Ein steiler Höhenflug – und dann der Fall. Kryptowährungen stürzen
derzeit beispiellos ab. Das birgt auch Gefahren für das traditionelle Finanzsystem.
16. Mai 2022, 7:52 Uhr
Wer schützt uns vor den Kryptospekulanten? – Seite 1
Kryptowährungen haben ihren bisher brutalsten Absturz erlebt, seit diese digitalen Finanzinstrumente vor rund 14 Jahren erfunden wurden. Die Investoren flohen und vernichteten dabei allein zwischen dem vergangenen Montag und Freitag rund 300 Milliarden Dollar. Seit dem Allzeithoch im November hat Bitcoin, die wohl bekannteste Kryptowährung, 60 Prozent verloren. Für Kryptoskeptiker ist es sicher ein Moment der Schadenfreude. Aber das verkennt, dass die Risiken der Kryptos inzwischen auch zunehmend Gefahren für das traditionelle Finanzsystem darstellen. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben das endgültig deutlich gemacht. Im Zentrum des Debakels befinden sich ausgerechnet sogenannte Stablecoins, so benannt, weil sie sichere Häfen im volatilen Kryptomarkt bieten sollten. Stablecoins garantieren einen bestimmten Wert, manche binden ihn an Gold oder Silber. Aber am gängigsten sind Stablecoins, die ihren Wert an den US-Dollar binden. Was haben sie für einen Vorteil? Diese digitalen Währungen wirken als eine Art sicherer Hafen für den ansonsten oft stürmischen Markt der Coins. Viele Anleger tauschen ihre Bitcoin lieber in Stablecoin mit garantiertem Wert um statt in tatsächliche Dollar, um diese beispielsweise zu halten oder später in eine andere Kryptowährung wie Ethereum umzutauschen. Ganz Überzeugte wollen damit möglichst vollkommen in ihrer Kryptowelt bleiben, ohne etwa ein klassisches Bankkonto oder Depot in Anspruch zu nehmen. Für Profis dürfte es aber nicht zuletzt daran liegen, dass ihre spekulativen Transaktionen damit ohne steuerliche Konsequenzen bleiben – anders, wenn sie etwaige Gewinne in Dollar realisieren. Gary Gensler, der Chef der US-Börsenaufsicht SEC, verglich die Stablecoins einmal mit Chips in einem Casino. Spieler tauschten zunächst ihre Dollar in Chips um, die sie dann am Spieltisch einsetzen. Wenn sie am Ende des Abends ihre Gewinne realisieren wollten, erwarteten sie, dass der Cashier des Hauses ihnen für die Chips wieder entsprechend Dollar ausbezahlt.
Stabilisierender Mechanismus versagt komplett
Genau diese Erwartung sahen die Investoren in einige prominente Stablecoins zuletzt herb enttäuscht. TerraUSD etwa versprach Anlegern, dass diese stets einen Coin gegen einen US-Dollar eintauschen können würden. Doch vergangene Woche sackte der Wert eines TerraUSD zeitweise auf 23 Cent. Versagt hatte der Mechanismus, der den Wert der digitalen nahe an der US-Währung halten sollte. Um den Kurs stabil zu halten, hatten sich Terra-Erfinder Do Kwon und sein Entwicklerteam ein komplexes Zusammenspiel mit einer Schwesterwährung namens Luna ausgedacht. Grob gesagt sollten Anleger ihre TerraUSD in Luna verwandeln, wann immer der Terra-Kurs unter den Dollarkurs fallen sollte. So würde das Angebot an Terra sinken und der Kurs wieder steigen. Schaffte es der Terra-Kurs über einen US-Dollar, sollten die Anleger wiederum Luna in Terra umwandeln, um so das Terra- Angebot zu erhöhen und den Preis wieder auf einen US-Dollar sinken zu lassen. Das ausgeklügelte System funktioniert allerdings nur reibungslos, wenn Anleger tatsächlich Luna haben wollen. Doch wie das Wall Street Journal anmerkte, stießen sie stattdessen Luna geradezu panisch ab. Und rissen die Schwesterwährung TerraUSD, die sie eigentlich stabilisieren sollten, gleich mit. Kwon galt – wie viele Techentrepreneure und etwa auch Kryptofan und Stanford- Absolvent Peter Thiel – als eine der selbstbewusstesten Figuren in der Branche. Seine Anhänger nannten sich lunatics. Im vergangenen Juli kritisierte die britische Ökonomin Frances Coppola auf Twitter Kwons Mechanismus für die Dollarbindung und warnte, dieser sei anfällig für eine Stampede durch Anleger. Darauf antwortete Kwon, er diskutiere nicht mit armen Menschen und er habe gerade kein Kleingeld, was er ihr spenden könne. Arm werden konnten allerdings auch seine lunatics: Der Wert von Terra sackte vergangenen Mittwoch um 80 Prozent und von den 20 Milliarden Dollar, die sie in Luna gesteckt hatten, blieb fast nichts mehr übrig.
