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access to Philosophische Rundschau
logie der Welt zur irreduziblen Hypothese für die Möglichkeit der D
seinsfristung : wenn Naturerkenntnis als Bedingung der Möglichk
menschlichen Daseins ausgewiesen ist, dann müssen die Bedingunge
der Möglichkeit von Natur erkenntnis als gegeben vorausgesetzt werden.
Walter Burley kritisiert z. B. Ockhams Bestreitung der Realität der B
wegung mit dem folgenden Argument: negare motum esse est destru
scientiam naturalem (V, 46 f.).
Das kann doch in diesem Zusammenhang als kritisches Prinzip nu
heißen: die Metaphysik darf die Physik nicht unmöglich machen. D
wirft Licht auf die drängende Gewaltsamkeit, mit der im späten Mittel-
alter die Physik beginnt, nicht nur sich von der Metaphysik freizumach
sondern sich ihrerseits an die Stelle der Metaphysik zu setzen und damit
das Problem der kritischen Sicherung ihrer eigenen Voraussetzungen auf
zuheben. Naturerkenntnis erwies sich ständig selbst in ihrer Möglichkeit
durch ihre Wirklichkeit. Man kann die technische Manifestation des Er-
trages der neuzeitlichen Naturwissenschaft zu verstehen suchen aus dem
hier in seinen Motiven angezeigten immensen Verifikationsbedürfnis des
metaphisch entbundenen theoretischen Anspruches. Die Geschichte, die
mit der im Werk von Anneliese Maier durchsichtig werdenden Vorberei-
tung der Neuzeit beginnt, ist durchwaltet von dem sie innervierenden
Akt der Selbstbehauptung.
Hans Blumenberg ( Gießen )
Einleitung
Der im 8. Band der „Husserliana" veröffentlichte Zweite Teil von
Husserls Vorlesungen über „Erste Philosophie" von 1923/24 1 hat einen
1 Husserliana , E. H. Ges. Werke, hersg. v. Rudolf Boehm , Bd. VIII, Haag (Nij-
hat dieses Werk also eine ähnliche Bedeutung, wie Hegels „Phänom
logie des Geistes" in der Entwicklung seines Systems, und die Geschich
seiner Entstehung als die Geschichte einer immer weiter getriebenen I
provisation ist auch mit der Entstehungsgeschichte der Hegeischen Phä
menologie vergleichbar. Freilich, Hegel hat seine „Phänomenologie"
öffentlicht und damit selbst autorisiert, Husserl dagegen hat schlie
nach intensiven Bemühungen in den auf diese Vorlesung folgenden
ren diesen Entwurf als nicht vollendet und überhaupt nicht vollendbar
gengelassen. So ist die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Textes d
Geschichte eines Scheiterns. Wäre es aber bloß das Scheitern eines neuen
Versuchs der Einleitung in die Phänomenologie, dann müßte man das
Unternehmen, einen solchen Text zu veröffentlichen, als höchst fragwür-
dig ansehen. Aber dieses Scheitern ist - was weder Husserl selbst noch
den damaligen Hörern seiner Vorlesung sogleich klar werden konnte -
mehr als das zufällige persönliche Mißgeschick eines Autors- Es ist nicht
das Zeichen einer versagenden systematischen Gestaltungskraft; vielmehr
in keiner anderen seiner Schriften hat sich Husserls Radikalismus des im-
mer wieder neuen „voraussetzungslosen" Anfangens und Infragestellens
alles bisher Erreichten so sichtbar betätigt, in keiner hat er sich so sehr
der „Gewalt des Absoluten" (Hegel) ausgesetzt, so daß sich hier in beson-
derem Maße der Grundzug seines Denkens zeigt, das nicht auf ein Be-
herrschenwollen im System gerichtet ist, sondern in der restlosen Preis-
gabe an die „Sache" weiterschreitet. Erst der Rückblick aus der nunmehr
gewonnenen geschichtlichen Distanz läßt es verstehen, daß sich in diesem
Text ein Abschied von maßgeblichen Traditionen des neuzeitlichen Den-
kens und der Aufbruch auf einen neuen Boden denkender Besinnung voll-
zieht. Es ist ein widerwilliger Abschied, indem Husserl diese Tradition
vollenden und erfüllen wollte, ohne daß es ihm sogleich bewußt wurde,
wie sehr er sie bei diesem Versuche sprengte. So ist er das bewegende Do-
kument einer unerhörten Anstrengung, mit den Mitteln der terminologi-
schen Sprache der neuzeitlichen Tradition des Denkens einen Gehalt aus-
zudrücken, der sich ihť und ihren Alternativen und Perspektiven bereits
entzieht.
