7
E. Würthwein, Die Bücher der Könige. 1. Könige 17-2. Könige 25, ATD 11,2, 1984.
8
Der Abdruck einer Vergleichstabelle ist aus Raumgründen hier nicht möglich; ihre
Anfertigung sei dem Leser empfohlen.
9
Nachdrücklich ist die Einheitlichkeit von l - 20* verteidigt worden von P. Welten,
Naboths Weinberg (1. Könige 21)*, EvTh 33 (1973), 18-32; aber auch Noth, Seebass
und Hentschel halten an der Einheit fest.
10
Steck, Bohlen, Würthwein und Timm (S. Timm, Die Dynastie Omri, FRLANT 124,
1982, 117 f.) treten für die Auffassung ein, l -20* sei aus zwei Teilen zusammengesetzt:
1-16 und 17-20*.
11
Sehr zutreffend vergleicht K. Baltzer, Naboths Weinberg. Der Konflikt zwischen israeli-
schem und kanaanäischem Bodenrecht, WuD 8 (1965), 73-88, 76 die Erzählweise
dieses Kapitels mit derjenigen von Gen 22, wie sie E. Auerbach in seinem Buch
»Mimesis«, 19643, 11 ff. so meisterhaft herausgearbeitet hat.
1
~ Vgl. bes. Würthwein, ZThK 75 (1978), 382 390 und die Übersicht bei Bohlen, a. a. O.,
38 41.
" Vgl. bes. Seebass, a.a.O., 478-482; Bohlen, 51-71.
lieh ist«14. Oder man rechnet damit (2), »daß der König in den Plan
eingeweiht war; denn aus der Nachricht, daß Naboth tot sei (15b),
folgte keineswegs die Erbberechtigung des Königs, sondern erst aus dem
Umstand, daß Naboth wegen der Verfluchung von Gott und König
gesteinigt worden war. Deshalb trug der König ohne Zweifel die Verant-
wortung für die Tat Isebels«15. Weiter nimmt man an (3), Ahab habe
Isebel den wahren Rechtsgrund für Naboths Weigerung - den nVm-
Status des Weinberges - schuldhaft und berechnend verschwiegen16.
Schließlich versucht man (4) die Spannung überlieferungsgeschichtlich
zu erklären: in der ursprünglichen Uberlieferungsstufe habe in 1-16
Isebel gar nicht die dominierende Rolle gespielt; sondern - wie der
Vergleich mit II Reg 9,25 zeige — Ahab selbst sei der allein Schuldige
gewesen. Die späteren Tradenten hätten - v. a. um den friedlichen Tod
Ahabs (II Reg 22,40) zu erklären und um Isebel-Kritik zu betreiben -
Ahab entlastet und Isebel belastet17. Diese Erklärungsversuche überzeu-
gen aber nicht, (ad 1) Die Mitwisserschaft Ahabs muß erschlossen wer-
den; der Text selbst sagt nichts davon. Solche argumenta e silentio sind
grundsätzlich schwach, (ad 2) Die Betonung des Siegeins in v. 8 »scheint
weniger die rechtliche Verantwortung Ahabs als vielmehr die Entschlos-
senheit Isebels hervorheben zu wollen, die königliche Macht so voll
einzusetzen, wie es Ahab nicht gewagt hat« 18 , (ad 3) Die Annahme, daß
Isebel nur deswegen so brutal mit illegalen Mitteln die königliche Macht
durchgesetzt habe, weil sie von Ahab über die wahren Rechtsverhältnisse
des Streitobjekts getäuscht wurde, hat im Text keinen Anhalt. Vielmehr
zeigt Isebel auch sonst, wie schon die Bestechung der Zeugen zeigt,
keinerlei Achtung vor dem geltenden Gesetz. Schließlich ist (ad 4) die
überlieferungsgeschichtliche Hypothese, Ahab sei ursprünglich in 1-16
allein schuldig gewesen, erst nachträglich sei Isebel belastet worden,
allenfalls als eine kühne Folgerung möglich, wenn die Einheit von l -
20* gesichert wäre, schwerlich aber als ein Beweis für diese Einheit.
