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MONGOLEI: WO WAR ULENSPIEGEL

FENSTER INS ALL ZU HAUS?


UND
MENSCHEN
Zur Zeit der Oktober­
revolution war der Atom­
physiker Igor Kurtschatow
erst 14 Jahre alt Er ver­
diente sich seinen Unter­
halt mil Plakalkieben, als
Erzieher in einem Kmder-
heim, als Holzhacker und
als Wächter in einem Ki- 'm
no. Nachts aber saß er
beim Schein einer Tran-
funzel über Büchern Sc
oder ähnlich verlief da­
mals die Jugend vieler
Menschen, z. B. des spä­
teren Raumschiffkonstruk-
feurs Sergej Koroljow, de-
bedeutenden Physiker Lew
Landau und Pjotr Kapiza
und noch vieler andere', 1 I
ohne die die moderne

Ungeachtet des Hungers beiter-, Bauern- und Rol- te: ..Ober Rußland ist die
und der Zerrüttung des armislendeputierten ange­ Sonne eines neuen Lebens
Landes beschäftigten sich hörte. Der bedeutende einer neuen Welt auf-
die Enthusiasten am Zen- Theoretiker und Praktiker oegangen.
rt » Iralen aero- und hydro­ der Olgeologie Iwan Gub­
dynamischen Institut kin, der im Herbst 1917 I. Kurtschatow an einer
(ZAG1) mit der Theorie in den USA weilte, erklär­ Hochspannungsanlage

w T und Praxis des Flugzeug­

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baus. Im Mai 1922 wurde
L J das erste sowjetische
Flugzeug, ein Eindecker,
getestet. Es mangelte an
Getreide und Brennholz,
aber im Radiolabor von
Nishni Nowgorod schmie­
dete man hochfliegende
Pläne für eine Radiofizie­
Der sowjetische Physiker
rung des Landes. In Lenin­
P. Kapiza
grad scharfe Akademiemil­
glied Abram Joffe be­
Wissenschaft gar nicht
gabte junge Physiker um
denkbar wäre. Erstmalig
sich und brachte mit ihnen
war Arbeiter- und Bauern­
die Erforschung der Po­
kindern der Weg in die
lymere, Halbleiter, elek­
Welt der Wissenschaft ge­
tronischen Erscheinungen
bahnt.
und der Atomphysik in
Die Sowjetmacht maß
Gang.
der Wissenschaft von
Die älteren Wissen­
AnfangI an hervorragende
schaftler standen verschie­
Bedeutung für die Umge­
den zur Revolution. Eini­
staltung des zurückge­
ge lehnten sie ab und
bliebenen Landes und für
wanderten aus. Andere
den Aufbau des Sozialis­
wie z.B. der berühmte
mus bei In den ersten,
Physiologe Iwan Pawlow
schwerster, Jahren tat sie
legten ihre unverhohlene
alles, um den Wissen­
Feindseligkeit ab und er­
schaftlern em ungestörtes
kannten die Sowjetmacht
Arbeiten zu ermöglichen
rückhaltlos an.
Im Dezember 1921 erließ
Der Physiologe Timirja-
die Regierung au!
sew war auf seine zahlrei­
Initiative Lenins ein Dekret
chen wissenschaftlichen
„Über die Verbesserung
Grade weniger als darauf
der Lebensverhälfnisse
stolz, daß er dem
der Wissenschaftler" und
Moskauer Sowjet der Ar-
im Januar 1922 em wei­
teres .Über Maßnahmen 31. Dezember 1925.
zur Verbesserung der Im ZAG1 war der größte
Wohnverhältnisse der Wis­ Windkanal der Welt
senschaftler". gebaut worden
MOSKAUER HEFTE NEUE Jlj
SEIT
März 1937
FÜR POLITIK Gründungsjahr 1943

IN DIESEM HEFT:

2 20
Wort des Redakteurs Weltwirtschaft
POLITIK UND HANDEL F. Gorjunow. KATZENJAMMER
DER REAGANOMICS
3
V. Ignatenko, A. Kowrigin.
DER VIERTE DIALOG
Hafmcn 23
UdSSR—Mocambique
5 B. Piljazkin. BEISTAND
Panorama IN DER NOT

8 Air-America-Hubschrauber in Indochina. 24
M. Kocvarova. STÖRFALL Mit Opium an Bord Zeitgeschichte
IN DER PRESSE GENUA-RAPALLO
Neue Dokumente und Forschungen
9
NZ-Umfrage
Ide Oumarou (OAU),
27
Shafic Jorge Handal (El Salvador) Mongolei
L. Mletschin. DAS DOUBLE
10
Exklusiv für NZ 29
Geoffrey Howe, Bernhard Grzimek: FÜR IMMER
Außenminister Großbritanniens IN DER SERENGETI
BRITISCH-SOWJETISCHE BE­
ZIEHUNGEN: Kapitalistische Wirtschaft 86.
Was bringt die nächste Welle! 30
GESEHEN AUS LONDON...
Kultur und Politik
G.Gerassimow ...UND AUS MOSKAU W. Boikow. IN ULENSPIEGELS
HEIMAT
12 ' - —
Frankreich l’i-
DIE HOFFNUNG, 32
DIE IN REYKJAVIK AUFKAM Theater
Auszüge aus einem Buch IM
MONOLOGE NACH DER
von Maxime Gremetz,

5
PREMIERE
Mitglied des Politbüros der FKP Arthur Millers Stück
bei "Sowremennik"
17
A. Pumpjanski. GESTÄNDNIS
IM WILLARD ■ I
.. Titelbild:
Plakat von Gustavo Gomez-Casallas
und Rodrigo Fernandez Neira
18 (Spanien)
NZ-Recherchen
L. Jelin. "IRANGATE" Das Ulenspiegel-Denkmal
BEGANN IN VIETNAM in seinem "Geburtsort" Damme, Belgien

Chefredakteur
V. IGNATENKO

Redaktionskollegium:
L. BESYMENSKI,
S. GOUAKOW,
J. GUDKOW
(verantw. Sekretär],
A. LEBEDEW,
A. PIN,
B. PISTSCHIK
(stellv. Chefredakteur),
A. PUMPJANSK1
(stellv. Chefredakteur],
V. TSCHERNJAWSKI
(stellv. Chefredakteur)
"NEUE ZEIT" 13.87 1
I

Ungeachtet des Hungers beiter-, Bauern- und Rot- ie: „Ober Rußland ist die
und der Zerrüttung des armistendeputierfen snge- Sonne eines neuen Lebens
Landes beschäftigten sich hörfe. Der bedeutende einer neuen Welt auf­
die Enthusiasten am Zen­ Theoretiker und Praktiker gegangen. '
tralen aero- und hydro­ der Olgeologie Iwan Gub­
dynamischen Institut kin, der im Herbst 1917 I. Kurtschatow an einer
(ZAGI) mit der Theorie in den USA weilte, erklär- Hochspannungsanlage
und Praxis des Flugzeug­ ”r—

baus. Im Mai 1922 wurde


das erste sowjetische
Flugzeug, ein Eindecker,
getestet. Es mangelte an
Getreide und Brennholz,
aber im Radiolabor von
Nishni Nowgorod schmie­
dete man hochfliegende
Pläne für eine Radiofizie­
Der sowjetische Physiker
rung des Landes. In Lenin­
P. Kapiza
grad scharte Akademiemit­
glied Abram Joffe be­
Wissenschaft gar nicht
gabte junge Physiker um
denkbar wäre. Erstmalig
sich und brachte mit ihnen
war Arbeiter- und Bauern­
die Erforschung der Po-
kindern der Weg in die
lymere, fHalbleiter, elek-
Welt der Wissenschalt ge­
Ironischeni Erscheinungen
bahnt.
und der Atomphysik in
Die Sowjetmacht maß
Gang.
der Wissenschaft
Wissenschaft von
Die älteren Wissen­
AnfangI an hervorragende
schaftler standen verschie­
Bedeutung für die Umge­
den zur Revolution. Eini­
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ge lehnten sie ab und
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wanderten aus. Andere
den Aufbau des Sozialis­
wie z. B. der berühmte
mus bei In den ersten,
Physiologe Iwan Pawlow
schwersten Jahren tat sie
legien ihre unverhohlene
alles, um den Wissen-
Feindseligkeit ab und er­
scha'tlern ein ungestörtes
kannten die Sowjetmacht
Arbeiten zu ermöglichen
rückhaltlos an.
Im Dezember 1921 erlieE
Der Physiologe Timirja-
die Regierung auf
sew war auf seine zahlrei­
Initiative Lenins ein Dekret
chen wissenschaftlichen
„Über die Verbesserung
Grade weniger als darauf
der Lebensverhälfnisst
stolz, daß er dem
der Wissenschaftler" und
Moskauer Sowjet der Ar-
im Januar 1922 ein wei­
teres „Über Maßnahmen 31. Dezember 1925. .<
zu' Verbesserung der Im ZAGI war der größte
Wohnverhältnisse der Wis­ Windkana! der Welt
i
senschaftler". gebaut worden
i
3
WORT DES RED'
POST
POLITIK UND HANDEL
Zwei Meldungen kamen in der übermäßige Reglementieren der
vergangenen Woche aus Wa­ Wirtschaft, darunter des Außenhan­
Gleich mir denken viele shington. Das State Department dels, wirkte sich negativ aus.
Italiener mit Schrecken an bestätigte die ablehnende Haltung Die einsetzende Umstrukturie­
den vergangenen Krieg
zurück. Millionen sinnlos der US-Administration zu einem rung von Wirtschaft und Außenhan­
zugrunde gerichtete Beitritt der Sowjetunion zum GATT. del verändert die Situation, wenn
Menschen, Millionen Ver­ Die Bestätigung war von den neue Formen der Zusammen­
luste! Wie viele Eltern, die Konservativen verlangt worden. Sie arbeit auch neue Probleme erge­
vergeblich auf ihre Söhne
warteten! Wie viele junge zeigten Besorgnis darüber, daß ben. So traten bei den Unter­
Witwen mit Kleinkindern namhafte amerikanische Ge­ handlungen mit westeuropäischen
wurden ihrem Schicksal schäftsleute Moskaus Bereitschaft Firmen über die Gründung gemein­
überlassen! begrüßen, an dieser internationalen samer Unternehmen zwei
Als aufrechter Mensch
halte ich für geboten, daß
Handelsorganisation teilz unehmen. Standpunkte zutage. Nach Ansicht
sich die Regierungen auf Laut „Washington Times" trach­ der sowjetischen Wirtschaftsexper­
die Entspannungspolitik tet das Pentagon danach, ten sollten die Erzeugnisse vorwie­
orientieren müssen. Der die Erfüllung des sowjetisch-ameri­ gend auf westliche Märkte kom­
Krieg darf sich nie wieder­
holen! kanischen Abkommens über die men. Die westeuropäischen Ge­
Antonio FORGIONE Zusammenarbeit im Wohnungsbau schäftsleute dagegen meinen, daß
Lucera, Italien zu torpedieren. Das kann die die gemeinsamen Unternehmen auf
Teilnahme von 120 US-Firmen an den riesigen sowjetischen Markt zu
einer in Moskau im Mai bevorste­ orientieren seien. Ein Unterschied?
henden Ausstellung erschweren. Der Selbstverständlich. Aber beim Stre­
Es ist mir eine Genug­
Grund? Angeblich könnten die ben der Partner nach einer beider­
tuung, wie offen man in
Ihrem Land Probleme an­ Sowjets das Abkommen benutzen, seits annehmbaren Lösung kann die
spricht und sich mit diesen um an Informationen über amerika­ gemeinsame Produktion nötiger
auseinandersetzt. Hof­ nische Militärtechnologie zu ge­ Waren und Dienstleistungen in die
fentlich wird sich dieser
langen. Wege geleitet werden. Das ist eine
eingeschlagene Weg posi­
tiv auswirken und auch auf Zwei Tatsachen, die ein Zusammenarbeit, die ihrem Wesen
andere Länder ausstrahlen. Schlaglicht auf die Unterschiede im nach die militärischen Prioritäten,
Wir könnten von unserer Herangehen an den Ost-West- das militaristische Denken bei der
Zusammenarbeit gegensei­
tig lernen. Ich wünsche
Handel in den USA und anderwärts Bereinigung internationaler Dif­
Ihrem Land und den werfen. Die Geschäftswelt ist dafür. ferenzen negiert.
Menschen viel Erfolg in Die Rechtspolitiker und Militärs Für den Ausbau der Zusammen­
dem Prozeß der Ausein­ sind dagegen. arbeit können auch günstige Be­
andersetzung und bin da­
Warum sind sie es? Weil sie ihr dingungen geschaffen werden. Da­
von überzeugt, daß Ihre
Partei diesen Weg er­ eigenes Geschäft betreiben und von zeugen u. a. die Verhandlun­
folgreich zum Wohl der sich Gewinne aus den politischen gen zwischen RGW und EG. Ihre
Menschheit und zur Ge­ Spannungen, aus dem Wettrüsten jüngste Runde fand vor wenigen
währleistung des Friedens
versprechen. Deshalb versuchen Tagen in Genf statt.
weitergehen wird.
Harald GRONBECK diese Geschäftemacher, jedes Viele Politiker und Ge­
Magdeburg, DDR Nachlassen im Konfrontationskurs schäftsleute im Westen sagen heu­
zu verhindern. te, daß sie ihre Hoffnungen auf ein
Die UdSSR geht davon aus, daß besseres Weltklima an die Verän­
man nicht nur vom nuklearen derungen in der UdSSR knüpfen.
Ich verfolge Ihre Publi­
kationen über eine Abgrund abrücken, sondern auch Warum aber werden Veränderun­
kernwaffenfreie Welt kon­ das Vertrauen zwischen Ost und gen nur von der UdSSR erwartet?
sequent. Meines Erachtens West durch wirtschaftliche Zusam­ Braucht der Westen Zusammenar­
ist das der einzig richtige menarbeit festigen muß. Die beit statt Konfrontation etwa weni­
Weg, um der Menschheit
die Sicherheit zu garantie­ westliche Geschäftswelt scheint ger als die sozialistischen Länder?
ren dazu bereit zu sein. Dort sieht man: Aus der Tatsache, daß sich
Es wäre schön, wenn Die sowjetischen Vorschläge sind westliche Geschäftsleute trotz der
Generalsekretär Gor­ durch konkretes Handeln gedeckt. Trägheit und nicht selten auch des
batschow von meiner Mei­
nung erfährt, weil ich seine Gewiß, der Wunsch Moskaus, Widerstands der Politiker für einen
Politik aus tiefstem Herzen die gegenseitig nützliche Zusam­ Ausbau des Handels mit dem Osten
begrüße. Ich finde, daß die menarbeit mit dem Westen zu einsetzen, folgt: Die Politik des
ganze Welt ihn unbedingt erweitern, wurde früher nicht im­ Westens bleibt hinter den Erfor­
unterstützen muß.
Lionel BEST mer durch Taten bekräftigt. Das dernissen seiner Wirtschaft zurück.
New York,USA
2 "NEUE ZEIT" 13.87
Von unseren Sonderkorrespondenten
Vitali IGNATENKO und Anatoli KOWRIGIN

Im Rahmen des Internationalen Forums für


Kontakte der Friedenskräfte fand in Wien ein
Dialog über Abrüstung und Entspannung
statt

Intensiver denn je empfindet sich der Moskauer Forums. Er verdeutlichte das Daniel Abodakpis Heimat liegt weit
Mensch heute als Mitschöpfer der wachsende Interesse der Öffentlichkeit von Europa entfernt. Er kommt aus
Geschichte. Deshalb wird die Erkenntnis und politischer Kreise in Westeuropa, Ghana. Wie er sagt, könne Michail
des akutesten Gegenwartsproblems - den USA und den Entwicklungsstaaten Gorbatschows Vorschlag der weltweiten
Schutz des Friedens vor einer nuklearen an einer kollektiven, auf objektiver Entwicklung eine Richtung verleihen,
Apokalypse, Oberleben der Menschheit - Analyse beruhenden Diskussion über von der die Menschen aller Kontinente
zum politischen und moralischen Stand und Aussichten des Kampfes der bisher nur zu träumen wagten, und biete
Hauptcharakteristikum von Millionen. Friedenskräfte für Abrüstung, Sicherheit einen realen Weg zur Erlösung der
Erstmalig sieht sich die Menschheit als und das Oberleben der Menschheit. Menschheit von der nuklearen Gefahr.
Ganzheit, hat die weltweiten Zusammen­ Der Japaner Hiroshi Tachiki vertritt
hänge ins Auge gefaßt und lernt, einen ähnlichen Standpunkt: „Wir hof­
allgemeine und partielle Interessen mit­
Thema Mr. *1 fen, daß der von der UdSSR unternom­
einander ins Gleichgewicht zu bringen. Der diesjährige Winter in Österreich mene Schritt zu einer Vereinbarung die
Immer deutlicher und schmerzlicher war ungewöhnlich lang und kalt. Frosti­ konkrete Gestalt eines Abkommens an­
vergegenwärtigen wir uns: Keines der ges Wetter hielt sich auch noch im März, nehmen wird. Darauf warten nicht nur
lebenswichtigen Probleme, denen sich da der Rasen in den Wiener Parkanlagen die Völker Europas, sondern auch die
die Menschen morgen schon gegenüber­ sonst schon grün ist und die Bäume neue Einwohner der Länder, die in den weiter
sehen können, wird erfolgreich gelöst, Blätter zeigen. Die Stadt blieb ver­ entfernten Regionen unseres Planeten
solange der Frieden nicht gewährleistet schneit, die Seen und selbst die Donau­ liegen."
ist. buchten eisbedeckt. Es heißt, einen Yuko Yamaguchi, die vor mehr als 40
Es gilt, auf jedem Gebiet - in solchen Winter habe es seit mehr als 100 Jahren Hiroshima erlebt hatte, sagte:
Wirtschaft oder Wissenschaft, Diplomatie Jahren nicht gegeben. Selbstverständlich „Ich kann nicht ruhig leben, solange es
oder Kultur - mit doppelter Kraft für die ein gefundenes Fressen für die weisen Kernwaffen gibt. Das kann nicht anders
Festigung des Friedens zu kämpfen und Wetterfrösche in Fernsehen und Presse. sein, weil ich den ganzen Schrecken und
ihn nicht einfach als krieglosen Zustand das menschliche Leid jenes Tages noch
aufzufassen, sondern als ein gerechtes Aber nach Artikeln, Fernseh- und immer vor mir sehe. Alle wissen, was
und demokratisches System der interna­ Radiokommentaren von Journalisten, Po­ von unserer blühenden Stadt mit 400 000
tionalen Beziehungen. Die sinnlosen litologen und Militärs aus vielen Ländern Einwohnern nach der amerikanischen
Versuche, das Leben der Menschen den zu urteilen, fesselte vor allem der in Atombombe übrigblieb. Unter den Op­
Kernwaffen anzupassen, müssen aufge­ Michail Gorbatschows Erklärung vom 28. fern waren auch meine Eltern. Ich will
geben werden. Es gilt, überhaupt ohne Februar enthaltene Vorschlag über die dafür kämpfen, einmal an ihrem Grab
Bombe leben zu lernen. Beseitigung aller Mittelstreckenraketen sagen zu dürfen: Alle Kernwaffen auf der
aus Europa die Aufmerksamkeit der Erde sind vernichtetl"
Moskau —Wien Öffentlichkeit. Die Erklärung wurde kurz
vor dem Wiener Dialog veröffentlicht.
All diese Aufgaben, die die Ge­
An diesem Treffen beteiligten sich
Das Vorankommen
schichte in den Mittelpunkt stellt, haben beschleunigen
Parlamentarier, Parieivorsitzend®, Ge­
auch in Massenbewegungen neue Pro­
werkschafter, Delegierte von Frauen- und
zesse ausgelöst. Die reale Gefahr einer Die Teilnehmer des Treffens erkannten
Jugendorganisationen, bekannte Vertre­
nuklearen Selbstvernichtung der den engen Zusammenhang zwischen den
ter der Öffentlichkeit und Kulturschaf­
Menschheit aktiviert immer neue Bevöl­ Problemen der Welt. Wie die Arbeit in
fende aus mehr als 60 Ländern. Der
kerungsschichten vieler Länder auf ver­ vier Kommissionen zeigte, sind sich die
sowjetische Vorschlag prägte in hohem
schiedenen Kontinenten und erhöht die Gruppen und Organisationen der Anti­
Maße den Verlauf der Konferenz.
Wirksamkeit des Kampfes um eine kriegsbewegung, wie unterschiedlich sie
Welches Thema ihre Teilnehmer auch
kernwaffenfreie Welf. Ein wesentliches an einzelne komplizierte Fragen der
behandeln mochten, letzten Endes
Moment dieses Prozesses ist das Streben heutigen Welt auch herangehen mögen,
mußten sie zugeben, daß er den Weg
unterschiedlicher politischer Bewegun­ darin einig, daß die dringlichsten Ge­
zur realen Abrüstung eröffnet.
gen nach dem Dialog, danach, un­ bote heißen: Befreiung der Welt von
terschiedliche - übereinstimmende, paral­ Nelly Maes, Abgeordnete des bel­ Kernwaffen, Verhinderung einer Militari­
lele, alternative - Positionen zu den gischen Senats, erklärte auf dem Forum: sierung des Weltraums, Einstellung
aktuellen Problemen von Krieg und „Das ist ein wahrhaft historischer Schritt. neuer Nuklearexplosionen.
Frieden zu ergründen. In meiner Heimat, auf belgischem Boden, Die Teilnehmer des Dialogs verwiesen
Dieses Gebot der Zeit fand auf dem sind bereits 16 US-Flügelraketen statio­ darauf, daß das Vorankommen zu einer
Moskauer internationalen Forum „Für niert worden. In diesem Herbst sollen kernwaffenfreien Welt heute beschleu­
eine kernwaffenfreie Welt, für das gleich mehrere Dutzend hinzukommen. nigt werden muß. Auf Seminaren kamen
Oberleben der Menschheit" maßgebliche Ich glaube jedoch, daß es jetzt nicht so entsprechende Vorschläge zur Erörte­
und fruchtbare Bestätigung. weit kommt. Neue US-Raketen gegen­ rung. So wurde vorgeschlagen, den
Der Dialog über Fragen der Abrüstung wärtig, nach dem sowjetischen Vor­ Kampf der Friedenskräffe für das Einfrie­
und Entspannung in Wien bildete schlag, zu stationieren, hieße, gemein ren der strategischen und konventionel­
gleichsam eine logische Fortsetzung des und unfair zu handelnl" len Waffen, für die Schaffung kernwaffen-

"NEUE ZEIT" 13.87 3


und C-Waffen-freier Zonen zu verstär- viele vernünftige Gedanken, Vorschläge industrielle Entwicklung nach euro­
ken. und einseitige Abrüstungsmaßnahmen päischem oder nordamerikanischem
Die Diskussionen trugen viel dazu bei, entweder abgelehnt oder unbeantwortet Muster an sich überall zur Verbesserung
die Haltlosigkeit der Doktrin der „nu­ gelassen wurden. Deshalb fordern wir des Lebens führen werde und daß dazu
klearen Abschreckung' aufzuzeigen. Ver­ sämtliche Antikriegsbewegungen und jedes Volk nur ein gegebenes Ent­
treter verschiedener Länder betonten, Organisationen auf, alles daranzusetzen, wicklungsmodell nachzuahmen habe.
daß die militaristischen Kreise des um diesmal positive Resultate zu erzie­ Dem sei nicht so.
Westens .mit dieser Doktrin ihre Anstren­ len. In Wien wurde von besorgniserregen­
gungen maskieren wollen, die militä­ Unsere erste Forderung heißt heute: den Tendenzen gesprochen, z. B. von
rische Überlegenheit zu erlangen. Wie ein Moratorium für die weitere Erhöhung rascher Erhöhung des Anteils der Ent­
der Vertreter der bundesdeutschen Öf­ der Arsenale dieser Waffentypen zu wicklungsländer an den Militärausgaben
fentlichkeit Lorenz Knorr sagte, basiere erklären, um uns möglichst bald von der Welt. Für die Entwicklungsländer mit
diese Konzeption selbst auf einer provo­ ihnen zu befreien. ihrer Rückständigkeit, Armut und dem
katorischen, verlogenen militärpoli­ Die Beseitigung der Mittelstreckenra­ Hunger von Hunderten Millionen, mit
tischen Doktrin, der zufolge die Gefahr keten kann definitiv die Erzielung ande­ ihrem Mangel an materiellen und finan­
angeblich von der UdSSR ausgehe und rer Abkommen - über den Nuklear­ ziellen Ressourcen bedeutet selbst ein
die „nukleare Abschreckung" den USA teststopp, die Einschränkung strate­ Prozent der globalen Militärausgaben
und ihren NATO-Verbündeten die gischer Rüstungen, die Abschaffung etwas ganz anderes als für die
Sicherheit gcrantiere. Dabei hätten selbst der Star-Wars-Programme, das Verbot hochentwickelten Staaten. Zudem stehen
maßgebliche amerikanische Experten, chemischer und die Reduzierung der Entwicklung und Abrüstung in engem
darunter Ex-Verteidigungsminister Ro­ konventionellen Waffen — fördern. Zusammenhang. Deshalb muß die Ab­
bert McNamara, diese Doktrin anhand Es besteht eine reale Möglichkeit, die rüstung Anliegen gesamten
der
konkreter Angaben widerlegt. Welt von Massenvernichtungswaffen zu Menschheit sein, und kein einziges Volk
Bemerkenswerte Veränderungen tre­ erlösen. darf bei der Lösung dieses Problems
ten auch in den Stimmungen der Dafür werden wir weiter kämpfen!" untätig bleiben.
Teilnehmer des Dialogs, der zum 4. Male Und noch etwas. Von der Verhinde­
durchgeführt wird, ein. Es besteht ein Abrüstung und Entwicklung rung eines Kernwaffenkrieges hängt
ständiger Teilnehmerkern, aber jetzt Dieses Thema wurde wohl am inten­ unmittelbar die Lösung anderer aktueller
schalten sich neue Kräfte und Bewegun­ sivsten erörtert. Sachkundig und globaler Probleme ab: des Ernährungs-,
gen in den Dialog ein. Man sieht, wie gründlich wurden Probleme nicht nur der des Energie-, des Umweltproblems und
polemisch zugespitzt, vor allem aber wirtschaftlichen Aspekte des Wettrüstens anderer, die die Lebensinteressen aller
gegenständlich und zielbewußt solche analysiert und Fakten genannt, die im Länder und Völker betreffen und die nur
Treffen werden. Bei vielen Politikern, die Grunde eine Anklage gegen das kapita­ in gemeinsamen Anstrengungen aller
sich an den Wiener Dialogen beteiligen, listische System und die Raubpoiitik des Staaten gelöst werden können.
merkt man den Willen, das Verhalten der Imperialismus sind.
eigenen Regierungen und Staaten zu Wie auf dem Treffen konstatiert wurde, Auf Plenarsitzungen und bilateralen
beeinflussen und mit den Gegebenheiten besteht ein Zusammenhang zwischen der Seminaren wurden Erfahrungen bei Anti-
des Nuklearzeitalters in Einklang zu Gefahr eines Kernwaffenkrieges und dem kriegsaktipnen ausgetauscht und Vor­
bringen. Es ist überaus wichtig, den Provozieren regionaler Konflikte und der schläge für neue konkrete Aktivitäten
Menschen die Eindeutigkeit der Alterna­ Einmischung der Neokolonialisten in die formuliert. Hierbei hoben die Teilnehmer
tive klarzumachen. Entweder geht das inneren Angelegenheiten der Ent­ die Notwendigkeit hervor, ständig nach
Wettrüsten, das Gründe und Anlässe zu wicklungsländer. Bereichen der Zusammenarbeit zwischen
Konflikten und die Gefährlichkeit der Es sei an der Zeit, hoben die verschiedenen Antikri eg sbe wegungen
Konfrontation steigert, mit all seinen Teilnehmer des Dialogs hervor, den zu suchen sowie solche Dialoge fortzu­
katastrophalen Folgen weiter. Oder die Zentren der Wirtschaftsmacht das Mono­ führen und zu erweitern, damit Einver­
Länder schließen sich zusammen und pol auf Wahrheit, Zivilisation und Uni­ nehmen über immer umfassendere und
stellen die Erkenntnis der Gemeinsamkeit versalität abzusprechen. Eine Zeitlang wirksamere Schritte hergestellt wird.
ihrer Zukunft über die heutigen An­ habe die Meinung bestanden, daß die Wien, im März
maßungen und eigennützigen Interessen.
Dann könnte man das enorme wis­
senschaftlich-technische Potential der
ganzen Welt ausgiebiger verwenden.
„Gedanken an einen Krieg entstehen
Lebend ist er uns lieber
in den Köpfen von Menschen, deshalb erwartet vernünftige Entscheidungen von
ist der Gedanke an den Schutz des ;■ I hnen.'1
Friedens im Bewußtsein der Menschen Nikitin aus Swerdlowsk, Aksjonow aus
zu verankern." So heißt es in der Woronesh, Borissowa aus Moskau...
Verfassung der UNESCO. Die Teilnehmer Tausende Unterschriften unter diesem
des Dialogs versprachen, alles in ihren Solidaritätsappell für den amerikanischen
Kräften Stehende zu tun, damit sich die Astrophysiker Charles Hyder, der vor
Idee der nuklearen Abrüstung im Be­ Monaten in einen Hungerstreik gegen
wußtsein der Menschen durchsetzt. Nicht die Politik der US-Administration getre­
zuletzt deshalb wurde eine Erklärung, ten war. “Wir wünschen Charles Hyder
die die Vertreter der verschieden orien­ Kraft und Mut", schreibt Swetlana Semjo­
tierten politischen und öffentlichen Orga­ nowa aus Moskau, "aber lebend, als
nisationen und Bewegungen aus Belgien, Kämpfer für den Frieden, wäre er uns
der BRD, der CSSR, der DDR, Großbri­ lieber."
tannien, Italien, den Niederlanden, der Immer mehr Menschen treten an einen
UdSSR und den USA vorbereitet hatten, Tisch auf dem Gehweg vor dem Haus
einmütig angenommen. des Sowjetischen Friedenskomitees, wo
In der Erklärung heißt es u. a.: "Herr Präsident, retten Sie Charles Unterschriften zur Unterstützung des
„Die Völker der Welt haben allein in Hyder! Verzichten Sie auf SDI. Schließen amerikanischen Wissenschaftlers gesam­
den letzten Jahren nicht wenig Momente Sie sich dem Programm der weltweiten melt werden.
einer bitteren Enttäuschung erlebt, da nuklearen Abrüstung an. Die Menschheit Foto: W. Krasnopjorow