Zunächst ist nach der Leitidee des Werkes zu fragen, die mit dem Titel
bezeichnet sein soll. In einer schon etwas früher niedergeschriebenen Ab-
handlung (etwa 1921, vgl. S. 249) spricht Husserl von der Ersten Philo-
sophie als der „ Wissenschaft von der Methode überhaupt , von der Erkennt-
nis überhaupt und möglichen Erkenntniszielen überhaupt, d. i. möglichen
Erkenntnissen überhaupt, in der sich alle apriorischen Wissenschaften,
welche das Kontingente jeder Art (auch das materiale und kontingente
Apriori) ausgeschaltet haben, als entfaltete Verzweigungen ergeben. Über
allen Wissenschaften steht eine Mathesis univers alissima ... als eine Ma-
thematik von Erkenntnisleistungen . . . . Diese höchste von absoluter Ver-
ständlichkeit durchleuchtete Logik . . . bewegt sich in ausgezeichneten Ge-
staltungen der reinen Subjektivität und fordert das Studium der vollen
reinen Subjektivität . . Das ist also nichts anderes als die Idee der phä-
nomenologischen Transzendentalphilosophie, wie sie bereits in den „Ideen"
gefordert wurde als die „erste aller Philosophien" (III, 8) in der Gestalt
einer Grundwissenschaft von der transzendentalen Subjektivität und ihren
konstituierenden Leistungen. Sie ist im Gegensatz zu allem konstituierten
Sein eine „Region" absoluten Seins, weil alles, wovon wir überhaupt als
Seiendem sprechen können, Sein für Bewußtsein ist und sich das Recht
«einer Setzung als seiend im Bewußtsein ausweisen lassen muß.
Nach der Vorlesung von 1923/24 dagegen soll die Erste Philosophie
nicht nur die Aufgabe der systematischen Darstellung dieser Idee haben,
sondern sie soll die Meditationen und Vormeditationen über den Weg zu
ihr und über den absoluten Anfang dieses Weges als gleichfalls zu ihrem
Systemgehalt gehörig in sich schließen (S. 5). Die Erste Philosophie ist
also sich selbst von einem absoluten Anfang her absolut begründende uni-
versale Wissenschaft. Sie ist diejenige, „die ,an sich', das ist aus inneren
Wesensgründen die erste ist" (VII, 4). „Der Name , Erste Philosophie4
würde dann hindeuten auf eine wissenschaftliche Disziplin des Anfangs."
„Der Anfang der Ersten Philosophie selbst wäre danach der Anfang aller
Philosophie überhaupt" (VII, 5). Als solche Erste Philosophie ist sie eine
sich in jedem ihrer Denkschritte selbst absolut rechtfertigende . Husserl
weist hierbei immer wieder auf das Beispielhafte der Cartesianischen
Suche nach dem fundamentum absolutum et inconcussum hin, das in der
undurchstreichbaren Evidenz des Ego cogito zu finden ist. Es ist also die
Idee einer ersten Wissenschaft, die von einer standhaltenden und undurch-
streichbaren, in diesem Sinne apodiktischen Evidenz ausgeht und jeden
weiteren ihrer Schritte in gleicher Weise auf diese aufbaut und von ihr
herleitet und rechtfertigt. Sie soll das, was Descartes in seinem Ansatz
erstrebte, aber in der Durchführung verfehlte, verwirklichen, indem sie
■die phänomenologische Reduktion auf das transzendentale Ego als die
Dimension letzter und absoluter Begründung vollzieht.