V. 17-20* können nicht den ursprünglichen Schluß von 1-16
darstellen. Andererseits lassen sich 17 — 20* auch nicht überzeugend von
1-16 literarkritisch abtrennen. Dafür ist die vorliegende Verzahnung
von Prophetenwort und Novelle viel zu eng. Am deutlichsten wird die
Verschmelzung beider Textteile an der weitgehenden Parallelität von v. 16
und v. 18; v. 16: »Da machte sich auf (1) Ahab (2), um hinabzusteigen (3)
zum Weinberg Naboths (4), des Jesreeliters, um ihn in Besitz zu nehmen
14
Baltzer, 85; nachdrücklich Welten, 25.
15
Seebass, 181 f.
16
SoTimm, 115.
17
So insbes. G. Fohrer, Elia, AThANT 53, 19682, 62f.; vgl. auch ders., Art. »Ahab«,
TRE II, 124.
18
Würthwein, ZThK 75 (1978), 377.
(5)«. V. 18: »Mache dich auf (1), steig hinab (3) Ahab (2) entgegen, dem
König von Israel, der in Samaria ist! Siehe, er ist im Weinberg Naboths
(4), wohin er hinabgestiegen (3) ist, um ihn in Besitz zu nehmen (5)«.
Die Lösung des problematischen Befundes kann nur auf überliefe-
rungsgeschichtlichem Wege gesucht werden. In I Reg 21 liegen offenbar
in einer literarischen Einheit verbunden zwei ursprünglich unabhängige
Traditionen vor.
19
Würthwein, ZThK 75 (1978), 378-382.
20
Ebd., 378 unter Berufung auf Fohrer u.a., vgl. ebd., Anm. 11.
21
Ebd., 380.
22
Ebd., 380, anders in ATD-Kommentar: Wie l Reg 22,38 sei auch 21,19b nicht dtr-
Zusatz, sondern nach-dtr Nachahmung.
« Ebd., 381.
24
Würthwein, ATD 11,2, z. St.
entgegen, die mit vor-dtr Ursprung der Formel, etwa bis Jer oder früher,
rechnen25. Aber selbst wenn sich hinter der Formel als solcher die
Redaktionstätigkeit von DtrP »vermuten«26 läßt, beweist ihr Vorkommen
lediglich, daß der Passus dtr überarbeitet sein könnte.
Zu 2: Die Parallele von 18a (n Dip) zu I Reg 17,3 C]V), 17,9 (f?
01p) und 18,Ib ( "jV) zwingt keineswegs, dtr Ursprung anzunehmen.
T) Dip ist eine sehr allgemeine Aufforderungsfloskel, die sich ähnlich
auch in eindeutig vor-dtr Texten findet, z. B. v. 15 ( Dip) oder in
Num 22,20 (E)27, wo es in einer Gottesrede an Bileam heißt: "]V Dip28.
Schließlich sind die beiden exakten Parallelen zu I Reg 21,18a in Jdc
7,9 und ISam 23,4 wahrscheinlich vor-dtr Ursprungs, vielleicht sogar
Elemente alter Kultsprüche 29 .
Zu 3: Der Schluß, daß aufgrund des Erfüllungsvermerks I Reg
22,38, der in der Tat dtr sein dürfte, auch das Drohwort 19b dtr sein
müsse, ist nicht zwingend. Zumal in 22,40, in harter Spannung zu 22,38,
der friedliche Tod Ahabs mitgeteilt wird, läßt sich die Entstehung von
22,38 besser als dtr Harmonistik verstehen, die das alte Drohwort an
Ahab (21,19b; vgl. auch II Reg 9,25 f.) und Ahabs ehrenvollen Heimgang
zu seinen Vätern auszugleichen sucht.
Zu 4: Wenn also 17.18.19b nicht dtr sind, dann muß auch 19a nicht
notwendig dtr sein. Aber das Scheltwort bleibt dennoch, wegen des
doppelten 1 HD verdächtig, ein Nachtrag zu sein, muß aber
keineswegs dtr Provenienz sein. Würthweins Argument für spät-dtr An-
setzung - die individuelle Vergeltung — verfängt nicht. Die ganze
Geschichte ist von vornherein an Individuen orientiert! Eine nachträg-
liche Individualisierung ist völlig überflüssig. Darüber hinaus ist es ja
unbestreitbar, daß schon das Bundesbuch zahlreiche individuelle, auf
dem Talionsprinzip beruhende Strafandrohungen enthält, an deren ho-
hem Alter kein Zweifel möglich ist30.
