So wird’s gemacht | How to Do 2411

Die Knochenmarkpunktion

Einleitung R. Pfannes,
Tab. 1 Häufige Indikationen.
5 D. Niederwieser
Die Knochenmarkpunktion und -biopsie werden Knochenmarkpunktion
in der Hämatologie sehr oft angewandt. Die fol- Leukämien Hämatologie, Diagnostik
gende Zusammenfassung beschränkt sich auf Unklare Anämien
das Vorgehen beim eigentlichen Eingriff und soll Leukopenien Schlüsselwörter
jungen Kollegen eine Hilfestellung für die ersten Thrombopenien q Knochenmarkpunktion
Untersuchungen geben. Lymphome mit diffusen Verteilungsmuster q Leukämie
Knochenmarkbiopsie q Anämie
Knochenmarkpunktion Punctio sicca
q Punctio sicca
Hypoplastische Erkrankungen( z.B. Aplastische Anämie) Key words
Mit einer Hohlnadel werden aus dem Mark-
Myeloproliferative Erkrankungen (z.B.Osteomyelofibrose) q bone marrow puncture
raum durch Aspiration einige Markbröck-
chen gewonnen und zytologisch, evtl. im-
Morbus Hodgkin q leukaemia
munologisch und zytogenetisch untersucht.
Maligne Lymphome q anaemia
Osteopathien (z.B. M. Paget) q dry aspiration
Knochenmarkbiopsie teilen. Das ist z. B. bei der schweren aplastischen
Anämie unbedingt erforderlich. Die Biopsie wird
Mit einer deutlich größeren Stanznadel wird bei der „Punctio sicca“ (trockene Aspiration) sehr
ein 2–4 mm starker und 1,5–3 cm langer Kno- oft durchgeführt. Damit kann trotz nicht gelunge-
chenmarkzylinder entnommen und histolo- ner Punktion eine Beurteilung des Knochenmarks
gisch sowie immunhistochemisch untersucht. durch Abrollen des Knochenmarkzylinders stattfin-
den. Sie ist auch zur Beurteilung der Fibrose bei der
Osteomyelofibrose, bei Osteopathien und bei nodu-
Indikation lär infiltrierender oder myeloproliferierender Er-
5 krankungen notwendig. Diese Erkrankungen kön-
Die Untersuchung des Knochenmarks wird bei Ver- nen durch ein Aspirat nicht erkannt werden.
dacht auf eine hämatologische Erkrankung oder
zum Staging durchgeführt (Tab. 1). Die Punktion
ermöglicht zytologische, immunologische und ge- Patientenaufklärung
netische Untersuchungen. Es können qualitative 5
und quantitative Veränderungen der Blutzellen Häufig sind Patienten, deren Knochenmark unter-
festgestellt werden, aber auch die Ausbreitung ma- sucht werden soll, in schlechter körperlicher und
ligner Erkrankungen und sogar Speicherkrankhei- psychischer Verfassung. Besonders wenn es um die
ten lassen sich durch den Eingriff sichern. Bei der primäre Diagnosesicherung einer Erkrankung geht, Institut
Biopsie kann man zusätzlich die Zellularität beur- ist die Risikoaufklärung über die unangenehme Hämatologie / internistische
Onkologie, Medizinische Klinik
und Poliklinik II
Abb. 1 Die Ausstattung zur Knochen- Universitätsklinikum Leipzig
markuntersuchung
❏ Punktionsnadel (links) Bibliografie
❏ Biopsienadel (rechts, DOI 10.1055/s-2006-955024
darunter Stanze und Austreibestab) Dtsch Med Wochenschr 2006;
❏ steriles Lochtuch 131: 2411–2413 · © Georg
❏ sterile Handschuhe Thieme Verlag KG Stuttgart ·
❏ 20 ml Spritze New York · ISSN 0012-0472
❏ Skalpell
❏ Desinfektionsmittel (ohne Abb.) Korrespondenz
❏10 ml Spritze mit Kanüle R. Pfannes
❏ Lokalanästhetikum, z.B. 10 ml Lidocain 2% Medizinische Klinik und
❏ sterile Tupfer und Kompressen Poliklinik II
❏ Sandsack (ohne Abb.) Hämatologie/
❏ EDTA-Monovetten oder Ausstrichmaterial internistische Onkologie
❏ Gefäß mit Fixierlösung. Johannisallee 32 A
04103 Leipzig
Tel. 0341/9713067
Fax 0341/9713069
eMail roald.pfannes@
medizin.uni-leipzig.de
2412 So wird’s gemacht | How to Do
Abb. 2 Tasten des Be-
ckenkamms.
Pfeil: Spina iliaca anteri-
or superior.
Kreis: Spina iliaca poste-
rior superior
Abb. 3 Beginn der
Punktion.
Die Spina wird mit der
linken Hand fixiert, der
Zeigefinger der rechten
Hand sichert die Nadel
gegen unkontrolliertes
Vordringen.
Abb. 4 Aspiration.
