hochmittelalterlichen Literatur
Ein erster vergleichender Überblick zwischen Tristan/Isolde und
Schionatulander/Sigune
J V
JANA VOGT (AUTOR)
Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
5. Die Frauen
a. Isolde
b. Sigune
6. Die Männer
a. Tristan
b. Schionatulander
7. Resümee
8. zitierte Textfassungen
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In „Mythos Paar“ versucht Robert Neuburger[1] 1, zu beschreiben, was die grundlegenden Eigenschaften eines
nach außen und innen hin funktionierenden Paares sind. Neuburger, Psychologe, spezialisiert auf Paartherapie,
gewährt dem Leser einen Einblick in seinen beruflichen Alltag und versucht existentielle Fragen zur
Paarmythisierung zu klären. Jedes Paar bräuchte einen Gründungsmythos, aus dem heraus es sich als
einzigartig begreift. Das können unterschiedlichste Dinge, Taten und Erlebnisse sein. Für ihn sind
Partnerschaften geschlossene Einheiten, die sich von der Außenwelt (bewusst) abgrenzen wollen, sich
manchmal sogar von ihr isolieren, aus Angst vor der Normierung ihrer Liebe.
Liebespaare mittelalterlicher Romane lassen sich in ein solches Beziehungskonstrukt partiell einbinden. Sie
erleben ihre Beziehung ebenfalls als einzigartig und ihr Versuch diese mit der Gesellschaft in Balance zu
halten, stellt für manche ein auf die Dauer unlösbares Problem dar. Am deutlichsten zeigen dies Tristan und
Isolde. Ihre Liebeswelt ist gekennzeichnet von Mythisierung, Isolation und in letzter Konsequenz dem
Scheitern an gesellschaftlichen Werten- Der Mythos des Minnetrankes als Liebe auslösendes Elixier und die
Isolation zur höfischen Gesellschaft begründet in ihrer verzehrenden Minne, die für andere nicht
nachvollziehbar und somit unerreichbar wird.
Eine ähnliche Tendenz zeigt sich in der Sigune-Schionatulander-Liebe. Der Mythos der Bußminne und die
daraus folgende Isolation lässt Sigune aus der höfischen Gesellschaft austreten, da diese ihr Ansinnen nicht
verstehen kann.
Die folgende Hausarbeit will versuchen die beiden außerehelichen Liebespaare in einigen Ansätzen zu
vergleichen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschieden herausstellen. Dabei sollen das auslösende Moment
der Liebe, das Paargeflecht zusammen mit der Minnekonzeption und das Ende der Partnerschaft vorgestellt
werden. Ebenso soll auf die Hauptfiguren im Gefüge der Beziehung und auf einige ihrer Attribute eingegangen
werden.
Die hier folgenden Erörterungen können nicht vollständig sein, sie sollen vielmehr Ansätze zur
weiterführenden Behandlung erbringen.
Ähnlich unruhig ist das Meer auf dem die innige Bindung zwischen Tristan und Isolde geschlossen wird. Das
Wasser wird so zum tragenden Element ihrer Beziehung, dies hebt der flüssige Zustand des Minnetrankes
nochmals hervor, durch den beide in die seelische und körperliche Liebesgemeinschaft eintauchen [6] 6. Auf
dem Meer findet die Liebe ihren Anfang und das Meer wird die Liebenden später im weltlichen Bereich
endgültig trennen.
Auch bei Tristans erster Fahrt nach Irland beschreibt Gottfried die Wandlung des aufgewühlten Meeres zur
ruhigen See (7493-7505). Der liehte morgen (Tr 7506) danach verweist auf die Begegnung mit
der liehten Isolde, die Tristan als den Spielmann Tantris kennen lernt. Ein vorausschauendes Element, welches
die Führung Tristans und damit Isoldes durch höhere Mächte symbolisiert.
