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Martin Goldsmith

D as E inwohnen G ottes unter den M enschen:


D ie SHECHINA

Das Wort Shechina wird in der Bibel vom Standpunkt seiner weiblichen Ei-
nicht gebraucht, doch die Idee der genschaften. Wenn man dieses Wort
Schechina ist überall im Alten Testa- gebraucht, denkt man nicht nur an die
ment und auch im Neuen Testament Herrlichkeit des Herrn, sondern auch
vorhanden: dass Gott unter uns an seine weiblichen Eigenschaften.
wohnt und in seiner Herrlichkeit bei
uns ist. Das Wort „Schechina“ stammt In der jüdischen Theologie ist die
von dem Verb „shakhan“ (Hebräisch: Schechina oft mit der Weissagung
„sich aufhalten“, „wohnen“ und auch verbunden. Das ist interessant für
„einwohnen“). Der Begriff „shakhan“ uns als Christen, nicht wahr? Wir
ist im Alten Testament und auch im sind also nicht erstaunt. Im Johan-
Neuen Testament auf Griechisch weit nesevangelium, Kapitel 1, Vers 14 ist
verbreitet. zu lesen, dass das fleischgewordene
Wort unter uns wohnt. Das Wort ist
Manche Gelehrte meinen, dass das also Fleisch geworden und wohnt un-
Wort ursprünglich aus der chaldä- ter uns. Das Wort ist die Schechina,
ischen Sprache stammt, aber ziem- weil das Wort in uns wohnt und mit
lich früh in der hebräischen Sprache uns ist. Das erstaunt uns nicht, wenn
aufgenommen worden ist. Es ist wir den Hintergrund dieser Tatsache
schon im Jerusalem-Targum zu fin- betrachten, dass die Schechina oft mit
den, also ganz früh. Später wurde der Weissagung verbunden wird. Und
dieses Wort – Schechina - im jü- das Wort und die Weissagung gehen
dischen Brauch für Elohim gebraucht. zusammen Hand in Hand.
Sie wissen, dass wir als Juden für das
Wort „Gott“, den Namen „Gott Elohim“ Das griechische Wort hat auch das
verwenden. Denn wir denken, dass alttestamentliche „Shakhan“ im Hin-
dieses Wort so hoch ist und so hei- tergrund: „zu wohnen“. Aber die
lig ist, dass es unerlaubt ist, es mit Schechina kommt zu uns nicht nur
lauter Stimme zu sagen. Deswegen in Verbindung mit der Weissagung,
gebraucht man andere Worte für den sondern auch, wie wir heute morgen
Herrn. Ein Wort, das wir gebrauchen, schon gehört haben, in menschlicher
ist die „Schechina“. Mit diesem Wort Gestalt. Es ist interessant, was Ida
wollen wir „Gott“ sagen. Aber Gott ist Glaser uns erzählt hat. Sie hielt es
so hoch und glänzend herrlich, dass für selbstverständlich, dass die drei
man seinen Namen nicht äußern darf. Menschen, die bei Abraham gewesen
Mit diesem Wort, versteht man Gott waren, Engel sind. So steht es in jüdi-
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schen, muslimischen und christlichen unserer Theologie. Und die Muslime
Kommentaren. Alle drei sagen, dass haben dieselben Probleme, und noch
diese drei Männer Engel waren. Aber (viel) mehr, weil das Wort, der Koran,
in der Bibel steht das nicht. Es ist gut (angeblich) auch ewig war. Ewig, aber
möglich, dass sie es waren. Aber die dennoch kommt das Wort von Gott.
Bibel sagt uns das nicht! Die Bibel Aber Gott allein war der Erste, und da-
sagt, dass sie Menschen oder Män- nach kam das Wort. Dennoch ist das
ner waren. Wort, der Koran, (angeblich) ewig. Das
ist schwierig. Aber für uns (Christen)
Die Schechina kommt zu uns auch in ist es etwas einfacher, weil das Wort
Menschenform. Das ist interessant für für uns immer Gott gewesen ist.
