollverluste erzeugen bei Betroffenen Selbstzweifel und Angst, daher ist
ein weiteres Ziel, dass Betroffene die Sicherheit in sich selbst wiederfinden. Das Selbst als
sicherer Ort bietet die Möglichkeit Lebensfreude, Selbstkontrolle, soziale Kompetenzen und
Wege zum Selbstschutz zu erlernen (ebd. S.69). Der Glaube an eine Form von höherer
Macht ist nach Roehlkepartain, King, Wagener und Benson (2005) und Bucher (2007, S.14)
einer der Stärksten Resilienzfaktoren und spendet Geborgenheit, Sicherheit und Schutz.
Eine Gruppendynamik ähnlich denkender kann diesen Effekt verstärken. Laut WHO ist
spirituelles Wohlbefinden ein eigener Bestandteil von Gesundheit (Utsch; Bonelli; Pfeifer,
2014, S.7). Zudem gibt es inzwischen Forderungen, Spiritualität als vierten Faktor in das
biospychosoziale Modell aufzunehmen (Hefti, 2009, S.612 ff). Nach Richard und Bergin
(1997) fand bei Patienten oftmals erst eine Besserung statt, als ihre spirituellen Erfahrungen
berücksichtigt wurden. In klassischen Erziehungskontexten werden spirituelle Ausrichtungen
oft nicht berücksichtigt oder aus persönlichen Überzeugungen der Pädagog*Innen ignoriert.
Im Sinne von Spiritualität als sicheren Ort sollten Professionelle das Weltbild, welches
Klient*Innen mitbringen unterstützen, wenn es heilsame Wirkungen erzeugt, indem sie
Rituale nutzen, Zugang zu Glaubensfeiern ermöglichen und Gemeinschaftsgefühle fördern
(Baierl 2014, S.70 ff). Spiritualität die hingegen auf Angst, Druck und strafenden Mächten
basiert ist ein ernstzunehmender Risikofaktor, den es zu hinterfragen und eventuell
aufzulösen gilt (ebd, S.70; Bucher 2007, S.18 ff). Geringe bis starke äußere und innere
Auslöser erzeugen dissoziative Zustände in Form von Flashbacks und Intrusionen. Sich
einen mentalen inneren sicheren Ort zu schaffen kann vor diesen Zuständen schützen.
Dieser Ort kann innerpsychisch oder spirituell sein. Das kontrollierte Begeben in einen
dissoziativen Zustand und eigenständiges beenden wirkt der Angst vor unkontrollierten
Dissoziationen entgegen (Baierl 2014, S.70).

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Reflexion für die eigene Praxis