"NEUE ZEIT" 13.87


4
PANORAMA

NORDEUROPA

Ist das Eis


gebrochen!?
O DIE IDEE EINER
KERNWAFFENFREIEN ZONE
IN NORDEUROPA GEHT AUS
DEM THEORETISCHEN
STADIUM IN DIE POLITISCHE
PRAXIS OBER
Das in dieser Region ge­
gründete interparlamentarische
Komitee hat eine ad-hoc-
Studie vorbereitet. Darin sind
thesenhaft die Grundbestim­
mungen eines Vertrages über
den kernwaffenlreien Status
des Nordens dargelegt.
Erstmalig konnte eine gemein­
same Plattform für konkrete
spätere Schritte von Parlamen­
ten und Regierungen der
interessierten Länder ausgear­
beitet werden. Der Entwurf
des 10-Punkte-Vertrages
wurde bisher den in den
nordeuropäischen Parlamenten
vertretenen Parteien zugelei­
tet.
Wie es im Dokument heißt,
muß die Zone den ganzen
Norden umfassen: Dänemark,
Island, Norwegen, Finnland
und Schweden. Auch die na­
tionalen Hoheitsgewässer ge­
hören zum Wirkungsbereich
des künftigen Vertrages, ob­
wohl die Möglichkeit einer
friedlichen Durchfahrt von
Kriegsschiffen mit Kernwaffen
an Bord durch diese Gewässer
bestehen bleibt. Aber solche
Schiffe dürfen keine Häfen
anlaufen und keine Binnen-
seefläche/i (Fjorde, Schären,
Buchten) ’ benutzen. Der
Luftraum der Mitgliedsstaaten Man redet von den sieben Weltwundern. Unseres, das achte, wird bestimmt auch das
wird für Flugzeuge mit Atom­ letzte sein!
bomben und Raketen gesperrt. Zeichnung: W. Arsenjew
Das zieht natürlich auch das
Verbot nach sich, die nationa­
len Flugplätze anzulliegen.
Vorgesehen ist, Sonderregeln unterweisen, den Transport Norwegen würden ihre Ab­ gefährdden und nicht zu un­
für Luftschneisen und den solcher Waffen über ihr Terri­ kommen mit den USA und der terminieren sowie keine
Empfang notleitender Flug- torium nicht zu erlauben und NATO, denen zufolge ameri­ Kernwaffen gegen Ziele inner­
zeuge auszuarbeiten. die Anlegung von atomaren kanische „Unterstützungskräf­ halb dieser Zone einzuset­
Für Dänemark, Island und Militärobjekten auf ihrem Ter­ te" in Krisensituationen nach zen". Es wird vorgeschlagen,
Norwegen würde der Vertrag ritorium zu unterbinden. Im Dänemark und Norwegen ent­ daß die Zone durch die
die Aufgabe der atomaren Unterschied von der heutigen sandt werden sollen, abändern Organisation des Warschauer
NATO-Strategie bedeuten. Die Lage müßten diese drei müssen. Vertrages und die NATO in
Vertragsteilnehmer sollen sich Staaten das Verbot für den Wie es im Entwurf heißt, einem speziellen Abkommen
nämlich verpflichten, ihre Import atomarer Munition in „müssen die Kernwaffen­ anerkannt wird. Bemer­
Streitkräfte nicht in der An­ jeder Form auch auf Kriegszei­ mächte sich verpflichten, den kenswert ist, daß die Parla­
wendung von Kernwaffen zu ten ausdehnen. Dänemark und Status der Zone nicht zu mentarier die Forderung der
"NEUE ZEIT" 13.87 S
PANORAMA

Rechtskräfte ablehr.ten, Däne­ diesem Zusammenhang ist zu ganisationen, die sich mit den Afghanistan besprochen, dar­
mark, Island und Norwegen erwarten, daß die Gegner der Problemen der Flüchtlinge be­ unter der Termin der Abberu­
sollten sich bei der NATO die Zone ihre politischen Positio­ schäftigen, auf, Vertreter nach fung der sowjetischen Trup­
Erlaubnis selbst zur Teilnahme nen benutzen werden, um die Afghanistan zu entsenden, da­ pen. Um die Verhandlungen
an der atomaren Entwaffnung Verwirklichung von U. Kekko- mit sie die Entwicklung an Ort schon auf dieser Runde ab­
des Nordens holen. nerts Idee • zu erschweren. und Stelle in Augenschein zuschließen, brachte die
Aber die Tatsache, daß eine nehmen. afghanische Delegation
Eimge umstrittene Fragen
konkrete Grundlage für die Extremisten lassen von ihren Kompromißvorschläge ein. Auf
sind in dem Dokument, das
praktische Arbeit an der „Ent- Versuchen nicht ab, die von diese Weise konnten die Posi­
das Komitee verschickt hat,
atomisierung" Nordeuropas der DRA-Regierung am 15. tionen der Seiten einander
recht allgemein gehalten, was
besteht, zeigt, daß Verände­ Januar einseitig verkündete etwas angenähert werden. Es
spatere Diskussionen und poli­
rungen im Anzug sind. Wenn Feuereinstellung zu torpedie­ gelang jedoch nicht, ein Ab­
tisches Manöver ermöglicht.
ein Abkommen über die Be­ ren, sie überfielen Ortschaften, kommen zu schließen, weil
So wird der Wunsch ausge­
seitigung der Mittelstreckenra­ Betriebe, Kfz-Kolonnen mit Pakistan keine genügende Fle­
sprochen, daß kernwaffen­
keten aus Europa erzielt wird, zivilen Frachten. In solchen xibilität und Kompromißbe­
bestückte Schiffe aus der
wird sich die Bewegung in Fällen muß die afghanische reitschaft zeigte. Allem An­
Ostsee abgezogen und die
guter Richtung offenbar be­ Armee, wie die Regierung schein nach besiand jedoch
Atomwaffen in den küstenna­
schleunigen. gleich erklärte, das Gegen­ die Möglichkeit einer endgül­
hen Scestreifen und Gebieten
A. POUUCHOW feuer eröffnen. Die meisten tigen Vereinbarung.
anderer Länder „verdünnt"
werden. Aber nach dem Ge­
danken der Urheber des Ent­
wurfs müssen diese Probleme
bei Verhandlungen mit den AFGHANISTAN
Kernwaffenmächten gelöst
werden. Offenbar wird es auch
-<S.
in diesen Punkten zu Kompli­
kationen mit den USA und der
Neuijjahirs-
NATO kommen, denn beide
■I
halten zur Doktrin der nuklea­ hoffnungen
ren Eindämmung in Europa
fest. In Praxis bedeutet sie, O AM 21. MÄRZ BEGANN IN
daß in den an Dänemark AFGHANISTAN DAS NEUE
anstoßenden Gebieten der JAHR DES ISLAMISCHEN
BRD und den Nordeuropa SONNENKALENDERS, DAS
bespülenden Meeren immer JAHR 1366. ES STEHT IM
mehr Atomwaffen stationiert ZEICHEN DER VON DER
werden. Sowjetischerseits wer­ DRA-REGIERUNG
Ehemalige Angehörige der bewaffneten Gruppen bei ihrer
den in diesem Punkt keine VERKÜNDETEN POLITIK DER
Ankunft in Kabul. In den ersten ZO Tagen nach Verkündung
Einwände erhoben, weil auf NATIONALEN VERSÖHNUNG. der nationalen Versöhnung kehrten 35 000 Afghanen heim.
hoher Ebene schon wiederholt Wie Najib in einem Inter­
Foto; TASS
die Bereitschaft bezeugt wur­ view für das sowjetische
de, entsprechende Schritte so­ Fernsehen erklärte, „fand noch solcher Zwischenfälle gesche­ Offenbar wirkte sich der
wohl in bezug auf die Ostsee keine einzige Losung der hen in den östlichen und Druck aus, den die US-Admi-
als auch in den Grenzgebieten regierenden Demokratischen südöstlichen Provinzen des nistration am Vorabend und im
der UdSSR zu unternehmen. Volkspartei Afghanistans im Landes, in der Nähe der Verlauf der Verhandlungen
Die UdSSR hat schon eine Volk eine so große Unterstüt­ pakistanischen Grenze, wo die auf Pakistan ausgeübt hatte.
große Menge von Mit­ zung". Ober 400 regie­ militärische und politische Si­ Die Exponenten der antiafgha­
tel Streckenraketen demontiert rungsfeindliche Gruppierun­ tuation schon immer besonders nischen Lobby im US-Kongreß
und beträchtliche Nuklear­ gen in einer Gesamtstärke von schwierig war. In den drohten z. B. offen mit der
Systeme von geringerer etwa 10 000 Mann haben den wirtschaftlich am höchsten ent­ Einstellung der Militär- und
Reichweite von der Halbinsel bewaffneten Kampf aufgege­ wickelten nördlichen Provin­ Wirtschaftshilfe für Pakistan,
Kola und aus dem Baltikum ben. Viele Gruppierungen zen halten bewaffnete regie­ falls dieses von seiner früheren
abgezogen. verhandeln mit der DRA-Re­ rungsfeindliche Gruppierun­ „harten" Position bei den
gierung über die Versöhnung. gen die Feuereinstellung häu­ Genfer Verhandlungen ab­
In der Studie des Ausschus­ Die afghanischen Behörden figer ein. rücke.
ses ist die Notwendigkeit von helfen den Heimkehrern mit Vom unverkennbaren
Kontrollmaßnahmen vorgese­ Geld, Kleidung und Le­ Die Entwicklung der natio­ Wunsch Washingtons, die
hen. Dazu soll ein nordeuro­ bensmitteln, gewähren ihnen nalen Versöhnung schafft ob­ Spannungen um Afghanistan
päischer Mechanismus ge­ zahlreiche Vergünstigungen, jektiv eine Grundlage für weiterhin anzuheizen, zeugen
schaffen und eventuell die z. B. den Aufschub der Einbe­ Fortschritte bei den afgha­ auch die jüngsten Beschlüsse,
IAEA herangezogen werden. rufung zur Armee. Die gestri­ nisch-pakistanischen Ver­ in diesem Jahr die Hilfe für die
Wie es heißt, ist die Schaffung gen Flüchtlinge schalten sich handlungen in Genf, die über regierungsfeindlichen be­
der Zone gemeinsames Anlie­ aktiv ins gesellschaftliche Le­ Diego Cordovez, den persön­ waffneten Einheiten auf 630
gen der dortigen Staaten, ben ein: Ihre Vertreter sind lichen Beauftragten des Mio Dollar zu erhöhen und
weshalb die Realisierung die­ bereits in viele örtliche UNO-Generalsekretärs, geführt ihnen zusätzlich 300 Fla-Rake-
ser Initiative voraussetzt, daß Außerordentliche Kommissio­ werden. Mitte März kam die ten „Stinger" zu liefern. Alles
die Prinzipien eines kernwaf­ nen für nationale Versöhnung 7. Runde dieser Verhandlun­ spricht dafür, daß in der
fenfreien Nordens von den und in örtliche Machtorgane gen zum Abschluß. Dort wur­ Haltung der USA zu Afgha­
Parlamenten aller Teilnehmer­ gewählt. Die Regierung for­ den noch offene Probleme der nistan kaum Veränderungen
länder gebilligt werden. In derte die internationalen Or- politischen Regelung um zu erwarten sind. Dennoch ist

• "NEUE ZEIT" 13.87


PANORAMA

zu berücksichtigen, daß inner­ auszuspionieren. Hier sind "das Wetter war abscheulich,
halb der US-Administration etwa 5000 US-Militärangehö- Windböen, die Hubschrauber
über diese Frage schon seit rige eingesetzt. Schon befin­ ATLANTIK mußten auf weite Distanz ope­
langem gestritten wird. Row- den sich amerikanische rieren, und die Piloten haben
land Evans und Robert Novak Kernwaffen auch auf tür­ ihr Letztes gegeben, um un­
von der „Washington
schrieben vor kurzem
Post"
sogar
kischem Boden. Gegenwärtig
werden nukleare Ge­
Kameradschaft sere Mannschaft
Ihren Mut und ihr Können
zu retten.

von einem „Konflikt" zwischen fechtsköpfe für die Honest- schätzten wir sehr hoch ein.
Pentagon und State
partment darüber, wie man
De­ John-Raketen montiert,
sollen aber bald
diese
durch
auf See Ähnlich äußerten wir uns drei
Tage später auch Präsident
sich zu dem Vorschlag Kabuls Pershing 1 und Lance 2 ersetzt Reagan gegenüber, als er die
über eine Koalitionsregierung werden. Retter auszeichnete. Bei die­
der nationalen Einheit zu ver­ Von den US-Stützpunkten ODIE BESATZUNG DES sem Festakt, der den Geist der
halten habe, welche Termine wird nicht nur Spionage ge­ SOWJETISCHEN FRACHTERS Zusammenarbeit atmete, wie
für die Rückkehr der sowje­ gen die Nachbarländer betrie­ "KOMSOMOLZE sie in extremen Situationen
tischen Truppen aus Afgha- ben. Sie können bei einer KIRGISIENS" IST NACH IH­ zutage trift, sprachen auch wir
nistan als annehmbar anzuse- militärischen Einmischung der RER ODYSSEE IM ATLANTIK davon, daß wir notwendiger­
hen seien und ob man die USA in dieinneren Angele­ WIEDER ZU HAUSE AN weise in Frieden leben müs­
US-Hilfe für die regie- genheiten der Länder des LAND... sen. Wir hatten alle den
rungsfeindlichen Kräfte in Nahen und Mittleren Ostens Der ungleiche Kampf gleichen Gedanken: Zusam­
Afghanistan in Zukunft nicht auch als Brückenkopf dienen. zwischen Schiff und entfessel­ men können wir viel er­
besser kürze. Neben den Deshalb betonen amtliche tür­ ten Elementen endete tragisch reichen..."
heute triumphierenden Anhän­ kische Sprecher im Zusammen­ für den Frachter. Er sank 220 N. DOMBROWSKI
gern eines „harten" Kurses hang mit dem neuen Abkom­ Meilen vor der östlichen
gegenüber Afghanistan gibt es men immer wieder, die USA-Küste. Die Besatzung Das Marineministerium der
offenbar selbst in Washington Stützpunkte würden unter dem wurde von Hubschraubern des UdSSR hatte der Meldung
auch gemäßigte Politiker, die Kommando türkischer Offiziere US-Rettungsdienstes gebor­ über diesen Vorfall im Atlantik
eine politische Regelung nicht stehen, ihre Benutzung gen. die Kopie eines Briefes beige-
ausschließen. Ob sie morgen „außerhalb des NATO-Be-
die Oberhand gewinnen, wird reiches" werde nicht erlaubt
die Zukunft zeigen. sein. Die vergangenen Jahre
Entscheidend ist in jedem zeigen jedoch, daß die natio­
Fall, wie sich die nationale nale Kontrolle in diesem Fall
Versöhnung in Afghanistan eine reine Formsache ist.
weiterentwickelt. Besonders beunruhigt aber
J. KISSELJOW fühlte sich das Land, als
Ankara bei den Verhandlun­
gen über die Verlängerung
des Abkommens Washington
TÜRKEI—USA mehrere Zugeständnisse
machte. Ex-Verteidigungsmi­
nister H. Esat Isik erklärte vor
Gefährliches wenigen Tagen, die heutigen
Beziehungen zwischen den
Abkommen USA
„wie
und
die
der Türkei
zwischen
seien
einem
• DIE TÜRKISCHE Kommandeur und seinem Sol­
REGIERUNG VERLÄNGERTE daten". Ex-Premierminister
DAS ABKOMMEN ÜBER DIE Ecevit nannte das neue Ab­
ZUSAMMENARBEIT IN kommen einen „Kompromiß,
VERTEIDIGUNG UND der die Stabilität noch mehr
WIRTSCHAFT MIT DEN USA verringert und die Abhängig­
BIS ZUM 18. DEZEMBER 1990 keit der Türkei von den USA
Endlich wieder fester Heimatboden unter den Füßen. Die
Die entsprechenden ameri­ vergrößert".
Besatzungsmitglieder der "Komsomolze Kirgisiens", die Büfet-
kanisch-türkischen Gespräche Früher waren die US-Mili-
teuse Tatjana Bulkina, Diensthabende Marina Schatalowa, Erster
dauerten fast anderthalb Jahre. tärobjekte häufig direkt
Offizier Valentin Kotelnlkow und Kapitän Wladimir Churaschow.
Alle Oppositionsparteien tra­ oder indirekt in Washingtons
Foto: E. Shigailow
ten gegen die Verlängerung Abenteuer eingespannt. Je
auf. Im türkischen Parlament mehr von der. Iran-Affäre be­
wurde die Regierung wegen kannt wird, desto mehr hört Kapitän Churaschows letzte legt, den es in den letzten
dieses Beschlusses heftig kriti­ man davon, daß die USA ihre Eintragung ins Bordbuch: "14. Tagen erhalten hatte. Darin
siert. Militärstützpunkte auch bei März. 13 Uhr 45 Minuten dankt Franklin Carson, Präsi­
Die amerikanische militä­ den Waffenlieferungen nach Bordzeit. Der 3. Ret- dent der Carson Geoscience
rische Präsenz in der Türkei ist Iran benutzten. So teilte die tungshubschrauber war Company der Besatzung der
gerade 40 Jahre alt. Hier „Newsweek" mit: „Es ist da. Hat die letzten sechs "Wolodarsk", einem Schiff der
bestehen gegenwärtig 60 möglich, daß die amerika- Personen aufgenommen, Ich Baltischen Seereederei, die
US-Milifärobjekte, darunter nischen Waffen für Iran von gehe von Bord..." zwei amerikanische Piloten
Fliegerstützpunkte und Depots auf türkischem Boden "Wir sind den Amerikanern dieser Gesellschaft nach einer
elektronikgespickte aus geliefert wurden." sehr dankbar", sagt der Erste Havarie in der Karibik gerettet
Lauschposten, um die UdSSR J. LEBEDEW Offizier Valentin Kotelnikow, hatte.

"HEUE ZEIT" 13.87 7


PANORAMA

Meinung, daß sich auch in den außerordentlichen Parteitag ihr jedoch nicht, einen scharf
Reihen der SPD ein würdiger einzuberufen, demauf die umrissenen politischen Kurs zu
BRD Kandidat gefunden hätte. Die neue Parteiführung gewählt bestimmen. Die in der poli­
Meinungsverschiedenheiten werden soll. Für das Amt des tischen Landschaft der BRD
über diese relativ geringfü­ Parteivorsitzenden schlug der neuen "Grünen", die weit

Der Rücktritt gige organisatorische Frage


führten zu einer erbitterten
Parteivorstand den
SPD-Fraktionsvorsitzenden
jetzigen
im
entschlossener als die Sozial­
demokraten für Abrüstung und
Diskussion über Brandts Favo­ Bundestag und Stellvertreter Umweltschutz eintreten, waren
«WILLY BRANDT VOM PO­ riten für den Posten des Brandts Hans-Jochen Vogel für viele Wähler attraktiver.
STEN DES SPD-VORSITZEN­ Parteivorsitzenden und natür­ vor. Stellvertretender Partei­ Der vorgezogene Rücktritt
DEN ZURUCKGETRETEN. lich auch über den künftigen vorsitzender soll der saarlän­ vom Amt des Parteivorsitzen­
politischen Kurs der Partei. dische Ministerpräsident Oskar den einer so einflußreichen
Am Montag dem 23. März Brandt hatte ursprünglich vor, Lafontaine werden. Persönlichkeit wie Willy
trat der SPD-Vorstand in Bonn auf dem nächsten ordentlichen Brandts Rücktritt deutet auf Brandt, der vorwiegend mit
zusammen. Es wurde über Parteitag 1988 in den Ru­ eine latente Krise in der der Entspannungspolitik und
einen Konflikt beraten, der im hestand zu treten. Partei, die in den letzten dem Abschluß von Verträgen
Zusammenhang mit einem Der Konflikt um die Kandi­ Jahren ihrer Regierungszeit zwischen BRD und sozia­
Vorschlag des Parteivcrsitzen- datur für den Vorsitzenden eingesetzt hafte. Die Rake- listischen Ländern zu Anfang
den Brandt auftrat, als dieser der Presseabteilung beschleu­ ten-"Nachrüstung" der Regie­ der 70er Jahre in einem
die 30jährige Margarita Matio- nigte den Ablösungsprozeß. rung Helmut Schmidt und Atemzug genannt wird, stellt
poulos, die Tochter eines Der stellvertretende SPD-Vor­ laufende Zugeständnisse an für die SPD ein schweres
griechischen Journalisten und sitzende Johannes Rau sagte das Großkapital hatten in der Problem dar. In diesem Jahr
Diplomaten, der lange Journalisten gegenüber, daß Partei und unter ihren Wäh­ steht den Sozialdemokraten
freundschaftliche Beziehungen Brandt erklärt habe, er wolle lern zu großer Unzufriedenheit die harte Probe von fünf
zu Brandt unterhalten hatte, als die parteischädigende Diskus­ geführt. 1982 kam es zum Länderwahlen bevor. Interner
Vorsitzende der Presseabtei­ sion beenden und stelle des­ Bruch der sozialliberalen Koa­ Zank schwächt ihre Position.
lung ins Gespräch gebracht halb seinen Posten zur Dispo­ lition. In letzter Zeit mußte die
hatte. Sie ist weder Mitglied sition. Der Vorstand war mit SPD unter dem Einfluß der A. TOLPEGIN
der SPD noch Bundesbürgerin. Brandts Vorschlag einverstan­ Friedensbewegung viele Posi­ NZ-Korrespondent
Brandts Kritiker sind der den, im Juni d. J. einen tionen überprüfen. Es gelang Bonn

REPLIK diesen Reaktortyp durch Reaktoren einer


neuen Generation ersetzt.
Die CSSR beachtet strikt das Prinzip

Störfall der offenen Tür in den internationalen


Beziehungen und erlaubt allen
sierten Fachleuten, ihre Kernkraftwerke
interes­

in der Presse
zu besuchen. So studierte im September
v. J. der Vorsitzende der US-Nuklearre-
gelungskommission, Admiral Lando
Zech, die Arbeit des Kraftwerks. Auf
Dem österreichischen "Kurier" gefiel "Bei der Havarie im KKW Jaslovske- einer Pressekonferenz im I AEA-Hauptsitz
eine Notiz im slowakischen Emigran­ Bohunice 1976 traten keine radioaktiven in Wien gab er eine hohe Einschätzung
tenblatt "Horizont”. Darin hieß es, aus Stoffe aus", sagte Jiri Beranek. "Ein sowohl der Zuverlässigkeit der
den Blöcken des ersten tschechoslowa­ nichtverstrahltes Brennstoffelement des tschechoslowakischen Atomkraftwerke als
kischen Kernkraftwerks in Jaslovske- Reaktors wurde beschädigt, was wir auch der Fachkompetenz des Personals.
Bohunice seien radioaktive Stoffe ausge­ entsprechend den Regeln der Internatio­ Diese Meinung bestätigen auch unsere
treten. Die schweren Folgen der Strah­ nalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in Nachbarn — österreichische Experten,
lung für die Gesundheit der dort Wien mitteilten. Behauptungen von einer die regelmäßig tschechoslowakische
lebenden Menschen wurden ausgemalt. Strahlengefahr für die Bevölkerung in Kernkraftwerke besuchen, um beidersei­
"Horizont" und "Kurier" behaupteten, in der Umgebung dieses KKW betrachte tig interessierende Fragen zu erörtern.
der Umgebung von Jaslovske-Bohunice ich als gegenstandslos." Der Leiter der österreichischen Exper­
würden Kinder mit genetischen Schäden tengruppe Geisler, bewertete in einem
Und das meint der Hauptsanitärarzt
geboren und im Bezirkskrankenhaus Interview für das CSSR-Fernsehen die
der Slowakischen Sozialistischen Re­
täglich fünf Menschen sterben, die bei Sicherheitsvorkehrungen bei der
publik, Stefan Calpas:
einer Havarie, zu der es 1976 tatsächlich friedlichen Nutzung der Atomenergie in
gekommen war, radioaktiver Strahlung "Daß in der Umgebung von Jaslovske- der Tschechoslowakei positiv.
ausgesetzt worden seien. Bohunice genetische Schäden bei Kin­ Bleibt nur zu bedauern, daß gewisse
dern zu beobachten sind, halte ich für ausländische Massenmedien bei der
Wir baten den Hauptinspektor der dumm, und es zeugt von böser Absicht. Behandlung eines so wichtigen interna­
staatlichen Kontrolle der Tschechoslowa­ Das ist leicht zu überprüfen, braucht man tionalen Problems wie der Sicherheit von
kischen Atomenergiekommission, Jiri Ber- ja nur hierher zu kommen und sich mit Kernkraftwerken lieber auf Meldungen
anek, diese "Enthüllung" zu kommentie­ hiesigen Kinderärzten zu unterhalten. der Boulevardpresse hören als auf die
ren. Beranek führt mit österreichischer Obrigens zur Information des qualifizierte Meinung der Fachleute,
Seite alle Verhandlungen über das 'Kurier': Im Kraftwerk war damals ein darunter auch österreichischer.
Funktionieren der tschechoslowakischen anderer Reaktortyp in Betrieb, nicht
Atomkraf'werke nahe der österreichischen jener, dessen Foto aus dem 'Horizont' M.KOCVAROVA
Grenze. übernommen wurde. Später haben wir Prag

8 "NEUE ZEIT" 13.87


NZ-UMFRAGE

H Kffi MfflH
BI ® »Iffl Hü BH ■ Hf»SB
HIHUHnKIBIED »MW UDI?
Ide Oumaromi: len Konflikte anzustreben,
Großmächten einen Vorwand zur Ein-
die den

mischung geben könnten.


GELD FÜR DIE ENTWICKLUNG, - Bedingungen zu schaffen, damit sich
alle Staaten wirtschaftlich entwickeln

NICHT FÜR WAFFEN können. Armut, Hunger und Elend sind


Quellen der Labilität. Eine Kürzung der
Ide Oumarou ist Generalsekretär der Organisation der Afrikanischen Einheit [OAUJ Miiitärausgaben würde es ermöglichen,
Geld in jenen Zweigen zu investieren,
Ja, ich finde, daß wir unseren Planeten Großmächte müssen den politischen
die der Befriedigung der wichtigsten
von den Kernwaffen befreien können. Willen an den Tag legen, über die
Bedürfnisse der Menschen dienen müs­
Ich bin nicht allein dieser Meinung, Einschränkung der Militärausgaben, über
sen. Heute verausgabt die Menschheit
vielmehr sind es Tausende Menschen in die Begrenzung und Reduzierung der
ca. eine Billion Dollar im Jahr für die
verschiedenen Ländern,
fürr eine die Rüstungen und die allmähliche selekti­
Rüstungen, während im Zustand
Afrika
kernwaffenfreie Welt kämpfen, Denn ve Abrüstung zu verhandeln und
einer beispiellosen Wirtschaftskrise
jetzt, da die Kernwaffenarsenale unaus-
i konstruktive Abkommen zu erzielen.
steckt. Afrikas Auslandsschulden belau­
gesetzt wachsen, schwebt die - Streng die Prinzipien der Gleichheit
fen sich auf etwa 170 Md. Dollar.
Menschheit in der ständigen Gefahr der und Souveränität aller Staaten, der
- Schließlich gilt es, das Vertrauen
globalen Vernichtung. Nichteinmischung und der Nichtanwen­
zwischen den Staaten wiederherzustellen
Damit die Welt wieder kernwaffenfrei dung von Gewalt in den internationalen
und jede Art Zusammenarbeit, gleich ob
wird, müssen die Kernwaffenmächte die Beziehungen zu befolgen.
bi- oder multilateral, zu erweitern.__
größten Anstrengungen unternehmen. - Eine friedliche Lösung der regiona-
Vor allem müssen die UdSSR und die
USA, wenigstens auf ein minimales
gegenseitiges Vertrauen gestützt, mit­
Shaüic Jorge Handal:
einander fruchtbar über die Reduzie­
rung und dann Vernichtung der OHNE WAFFEN INS DRITTE
Kernwaffen

Zusammenarbeit
verhandeln,
Kontrollmechanismus ausarbeiten,
einen
die
anbahnen und zur
JAHRTAUSEND
Shafic Jorge Handal ist Generalsekretär des ZK der Kommunistischen Partei El Salvadors
Schaffung kernwaffenfreier Zonen in
und Mitglied des Oberkommandos der Nationalen Befreiungsfront „Farabundo Marti"
verschiedenen Teilen der Welt beitra­
gen. Nicht nur eine Welt ohne Kernwaffen jede Weise unterminiert. Washington
Gegenwärtig bestehen mehrere ist möglich, sondern auch eine Welt gibt sich Mühe, jede Initiative, die zur
kernwaffenfreie Zonen: ohne konventionelle Rüstungen. Das ist Herbeiführung einer ruhigen Atmosphäre
- in Lateinamerika gemäß dem Tlatelol- ein uralter Traum der Menschheit. Trotz auf der Erde beitragen kann, zu unter­
co-Vertrag; der Kernkriegsgefahr, die wegen der binden. Eine seiner Richtungen bei
- im Südpazifik gemäß dem Rarotonga- aggressiven Politik der Reagan-Admi­ dieser Tätigkeit ist die Schürung regiona­
Vertrag, der unlängst in Kraft getreten nistration ernsten Charakter angenommen ler Konflikte. Ein Beispiel dafür ist
ist. hat, empfindet die Menschheit die Mittelamerika. Der US-lmperialismus ver­
Eine Assemblee von Staats- und zunehmende Möglichkeit der Ab­ sucht, die Revolution in Nikaragua
Regierungschefs der afrikanischen Län­ rüstung, und dies auch im Bereich-, der abzuwürgen, die revolutionäre Bewe­
der vor wenigen Jahren eine
nahm konventionellen Waffen. Wir nähern uns gung in El Salvador zu unterdrücken und
Grundsatzdeklaration über den kernwaf­ dem dritten Jahrtausend mit dieser sein Aufmarschgebiet in Honduras zu
fenfreien Status Afrikas an. Doch was Perspektive. Mit dieser Hoffnung. Mit festigen. Aber die Pläne, die sandi-
Afrika betrifft, besteht leider die sehr dieser Möglichkeit. nistische Revolution und die Nationale
ernste Befürchtung, daß das Rassistenre­ Die internationale Stabilität muß auf Befreiungsfront „Farabundo Marti" zu
gime in der RSA Atomwaffen erzeugt. gegenseitiger Achtung und Zusammenar­ vernichten, brechen zusammen. Das
Damit alle Völker die Möglichkeit beit, auf der Respektierung des Rechts proamerikanische Regime in El Salvador
haben, in Frieden zu leben und sich jedes Volkes auf die freie Wahl seines schwankt unter den Schlägen der Trup­
harmonisch zu entwickeln, bedarf es der Weges beruhen. Aber ebenso auf pen unserer Front. Immer erfolgreicher
internationalen Stabilität. wirtschaftlichen und politischen Bezie­ kämpfen sie gegen die Elitetruppen der
Alle Bedingungen, die für die Herbei­ hungen neuer Art, Beziehungen, die Regierungsarmee, die von US-I nstrukteu-
führung einer solchen Situation uner­ allen Völkern unseres Planeten die ren ausgebildet, ja gedrillt wurden. Der
läßlich sind, wären kaum aufzuzählen. Entwicklung, Freiheit, Unabhängigkeit Sieg unseres Volkes wird eine weitere
Ich will die meiner Meinung nach und Demokratie sichern würden. Niederlage des US-lmperialismus sein
wichtigsten nennen: Inzwischen wird eine solche Stabilität und zur Herbeiführung der Stabilität in
Die Supermächte und die von den imperialistischen US-Kreisen auf- Mittelamerika beitragen.