uns zu wissen als Christen. Das Wort
ist zu einem Menschen geworden! Das Wort, die Schechina, kommt zu
Und es gibt eine Parallele zum Islam uns in verschiedenen Formen. Als
hier. Das Wort, das ewige Wort, im Is- Wort, als Weissagung, auch als Men-
lam ist (angeblich) der Koran. Und der schen, auch als Engel – Cherubim und
Koran war (angeblich) immer ewig mit Seraphim. Wir wissen natürlich nicht,
Gott zusammen im Himmel. Dann, an was die Seraphim waren. Es kommt
einem Punkt der Geschichte, wurde vom hebräischen Wort „saraph“, und
der Koran (angeblich) zu uns hinunter das heißt „brennen“. Die Seraphim
gebracht, wie das Wort im Johannes­ in Jesaja, Kapitel 6, waren „die Bren-
evangelium auch an einem Punkt der nenden“. Wir können sagen, dass
Geschichte zu uns gebracht wurde. sie heilige, himmlische Feuerwerke
waren, im Tempel dort bei Jesaja.
Aber es gibt einen großen Unter- Aber die Schechina kommt in diesen
schied! Das eine Wort, im Islam, ist verschiedenen Formen zu uns. Ich
zu einem Buch geworden. Das ande- möchte erinnern, dass die Schechina
re Wort, im Johannesevangelium, ist zu uns in Menschenform kommt. Das
zu einem Menschen geworden. Aber glauben wir natürlich, dass Jesus die
die beiden waren ewig bei Gott. Wir Schechina ist: Gott mit uns, Immanu-
könnten auch im Islam sagen, ganz el. Wir kommen später wieder darauf
am Anfang war das Wort: der Koran. zurück.
Und der Koran war mit Gott, aber der
Koran war nicht Gott. Dann ist das Im Alten Testament ist es merkwür-
Wort hinunter gekommen und ist zu dig, dass der allerhöchste Gott unter
einem gewöhnlichen – nein, nicht seinem Volk wohnt und dass er zu
gewöhnlichen! - (angeblich) zu einem seinem Volk gekommen ist. Das ist
heiligen Buch geworden. schon ein frühes Anzeichen der Drei-
einigkeit (Gottes). Ohne die Dreieinig-
Wir versuchen zu erklären, wie Gott keit ist es fast unmöglich, den hohen
der Vater, der einzige Ewige ist. Aber und völlig heiligen Gott zusammen
doch ist Jesus auch ewig, denn die mit dem gegenwärtigen, anwesenden
zweite Person der Dreieinigkeit ist Herrn zusammen zu halten. Entweder
auch ewig. Dennoch kommt diese ewi- ist Gott oben, weit weg, ganz entfernt
ge Person von Gott. Allein der Vater von uns, dem schwachen sündigen
ist (ewig), dennoch ist der Sohn auch Menschen, oder er ist nah bei uns.
ewig. Und das macht uns Probleme in Das sieht man im Islam. Unter den
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gewöhnlichen Muslimen ist es un- gen, dass der Herr dem Herrn gleich
möglich, eine enge Beziehung mit ist, ist selbstverständlich. Aber doch
Gott, mit Allah, zu haben. Man darf sagt es vieles, weil Gott so unbe-
ihn nicht kennen lernen. Man soll ihn schreiblich ist.
preisen und loben, und man soll ihm
untertan und gehorsam sein. Aber ihn Wie Paulus im Kolosserbrief, Kapitel
kennen zu lernen und eine enge, per- 1, Vers 15 sagt: Gott ist unsichtbar.
sönliche Beziehung mit ihm zu haben Man kann diesen heiligen Gott nicht
ist eine Unmöglichkeit. Weil Gott so ansehen. Mit ihm eine Beziehung zu
hoch ist und wir nur kleine, schwa- haben, ist unmöglich. Ihn kennen zu
che Menschen sind. Und da sieht man lernen ist unmöglich. Er ist so heilig
auch einen Unterschied zwischen dem und das sagt das Alte Testament,
christlichen und dem islamischen nicht wahr? Niemand kann Gott an-
Glauben. Für uns als Christen ist es sehen und doch leben. Weil er viel
die Sünde, die uns von Gott trennt. glänzender ist als die Sonne! Und
Weil Gott so heilig ist, dass wir als wenn man die Sonne ansieht mit of-
sündige Menschen mit ihm nicht zu- fenen Augen, dann wird man blind!