Das Konzept des sicheren Ortes empfinde ich als sehr hilfreich für meine Praxis.
Traumatisierte Menschen oder Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen finden
sich nicht ausschließlich in Bereichen traumapädagogischer Arbeit. Auch in anderen
Bereichen wie der Schule, in Wohneinrichtungen, Betreuungseinrichtungen etc. besteht die
Möglichkeit, auf traumatisierte Menschen zu stoßen. In den Arbeitsfeldern der Sozialen
Arbeit ist es daher immer hilfreich, für diesen Fall über Hintergrundwissen zu verfügen und
Handlungsmöglichkeiten greifbar zu haben. Besonders der Einbezug der institutionellen
Strukturen und die Betrachtung der Gesamtsituation hinsichtlich der pädagogischen Triade
zwischen Adressat*Innen, Pädagog*Innen und der Einrichtung erscheint mir für meine
zukünftige Praxis sehr wichtig (Kühn; Bialek 2017, S. 59). Den Vergleich von Kühn (2013,
S.33 ff)., das Pädagog*Innen als Sicherheitsbeauftragte, Sprachforscher*Innen und
Entwicklungshelfer*Innen handeln sollten, sehe ich als sehr treffend. Ich arbeite momentan
in einem ambulanten Betreuungsdienst für Menschen mit geistigen Behinderungen. In
Supervisionen habe ich bereits mitbekommen, dass ein paar der Klient*Innen von ihren
Eltern misshandelt wurden, oder in ihrer Vergangenheit potenziell traumatisierende
Ereignisse stattfanden. Wie von Kühn (2013, S.35) bereits beschrieben, stellt die Zielgruppe
von Menschen mit Behinderungen eine besonders vulnerable Hochrisikogruppe in Bezug auf
traumatische Belastungen dar. Bisher wurden jedoch keine traumapädagogischen Inhalte in
unserer Einrichtung besprochen oder Schulungen zu der Thematik durchgeführt. Ich würde
sagen, dass unsere Einrichtung im Sinne des äußeren sicheren Ortes nach Kühn (2013,
S.33) bereits als solcher bezeichnet werden kann, da die Strukturen dort für die Klient*Innen
durchsichtig und kalkulierbar sind, Betreuer*Innen für sie zuverlässig und erreichbar sind,
sowie Angebote sicher und mit Bedacht gestaltet sind. Allerdings denke ich, dass seitens der
Mitarbeitenden und auf Seiten der Leitung und dem Träger in dem Bereich der
Traumasensibilität noch einiges getan werden kann, um einen emotional-orientiert mit
Betroffenen zu kommunizieren und einen sicheren Handlungsraum (Kühn 2013, S.34) zu
schaffen. Dies könnte bei Fortbildungen zu dem Thema beginnen. Auch außerhalb der
Behindertenhilfe denke ich, dass die Thematik und Konzepte wie der Sichere Ort präsenter
werden müssten. In meinem Vorpraktikum im Jugendheim gab es einen Jugendlichen,
welcher oft Wutausbrüche hatte und für die Betreuer*Innen und mich unverständlich
gehandelt hat. Als ich mich mit dem Konzept des sicheren Ortes beschäftigt habe, habe ich
an diese Situationen zurückgedacht und mich gefragt, ob die Einrichtung für den Betroffenen
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ein sicherer Ort war und von ihm als solcher wahrgenommen wurde. Dass die
Verhaltensweisen eventuelle Folgen eines Traumas gewesen sein könnten, welche der
Jugendliche nicht ausdrücken konnte, wurde nicht in Betracht gezogen. Die Pädagog*Innen
kamen zudem oftmals an ihre Grenzen. Daher sehe ich den Einbezug der biografischen
Persönlichkeit pädagogischer Fachkräfte und Schutzmaßnahmen für Pädagog*Innen, wie
Supervisionen, in jeder Einrichtung im sozialen Bereich als besonders wichtig. Da
traumabezogene Hilfen interdisziplinär übergreifen müssen (kühn 2011, S.12) und
Sozialarbeit*Innen oftmals die ,,Brückenbaufunktion“ in interdisziplinärer Arbeit übernehmen
(Wider, Mette 2013, S.10 ff), sollte dies auch hinsichtlich traumabezogener Arbeit erfolgen.
Da die Pädagogik des sicheren Ortes oder andere traumapädagogische Inhalte in anderen
disziplinären Bereichen und Institutionen wie der Schule, in juristischen Einrichtungen, bei
Ämtern und Behörden, etc. wenig oder gar nicht behandelt wird, sollten Sozialarbeiter*Innen
bei Berührungspunkten zwischen den betroffenen Adressat*Innen und diesen Einrichtungen,
für Trauma sensibilisieren und Konzepte vermitteln, um weitere Verletzungen und
Traumafolgen zu vermeiden. So könnte beispielsweise durch die Mitgestaltung der
Schulsozialarbeiter*Innen und den Einbezug von traumapädagogischen Inhalten die Schule
selbst für ein betroffenes Kind zum sicheren Ort werden. Auch in Werkstätten der
Behindertenhilfe und besonders in Wohneinrichtungen kann dieses Konzept Betroffene
schützen und sie bei ihrem Wiederaufbau von Ressourcen fördern und stärken. Die
Pädagogik des sicheren Ortes ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe (Kühn 2011, S.12),
welche in Bezug auf die Zielgruppe und Inklusion ohnehin ein wichtiger Aspekt ist. Ich sehe
in dem Konzept sehr viel Potenzial, eine neue, gezielte Herangehensweise und die
Möglichkeit, Betroffene ihren Umständen gerecht und traumasensibel zu unterstützen.