Schon die Einführung dieser Leitidee in den ersten drei Vorlesungen
(S. 3-23) läßt den Weg erkennen, den Husserl seit der Darstellung und
Einführung der phänomenologischen Reduktion in den „Ideen" zurück-
gelegt hat. Sie war dort nach der Auf Weisung der „Generalthesis der
natürlichen Einstellung", des all unser Denken und Tun schon immer
tragenden Weltglaubens, als „Sache unserer vollkommenen Freiheit"
(III, 65) eingeführt worden, als Ergebnis eines freien Entschlusses, dess
Notwendigkeit nicht weiter begründet wird. Der Übergang zur Re
tion erfolgt nach der Darstellung der natürlichen Einstellung einfach
•den Worten „anstatt nun in dieser Einstellung zu bleiben, wollen wir
radikal ändern" (S. 63). Nunmehr aber soll diese „Naivität" mit Me
tionen über die Motivationslage des „anfangenden Philosophen" ü
wunden werden. Aus ihr heraus muß die Begründung der Notwendi
dieses Schrittes erfolgen. So konkretisiert sich das Cartesianische Prinz
des Ausgangs vom „Ich bin" zum „ich als anfangender Philosoph".
Der Philosoph „bedarf notwendig eines eigenen, ihn als Philosophen überh
und ursprünglich schaffenden Entschlusses, sozusagen einer Urstiftung, d
sprüngliche Selbstschöpfung ist. Niemand kann in die Philosophie hineingera
(S. 19). Dieser Entschluß zur phänomenologischen Reduktion auf die Dime
absoluter und letzter Begründung bedeutet „radikale Weltentsagung" als den
wendigen Weg „die letztwahre Wirklichkeit zu erschauen und damit, ein
wahres Leben zu leben" (S. 166).
Ist also im natürlichen Weltleben kein Vorbild für den Entschluß des
„anfangenden Philosophen" zu finden, so ist doch seine Möglichkeit schon
in ihm angelegt, wenn auch noch keineswegs ergriffen, nämlich v„in der
Motivation des Wissenschaftlers überhaupt", und das heißt in der Tat-
sache des Erkenntnisstrebens überhaupt. Denn es zielt seinem Wesen nach
auf standhaltende Wahrheit und damit nicht nur auf Erkenntnis, son-
dern auf begründete Erkenntnis 3, so daß dieses Streben schon die Tendenz
8 Vgl. die Beilage über „Das Prinzip vom zureichenden Grunde für jede wissen-
schaftliche Erkenntnis", S. 329 ff.
„Die Selbstverantwortung des Einzelnen, der sich als Glied und Funktionär der
Gemeinschaft weiß, umschließt auch die Verantwortung für diese Art praktischen
Lebens und beschließt somit eine Verantwortung für die Gemeinschaft" (S. 197 f;).
Aber solche unmittelbare Gewißheit kann keine andere sein als die der
Erfahrung . Daher heißt es weiter, daß die Prüfung „auf die transzenden-
tale Subjektivität als einzigen Bestand an apodiktischen Unmittelbarkei-
ten, an absolut unbezweifelbaren Erfahrungsgegebenheiten44 führt (S. 41).
Dieser Gedanke wird weitergeführt in einer ungefähr gleichzeitigen Re-
flexion : alle Erfahrung geht letzten Endes zurück auf Anschauung, denn
Anschauung allein ist ja das Bewußtsein dieser gesuchten Unmittelbar-
keit: „ absolute Rechtfertigung setzt also absolute Anschauung voraus "
(S. 367). Die phänomenologische Reduktion auf das transzendentale Ego=
eröffnet daher „die Möglichkeit einer absoluten Erfahrung und Erfah-
rungswissenschaft44 (S. 362), und es ist die Frage, „wo solche unmittel-
baren Anschauungen, also absolute Erfahrungen44 zu finden sind.
„Gibt es absolute Erschauungen, so müssen sie so geartet sein, daß ich, während
ich sie ursprünglich im Vollzuge habe oder noch habe, mir schlechthin nicht vor-
stellen kann4, daß das Erfahrene nicht sei oder zweifelhaft sei oder nur möglich
sei" (S. 368).
der Subjektivität. Nicht mehr gehen also die Möglichkeiten der Wirklic
keit voran, vielmehr dienen alle Möglichkeitserwägungen nur der A
hellung der Faktizität der transzendentalen Erfahrung (vgl. VII, 258
„daß überhaupt ein reales und ideales Sein, das die totale transzenden
Subjektivität überschreitet, ein Widersinn ist und als das einzusehen ist
(S. 482). Aus diesem Grunde kritisiert Husserl an Kant, daß er die L
und die logischen Evidenzen unbefragt hingenommen und vorauges
hätte, und geht er später in der „Formalen und transzendentalen Lo
daran, die Frage nach ihrem Ursprung aus Leistungen der Subjektiv
ans Ende zu führen. Von daher ist es auch zu verstehen, daß Husserl
seinen historischen Betrachtungen Hume mit seiner Ursprungsfrag
Vorläufer der Phänomenologie geradezu höher stellt als Kant.