In der Lehrer-Schülerin-Episode zwischen Tristan, dem verkleideten Spielmann Tantris, und Isolde bemerkt
der Leser/Hörer Gemeinsamkeiten zwischen den Protagonisten. Gottfried hebt das Talent beider im
Musikbereich, vor allem im Harfenspiel (Tr 3546-3608, 8064-8067) hervor. Dazu gleichen sie sich in ihrer
Intelligenz und sind somit auf geistiger Ebene bereits vor dem Minnetrank mit einander verbunden [7]. Nach
dem Genuss des Minnetrankes wird die Beziehung zwischen Tristan und Isolde bald intim. Ohne an die Folgen
zu denken, die Brangäne deutlich formuliert (Tr 11705-11706) schlafen sie miteinander:
Sie bereuen nichts, auch an dem Zeitpunkt nicht als sie Brangäne bitten müssen, in der Hochzeitsnacht bei
Marke zu liegen, damit er eine „jungfräuliche Isolde“ erlebt. Das Nichteinsehen ihrer gesellschaftsbezogenen
Schuld begleitet sie von Beginn an und Tristan formuliert dazu (Tr 12495-12502):
Folgend schildert er die bereits anklingende Liebe-Leid-Problematik[8] mit unzweifelhaften Worten (Tr 12503-
12506):
Der Beginn der Schionatulander-Sigune-Liebe sind die Begegnungen der beiden Waisenkinder am Hofe
Gahmurets, die daraus entstehende Minne Schionatulanders und sein Werben um Sigune. Sie gründet sich also
nicht auf dem Wirken einer äußeren, übernatürlichen Kraft, sondern auf der Erziehung der höfischen
Gesellschaft. Mit maget (Ti 56, 4) leitet Schionatulander das Minnegespräch (Ti 56-72) ein und zeigt, dass er
Sigune anfänglich noch als seine Spielkameradin sieht. Als sie ihm antwortet (Ti 58) und somit der
Minnethematik nicht abgeneigt zu sein scheint, wagt er sein Ansinnen klar zu äußern (Ti 60):
"Swâ genâde wonet, dâ sol man si suochen.
frouwe, ich ger genâden: des solt du durh dîne genâde geruochen.
werdiu gesellekeit stêt wol den kinden.
swâ reht genâde nie niht gewan ze tuonne, wer mac si dâ vinden?"
Er wechselt in den höfischen Anredemodus frouwe und stellt auf diese Weise die Beziehung zur hohen Minne
her[9]. Ganz in deren Tradition beginnt Sigune sich zu verweigern und schickt Schionatulander auf
Aventiurefahrt (Ti 71). Dies steht konträr zur Minnedarstellung des Tristanromans, es wird keine alles
verzehrende, triebhafte Liebe gezeigt, sondern eine Liebe, die in den gesellschaftlichen Bahnen verläuft und
dennoch scheitert auch diese Liebe an ihrer unkonventionellen Art[10].
Gottfried erklärt bereits in seinem Prolog, dass es innerhalb seines Paares zwei Wesen gibt, die eigentlich eine
Einheit bilden und damit ebenbürtig agieren können (Tr 128-130):
Die chiastische Versstruktur verdeutlicht die Wesensverbundenheit zwischen Tristan und Isolde, die trotz
Trennung nicht gebrochen werden kann[12]. Expliziter erwähnt Gottfried die Wesensvereinigung nach dem
Genuss des Minnetrankes (Tr 11716-11717, 11721-11731):
Zu Beginn noch unsicher, wenden sie sich bald einander bedingungslos zu. Obwohl Isolde anfangs glaubt,
Tristan zu hassen, da dieser ihren Onkel Morold tötete, „verliebt“[13] sie sich aufgrund der beeinflussenden
Kraft des Trankes in ihn. Die Minne zu Tristan stellt sich stärker als die Bande zu Isoldes Familie dar [14] 14 und
deutet die Abgeschlossenheit der Tristan-Isolde-Minnewelt an, die nichts berühren oder stören kann, zumal
beide eine einbaere sind. Sie teilen Freude und Schmerz.
Die Liebe-Leid-Thematik[15] durchzieht beide Werke. Aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen und die
Einbindung der Minnenden in diese normierte Welt können weder Isolde und Tristan noch Schionatulander
und Sigune im irdischen Leben zu einander finden.
Die Konfrontation der Liebe mit dem Tod ist dabei nur die absolute Steigerung [16] und letzte Konsequenz der
Liebenden für ihre Liebe über das Sterbliche hinaus zu gehen, mit dem Wissen, dass sie im Jenseits untrennbar
vereinigt sein werden. Für die reale Welt symbolisiert dies das Begräbnis Sigunes neben dem Grab
Schionatulanders und die Erklärung Tristans, dass ihn selbst der Tod nicht schreckt (Tr 11705-11706).
…mit leide:
grôziu liebe was dar zuo gemenget.
…
Ir schemelîchiu zuht und diu art ir geslehtes
(si wârn ûz lûterlîcher minne erborn) diu twanc si ihr rehtes,
daz se ûzen tougenlîche ir minne hâlen
an ir clâren lîben, und inne an den herzen verquâlen.
Damit tragen beide Verfasser ein hohes Maß der Selbstlosigkeit an die Liebende heran, denn nur wer bereit ist,
diesen Weg der Liebe und des Leides ohne Vorbehalte zu beschreiten, kann wahre minne erlangen[18]. Vor
allem Gottfried geht mehrfach auf die Antinomie[19] liebe leid mittels Paradoxa und Oxymora ein, bezeichnend
wieder im Prolog (Tr 60-63):
[...]