"NEUE ZEIT" 13.87 9


EXKLUSIV FÜR HZ

Britiscb-so w j eüsche Abrüstung ein. Unser Ziel


Stabilität und Sicherheit in Europa bei
niedrigerem Stand von Rüstungen auf­
ist es,

Beziehungen: rechtzuerhalten. Bei den Verhandlungen


in Genf und Wien und bei den engen

Gesehen ans Konsultationen mit


NATO-Partnern spielen wir
gene Rolle. Wir alle sind, ob in West
oder Ost, an maximaler Sicherheit bei
unseren
unsere ei­

London...
Geoffrey HOWE
geringeren Waffenmengen und geringe­
ren Ausgaben interessiert.
Deshalb begrüßen wir,
Gorbatschow in seiner Erklärung vom 28.
daß Michail

Februar zugibt, daß ein Abkommen über


Minister für Auswärtige Angelegenheiten Großbritanniens Mittelstreckenraketen für sich, gesondert
Ich danke der „Neuen Zeit“ für die die Außenpolitik; besser zu verstehen, von den Abkommen über strategische
Aufforderung, ihren Lesern kurz vor dem - Auf dieser Basis unsere bilaterale Rüstungen oder Abwehrsysteme, erreicht
Moskau-Besuch der britischen Premiermi­ Zusammenarbeit auf neue Gebiete zu werden kann und muß. Ein Junktim war
nisterin, Frau Margaret Thatcher, einige erstrecken und den Menschen, beson­ hier nutzlos. Wir glauben
Gedanken darzulegen. Eine Botschaft an ders den jungen Menschen unserer an einen allmählichen Fortschritt überall,
das Volk eines anderen Landes, in der beiden Länder Kontakte und ein besse­ wo er sich erreichen läßt. Wir hoffen,
Presse veröffentlicht, kann für die Völker res gegenseitiges Kennenlernen zu er- daß sowjetische Vertreter bei den
unserer beiden Länder nur von Nutzen möglichen. Genfer Verhandlungen Entschlossenheit
sein. Ich hoffe, das wird häufiger und Flexibilität an den Tag legen, damit
vorkommen. Wir fangen auf einer guten Grundlage ein baldiges Abkommen über die Mit­
Ich stelle mir den langen Strom der an. Seit 1984 unterhalten Großbritannien telstreckenraketen zustande kommt.
Geschichte vor, die unsere beiden und die UdSSR häufigere Kontakte. Sehr Im November v. J. vereinbarten Frau
stolzen Länder in Krieg und Frieden wichtige Ereignisse waren der Moskau- Thatcher und Präsident Reagan in Camp
verbindet. Im letzten großen Krieg über Besuch einer vom stellvertretenden Pre­ David ein praktisches und realistisches
die arktischen Konvois, als Großbritan­ mierminister Lord Whitelaw geführten 3-Punkte-Aktionsprogramm zur
nien der UdSSR 5000 Panzer und 7000 Parlamentsdelegation im Mai v. J. und Rüsfungsreduzierung. Das Programm
Flugzeuge als Hilfe für die sowjetischen der Besuch Eduard Schewardnadses in wurde im Dezember von allen
Soldaten lieferte. Im Frieden über den Großbritannien im Juli v. J. Wir unter­ NATO-Ländern gutgeheißen:
Handel, der sich jetzt, wie ich mit zeichneten damals Abkommen über die - ein Abkommen über die intermediä­
Befriedigung konstatiere, erweitert, und Vorbeugung von Zwischenfällen auf See, ren Kernstreitkräfte (INF)'unter Einschluß
über unsere gemeinsamen kulturellen über die Beilegung langjähriger gegen­ der Kurzstreckensysteme;
Interessen, etwa für Shakespeare und seitiger Ansprüche und über eine - binnen 5 Jahren vorzunehmende
Shaw, Tolstoi und Puschkin (die 150. langfristige Zusammenarbeit in Wirtschaft 50prozentige Reduzierung der amerika­
Wiederkehr von Puschkins Todestag und Industrie. Außerdem erweiterten wir nischen und der sowjetischen strate­
wurde in diesem Jahr auch in Großbri­ unsere Kooperation in Land- und Ener­ gischen Offensivwaffen;
tannien begangen). giewirtschaft, um unseren beiden Län­ - weltweites C-Waffen-Verbot.
Der Besuch Frau Thatchers in der dern realen wirtschaftlichen Nutzen zu In allen diesen Fällen ist, wie auch
UdSSR, der am 28. März beginnt, wird bringen - z. B. höhere Getreideerträge Ihre Regierung sagt, eine effektive
das Gewebe unserer Kontakte um ein auf in der UdSSR durch die britische Oberprüfung notwendig.
neues Muster bereichern. Solche Be­ Imperial Chemical Industries betreuten Wir freuen uns, daß die UdSSR den
suche waren eher selten, denn der letzte Farmen. Gedanken der NATO an die Liquidie­
offizielle Besuch eines britischen Pre­ rung der Mittelstreckenraketen in Europa
mierministers fand 1975 statt. Folglich Dieser Besuch bietet eine gute Gele­ akzeptiert hat. Das Abkommen muß auch
sind die heutigen Möglichkeiten nicht zu genheit, die Erörterung der internationa­ eine Begrenzung für einige sowjetische
versäumen. Was erwarten wir vom len Angelegenheiten mit der sowje­ Raketen geringerer Reichweite, die von
diesjährigen Besuch? tischen Führung in einem wichtigen einem solchen Abkommen übergangen
Ich erhoffe mir folgendes: Augenblick fortzusetzen. Großbritannien werden könnten, und das Recht der USA
- Unseren Dialog mit der sowjetischen verfolgt aufmerksam die heutigen Verän­ auf äquivalente Gegensysteme vorsehen.
Führung zu erweitern. Die Gespräche derungen in der UdSSR. Unser Volk Das Problem der sowjetischen Überle­
Frau Thatchers mit Michail Gorbatschow möchte Michail Gorbatschows Ziele und genheit bei diesen und anderen Raketen
im Dezember 1984 in London und im Politik besser verstehen. Zugleich gibt von geringerer Reichweite muß bei
März 1985 in Moskau sowie meine der Besuch der Premierministerin die späteren Verhandlungen zur Sprache
Begegnungen mit Eduard Sche­ Möglichkeit, zu studieren, wie unsere kommen.
wardnadse haben eine gute Grundlage beiden Länder die internationale Sicher­ Ferner ist zu erörtern, wie die
für den Ausbau unserer Beziehungen heit, den Frieden und die Prosperität Überlegenheit des Ostens bei den
geschaffen. fördern könnten. Großbritannien hat konventionellen Rüstungen zu überwin-
- Durch unseren Dialog die gegensei­ seinen eigenen, unabhängigen den ist, was bei einem Abbau von
tige Verständigung und, wenn möglich, Standpunkt und vertritt ihn als Kernwaffen besonders wichtig wird.
Übereinkünfte in so lebenswichtigen NATO-Land, als wichtige europäische Gemeinsam mit seinen Bündnispartnern
Fragen unserer Zeit anzustreben, wie eS Macht und als Nuklearstaat mit aller schlug Großbritannien im Dezember in
die Rüstungskontrolle, regionale und damit zusammenhängenden Verantwor­ der Brüsseler Deklaration vor, über den
humanitäre Probleme sind. tung. Stand der Streitkräfte der NATO und des
- Die interessanten Veränderungen in Die britische Regierung setzt sich Warschauer Vertrags in Europa sowie
der UdSSR, insbesondere die Bedeutung entschieden für eine ausbilanzierte und über weitere vertrauens- und sicher-
der Umgestaltung und ihren Einfluß auf venfizierbare Rüstungskontrolle und die heifsfördernde Maßnahmen, die das

1« "NEUE ZEIT” 13.87


Stockholmer Abkommen stärken, zu und den jüngsten Beschluß der Sowjetre­ und freies Denken in einem freien Land .
verhandeln. In Wien begann eine gierung, die russischsprachigen Vor allem möchten wir, daß die Wiener
Eröffnungsdiskussion. Zugleich wollen BBC-Sendungen nicht mehr zu stören. KSZE-Konferenz jenen Völkern, die an
wir keinen rein symbolischen, sondern Wir möchten einen umfassenderen Infor­ diesem Prozeß interessiert sind, greifba­
einen wesentlichen Ausgang der Wiener mationsaustausch zwischen unseren Län­ ren Nutzen bringt.
Verhandlungen über die gegenseitige
und ausbalancierte Reduzierung der
dern über Fernsehen, Funk und Presse.
Die „Prawda" und die Moskauer „Neue
o
Abschließend noch etwas Relevantes:
Streitkräfte (in Mitteleuropa - D. Red.). Zeit" werden in Großbritannien frei Wir wollen, daß sich die wirtschaftliche

Die Rüstungskontrolle
o ist nicht das
vertrieben, britische Zeitungen dagegen
sind in der UdSSR nicht ohne weiteres
Zusammenarbeit zwischen
nien und der UdSSR entwickelt und das
Großbritan­

einzige wichtige Problem zwischen Ost zu kaufen. Es wäre am besten, wenn Ziel, das Michail Gorbatschow im De­
und West. Es gilt, regionale Span­ möglichst viele Menschen reisen und zember 1984 setzte (den britisch-sowje­
nungsherde zu beseitigen. An erster alles mit eigenen Augen sehen könnten. tischen Handel um 40—50 Prozent zu
Stelle steht die andauernde sowjetische Toleranz gegenüber dem anderen erhöhen), erreicht wird. Während ihres
Okkupation Afghanistans, wobei die Standpunkt ist ein Hauptkriterium einer Besuchs wird Frau Thatcher die neuen
Gesamtstärke der sowjetischen Truppen reifen und selbstbewußten Gesellschaft. Räume der Britisch-Sowjetischen Han­
über 100 000 Mann beträgt. Das ist ein Die Wiener Konferenz über die delskammer in Moskau einweihen. Bri­
harter Schlag das Vertrauen
gegen KSZE-Ergebnisse wieder ein­
erörterte tische Firmen sind bereit, mit der UdSSR
zwischen Ost und West. Vor einem Jahr mal, wie die 35 Teilnehmerstaaten ihre ■zusammenzuarbeiten. Wir hoffen, daß
nannte Michail Gorbatschow Afghanistan Verpflichtungen aus der Helsinki- Veränderungen im sowjetischen System
eine „blutende Wunde". Wiederholt Schlußakte von 1975 erfüllen. Diese des Außenhandels ihnen dabei entge­
sprach er von dem Wunsch der UdSSR, Verpflichtungen betreffen die Gedan­ genkommen.
ihre Truppen abzuziehen, und vom ken-, Gewissens-, Glaubens- und Ober­ O
Streben nach einer politischen Regelung. zeugungsfreiheit, die Freizügigkeit, freie Wie wir hoffen, wird der Besuch Frau
Jetzt muß gehandelt werden. Von Jahr zwischenmenschliche Kontakte, die Zu­ Thatchers das Vertrauen zwischen Ost
zu Jahr forderte die Weltöffentlichkeit in sammenführung von Familien, den freien und West fördern und so unseren
ihrer überwiegenden Mehrheit zum Informationsvertrieb u.a.m. Es ist kein Kindern und Enkelkindern eine sicherere
Abzug aller sowjetischen Truppen und Geheimnis, daß wir und unsere und bessere Zukunft gewährleisten. Die
dazu auf, daß Afghanistan erneut seine westlichen Partner der Meinung sind: Zukunft einer Welt, in der es weniger
Stellung als unabhängiger, paktfreier Die Sowjetunion und andere Länder Waffen gibt; einer Welt mit einer
Staat einnimmt. Wir fordern die sowje­ müssen noch. einen weifen Weg zu­ umfassenderen Zusammenarbeit in Han­
tische Führung auf, jetzt die Staatsweis­ rücklegen, bevor von ihnen gesagt del und Wirtschaft, mit erweiterten
heit, wie sie für die Lösung dieses werden kann, sie kämen diesen Ver­ Austauschen und Kontakten in Kultur,
tragischen Problems nötig ist, zu zeigen. pflichtungen nach. Wir begrüßen den Information und einfach zwischen den
Wir müssen danach streben, daß gegenwärtigen Fortschritt zu einer Menschen. Kurzum, eine Zukunft, in der
unsere beiden Länder einander auf größeren Offenheit und die Entlassung Ost und West, die UdSSR und Großbri­
sozialem, kulturellem und politischem einer Reihe von verhaftet gewesenen tannien einander nicht mehr als Bedro­
Gebiet verstehen, und dies auf allen Dissidenten. Wir hoffen auf weitere hung empfinden, sondern vielmehr zur
Ebenen. Deshalb begrüßen wir Schritte Schritte in Richtung auf das von Michail Lösung gemeinsamer Probleme Zusam­
wie die Veröffentlichung dieses Artikels Gorbatschow gesetzte Ziel: „freie Arbeit menarbeiten werden.

Frau Thatchers Argumente gegen die

o o o mimidl ots Rlosfcam Idee einer

US-Präsident
diese Idee,
kernwaffenfreien
hören. Wie man weiß, unterstützen der
und
aber
Michail Gorbatschow
sozusagen jeder für
Welt zu

Gennadi GERASSIMOW
sich. Dabei wurde sie beim Gipfel in
Moskau rüstet mit gebührender interessanten Veränderungen in der Reykjavik von ihnen gemeinsam vertre­
Hochachtung und der traditionellen UdSSR besser zu verstehen", zumal eine ten. Leider berührt G. Howe das überaus
Gastlichkeit zum Besuch der britischen solche Wißbegier auch praktische Folgen wichtige Thema einer kernwaffenfreien
Premierministerin. - mehr Zusammenarbeit, Kontakte und Welt ebensowenig wie das Thema eines
Das ist seit 12 Jahren der erste Besuch Kenntnisse - haben kann. kernwaffenfreien Europa. Das ist um so
eines britischen Regierungsoberhaupts in In Moskau geht man davon aus, daß betrüblicher, als die Redaktion der
der UdSSR. Wir betrachten ihn als eine der Dialog zwischen den Spitzenpoliti­ „Neuen Zeit", wie man mir sagte, ihn
gute Möglichkeit, unseren Beziehungen, kern unserer Länder, in dessen Mittel­ seinerzeit bat, seine Gedanken gerade
dem politischen Dialog und unserem punkt objektiv die akutesten Gegen­ zur Möglichkeit einer kernwaffenfreien
Zusammenwirken in internationalen An­ wartsprobleme rücken, außerordentlich Welt darzulegen, wie das viele Teilneh­
gelegenheiten ein neues Format zu wichtig ist. Am energischsten angepackt mer der von der NZ durchgeführten
geben. An den Besuch Frau Thatchers werden muß die Aufgabe, zu verhindern, internationalen Umfrage getan haben.
knüpfen wir die Hoffnung auf einen daß das Wettrüsten in den Weltraum Aber...
merklichen Schritt auf die Zusammenar­ getragen wird, den Stand der strate­ Was das Thema Mittelstreckenraketen
beit zu, über deren Konturen sich gischen nuklearen Konfrontation we­ betrifft, so hieß es in der britischen
Michail Gorbatschow und Frau Thatcher sentlich zu senken und die Befreiung Presse, Frau Thatcher wolle in Moskau
im Dezember 1984 im großen und Europas von Kernwaffen anzustreben. Vorschlägen, das Paket von Reykjavik
ganzen geeinigt haben. Somit geht der bevorstehende Besuch „aufzuschnüren" und die Liquidierung
über den Rahmen der rein bilateralen der Mittelstreckenraketen in Europa
Erweiterung des Dialogs zu besserer Beziehungen hinaus. Leider hat Herr gesondert zu behandeln. Der sowjetische
gegenseitiger Verständigung, von Howe in seinem Artikel nichts zum politische Beschluß kam hier Frau
welcher G. Howe schreibt, ist auch unser Thema Wettrüsten im Weltraum ge­ Thatcher zuvor. Ebenfalls nach der
Ziel. Wir begrüßen deshalb den von äußert. britischen Presse zu urteilen, wird die
Herrn Howe geäußerten Wunsch, „die Es wird zweifellos von Interesse sein, Premierministerin jetzt aufgefordert, ein

"NEUE ZEIT” 13.87 11


anderes Paket „zu schnüren", d. h. die Wahrung der Menschenrechte. Deshalb
Liquidierung Mittelstreckenraketen
der hat Herr Howe, glaube ich, keinen
an die sowjetischen Kurzstreckenraketen besonderen Grund, mit erhobenem Zei­
und die konventionellen Rüstungen zu gefinger zu verkünden, daß wir „noch
knüpfen. einen weiten Weg zurücklegen" müßten. Alle erinnern sich, welche Rolle .
Howe zufolge sei die UdSSR in beiden Geht man von den grundlegenden, Frankreich in dem Augenblick spielte, als
Bereichen „überlegen". Dies ist recht elementaren Rechten - auf Arbeit und eine stürmische Debatte über die
strittig. In bezug auf die Raketen müßte Wohnraum - aus, so hat gerade, England Aufstellung der US-Raketen in Europa
man, damit das Bild vollständig ist, das in in dieser Hinsicht Nachholbedarf. Was erfolgte. Wegen der angeblich notwen­
Betracht ziehen, was der Westen an das KSZE-Treffen in Wien betrifft, so digen Wiederherstellung des Gleichge­
Vergleichbarem besitzt. Rein arithme­ würde auch die sowjetische Seite greif­ wichtes setzte sich der Präsident der
tisch gesehen, kann es bei einzelnen bare Resultate nur begrüßen. Republik entschieden für die Stationie­
analogen Waffen ein Überwiegen nach Mir scheint, Herr Howe geht an die rung der Pershings und Cruise Missiles
der einen oder anderen Seite geben, Probleme der freien Informationsverbrei­ in Europa als Gegengewicht zu den
aber insgesamt hat der Osten in Europa tung und der Freizügigkeit wie an einen sowjetischen SS-20-Raketen ein...
keine offensichtliche Überlegenheit über Ritus heran: Es gilt, der UdSSR wieder Die FKP ist fest entschlossen, alles zu
den Westen. Die Verfasser eines neuen einmal etwas vorzuwerfen. Nützlicher tun, um eine Beendigung des
Jahrbuches über die militärische Balance wäre hingegen eine vergleichende Ana­ Wettrüstens zu erreichen - unter Bewah­
in Europa vom Londoner Internationalen lyse darüber, wer wen besser kennt, die rung von Sicherheit und Unabhängigkeit
Institut für strategische Forschungen Sowjetbürger die Lebensbedingungen unseres Landes. All ihre Initiativen und
z. B. ziehen den Schluß, daß gegenwär­ der Engländer oder umgekehrt. Nach ihr letzter Vorschlag nach dem Scheitern
tig keine der Seiten einen erfolgreichen den Ergebnissen einer solchen Analyse der Verhandlungen in Genf über die
Angriff in Europa eröffnen könnte. und nicht nach der Möglichkeit, die Mittelstreckenraketen laufen darauf hin­
Genügt das denn nicht, um zu verstehen, „Times" zu beziehen, sollte man aus, die Regierungen aller europäischen
daß ein Angriff des Ostens auf den Maßnahmen zur Verbesserung des ge­ Länder zu den Verhandlungen heranzu­
Westen unwahrscheinlich ist? genseitigen Verständnisses besprechen. ziehen...
Es ist ungemein rührend, wenn der Seit wenigen Tagen läuft der Film „Das Man könnte den Fortschritt, der bei
britische Minister seiner Hoffnung Aus­ vierte Protokoll" in England. Der Erstauf­ dem Treffen in Reykjavik in Richtung auf
druck gibt, daß „die sowjetischen Ver­ führung wohnte die britische Premiermi­ einen vollständigen Abzug der
treter bei den Genfer Verhandlungen nisterin bei. Es ist nicht zu erkennen, Pershings, der Cruise Missiles und der
Entschlossenheit und Flexibilität an den wieso dieser Film über angebliche SS-20-Raketen aus Europa erzielt wurde,
Tag legen, damit das Abkommen über sowjetische Spionage gegen atomare eigentlich nur begrüßen. Leider ist das
Mittelstreckenraketen möglichst bald er­ Objekte in Großbritannien unsere Ver­ nicht die offizielle Haltung Frankreichs.
reicht wird". Da darf der Minister sicher ständigung fördern soll. Eher ist es so, Der Außenminister, der einige Tage nach
sein. Seltsam ist jedoch, daß er keine daß er über die wahren sowjetischen dem Treffen zwischen Reagan und
ähnliche Hoffnung an die Adresse der Absichten desinformiert. Der Filmkritiker Gorbatschow vor der Nationalver­
US-Vertreter ausspricht. des britischen „Guardian" schrieb: „Sich sammlung sprach, bezeichnete die „Aus­
Was die Situation um Afghanistan 'Das vierte Protokoll' anzusehen, bedeu­ sicht darauf, daß die US-Nuklearwaffen
angeht, so möchte ich, ohne mich mit tet, zwei Stunden aus dem Leben zu aus Europa vollständig verschwinden",
den Propagandaklischees, die dem Arti­ streichen. Zur Hölle mit Glasnost und als „gefährlich".
kel des Politikers nicht gerade zur Zierde dem ganzen Rest. Wir sind tatsächlich Einige Wochen später legten Francois
gereichen, abzugeben, vor allem den wieder soweit, stur den eisernen Vor­ Mitterrand und Margaret Thatcher ge­
Satz zitieren, auf den sich G. Howe hang zu fixieren. Der gesamte Film meinsam die gleiche Haltung dar. Jac­
beruft, wenn auch nur unvollständig und strotzt von den üblichen Konventionen ques Chirac ging in seiner Rede vor der
ungenau. Auf dem XXVII. Parteitag der der Zeit, da man meinte, die Russen Versammlung der Westeuropäischen
KPdSU sagte Michail Gorbatschow: seien uns auf den Fersen..." Union noch weiter, und Raymond Barre
„...die Konterrevolution und der Impe­ bekräftigte diese Haltung. Im Grunde
Informationsfreiheit muß mit Verant­
rialismus aus Afghanistan eine
haben schwieg sich Frankreich zur Vorberei­
wortungsgefühl einhergehen.
blutende Wunde gemacht". Eine solche tung des Treffens in Island aus. Paris
Tätigkeit hört nicht auf. Auf den Kurs der Zur Freizügigkeit: Mir wurde ein unterstützte ebenso wie London unein­
nationalen Versöhnung, den die Regie­ britisches Einreisevisum ohne Erklärung geschränkt den amerikanischen Verbün­
rung in Kabul verkündet hat, antwortet verweigert, obwohl ich von britischen deten, als man im Mai 1986 in Tokio die
der Westen mit verstärkter militärischer Friedensanhängern eingeladen worden Erklärung der Führer der Sieben unter­
und sonstiger Hilfe für die Konterrevolu­ war. Nach dem Gesetz über die britische zeichnete: „Wir schätzen die von den
tionäre. Somit wird eine Politik der Staatsangehörigkeit haben Vereinigten Staaten bei den Verhandlun­
Sabotage gegen das Programm der Menschen asiatischer Herkunft kein gen unternommenen Anstrengungen
nationalen Versöhnung praktiziert. Natür­ Recht, nach Großbritannien einzureisen hoch ein und rufen die Sowjetunion auf,
lich hat das Einfluß auf die Präsenz der und dort zu wohnen. Gegenwärtig die Verhandlungen ebenso positiv zu
sowjetischen Truppen in Afghanistan. warten 21 000 Menschen in Indien und führen."
Die UdSSR ist bereit, ihr begrenztes Bangladesh auf die Erlaubnis, ihre Frankreichs Haltung bleibt un­
Kontingent bald und in zu vereinbaren­ Verwandten in England zu besuchen. verständlich, wenn man sie nur durch die
der Zeit abzuziehen, falls die Ein­ Man könnte diese Aufzählung noch politische Ausrichtung auf die USA zu •*
mischung von außen unterbleibt. fortsefzen, doch habe ich diese Beispiele erklären sucht. Im Februar 1984 erklärte
Ich weiß nicht, ob in Moskau das nur genannt, um zu verdeutlichen, daß der Präsident der Republik bei einem
Problem der Menschenrechte in England der belehrende Ton des geehrten bri­ Besuch in Den Haag: „Das Tätigkeitsfeld
zur Sprache kommen wird. Unsere tischen Außenministers unangebracht ist. bleibt umfassend, doch es wird uns
Auffassung solcher Rechte schließt das Der Staatsbesuch Frau Thatchers erlauben, unsere Sicherheit (in Europa)
Recht des Menschen auf Arbeit ein wird in Moskau als eine Möglichkeit nicht nur durch konventionelle Waffen,
(Ende 1986 gab es in Großbritannien begrüßt, unserem Dialog ein hohes sondern auch mit neuen Systemen zu
3,2 Millionen registrierte Arbeitslose), politisches Niveau zu verleihen, damit er sichern, die sehr bald schon in der
ferner das Recht auf Wohnraum (93 900 einen wesentlichen Beitrag zur Ver­ Weltarena erscheinen werden. Schon
obdachlose Familien in England). Die besserung der bilateralen Beziehungen jetzt müssen wir weiter blicken als die
Situation in Nordirland erscheint uns und der Ost-West-Beziehungen insge­ Kernenergie, wenn wir nicht viel eher,
auch nicht eben mustergültig für die samt leistet. LJ als wir denken können, Zurückbleiben