Es wird kurz und kräftig
aspiriert.
Abb. 5 Biopsie.
Die Stanze wird aus
dem noch liegenden
Trokar entnommen.
Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 2411–2413 · R. Pfannes u. D. Niederwieser, Knochenmarkpunktion
Untersuchung nur von wenig Aufmerksam-
keit begleitet. Umso wichtiger ist es, We-
sentliches nicht unerwähnt zu lassen:
3 Schmerzen sind unvermeidbar, da
nur Haut, Bindegewebe und Periost,
nicht jedoch die Spongiosa betäubt
werden können.
3 Die Blutungs- und Hämatomgefahr
ist häufig wegen einer gestörten
Hämostase oder einer Thrombozyto-
penie erhöht. Um so wichtiger ist die
anschließende Kompression.
3 Infektionen der Wunde sind bei
sterilem Arbeiten und guter Blut-
stillung selten.
3 Nerven- oder Organverletzungen
sind sehr selten.
Vorbereitung
5
Voruntersuchungen. Direkt vor der Un-
tersuchung müssen Thrombozytenzahl
und plasmatische Gerinnung kontrolliert
und wenn nötig Thrombozyten substitu-
iert werden.
Material. Punktionsnadeln bestehen in
aller Regel aus drei Teilen: der eigentlichen
Nadel, einem Mandrin und einem außen
von der Nadelspitze her aufgeschraubten
Hemmschloss. Der Mandrin ist meist
durch einen Verschluss mit der Nadel ver-
bunden, er verhindert das Verstopfen der
Nadel beim Durchdringen der Kompakta.
Die Biopsienadel (Jamshidi-Nadel) be-
steht aus dem äußeren Trokar, der wie der
dazugehörige Mandrin schräg angeschlif-
fen ist, aus der zum Entnehmen des Biop-
sats vorhandenen Stanze sowie einem
Stab, um das Präparat aus der Stanze wie-
der auszutreiben (q Abb. 1).
Punktionsort. Die Punktionen können an
verschiedenen Körperstellen durchgeführt
werden (vorderer und hinterer Becken-
kamm, Sternum). Nachdem jedoch in den
achtziger Jahren sehr selten, aber schwerste
Komplikationen (Aorta- und Myokardver-
letzungen) bei der Sternalpunktion berich-
tet wurden, wird heute meist nur noch die
hintere Beckenkammpunktion durchge-
führt. Ausnahme ist eine stattgefundene Lo-
kalbestrahlung. Wenn der Beckenkamm im
Bestrahlungsfeld lag, muss auf das Sternum
als Punktionsort ausgewichen werden.
Lagerung. Der Patient wird in einer der
stabilen Seitenlage ähnlichen Position
auf der kontralateralen Seite des Punkti-
onsorts gelagert. Das untere Bein wird
leicht, das obere stärker abgewinkelt, so

dass sich das Becken in einer nach hinten
gekippten Position befindet. Die Crista
iliaca ist so auch bei adipösen Patienten
gut auffindbar (q Abb. 2). Am ventralen
Ende befindet sich die Spina iliaca anteri-
or superior, am dorsalen Ende die Spina
iliaca posterior superior, der höckerför-
mig zu tastende Punktionsort. Die Punk-
tionstelle wird großflächig desinfiziert
und mit einem sterilen Lochtuch abge-
deckt, sodass die gesamte Beckenseite
einschließlich der Spina iliaca anterior
superior bedeckt ist.
Lokalanästhesie. Die Lokalanästhesie er-
folgt z. B. mit 10 ml 2%-igem Lidocain.
Nachdem eine kleine Quaddel in die Haut
gesetzt wurde, bewegt man die Nadel
unter Aspiration schrittweise vorwärts
und infiltriert anschließend reichlich das
subkutane Fettgewebe. In aller Regel
spürt man in 1–5 cm Tiefe einen knö-
chernen Widerstand, die Spina iliaca pos-
terior superior (bei adipösen Patienten
gegebenenfalls auch erst wesentlich tie-
fer). Das Periost ist besonders schmerz-
empfindlich und sollte deshalb gründ-
lich fächerförmig mit Lokalanästheti-
kum infiltriert werden.
Cave!
Mit der eigentlichen Punktion darf
erst begonnen werden, wenn die
Spina mit der Lokalanästhesienadel
klar lokalisiert ist. Die Gefahr, durch
„Herumstochern“ mit der Punktions-
nadel eine Blutung auszulösen oder
am Becken ansetzende Teile des Liga-
mentum sacrotuberale zu verletzen,
kann so minimiert werden.
Punktion
5 die Beckenkammbiopsie komplikations-
Nachdem man mit der linken Hand die
Punktionsstelle zwischen dem zweiten und
dritten Finger fixiert hat, sticht man die Na-
del durch die Haut, bewegt sie unter leich-
ten Drehbewegungen bis zum Knochen und
durchbohrt vorsichtig und kontrolliert die
Kompakta der Spina iliaca posterior superi-
or in Richtung der Spina iliaca anterior su-
perior. Der Zeigefinger der Punktionshand
dient dabei als „Anschlag“, um unkontrol-
liertes Vordringen der Nadel zu vermeiden
(q Abb. 3).
