Sie sind auf Seite 1von 2

Verzicht auf Komfort ist Wie dreidimensional denken Sie Ihre Entwürfe?

Wir finden es wesentlich, gerade bei kleinen

unausweichlich
Wohnungen, das Wohnen nicht nur im Grundriss,
sondern aus dem Raum heraus, mit dem Schnitt
zu denken. Schnittlösungen bergen für sie gro-
ßen räumlich-architektonischen Mehrwert. Aller-
dings gibt es eine Menge Regeln und Normen,
die einem – völlig zu Recht – ein Korsett anlegen.
Etwa die SIA 500, die sicherstellt, dass behinder-
tengerecht gebaut wird. Sie impliziert letztend-
Interview Josepha Landes lich Geschosswohnungen in einer Fläche. Dabei
Fotos Rasmus Norlander enthält sie eben auch Passagen, die etwas mit
Anpassbarkeit zu tun haben, und die zulassen,
dass man Wohnungen im Schnitt plant. Man
muss die Spielräume finden und das Gespräch
mit den Behörden suchen.

Der Laubengang erfährt derzeit ein Revival,


Daniel Abraha Woran denken Sie bei „kleine Wohnungen“? rungen auf der Seite der Auftraggeber ebenfalls. obwohl er jahrelang als No-Go galt. In Erlenmatt
gründete 2010 mit Stephan Konsens sind wohl Wohnungen mit wenigen oder Man will hochwertige, innovative, nachhaltige, nutzen Sie ihn für Erschließung und Begegnung.
Achermann in Zürich kleinen Räumen, Kleinhaushalte, Zweizimmer- bedürfnisorientierte, effiziente und kostengüns- Wie funktiniert das Element?
Studio Abraha Achermann.
Von 2015 bis 2017 unter­r ich­ wohnungen. tige Wohnungen – die Anforderungen sind Qualität und Nutzbarkeit der Laube haben damit
teten beide Büro-Partner mitunter widersprüchlich. Projekte mit starken zu tun, wie man sie flankiert. Eine Herausforde-
Entwurf und Kon­s truktion Wohnungen aus Ihrer Hand sind teils fast räumlich-typologischen Konzepten schaffen die rung ist, dass es Fluchtwege sind. Es ist nicht
an der Hochschule Luzern.
gleich groß, obwohl sie für zwei oder für fünf Freiheit, auf Unwesentliches zu verzichten, und ohne weiteres möglich, möblierte Außenräume
Leute gedacht sind. Erweitern wir den Begriff zugleich architektonische Qualität zu bewahren. der Wohnungen dranzusetzen. Die andere sind
der Kleinwohnung um den Aspekt „Effizienz“. die Einsichten und die Privatsphäre. Bei Erlen-
Im Wohnungsbau geht es immer um einen mög- Welcher Unterschied besteht im Bauen für Ge- matt sind wir dem Problem begegnet, indem die
Die Idee der Architekten
lichst haushälterischen Umgang mit Flächen. nossenschaften, die Stadt oder Investoren? Wohnungen, und damit auch die Lauben, zwei-
sieht sich verwirklicht: In
Wir sprachen mit Daniel Die Frage ist tatsächlich zu erweitern von „wenig In der Schweiz und speziell in Zürich sind Wohn- geschossig sind. Der private Teil liegt im oberen den Wohnungen von „Erlen-
Zimmer“ auf Wohnung mit einer möglichst klei- baugenossenschaften ein großer Akteur. Es gibt Geschoss, von der Laube nicht einsehbar. Es matt“ haben Treppen,
Abraha vom Zürcher Atelier nen Fläche. Und das ist auch die Herausforde- sehr viele Nachverdichtungen und Ersatzneu- schließen nur Küche und Entree an – Räume, die Schachtverkleidungen und

Abraha Achermann über die rung – große Wohnungen sind oft einfacher zu bauten. Auch die öffentliche Hand baut viel, die Reibung und Nachbarschaft zulassen. Außerdem
Leitungen Verwendung
als Alltagshelfer gefunden.