12 "NEUE ZEIT" 13.87


FRANKREICH

Experimente erfolgen, z. B. für die


Entwicklung der Neufronenbombe. Dabei
handelt es sich schon nicht um eine
[7 Vervollkommnung, sondern um eine
radikale Veränderung der Konzeption

dfi® nim Beyfcjavnlk für den Einsatz von Nuklearwaffen


schon nicht mehr als Abschreckungsin-
strumenf, mit dem man droht, doch das
man nicht einsefzt, sondern als Ge­
fechtsfeldwaffe „wie andere auch"... mit
jenen entsetzlichen Folgen, die sie
hervorrufen;
- der zweite Bereich sind die Er-
forschung und Vervollkommnung von
Die Idee der Abrüstung, die noch gestern eine Utopie schien, hätte Mitteln, um Objekte im Weltraum zu
bei dem Gipfeltreffen von Reykjavik Realiltät werden können. Jetzt entdecken, abzufangen und zu ver-
kann jeder einschätzen, was getan werden muß, um von der Hoffnung nichfen, d. h. die Militarisierung des
zur Wirklichkeit überzugehen... So schreibt Maxime GREMETZ, Weltraums.
Somit wird verständlich, warum die
Mitglied des Politbüros und des Sekretariats des ZK der Französischen
Frage der Beendigung der Kernwaffen­
Kommunistischen Partei (FKP], in seinem Buch „Und sie bewegt sich
tests allmählich immer größere Besorgnis
doch!", aus dem wir Auszüge veröffentlichen. Er legt seine Gedanken der Völker und vieler Regierungen
über einige Aspekte der Abrüstung und darüber dar, welche hervorzurufen begann. Wir müssen uns
Positionen die Regierung Frankreichs und die FKP dabei einnehmen. der besonderen Verantwortung unseres
Volkes, angesichts der Haltung, die die
wollen. Nur ein Beispiel - die Menschheit an einem Wendepunkt ihrer Herrschenden in unserem Land einneh­
Erschließung des Weltraums. Möge Eu­ Geschichte befindet, da sich erstmals men, besser bewußt werden.
ropa zeigen, daß es eine bemannte greifbare Möglichkeiten bieten, reale Diese Verantwortung wird größer.
Raumstation in den Orbit zu bringen und kontrollierbare Abrüstungsabkom­ Davon zeugen immer mehr Massende­
vermag, die es ihr erlauben wird, jede men zu erzielen und zu verhindern, daß monstrationen in vielen Ländern sowie
mögliche Gefahr zu entdecken, sie Waffen in den Weltraum gelangen, unzählige Initiativen und Erklärungen...
mitzuteilen und ihr folglich Widerstand erneut sein Gewicht nicht in die richtige Einige besonders wichtige Ideen ha­
entgegenzusetzen. Eben so wird Europa Waagschale. Leider fand diese Haltung ben die meisten Menschen auf unserem
einen großen Schritt zu seiner eigenen ihre Bestätigung auch durch die Weige­ Planeten erfaßt:
Verteidigung tun - und wird die rung Frankreichs, die Frage einer allge­ - es ist notwendig, die militärische
Errungenschaften der elektronischen Re­ meinen Einstellung der Kernwaffentests Eskalation zu stoppen;
chentechnik und des künstlichen Intel­ zu erörtern. - vor allem die nuklearen Arsenale
lekts sowie bereits vorhandene Eine eingehende Analyse der Perfek­ müssen verringert werden;
Kenntnisse über mit Lichtgeschwindigkeit tionierung der Nuklearsysteme, bis hin - es ist notwendig, die Kernwaffentests
fliegende Projektile nicht ignorieren. zu deren Einsatz im Rahmen von SDI, zu beenden und auf eine Militarisierung
Meiner Meinung nach wäre die Schaf­ zeigt, daß wir den Rubikon erreicht des Weltraums zu verzichten;
fung einer europäischen Weltraumbe­ haben. Was die Systeme mit Atom- oder - die enormen Mittel, die so frei­
hörde die beste Antwort auf die militä­ Wasserstoffsprengköpfen angeht, die von gestellt würden, könnten erheblich
rische Tätigkeit der Zukunft." strategischen Raketen oder Raketen der größeren Nutzen bringen, wenn sie für
In der gleichen Rede vor dem Typen Pershing II bzw. SS 20 ins Ziel eine Verbesserung des Lebens ausgege­
niederländischen Parlament konkreti- getragen werden, so sind Tests nicht ben würden. Das wird zu einer vor­
sierte der Präsident der Republik, man mehr erforderlich... Man kann die dringlichen Notwendigkeit.
solle darüber nachdenken, wie die Treffgenauigkeit (jetzt liegt sie bei plus Eine Analyse der Ursachen des
„nukleare Abschreckung" durch etwas minus 10 Meternl) verbessern und die Rüstungswettlaufs, die Frage nach der
anderes zu ersetzen sei. Im Februar Mehrfachsprengköpfe vervollkommnen: Verantwortung der einen und der
1985 erklärte er in einer Rede in Rennes Die Jagd nach der „Qualität" geht anderen Seite wurden zu einem Thema
unzweideutig, Frankreich schlage eine weiter. Doch dafür braucht man keine von Diskussionen über Probleme bei der
„europäische Weltrauminitiative" vor, Testsl Mobilisierung der Friedensanhänger.
die seiner Meinung nach „in den Im August 1985 - am Jahrestag des Trotzdem hat der Friedenskampf ständi­
kommenden 30 Jahren alle Aspekte der Bombenabwurfs auf Hiroshima - gab die gen Charakter angenommen. Ein Ver­
globalen Strategie, darunter der Nu- Sowjetunion ihr einseitiges Moratorium dienst des Treffens auf höchster Ebene in
klearstrategie, verändern" werde. Sollte bei Kernwaffentests für ein Jahr bekannt. Reykjavik besteht darin, daß es die
Europa sich dem verschließen, werde Dann verlängerte sie das Moratorium bis erörterten Fragen geklärt und die Ver­
„Frankreich selbständig handeln". zum 31. Dezember 1986 (bis zum antwortung eines jeden klar bestimmt
Der Präsident der Republik und der 1. Januar 1987 - die Red.). Das war ein ■hat...
jetzige Premierminister äußerten zwar wichtiger politischer Schritt. Es wurde Von nun an steht die Frage von
verbal gewisse Vorbehalte gegenüber erklärt, man werde das Moratorium auch Frieden und Abrüstung so: Wir müssen
dem SDI-Projekt, doch sie gaben den nach diesem Tag einhalten, solange die für das eigene Überleben und für das
französischen Konzernen grünes Licht für USA auf neue Tests verzichten. Ein Überleben unseres Planeten kämpfen.
eine Teilnahme. Drei Unternehmen internationaler Vertrag über eine Einstel­ Gerade so steht jetzt die Frage: Jeder
nutzten die Gelegenheit unverzüglich. lung der Kernwaffentests ist möglich, muß dafür eintreten, daß die Menschheit
Im Grunde herrscht volle Einmütigkeit wenn sich in zwei Richtungen nichts tut: das Wettrüsten ablehnt und sich letztlich
über eine Teilnahme an der Militarisie­ erstens bei der Nutzung von in den Wettlauf um Leben und Fortschritt
rung des Weltraums. So wirft Frankreich Kernenergie für Gefechtsfeldwaffen. Ihre um des Wohls aller Menschen willen
in dem Augenblick, da sich die „Miniaturisierung" wird betrieben, wofür einreiht.

"NEUE ZEIT” 13.87 1 3


STAR-W ARS

Kenn SDI Kernwaffen entwerten! Schützt SD1 gegen Amokläufer! ren Minisprengsatz befände, würden
dann die Reserven des weltgrößten
Der Verfasser des nachstehenden Beitrags meint: Nein. Er packt das
Golddepots der Bundesreservebank von
Problem von einer anderen Seite an...
New York ausreichen, um die Geiseln —
den Präsidenten bzw. den Kongreß —
freizukaufen?
Erpressung, Racket ist in den USA weit

Ein IE’ ir e ir verbreitet. Soll man warten, bis die Mafia


nuklear erpressen kann?
Die Mafia macht es möglich, tonnen­
weise Rauschgift in die USA zu schmug­

genüg! geln. Daß ein Kernsatz von 140 kg in die


USA gebracht werden kann, ist durchaus
denkbar. Der nukleare Sprengkopf einer
Flügelrakete mit diesem Gewicht hat
eine Detonafionsstärke von 225 Kiloton­
nen. Das entspricht etwa der Zerstö­
rungskraft von 15 Hiroshimabomben.
Igor KUSNEZOW SDI ist leider auch nicht in der Lage,
einen Irren daran zu hindern, eine
Atombombe zu kaufen.
Um Kernwaffen ans Ziel zu bringen, das SAC auf 9 potentielle Methoden der Heutzutage ist die Atombombe kein
braucht man gegenwärtig nicht unbe­ Zustellung von Kernwaffen durch "dritte Geheimnis mehr. Ihre Konstruktion ist
dingt gleich eine ballistische Rakete oder Seifen", terroristische Gruppen ein­ recht einfach und wurde mehrmals in der
einen strategischen Bomber. Die Perfek­ geschlossen. Weder weltraumgestützte Literatur beschrieben. Die Hauptschwie­
tionierung der Kernwaffen führte dazu, noch Laser- oder Flugmittel, die im rigkeit besteht wohl darin, an das
daß die Ausmaße nuklearer Sprengsätze Rahmen von SDI geschaffen werden angereicherte Uran — die Basis der
bedeutend kleiner geworden sind. Seif sollen, können auch nur eine dieser Kernwaffen — heranzukommen. Große
Jahrzehnten gibt es relativ einfach Methoden unterbinden bzw. neutralisie­ Industriekapazitäten und gut funktionie­
konstruierte nukleare Artilleriegeschosse ren. rende Technologie sind erforderlich, um
von einigen Kilotonnen Detonationskraft Es ist in der Tat unvorstellbar, wie die es herzustellen. Aber auch das läßt sich
für 155-mm-Haubitzen. Solche Kanonen hypothetische SDI eine "dritte Seite" machen. Urandiebstähle sind aus
zum Verschießen von nuklearen und oder eine terroristische Gruppe daran Frankreich, England und aus der BRD
Neutronengranaten mit einer Stärke bis hindern sollte, einen Nuklearsatz auf bekannt. In den USA waren aus der
zu 3 Kilotonnen werden beispielsweise US-Territorium zu schmuggeln. Die Urananreicherungsanlage der Nuclear
in den USA von der Space Research Masse einer taktischen Kernwaffe mit Materials and Equipment in Apollo in 20
Corporation hcrgestellt. einer Sprengkraft von 1 Kilotonne
Die in Westeuropa stationierten Ein­ beträgt lediglich 27 kg. Das läßt sich am
heiten der US-Army sind mit nuklearen Beispiel einer der möglichen Zustel­
Rucksackmincn ausgestattet. Zu nennen lungsmethoden veranschaulichen.
wären "Echo" bzw. "Delta" (Detona­
Spezialisten meinen, daß rund eine
tionsstärke 1 Kt bzw. 300 t).
Million arbeitsuchende Braceros jährlich
Derartige Sprengsätze oder Minen
die Grenze der USA aus Mexiko
lassen sich zusammen mit anderen Lasten
kommend illegal überschreiten. Wenn es
transportieren oder im Marschgepäck
einem Terroristen mit einem atomaren
mitnehmen. Damit ist eine hohe Geheim­
Sprengsatz im Rucksack gelingt, in dieser
haltung bei der Plazierung von nuklearer
Schar unterzutauchen? Was könnte ihn
Munition gesichert. Je kleiner sie ist,
oder die "dritte Seite" daran hindern,
desto schwerer ist sie auszumachen. Die
eine nukleare Ladung über Land bzw. in
von einzelnen Teilen eines Sprengsatzes
einem Motorboot in einen Hafen zu
ausgehende radioaktive Strahlung kann
bringen, dort zu zünden und somit
sehr leicht abgeschirmt werden. Mit für
Amerika ein neues Pearl Harbor zu
radioaktive Strahlung empfindlichen
bescheren? Denkbar wäre auch, daß ein
Meßgeräten sind solche Sprengsätze
Chemiebetrieb als Ziel gewählt wird,
nicht zu orten. Angenommen, ein
dann wäre das Resultat Bhopal auf
Sprengsatz dieser Art ist unmittelbar an
amerikanisch.
die Blocks eines Kernkraftwerkes ge­
bracht worden, dann kann er durchaus... SDI ist ein System, mit dem der
Grausig ist die Vorstellung, was er da US-Präsident Kernwaffen "nutzlos und
anrichten kann. Ist diese Entwicklung zu überholt" machen will. Allerdings wird Der nukleare Minisprengsatz In einem
verhindern? Diese Frage stellten die es unter solchen Bedingungen nicht als Rucksack mit 13 Zoll Durchmesser

USA-Senatoren Sam Nunn und John Versicherungspolice für ganz Amerika


Warner an das Strategische US-Luftwaf- fungieren, ja es wird nicht einmal den
fenkommando (SAC). In den Zuständig­ Präsidenten selbst und die Regierung Jahren 342 kg hochangereicherten Urans
keitsbereich dieser Senatoren gehört schützen. Fußgänger, Touristen und "verschwunden". Die Menge reicht aus,
auch die Schaffung eines sowjetisch­ Demonstranten mit Plakaten un­ um 38 Hiroshimabomben zu bauen.
amerikanischen Zentrums zur Reduzie­ terschiedlichsten Inhalts sind stets in Der Journalist Patrick Berthreu und der
rung der Gefahr eines unbeabsichtigten unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses pensionierte Kernphysiker Sten Ericsson
Atomkrieges, in einer von den beiden und des Capitol anzutreffen. Falls sich berichteten in dem in Frankreich publi­
Senatoren angeregten Studie verweist darunter ein Terrorist mit einem nuklea- zierten Buch "Ich habe eine Atombombe

1 4 "NEUE ZEIT" 13.87


sagen, wieviel Mitglieder—12, 15 oder
20 — der nukleare Klub zählen wird, ARCHIV AKTUELL
wenn SDI in Dienst gestellt wird.
Der stellvertretende Direktor des Ich rufe die Wissenschaftler
Kurtschatow-Instituts für Atomenergie auf, uns Mittel zur Verfügung zu
Lew Feoktistow glaubt, daß heute im stellen, die Afomwaffcn machtlos
Bereich der Atomenergiewirtschaft und veraltet machen.
schnelle Brüter die aussichtsreichste
Variante darstellen. In ihnen erfolgt die
Unsere Verteidigungssysteme
erweiterte Reproduktion von Pluto-
rufen einige Probleme und
nium-239. Dies ist nicht nur ein wir­
Mißverständnisse hervor, im Zu­
kungsvoller Reaktorbrennstoff, sondern
sammenhang mit Offensivwaffen
auch die Grundlage für Atomwaffen. Eine
kann man sie durchaus als An­
auf dieser Basis entwickelte weltweite
sporn zu einer aggressiven Politik
Energiewirtschaft wird Hunderte von
befrachten.
Tonnen Plutonium international in Umlauf
US-Präsident R. Reagan
bringen. Um einen Sprengsatz zu bauen,
23. März 1983
sind lediglich 4,7 kg Plutonium-239 erfor­
derlich. Es leuchtet ein, daß die Grenzen Präsident Reagan und seinen
des Wettrüstens ins Unermeßliche erwei­ Freunden sind die herrlichen
tert werden. Jahre eingefallen, als die USA die
Nukleare Mine mittlerer Sprengkraft mit Bombe hatten, und sonst keiner.
Wissenschaftler verweisen ferner auf
etwas größeren Abmessungen. Kann SDI Die mit star-wars einhergehende
die prinzipielle Möglichkeit, Kern­
ihren Einsatz verhindern! ideologische und politische Mo­
sprengsätze aus Isotopen der Trans­
Fotos: "Der Spiegel" (BRD) bilmachung ist das Ergebnis ihrer
urane, die schwerer sind als Plutonium,
zu bauen. Einige dieser Isotope weisen Enttäuschung über die gegenwär­
die Fähigkeitzur spontanen Spaltung tige Lage und ihrer Erinnerungen
auf, während ihre kritische Masse sehr an jenes Goldene Zeitalter.
gering ist. Bei einem Americium-Isotop E. P. Thompson
beträgt sie ganze 80 g. Das heißt, eine Vizevorsitzender des Komitees
gekauft: Warum nicht auch sie?" (ge­
Kugel, die diese kritische Masse auf­ für nukleare Abrüstung (USA)
meint sind Terroristen) darüber, wie man
spaltbares Material erwerben kann. weist, hat nur 2,2 cm Durchmesser. Ein Das Märchen, daß SDI dazu
P. Berthreu gab sich als Geschäftsmann Kernsatz mit einer Zerstörungskraft von verhelfen soll, Atomwaffen auf der
aus, der die Interessen eines Landes der 1 Kilotonne ist kaum größer als eine Erde zu vernichten, entsprach den
dritten Welt vertritt. Er knüpfte Kontakte Thermosflasche. Die schweren Transurane inneren Erfordernissen der USA.
zu Waffenhändlern. Das Ergebnis war ein besitzen eine noch geringere kritische Es sollte der Friedensbewegung
Vertrag mit Repräsentanten des nuklea­ Masse. Bei einem Californium-Isotop einen Schlag versetzen und sie
ren Busineß, der den Verkauf von liegt sie unter 2 g. Es ist nicht auszu­ zwingen, sich mit SDI abzufinden.
"19,7 Kilo angereicherten Urans militä­ schließen, daß einmal ein nuklearer Edward Teller
rischer Qualität" vorsah. Diese Menge Sprengsatz mit der Sprengkraft von Physiker (USA)
würde ausreichen, eine Atombombe zu mehreren Dezifonnen gebaut wird, der Wir brauchen keinen
bauen. nicht größer als ein Kugelschreiber ist. ' Rüstungsmoloch, der Millionen
Solche Sprengsätze, die unter andere von Dollar verschlingt. Wir
Der BRD-Journalist Karl Günther Barth
(nichtmetallische) Frachten gemischt wer­ brauchen die Fortsetzung dessen,
recherchierte über den schwarzen Atom­
den, könnte man nur ausmachen, wenn was man in Reykjavik erreichen
waffenmarkt. Er gab sich als Inhaber der
ein Metalldetektor in ihre unmittelbare wollte.
fiktiven Firma "IVI Consulting and
Nähe gebracht würde. Oder man müßte David Roper
Management" aus. Seinen Worten zu­ Physikprofessor (USA)
die Fracht röntgen. Die immensen orga­
folge wurden bereits im April 1981 40
nisatorischen und technischen Schwierig­ SDI ist: psychologische Krieg­
Container mit spaltbarem Material im
keiten, die dabei entstehen, schließen führung gegen die UdSSR: eine
Wert von je 3,5 Mio Dollar aus dem
die Möglichkeit der Ortung praktisch diplomatische Note an die eige­
Lager der amerikanischen Westinghouse
aus, so meint der Professor der Inge­ nen Verbündeten, um sie zu
in den Nahen Osten verfrachtet. Im
nieurhochschule in Wismar G. Poppei. beeindrucken; ein volunta­
September 1981 offerierte Jürgen Müller
Die Produktion, Lagerung und Ein­ ristischer Akt der Rüstungsin­
aus der BRD allen Interessenten im
satzvorbereitung von Mini-Nuklearsäfzen dustrie; ein innenpolitisches Ma­
Nahen Osten "6 bis 8 Kilo" angereicher­
läßt sich mit den bekannten bzw. növer und die Position zu militä­
ten Urans (70 Prozent — Gehalt).
künftigen Mitteln der Fernortung nicht rischen, keineswegs rein strate­
Die Barth-Firma erhielt viele ver­ kontrollieren. gischen Fragen.
lockende Angebote. Hier nur eins: Argumente, wonach SDI als Absiche­ Gilles Polycarpe
rr
„Sechs fertige Atombomben, jeweils rung gegen Irre eingesetzt werden Ingenieur (Frankreich)
420 kg schwer, 4,55 m lang, Durch­ könnte, die Amerika mit Kernwaffen
erpressen, halten keiner Kritik stand. Als Die weite Auslegung (des
messer 6,5 cm und 60 Kt Sprengkraft."
Irre sind eher die Leute zu bezeichnen, ABM-Vertrages — d. Red.) führt
Der ehemalige französische Hochkom­ die eine Billion Dollar für die Ent­ in eine Verfassungskrise oh­
missar für Atomenergie Francis Perrin wicklung einer kosmischen Maginot-Linie negleichen. Aller Wahrschein­
gab zu, daß in den 50er Jahren die zum Fenster hinauswerfen wollen. lichkeit nach wird diese Entschei­
französische Technologie für den Bau Dieser Wahnsinn allerdings ist genau dung im Kongreß als Ende der
von Atombomben heimlich an Israel berechnet und durchdacht. Dahinter Rüstungskontrolle aufgenommen

weitergeleitet wurde. stecken die Interessen des Militär- werden...


Industrie-Komplexes. Nicht SDI kann Sam Nunn
1945 besaßen die USA das nukleare wahre Sicherheit bieten, sondern die demokratischer Senator
Monopol. Gegenwärtig geben fünf Vorsitzender des Senatskomitees
volle Beseitigung der nuklearen Rüstung
Staaten offiziell zu, daß sie Atomwaffen zu Fragen der Streitkräfte
auf der’Erde.
besitzen. Heute kann kein Politiker

"NEUE ZEIT” 13.87 1 5


POST ECHO TOST o echo

Von neuem Denken zu neuem Mein


Wuscr.schahler end Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus der BRD - die
Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Jörg Huffschmid, Professor Dr. Gerhard Kade,
Pro!' •. ■_ c: Dr. Rudolf Hickel, die Juristen Professor Dr. Helmut Ridder, Professor
Dr il.crd St .oy und andere Mitherausgeber der in der Bundesrepublik beliebten
gesellschaftspolitischen Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik",
richteten an den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow, einen
offenen Brirf, in dem es heißt:

Sehr geehrter Hcrr Gor- in "Neues Handeln" umzuset­ Wir sehen uns mit vielen und innere Repressionspolitik
batschow! zen beginnt. gesellschaftlichen Kräften der noch rechtfertigen könnten.
Ihr leidenschaftliches Plädo­ Auswärtige Politik war bis­ westlichen Welf bestätigt in
yer für Demokratie und Frie­ her nur darauf gerichtet, Ver­ unserer Forderung nach ver­ Wir erwarten von unserer
den, für Frieden und Demokra­ änderungen der Welt gemäß gleichbaren Signalen und Im­ eigenen Regierung, daß sie es
tie beeindruckt uns und viele den partikularen Wert- und pulsen eines Umdenkens, die gegenüber der neuen sowje­
unserer Landsleute. Die Ent­ Zielvorstellungcn und Interes­ auch von unseren Hauptstäd­ tischen Politik nicht bei Wor­
schiedenheit, mit der Sie in sen der Handelnden herbeizu­ ten ausgehen müssen. Wir, die ten beläßt, daß sie ihr viel­
Ihren jüngsten Reden den führen oder zu verhindern. in der Bundesrepublik mehr unter unvoreingenomme­
Zusammenhang zwischen um­ Daß es heute zuvörderst dar­ Deutschland für Frieden und ner Würdigung des deutschen
fassender Demokratisierung auf ankommt, die Welt zu Abrüstung eintreten und eine Anteils an geschichtlicher Ver­
und wirtschaftlicher Erneue­ retten, wurde zwar schon Wirtschaftspolitik wollen, die antwortung für den Frieden in
rung herausgearbeitet haben, gesagt, blieb aber meist ein den Menschen dient, die öko­ Europa und der Welt konstruk-
bekräftigt zugleich den Ernst billiger und folgenloser Lip- logischer und sozialer Verant­ tiv begegnet, Der jüngste
Ihrer Friedensinitiativen, Ihrer pendienst, weil unter dem wortung den Vorrang gibt, sowjetische Vorstoß zur
Suche nach Wegen aus der Vorbehalt des IDiktats der wissen um die Wechselwir­ Abschaffung der Mit-
Gefahr. Die wechselseitige Be­ überhöhten eigenen kung von Frieden und Demo­ telstreckenraketen bietet unse-
dingtheit der innerstaatlichen Wert Vorstellungeni geleistet kratie. Ob die von Ihnen rem Kontinent eine historische
Erneuerung und der Wahrung und deshalb nie in der Lage, eingeleitefe Politik sich Chance, die nicht wieder zu­
von Sicherheit und Frieden dem spiralförmigen Wachstum durchzusefzen und voll zu nichte gemacht werden darf.
zwischen den Staaten ist der Bedrohungspotentiale und entfalten vermag, kann uns Es gilt, sich von einer Haltung
unaufhebbar geworden. der mit ihnen korrespondie­ nicht gleichgültig sein. zu befreien, d.er Mißtrauen
Diese Einsicht bezeichnet renden Feindbilder Einhalt zu Welchen Weg die Weltmacht und Feindseligkeit gegenüber
auch in unseren Augen den gebieten. Sie haben mit dem Sowjetunion geht, welche Re­ "dem Osten" ' zur zweiten
einzigen Weg, der aus der von Ihnen proklamierten und sonanz ihre Politik findet, Natur geworden ist. Sie hat
gegenwärtigen Welfsituation praktisch eingeleiteten Moder- entscheidet in hohem Maße unseren Völkern nur Unglück
hinausführt, aus einer Welt, nisierungs- und Demokratisie­ mit über das Schicksal der gebracht. Eine konsequente
die durch den Wahnsinn einer rungsprozeß vor den Augen Menschheit. Politik der Verständigung und
technologisch unbegrenzten der Welt ein Exempel innerer Wir verurteilen die Un­ Zusammenarbeit dient uns in
Hochrüstung, der damit ver­ Entspannung statuiert, das po­ redlichkeit mancher Politiker, der Bundesrepublik, allen
bundenen Verschwendung be­ sitive Folgen für die internatio­ die seit je lauthals die von Menschen in Europa und in
grenzter Ressourcen und Ver­ nale Entspannung nach sich Ihnen in Angriff genommenen der Welt.
elendung ganzer Kontinente, ziehen und den Demokratisie­ Reformen gefordert haben und
ja der Ausbeutung^ schon der rungsprozeß in allen Ländern Mit freundlichen Grüßen
doch heimlich auf deren Schei­
kommenden Generationen ih­ der Erde ungeachtet der tern hoffen, weil sie nur dann Herausgeber und Redaktion
rem Untergang zusteuert. Es systembedingten Un­ ihre inneren und äußeren der Zeitschrift "Blätter für
ist der Weg eines "Neuen terschiedlichkeit vorantreiben Feindbilder noch retten und deutsche und internationale
Denkens", das sich unmittelbar wird. ihre auswärtige Bedrohungs- Politik"

Fest und verantwortungsbewußt ihnen mit


reitschaft, als
größerer
das
Be­
bislang
Sehr geehrter Herr Gor- und einige ihrer Helfershelfer möglich war, begegnen wer­
eine ähnliche Humanität zei­
batschow! äußerst unvernünftig handel­ den, dann in sehr großem
gen und die Massenmedien im
ten, sind Sie sich treu geblie­ Maße dank Ihren so zu be-
Westen über Ihr Handeln
ben. objektiver berichten. Wir mei­ grüßenden Handlungen.
Seitdem Sie Ihr Amt ange­ Sie haben Dr. Sacharow aus nen nicht, daß der Kurs, den In tiefer Achtung und
treten haben, stehen wir unter der Verbannung zurückgeholt Sie gewählt haben, leicht ist, und mit den besten Wünschen
dem großen Eindruck Ihrer - ein Schritt voll Edelmut und obwohl er lebenswichtig für
zahlreichen Abrüstungsinitiati­ Mitgefühl, der unsere herz- uns alle ist. Ken Coates
ven und der Beharrlichkeit, mit lichste Anerkennung findet, Wir sind uns bewußt, daß Bertrand-Russell-Friedensfonds
der Sic diese voranbringen. Wir alle möchten, daß akute Krisen in der Zukunft Matlock
Selbst dann, wenn die USA manche westliche Politiker entstehen können. Wenn wir Großbritannien
1« "NEUE ZEIT" 13.87
POST O ECHO O POST O ECHO

tischen über Kata­

Gestäinidms der freien


Leben
zukünftige
und
Welt,
die
ihr heutiges
Aussicht auf
Sicherheit aufs
strophen
Presse
wie
Schiffbrüche, das Sinken eines
Tschernobyl,

im WiHardl oder Spiel setzen."