Zu 5: Das Argument, daß v. 20 den Zusammenhang der Gottesrede
unterbreche, sticht nur dann, wenn man voraussetzt, daß 17 -19.21 ff.
25
Z.B. Steck, a.a.O., 42 Anm. 1; W. Zimmerli, Ezechiel, BKAT XIII/1, 1969, 89f.;
Hentschel, a.a.O., 51.
26
R. Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, 1978, 122.
27
Vgl. M. Noth, Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, 19824, z. St.
28
Vgl. auch Num 23,18 (E).
29
O. Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament, 19764, 95 f. erkennt hier die Gattung
eines Ephod-Orakels, die ihren Sitz im Leben im Heiligen Krieg hatte; ähnlich L.
Schmidt, Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative, WMANT 38, 1970, 53-57.
Würthwein hält freilich den gesamten Vorstellungskomplex des Heiligen Krieges für
eine theologische Fiktion des Dtr.
30
Im Kommentar, 1984, hat Würthwein selbst dieses Argument fallen lassen und 19a
zum älteren DtrP gezogen.
Spätzeit des AT begegne. Aufgrund dieser Beobachtungen sehen Timm und Würthwein
in II Reg 9,25 f. eine späte, nach-dtr Glosse. Dieser Argumentation ist zunächst zuzuge-
ben, daß v. 25 f. eine sekundäre Einfügung in die ursprünglich zusammengehörigen
v. 24 und 27 sind. Es ist aber die Frage, ob diese Einfügung als späte Glosse gedeutet
werden kann und muß, oder ob sie sich nicht besser verstehen läßt als eine vor-dtr
apologetische Überarbeitung des Berichtes über den Jehu-Putsch (so H.C. Schmitt,
Elisa. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur vorklassischen nordisraelitischen
Prophetie, 1972, 25-27 und Bohlen, 279-284). Zwar beeindrucken die wortstati-
stischen und wortgeschichtlichen Beobachtungen von Timm und Würthwein. Aber die
Wortstatistik allein ist ein relativ stumpfes Messer, ein nur mit äußerster Vorsicht zu
benutzendes Instrument, das im Grunde nur Hilfsargumente liefern kann, niemals aber
klare Beweise. Wegen der schmalen Basis wirklich alter Texte beruhen die Ergebnisse
der Wortstatistik m. E. häufig auf Zufall. Aus der Tatsache etwa, daß das biblische
Hebräisch bei den alten Schriftpropheten keine Parallele für ein doppeltes mrP'DKl
enthält oder keine exakte Parallele für den Gebrauch von Ktfö (welches in der Bedeutung
von »Ausspruch« ohnehin nur 20mal im AT begegnet) bezeugt, sollte man nicht allzu
sicher auf spätnachexilische Entstehungszeit von II Reg 9,25 f. schließen. Wohl aber
begründen die wortstatistischen Beobachtungen — zumal in dieser Häufung — einen
Verdacht, zumindest den auf eine spätere Überarbeitung. Dieser wortstatistisch begrün-
dete Verdacht müßte sich am Inhalt der v. 25 f. bewähren. Inhaltlich aber fällt auf, daß
1. das Grundstück Naboths rTTO *? bezeichnet wird, nicht als 0"1D; daß 2. auch das
Blut der Söhne Ahabs geflossen sein soll; daß 3. der Acker Naboths in der Jesreel-
Ebene lokalisiert wird, nicht im Stadtareal von Jesreel; daß 4. vor allem der Name des
Propheten nicht genannt wird, der das Gotteswort übermittelt hat. Inhaltlich ist II Reg
9,25 f. von I Reg 21 derartig unabhängig, daß es wohl kaum als eine nach-dtr Glosse
begriffen werden kann, welche die Kenntnis von I Reg 21 voraussetzt. Daß Jahrhunderte
post festum, als schon eine feste schriftliche Tradition vorlag, eine so selbständige
Version erfunden und als Glosse eingefügt wurde, erscheint mir gänzlich unwahrschein-
lich. Glossen tragen keine originellen unverwechselbaren Züge.