Debakel der Stablecoins blieb nicht auf TerraUSD
beschränkt Ausgelöst hatte den Absturz offenbar eine weitere Kryptoinitiative namens Anchor aus dem Umfeld Kwons. Über diese Plattform konnten TerraUSD-Eigner ihre Coins an andere Anleger verleihen. Bis zu 20 Prozent Rendite versprach Anchor und lockte damit viele Anleger an, die sich Terra-Coins anschafften. Einigen Investoren wurde das in dem unruhigen Börsenumfeld offenbar zu heiß. Jedenfalls zogen sie ihr Geld ab, was wiederum weitere Anleger nervös machte, die ihrerseits ausstiegen. Durch diese Panikverkäufe wurden auch andere Kryptowährungen wie Bitcoin heruntergezogen. Zu der Kettenreaktion kam es zum Teil, weil Anleger allgemein das Kryptorisiko plötzlich höher einschätzten. Zum Teil mussten sie mit dem Verkaufserlös Verluste anderswo decken. Fest steht: Solche Kettenreaktionen können schnell auf das traditionelle Finanzsystem überspringen.
Tether bleibt intransparent
Das Debakel der Stablecoins blieb nicht auf TerraUSD beschränkt. Rivale Tether galt gegenüber Kwons Erfindung als geradezu etabliert. Auch Tether versprach seinen Investoren eine feste Bindung an den Dollar. Um dieses Versprechen jederzeit einhalten zu können, habe man eine Reserve aus sicheren und liquiden Wertpapieren angeschafft, hatte der Herausgeber versichert. Wenn also ein Anleger Tether-Coins gegen Dollar eintauschen wollte, konnte der Herausgeber diese durch den Verkauf der Wertpapiere beschaffen. Entscheidend dabei ist allerdings, dass der Stablecoin-Herausgeber über genügend Wertpapiere verfügt. Wie es damit bei Tether aussieht, ist nicht sehr transparent. Nachdem Tether vergangene Woche ebenfalls entgegen seinem Versprechen auf 95 Cent gesackt war, versicherte Paolo Ardoino, Tethers Technologiechef, man werde für die Dollarbindung kämpfen. Gegenüber der Financial Times erklärte Ardoino, Tether verfüge über "eine Tonne" an US-Staatspapieren. Er weigerte sich jedoch, ins Detail zu gehen. Das sei ja das Geheimrezept des Stablecoins. Dabei hatten Ardoino und seine Kollegen eigentlich mehr Einblick versprochen. Allerdings nicht ganz freiwillig: Die Zusage, für mehr Transparenz zu sorgen, war Teil eines Vergleichs mit der New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James im Februar 2021. Bei ihrer Untersuchung stellten ihre Ermittler fest, dass Tether keineswegs immer über genügend Reserven verfügt hatte, um einen Umtausch von einem Tether in einen Dollar garantieren zu können. Stablecoins, die wie Tether auf einer Reserve von Staatspapieren und kurzfristigen Kreditpapieren basieren, bergen jedoch nicht nur Risiken für ihre eigenen Anleger, sondern auch für den Rest des Finanzsystems. Etwa, wenn sie gezwungen sein sollten, diese Kreditpapiere schnell und massiv auf den Markt zu werfen, was Schockwellen in diese Märkte tragen kann. Über diese Kreditpapiere finanzieren sich unter anderem auch Geldmarktfonds, deren Schieflage nach der Lehman-Brothers- Pleite zur Ausbreitung der Finanzkrise geführt hatte. Finanzministerin Janet Yellen warnte vor diesen Gefahren und forderte vom US- Kongress vergangene Woche Regeln für die nahezu unregulierten Stablecoins. Das ist allerdings ein starkes Stück. Schließlich wäre Yellen zuvor als Chefin der US- Notenbank eigentlich in der Lage gewesen, für eine straffere Aufsicht der Kryptos zu sorgen. So wiederholt sich im schlimmsten Fall ein Muster, das die Wall Street schon oft durchgespielt hat: Neue lukrative Finanzinstrumente werden ohne Rücksicht auf die Risiken ausgereizt, bis der Absturz kommt. Die Folgen – wie etwa 2008 – darf dann auch die Allgemeinheit tragen.
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