Schön gesagt,
Mr. Wick hat
nicht wahr?
Angst, daß
Atom-U-Bootes, ja selbst Unru­
hen in der Sowjetunion;
große Bereitschaft zu Kon­
Amerika und der Westen im takten mit westlicher Kultur,

Wie Ml Wick Kampf der Ideen den


ren ziehen. Ein solches Ge­
Kürze­ bis hin zu joint vcntures.
Diese propagandistischen
ständnis ist etwas wert. Greift Anstrengungen visieren alle

Amiggt bekam Reagans Amerika


halb so bereitwillig zur Idee
nicht des­ Völker der Welt an."
Wie fürchterlich hinterlistig!
der Waffen, weil es Angst hat Mr. Wick nennt das eine
Wie jeder Richter weiß, ist das das auch so, daß wir unsere vor der Idee als Waffe? Drohung und ermutigt dazu,
Geständnis der Hauptbeweis. Erzeugnisse - die Werte und Im Willard mischte sich sich "dieser Gefahr zu stel-
Man hatte schon immer den Ideen der freien Welt an Mr. Wick unter die Werbetex­ len".
Verdacht, daß die US-Politik, den Mann bringen." ter, und das ging eine Weile Eine erstaunliche Beichte
besonders unter dem unüber­ Bemerkenswerte Worte. gut. Jetzt aber ist es an der eines berufsmäßigen Streiters
troffenen jetzigen Präsidenten Aber das ist erst der Auftakt. Zeit, den Punkt aufs i zu an der ideologischen Front.
auf Show abgestellt ist. Daß Auch wissen, daß die
wir setzen. Jeder, der mit Waren Man höre nur: Er hatte es viel
Bildröhrenmagie zum Äquiva­ "Ideen und Werfe der freien handelt, ist manchmal versucht, ruhiger, als Sacharow noch in
lent für Staatsweisheit gewor­ Welt" genau so verkauft wer­ Luft zu verkaufen. Der Mann, Gorki und die anderen Leute
den ist. Daß die Mattscheibe den wie jede andere Ware: der mit politischer Ware han­ in noch entfernteren Gegen­
den Schein oft zum Wesen mittels aufdringlicher Be­ delt, verkauft früher oder spä­ den weilten, als die Presse in
macht und vice versa. Daß sich schwörungen und Seifenopern, ter Angst. Die USIA und die der UdSSR sich verschämt von
die Demokratie mit ihrem mittels massierter Suggestion gesamte amerikanische Politik unbequemen Themen ab­
Recht auf Alternativen und von platten und unwirklichen begnügen sich nicht mehr wandte, als es in Politik und
dem Prinzip "Ein Mensch - Vorstellungen. Neu am Ge­ damit, Amerikanismus zu ver­ Wirtschaft mehr Routine und
eine Stimme" in Gottes eige­ ständnis des Mr. Wick ist kaufen, sie schmeißen einem weniger schöpferischen Spiel­
nem Land allmählich in eine seine unverkennbare Be­ auch noch den Antisowjetis­ raum gab. Gewiß, damals
Illusion verkehrt und daß sorgnis. Worüber? Hören wir mus nach. Warum müssen die konnten die "Stimme Ameri­
seriöse Politik zunehmend von ihm einmal zu: Ideen der "freien Welt" unbe­ kas" und sämtliche anderen
Sprechblasen verdrängt wird. "Der Machtantritt von Gene­ dingt in die Angst vor dem Propagandastellen, die
Dieser Verdacht wurde aus ralsekretär Gorbatschow hat anderen System verpackt wer­ Mr. Wick betreut, ohne weite­
berufenem Munde bestätigt: eine neue, dynamischere Füh­ den? Vielleicht deshalb, weil res Krokodilstränen über die
durch USI A-Direktor Charles rung ermutigt.’ Moskau propa­ die reaktionären westlichen "Verfolgung Andersdenken­
Wick, Das Geständnis war giert ein neues Image der Ideologen und Propagan­ der" in der UdSSR vergießen,
nicht erzwungen, vielmehr offenen Politik für die ganze disten nicht so sehr für die auch über das merkwürdige
freiwillig und wurde reinen Welt. Sie nennen das Transpa­ Ideen ihrer Zivilisation wer­ Schweigen der Presse zu Fra­
Herzens vor Freunden und renz. Aber Transparenz ist in ben, was an sich nicht weiter gen, die die Menschen bewe­
Gesinnungsgenossen abge- diesem Fall ein Werbegag. verwunderlich wäre; nein, sie gen, und über das starre
legt. Die Sowjets wollen den Krieg drängen vielmehr der Welt Wirtschaftsmodell. Je schlim­
Im Washingtoner Hotel der Symbole gewinnen. Wenn Spaltung, Konfrontation, Mili­ mer es bei uns aussieht, desto
"Willard" fand die Früh- die siegen, bedeutet das, daß tarismus, Wettrüsten und besser ist es für den Westen,
jahrskonferenz der Amerika­ sie auch im Krieg der öf­ sonstige Kolonial-, und Impe­ das ist die Logik eines
nischen Reklamevereinigung fentlichen Diplomatie gesiegt rialwaren auf. Mr. Wick. So hat er es
statt. Vor dem Mikrophon haben." Mit seltener Offenheit ent­ leichter, den Sozialismus zu
stand der Direktor der USIA, Wir wollen keine Haarspal­ blößt Mr. Wick die heimlichen karikieren als eine Gesellschaft
der offiziellen Reklameagentur terei betreiben, es geht Ängste seines Kreises. ohne Demokratie, als eine
der USA. schließlich nicht so sehr um "Sie verkaufen das Image nachgerade antidemokratische
"... Wir haben ein gemein­ Worte als um die Denkweise. von 'Transparenz' und dem Gesellschaft. Und umgekehrt:
sames Interesse an Kommuni­ Verfolgen wir die gewunde­ 'Fortschritt' in eine schönere Je besser es bei uns aussieht,
kation. Wir alle, die wir uns nen Pfade, auf denen sich der Welt. Sie nehmen die Auf­ desto ungemütlicher fühlen
hier eingefunden haben, parti­ verschreckte Mr. Wick voran­ merksamkeit der ganzen Welt sich Mr. Wick und seine
zipieren so oder anders an der tastet. für sich in Anspruch, beson­ Kollegen. Je mehr sich der
Entwicklung* einer drama­ "Was werden wir in diesem ders an der Vorderlinie des Prozeß der Transparenz entfal­
tischen Tendenz in den inter­ Fall verlieren?" setzt er fort. Ost-West-Konflikts. Denken tet, je mehr Demokratie die
nationalen Beziehungen, am "Wir könnten unsere Sicher­ Sie eine Minute darüber nach, UdSSR hat, desto nervöser
unaufhaltsam wachsenden heit verlieren, und das ist wie Sie auf folgendes reagie­ werden die besoldeten Propa­
Einfluß von Reklame und Pro­ recht wesentlich. Es braucht ren würden: gandisten des anderen
paganda auf die Angelegen­ nicht noch einmal zu gesagt Entlassung Andrej Sacha- Systems.
heiten der Welt", verkündete werden, daß es im Krieg keine rows, Juri Orlows, Anatoli Gut denn, wir werden auch
er. Sieger gäbe. Alle würden Stscharanskis und anderer po­ solche Beweise für die Richtig­
"Zwischen Werbung und verlieren, Sieger und Besiegte. litischer Häftlinge; keit unseres Weges auf­
Weltpolitik besteht ein enger Das wäre die Höchststrafe für Entflechtung von SDI und merksam verfolgen. Das sind
Zusammenhang, aber das ist die Fehlkalkulation. Verhandlungen über die nu­ Beweise aus der Hand des
nichts Neues." Auf längere Sicht könnten klearen Mittelstreckenrake­ Gegners, nur - sie beweisen
"Auf meinem Gebiet, der wir, wenn wir im- 'Krieg der ten in Genf; das Gegenteil.
‘öffentlichen Diplomatie', ist Ideen' verlieren, den Geist Mitteilungen der sowje- A. PUMPJANSKI

"NEUE ZEIT" 13.87 17


NZ-RECHERCHEN
=3

amerikanischen Militärberatern,
ZJZ] CIA-Agenten und Piloten von

ur Lufffahrtgesellschaften
Air America leitete.
einschließlich der

Thomas Ciines war Shackley unterstellt.

KB Vfietoam Die

Es
beiden

war
Secord,
kannten

ausgeschlossen,
Shackley und
sich,
Anfang der 60er Jahre in Miami Aktionen
gegen Kuba geplant hatten.
seitdem

Ciines
daß
sie

sich
nicht
Lew JELlfJ kannten. Übrigens schreibt Peter Maas in
dem Buch "Menschenjagd", Secord habe

Flugzeuge und Rc.1 cten aus Depots des Pentagons waren schon auf dem Internationa­ in Laos mit Shackley und Ciines "eng
len Waffenmarkt erschienen; Geld lief auf unter Bankgeheimnis stehenden Konten ein zusammengearbeitet". Wobei?
und ging dann weiter an "Freunde" der USA mit Reglerungs- und anderem Status.
Hinter alledem steckten dieselben Leute wie jetzt hinter "Irangate", die "stille Mafia",
die sich zur Zeit der US-lnvasion in Indochina bildete und In Gehelmoperationen
Nugan stirbt, Hand
versiert ist. verschwindet
Am 13. Januar 1980 wurde in der Nähe
Akteure zu den Contras zuständig, und Shackley von Sidney in einem Auto die Leiche des
nahm an mehreren Zusammenkünften mit 37jährigen australischen Bankiers Frank
Iranern feil, die das Geschäft einleife- Nugan gefunden. Der offizielle Befund
Aus Akten des Sonderausschusses des
ten.) lautete: Selbstmord. Nugan war Mitbesit­
US-Scnats für die Untersuchungen in
Die Verbindung zu
ZU iranischen zer der Anfang der 70er Jahre gegründe­
Sachen "Iran—Contras":
Amtspersonen half der amerikanische ten Kommerzbank Nugan—Hand. Eine
"Es liegen Zeugenaussagen dafür vor,
Geschäftsmann Albert Hakim, ein gebür­ Untersuchung ergab, daß sie die Konten-
daß Richard Scccrd, Generalmajor
tiger Iraner, herstellen. Er hat besitzer betrogen hatte. Sie war in den
a. D. der US-Luftstreitkräfte, und die
wahrscheinlich auch angeregt, den Ira­ Rauschgift- und Waffenhandel verwickelt.
beiden ehemaligen ClA-Beamten Thomas
nern mehr abzuverlangen und den Eine gemeinsame Sondergruppe des
Ciines und Theodore Shackley in einer
Gewinn für Hilfe an die Contras zu Commonwealth und des Bundesstaates
Schweizer Bank ein Konto eröffneten
verwenden. Neusüdwales (wo sich die Bank befand)
oder es kontrollierten, auf dem ein Teil
Ein an dem Unternehmen beteiligter legte im März 1983 einen Bericht vor,
des Erlöses aus dem Waffenverkauf an
ungenannter CIA-Offizier sagte von der allerdings noch immer nicht ganz zur
den Iran eingezahlt worden war. Das
General Secord und Hakim, sie seien Veröffentlichung freigegeben ist. Be­
Geld wurde offenbar von schweize­
"fast gleichberechtigte Helfer" kannt ist aber folgendes:
rischen andere Banken — auf den
Oberstleutnants Oliver Norths. In den sieben Jahren ihres Bestehens
Kommen wir' jetzt zu früheren Vorgän­ beteiligte sich die Bank an zahlreichen
gen, die mit den Operationen des gesetzlichen und ungesetzlichen Ge­
Pentagons und der CIA in Indochina — schäften in 13 Ländern, darunter in den
mit dem Vietnamkrieg und den Aggres­ USA, auf den Caymaninseln, in
sionen gegen Laos — zusammenhingen. Hongkong, auf Taiwan, auf den Philippi­
Im März 1962 wurde Richard Secord nen und in Thailand. Die Bank wusch den
als Berater der südvietnamesischen Ar­ Erlös für Heroin aus dem Goldenen
mee nach Indochina geschickt. Von Dreieck (den Grenzgebieten Burmas,
August 1966 bis August 1968 diente er Thailands und Laos', die bis zu 800 t
in Udon auf einem thailändischen Rohopium im Jahr liefern) rein und war
Luftwaffenstützpunkt. Von dort aus direkt mit 26 Rauschgifthändlern liiert.
plante er Geheimoperationen gegen Wem lag etwas daran, daß die
Laos (offiziell blieb Bangkok neutral). R^uschgiftdollars reingewaschen wur­
Außerdem war Secord weitgehend an den? Betrachten wir einmal die Liste der
der Leitung der Flüge beteiligt, die die Berater der fraglichen Bank. Da sind der
der CIA gehörende Air America aus— ehemalige. CIA-Direktor Colby (seine
führte. 1972/73 wurde er aus den Visitenkarte steckte in einer Tasche des
Luftstreitkräften in die CIA versetzt und toten Bankiers), der ehemalige
leitete die Operationen der Söldnerein­ stellvertretende CIA-Direktor McDonald,
heiten, die die CIA mit Maschinen der die ClA-Beamten Jansen und Loomis, der
Air America und mit Chartermaschinen in ehemalige Flugdienstleiter der Air Ame­
Laos einflog. Der Kriegshistoriker Shelby rica Holmgreen und Michael Hand,
Stanton schreibt, Secord sei "einer von Nugans Kompanion, diente vorher in
denen gewesen, die über Geld verfüg­ Laos bei der US-Militäraufklärung. Ende
Generalmajor Richard Secord. Seine
ten, und er bekam Geld für die Söldner, der 60er Jahre war er bei Air America
Kollegen bei den Operationen in In­
die an dem widerrechtlichen Krieg angestellt, gerade als über deren Flüge
dochina hielten seinen Namen sorgfältig
teilnahmen". Secord, Ciines und Shackley zu bestim­
geheim
In derselben Region betätigten sich men hatten. Hand hat, so heißt es im
Shackley und Ciines. publizierten Teil des australischen Be­
Großen Caymaninseln — überwiesen, Theodore Shackley stand von Mitte bis richts, eng mit allen dreien kooperiert,
u. zw. zur Obergabe an die Contras." Ende der 60er Jahre den CIA-Abteilun- auch als er die Bank leitete.
(Nach Angaben von anderer Seite war gen in Vietnam und Laos vor, wo er, Die Bank Nugan—Hand war von der
Ciines auch für die Anstellung von dem "Baltimore Sun" zufolge, eine CIA und der US-Mllitäraufklärung
Piloten für die Beförderung von Frachten "Privatarmee" aus dortigen Söldnern, gegründet worden. Die agierenden Per-

"NEUE ZEIT" 13.87


12


der Skandal rings um Nugan—Hand mein für die Contras angeworben wor­
entbrannte, Clines in Wilsons
erschien den. Von 1966 bis 1968 leitete Singlaub
Büro und entnahm dem Koffer einen Teil in Vietnam die strenggeheime militä­
der darin befindlichen Schriftstücke. Wie rische Beistandsgruppe. Der Historiker
später ein ungenannter Zeuge vor Stanton charakteri siert sie folgender­
Fahndungsbeamten aussagte, sei dabei maßen: "Sie machten viel Merkwürdiges,
ließen Fragen danach jedoch un­
r; "der Name Richard Secord gefallen, aber
Clines habe gesagt: 'Wir müssen es so beantwortet". Eine gewisse Vorstellung

/O machen, daß Dick bei der Sache draußen davon kann man sich aus dem Lebenslauf
bleibt.' Secord wurde geschützt." von Singlaubs ehemaligem Stellvertreter
. ■ -
Es gibt noch einen Menschen, der in der militärischen Beistandsgruppe in
I über Secords Rolle beim Waffenhandel Vietnam, Brigadegeneral a. D. Harry
und darüber aussagen könnte, wieviel er Aderholt, bilden. Der Historiker William

1i t. . V den Söldnern gezahlt hat. Michael Hand.


Aber ein halbes Jahr nach dem Tod
Leary meint, Aderholt habe z.B. an der
Herrichtung von Flugplätzen für Maschi­
seines Teilhabers flog er mit falschen nen der Air America mitgearbeitet. Er

w
Ä IZl
Papieren nach den USA und verschwand
spurlos.

Sekord--Hakim
hat 15 Jahre
gearbeitet
Seite an Seite mit Secord
und nennt
Schützling. Jetzt heißt es, Aderholt sei
an der Belieferung der Contras beteiligt.
Die ins Irangate verwickelten
ihn seinen

Perso­
Generalmajor John Singlaub, ehemaliger "Dick" aber machte Karriere. Mitte der nen erklären oder glauben zumindest,
Präsident der Antikommunistischen 70er Jahre leitete er die Beistandsgruppe sie hätten für Amerika ein gutes Werk
Weliliga und tatkräftiger Teilnehmer der
für die US-Luftstreitkräfte im Iran. Damals getan. So gesehen, wären auch die
widerrechtlichen Hilfe an die Contras
wandte sich Edwin Wilson wieder an ihn.
Er machte Secord mit dem Waffenhändler
Albert Hakim, einem "zuverlässigen
sonen waren, aller Wahrscheinlichkeit Mann", bekannt. Später entzweite sich
nach, Shackley, Clines, Secord und Hand. Wilson mit Hakim und nannte ihn nur
Die Söldnereinheiten unter Vang Pao, noch einen Gauner. Aber Secord und
die von Shackley, Clines und Secord Hakim kamen jahrelang gut miteinander
geleitet wurden, kontrollierten die aus. Damals, Mitte der 70er, soll "Gene­
Schlafmohnpflanzungen. Flugzeuge und ral Dick", dem Christic Institute zufolge,
Hubschrauber der Air America brachten Hakim geholfen haben, beim Pentagon . _ __ ______ . I
den Söldnern Waffen und nahmen ein Flugzeug der US-Luftwaffe und ' i —11
Opium mit. Deshalb wurde die verschiedene! Waffen nach dem
Luftfahrtgesellschaft vielfach Air Opium Nennwert anzukaufen. Hakim ver-
genannt.
gan—Hand
Der Erlös
reingewaschen.
wurde
Im austra­
bei Nu­ scheuerte das alles für dickes Geld
Nahen Osten. Secord ließ dem Händler
im /?//? fimefucfi
lischen Bericht ist z. B. erwähnt, daß eine ansehnliche Vermittlungsgebühr,
Clines Millionen Dollars bei der Bank legte den größten Teil des Geldes
einzahlte. Reingewaschen wurden alles jedoch auf einem Geheimkonto an, über
■------ a-TVij.
in allem rund 4,5 Md. Von dem Geld das Waffenkäufe für den nikaragua­
wurden die Söldner bezahlt (das be­ nischen Diktator Somoza getätigt wur­
sorgte Secord) und andere Unternehmen den. 1983 gab Secord seinen Posten auf
der CIA finanziert. und wurde Präsident einer Hakim gehö­
Ein Teil wurde auch in Waffenlieferun­ renden Gesellschaft.
gen angelegt. 1976 wurden mit Hilfe von Sein nächstes Geschäft tätigte das Duo Dieser Hubschrauber der Air America ist
im Dschungel gelandet. Um Opium
Nugan—Hand "für Kräfte, die von der 1984. Es erwarb bei der
aufzunehmen!
US-Aufklärung gestützt werden", 3000 Gesellschaft Maule Air Inc. ein
Fotos aus: „Der Spiegel" (BRD)
Feuerwaffeneinheiten und 10 Millionen Flugzeug, das, der "New York Times"
Munitionssätze für sie aus Boston nach zufolge, sehr bald die Contras bekamen.
Angola befördert. Im selben Jahr betei­ Anfang der 80er Jahre kreuzten sich Rauschgiftgeschäfte über Nugan—Hand
ligten sich Hand und seine Bank an der die Wege von Secord und North. Sie
ein gutes Werk, die mindestens einen
Obergabe des Aufklärungsschiffs der unternahmen eine Operation, von der es der Beteiligten das Leben gekostet und
US-Marine an die Marine des Irans. Die nur noch ein Katzensprung bis zum viele tausend süchtig gemacht und
Bank finanzierte den Waffenverkauf an Irangate war. Sie verkauften zugrunde gerichtet haben, nicht zuletzt
die RSA und die weiße Regierung A WACS-Flugzeuge an Saudi-Arabien. in den USA. Ebenso der Schwarzhandel
Rhodesiens. Nach Ansicht des „Philadelphia Inqui- mit Waffen des Pentagons (siehe Secord
Bei den meisten Geschäften hatte ein rer" bildeten sich dadurch "zusätzliche und Hakim). Um die Außenpolitik der
gewisser Edwin Wilson, ein CIA-Agent, viele Hunderte Mio Dollars, die den
USA zu "stützen", begingen Personen
seine Hand im Spiel. Die australische Aufständischen in Afghanistan und Mif-
laufend Verbrechen. Doch das Endresul­
Kommission konnte feststellen, daß er telamerika zugespielt wurden".
tat entspricht durchaus den offiziellen
Secord, Shackley und Clines fast 20 Jahre Zielsetzungen des Weißen Hauses. Diese
kannte. Sehr viele Fäden führen vom Irangafe Zielsetzungen — Einmischung in die An­
Es fällt jedoch auf, daß Shackley und in die Geschichte. Man denke an Cooper gelegenheiten souveräner Völker und
Clines ziemlich oft in Büchern, Zei­ und Hasenfus, die Piloten des im Herbst Mißachtung internationaler Gesetze —
tungsbeiträgen und sogar in Strafanzei­ 1986 über Nikaragua abgeschossenen schaffen fruchtbaren Boden für Gestalten
gen bei Gericht figurieren, während US-Flugzeugs. Sie hatten Waffen für die wie "General Dick" und die ganze
Secord ungenannt bleibt. Wieso? Contras befördert. Während des Viet­ Gesellschaft Shackley—Clines—Hakim, für
An dem Tag, an dem in Australien namkriegs waren sie bei Air America das Entstehen von Scheingesellschaften, s
Nugans Leiche gefunden wurde, kam ein angestellt. Zu nennen wäre ferner Geheimkonten und für gesetzwidrige
gewisser Howton in Wilsons Genfer Büro Generalmajor Singlaub. "Baltimore Sun" Geschäfte. _
und ließ einen Koffer dort. Im April, als schreibt, er sei von North zum Geldsam-

"NEUE ZEIT" 13.87 19


WELTWIRTSCHAFT

Rekorddefizit von 170 Md. Dollar ab

Katzenjammer (1985 waren es 148,5 Md.).

Der trunkene Elefant


Das Weiße Haus gibt seinen Partnern

' sü Besigamomo die Schuld an dem beispiellosen Han­


delsdefizit. Washington erklärt, seine
Lokomotive habe die Wirtschaft anderer
westlicher Länder lange genug gezogen,
Felix GORJUNOW jetzt müßten die BRD und Japan.ran. Um
das zu können, müßten sie ihren
Wirtschaftszuwachs stimulieren und den
Nach dern Urteil der Geschäftswelt um 5,8 Prozent, während er im Vorjahr
amerikanischen Waren Tür und Tor
und der Wirtschaftsexperten hat die insgesamt um 4 Prozent gestiegen war),
öffnen. Dann hätten die USA kein
kapitalistische Weltwirtschaft im Jahre glauben die Wirtschaftsexperten des
Außenhandelsdefizit mehr, und die
1986 alles andere als glänzend ab- Weißen Hauses, daß das nicht von einer
ganze kapitalistische Wirtschaft könne
geschnitten. Es war das zweite Jahr mit beginnenden Produktionsschrumpfung
Luft holen. Der Druck auf die störrischen
nachlasscndem Wirtschaftszuwachs nicht zeuge. Sie halfen auch das Sinken der
Bündnispartner bildet jetzt den Schwer­
allein in den USA, die nach der Krise Investitionen in der Produktion nicht für
punkt der außenwirtschaftlichen Politik
von 1980—1982 schon 1984 den Höhe­ bedrohlich (1986 um 5 Prozent, die
punkt ihres zyklischen Aufschwungs Prognose für 1987 lautet auf weitere
erreichten, sondern auch in Westeuropa 2 Prozent). Der Bericht des Präsidenten
und Japan, wo die Wirtschaftskurve zwei über die Wirtschaftslage ist wie immer
Jahre vorher zu steigen begann. Also ausgesprochen optimistisch: Der Zu­
sind die Phasen der industriellen Zyklen wachs werde dieses Jahr 3,2 Prozent
INDUSTRIE­
in den drei Zentren des Weltkapitalismus erreichen (für 1986 hatte das Weiße Haus
PRODUKTION
dieses Jahr fast gleichzeitig eingetreten, einen 4prozentigen prophezeit). In den
und sie werden auch mehr oder minder USA seien die Verbraucherpreise in
(Zuwachs gegenüber dem Vorjahr
gleichzeitig in die nächste Überproduk­ 25 Jahren am wenigsten gestiegen. Das
in Prozent)
tionskrise hineingezogen. Wirtschaftsbarometer zeige auch für die
Effektenbörse Schönwetter an. Trotz des
1984 1985 1986*
Der Zuwachs läßt nach jähen Sinkens der Aktienkurse im Juni,
Kapitalistische
Juli und September nahmen die "Spit­
Das allmähliche Sinken des zenreiter" Anfang Januar sogar die Industrieländer
vzirtschafthchen Zuwachses ist nach An­ 2000-Punkt-Schranke nach dem Dow- insgesamt 7.2 3,2 1,4
sicht gewisser westlicher Wirtschaftsex­ Johnes-Index, der die Aktienkurse der
USA 11.1 2,0 0,9
perten nicht dem Einsetzen einer Flaute, Industriekonzerne notiert.
EG-Länder 3.0 3.3 2.3
sondern nur einem vorübergehenden Voriges Jahr stiegen die Aktienkurse
"Nachlassen des Zuwachses" zuzuschrei-
Japan 11.0 4,5 — 0,4
auch an den Börsen der Alten Welt,
wenn der Wirtschaftszuwachs Westeuro­ 'Schätzung
pas auch bescheidener war. Das Bruttoin­
landsprodukt (BIP) der BRD hatte Washingtons. Die USA suchen ihre
1986 einen Zuwachs von 2,5, dasjenige Allheilmittel auf Biegen und Brechen
BRUTTO- Großbritanniens von 2,0, Frankreichs von durchzusetzen: mit Überredungskünsten
INLANDS­ 2,4 und Italiens von 2,8 und die auf der Konferenz der Großen Sieben
PRODUKT I ndustrieproduktion dementsprechend vom Mai, auf der Jahrestagung des IWF,
von 2,5, 1,5, 1,5 und 2,0 Prozent. In den bei bilateralen Verhandlungen und
EG-Ländern haben neben der Ver­ schließlich durch eine übermäßige Sen­
(Zuwachs gegenüber dem Vorjahr brauchernachfrage auch die Investitionen kung des Dollarkurses. 1986 allein stieg
in Prozent) in Betrieben (um 3,7 bzw. 6 Prozent) der Kurs des Yen gegenüber dem Dollar
zugenommen. um 33 und der der DM um 20 Prozent.
1984 1985 1986* Dafür hat in der japanischen Industrie "Fortune", ein Blatt des Big Busineß, sagt
erstmalig seit 11 Jahren ein Rückgang voraus, daß die USA ihr Außenhan­
Kapitalistische
Industrieländer eingesetzt, besonders kraß in den delsdefizit nur dann zu senken imstande
4,6 2.7 2.5 Exporfbranchen, weil der Yen-Kurs ge­ sein werden, wenn sie den Dollarkurs in
inst -samt
genüber dem Dollar gestiegen ist. Der den nächsten beiden Jahren um weitere
USA 6.5 2.7 2.5 Ausstoß des Maschinenbaus ist fast um 15 Prozent senken.
EG-Länder 2.1 2.2 2.3 7 und der Stahlaussfoß um 6 Prozent Wozu würde das führen?
Japan 5.1 4.7 2.3 zurückgegangen. Dafür haben die japa­ Nach Ansicht des jetzt in den USA
nischen Exporteure wieder einen Rekord prominenten Professors Lester Thurow
“Schätzung aufgestellt. Das Außenhandelsaktivum von der Technologischen Hochschule
Japans hat 82,7 Md. Dollar erreicht. von Massachussetts (man hält ihn für den
ben, nach dem es wieder aufwärts gehen Die USA haben für 58,6 Md. Dollar kommenden Leiter des Wirtschaftsbeirats
soll. Sie halten das für durchaus möglich, und die EG-Länder für 16,7 Md. des US-Präsidenten, falls die Demokraten
da die westliche Wirtschaftslokomoti- Dollar mehr Waren aus Japan ein­ 1988 bei den Wahlen siegen sollten)
vc — die USA—noch unter Dampf ste­ geführt als dorthin ausgeführt. wird eine solche Sicherung des Dollars
he. Auch die BRD profitiert vom Anwachsen zu einer radikalen Umstrukturierung der
Obwohl die Verbrauchernachfrage in des Exports, vor allem in die USA. Ihr westlichen Industrie führen. Infolge der
den USA Anfang 1987 merklich zu­ Außenhandelsaktivum überstieg 50 gesteigerten Konkurrenzfähigkeit der
rückgegangen ist (im Januar sank der Md. Dollar. Im Handel schlossen die amerikanischen Waren würden die verar­
Einzelhandelsumsatz mit einem Schlag USA das Jahr 1986 mit einem neuerlichen beitenden Branchen Westeuropas, Ja-

20 "NEUE ZEIT" 13.87


pans und Kanadas etwa 4 Millionen sigkeit zur Zeit faktisch Prozent reicht. Oberhaupt ist das Kredit- und
10
Arbeitsplätze einbüßen. Auf dem erreicht.) Finanzwesen der USA schwer verschul­
Weltwirtschaftsforum, wie die Das Anwachsen der industriellen Re­ det. Der Mangel an internen Akkumula­
Februartreffen der Geschäftselite in Da­ servearmee hat in den Jahren der tionen wurde durch die Heranziehung
vos genannt werden, hat Thurow erklärt, Reaganomic zu einem Druck auf den von Auslandskapital — 1986 von mehr
die Wirtschaftspolitik der Regierung Arbeitsmarkt geführt, der den Infla­ als 140 Md. Dollar (ca. 3 Prozent des
Reagan, die die USA aus einem Kredito­ tionsgalopp halbwegs abgebremst hat. BIP) — aufgewogen. Und nicht nur Kapi­
renland in den größten Schuldner ver­ Auch in Westeuropa hat die Arbeitslo­ tal wurde herangezogen. Der britische
wandelt hat, stürze die kapitalistische sigkeit die Preise gedrückt. "Economist" glaubt, daß der Lebensstan­
Weltwirtschaft in ein "schwarzes Loch”, Nach Schätzung der Londoner "Finan­ dard der Amerikaner um 20 Prozent
in dem die "normalen Wirtschaftsgesetze cial Times" lag der wöchentliche Real­ niedriger wäre, wenn sie nicht länger
nicht mehr wirken werden". lohn des amerikanischen Arbeiters billige und bessere ausländische Waren
Eine Alternative sei aber nicht vorhan­ 1986 um 8,5 Prozent unter dem von kaufen könnten. Anders gesagt, wird der
den — damit rechtfertigen die Reagan- 1970. Die Unternehmer konnten die amerikanische "Way of life" heutzutage
Anhänger ihre Billig-Dollar-Politik mit Preise auch deshalb herabsetzen, weil durch ausländische finanzielle und Wa­
der Zielsetzung, die Nachbarn zur neben dem Sinken der Aufwendungen renressourcen gestützt.
Strecke zu bringen. Würde man die für Arbeitskräfte die Arbeitsproduktivität Prof. Alan Blinder von der Princeton-
US-Wirtschaft nicht durch eine Ex- stieg (in der verarbeitenden Industrie im Universität hat errechnet, daß das Brut­
portsteigerung beleben, dann käme eine Jahresdurchschnitt um 3—4 Prozent). In toprodukt der USA zwischen 1980 und
Krise, deren Folgen für die kapita­ den Stahlgießereien der USA ist die 1986 um 487 Md. und die Ausgaben der
listische Welt noch schlimmer wären. Stundenleistung seit 1979 um 18, im Kfz- Konsumenten um 702 Md. Dollar zunah­
Eine derartige Politik scheint berechtigt Bau um 20, in der Reifenindustrie um 40 men. Er schreibt, dieser Unterschied
zu sein. In den Jahren der Reaganomic und in der radiotechnischen sogar um zwischen der Konsumtion und der
ist die Abhängigkeit der kapitalistischen 75 Prozent gestiegen. Warenproduktion plus Dienstleistungen
Weltwirtschaft von den USA(genauer die zeuge "von unserem hohen Lebensstan­
Bindung an sie) unermeßlich ange­ dard oder unserem Selbstbetrug. Der
wachsen. Die Frage ist, ob die Regierung Unterschied ist die Erklärung dafür, daß
Reagan vernünftig und verantwor­ die ungünstigen Indizes unserer
tungsbewußt von alledem Gebrauch STEIGEN DER Wirtschaft nur so wenig Unzufriedenheit
macht. Auf dem Forum von Davos hieß EINZELHANDELSPREISE auslösen. Das Wohlleben kann aber nicht
es: "Die Partner sehen die USA eher als von Dauer sein... Früher oder später wird
betrunkenen Elefanten denn als zielbe­ Amerika aus dem Rausch der Reagano­
wußten Führer an." mic erwachen. Kein Land kann lange
(gegenüber dem Vorjahr
mehr konsumieren als produzieren. Man
„Wir sind betrogen in Prozent)
kommt unweigerlich zu dem Schluß, daß
worden" 1984 1985 1986’ wir betrogen worden sind."
Als die Regierung Reagan 1981 ihr 1986 belief sich der Fehlbetrag im
Amt antrat, verhieß sie einen jährlichen Kapitalistische Staatsetat auf 220,7 Md. Dollar, und die
Wirtschaftszuwachs von mindestens Industrieländer Bundesregierung schuldete insgesamt
4 Prozent. In den 6 Jahren seit damals insgesamt 5.3 4,6 2,7 2 Billionen. Washington holt Auslandska­
hat der Zuwachs im Jahresdurchschnitt USA 4.4 3,5 2/j pital heran, nicht um die Zivilproduktion
aber nur 2 Prozent ausgemacht. EG 6.7' 6,4 3,4 zu stimulieren, sondern um sich die
Weiter versprach der Präsident, bis Japan 2,2 2,1 0,5 Militärprogramme leisten zu können. Die
Mitte der 80er Jahre würden nur Finanzierung des Wettrüstens auf fremde
höchstens 5,6 Prozent der Arbeitsfähigen 'Schätzung
Kosten hat die Auslandsschulden der
und-willigen arbeitslos sein. In diesem Nicht nur den Arbeitern geht es nicht USA auf 250 Md. Dollar hochgetrieben.
Jahrzehnt waren es jedoch im Jahres­ besser. Die meisten Amerikaner haben
durchschnitt 8,1 Prozent. (Bedenkt man, jetzt ein durchschnittliches Realeinkom­
Die militaristische
daß fast 5,4 Millionen Werktätige nur men wie bei Anbruch der 70er Jahre.
Kurzarbeit haben und daß sich eine Fast 50 Prozent der Familien des Kraftbrühe
Million gar nicht erst bei den Arbeitsäm­ sogenannten Mittelstandes haben sich Wirtschaft und Finanzwesen der USA
tern eintragen lassen, weil • sie nicht größtenteils dadurch ihren bisherigen sind durch die Militarisierung ins Wan­
daran glauben, auch nur irgendeine Standard bewahrt, daß heutzutage jede ken geraten. Im vergangenen Sommer
Stellung zu finden, so hat die Arbeitslo- zwei Verdiener hat. 1960 arbeiteten von wurde der Zuwachs des Bruttoin­
den verheirateten Frauen 28, jetzt landsprodukts zu einem Drittel durch die
65 Prozent. Trotzdem fristen über 30 unproduktiven Militärausgaben bestrit­
Millionen Amerikaner ein Elendsdasein. ten. In einer Reihe von Branchen ist die
Nach Angaben des Landesverbands der militaristische Kraftbrühe für die Produk­
ARBEITSLOSIGKEIT Obdachlosen haben etwa 3 Millionen tionssteigerung ausschlaggebend. In der
kein Dach über dem Kopf. Hingegen ist Radiotechnik und Aluminiumerzeugung
das Einkommen von 20 Prozent der erbringt sie die Hälfte des Zuwachses,
Amerikaner, die zum "höheren Mit­ und die Unternehmen der Luft- und
(Zahl der Arbeitslosen
telstand" zählen, wesentlich gestiegen. Raumfahrttechnik sowie
elektro- der
in Millionen)
Das Reicherwerden einer wohlhaben­ nischen Industrie hängen noch mehr von
1984 1985 1986’ den Minderheit kann jedoch die Aufträgen des Pentagons ab.
wirtschaftlichen Einbußen infolge der Wir schrieben bereits, daß das Penta­
Kapitalistische
schrumpfenden Kaufkraft der werktätigen gon insgeheim schon lange eine 'In­
Industrieländer
Mehrheit nicht aufwiegen. Sie hat dazu dustriepolitik betreibt, die in der
insgesamt 28,5 28,8 31,9
geführt, daß die Verbrauchernachfrage Wirtschaft zu strukturellen Disproportio­
8,5 8.3 8,1 nicht durch steigende Einkünfte und nen geführt hat (s. NZ 39/86). Unter dem
USA
Westeuropa 18,3 19,0 19,3 Spareinlagen, sondern durch Ratenkäufe Vorwand, die Landessicherheit ge­
Japan 1.6 1,6 2.2 genährt wird. Der Zeitschrift "Time" währleisten zu müssen, steuert es auch
zufolge hat die Zahl der überzogenen die außenwirtschaftliche Politik, und nicht
'Schätzung Raten den höchsten Stand seit 1953 er- nur durch Ausfuhrverbote für technische