wirklich zutrifft. Denn Steck kann sich dazu nicht auf ungefärbte,
unabhängige Quellen stützen, sondern nur auf eine Darstellung, »in der
der Erzähler seine Vorstellung vom Lauf der Dinge entfaltet«33. Daher
wird man vom historischen Standpunkt aus sagen müssen: »Es ist außer-
ordentlich bedauerlich, daß die Quellenlage eine sichere Darstellung der
wichtigen Geschehnisse dieser Zeit ... nicht mehr zuläßt«34. Sodann und
vor allem ist das Urvertrauen problematisch, daß Überlieferungsprozesse
unmittelbar historisch ausgewertet werden können bzw. daß sich in
Überlieferungsprozessen notwendig historische Ereignisse spiegeln. Muß
man nicht sehr viel stärker mit anderen Überlieferungstendenzen und
Traditionsbildungskräften rechnen, wie z. B. bewußter Typisierung der
handelnden Personen, religiös motivierter Xenophobie und vor allem
mit kerygmatischer Deutung und Durchdringung, die nicht bloß auf
vorgegebene Tatsachen reagiert, sondern — wie etwa im Prophetenwort,
das die fordernde und richtende Präsenz Jahwes verkündigt - seine
eigene Wirklichkeit schafft? Als ein Beispiel für die Problematik des
Steckschen Ansatzes, die Überlieferung aus der Zeitgeschichte heraus zu
erklären, mag sein Versuch dienen, die Rolle Isebels in 1-16 dadurch
zu begründen, daß Isebel nach Ahabs Tod das Amt der Königinmutter
inne gehabt habe. Ihre Protegierung des Baalismus in dieser Zeit habe
dazu geführt, daß man ihr die eigentliche Schuld für den Mord an
Naboth zuschreibt. Darin ist zunächst problematisch, ob dieses Bild von
Isebels Wirken historisch zutreffend ist; dies hat zuletzt Timm mit
Gründen in Zweifel gezogen35.
Aber selbst wenn man sich von Stecks Wahrscheinlichkeitsbeweis
überzeugen läßt, so ist damit die Rolle Isebels immer noch nicht zurei-
chend einsichtig gemacht: Inwiefern spiegelt sich in der Intrige gegen
Naboth, deren Ziel die Durchsetzung des königlichen Wunsches nach
Erweiterung des Palastareals mit allen Machtmitteln ist, eine Protegie-
rung des Baalismus und eine Verfolgung der Jahweverehrer? Wird bei
solcher Deutung nicht doch zuviel zwischen den Zeilen gelesen? An
diesem Punkt setzt denn auch Bohlen seine Kritik an Steck an36.
Bohlen, der die kleine Einheit l - 16 nach 721 im Südreich entstan-
den sieht, ist mit Steck aber darin einig, daß allein die politische Zeitge-
schichte der Schlüssel zum Verständnis des Textes ist. Allerdings sei die
wahre »zeitgeschichtliche Problemstellung Judas im 8./7. Jhd.«, um die
die kleine Einheit kreise, die »Unterwanderung des nahala-Roden-
rechtes«37. Der theologische Skopus des Textes sei »herbe Kritik an der
33
Würthwein, a.a.O., 387 (Hervorhebung von mir).
34
A. H. J. Gunneweg, Geschichte Israels bis Bar Kochba, 19845, 105.
35
Vgl. Timm, a.a.O., 288-303.
36
Bohlen, a.a.O., 354-359.
37
F.bd., 359.
38
Ebd., 387 (Sperrung getilgt).
39
Ebd., 387 (Sperrung getilgt).
40
So bes. Baltzer, a.a.O. (s. Anm. 11): »Naboth kann und darf nicht verkaufen. Er hat
keine freie Verfügung über den Weinberg, denn im rechtlichen Sinne ist er nicht
Eigentümer, sondern Besitzer des Weinberges. Gibt er die nVm auf, so gibt er damit
das Heil, die Gnade Jahwes auf für seine Kinder und Erben. Ein Verkauf wäre
rechtswidrig vor Gott und den Menschen.« (81)
41
Würthwein, a. a. O., 385.
42
Vgl. Seebass, a.a.O., 474-478 und zuletzt Würthwein, 383-385.
43
Bohlen, 345; ganz ähnlich deutet T. Veerkamp, Die Vernichtung des Baal. Auslegung
der Königsbücher (1.17-2.11), Reihe Lehrhaus Buch 2 1983, 106-119.