Literaturverzeichnis

Baierl, M. & Frey, K. (Hrsg.). (2014). Praxishandbuch Traumapädagogik. Lebensfreude,


Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht. S.56-71

Bausum, J.; Besser, L.; Kühn, M.; Weiß, W. (Hrsg.). (2013). Traumapädagogik Grundlagen,
Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis 3., durchgesehene Auflage. S.33-35

Bucher, A. (2007). Psychologie der Spiritualität. Weinheim: Beltz. S.14-19

4
Hefti, R. (2009). Integrating spiritual issues into therapy. In P. Huguelet, H. G. Koenig (Eds.),
Religion and spirituality in psychiatry (pp. 244–267). New York: Cambridge University Press.
S.612

Kühn, M. (2006). Bausteine einer „Pädagogik des Sicheren Ortes“ - Aspekte eines
pädagogischen Umgangs mit (traumatisierten) Kindern in der Jugendhilfe aus der Praxis des
SOS-Kinderdorfes Worpswede. Fachtagung „(Akut) traumatisierte Kinder und Jugendliche in
Pädagogik und Jugendhilfe“ Merseburg, 17./18.02.2006. S.6 ff

Kühn, M. (2007): Wir können auch anders – Anmerkungen zu einem interdisziplinären


Verständnis von Trauma und Kindheit in der Pädagogik. Unveröffentlichtes
Vortragsmanuskript zit. Nach Weiß, W. (2016). Traumapädagogik: Entstehung, Inspirationen,
Konzepte. in Weiß, W.; Kessel, T.; Gahleitner, S. (Hrsg.) Handbuch Traumapädagogik
Kühn, M. (2011). Trauma als Destruktion des Dialogs mit dem Selbst, der Umwelt und dem
Leben an sich. Sozial Extra 35. S.12, https://doi.org/10.1007/s12054-011-0404-5

Kühn, M; Bialek. J. (2017) Fremd und kein Zuhause. Traumapädagogische Arbeit mit
Flüchtlingskindern. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht. S.59

Mette, T.; Wider, B. (2013). Soziale Arbeit und Interdisziplinarität Begriff, Bedingungen und
Folgerungen für die Soziale Arbeit. In: SozialAktuell. S.10 ff https://www.vbmb.ch/userfiles/
downloads/Tagung_Zusammenarbeit/Soziale%20Abeit%20und%20Interdisziplinaritaet.pdf

Richards, P. S., Bergin, A. E. (1997). A spiritual strategy for counseling and psychotherapy.
Washington DC: American Psychological Association.

Roehlkepartain, E., King, P., Wagener, L., Benson, P. (2005). The handbook of spiritual de-
velopment in childhood and adolescence. Thousand Oaks: Sage Publications
zit. Nach: Baierl, M. & Frey, K. (Hrsg.). (2014). Praxishandbuch Traumapädagogik.
Lebensfreude, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht.S.69

Utsch, M., Bonelli, R., Pfeifer, S. (2014). Psychotherapie und Spiritualität: Mit existenziellen
Konflikten und Transzendenzfragen professionell umgehen. Berlin u. Heidelberg: Springer.
S.7

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Herausarbeiten/Verbinden theoretischer Bezüge und Skizzierung der praktischen
Anwendung Ausarbeitung:

- 0,5 Seite: ins Referatsthema

- 1 Seite: Darstellung des eigenen Themenausschnitts

- 1-2 Seiten: Reflexion (des Gruppen-Themas) im Hinblick auf die eigene Praxis

- Form: drei bis (max.) vier Seiten/Person, Schriftgröße 11/12, 1,5 Zeilenabstand,
Literaturverzeichnis, Quellenangaben im Text mit Seitenzahl (auch Verweise)

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