"NEUE ZEIT" 13.87 2 1


r

Neuheiten. Infolge der sinkenden Kon­ staatliche Mittel nicht für Verteidi­ vor, in dem sie dem Westen nahelegte,
kurrenzfähigkeit des amerikanischen gungszwecke vergeudete. Dafür fördert nach rechts zu rücken, die damals noch
Maschinenbaus werden seit einigen es die Militarisierung der Wirtschaft modische Idee von einer "allgemeinen
Jahren über 40 Prozent des Maschinen­ seines imperialistischen Hauptrivalen und Wohlfahrt" aufzugeben und die kaum
bestandes durch Import erneuert. Nun schwächt ihn dadurch im Welthandel und angelaufene Entspannung zu Grabe zu
hat Präsident Reagan im Dezember finanziell). tragen.
1986 erklärt, er beabsichtige, "im ameri­ Reagans freies Unternehmertum hat Mit dieser Strategie der Klassenre­
kanischen Maschinenbau für eine frische dazu geführt, daß Riesensummen über vanche, der krassen Konfrontation mit
Brise zu sorgen". Em Modernisic- den Staatsetat zugunsten des Militär- dem Weltsozialismus reagierte der Kapi­
rungsplan lieg' bereits vor. Ausführen Industrie-Komplexes umverteilt worden talismus auf die "wechselvollen Umstän­
■wird ihn — das Per.tagen! Voriges Jahr sind und daß infolge der "Entregulie- de" vor allem im Wettstreit der beiden
lief eine "Halble.ter r. tiative zu Vcrteidi- rung" die Finanzoligarchie in der Weltsysteme. Die Hoffnungen auf Erfolg
rjungszweckcn" an. Die EG erblickt darin Wirtschaft dominiert. Die Regierung wurden nicht zuletzt durch unsere
eine "srf.mutzige Konkurrenz" durch greift noch mehr in wirtschaftliche internen Schwierigkeiten genährt. Die
geliein.r- staatliche Lubvent.cnierung des Prozesse ein. Das hat die absurde Form westlichen Strategen rechneten darauf,
Exports Ebenso wie SDI sind solche einer staatsmonopolistischen Regulierung diese durch eine massierte
"Initiativen” nichts weiter als noch eine militaristischer Art angenommen, die die wirtschaftliche, politische, psycholo­
Methode, dem Militär-Industrie-Komplex Wirkung der "normalen" kapitalistischen gische und militaristische Attacke, ja
auf Kosten des Steuerzahlers Zuwendun­ Gesetze einengt. durch Bedrohung aus dem Weltraum
gen zu machen. Das kostet ihn eine noch erschweren zu können. Es zeigt
Stange Geld. Jeder Amerikaner zahlt für Strategische sich aber immer deutlicher, daß sie die
die ‘Landessicherheit" im Jahres­ Rechnung ohne den Wirr gemacht
durchschnitt 920 Doller, der Westeuro­ Fehlkalkulation haben.
päer 240 und der Japaner 191. Unlängst sagte der bekannte amerika­ Im Eifer des Gefechts schwächte der
In diesem Zusammenhang sei an ein nische Wirtschaftsexperte Prof. John Gal- republikanische Elefant seine rückwärti­
wichtigstes Postulat der Republikaner braifh im Gespräch mit NZ-Korrespon- gen Stellungen. (Paul Volcker, Präsident
erinnert: an ihr Bekenntnis zu einem denten, er sei nicht damit einverstan­ des Bundesreservesystems der USA, hat
durch staatliches Eingreifen un­ den, daß die Rüstungsproduktion fortge­ unlängst erklärt, infolge des Etatdefizits
beeinträchtigten Unternehmertum. Unter setzt werden müsse, damit sich die werde man die Wirtschaft kaum durch
Reagan hat diese Einstellung die Gestalt Wirtschaft entwickle. Er fügte hinzu: größere staatliche Aufwendungen stimu­
einer "Entreglementierung" der "Der Kapitalismus mag seine Nachteile lieren können. Folglich sei ein Abflauen
Wirtschaft angenommen. Die demago­ haben, aber nicht solche." Recht opti­ und Anschwellen der Arbeitslosigkeit
gischen Ergüsse waren Balsam für den mistisch beurteilt er auch die unvermeidlich. Auch auf die Flanken ist
kleinen und mittleren Bourgeois, dem Möglichkeit, die Rüstungsproduktion in kein Verlaß. Auf dem Forum von Davos
infolge der Monopolstellung des Big den USA auf Zivilgleise zu rangieren. haben westliche Bankiers bezweifelt, daß
Busineß und der Besteuerung durch die Man möchte seinen Optimismus gern es ratsam sei, das Defizit der USA weiter
"Big Administration" die Atemluft aus­ teilen können. Es ist jedoch nicht zu zu decken.
ging. Deshalb erhob er auch keine verkennen, daß die Wirtschaft der USA Wird der amerikanische Elefant allmäh­
Einwände gegen die Kürzung der und ihrer wichtigsten Bündnispartner lich nüchtern? Nach den Umstellungen in
Sozialleistungen und die Erhöhung der heutzutage den Militaristen ausgeliefert Reagans Team könnte man annehmen,
Mihtärausgaben. Zur Zeit der Reagano­ ist. Tonangebend sind politische, in­ daß die Bewegung zum politischen
mics stiegen die ersteren nur um 7, die dustrielle und finanzielle Kreise, deren Zentrum hin eingesetzt hat. Das will aber
zweiten dagegen um 50 Prozent. Die Triebfeder nicht die ökonomische Logik, noch nicht heißen, daß sich die herr­
Zivilindustrie hatte einen Zuwachs von sondern der manische Drang ist, "den schende Elite nicht mehr auf die
etwa 12, die Rüstungsindustrie von 70 Kommunismus zurückzuwerfen". Ultrarechten orientiert. Ebensowenig,
Prozent. Und so macht die Herabsetzung Das Hervortreten der Ultrarechten im daß sie erkannt hätte, wie schwer sie sich
der Bundesaufwendungen denn statt, wie Weltkapitalismus liegt nicht einfach am wieder einmal verrechnet hat, als sie
versprochen, 19 Prozent des Bruttopro­ Ausschlagen des politischen Pendels, das glaubte, den Kommunismus mit Ge­
dukts heute ganze 24 Prozent aus. immer dem Zentrum zustrebt, aber bald waltmitteln zurückwerfen zu können,
Darüber hinaus gab die "Entreglemen­ nach rechts, bald nach links davon oder daß die in der UdSSR und anderen
tierung'' den Finanzmagnaten freie Hand, abkommt. In den letzten 10 Jahren hat sozialistischen Ländern angelaufene
sich an der "Rekonstruktion des korpora­ sich das politische Zentrum selbst nach wirtschaftliche Umstellung auch vom
tiven Amerikas" — an finanziellen rechts verlagert. Auch der Machtantritt Westen eine neue Haltung verlangt, und
Machenschaften bei Fusionen und Anne­ der Neokonservativeb in den USA, in daß diese Elite schließlich, wenn sie in
xionen der Großkonzerne (s. NZ Großbritannien und der BRD Ende der der Weltpolitik die strategische Initiative
1 87) — gesundzustoßen. In New York 70er, Anfang der 80er Jahre war durch einbüßt, sie in absehbarer Zeit auch in
werden täglich Geldgeschäfte in Höhe die strategischen Zielsetzungen der der Weltwirtschaft einbüßen kann.
von 1 Billion Dollar getätigt. Mit der Monopolbourgeoisie vorausbestimmt. Darauf eben weisen zwei bemer­
finanziellen Hausse erklärt es sich auch, Im Frühjahr 1973 fiel mir in der "New kenswerte Tendenzen im wirtschaftlichen
warum die Aktienkurse an der Effekten­ York Times" ein Beitrag von David Wettstreit der beiden Systeme hin. Der
börse gestiegen sind, obwohl der Rockefeller ins Auge. Das Thema lautete: Sozialismus ist bemüht, die Ware-Geld-
Geschäftsgang im allgemeinen flauer "Ist der Kapitalismus gut oder schlecht?" Beziehungen ausgiebig zu nutzen, um
geworden ist. Obrigens werden Wertpa­ Er schrieb: "Die größte Stärke des die sozialen und wirtschaftlichen Struktu­
piere auch größtenteils von Ausländern Kapitalismus ist wohl seine Anpas­ ren optimal zu gestalten. Er demokrati­
gekauft. So haben japanische Banken sungsfähigkeit", seine Fähigkeit, "auf die siert sein Wirtschaftssystem. Der Kapita­
und andere Firmen 1986 in den USA wechselvollen Umstände schneller als ein lismus dagegen weicht immer mehr von
rund 100 Md. Dollar investiert. 93 Pro­ strikt kontrolliertes System zu reagieren." den Grundlagen der Warenwirtschaft ab,
zent davon haben sie in staatlichen Im Juli desselben Jahres ergriff David der er sein Entstehen verdankt. Er steckt
Wertpapieren angelegt und dadurch fast Rockefeller die Initiative zur Bildung bis über die Ohren im Militarismus, im
die Heifte des Fehlbetrags im US-Bun- einer Dreierkommission aus Repräsentan­ Spinnennetz der Devisen- und Fi­
desetat gedeckt. (Es ist geschichtlich ten der kommerziellen und politischen nanzmachenschaffen. Er wird der Welt
paradox, daß das im zweiten Weltkrieg Elite der USA, Westeuropas und Japans. beweisen müssen, daß er noch fähig ist,
besiegte Japan zum großen Teil dadurch 1975 legte die Kommission einen Bericht seine Wirtschaft von Kanonen auf Butter
wirtschaftlich vorangekommen ist, daß es mit dem Titel "Krise der Demokratie" umzufunktionieren. B

22 "NEUE ZEIT" 13.87


UdSSR-MOCAMBJQUE

ten neben mocambiquischen Kollegen,

ftaEid und die Lotsen waren eine der ersten


Gruppen sowjetischer Fachkräfte, die auf
Ersuchen der Regierung der VRM in
Maputo eintrafen.

fi im dl ® e JM © ft
Die Niederung des Limpopo, eines
schmalen, völlig unexotischen dunklen
Flusses, der in den Indik mündet, könnte
eine Kornkammer werden, wenn nicht
Überschwemmungen und Dürren ab­
wechseln würden. In dem betreffenden
Boris PILJAZKIN Jahr herrschte in dem fruchtbaren
Landstreifen eine katastrophale Dürre.
Viele Siedlungen der Provinz Gaza
In Maputo, der Hauptstadt Mocambi- "Macheis marxistischen Staat" ein für hatten kein Trinkwasser.
ques, steht unweit der nach Julius allemal zu zerrütten.
Abhilfe schufen die sowjetischen
Nyerere benannten Straße eine Villa, vor Mocambique muß eine wirtschaftliche
Fachkräfte, die in Gaza Vorbereitungen
der immer unsere Landsleute anzutreffen Umgestaltung vornehmen, während an
zur Nutzbarmachung der agrarischen und
sind. Hier hat der Beamtenapparat des der Grenze der RSA gekämpft wird, bei
energiewirtschaftlichen Ressourcen tra­
Legationsrats der sowjetischen Botschaft Erpressungen und Sabotageakten, bei
fen. Bohrmeister Alexander Pistechin, der
für Wirtschaft seinen Sitz. Die sowje­ Raubzügen rhodesischer Kommandos,
eine mocambiquische Arbeiterbrigade
tischen Fachkräfte setzen die wirt­ die anfangs sporadisch waren, später
leitete, strahlte, als er ein Bohrloch
schaftliche und technische Zusammen­ aber umfangreicher und konstant wur­
gemessen hatte: In 212 m Tiefe waren
arbeit in die Praxis um. Sie fußt auf dem den, und bei ständigen Terrorüberfällen
sie auf Trinkwasser gestoßen. Danach
vor 10 Jahren, am 31. März 1977 ge­ von Banden des sogenannten Mocambi­
wurde in der Siedlung Nochokoluana
schlossenen Vertrag über Freundschaft quischen Nationalwiderstandes (MNS),
und in den umliegenden Dörfern ge­
und Zusammenarbeit. die sich jetzt zu einem nichterklärten
feiert, gesungen und getanzt.
Krieg ausgewachsen haben.
Am 25. Juni 1975 flammten eine
Durch die Schwierigkeiten, die der Auch in den anderen Provinzen
Minute nach Mitternacht auf dem Masha-
Volksrepublik tagtäglich von ihren Fein­ bohrten unsere Meister nach Wasser.
wa-Stadion in Maputo Scheinwerfer auf
den gemacht werden, wird die Freunde schreiben mir aus Maputo, daß
und beleuchteten die Worte "Volksre­
Wirtschaftslage noch mehr erschwert. Die schon viele tausend Landesbewohner mit
publik Mocambique". Die Republik sah
Produktion geht zurück, infolgedessen Trinkwasser versorgt sind, das Mocambi-
sich sogleich vielen Schwierigkeiten
herrscht empfindlicher Mangel an Nah­ quaner gemeinsam mit sowjetischen
gegenüber. Eine bestand in der Situation
rungsmitteln und wichtigsten Massenbe­ Bohrmeistern aus der Erde gefördert
im Hafen von Maputo. Niemand konnte
darfsartikeln. Das Verkehrswesen ist haben. Im Waggonwerk in Maputo
Handelsschiffe herein- oder hinausgelei­
desorganisiert, die kommunalen Dienst- arbeiten Dreher und Fräser, die ihre
ten. Die europäischen Lotsen waren
Berufe in einer mit Hilfe der UdSSR
abgereist, und andere waren nicht
eingerichteten Berufsschule erlernt ha­
vorhanden. Dem größten Hafen an der
ben. In den Krankenhäusern haben
Ostküste Afrikas drohte die Stillegung.
Schwestern und Sanitäter Dienst, die von
"Mocambique wird an seiner Unab- sowjetischen Ärzten herangeschult wor­
hängigkeit ersticken", unkte die Presse den sind. Zahlreiche junge Mocambiqua-
der RSA. Es sah so aus, als müßten die ner haben sowjetische Hoch- und
Handels- und Wirtschaftsverbindungen, Fachschulen durchlaufen.
deren wichtigstes Glied der Hafen ist, Diese und viele andere Tatsachen er-
sehr bald abreißen. Da traf eine sowje­ geben das Gesamtbild der Zusammen­
tische Lotsengruppe ein und ging sofort arbeit zwischen der UdSSR und Mocam­
an die Arbeit. Die Stockung wurde
bique. Sie erstreckt sich auch auf die
behoben, der Hafen funktionierte wie­
Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Mo-
der.
Junge Männer Mocambique be­ cambiques. In den 10 Jahren seit dem
suchen das Maschinenbautechnikum in Vertragsschluß sind die Verbindungen
Nie haben Kolonialmächte Völkern,
Baku. Unterricht in Informatik und Re­ der beiden Länder und Völker konstant
die sich befreit hatten, ein drückendes
chentechnik geworden.
Erbe erspart. Portugal hatte seinen
"Oberseegebieten" in Afrika fast 500 Foto: TASS Anfang März hat in Maputo turnus­
Jahre lang, besonders aber am Schluß, in mäßig die bilaterale Regierungskommis­
den Jahren des faschistischen Regimes, leistungen funktionieren mit Un­ sion für wirtschaftliche und technische
alle Säfte ausgesogen. terbrechungen. Aber in den Jahren, die Zusammenarbeit und Handel getagt.
ich als Korrespondent in Mocambique Joaquim Chissano, jetzt Vorsitzender der
□ ber 90 Prozent der Bevölkerung war, habe ich von den dort in verschie­ FRELIMO-Partei und Präsident der Re­
konnten weder lesen noch schreiben. Es denen Wirtschaftsobjekten arbeitenden publik, hat betont, daß die UdSSR und
gab so gut wie keine Ingenieure und sowjetischen Fachkräften nie Klagen die anderen sozialistischen Staaten tradi­
anderen Fachkräfte. Die Portugiesen über Alltagsschwierigkeiten oder über tionelle Freunde Mocambiques sind und
hatten das Land verlassen, die Wirtschaft die Gefährdung durch MNS-Terroristen daß der Ausbau der Beziehungen zu
war elfjährigem
desorganisiert. Nach zu hören bekommen, die Jagd auf ihnen für Mocambique besonders
bewaffnetem Kampf bekam Mocambique ausländische „Helfer" machen und wichtig sei.
nicht einmal eine Atempause. Die ras­ unter ihnen Geiseln nehmen. Diese Freundschaft wird auch weiter
sistische RSA und ihre westlichen Sowjetische Ärzte, Lehrkräfte, Geolo­ gedeihen.
Schutzpatrone hatten sich vorgenommen, gen, Bohrmeister und Mechaniker arbei- Maputo—Moskau
"NEUE ZEIT" 13.87 23
1917-1987 © ZEITGESCHICHTE

wjetrußland, das nicht Teilnehmer von


Versailles war, Deutschland helfen wür­
den, seine staatlichen Interessen zu
verteidigen, die nationale Unabhängig­
keit und die Wirtschaft zu festigen.

„ NZ. »rann begann


iia.. Wann die Miniunci
Mtyuiin viicj Annäherung!
uiivj . In
in

Rapallo!
Vor 65 Jahren nahm im Palais San Giorgio in Genua eine
Achtamsian. Natürlich früher, und das
internationale Konferenz, der ein besonderer Platz in der widerlegt alle Erfindungen vom „Zu­
eschichte zukommen sollte, ihre Arbeit auf. Bis heute rufen die fallscharakter". Vor kurzem erschienen
Ereignisse jener Tage Diskussionen hervor, werden von neue Materialien zur Vorgeschichte von
is'orikern, Publizisten und Politikern studiert. Der sowjetische Rapallo - so die Aufzeichnung der
jstoriker Prof. Dr. sc. Abdulchan Achtamsian befaßte sich viele Gespräche, die der Generalkonsul
!ire mit diesem Zeitabschnitt, arbeitete in Archiven der UdSSR, i. R. Moritz Schlesinger und Ex-Kanzler
der DDR und der BRD. Wir baten A. Achtamsian, die Leser der Joseph Wirth, ein unmittelbarer Teilneh­
l ’Z über die Ergebnisse der jüngsten Forschungen zu informie­ mer der damaligen Ereignisse, im Sep-
tember und Oktober 1955 führten.
ren.
NZ. Zunächst einmal: Wo- dern über prinzipielle Positionen interes­ Was nun hatte Wirth Schlesinger
durch erklärt sich das so sieren. Sie aber führen uns zurück in die mitgeteilt? Wie sich herausstellte, war
gr. Co und nicht nachiassende Interesse Jahre, als die sowjetische Außenpolitik sich Wirth bereits im Sommer 1921 (nach
an G.nua und Rapallo! ihre ersten Schritte tat... Abschluß des provisorischen Abkom­
Ac.-'msian. Erstens erklärt sich das NZ.Die un­
bürgerliche Propaganda mens zwischen Deutschland und der
durch den Charakter der Konferenz von terstellte ihr schon damals Sünden, die RSFSR, das überwiegend ökonomischen
Genu... Erstmals luden die größten uns bis heute angehängt werden... Charakter hatte) der Notvzendigkeit be­
k,.pit<_listischen Länder Europas den Achtamsian. Um so mehr trifft es wußt geworden, Beziehungen auf solider
ersten sozialistischen Staat der Erde an unsere ideologischen Gegner, daß der vertraglicher Grundlage herzustellen.
den Verhandlungstisch ein - ein für jene Sowjetstaat in den 20er Jahren internatio­ Vor seiner Ernennung zum Reichskanzler
Zeit beispielloses Ereignis. Zweitens nal nicht als „Zufallsprodukt'1 dasteht, war er Finanzminister gewesen und
legte Sov.'jcfrußland in Genua ein umfas­ sondern als prinzipieller und gleichbe­ verstand sehr wohl, daß, wenn sich die
sendes Programm der internationalen rechtigter Partner - natürlich für jene, die Bolschewiki den Reparationsforderungen
Zusammenarbeit, gegründet auf das eine solche beiderseits vorteilhafte und der Westmächte anschlössen, sich die
Leninsche Prinzip des „Nebeneinander", gleichberechtigte Zusammenarbeit auch ohnehin schwere Lage
d. h. auf das Prinzjp der friedlichen suchten. Deutschlands weiter verschlechtern wür-
Koexistenz von Staaten mit un­
terschiedlicher Gesellschaftsordnung
oder, wie man damals sagte, von Staaten
mit verschiedenen „Eigentumssystemen".
Drittens schlug die Sowjetregierung in
Genua vor, eine allgemeine Abrüstung
in Angriff zu nehmen. Und schließlich
wurde nur wenige Tage nach Eröffnung
der Konferenz von Genua in Rapallo bei
Genua ein Vertrag zwischen Deutschland
und Sowjetrußland geschlossen, in dem
das Prinzip der friedlichen Koexistenz
praktische Anwendung fand. Wie wir
sehen, ist das „diplomatische Gepäck"
von Genua und Rapallo auch für heute
von prinzipieller Bedeutung.
t!Z. Der Version einiger westlicher
Autoren zufolge war der Vertrag von
Pcpzllo angeblich ein Zufallsprodukt der
Geschichte, Ergebnis der nichtab-
gestir.mten Handlungen westlicher Län­
der. Die sowjetischen Diplomaten in
Genua hätten nur geschickt den geeig­
neten Moment genutzt, um Zwietracht in
die v. östliche Staatenfamilie zu tragen,
ist dem so! NZ. Also begeben wir uns ins Jahr G. Tschitscherin (links] und sein
Achtamsian. Ich möchte nicht von 1922... Stellvertreter L. Karachan im Volkskom­
Anfang an in einen polemischen Ton Achtamsian. Bekanntlich versetzte der missariat für Äußeres. Moskau.
verfallen, doch um den Vertrag von von den Entente-Ländern diktierte Frie­
Rapallo ranken sich schon seit langem so den von Versailles Deutschland in eine
hartnäckige „diplomatische Legenden" schwierige Lage. Unter den herrschen­ de. Wie Wirth Schlesinger bei einem
im Westen, daß ihre Zerstörung sowohl den Kreisen der Weimarer Republik Spaziergang im Garten der Reichskanzlei
eine Wiederholung alter als auch eine fanden sich weitsichtige Politiker, die, zusammen mit einem Mitarbeiter der
Suche nach neuen Fakten verlangen obwohl sie keineswegs Anhänger der ‘Ostabteilung, Baron von Maltzan, sagte,
würde. Natürlich dürfte die NZ-Leser Sowjetmacht waren, sahen, daß gut­ seien sie übereinstimmend zu dem
nicht der Streit über Detailfragen, son- nachbarliche Beziehungen zu So- Schluß gekommen, daß ein „Ausweg

24 "NEUE ZEIT" 13.87


nach Osten" gesucht werden müsse. einer „reuigen Rückkehr" wurde nichts. deutsche Politik in der „russischen
Gesagt, getan. Im Dezember Die sowjetischen Diplomaten nahmen in Frage" bislang loyal der britischen
1921 wird Maltzan zum Leiter der Genua eine selbständige Haltung ein, an gefolgt sei. „Ich erwähnte schließlich
.Ostabfeilung des Auswärtigen Amtes die sie sich im Verlauf der gesamten noch, daß wir anläßlich der Durchreise
ernannt und kann jetzt den Kurs des Verhandlungen klar hielten. Tschitscherins" (über Berlin nach Genua -
Kanzlers verfolgen. Wirths Personal­ Nach der ersten Sitzung baten die die Red.) „Gelegenheit gehabt hätten,
entscheidung war kein Zufall. Adolf Westmächte die sowjetische Delegation unser Verhältnis zu Rußland und die aus
Georg Otto (abgekürzt Ago) von Malt­ zu halbprivaten Gesprächen über dem früheren Kriegszustände resfieren-
zan, Baron zu Wartenberg und Penzlin, Wirtschaftsfragen, unter denen die Frage den Schwierigkeiten befriedigend und
entstammte einem alten Mecklenburger der Schulden des Zaren im Mittelpunkt separat zu regeln, daß wir aber mit der
Adelsgeschlecht. Er besaß auch hervorra­ stand. Sie fanden in der Villa Albertis Rücksicht auf die bevorstehende Konfe­
gende Kontakte zu höchsten Kreisen der statt, in der Residenz des britischen renz von Genua es verzögert hätten, mit
deutschen Industrie. Der 45jährige Be­ Premiers David Lloyd George. Dort vollkommen freien Händen nach Genua
rufsdiplomat galt als einer der er­ wurden die Bedingungen einer Einigung zu kommen.“
folgversprechendsten Politiker der Wei­ erörtert, gab es leidenschaftliche Diskus­ 12. April. Ein Treffen mit britischen
marer Republik. Ihm fiel die verantwor­ sionen. Die deutschen Diplomaten aber Experten. Es wurde erklärt, warum
tungsvolle Mission zu, eine Regelung mit wurden in die Villa zu Lloyd George gar zumindest drei Positionen des Londoner
Sowjetrußland vorzubereiten, die bei der nicht erst eingeladen. Ihnen blieb nur, Memorandums unannehmbar seien. Die
Konferenz von Genua möglich wurde. abzuwarten... Engländer versprachen, Lloyd George
Noch vor Genua legte die sowjetische NZ. Woher ist das weitere Geschehen unverzüglich darüber zu informieren.
Delegation einen Zwischenaufenthalt in bekannt! „Ich deutete in diesem Zusammen­
Berlin ein, wo sie den Text eines Achtamsian. Bei meiner Arbeit im hang wiederum die Möglichkeit an, uns
möglichen Vertrages erörterte. Doch Politischen Archiv des Auswärtigen Am­ mit den Russen hier wegen des Art. 1 16“
damals schwankte Kanzler Wirth noch, tes der BRD stieß ich auf das Tagebuch (des Artikels des Versailler Vertrags
wollte er erst den Ausgang von Genua des Baron von Maltzan - des Mannes, über die Reparationen - die Red.)
abwarfen. der alle Fäden der Verhandlungen mit „erneut in Verbindung setzen zu müs-
NZ. Wenn Sie nichts dagegen haben, den sowjetischen Vertretern in Händen
• dann wollen auch wir nach Genua hielt. Auf der Akte die Aufschrift:
zurückkehren. Wie entwickelte sich dort „Deutsche Delegation. Genua. Vertrag
das Geschehen! von Es waren
Rapallo." 17 Seiten
Achtamsian. Die erste Sitzung begann enggedruckten Schreibmaschinentextes /
am 10. April um 15.05 Uhr. Die Eröffnung mit Randbemerkungen von Maltzan
der Konferenz wäre kaum in die persönlich und dem Vermerk „Geheim"! ■ S
Geschichte der Diplomatie eingegangen, Interessanterweise wurde für gewöhnlich
wenn dort nicht eine Rede des Vertre­ der Geheimhaltungsgrad eines Doku­
ters Sowjetrußlands gehalten worden ments im deutschen Auswärtigen Amt in
wäre. roter und grüner Tinte gekennzeichnet.
Tschitscherin sprach dann die histo­ Und hier eine besondere Aufschrift!
rischen Worte: Tatsächlich bringt das Dokument neue
Aspekte.