sammen kommen können. Aber im Und wenn man Gott ansieht, der noch
Islam ist es nicht eine Frage der Sünde glänzender als die Sonne ist, dann ist
sondern eine Frage der Größe Gottes: das ganz und gar unmöglich! Er ist so
dass er so hoch, so groß, so mächtig, erhaben, so prächtig!
so kräftig, der Allerhöchste ist, wäh-
rend wir schwache, kleine Menschen Wir kommen zurück zu dem Wort,
sind. Es ist für uns ganz unmöglich, dass der Herr herrlich ist! Es sagt,
ihn kennen zu lernen im Islam. dass er unbeschreiblich ist, so wun-
derbar. Wir können eine ganze Reihe
Wenn man jedoch mit den mystischen von Adjektiven gebrauchen, wenn wir
Muslimen zusammen ist, mit den „Su- versuchen, Gott zu beschreiben! Aber
fis“, dann sieht man, dass Gott mit er ist unbeschreiblich! Man verliert
ihnen ist, ganz nah bei ihnen, ganz sich in diesen Worten. Das findet man
erkennbar und erreichbar. Man kann auch im Gebet, nicht wahr? Und beim
eine Beziehung mit diesem Herrn Lobpreis. Wir brauchen dieselben
haben, wenn man Sufi ist. Aber sie Worte, immer wieder. Wir versuchen,
haben (dann) die Größe Gottes verlo- den Namen des Herrn hochzuhalten.
ren und dass er so perfekt heilig ist. Aber unsere Worte fehlen! Und letzt-
Das findet man nicht bei den Sufis. lich können wir nur schweigen.
Also ist es fast unmöglich, diese
beiden Seiten zusammen zu halten: Wie Habakuk sagt: Gott wohnt in
dass Gott völlig heilig und groß und seinem heiligen Tempel. Deswegen
hoch ist, aber dennoch bei uns steht soll die Menschheit schweigen. Wenn
und wohnt. man Gott trifft, kann man nichts mehr
sagen. Gott sei Dank, dass er nicht
Es ist natürlich wahr, dass Gott so körperlich bei uns steht. Wenn er
herrlich ist. Wir sagen, der Herr ist körperlich hier wäre, würden wir alle
herrlich! Was sagt das? Was bedeutet nur schweigen. Aber er ist hier! In sei-
das Wort „herrlich“? Es meint „dem nem Heiligen Geist. Er steht neben
Herrn gleich“, nicht wahr? Und zu sa- mir hier. Und er sitzt neben Ihnen.
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Er ist hier. oben über die Lade legen, und das
Zeugnis, das ich dir geben werde,
Und doch sollen wir Worte gebrau- in die Lade tun. Daselbst will ich
chen. Also wir müssen immer diese mit dir zusammen kommen und
beiden Seiten zusammen halten und mit dir reden von dem Sühnede-
irgendwie diese Spannung überwin- ckel herab zwischen den beiden
den, dass Gott so hoch, so heilig, so Cherubim auf der Lade des Zeug-
phantastisch ist, dass er herrlich ist! nisses. Über alles, was ich dir für
Aber dennoch ist dieser herrliche die Kinder Israels befehlen werde.
Herr bei uns, mit uns, in unserer
Mitte. Dann, im Neuen Testament, Also Gott ist dort in der Lade, und
nicht nur mit uns, in unserer Mitte, dann im Tempel, und er spricht vom
nicht nur bei uns, sondern auch in Tempel aus bzw. vorher, von der Lade
uns, durch seinen Heiligen Geist. Aber aus.
diese beiden zusammen zu halten, ist
nicht so einfach. Und in 1. Könige, Kapitel 8, Vers
6ff:
Und wir wissen es in unseren Ge- Also brachten die Priester die
meinden, nicht wahr? In einigen Bundeslade an ihren Ort in den
Gemeinden ist der Lobpreis die An- Chor des Hauses, in das Aller-
betung, hoch und schön. Und wenn heiligste. Und die Flügel der
es eine ganz altmodische Gemeinde Cherubim nochmals. Denn die
ist, dann wird der Priester uns den Cherubim breiten die Flügel aus
Rücken zeigen, weil Gott hier oben über den Ort, wo die Lade stand
ist. Aber wir wissen, dass Gott nicht und bedeckten die Lade und ihre
auf einem Tisch sitzt, denn Gott ist Stangen von oben her. Die Stan-
in uns. Also wenn der Pfarrer betet, gen aber waren so lang, dass ihre
soll er sich zu uns wenden, weil Gott Spitzen im Heiligtum von dem
hier ist. Chor gesehen wurden. Aber drau-
ßen wurden sie nicht gesehen.