Dringlichkeit und die Mach- entwerfen als kleine. Sie alle sollen ja auch eine Nachfrage nach gemeinnützigem Wohnungsbau gehen die Balkone Sichtbeziehungen zur Laube Foto: Abraha Achermann
gewisse Anpassbarkeit leisten über die Zeit, un- ist sehr groß. Beide haben ähnliche Anforde­ ein. Auch das hilft, um sie als Bühne für die Nach-
barkeit, kleine Wohnungen terschiedliche Belegungsmodelle befriedigen. rungen. Mit privaten Investoren haben wir weni- barschaft zu sehen und nicht als toten Erschlie-
mit räumlicher Qualität aus- ger Erfahrung, aber mit Stiftungen. Die Stiftung ßungskorridor.
Der bedeutendste Anspruch an eine Klein-
zustatten. Die Aufgabe, er- Was ist Wohnkomfort? Abendrot zum Beispiel ist die Auftraggeberin

klärt der Architekt, berge un-


Nicht unbedingt viel Fläche. Es gibt große Woh-
nungen, die schlecht funktionieren, wenig Kom-
unseres Projekts „Erlenmatt“. Da ließen sich Kon-
ventionen aufbrechen: Kleine Wohnungen sind
Viele Ihrer Zeichnungen leben von liebevollen
Detaillierungen (S. 2). Welche Grundlage ziehen
wohnung: dermaßen gut sein, dass sich kein
geahnte Freiheiten. Diverse fort bieten, und sehr komfortable kleine Woh- durch gemeinschaftliche Nutzungen bereichert. Sie für diese projizierten Leben heran? Gefühl des Verzichten-Müssens einstellt
nungen. Wohnkomfort hat etwas mit Aneigenbar- So wird nicht prinzipiell verzichtet, sondern ge- Wir schauen uns natürlich im Alltag Wohnungen
Projekte des Büros schöp­- keit zu tun. Es ist schön, wenn eine Wohnung teilt – das Gemeinschaftliche ist zentraler Be- an, aber auch architekturhistorische Beispiele Das Thema der Kleinwohnung ist so oder so total wird es mit der Akzeptanz schwierig. Umso
fen sie aus, etwa die Wohn­ offen lässt, wo gewohnt und wo gegessen wird. standteil dieser Wohnvorstellung. Das Projekt ist oder aktuelle Projekte anderer Architekten. Nor- im Zeitgeist. Es geht auch um Energie – in der wichtiger ist es, den Raum zu denken. Bei Erlen-
an­lage Erlenmatt in Basel, Eine Wohnung, in der nicht jedes Lebensereignis wesentlich aus dem Schnitt gedacht, die Räume malerweise reisen wir außerdem viel. In anderen Klimakrise müssen wir uns mit kleinen Wohnun- matt etwa haben wir sehr kleine Flächen, aber
sofort dazu führt, die Wohnsituation zu hin­ sind gestapelt. Es gibt keine Zimmerwände, die Ländern findet man spannende Formen des gen arrangieren. In anderen Kulturen geht es im Bereich der Wendeltreppe eine Raumhöhe
wo vor zwei Jahren die ersten terfragen und sich eine neue zu suchen, bietet private Zone liegt über der Wohnzone. Diese of- Zusammenlebens. Letztlich versuchen wir, Woh- durchaus mit weniger Fläche. In Addis Abeba ha- von über fünf Meter. Plötzlich entsteht Weite. Die
Bewohner einzogen. Wohnkomfort. Der andere zentrale Aspekt ist fene Wohnform lässt sehr viel zu für die Mieter. nungen zu entwerfen, in denen wir selbst gern be ich sechs-, siebenköpfige Familien auf fünfzig Luft ist ja wie gratis. Komfort muss nicht ver-
die räumlich-architektonische Qualität; Raumfol- leben würden. Dazu kommen persönliche Erfah- Quadratmetern gesehen. Klar, dann sind wir bei schwenderisch sein.
gen, Sichtbezüge im Innenraum, Sichtbezüge Was halten Sie von Cluster-Wohnen? rungen und Referenzen. Das ist das Schöne der Frage von Komfort. Aber ich glaube, Verzicht
zum Außenraum, Licht, Weite. Solche Qualitäten Ein durchaus zeitgenössischer Ansatz, die wirk- beim Entwerfen im Wohnungsbau: Es ist kein ab- auf einen gewissen Komfort ist in unserer pri­ Wie sehr behalten Sie den Stadtraum im Blick?
sind langfristig bedeutender als etwa ein mög- lich privaten Teile des Wohnens zu minimieren straktes Programm, mit dem du dich auseinan- vilegierten westlichen Welt unausweichlich. Wir Die Qualitäten eines Ortes sind für das Wohnen
lichst wertvolles und teures Materialkonzept. und dafür einen gemeinschaftlichen Wohnteil ein- dersetzt, wie eine Schule oder Bibliothek – man müssen mit weniger Fläche auskommen. Das wesentlich, und so denken wir Innen und Außen
zuführen. Es erfordert die Bereitschaft, eine ist eben nicht jeden Tag in einer Bibliothek, ver- bedeutet auch, dass diese Flächen mehr leisten stets in einer Abhängigkeit. Wir suchen typolo-
Wie sehen das Ihre Auftraggeber? Qualität darin zu erkennen, das Wohnen nicht als mutlich. Beim Wohnen ist es anders: Wir wohnen müssen, damit sie unserer Lebensvorstellung gisch-räumliche Themen, die auf dem Kontext
Im kostengünstigen und im gemeinnützigen anonyme Rückzugssituation zu verstehen son- jeden Tag, den wir auf der Welt sind. weiterhin entsprechen. Für mich ist das fast der aufbauen und ihn zugleich weiterentwickeln.
Wohnungsbau sind das zentrale Anforderungen. dern als etwas Gemeinschaftliches. Gerade bei bedeutendste Anspruch an eine Kleinwohnung:
In der Schweiz ist das Niveau im Wohnungsbau Einzelhaushalten oder älteren Personen halten Wurde in der Pandemie die Dringlichkeit guter Sie muss dermaßen gut sein, dass sich kein Ge- Sie meinten zum Laubengang, sinngemäß:
sehr hoch, die Sensibilität, sowie die Anforde- wir dies für eine sehr zukunftsfähige Wohnform. Kleinwohnungen deutlicher? fühl des Verzichten-Müssens einstellt. Sonst „Wir machen es anders als in den 70ern.“ Wie