Es würde den Rahmen dieser Abhandlung überschreiten, wenn ausgeführt w
den sollte, was sich daraus für die Auflösung der von Wagner und Henrich erö
ten Schwierigkeiten im Begriff einer Dimension letzter Begründung ergibt6,
nicht eine Dimension vorgängiger apriorischer Geltung, sondern eine solche ab
ter Erfahrung sein soll. Es ist hier nur darauf hinzuweisen, daß hierdurch
Frage nach dem Sinne des „vor" des Apriori eine neue Gestalt gewinnt (vgl
358, 363).
Faßt man all dies ins Auge, dann wird verständlich, inwiefern in die-
sen Aporien hinsichtlich der Apodiktizität nicht nur der Cartesianische
Weg selbst sich als unzulänglich erweist, sondern auch alle Weiterbil-
dungen der Frage nach den letztbegründenden Prinzipien von der Pro-
blematik der „eingeborenen Ideen" zu den „synthetischen Urteilen
a priori" hin und wie damit der Spielraum dieser Problematik in der
Philosophie der Neuzeit überschritten wird. Daher erhält das Problem
des Weges oder der Wege in die Dimension letzter Begründung von dieser
Vorlesung ab diejenige zentrale Bedeutung für Husserl, auf Grund deren
er ihm in den folgenden Jahren immer wieder neue Besinnungen widmet,
von denen das in den „Beilagen" Abgedruckte nur einen kleinen Aus-
schnitt darstellt; dieses Problem des Weges ist also nicht ein bloßes Pro-
blem der Darstellung und der richtigen didaktischen Einführung in die
Phänomenologie, sondern es gehört, wie schon oben vermerkt, zu ihrem
„Systemgehalt" selbst. Das gilt freilich nur solange, als die Voraussetzung
festgehalten wird, daß es einen absoluten, apodiktisch begründbaren An-
fang gebe, der, als standhaltende Wahrheit einmal gefunden, „ein für
allemal" feststehen muß. Wenn auch diese Voraussetzung für Husserl
selbst in dieser Vorlesung und in der Kette sich anschließender Reflexio-
nen bereits problematisch zu werden beginnt, so bleibt sie doch als bewe-
II
Es ist nicht möglich, hier das Problem der Unterscheidung der verschie-
denen Wege in die Phänomenologie und ihres Verhältnisses zueinander
an Hand der Texte des Bandes eingehender zu erörtern7. Es sei vielmehr
nur verdeutlicht, welches Problem als treibendes Moment hinter dieser
Frage nach den Wegen steht. Auf diesen Wegen soll die transzendentale
Subjektivität als das „Feld" absoluter transzendentaler Erfahrung er-
schlossen werden, und es soll damit eine dreifache Frage beantwortet
werden :
und dann speziell im 1. und 2. Kapitel des II. Abschnitts der Vorles
(S. 37-64) behandelt und dieser Begriff von Erfahrung von dem übliche
und nächstliegenden abgehoben. Diesem letzteren Begriff von Erfahrun
gemäß ist Erfahrung immer verstanden als Erfahrung von Seiendem
der Welt und von der Welt selbst als dem All des Erfahrbaren. Aber eine
solche Erfahrung kann dem Maßstabe der Apodiktizität nicht standhalten ;
sie ist immer präsumptiv, sich im weiteren Verlauf korrigierend, bereits
vermeintlich Erfahrenes als Schein entlarvend und negierend, ja es besteht
überhaupt keine apodiktische Gewißheit, daß sie als Welterfahrung über-
haupt kontinuierlich weitergeht, daß nicht an Stelle solchen kontinuier-
lichen Fortgangs sich das kontinuierliche Erfahrungsbewußtsein mit allen
seinen Präsumptionen, Korrekturen und Negationen in ein „Gewühl von
Empfindungen" auflöst (S. 49). Beruht diese Erfahrung auf der „ General -
thesis der natürlichen Einstellung" (Ideen I. Teil, III, 62), und das sagt
auf dem Glauben an das durchgängige Sein der erfahrenen Welt, so ist
dieser Glaube also nicht von der Art, daß er einer apodiktischen Recht-
fertigung und Begründung fähig wäre. Der Glaube, daß die erfahrene
Welt ist , schließt also in sich keine apodiktische Gewißheit, die zum Aus-
gang eines absoluten Begründungsweges genommen werden kann. Die
Welterfahrung ist nicht der gesuchte Boden absoluter Erfahrung. Der
Glaube an das Sein der Welt darf daher nicht mitvollzogen werden, son-
dern muß in den absoluten Umsturz aller bis dahin geltenden Überzeu-
gungen einbezogen werden (S. 68). Ihr wahres Sein ist nichts anderes als
die Idee eines harmonisch weiter verlaufenden und sich nicht auflösenden
Wahrnehmungsverlaufes (S. 52). Das Sein der Welt ist kontingent und
daher nicht als Notwendigkeit zu begründen. Der Weltglaube ist daher
das „universale Vorurteil der Positivität" (S. 461) und „Welt" nichts an-
deres als der Titel für Faktizität, deren Fragen zur Metaphysik aber nicht
zur anfangenden absoluten Wissenschaft gehören.