Das Alte Testament betont, dass der Und sie blieben daselbst bis auf
heilige Gott im Tempel in Jerusalem diesen Tag. Es war nichts in der
wohnt. Wie bei König David: Er hat Lade als nur die zwei steinernen
auch gedacht – und viele Menschen Tafeln, welche Mose am Horeb
denken auf diese Weise -, dass Gott hinein gelegt hatte, als der Herr
in einem Haus leben soll; dass er in mit den Kindern Israels einen
einem Gebäude wohnt. Aber es ist Bund machte, als sie aus dem
nicht so. Gott ist überall. Und bevor Lande Ägypten gezogen waren.
der Tempel gebaut wurde, hat man Als aber die Priester aus dem
zuerst geglaubt, dass Gott in der Heiligtum traten, erfüllte die
Bundeslade wohnte. Und dann, im 1. Wolke das Haus des Herrn. Also
Buch der Könige lesen wir, wie Gott dass die Priester wegen der Wolke
sich ein Haus hat bauen lassen. Es ist nicht hintreten konnten, um ihren
interessant, einige von diesen Texten Dienst zu verrichten, denn die
zu lesen. Im 2. Buch Mose, Kapitel 25, Herrlichkeit des Herrn erfüllte das
Vers 23 lesen wir: Haus des Herrn.
Und du sollst den Sühnedeckel Damals sprach Salomon:
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Der Herr hat gesagt, er wolle im die moabitischen Könige unter diesen
Dunkeln wohnen. So habe ich nun umliegenden Völkern, zu dieser Zeit
ein Haus gebaut, dir zur Wohnung. ihr Volk bei Tag von vorne anführ-
Einen Sitz, dass du da ewiglich ten. Aber dann nachts, wegen der
bleiben mögest. Sicherheit, waren sie immer ganz in
In der Lade und dann im Tempel hat der Mitte ihres Volkes. Deswegen hat
Gott gewohnt. Aber wirklich, war Martin Buber in seinem Buch über das
es nicht so? Das ist so menschlich Reich Gottes „Das himmlische Reich“
geprägt. Aber Gott erlaubt es und geschrieben, dass wir hier das Bild
befiehlt es auch! Aber tatsächlich ist des Reiches Gottes haben, weil Gott
Gott überall in der ganzen Welt, in während des Tages vor seinem Volk
aller Welt. marschiert, und nachts in der Mitte
seines Volkes, ganz wie die Könige
Es ist merkwürdig, dass wir das Wort anderer Völker. Das Reich Gottes, das
„shakan“, die Schechina, im Koran fin- Königtum Gottes. Der herrliche Gott
den. Und da sieht man den Einfluss mit seinem Volk. Aber vorher war die
der Juden, den jüdischen Einfluss Schechina schon dabei.
auf den Koran. Die meisten Muslime
wollen das nicht zugeben, dass der Die Herrlichkeit Gottes bedeckte den
Koran von Juden beeinflusst wurde. Berg Sinai, als Israel aus Ägypten her-
Aber das Wort „shakan“ kommt sechs aus gekommen ist. Und die Herrlich-
Mal im Koran vor und wird von der keit des Herrn wohnte auf dem Berg.
Bibel übernommen. Zum Beispiel in Also ist das schon überall in der Bibel
Sure 2, 248, wo geschrieben steht, gewöhnlich. Und im Alten Testament
dass die Lade von unserem Herrn zu kommt es immer wieder vor, dass
uns mit dem Frieden seiner Beruhi- Gott unter seinem Volk gegenwärtig
gung kommt. In diesem Koran-Vers ist. Aber die ganze Bibel, durch und
ist die Schechina die Tatsache, dass durch, ist mit der Gegenwart Gottes
Gott „mit uns“ gegenwärtig ist. Es ist voll. Das ist ganz gewöhnlich in der
mit dem Frieden, mit der Beruhigung Bibel.