20 THEMA Bauwelt 14.2021 Bauwelt 14.2021 THEMA 21


schaffen Sie es, die neuen Formen in die Umge- Details finde ich sehr hilfreich zu referenzieren. direkten, einfachen und aus dem Konzept folge- Erlenmatt Architekten
bung zu integrieren? Es ist wenig sinnvoll, immer alles selber zu erfor- richtigen Umgang. Goldbachweg 12 + 14, Basel Atelier Abraha Achermann,
Viele unserer Projekte sind in recht diffusen, he- schen – über vieles hat schon einmal jemand Zürich
terogenen Quartieren angesiedelt. In Stadtteilen, nachgedacht. Beim Entwerfen aber ist es einfa- In Erlenmatt nutzen Sie auch sichtbar verlegte
Projektleitung
die so unterdefiniert sind, sehen wir Potenzial cher, sich selber Gedanken zu machen. Es ist Leitungen als Gestaltungselement.
Claire Sallets, Iris Schillaci
zum Experimentieren. Da kann eine starke Form, beim Wohnungsbau gut möglich, dass eine Refe- Das Projekt fokussiert auf soziale, wirtschaftliche
die von innen heraus geschaffen wurde, etwas renz auf die Aufgabe zugeschnitten völlig wertlos aber auch ökologische Nachhaltigkeit. Deshalb Mitarbeit
aufbauen. Zum Beispiel die Alterssiedlung Helen ist, weil dreißig Zentimeter fehlen. Es gibt The- haben wir es als Steilpass verstanden, Dinge zu Deborah Vetsch, Céline
Keller (Grundrisse auf den Seiten 18 und 19, Anm. men, die auf die eine oder andere Art immer wie- probieren. Alle Bauteile sind komplett voneinan- Mauch, Georg Weilenmann,
Kai Bührer
d. Red.): Das sind Seniorenwohnungen für eine der ihren Zugang in die Projekte finden, auch der entflochten. Im kostengünstigen Bauen wird
Stiftung der Stadt Zürich. Die Wohnungen, ob- wenn wir bewusste Wiederholungen, quasi eine normalerweise zum Beispiel die Haustechnik Bauleitung
wohl sie sehr klein sind, öffnen sich jeweils über immer wiederkehrende Sprache, grundsätzlich durch die Decke geführt. Die Bauteile verschrän- Fischer Jundt Architekten,
mehrere Seiten zur Umgebung. Wir haben sie eher zu vermeiden versuchen. ken sich ineinander, was dazu führt, dass, wenn Basel/Probau, Pratteln
so angeordnet, dass sich hohe Häuser ergeben, etwas nicht mehr brauchbar ist, sofort noch
Tragwerksplanung
die von einem Park umflossen sind. Der ist öffent- Eingangs kam die Materialisierung gegenüber mehrere Bauteile betroffen sind. Wir haben ver-
Schnetzer Puskas Ingeni-
lich zugänglich, und vermittelt zwischen Sied- dem „Raum“ etwas schlecht weg. Sie meinten: sucht, radikal sämtliche Bauteile voneinander eure, Basel
lung und Quartier. „Das Material ist dann eigentlich gar nicht zu entflechten. Das ist auch im Hinblick auf eine
mehr so wichtig.“ mögliche künftige Wiederverwendung einzelner Auftraggeberin