44
Seebass, a.a.O., 479.
45
Ebd., 480, bes. Anm. 1.
*· So sehr treffend Würthwein, 387.391.
47
Timm, a.a.O., 121, Anm. 47.
48
Die These von A. Alt, Der Stadtstaat Samaria, KS III, 258-302, Jesreel sei im
Zweivölkerstaat Israel die Hauptstadt des israelitischen Bevölkerungsteiles gewesen,
während Samaria die des kanaanäischen Bevölkerungsteiles gewesen sei, ist wiederholt
in Zweifel gezogen worden; vgl. zuletzt Timm, 142- 148.
49
A. H. J. Gunneweg, a. a. O., 73.
50
H. Donner, Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde, 1976, 30.
51
Zur wirtschaftlichen Bedeutung dieser Fruchtbarkeit für das heutige Israel vgl. Y.
Karmon, Israel, a regional geography, London 1971, 191-195.
52
Gegen Noth, Die Welt des Alten Testaments, 19624, 56, der annimmt, die Ebene habe
ihren Namen von der Stadt Jesreel her, deren Stadtflur erst nachträglich auf die ganze
Ebene ausgeweitet worden sei.
53
Vgl. H. W. Wolff, Hosea, BKAT XIV, 19763, 32.
54
Donner, a.a.O., 30f.; vgl. auch Karmon, a.a.O., 192f.
ganzen Hauses Ahab in Jesreel« (II Reg 10,12) durch Jehu. Übersieht man
die Hekatomben von Blut, die in Jesreel geflossen sind, dann wird man
sagen dürfen, die Verbindung von Jesreel mit Schlachtgemetzel, Blutvergie-
ßen, Mord und Totschlag ist die beherrschende im Alten Testament55. Von
daher ist auch Hos 1,4 zu verstehen: Hier haben wir es m. E. nicht mit
einem »Rätselwort«56 zu tun; vielmehr dürfte den Hörern, genau wie bei
den beiden anderen Symbolnamen HDm K1? und 57 X1? das Bedrohliche,
Beängstigende dieses Namens klar gewesen sein57. Ein weiterer Beleg für
die geradezu symbolische Kraft des Ortsnamens Jesreel ist IlSam 4,4; dort
wird die Körperbehinderung des Jonathan-Sohnes Mephiboscheth ( =
Merib-Baal) damit erklärt, daß die Amme auf die Nachricht vom Tode
Sauls und Jonathans hin mit dem fünfjährigen Mephiboscheth geflohen
sei, auf der Flucht aber das Kind so unglücklich habe fallen lassen, daß es
gelähmt war. Auffälligerweise wird die Todesbotschaft mit den Worten
»Kunde von Saul und Jonathan aus Jesreel« bezeichnet, obgleich der Tod
Sauls und Jonathans sich nach ISam 31,1.8 auf dem Gebirge Gilboa, die
Leichenschändung an ihnen in Beth-Schean (ISam 31,9 f.) ereignet hat. Die
Anziehungskraft des Blutortes Jesreel aber war offenbar so groß, daß man
diese Ereignisse an diesen Ort verlegt hat58.
Als Fazit der Konkordanzarbeit zu Jesreel halten wir also fest:
Jesreel ist im AT ein Ort, der aufgrund der blutigen Ereignisse, die sich
dort abgespielt haben, zu einem Symbol für Blutvergießen, Schlachten
und Brutalität geworden ist59.
Nach diesem Exkurs zurück zu I Reg 21,1 - 16 und der Frage, wieso
Jesreel hier so gehäuft begegnet. Wenn man prima vice davon ausgehen
will, daß sich in dieser Lokalisierung schlicht die Historie spiegelt, so
würde sich allein daraus doch nicht die ständig wiederholte Betonung
55
Ca. 75% der Stellen sind mit diesem Konnotat verbunden.
56
Wolff, a.a.O., 18.