verbunden. Und im Koran, Kapitel 48,
Vers 4, lesen wir, dass die Anwesen- Schon am Anfang, im 1. Buch Mose,
heit Gottes zu uns von oben gesandt in der Schöpfungsgeschichte, han-
wird. Von oben, vom Herrn, vom Him- delt der Herr direkt ohne Vermittler
mel. Und im Koran 16,80, steht seine mit Adam und Eva. Und dann erzählt
Anwesenheit wie im Alten Testament, uns das 1. Buch Mose, Kapitel 3 Vers
im Kontext der Wanderung seines Vol- 8, dass der Herr im Garten beim We-
kes. Wo sie das Lager aufschlagen, da hen des Abendwindes wandelte. Er
ist seine Anwesenheit. Das erinnert war mit ihnen zusammen, Hand in
uns an das 2. Buch Mose, Kapitel 13, Hand, wandelnd im Garten. Das ist
Vers 21, wo die Wolkensäule bei Tag die Schechina, ganz am Anfang. Für
in Israel oder vor Israel war. Die Wol- diejenigen von uns, die in einem tro-
kensäule bei Tag und die Feuersäule pischen Klima gewesen sind, ist es
bei Nacht. Gott war mit seinem Volk ein besonders schönes Bild: in der
in der Wanderung. Zu jener Zeit war kühlen Frische des Abends, am Ende
es ganz gewöhnlich, dass die heidni- eines heißen Tages zu wandeln. Das
schen Könige, die kanaanitischen und ist schon ein besonderes Vergnügen.
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Gott hat das genossen, am Abend dass die Schechina zurück kommen
in der Kühle im Garten zu wandeln. wird, wenn Israel Buße tut. So steht es
Und daran sollen wir uns erinnern, auch im Propheten Maleachi, Kapitel
dass auch Gott selber diesen Brauch 3, Vers 7. Gott hat es versprochen:
hatte, zusammen mit Adam und Eva „Kehrt um zu mir, so will ich mich
am frischen Abend einen kleinen zu euch kehren.“ Wenn man Buße
Spaziergang im Garten zu machen. tut, werden wir die Anwesenheit, die
Das ist schon die Schechina: Gott Herrlichkeit des Herrn, erfahren. Und
mit uns. wir erinnern uns, dass Johannes der
Täufer auch so gepredigt hat: „Tut
Also wir haben gesehen, dass die Buße, denn das Himmelreich ist nahe
Schechina schon mit Israel auf dem herbei gekommen.“ Und Jesus selber
Berg in der Wanderung in der Wüste hat dieselben Worte gebraucht, nicht
wohnte und dass Gott in der Bundes- wahr?
lade gewohnt hat. Und dann auch im
1. Tempel zwischen den Cherubim. Hier sehen wir einen Unterschied
Dann lesen wir im Propheten Haggai, zwischen dem Neuen Testament,
Kapitel 3, dass Gott den 2. Tempel mit dem rabbinischen Glauben, und dem
seiner Herrlichkeit erfüllen wollte. Es islamischen Glauben. Im Neuen Tes-
ist zum Staunen. Gott erwähnt, dass tament kommt das Himmelreich dem
die Herrlichkeit im 2. Tempel noch Willen Gottes nach, und durch seine
größer als im 1. Tempel sein soll. Tat- Gnade. Deswegen ist eine unver-
sächlich fragen wir uns, was dann mit meidliche Herausforderung der An-
dem 2. Tempel geschehen ist? War kunft des Reiches die Gerechtigkeit.
die Herrlichkeit Gottes anwesend Denn man kann kein Himmelreich
oder nicht? haben ohne die Gerechtigkeit. Die
Juden und die Muslime sagen, dass
Der Prophet Hesekiel hatte es schon die Gerechtigkeit zuerst kommt, und
beschrieben, wie die Herrlichkeit des dann das Himmelreich. Johannes der
Herrn in der Mitte des Tempels gewe- Täufer und Jesus sagen, nein, es ist
sen ist, doch dann hatte sich wegen umgekehrt. Das Himmelreich kommt
der Sünde Israels die Herrlichkeit zuerst, und dann kommt die Buße,
Gottes zum Eingang des Tempels und nach der Buße kommt die Ge-
zurückgezogen. Furchtbar, schreck- rechtigkeit. Aber dennoch sind die
lich, dass Gott seine eigene Herrlich- beiden immer zusammen: das Reich,
keit weg gezogen hat. Das ist schon die Anwesenheit des Herrn und die
das Urteil. Aber das heißt, der Tempel Herrlichkeit des Herrn unter uns mit
wird zu etwas ganz Nutzlosem, ein der Gerechtigkeit zusammen.