Machen wir einen Maßstabssprung zurück zu Es heißt nicht, dass Materialfragen unwichtig Teile interessant. Die Decken sind 18 Zentimeter Stiftung Abendrot, Basel

den Wohnungen. Vorhin sagten Sie, große Woh- wären. Die räumlichen Voraussetzungen jedoch dick, Es gibt keine Einlagen darin, deshalb liegen
Hersteller
nungen ließen sich einfacher planen. Welche müssen stark genug sein, dann ist es nicht so die Leitungen auf. Das Tolle daran ist, dass man
Betonelemente Fassade
Planungsspielräume bieten kleine? wichtig, ob Parkettboden oder Terrazzo rein- sie verändern kann, wie man will. Das machen Element
Man kann andere Raumbildungsprinzipien an- kommt. Der räumliche Reichtum, die Eigenstän- die Bewohner auch. Sie hängen Sachen an die Türen Gerber-Vogt, Tschu-
din
wenden, die Raumbildung über Kammern etwa digkeit, das konzeptionelle Grundgerüst müs- Treppe, die Schächte nutzen sie als Magnetwän-
Beschläge Glutz
ist sehr effizient. Wir suchen auch Ansätze, die sen eindeutig und robust sein, um im Projektver- de, etc. Die schönst-materialisierte Wohnung Sonnenschutz Kästli Storen
die Erschließungsfläche minimieren oder auflö- lauf zu überdauern. Es ist ganz und gar nicht so, ist eben nicht die, die weiß ist und wo alles ver- Bodenbelag Marrer
sen, um mehr Wohnraum zu bekommen. Außer- dass uns Material und Oberfläche nicht interes- schwindet. Wir sind überzeugt, dass man Be- Aufzüge Schindler

dem geht es viel um Zonierung. In Helen Keller sieren würden – im Gegenteil. Grundsätzlich inte- wohnern kleinmaßstäbliche Angebote machen
haben wir Wohnen und Essen in Raumnischen ressieren uns sämtliche Bestandteile eines Hau- muss. Die wissen dann schon, was sie damit an-
getrennt, die zwar einen diagonalen Sichtbezug ses. Bei den sichtbaren Teilen suchen wir einen fangen können oder finden es raus.
zueinander haben, aber fast so etwas wie ein
Zimmer schaffen. Zwar sind sie jeweils kleiner,
als würde man sie verknüpfen, aber durch die
versetzte Anordnung entsteht Großzügigkeit.

Die Restriktionen spornen den Ehrgeiz an.


Wohnungsbau ist immer Präzisionsarbeit. Ich war
während des Studiums das erste Mal in Japan,
mit Momoyo Kaijima, die damals Gastdozentin
an der ETH war. Wir haben sehr unterschiedlich
kleine Häuser besucht, auch einige von Atelier
Bow-Wow. Es war unfassbar, zu sehen, wie viel
man aus Raum herausholen kann, wenn er knapp
ist. Dieser Zwang ist oft viel reizvoller, als wenn
verschwenderisch viel Raum verfügbar ist. Das
bestätigt die Architekturgeschichte. Auch Ein-
familienhäuser von bekannten Architekten: Die
wenigsten bestechen durch Größe, sie überzeu-
gen mit räumlichen Themen. Wenn die Luft über-
all verpufft, wird’s meistens auch recht schlaff.
Besser ist dicht und interessant, wenn man den
Raum erobern, verhandeln, ihn durch Verdich-
tung aktivieren muss. Es ist spannender zu ent-
werfen, wenn man Grenzen hat.
Alle Wohnungen in „Erlen-
matt“ sind mehrgeschossig
In Ihrem Entwurf für das Ziegeleipark-Areal fin- angelegt. Raumgliederun-
den sich multifunktionale Räume, die an Aaltos gen enststehen hauptsäch-
„Allräume“ erinnern, an Kammergrundrisse lich durch die Geschossde-
cken.
oder das flexible japanische Haus. Mit welchen Grundrisse im Maßstab
Referenzen arbeiten Sie? 1:1000, Schnitt 1:500

22 THEMA Bauwelt 14.2021 Bauwelt 14.2021 THEMA 23

Das könnte Ihnen auch gefallen