57
Dieses negative Konnotat scheint aber mit der Zeit abgeblaßt zu sein. In IChr 4,3
scheint Jesreel ein ganz normaler Eigenname zu sein; vielleicht aber hat sich in diesem
Namen wieder die Tradition von Hos 2,2 durchgesetzt; M. Noth, Die israelitischen
Personennamen, 1928, 213 deutet ihn als Wunschnamen: »Gott möge fruchtbar
machen.«
58
Dieser auffällige Befund wird in den Kommentaren entweder nicht erwähnt oder mit
dem Hinweis »erklärt«, Jesreel habe am Fuß des Gebirges Gilboa gelegen.
59
Nach Apc 16,13 — 16 werden Teufelsgeister die Könige des ganzen Erdkreises nach
zur letzten Schlacht des großen Gottestages versammeln. Mit
dürfte die Jesreel-Ebene gemeint'sein, vgl. z. B. E. Lohse, Die Offenbarung des Johan-
nes, NTD 11, 1971, 92. Es sei angemerkt, daß auch in nachbiblischer Zeit noch
blutige Schlachten in der Jesreel-Ebene geschlagen wurden: die Kreuzritter gegen die
Muselmanen unter Saladin; die Franzosen 1799 unter Napoleon und 1918 die Engländer
unter Lord Allenby gegen die Türken, 1948/49 die Juden gegen die Araber (vgl.
Karmon, a.a.O., 193).
25 Zeitschr. f. alrtestamentl. Wiss., Band 98
(und seiner Söhne) geendet hat. Um dieses Ereignis haben sich zwei
Traditionen gebildet: die Novelle 1-16 und die Prophetengeschichte
17-20*.
Zunächst zu 17 — 20*: Im Laufe der wohl mündlichen Tradierung
ist folgendes zu beobachten:
a) Schon sehr früh — wohl noch zu Lebzeiten Ahabs — hat sich
an die Ermordung Naboths ein anonymes Prophetenwort geheftet, das
gerade Ahab einen schändlichen Tod für das Verbrechen an Naboth
voraussagt. Ob historisch Ahab wirklich der Alleinschuldige gewesen
ist, muß ungewiß bleiben. Jedenfalls wird er allein, als das Oberhaupt
des Königshauses, durch das Prophetenwort belangt.
b) Das anonyme Prophetenwort wächst Elia in den Mund 64 . Daß
dies Gerichtswort Jahwes in II Reg 9 namenlos ist, ist ein starkes Argu-
ment dafür, daß historisch Elia dem Ahab zumindest dieses Wort nicht
ausgerichtet hat65. Die nachträgliche Einführung Elias hängt vielmehr
mit der Vorstellung zusammen, daß gerade in diesem Propheten Jahwe
selbst zugänglich ist.
c) Das Geschehen wird von einem nicht näher bestimmten Dlpö
recht bald nach Samaria (bzw. in die Jesreelebene) verlegt66. Es lassen
sich also drei Überlieferungstendenzen beobachten: Zum einen die Kon-
zentrierung des Geschehens auf die Hauptpersonen der Zeit. Gerade
Ahab, der König, wird für das Verbrechen belangt, auch wenn - was
historisch wahrscheinlich ist — noch andere in die Gewalttat verwickelt
waren; gerade Elia hat die prophetische Drohung ausgesprochen, nicht
irgendein Anonymus. Zum anderen wird das Geschehen durch ein Pro-
phetenwort bewertet. Im Wort des Propheten meldet sich Jahwe, der
die Geschichte seines Volkes nicht ihren Eigengesetzlichkeiten überläßt,
sondern fordernd, richtend und strafend die Handlungen der Menschen
64
In diesem Punkt hat II Reg 9,26 gegenüber I Reg 21,19 die ältere Traditionsstufe
bewahrt, denn hier ist das Wort anonym geblieben.
65
Die überlieferungsgeschichtlichen Verhältnisse zwischen II Reg 9 und I Reg 21 sind
recht komplex (vgl. schon J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der
historischen Bücher des Alten Testaments, 19634, 281). J. M. Miller, The Fall of the
house of Ahab, VT XVII (1967), 307 - 324 glaubt, aus dem Vergleich beider Traditionen
den Schluß ableiten zu dürfen: »Naboth was not murdered during Ahab's reign, but
soon before the death of Ahab's son, Jehoram« (316 f.). »Only by accident has this
tradition come to be connected with Ahab« (315). - An dieser wie »eine phantastische
Konstruktion« (Steck, a.a.O., 52, Anm. 1) wirkenden Theorie ist sicher soviel Wahr-
heit, daß man nicht allzu großes Zutrauen in die historische Zuverlässigkeit der
Darstellung haben sollte. Ein Zusammentreffen von Elia mit Ahab in der Naboth-
Sache muß als historisch unwahrscheinlich gelten (vgl. zuletzt Timm, a.a.O., 128).