bloßes Gebäude, ohne die Schechina,
ohne Gottes Anwesenheit. Wir haben schon gesehen, dass die
Herrlichkeit Gottes zu den Menschen
Der christliche Historiker Eusebius in Jesus Christus kommt, Johannes 1,
hat gesagt, dass die Schechina den Vers 14. Es ist im Kontext, dass Jesus
Tempel im Jahre 66 nach Christus für die ganze Welt gültig ist. Und das
verlassen hat und sich zum Ölberg Wort „Welt“, „die Welt“, wird vier Mal
versetzt hat. Doch die Klagelieder wiederholt in diesem Text. Dass Jesus
Jeremias, Kapitel 2, Vers 11, sagen, zur Welt kommt! Und dass die Welt
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von ihm gemacht wurde, und so wei- Der Bund-Name, der liebende, der
ter. Die Welt, die Welt, die Welt, die gnadenvolle Name mit uns, Jahwe
Welt - vier Mal. Und es ist im Kontext mit uns. Das hätte man erwartet.
der Schöpfung. Was hat Gott ge- Im Johannesevangelium findet man
macht? Den Himmel und die Erde. Und das auch. „Ich bin“ dies und das.
die Erde auf Hebräisch ist EREZ. Und Ich bin der Weg, die Wahrheit, das
EREZ, wie wird das gebraucht? EREZ Leben. Ich bin der gute Hirte. Ich
Israel. Wir haben zwei Worte: Die Erde bin das Brot des Lebens, usw. Ich
und das Land. Auf Hebräisch sind die bin Jahwe. Jahwe ist mit uns in Je-
beiden EREZ. sus Christus. Aber das steht nicht
im Titel „Immanuel“. Man hätte er-
Aber Johannes will das nicht sagen. wartet, dass Jesus „Immanu-Elohim“
Weil die Schechina international ist, wäre. Der Schöpfergott, den man
für alle Völker, nicht nur für Israel. in den ersten Kapiteln von 1. Mose
Und deswegen verändert er das Wort, findet, Elohim. Und er ist das auch,
das im 1. Buch Mose gebraucht wird. natürlich! Aber Immanu-el, das ist
Und er zeigt, dass er das nicht zufällig schon merkwürdig, nicht wahr? Wer
gemacht hat. Und wie sagt er das? Er war er? Er war der Schöpfergott von
wiederholt dieses Wort: die Welt, nicht allen kanaanitischen Völkern, von
die Erde! Sagt er dann, dass das Wort den – und ich gebrauche das Wort
zu einem Juden des 1. Jahrhunderts auf die richtige Weise - Heiden. Das
geworden ist? Nein, das sagt er nicht! war der heidnische Gott. Aber Israel
Das Wort ist Fleisch geworden, und hat diesen Titel „El“ übernommen. Es
Fleisch ist international. Fleisch ist all- war Melchisedek, der diesen Namen
gemein, für alle. Das andere Wort, das zu Israel gebracht hat: „El“, der Aller-
Johannes in diesem Text betont, ist höchste! Der Unkennbare, der Unbe-
das Wort „alle“. Alle, die Welt, Fleisch schreibliche, der Unsichtbare, nach
heißt es, international, überall in aller Paulus, im Kolosserbrief nochmals,
Welt. Und die Schechina ist nicht nur der ist es, der mit uns ist, der „El“.
für Israel, sondern für alle Menschen, Wenn man unter Muslimen arbeitet,
überall in der Welt. und das mache ich schon 40 Jahre
lang, dann sage ich oft: „Jesus ist
Die Schechina ist Gott, dieser hohe Emmanu-Allah.“ Allah mit uns! Der
Gott ist mit uns. Sofort denken wir unbekannte, hohe Gott der Araber,
an das Wort Immanuel, nicht wahr? vom Islam, ist jetzt erkennbar! Wir
Das ist ein ganz merkwürdiges Wort, können eine Beziehung mit diesem
ein ganz merkwürdiger Titel für hohen Gott finden durch Jesus Chri-
Jesus, Immanuel. Wenn man Jesaja stus. Der Unbeschreibliche ist jetzt
nicht gelesen hätte, und wenn man beschreiblich. Der Un-kennbare ist
nicht so daran gewöhnt wäre, dass jetzt er-kennbar! Den Unsichtbaren
Jesus Immanuel ist. Jedes Jahr an haben wir schon gesehen in Jesus
Weihnachten feiern wir dieses Wort! Christus. Wunderbar, nicht wahr?