ffl I -
„Die russische Delegation, die die
Prinzipien des Kommunismus vertritt, Lange Zeit waren die unmittelbaren
erkennt an, daß in der heutigen histo­ Umstände, die dem Beschluß der
rischen Epoche, die ein Nebeneinander deutschen Seite vorausgingen, einen
der alten und der entstehenden neuen Vertrag zu schließen, vor allem aus den
sozialen Ordnung ermöglicht,
wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen
eine Memoiren des britischen Botschafters in
Berlin, Lord D’Abernon, bekannt. N ES
den Staaten, die diese beiden Eigen­ HZ. Welchen Niederschlag fand das
tumssysteme vertreten, für den allgemei­ Geschehen in von Maltzans Tagebuch!
nen wirtschaftlichen Wiederaufbau von Achtamsian. Ja, hier haben wir uns
zwingender Notwendigkeit ist." dem interessantesten Punkt genähert. Die
Heute ist bekannt, daß die sowjetische Tagebuch-Eintragungen umfassen den Hier, im Palazzo San Giorgio, tagte die
Führung unter Lenin dieses Programm Zeitraum vom 10. bis zum 17. April. Hier Konferenz von Genua
der Zusammenarbeit lange und sorgfältig ihre kurze Darlegung, die Ereignisse Tag
durchdachte. Es enthielt sowohl prak­ für Tag - so, wie Maltzan sie sah. sen, die Herren suchten jedoch die
tische Maßnahmen als auch die Aus von Maltzans Tagebuch. 11. April. ganze Angelegenheit als harmlos darzu­
wichtigste Forderung, die Erörterung der Auf der ersten • Sitzung der Politischen stellen und versprachen, mir
Abrüstungsfragen aufzunehmen. Kommission erklärte Lloyd George, das baldmöglichst Nachricht zu geben."
NZ. Erstmals seit Beendigung des Londoner Memorandum müsse zur 13. April. Gerüchte bewahrheiteten
Krieges! Grundlage für die Regelung der Fi­ sich, daß in der Villa Albertis Ver­
Achtamsian. Im Grunde zum ersten nanzansprüche werden. handlungen mit Sowjetrußland geführt
Mal. Die Entente-Länder hatten sich in Kommentar A. Achtamslans. Das Lon­ werden. „Der Reichsminister hat in
• Versailles nur für die Abrüstung doner Memorandum, das westliche Ex­ dieser Zeit zweimal schriftlich und einmal
Deutschlands interessiert, doch, was sie perten vor der Konferenz von Genua telephonisch Lloyd George um eine
selbst anging, so ließen sie es bei ausgearbeitef hatten, wurde von der Unterredung bitten lassen, alle drei sind
nebelhaften Phrasen bewenden. deutschen Regierung nicht unbegründet abgelehnt worden."
Tschitscherin aber schlug eine allge­ als Damoklesschwert betrachtet, da es Obwohl die Westmächte bei der
meine Abrüstung vor, schlug vor, „alle die Reparationsforderung gegenüber Vorbereitung der Konferenz verkündet
Vorschläge zu unterstützen, die eine Deutschland vorsah und das Recht hatten, es dürfe auf ihr weder Sieger
Erleichterung der Last des Militarismus Sowjetrußlands, das gleiche zu verlan- noch Besiegte geben, gingen sie mit
zum Ziel haben." gen, nicht ausschloß. Deutschland weiter wie mit einem
Hier sei bemerkt, daß die „einladen­ ... Am Abend fand ein Treffen mit dem besiegten Land um.
den Mächte" die Teilnahme Sowjet­ Leiter der „russischen" Abteilung des Aus von Maltzans Tagebuch. 14. April.
rußlands als „Rückkehr des verlorenen britischen Foreign Office, Gregory, statt. Die Engländer haben bisher die mir in
Sohnes" hinzustellen suchten. Doch aus Beide Seiten konstatierten, daß die Aussicht gestellte Antwort über die
"NEUE ZEIT" 13.87 25
Stellungnahme des Prime-Ministers zu und . Rakowski. Sie informierten einge­ 18.30 Uhr setzten Tschitscherin und
den inkriminierten 3 Punkten nicht hend über den Verlauf der mit den Rathenau ihre Unterschriften unter den
gegeben .. Die Russen, mit denen ich Westmächten geführten Verhandlungen Vertrag. Der Vertrag normalisierte die
sprach, bestätigten mir, daß sie den in der Villa Albertis, die sie insgesamt sowjetisch-deutschen Beziehungen, hielt
ganzen Tag durch Besprechungen in der als positiv bewerteten. „Ich sondierte den beiderseitigen Verzicht auf jegliche
Villa Lloyd George’s beschäftigt die Russen vorsichtig über die event. Ansprüche fest und sah eine aktive
sind." Spätabends traf ein Experte der Wiederaufnahme unserer Berliner Be­ Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen
italienischen Delegation, Amadeo Giani- sprechungen..." Die sowjetischen Vertre- vor. Später wird der uns bereits be­
i>:. em und bat, vom Reichskanzler in i ter sagten offen, unabhängig vom Aus- kannte M. Schlesinger in einem Resümee
einer dringenden Angelegenheit emp- I gang der Verhandlungen mit den seines Gesprächs mit Joseph Wirth
fangen zu werden. Wesfmächten, sei Sowjetrußland bereit^ festhalten: „Die zwischen Dr. Wirth und
i in sehr wichtiger Augenblick! Gianini einen Vertrag mit Deutschland zu von Maltzan geschlossene Waffenbrü­
*<.;«_• nut, die Gespräche der Enten­ schließen. derschaft, die Versailler Klammer durch
te „1 den sowjetischen Vertretern in Nach der Begegnung mit Joffe und einen Ausbruch nach Osten zu brechen,
der Villa Albe’’ hallen einen positiven Rakowski beschloß Maltzan, eine andere hatte sich in Rapallo erfüllt."
■/erlauf genorr.r len. Variante zu erproben: Was, wenn man NZ. Und jetzt zur Praxis des Vertrags
Die deutschen Diplomaten notierten Druck auf die Engländer ausüben würde? von Rapallo, dazu, wie er verwirklicht
sich anläßlich des Besuchs etwas, das Am gleichen Tag begab er sich zum wurde.
ihre pessimistische Stimmung sehr genau britischen Diplomaten Wise und warnte Achtamsian. Bei meiner Arbeit in
wiedergibt „Die ganze Unterredung ihn, eine Wiederaufnahme der Ver­ Bonner Archiven interessierte ich mich
mußte deutschen Delegation
der die handlungen mit den sowjetischen Vertre­ für die Dossiers des ersten deutschen
Überzeugung vermitteln, daß 1) die tern sei möglich. Die deutsche Delega­ Botschafters in Moskau, Ulrich Graf
Verhandlungen der Westmächfe mit tion bemühte sich, wie gesagt, darum, Brockdorff-Rantzau. Dort entdeckte ich
Rußland nahe dem Abschluß ständen, 2) daß Artikel 116 des Versailler Vertrages den Briefwechsel des Botschafters mit
daß der bevorstehende Akkord zwischen nicht mehr angewandt wurde. Doch Wise Tschitscherin, der davon zeugt, wie
den Wesfmächten und Rußland die aus erleichterte Maltzans Leiden nicht. Er positiv sich die sowjetisch-deutschen
dem Londoner Memorandum in drei versprach nur, diese Frage mit Lloyd Beziehungen im Zeichen Rapallos ent­
Punkten sich ergebenden schweren George zu ventilieren. Unterdes traten wickelten. Anläßlich des ersten Jahresta­
Nachteile für Deutschland nicht beseiti­ die Ereignisse in die entscheidende ges des Vertrages von Rapallo gratu­
gen wurde, 3) daß die Information durch I Phase: Späfnachts wurde in der lierte der Volkskommissar
Gianini lediglich eine Aufforderung zum deutschen Residenz aus der sowjetischen Brockdorff-Rantzau wie folgt:
Beitritt Deutschlands zu einem Abkom­ Delegation, die sich im Hotel „Palazzo „Offen, vor der ganzen Wett, ohne
men darstellte, auf das Deutschland Imperiale" in Rapallo befand, angerufen Hinterhalt, ohne geheime Abmachungen,
keinen Einfluß mehr nehmen konnte." und vorgeschlagen, die Besprechungen haben die zwei Völker die Notwendig­
Das wahre Ziel von Gianinis Besuch am Morgen des 16. April wieder­ keit der freundschaftlichen Verhältnisse,
bleibt bis heute ein Rätsel für die aufzunehmen. Nach diesem Anruf konfe­ der Annäherung, der wirtschaftlichen
Historiker. Diesbezügliche Dokumente rierte man die ganze Nacht... Bei der Zusammenarbeit verkündet. Die
wurden bislang nicht entdeckt. Doch wie nächtlichen Sitzung wurde beschlossen, Streichung der beiderseitigen Forderun­
dem auch sei, der Besuch des italie­ die Einladung anzunehmen, nach Rapallo gen ist wie bekannt für unseren Staat die
nischen Diplomaten sollte der letzte zu kommen und die britische Residenz einzig mögliche. Grundlage für dauernde
Anstoß sein, der die deutschen Politiker über die Wiederaufnahme der Ver­ Vertragsverhältnisse, und dadurch, daß
zum Vertrag von Rapallo veranlaßte. handlungen mit den Russen zu informie- die deutsche Regierung diesen Weg
Aus von Maltzans Tagebuch. „Gleich ren. betraf, hat sie den beiderseitigen Akt
nach dem Abschied des Herrn Gianini, Aus von Maltzans Tagebuch. „Am ermöglicht. Wir sind der Meinung, daß
nachts gegen 12 Uhr, gab mir der Ostersonntag früh um 7 1 /2 Uhr telepho­ das in der ökonomischen Geographie
Minister Rathenau in Gegenwart des nierte ich Wise an und erhielt von fußende gegenseitige wirtschaftliche An­
Herrn Simson den Auftrag, nunmehr mit seinem Büro die Mitteilung, daß er noch lehnen unserer Länder nie vorher zum
den Russen eine Verbindung zu suchen, schliefe. Auf meine Bitte, ihn zu wecken, richtigen Ausdruck gekommen war und
um die in Berlin unterbrochenen Be­ erhielt ich die Mitteilung, daß Wise mich jetzt zum ersten Mal einen freien Weg
sprechungen wiederaufzunehmen. Ich selbst, sobald er aufgestanden sei, vor sich sieht."
setzte mich mit Herrn Joffe telephonisch anrufen würde. Als dieser Anruf bis 9.30 Ein Jahr später, im April 1924, wurden
in Verbindung und verabredete mit ihm Uhr nicht erfolgte, rief ich selbst Wise wieder denkwürdige Botschaften ausge­
am anderen Morgen um 10 Uhr eine zwischen 9.30 und 10 Uhr noch einmal tauscht. Tschitscherin schrieb bezüglich
Zusammenkunft im Palazzo Reale". an, und bekam die Mitteilung vom Büro, gewisser Anti-Rapallo-Tendenzen in den
Halt! Diese Tagebucheintragung wi­ daß die Herren aus wären..." herrschenden Kreisen Deutschlands an
derlegt kategorisch D’Abernons Behaup­ NZ. Wie verliefen die abschließenden Brockdorff-Rantzau:
tung, Matzens Worten zufolge habe Verhandlungen in Rapallo! „Weder 'Vötkerbund-Anschluß'...noch
Tschitscherin selbst in der Nacht zum 16. Achtamsian. Rathenau, Simson und westlich orientierte Industrielle noch
April bei der deutschen Residenz ange­ Maltzan trafen um 12 Uhr mittags in der Swastikafräger haben Rapallo besiegt,
rufen und ihn zusammen mit Rathenau sowjetischen Residenz ein. Sie forderten und auch bei uns ist Rapallo durch
nach Rapallo gebeten, um die Bedingun­ Tschitscherin auf, den in Berlin erörterten entsprechende ungünstige Kräfte nicht
gen für die Unterzeichnung des Vertra­ Vetragstext ein weiteres Mal durchzuse­ besiegt worden. Rapallo wird auch nicht
ges zu erörtern, und dieses Gespräch hen. Um 14.40 Uhr, als die grund­ besiegt werden, darauf hoffe ich be­
habe eine Viertelstunde gedauert. Jetzt sätzliche Möglichkeit der Vertrags­ stimmt. Rapallo ist sogar mehr Zukunft als
besteht keinerlei Zweifel mehr daran, unterzeichnung deutlich geworden war, Vergangenheit. Also Volldampf vor­
wer tatsächlich der Initiator dieses schickte die deutsche Delegation ein wärts, der Kurs bleibt der alte."
Schritts war. Wird man ja im Westen bis Telegramm nach Berlin: „Hiesige poli­ Die Figur von Graf Brockdorff-Rantzau
heute nicht müde, sich über die „Heim­ tische Gesamtsifuafion erfordert voraus­ sollte hier eingehender behandelt wer­
tücke der Russen" in Genua auszulassen! sichtlichZeichnung Sonderabkommens den. Der Vertrag von Rapallo sah die
Verfolgen wir, was weiter geschah. mit Rußland zwecks Wahrung der durch unverzügliche Aufnahme diplomatischer
Aus von Maltzans Tagebuch. bekannte Londoner Vorschläge ge­ und konsularischer Beziehungen
... Am Morgen des 15. April kam es zu j fährdeten deutschen Rechte." zwischen Sowjetrußland und Deutschland
einer Begegnung am vereinbarten Ort : Wenig später lag der Text in den vor. Die Sowjetregierung ernannte ihren
mit zwei sowjetischen Vertretern - Joffe beiden authentischen Originalen vor. Um bevollmächtigten Vertreter in Berlin
"NEUE ZEIT" 13.87
26
N. Krestinski. In den herrschenden
Kreisen Deutschlands begann man nach MONGOLE!
einer geeigneten Kandidatur für den
Posten des Botschafters in Moskau zu
gebauter, selbstbewußter Mensch. Ein
suchen. Die internationale Lage war
ausgeglichenes Gesicht... Die physische
kompliziert. Rapallo wurde attackiert.
Belastung konnte ihm nichts anhaben.
Unter diesen Umständen entschied
General Tschoindon Purewdorsh hatte
sich der sozialdemokratische Reichspräsi­
mir im Verteidigungsministerium gesagt:
dent Ebert für Graf Brockdorff-Rantzau,
"Die Mongolen stellen vortreffliche Pilo­
der als erfahrener Diplomat alter Schule
ten. Unsere Jungs haben das, was die
bekannt war.
moderne Fliegerei verlangt, hundertpro­
Schon bald begannen große Firmen zentige Gesundheit und ein belastbares
wie AEG, Otto Wolff, Krupp und Sfinnes Nervenkostüm. Die technischen
Kontakte mit den entsprechenden sowje­ Kenntnisse erwerben sie an den Offi­
tischen Außenhandelsorganisationen auf­ ziersschulen."
zunehmen. Gleich nach der Akkreditie­
rung des deutschen Botschafters wurde Aus dem Aili befrachtet
ein Kontrakt über Getreidelieferungen im Im Frühjahr 1986 hatte Gansorig auf
Austausch gegen Industriewaren aus einer wissenschaftlichen Konferenz in
Deutschland geschlossen. Ulan-Bator einen Redebeifrag über einen
Bereits im Mai 1923 hatten deutsche für die Mongolei neuen Gegenstand
Unternehmer in der UdSSR zehn Konzes- gehalten: die Prospektierung von Na­
sionen crhalten, und bis Jahresende turschätzen mit Methoden der Sondie­
waren es schon 16. rung auf große Entfernungen. Die Konfe­
renz stand unter dem Thema "Anwen­
Am 12. Oktober 1925 wurde in dung von Weltraum- und Luftfahrtinfor­
Moskau ein neues Wirtschaftsabkommen
mationen in Wissenschaft und
geschlossen, das verschiedene Bereiche
Volkswirtschaft der MVR". Sie war dem
umfaßte: allgemeinen Rechtsschutz,
5. Jahrestag des gemeinsamen
wirtschaftliche Tätigkeit und Bahnver­
Weltraumfluges gewidmet.
kehr, Schiffahrt, Steuern, Han­
Mongolei und Weltraum. Ist dieser
delsschiedsgerichte und Schutz in­
Zusammenhang nicht etwas hochgegrif­
dustriellen Eigentums. Die Seiten bekräf­ Für mein Gespräch mit Maidorshaw fen? Kann das Land
sich überhaupt
tigten das durch den Vertrag von Gansorig hatten wir ein Zeitlimit von kostspielige Weltraumforschungen
Rapallo aufgestellte Prinzip der Meistbe­ drei Stunden vereinbart. Die Zeit ver­ leisten? Stand hier nicht falsch verstande­
günstigung. Von großer Bedeutung für ging wie im Fluge, aber eine Frage blieb ner Ehrgeiz Pate?
den Frieden war auch die Unter­ ungestellt. Der Grund? Ich hafte eine 1959 wurden in Ulan-Bator und in der
zeichnung des Nichtangriffs- und Neutra­ sehr persönliche Frage auf dem Herzen, Gobi zwei Satellitenbegleitstationen ein­
litätsvertrages im April 1926 in Berlin. und es wäre Gansorig sicherlich nicht gerichtet. Seitdem nimmt die Mongolei
Anfang der 30er Jahre arbeiteten insge­ leicht gefallen, sie in Gegenwart seiner an gemeinsamen Forschungen der sozia­
samt 3000 Firmen mit der Sowjetunion Kollegen, wir unterhielten uns in einem listischen Länder teil. Dshanibekows und
zusammen. 300 000 deutsche Arbeiter engen Laborzimmerchen, zu beantwor­ Gurragtschas Tätigkeit 1981 war für
führten sowjetische Aufträge aus. In Geologie und Landwirtschaft gleicher­
ten.
kurzer Zeit wurde Deutschland zum Maidorshaw Gansorig ist das Double maßen lohnend. Als man z. B. das Gebiet
größten Handelspartner der UdSSR. des ersten mongolischen Kosmonauten um den Hubsugul-See unter die Lupe
Ziehen wir eine Bilanz. Ebenso wenig Shugderdemidijn Gurragtscha. nahm, stieß man auf große Phosphorit­
wie der Abschluß des Vertrages von Im Sternenstädtchen hatten sie sich lagerstätten.
Rapallo war auch dessen fruchtbare drei Jahre lang gemeinsam auf den Flug Das "kosmische Auge" stieß in der
Verwirklichung kein Zufall. Die langjähri­ vorbereitet. Gurragtscha flog los, und Nordmongolei auf eine Vielzahl kreisrun-
gen Erfahrungen bei der Zusammenar­ Gansorig blieb unten. Gurragtscha war der Strukturen, offenbar vulkanischen
beit im Geiste von Rapallo brachten im Weltraum, ihn kennen alle Mongolen. Ursprungs. An den Bruchstellen und
größten Nutzen, dienten den Interessen Gansorig ist auch bekannt, aber längst Schnittpunkten, die nur aus dem
beider Länder. Und nicht durch Schuld nicht so berühmt, wie sein Kollege Weltraum zu erkennen waren, mußten
der Sowjetunion wurde diese Entwick­ Gurragtscha, die Leitfigur im Leben sich mit höchster Wahrscheinlichkeit
lung in den 30er Jahren abgebrochen. vieler Mongolen. Gansorig leitet das mineralische Rohstoffe befinden. Die
NZ. Um es mit Tschitscherins Worten Labor eines Akademie-Instituts. Mit Kreise lagen in einem bestimmten
zu sagen, besiegten damals die „Swasti­ seinen Kollegen sitzt er in einer mit Abstand zueinander. Das half, sie aufzu­
ka-Träger" Rapallol Schreibtischen und Aktenschränken finden. Da auch Maidorshaw Gansorig
Achtamsian. Eben so sollte es kommen. vollgestopften Kanzleistube. mit diesem perspektivreichen Abschnitt
Die Ergebnisse des Abgehens von Eine Laune des Schicksals. Bei etwas der angewandten Forschung befaßt war,
Rapallo sind zu trauriger Berühmtheit anders gelagerten Umständen hätte nicht schlug man ihm 1986 vor, ein Labor für
gelangt. Wie ein westlicher Publizist Gurragtscha, sondern er, Gansorig, alle die Auswertung von Weltrauminformatio­
bemerkte, bewegte sich Deutschland
die Glückwünsche entgegengenommen, nen einzurichten. Im selben Jahr setzte
damals ..von Rapallo nach Stalingrad".
„von
und der Weltraumflug allein hätte schon auch die Erforschung der geologischen
Doch wohl gerade dieser tragische
seinen weiteren Lebensweg bestimmt. Struktur im Gebiet Muschugai ein. Die
Verlauf der Ereignisse bestätigt, daß es
Ich beobachte Maidorshaw Gansorig Satellitenaufnahmen wurden vom Com­
keine Alternative zur großen Idee der
und versuche zu ergründen, wie sein puter ausgewertet. Gansorig und seine
friedlichen Koexistenz, die vor 65 Jahren
Leben nach dem Sternenstädtchen ver­ Kollegen prognostizierten die
in Genua und Rapallo geboren wurde,
laufen war. Ein untersetzter, kräftig wahrscheinlichen Lagerstätten ver­
gibt. Darüber sollte man sich bei diesem
wertbarer Bodenschätze in diesem Ge­
denkwürdigen Jahrestag Gedanken
TASS-Foto: M. Gansorig und V. Ljachow, biet. Ihre Vorhersagen wurden durch
machen.
die beiden Doubles der Besatzung von Feldforschungen vollauf bestätigt.
Es interviewte B. BALKARE! Sojus-39. Jetzt gibt es erstmalig eine auf

"NEUE ZEIT" 13.87 27


Satellit e naufnah men beruhende detailliert erkunden und zur industriellen Der Leiter der Expedition verläßt sich
Landkarte der Mongolei. Jetzt sind Nutzung vorbereiten kann Ganso­
will, jedoch weiterhin auf Maidorshaw Ganso-
Karten an der Reihe, die für komplexe rigs Prognosen nicht mehr gebrauchen. rigs erfolgreiche Arbeit.
Entwicklungspläne unerläßlich sind. Das Laboratorium demjenigen eine
ist
A’c. n rr.ar» Welt, aumaufnahmen richtig Hilfe, der sich auf unbekanntes Terrain
zu lesen versteht, kann man eher ein vorwagt. Eine derartige Komplex­ Freunde wie eh und je *
Programm entwerfen, wie die forschung betreibt die Internationale
oder unerschöpflich Geologische Expedition in der MVR, ein Gut, daß ich mir die Frage, die mir
s .einenden unterirdischen Schätze der einzigartiges Institut im System des Rats schon auf der Zunge lag, gespart habe.
publik ausgebeutet werden können. für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Sie wäre nach all dem, was ich über
Deshalb nfitzt der Weltraum der Mongo­ Die Expedition war auf 5 Jahre Gansorigs Arbeit erfahren habe, fehl am
lei. projektiert. Sie existiert jetzt doppelt so Platz gewesen. Er gehört nicht zu den
“Wi» cM nur für Geologen lange. Ihr Leiter Agwani Gurragtscha, Leuten, die sich ihre Zukunft von der
oder I . Uri mich Ganso- ein Namensvetter des Kosmonauten, Vergangenheit überschatten lassen.
ng .ijf, “sondern auch für unsere Geophysiker von Beruf und Absolvent Beim Abschied bemerkte Gansorig
Viehzüchter. Wenn wir Satelhteninforma- der geologischen Fakultät an der Staat­ noch, daß er abends mit dem ersten
iionen über du PI! . izer.decke und die lichen Lomonossow-Universität Moskau, Kosmonauten des Landes, Gurragtscha,
Schneevcrtoilung erhalten, sind wir eher rechnet mit weiteren 15 Jahren: "Hervor­ zusammen ein Referat halten wird.
in der Lage, die optimalen Weiden ragende Grundlagen, wertvolle Erfahrun­ "Sehen Sie sich öfter?" fragte ich
auszusuchi. :i. In MMm Land, dessen gen. Es wäre schade, so ein Kollektiv interessiert.
Wirtschaftsgrundlr.^c die Viehzucht ist, aufzulösen." "Natürlich", erwiderte Gansorig und
und zwar hauptsächlich mit Weidenhal­ Was hat die Expedition vorzuweisen? setzte, als hätte er meinen Hintergedan­
tung, kann man diese Arbeit nicht hoch Sie hat die größten Molybdän- und ken erraten, hinzu: "Wir sind Freunde
genug einschätzen.“ Wolframlager des Landes in Undur geblieben."
Von Satelliten, Raketen und Wetter­ Zagan entdeckt, reiche Silbervorkom­ ... Er wuchs auf in einer kleinen
ballons aus sondierte Fakten ermöglichen men, Flußspat, den man sofort in den Siedlung. In Kiew schloß er die
cm einheitliches Umweltkontrollsystem. Wirtschaftszyklus integrieren kann, und Polytechnische Hochschule ab. Er ist auf
In Gansorigs Labor ausgewertete Auf­ weitere kostbare Bodenschätze. Sie hat Automaten und Kontrollmeßgeräte spe­
nahmen zeigten beispielsweise eine über ein riesiges Areal gründlich erforscht. In zialisiert. Danach arbeitete er in einem
Ulan-Bator schnell anwachsende der Expedition wuchs eine ganze mon­ Wärmekraftwerk und geriet vollkommen
Dunstglocke. Sie rührt daher, daß man golische Geologengeneration heran. unerwartet in die Sektion für Weltraum­
hier das Schwergewicht auf Wärme­ Dieser Beruf war hier vorher unbekannt. forschung beim akademischen Institut für
kraftwerke als Hauptenergielieferant ge­ Man ruft sie heute bereits nach Kuba Physik und Technik in Ulan-Bator, wo ein
legt hat oder nach Vietnam, um dort bei um­ Experte für die Anlagen gebraucht
fangreichen Prospektierungsvorhaben­ wurde. war eine folgenschwere
Das
Lohnt sich das! mitzuarbeiten. Wende in seinem Leben.
"Es heißt, daß die Wissenschaft eng an Agwani Gurragtscha sagt: "Meiner Vom Institut aus wurde er in die
die Produktion gekoppelt sein muß", Meinung nach arbeiten wir effektiv. Man Kosmonautenstaffel beordert. Nach dem
sagt Gansorig, "wir können auf Ver­ muß natürlich sehen, daß Geologenher­ Sternenstädtchen fand er in sich die
tragsbasis mit Geologen Zusammenarbei­ zen höher schlagen, wenn sie überhaupt Energie, einen neuen Weg einzuschla­
ten. Unser Labor stellt die Prognose auf, irgend etwas finden. Schließlich wissen gen. Er stürzte sich in die wis­
und die Forschungsteams richten danach wir, wie schwer es ist, der Erde ihre senschaftliche Arbeit. Sein Interessenbe­
ihre Erl.undungsrouten aus. Wenn die Reichtümer zu entlocken. Die Ökonomen reich stand in enger Beziehung zu dem
Prognosen sich als falsch erweisen, wiederum sind nicht zufrieden mit uns. Forschungsprogramm, das die sowje­
> gehen wir eben ohne Lohn aus." Sie meinen, daß praktisch zu wenig tisch-mongolische Mannschaft von So-
"Vertrauen Sie Ihren Angaben denn dabei herauskommt. Sie brauchen neue jus-39 durchführte. Drei Jahre Weiterbil­
selbst?" Lagerstätten, und zwar gleich solche, die dung im Moskauer Weltraum­
"Man hat uns sogar schon gefestet. sie im industriellen Maßstab ausbeuten forschungsinstitut. Promotion 1984. Er
Hydrologen haben in einem ganz be­ können. Alle ' Gründungsländer haben kehrte in dasselbe Institut für Physik und
stimmten Gebiet Wasser gesucht. ihre Vertreter im Expeditionsrat. Die Technik nach Ulan-Bator zurück, von wo
Nachdem sie fündig geworden waren, einen brauchen Wolfram, die andern aus er einmal ins Sternenstädtchen
gaben sie den Ort nicht bekannt und nicht. Kohlelagerstätten lassen wir links aufgebrochen war... Er mußte hart
kamen zu uns. Sie wollten eine Prognose liegen und untersuchen sie gar nicht erst arbeiten, um seine Kollegen von den
hoben. Wir erledigten diesen Auftrag, näher, weil wir wissen, daß diejenigen, aussichtsreichen Perspektiven seiner
und sie verglichen unsere Angaben mit die uns subventionieren, keine Kohle Auswertungen zu überzeugen. Und er
ihrer Karte. Beides stimmte überein. An brauchen... Wir beobachten sehr auf­ überzeugte sie.
uns soll es nicht liegen, wir haben merksam, was Gansorig und seine In Gansorigs Labor arbeiten 10 Perso­
Geologen und Schürfern etwas zu Kollegen machen. Wenn es uns glückt, nen, Mathematiker, Ingenieure, Natur­
bieten. Es geht jetzt nur darum, unsere alles zu verwirklichen, was sie ver- wissenschaftler, drei von ihnen sind
Produktionskader zu interessieren, damit sprechen, haben wir es leichter." Doktoren.
auch sie auf unsere Möglichkeiten Womit finanziert sich die Expedition? "Unsere Studien", sagt Gansorig,
vertrauen und in uns zuverlässige Partner Sie ist ziemlich teuer, und die Frage ist "werden mit jedem Jahr wichtiger für
sehen." gar nicht so unangebracht. Ihr Jahres­ unsere Volkswirtschaft. Mir schwebt ein
Die Ideen Maidorshaw Gansorigs budget beträgt 3 Mio Transferrubel. Das internationales Zentrum für die Auswer­
klingen vc' jiirerisch, leicht zu realisie­ sind die Beiträge der Gründungsländer. tung von Weltrauminformationen vor,
ren una versprechen einigen Effekt. Die RGW-Partner der Mongolei das eng an regionale Zentren gekoppelt
Derlei simple- und effektvolle Ideen, die brauchen die hiesigen Bodenschätze. ist..."
Revolutionäres auf ihrem Gebiet ver­ Jedes Land bringt natürlich seine eige­ Ob sich dieser Traum von Maidorshaw
hießen, aber sich dann praktisch als nen Interessen mit, und nicht alle Gansorig erfüllt? Er war schon einmal
einziger Reinfall erwiesen, gab es schon Erwartungen haben sich bestätigt. Vier einen Schritt vor dem Ziel. Wünschen
frül . r. V. _s sagen Gansorigs potentielle Jahre lang haben drei Gruppen ein ganz wir ihm Erfolg.
Former J.e Geologen, zur Sondierung bestimmtes Buntmetall gesucht - und L. MLETSCHIN
auf weite Entfernung? nicht gefunden. Vom ökonomischen NZ-Sonderkorrespondent
Wer bereits geortete Fundstatten Standpunkt ein pures Verlustgeschäft. Ulan-Bator - Moskau