66
Analoge Prozesse lassen sich im Pentateuch häufig beobachten (vgl. M. Noth, Überliefe-
rungsgeschichte des Pentateuchs, 1948, passim, z.B. 70-77 o. 150-155).
begleitet. Daß dies eine erst dtr Eintragung ist67, kann für I Reg 21,17-
20* nicht nachgewiesen werden. Drittens wird das blutige Geschehen
an einen Ort verlegt, der von seinem symbolischen Konnotat her den
geeigneten Rahmen für ein Verbrechen abgibt. Bei dieser Verlegung des
Geschehens an einen markanten Ort kommt in II Reg 9 die Symbolkraft
von Jesreel zum Tragen. In I Reg 21,17 — 20* dagegen ist Samaria zum
Ort des Geschehens gemacht, sei es, weil man die Hauptpersonen auch in
der Hauptstadt agieren lassen wollte, oder sei es, weil man in polemischer
Absicht gerade die Hauptstadt der Omriden als mit Unrecht erbaut
brandmarken wollte. Lokalisation bedeutet Qualifikation.
Jetzt zur Naboth-Novelle. Hier hat das gleiche historische Gesche-
hen folgende Traditionsbildung aus sich herausgesetzt:
a) Die Verlegung des Geschehens an einen markanten Ort kommt
hier in aller Breite zum Tragen. Ganz nachdrücklich wird die Naboth-
affäre als eine Jesreel-Geschichte erzählt; hierbei spielt die symbolische
Bedeutungskraft von Jesreel als Blutort eine wesentliche Rolle.
Eine klassische Parallele zu solch einer nachdrücklichen Verlegung eines bestimmten
Ereignisses an einen bestimmten Ort ist Gen 11,1—9. Es ist sicher kein Zufall, daß der
gewaltige Turm gerade in Babel gebaut sein soll. Mögen sich auch dort historische
Reminiszenzen an die großartige Architektur der Stadt oder an ihre Tempeltürme verber-
gen68, so ist der Name Babel doch längst theologische Chiffre geworden. »Der Ort größter
menschlicher Prachtentfaltung, von dem alle Völker mit Staunen reden, trägt in seinem
Namen schon das Brandmal des Sündenortes«69. Babel, »dieser Ort als Zentrum und
Sinnbild gottfeindlicher Mächte«70 ist geradezu »Symbol der Sündhaftigkeit, des Hochmuts
und der Gottesferne«71.
67
Selbst R. Bickert, Die Geschichte und das Handeln Jahwes. Zur Eigenart einer deutero-
nomistischcn Offcnbarungsauffassung in den Samuelbüchern, in: Textgemäß, Fest-
schrift E. Würthwein, 1979, 9-27, der es als Charakteristikum gerade von DtrP
herausarbeiten möchte, mittels Prophetenauftritten die Geschichte als unter Jahwes
Urteil stehend zu offenbaren, gesteht zu, daß es ältere Vorformen für diese Anschauung
gibt. »DtrP findet in 2. Sam 12,1-12* einen willkommenen älteren Beleg für seine
eigene Überzeugung, daß die Geschichte unter bestimmten Umständen von Jahwe
seinem Urteil unterstellt wird.« (16)
68
So z.B. H. Ringgren, Art. Vaa, ThWAT I, (503-507) 504; doch wird diese Sicht seit
langem bestritten, vgl. z.B. C. Westermann, Genesis, BKAT I/l, 720f.: »Der Erzähler
hat bei Vilö wahrscheinlich an einen Festungsturm gedacht..., was es Ri 8,9 und 9,46 f.
bedeutet« (721).