Wird der Widerstand geringer, befindet sich
die Nadelspitze im Markraum. Der Mandrin
wird entfernt und mit einer 10 oder 20 ml
Spritze durch Zug Knochenmark aspiriert
Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 2411–2413 · R. Pfannes u. D. Niederwieser, Knochenmarkpunktion
(q Abb. 4). Entscheidend für die Qualität
der Untersuchung ist dabei nicht die Menge
an Knochenmarkblut, sondern der Gehalt
an Knochenmarkzellen (Markbröckchen).
Die Aspiration muss mit einem kurzen Zug
erfolgen, um Zellen aus dem Markverband
zu lösen.
Bei erfolgreicher Punktion sind die Kno-
chenmarkbröckchen im Aspirat zu sehen.
Das gewonnene Material wird (zügig!)
durch kundige Hand ausgestrichen oder in
EDTA-Monovetten unverzüglich ins Labor
versandt.
Biopsie
5 trollierte Bewegungen.
Das Vorgehen bei der Biopsie ist dem bei
der Punktion sehr ähnlich. Gegebenen-
falls ist vorher eine Stichinzision der
Haut an der Einstichstelle sinnvoll, um
das Vorschieben der Stanznadel zu er-
leichtern. Wieder durchbohrt man die
Kompakta mit arretiertem Mandrin, ent-
fernt ihn bei Erreichen des Markraumes,
und schiebt den Trokar vorsichtig unter
leichten Drehbewegungen ca. 2 – 3 cm
vorwärts. Anschließend wird die Stanze
in den Trokar vollständig eingeführt.
Durch Drehen des Trokars einschließlich
der Stanze wird das Biopsat abgeschert.
Die Stanze kann nun mit dem idealerwei-
se 2–3 cm langen Präparat bei entnom-
men und fixiert werden (q Abb. 5). An-
schließend wird der Trokar entfernt.
Nachsorge
5 3Vor der Punktion den Knochen mit
Die Punktionsstelle wird mit Kompressen
steril verbunden und die Punktionsstelle
für mindestens 20 min durch einen Sand-
sack komprimiert. Richtig durchgeführt ist
arm. Es kommt allerdings hin und wieder
zu orthostatischen Dysregulationen, insbe-
sondere bei anämischen Patienten. Häma-
tome oder Nachblutungen entstehen bei
ausreichender Wundkompression kaum.
Probleme und Lösungen
5
3 Schmerzen sind bei dem Eingriff leider
unvermeidlich. Knochenmarkpunktio-
nen müssen bei hämatologischen Er-
krankungen oft durchgeführt werden,
und eine Traumatisierung des Patien-
ten sollte unbedingt vermieden wer-
den. Gute Lokalanästhesie, Voran-
kündigung der Handlungen und even-
So wird’s gemacht | How to Do 2413
Abb. 6 Korrekte Punktionsrichtung von Spi-
na iliaca posterior superior zur Spina iliaca ant-
terior superior.
tueller Beschwerden verhindern das
Erschrecken des Patienten und unkon-
3 Besondere Vorsicht ist beim Plasmozy-
tom und bei Knochenmarksmetastasen
geboten, da durch die Osteolysen die
Nadel leicht unkontrolliert tief eindringt.
Zur Sicherheit kann man beim Durch-
bohren der Kompakta die Punktions-
hand mit der freien Hand abstützen.
3 Gerade bei Anfängern ist die vermeint-
liche Punctio sicca häufig. Meist ist
das Problem durch Vorschieben der
Punktionsnadel mit Mandrin um 2–
3 mm und erneute Aspiration bei
gleichzeitigem Zurückziehen der
Punktionsnadel zu lösen. Im Zweifels-
fall ist hier, wie auch bei allen anderen
Problemen, ein erfahrener Kollege
sehr hilfreich.
Wichtiges in Kürze
3Zuvor Gerinnungsstatus kontrollieren!
der Hand und danach mit der Lokal-
anästhesienadel klar lokalisieren!
3Punktionsnadel nicht ohne „eingeras-
teten“ Mandrin vorwärts schieben!
3Die Punktionsrichtung in einer gedach-
ten Verbindungslinie von der Spina ilia-
ca posterior superior zur Spina iliaca
anterior superior einhalten (q Abb. 6)!
3Nicht die Menge, sondern der Mark-
gehalt des Aspirats ist entscheidend!
3Gute Kompression nach der Punktion
nicht vergessen!
Quellen
Vander Salm TJ. Invasive Techniken am Kran-
kenbett, Chapman & Hall, London 1997
Begemann M. Praktische Hämatologie, Thieme,
Stuttgart 1998
Foerster J et al. Wintobe's Clinical Hematology,
Lippincott Raven, Philadelphia 2003