"NEUE ZEIT" 13.87


JBemlhaiir©] Grzimek:
n m'inm <e r O

der Serena
Wir haben uns daran gewöhnt, jene, die sich Grzimek aber war die Sorge um die Tiere.
dem Dienst an den Menschen verschrieben Leben und Tod des Frankfurter Professors
haben, als Humanisten zu bezeichnen. Das haben unserem skeptischen und pragmatischen
Lebensziel des Humanisten Bernhard Zeitalter eine wichtige moralische Lehre erteilt.
1945 wurde er zum Direktor des Zoos in die Serengefi. Jetzt, 28 Jahre nach Korrespondenz ausschließlich auf Altpa­
in Frankfurt a. M. ernannt - und seinem Sohn, wird er für immer dorthin pier. Naivität? Nein, konsequentes Eintre­
verwandelte die rauchenden Ruinen in zurückkehren. In einem Brief an seine ten für die Bewahrung der Natur.
einen der besten Tierparks der Welt. Er Angehörigen äußerte Prof. Grzimek Grzimek war „unbequem", weil er keine
griff zur Feder - und seine Bücher seinen letzten Wunsch: Möge seine Kompromisse kannte und sich stets von
wurden in 35 Sprachen gelesen. Er Asche von einem Flugzeug aus über der seinem Gewissen leiten ließ. Er wurde
wandte sich der Massenkunst Film zu, Serengeti zerstreut oder er neben sogar verhaftet, doch bestand er be­
und der von ihm gedrehte Dokumentar­ Michaels Grab am Ngorongoro-Krater harrlich auf dem seinen.
film „Serengeti darf nicht sterben" war beigesetzt werden. Hierbei war Grzimek keineswegs ein
ein weltweiter Erfolg und erhielt den Vor einigen Jahren war Prof. Grzimek Fanatiker, er sah sehr wohl, wie weit die
Oscar. Grzimek trat auch im Fernsehen Gast der Internationalen Moskauer Gegenwart von seinen Idealen entfernt
auf - drei Jahrzehnte lang war er Buchmesse, auf der auch über die war. Er war Realist und verstand, daß die
ununterbrochen Moderator der Sendung Herausgabe weiterer zwei seiner Werke Natur weniger durch Appelle als viel­
„Ein Platz für Tiere", die Anfang der in der UdSSR verhandelt wurde: Insge­ mehr durch konkrete Aktionen, für die
70er Jahre als beste Fernsehreihe des samt sind 11 seiner Bücher ins Russische Geld erforderlich ist, gerettet werden
BRD-Fernsehens galt. übersetzt - sie werden bei uns sehr gern müsse.
Prof. Grzimek bereiste die ganze Welt, gelesen. Ich fragte Grzimek damals, wo Vor einiger Zeit trat Grzimek aus
und doch nahm in seinen Werken, seiner Meinung nach heute diese Seren­ Altersgründen als Direktor des Frankfur­
seinen Gedanken und seinem Leben geti liegt, die nicht sterben darf, die von ter Zoos zurück. Doch er trat weiter im
Afrika einen besonderen Platz ein. Hier uns gerettet werden muß. Er antwortete: Fernsehen auf. War er auf Ruhm aus?
schrieb das Schicksal die schönsten und „Überall". Keineswegs! „Ich bin einfach ver­
die tragischsten Seiten seiner Biographie. Prof. Grzimek war sich als einer der pflichtet, das zu tun", sagte mir Prof.
Bernhard Grzimek, der von der hiesigen ersten bewußt geworden, daß die Natur Grzimek, „da ich vom Bildschirm aus zu
Fauna begeistert war, tat sehr viel, um nur von allen Völkern und Ländern Spenden für die Bewahrung der Natur
ein geschlossenes System von National- gemeinsam gerettet werden kann. Er aufrufen kann. Für diese Gelder werden
parks, dies er als optimale Form für die schlug Alarm um des ökologischen dann Autos, Funkgeräte, Mäntel, Zelte,
Existenz der unberührten Natur auf Schicksals unseres Planeten willen, als selbst gebrauchte Uniformen und Stiefel
unserem urbanisierten
i und kultivierten das Wort Ökologie noch kaum jemandem gekauft. Die Angestellten der National­
Planeten <ansah, auf dem Kontinent zu bekannt war. Grzimek schrieb nicht nur parks können bisweilen kaum von ihrem
schaffen undi weiterzuentwickeln. Mit über die Ausrottung und das Aussterben Lohn leben, und wenn sie durch die
seinen Büchern, Filmen und Fernsehsen­ wilder Tiere, sondern auch über die Hand von Wilddieben fallen, dann
dungen vermochte er die Aufmerksam- Bevölkerungsexplosion in den Ent­ bleiben ihre Familien ohne Existenzmit­
keit der Weltöffentlichkeit auf die wicklungsländern, die die Millionen tel."
Probleme und Leiden der Tierwelt Menschen hungern läßt und sich ver­ Grzimek leitete den Fonds „Hilfe für
Afrikas zu lenken und viele Menschen hängnisvoll auf die Umwelt auswirkt. Er die bedrohte Tierwelt". Im Westen
von der Notwendigkeit zu überzeugen, verwies auf die Gefahr der barbarischen mangelte es nie an Wohltätigkeitsorgani­
den jungen Nationalstaaten zu helfen. Rodung der Wälder und der Verstep­ sationen, doch der Grzimek-Fonds war
„Das sind sehr arme Länder, doch sie pung, auf die irrationale Nutzung der einmalig. Alle zwei Jahre überprüfte eine
bewahren eine erstaunliche Natur für uns Naturressourcen, auf die Verschmutzung Sonderkommission die Buchführung und
alle, für die ganze Menschheit, und es ist von Luft und Wasser. fand bestätigt, daß 99,2% der erhaltenen
die Pflicht der Industrieländer, ihnen Als Grzimek 1954 nach seiner Mittel ihrer Bestimmung zufließen. Grzi­
dabei zu helfen", betonte Grzimek. Rückkehr aus dem damaligen Belgisch- mek hob hervor, daß der Fonds keinerlei
Afrika verlangte von Grzimek Kongo seinem Buch die Überschrift Direktorengehälter zahlt und keine
das schwerste Opfer - im Nationalpark „Kein Platz für wilde Tiere" gab, waren endlosen Dienstreisen oder Kongresse
Serengeti, im Ngorongoro-Krater verlor viele bereit, ihn auszulachen. Es wurde finanziert, wie das leider bei vielen
er für immer seinen Sohn und Gleichge­ sogar ein Gegenbuch verfaßt. Wie viel Wohltätigkeitsvereinen der Fall ist.
sinnten Michael, dessen kleines Flug­ haben wir doch in den vergangenen In seinem Testament bat Grzimek, von
zeug mit einem entgegenfliegenden Jahren dazugelernt. Dazu trug zweifel­ einer Trauerfeier abzusehen. Überdies
Adler zusammengestoßen war. Auf dem los auch das unermüdliche Wirken sollten seine Angehörigen keine Trau­
Grab des 24jährigen Michael Grzimek Grzimeks und anderer ebenso engagier­ eranzeigen veröffentlichen lassen und
stehen die Worte: „Er gab alles, was er ter Aufklärer bei - nennen wir nur keine Blumen spenden. Alle so einge­
hatte, sogar sein Leben, um die wilden Adamson, Causteau, Durrell, Heyerdahl, sparten Gelder bat er an den Hilfs­
Tiere Afrikas zu schützen." Peskow... fonds für die Tiere zu überweisen.
Bernhard Grzimek fuhr fast jedes Jahr Grzimek führte seine umfangreiche Andrej GURKOW
"NEUE ZEIT" 13.8Z 29
KULTUR UND POLtTIK

„Zu Damme in Flandern, als der Maimond dem Weißdorn die Blüten
auftat, da ward Ulenspiegel geboren, der Sohn des Claes." So beginnt
Charles de Coster seine „Geschichte von Ulenspiegel und Lamme • -AM
Goedzak", die Romain Rolland den Ursprung der belgischen Literatur,
ein mit „Don Quijote" und „Pantagruel" vergleichbares Literatur­
denkmal nannte.
Das Buch galt als Bibel der Freiheitsliebe, und das mit Recht. Denn 'M
Till Ulenspiegel „säte überall, wo er nur konnte, den Sturm und rief das
Volk zum Kampf gegen die Henker, die die Heimat quälten". Wie
stehen die heutigen Belgier zu Till, was wissen sie von ihm und wie
denken sic über ihn!

Iel 'ÜleinispfiegceB

Wjdtscheslaw BOIKOW Ulenspiegel-Denkmal In Damme.

Spitztürmen gekrönt, wirkt es wie eine


In Kapitel 35 des ersten Buches der Ulenspiegel die bettelarmen Blinden auf überdimensionale Sahnetorte. Ungefähr
„Geschichte von Ulenspiegel" heißt es: Kosten des Geistlichen von Uccle." Er ebenso alt ist das Haus gegenüber, das
„Nach dreitägiger Wanderung kam er in sagte das mit einer Bestimmtheit, als wohl seiner Form wegen „Der große
die Gegend von Brüssel, in die angese­ handelte es sich um Kunden von gestern. Stern" heißt. Diese und andere Gebäude
hene Gemeinde Uccle. Als er an der Auf jeden Fall ist es nicht unwahrschein­ in Damme sind viel älter als Ulenspiegel,
Herberge 'Zur Trompete' vorbeikam, lich, daß de Coster dieses Haus meinte. der de Coster zufolge 1527 geboren
ward er durch einen himmlischen Er war für seine historische Akribie wurde.
Schmordunst hingezogen." bekannt, und nach dem Entstehungsjahr
Heute ist Uccle ein Stadtteil von zu urteilen, hatte das Haus zu Ulenspie­ Gleich bei der Einfahrt in die Stadt
P.jsscl, hier befindet sich das Korres- gels Lebzeiten schon bestanden. entdecke ich die Tanzbar „Thyl". Ein
pundentenburo der sowjetischen Ge- Mein Weg führte mich nach Damme, Restaurant daneben heißt nach seinem
v.crkschafiszeifung „Trud", für die ich dem Geburtsort Ulenspiegels.
Ulenspiegels. Das treuen Freund Lamme Goedzak, der
arbeite. An der Ecke Avenue de Fre Städtchen liegt etwa
etwa 100
100 km versicherte, daß sich die Seele des
Chernin du Crabbegat ist ein kleines, an nordwestlich von der belgischen Menschen in seinem Magen befinde.
der grauen A\auer kaum unterscheidba­ Hauptstadt. Die Chaussee von Brügge Hier trifft man auf Schritt und Tritt auf die
res Basrelief zu sehen. Darunter die nach Damme verläuft längs an einem Namen von Till, Nele, von seinen
Worle: „Hier traf Thyl Ulenspiegel, der pfeilgeraden Kanal entlang. Freunden und Verwandten. Alles in der
Held Charles de Costers, Blinde, die Stadt ist „nach Ulenspiegels Art", von
Begenkärnpferinnen von Uccle und Brü­ Cocktails bis zu Schweinskoteletts.
der von der Dicken Fresse." Das Ule und Spiegel Auf diese gastronomische Verewigung
schlichte Bild zeigt einen Zug von
Ulenspiegels hin angesprochen, meint
Blinden, die einander an der Schulter Links spiegelt sich eine aus Stein
Bert van Haecke, Direktor des hiesigen
halten, und einen von Speisen und gebaute Windmühle im Kanal. Sie
Touristikbüros: „Geschäft ist Geschäft,
Getränken umgebenen sitzenden Till. entstand 1867, gleichzeitig mit de
für die Unternehmer ist Ulenspiegel vor
Gegenüber steht ein altes Haus. Seine Costers „Geschichte von Ulenspiegel".
allem zugkräftige Werbung, die Tou­
schiefen Mauern aus verwittertem Stein, Rechts ist Ulenspiegel selbst: An eine
risten anziehf Gewinn verspricht.
und
das eingesunkene Dach, die Schießschar­ Ziegelmauer gelehnt, grinst ein eiserner
Urteilen Sie nicht zu streng. Damme hat
tenfenster und die eigenartige Till zu einem herüber. Er hält zwei
keine Industriebetriebe, die meisten
Freitreppe lassen auf eine lange und Spiegel, neben ihm sind Eulen, und so
Einwohner sind Bauern, und der Beruf ist
wechselreiche Geschichte des Bauwerks vereinigen sich Schalk und Weisheit.
heutzutage nicht gerade eine Goldgru­
schließen. Die vorstehenden Riesenzif­ Damme mit seinen rund 1000 Einwoh­
be. Daher etwa die 'Ulenspiegel-
fern an der Fassade nennen das Baujahr: nern hat nur einige wenige Straßen.
Würstchen', die sich aufwerten und
1570. Dicht daneben ist ein weiteres Viele altehrwürdige Stein- und Zie­
besser verkaufen lassen."
ebenso mittelalterlich wirkendes Bauwerk gelsteinhäuser mit roten Giebeldächern.
aus roten Ziegelsteinen. Dort befindet Das auch heute noch betriebene Kran­ Van Haecke merkt mein Interesse für
sich ein kleines Restaurant. Auf meine kenhaus stammt aus dem 13. Jahrhundert. Till und schenkt mir ein paar Führer
Fiage, ob hier vielleicht einst die Das Rathaus hatte vor zwei Jahrzehnten durch Damme. „In Ihrem Land", sagt er,
Gaststätte . Zur Trompete" gelegen ha­ sein 600jähriges Jubiläum. Aus weißem „kennt und liebt man unseren Ulenspie­
be. nickt der Besitzer eifrig. „Gewiß, Kalkstein gebaut und mit einem gel. Diese Hefte sind eine kleine
mein Herr. Gerade hier bewirtete schmucken Glockenturm und gotischen Aufmerksamkeit und Dank dafür."

30 "NEUE ZEIT" 13.87


In einer Broschüre war der Hinweis Angestellten haben auch viele“ andere Walt hat ausgezeichnete Porträts der
enthalten, daß Till in Damme lange vor Pflichten. So verleihen sie Fahrräder und Frauengesfalten aus dem Roman über
Erscheinen von de Costers Buch bekannt betreuen das im ersten und zweiten Ulenspiegel gemalt. Bei der Arbeit daran
gewesen sei. Stock des Hauses untergebrachte studierteer gründlich die Geschichte
Ulcnspiegel-Museum. und die gegenwärtigen Theorien um Till
Dieses präsentiert sich recht beschei­ und seine Umgebung.
Wem gehört Till? den. Das Wichtigste sind Übersetzungen „Seltsam, aber wahr", sagte der Maler,
der „Geschichte" in andere Sprachen. „in Flandern und ganz Belgien kennt
Als Held von Volkssagen ist Ulenspie­ Hier gibt es auch eine sowjetische man Ulenspiegel bei weitem nicht
gel uralt. Einige davon wurden als Abteilung. überall. Durch de Coster ist er im
Bücher herausgegeben. Das älteste be­ Ich bemerke, daß alle flämischen Ausland als Flanderns Nationalheld be­
kannte Buch erschien 1515 in Ulenspiegel-Bücher viel dünner als das kannt. Hier aber stehen die Menschen
Deutschland. Der deutsche Eulenspiegel Original sind. Viele davon sind Kinder­ sehr unterschiedlich zu ihm, da ist alles:
soll in Kneitlingen (Braunschweig) das ausgaben, und ihr Held ist nicht so sehr Verehrung, Ablehnung, Unkenntnis."
Licht der Welt erblickt haben und um Kämpfer wie vielmehr ein Witzbold. „Womit ist das zu erklären?"
1350 in Mölln (südlich von Lübeck) Wie wird Till heute von seinen „Offenbar damit, daß breite Bevölke­
gestorben sein. Die flämische Variante Landsleuten gesehen? rungsschichten de Costers Buch einfach
erschien etwas später, erzählt aber von Auf diese Frage bekam ich von meinen nicht kennen. Er schrieb ja französisch.
Ereignissen aus dem 13. Jahrhundert. Der belgischen Gesprächspartnern die ver­ Bei den scharfen nationalen Differenzen
flämische Ulenspiegel lebte und starb in schiedensten Antworten. „Ein Anarchist, zwischen Flamen und Wallonen genügte
Damme. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der kein Gesetz kennt", sagte ein schon dieser Umstand allein, damit ein
der Held einen realen Prototyp hatte, Nationalsekretär des Allgemeinen Bel- Teil der Flamen, die Niederländisch
dessen Leben und Weben mit der Zeit gischen Gewerkschaftsbundes. „Ein sprechen, das Werk ablehnte. Unter den
durch bunte Geschichten ausgeschmückt lustiger Vogel, eine Art flämischer Französischsprechenden aber sahen ei­
wurde. De Coster gab der flämischen Münchhausen", hörte jch von einem nige in Till einen 'Fremden', einen
Version den Vorrang und versicherte Ladenbesitzer in Damme, der dem flämischen Helden. Die alte Version des
sogar, der deutsche Till sei ein unehe­ gastronomischen Ulenspiegel-Kult hul­ Volksbuches von Till ist vielleicht sogar
licher Sohn des flämischen. Wie dem digt. „Der Held einer rührenden Liebes­ populärer. Allerdings ist sein Held kein
auch sei, der Held der Volkssagen lebte geschichte", findet meine Nachbarin, Kämpfer für Gerechtigkeit, vielmehr ein
lange vor den Ereignissen, von denen in eine Rentnerin. „Ach wie sie einander geistreicher Spaßvogel. Die erste, adä­
de Costers Buch die Rede ist. lieben, Till und Nelel" Ein Student der quate und vollständige Übersetzung von
Mitte des 17. Jahrhunderts wurde in Universität Leuven dagegen prägte die de Costers Buch ins Niederländische
Damme unter dem Kirchenturm Tills Formel: „Der Nationalheld Flanderns, der erschien erst Ende 1984. Bis dahin
Grabstätte „entdeckt". Auf einem uralten für die Befreiung vom spanischen Joch wurden in Flandern meist nur einzelne
Grabstein traten deutlich die Umrisse Kapitel veröffentlicht, wobei jeder Her­
von Eule und Spiegel hervor. Die ausgeber das wählte, was seinen eige­
Inschrift lautete: „Wanderer, halte ein nen Neigungen und politischen An­
Hier befindet sich das Ulenspiegel-
und schau auf Ulenspiegel. Bete zu Gott sichten entsprach."
Museum.
für ihn, er war ein echter Schalk." Fofos des Verfassers „Und so kommt es, daß die einen in
Mindestens zwei Jahrzehnte pilgerten Till den Helden einer Liebesgeschichte
zahlreiche Verehrer Tills hierher, bis und andere einen Anarchisten sehen?"
Nicolas Rommel, ein Jurist aus dem „Ja. Selbst Neonazis spekulieren auf
benachbarten Brügge, die Wahrheit seinen Namen. Ich kenne einen Flamen,
zutage förderte: Die Inschrift auf der der während des zweiten Weltkrieges
Grabplatte war gefälscht, begraben war aktiv mit den Hitlerokkupanten kollabo­
dort in Wirklichkeit der bekannte flä­ rierte. Nach dem Zusammenbruch des
mische Dichter Jacob van Maerlant, der 'Dritten Reichs' verkroch sich dieser
im 13. Jahrhundert in Damme gelebt Faschist aus Angst vor Vergeltung
hatte (später wurde ihm auf dem jahrelang in Westdeutschland. Als er
Rathausplatz
Denkmal errichtet).
Im Jahre 1665
ein bis

ließ
jetzt

Rommel
erhaltenes

seine eMfl a begriff, daß ihm kein Gericht


kehrte er heim. Er vertritt noch immer die
faschistischen Überzeugungen und grün­
drohte,

Botschaft öffentlich verlesen, und zwar dete mit der Zeit einen 'Ulenspiegel-
auf dem Markt in Damme, wo sich die
meisten Leute versammelten. „Unter dem
Glockenturm", hieß es in seinem Schrei­
£ .J H Klub',
der
zu dessen Tagungen Gäste aus
Bundesrepublik und anderen
dern kommen. Für sie ist Till fein Symbol
Län­

ben, „ruht nicht Ulenspiegel, sondern der Nähe von deutscher und flämischer
Jacob van Maerlant, dessen Grab somit Kultur, des Kampfes gegen diverse
geschändet worden ist... Ulenspiegel 'Schurken', vor allem gegen die 'Roten'.
aber gehört an den Galgen.“ Später, Das ist eine falsche und gefährliche
1829, wurde die strittige Grabplatte an Interpretation der Gestalt des National­
einen Steinmetz aus Brügge verkauft, der helden."
sie zersägte und für einen Hausfries kämpfte!" Viele hatten jedoch keine „Wie sehen Sie den echten Till?"
verwendete. „Aber nicht wenige glau­ Vorstellung davon, nach wem ich fragte. „So, wie ihn de Coster geschildert hat:
ben bis heute", sagt van Haecke mir, Es brauchte Zeit, bis ich einen ein Rebell aus dem Volk, der für
„daß Ulenspiegel tatsächlich lebte und in Menschen fand, der mir half, mich in Freiheit, Unabhängigkeit und Menschen­
Damme begraben liegt." diesen bunten Meinungen zurechtzufin­ würde kämpft. Ein Gegner von Gewalt
Wir unterhalten uns im „Großen den. Ich begegnete Walt d'Aquavilia, und Fanatismus."
Stern", wo im Parterre das Touristikbüro einem flämischen Maler, der gegenwär­
liegt. Sein Direktor und die paar tig in der Rubens-Stahlt Antwerpen lebt.
Damme—Antwerpen—Brüssel
"NEUE ZEIT" 13.87 31
THEATER

onologe nach
real. Jeder muß gegen sie' ankämpfen.
Mit seinem Stück sagt Miller — we­
nigstens verstehe ich ihn so —, daß
keiner das Recht hat, einen Mitmenschen
zu töten. Es ist zu wenig gesagt, wenn
man das Stück aktuell nennt. Es ist

Premiere unentbehrlich."

Igor KWASCHA spielt eine Hauptrol­


le, den Arzt. Er sagt:
"Auf einer Bank sitzt etwa ein Dutzend
Menschen verschiedenen Alters und
Arthur Miller im Theater „Sowremennik" verschiedener sozialer Zugehörigkeit.
Das Grüppchen scheint ein Einzelfall zu
sein. Das Stück handelt aber nicht einmal
Dir. I.lc'-.i-cf.e Musik, die den Prolog wurde er vom "Sowremennik” aufgefor­ von Krieg, Völkermord und Faschismus,
begleitet, hebt die grauenhafte Prosa des dert, das Stück zu inszenieren. Er sagt: sondern vom Recht eines jeden, auf der
Geschehens besonders heraus. Im War­ "Es soll nicht paradox klingen, wenn Erde zu leben. Es handelt von Werten,
tezimmer eines Anthrcpologieprofessors ich sage: Ich möchte wirklich die die wir mit dem Wettrüsten, mit der
harren bei einer Razzia aufgegriffene Inszenierung schnell hinter mich bringen Atomkriegsgefahr und der Umweltver­
"Nichtarier" ihres Schicksals: ein auf sein und die im Stück aufgeworfenen seuchung in immer größerer Anzahl
Äußeres bedachter Künstler, ein behäbi­ Probleme vergessen. Das Stück selbst verlieren. Wir wissen so viel vom
ger Kaufmann, ein Arzt, ein Kellner, ein wird aber bestimmt langlebig sein. Ich Faschismus und von den Konzentra­
Junge, ein alter Mann usw. Sie sitzen auf möchte, daß der Zwischenfall in Vichy — tionslagern, daß uns das Gefühl für jene
einer Bank. Jeder hofft auf ein Wunder. eine der vielen Razzien auf 'Nichtarier' Schrecken manchmal abhanden kommt.
Vielleicht wird man gerade ihn laufen
lassen... In Wirklichkeit wissen alle, daß
ihnen das tragische Ende sicher ist.
Hinter der Tür des Sprechzimmers
verschwinden Menschen auf Nimmerwie­
dersehen.
Im Moskauer Theater "Sowremennik”
wird Arthur Millers Stück "Zwischenfall
in Vichy" gegeben. Die Handlung spielt
Anfang der 40er Jahre, als Frankreich
von Hitlers Wehrmacht besetzt war. Wie
iin Programm angegeben, wurde das
Stück schon 1967 inszeniert. Das Publi­
kum hat es aber erst jetzt zu sehen
bekommen.
Wir haben drei Mitwirkende — frü­
here und jetzige — gebeten, uns etwas
über dieses ungewöhnliche Werk zu
sagen.
Das Wort hat Galina WOLTSCHEK, die
Intendantin dieser Bühne. Sie sagt:
"Vor der Premiere bekamen wir von
Miller ein Telegramm mit Dankesworten während des zweiten Weltkriegs — uns Szene aus der Aufführung
en alle, die dem Stück jetzt zur Menschen von heute nicht nur längst Foto: W. Perelman
Aufführung verholten haben. Im vergan­ Vergangenes in Erinnerung ruft, sondern
genen Herbst war der Verfasser nach uns auch die neue Gefahr vor Augen
langer Unterbrechung in der UdSSR und hält, die von den 'Herrenmenschen' In uns wird das Empfinden für die
wohnie dem Forum am Issyk-Kul-See ausgeht. Wie jeder große Künstler, so damalige Tragödie allmählich abgetötet.
bei. Als wir uns begegneten, fragte er nimmt auch Miller das Geschehnis nur Der Krieg wird zum Gemeinplatz, der
als erstes: 'Was ist mit "Vichy"?' Das zum Anlaß, etwas zur Sprache zu 'Zwischenfall in Vichy' aber bietet dem
Stück ist von Marlen Chuzijew inszeniert. bringen, was nicht nur eine Stadt oder Zuschauer Gelegenheit, sich an der Seite
Wie damals treten darin Igor Kwascha, ein Land allein angeht. Als ich den Film oder an der Stelle der Gestalten dieses
Valentin Nikulin und Gennadi Frolow 'Das war im Monat Mai' drehte, war ich Stücks zu fühlen, mit ihnen auf der Bank
auf — etwas gealtert, sie haben sich aber in Majdanek, Buchenwald und Sachsen­ zu sitzen, von der es in den Tod geht.
das tragische Erleben von damals be­ hausen. Ich sah die Ofen, in denen Dieses Miterleben wühlt uns auf, heute
wahrt." Millionen Menschen verbrannt wurden. und unabhängig von unserem Wissen um
Der bekannte Filmregisseur Die jetzigen Vernichtungsmittel sind den Krieg."
CHUZIJEW hat wiederholt das noch raffinierter. Die nukleare Gefahr, in
Kriegsthema behandelt. Wohl deshalb der die Menschheit schwebt, ist ganz T. FIRSSOWA, W. GALIN

Anschrift: 103782, GSP, Moskau K-6, Puschkinskaja pl.


Telefon: 229-88-72, 209-07-67
Verlag der Zeitung "Trud" * Erscheint in russischer, deutscher, englischer, französischer, spanischer, portugiesischer,
italienischer, polnischer und tschechischer Sprache ’ Gedruckt in der Druckerei "Moskowskaja prawda"
die
gen.
die Jugend beschäfti­
I
Die Demokratisierung
der sowjetischen Gesell­
schaft konnte die Arbeiten
der jungen Künstler, die
auf der Ausstellung zu
sehen waren, nicht un-
berührt lassen. Deshalb
waren die Ausstellungs­
säle ständig gut besucht
und weist das Gästebuch
Aussiebung viel warme Worte auf.
Die Veranstalter hatten
junger von 5000 Gemälden,
Skulpturen und Kunst-
KünsfiUer ge werbeerzeugmssen die

Im Moskauer Zentralen besten 1170 ausgewählt. bringen ihre Ideen biswei­ Q „Volksfest".
Haus des Künstlers hat Auf der Ausstellung waren len naiv und bisweilen mit Ludmilla Tschalaja.
Kurgan.
eine Ausstellung junger ganz verschiedene Schu­ jugendlicher Kompromiß-
Künstler Rußlands statfge- len vertreten. Jeder der losigkeit zum Ausdruck.
funden. gut 800 Teilnehmer halte Sie sind bis ins letzte auf­
Das Hauptthema könnte von seinem Recht zum Ex­ richtig. Das haben die o „Ein paar Tage
man so formulieren: Auf­ perimentieren Gebrauch zahlreichen in Moskau".
Ausstellungs-
Leonid und Tatjana
forderung zur Diskussion gemacht. besucher unfrüglich emp- Schwei.
über heutige Probleme, Die jungen Künstler funden. Rostow am Don
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Die Musiker gekommen

INTERNATIONALER WETTBEWERB

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Brief vom Enkel

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