69
W. Zimmerli, 1. Mose l -11. Die Urgeschichte, Zürcher BKAT 1.1, 19673, 406.
70
M. Lurker, Wörterbuch der biblischen Bilder und Symbole, 1973, 37.
71
Ebd., vgl. auch K. Galling/B. Altaner, Art. Babylon, RAG I, 1118-1134, bes. 1128 f.
ein Bote des Todes« (Prov 16,14). »Bitterer als der Tod ist die Frau, die
ein Fangnetz ist und Stricke ihr Herz und Fesseln ihre Hände.« (Koh
7,26) »Weiter sah ich unter der Sonne: an der Stätte der Rechtsprechung
war Gottlosigkeit, und an der Stätte der Gerechtigkeit war Frevel.« (Koh
3,16; vgl. auch 4,1; 5,7; 7,15)
Das historische Ereignis ist also in zweifacher Weise bearbeitet,
gedeutet, weitergedacht und durchreflektiert worden. Einmal in prophe-
tischem Sinne wird das Geschehen am Willen Jahwes gemessen und
entsprechend der Untat Strafe angedroht; zum ändern wird in einer
lebensweisheitlich-skeptischen Jesreel-Erzählung am Exempel des Falles
Naboths das Thema Macht »narrativ durchdacht«. Es liegt auf der
Hand, daß beide Erzählungen unterschiedlichem geistigen Milieu ent-
stammen: 17 - 20* offenbar einer Tradition, die am Wirken der Propheten
sehr interessiert ist, wahrscheinlich aus »Kreisen der mit Elisa verbunde-
nen Prophetengenossenschaft«76; 1 — 16 dagegen aus gebildeten, grund-
sätzlich und realistisch denkenden Kreisen, die mit dem Prophetismus
ursprünglich wohl nichts verband. Diese weisheitliche Herkunft erklärt
auch, wieso die Novelle nichts von Gott sagt, sondern mit herbem
Realismus, der zur Skepsis hinneigt, Grundmodelle menschlich allzu-
menschlichen Verhaltens in Konfrontation mit Macht erzählend »aufli-
stet«.
76
Steck, a. a. O., 146.
Drittens, indem die Schuld (und die Strafe) der Omriden ins Allge-
meine gesteigert (v. 24 - 26) und eingereiht wird in eine Kette von Schuld
(v. 21.22). Die historische Wirklichkeit wird fast übertrieben in ihrer
Gottlosigkeit angeprangert. Dadurch wird die Spannung von prophe-
tischem Anspruch und faktischem immer neuen Abfallen von Jahwe
bewußt gesteigert. Diese geradezu unerträgliche Unausgeglichenheit hat
im Rahmen der deuteronomistischen Geschichtstheologie die Funktion,
verständlich zu machen, wieso der Verlust der Eigenstaatlichkeit und das
Exil unvermeidlich kommen mußten. Überspitzt könnte man sagen, daß
das Exil geradezu eine »Erlösung« bedeutet, weil jetzt im Exil endlich
die Spannung von Glaube und Empirie aufgehoben ist. Das, was nach der
prophetischen Sicht der Wirklichkeit schon längst über die weisheitlich
erfaßte gottlose Wirklichkeit hätte kommen müssen, ist jetzt tatsächlich
eingetroffen. Ende der Eigenstaatlichkeit und Exil bedeuten die endliche
Lösung des theologischen Grundproblems der Übereinstimmung von
Glauben und Erfahrung (das auch der Fall Naboth aufwirft). Vielleicht
ist das ein Grund, warum die Königsbücher mit dem Exil enden können,
ja müssen.
Es zeigt sich also, daß die Zusätze in I Reg 21,20*-29 die in l -
20* angelegten theologischen Probleme verstanden haben und in je
verschiedener Weise aufgreifen und lösen. Damit wird zum Schluß als
Hauptergebnis unserer Analyse deutlich: Das Movens der Überlieferungs-
geschichte von l Reg 21 ist nicht primär die Zeitgeschichte, sondern die
theologische Frage nach Gott in der Geschichte. Trotz oder gerade wegen
mancher »fiktiven« Elemente erweist sich I Reg 21 ebenso wie andere
Erzählungen aus dem Elia-Elisa-Zyklus - etwa die von Elia am Horeb
oder die Naeman-Geschichte — als erstaunlich durchreflektierte, kunst-
und geistvolle narrative Theologie77.
77
Vgl. M. Oeming, Bedeutung und Funktionen von »Fiktionen« in der alttestamentlichen
Geschichtsschreibung, EvTh 44 (1984), 254-266.