Wir sind sehr daran gewöhnt. Aber Das ist eine frohe Botschaft für ei-
es ist ein erstaunliches Wort, ein er- nen Moslem, dass man eine enge,
staunlicher Name. Man hätte das nie persönliche Beziehung, eine Gemein-
erwartet. Man hätte gedacht, dass schaft, eine liebende Gemeinschaft
Jesus Immanu-Jahwe gewesen wäre. mit dem hohen Gott haben darf.
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Wunderbar! Das ist eine echte frohe heit, wenn Christen sagen, dass der
Botschaft! Immanuel. Tempel (in Jerusalem) wieder gebaut
werden soll. Wir brauchen das ganz
Aber der Titel „Emmanuel“ kann auch und gar nicht, weil Gott geistlich mit
schrecklich sein. Für uns als Gläubi- uns ist, auch in diesem Saal. Wir brau-
ge ist es eine Verheißung, aber für chen keinen Tempel, weil Gott in uns
diejenigen, die ungehorsam sind und ist, auch heute, die echte Schechina:
die an Jesus nicht glauben, für sie ist Gott mit uns.
dieser Titel oder diese Tatsache, dass
Gott mit uns ist, keine Verheißung. In rabbinischen Schriften geht die
Das ist bereits eine Drohung! Und so Schechina mit der Thora, mit dem
war es bei Jesaja. Dem König Ahas Bund, mit dem Heiligen Geist und
hat der Prophet Jesaja gesagt, dass mit der Auferstehung der Toten
er ein Zeichen suchen soll. Doch er zusammen. Dies ist merkwürdig in
hat gesagt: „Nein, das will ich nicht!“ den rabbinischen Schriften und so
Deswegen war er ungehorsam und ist es mit uns. Im Neuen Testament
dem Wort Gottes nicht untertan. Und geht die Gegenwart, die Anwesenheit
deswegen hat Gott ihm durch Jesaja Gottes mit dem Wort Gottes, mit den
gesagt: „Immanuel“. Gott wird mit uns Verheißungen Gottes, mit dem Bund
sein. Und wenn man ungehorsam, zusammen. Sie geht auch mit dem
ungläubig ist, ohne Glauben, dann Heiligen Geist und mit der Auferste-
ist die Gegenwart Gottes eine Bedro- hung Jesu zusammen. Durch die Auf-
hung. Aber wenn man den Herrn liebt, erstehung haben wir das Neue Leben,
dann ist es eine wunderbare Verhei- wo Gott immer bei uns bleiben wird.
ßung, und nicht nur eine Verheißung, Er ist ewig mit uns bis in Ewigkeit.
sondern eine Tatsache. Die deutsche Dies ist die frohe Botschaft von der
Übersetzung dieses Titels ist vortreff- Auferstehung Jesu: Gott mit uns - die
lich: „Gott mit uns.“ Er war Gott. Schechina. Amen!

Bevor der christliche Glaube nach


Deutschland gekommen ist, wer war
der Gott der heidnischen Deutschen?
ER (der GOTT) war der hohe Schöpfer
der heidnischen Deutschen, bevor die
frohe Botschaft zu uns gekommen ist.
Dann hat der christliche Glaube hier
in Deutschland diesen Titel übernom-
men und in die deutsche Bibel hinein
gebracht. Gott, dieser unkennbare,
MARTIN GOLDSMITH, Stanstead
unsichtbare, unbeschreibliche Gott
Abbots, England, ist international
ist jetzt mit uns. Die Schechina ist
tätiger Missionar und Dozent im
mit uns, nicht mehr in einem Tempel,
Bereich Judentum, Christentum
der mit menschlichen Händen gebaut
und Islam. Associate Lecturer
wurde. Sie ist nicht nur mit uns, son-
am All Nations Christian College.
dern durch den Heiligen Geist auch
Autor zahlreicher Bücher.
in uns. Wir brauchen keinen Tempel
mehr. Es ist ein Unsinn, eine Dumm-
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