[1]
Neuburger 1999
Öhlinger (2002, 57 FN 44) schreibt, dass der mittelalterliche Tristan ohne Zaubertrank nicht vorstellbar
[2]
wäre. Er gibt die Legitimation zur Liebe Tristans und Isoldes. Nur so ist es denkbar, dass Gottfried ein solches
Werk ohne klerikales Verbot an solch ausschweifender Minne schreiben konnte, denn seine Liebenden sind
von der Sünde befreit, da sie sie nicht aus freien Stücken begingen.
G. Schindele (1971, 59 ff.) meint, dass Gottfried den Minnetrank aus quellenhistorischen Gründen in sein
[3]
Werk einfließen lässt, da er als elementares Element der Tristan-Isolde-Geschichte nicht vernachlässigt werden
darf. R. Krohn (2002, 345 f.) hingegen sieht bei Gottfried wieder eine stärkere Hinwendung zum
ursprünglichen Sagenkreis, verwirft aber die dämonischen Ansätze der wahrscheinlich ältesten Vorlagen.
[4]
Der sie in vielen Fällen auch zugeschrieben wurde, ähnlich dem unerklärlichen Mysterium des Todes.
5Dieses Motiv nimmt Gottfried in seinem Minnekommentar nochmals auf und erläutert es ausführlicher (Tr
[5]
12291).
Ausführlicher Drecoll 2000, 65. Mit dem Wasser verbunden ist für sie der Terminus swebend (Drecoll 2000,
[6]
61 ff.), der für sie bereits die Verbindung zur Minnegrotte darstellt.
Bei Thomas, Gottfrieds Vorlage, spricht Tristan sogar eindeutig davon, dass es schon vor dem Genuss des
[7]
Minnetrankes eine amur fine e veraie (Fragment Douce 1214 ff.) gegeben hat. Ausführlicher bei Krohn 2002,
345.
[8]
Dazu 3. Die Paare und ihre Minnekonzeption
Ein begriffliches Konstrukt, welches die überhöhte Minneherrin zur Erzieherin des höfischen Ritters macht
[9]
(Weddige 2001, 254 ff.). Die sexuell unerfüllte Minne kann als einziges dazu dienen, den Ritter zu veredeln
(Weddige 2001, 259). Ein unvollendbarer Prozess zwischen Begehren und Entbehren.
[10]
Siehe 4. Ende der Beziehungen
[11]
Krohn 2002, 340
Ob über den Tod hinaus, muss offen bleiben, da nicht bekannt ist, wie Gottfried sein Ende gestaltet hätte.
[12]
Das Verb sollte hier nicht in seinem heutigen Sinne verstanden werden. Es beschreibt mehr den Zustand in
[13]
dem sich Isolde nach der Einnahme des Minnetrankes befindet und nicht die Willensentscheidung eines
Individuums.
[14]
Im Frühen Mittelalter galt noch das Prinzip der Blutrache.
[15]
Öhlinger 2001, 1ff.
[16]
Öhlinger 2001, 2
[17]
17Öhlinger 2001, 3
Bei anderen mittelalterlichen Epen spielt das Liebe-Leid-Thema eine ähnlich große Rolle und wird in
[18]
verschiedensten Variationen ausgesprochen, ein paar Beispiele sollen hier gegeben werden:
[19]
Öhlinger 2001, 5
Details
Titel
Außereheliche Liebespaare in der hochmittelalterlichen Literatur
Untertitel
Ein erster vergleichender Überblick zwischen Tristan/Isolde und Schionatulander/Sigune
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Philologisches Institut)
Veranstaltung
Gottfried von Straßburg - Tristan
Note
1,0
Autor
Jana Vogt (Autor)
Jahr
2005
Seiten
42
Katalognummer
V59737
ISBN (eBook)
9783638535892
ISBN (Buch)
9783656277316
Dateigröße
650 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit einem angeblichen Tabuthema der mittelalterlichen
Literatur. Sie zeigt neben dem Verlauf der beiden Beziehungen auch die Einflussnahme
der jeweiligen Partner in die Partnerschaft auf.
Schlagworte
Außereheliche, Liebespaare, Literatur, Tristan/Isolde, Schionatulander/Sigune, Gottfried,
Straßburg, Tristan
Arbeit zitieren
Jana Vogt (Autor), 2005, Außereheliche Liebespaare in der hochmittelalterlichen
Literatur , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59737
Kommentare
Noch keine Kommentare.