Welcher Art ist dann eine Erfahrung, die der Forderung der Absolut -
heit entspricht? Es kann keine andere Erfahrung sein als die reflektive
Selbsterfahrung des „ ich bin". Der Satz „ich bin" ist „das wahre Prinzip
aller Prinzipien" (S. 42). Daher geht dieser „erste" Weg zur gesuchten
Dimension absoluter Erfahrung über die „Kritik der mundanen Erfah-
rung" (Titel des II. Abschnitts). Er bedeutet den Versuch, den Cartesiani -
schen Ansatz ohne Descartes' metaphysische Substruktionen weiterzuden-
ken, und wird daher auch der Cartesianische Weg genannt.
ad 2) Wie ist das Subjekt dieser Erfahrung des Näheren zu bestimmen?
Es ist nicht ein Ich überhaupt, wie es zu allen denkenden Subjekten ge-
hört; denn die Rede von anderen denkenden Subjekten setzt bereits das
Sein der Welt voraus, das ja in den absoluten Umsturz einbezogen werden
10*
„Konkret voll genommen, bin ich beseelter Leib, psychophysische Realität, zur
Welt, dem All der Realitäten gehörig. Ich bin ein Objekt meiner mundanen Er-
fahrung unter anderen. Muß ich davon nicht scheiden dasjenige Ich, das hierbei
Subjekt der Erfahrung ist, das Ichsubjekt für das Ichobjekt? Genauer überlegt: ich,
der ich ein kontinuierliches Welterfahren vollziehend durchlebe, finde diese mannig-
faltig-einheitliche Welt vor und bin so als allvorfindendes Subjekt eben das Subjekt
8 Eine erste Darstellung der Reduktion der „Intersubjektivität" hat Husserl be-
reits in einer Vorlesung von 1910 gegeben, in den „Ideen" wurde sie nicht behandelt,
und die umfassende Darstellung folgt dann erst in den „Cartesianischen Medita-
tionen" von 1930.
für alle Objekte, für das Weltall. Als diesem eingeordnet finde ich auch mich sel
vor, das ist mich als Objekt, dieses menschliche Ich mit all seinem Seelenleb
(S. 71).
Freilich ist diese Äquivokation der Ichrede keine zufällige, sondern hat
ihren Grund darin, „daß ich, das Subjekt der Erfahrung, mit dem im Men-
schen objektiv gewordenen Ich identisch" bin (aaO). Ich kann also jeder-
zeit von der „reflektiven Erfahrung des Subjekt -Ich zur objektiv munda-
nen Erfahrung des Menschen -Ich zurückkehren" (S. 72). Indem ich eine
höhere, evtl. apodiktische Gewißheit für dieses Subjekt-Ich beanspruche,
habe ich also keineswegs verstecktermaßen das Sein der Welt vorausgesetzt
und damit einen Zirkel begangen, sondern wenn die geschaffene Welt, das
Objekt meiner Erfahrung, vernichtet wird, so bin darum nicht ich, das reine
Ich ihrer Erfahrung, und ist nicht dieses Erfahren selbst vernichtet" (S. 73)-
„Die Erkenntniskontingenz, welche die Welt vermöge des Wesens meiner
mundanen Erfahrung hat, und alles, was aus dieser Kontingenz sich ergibt,
betrifft nicht mein Ich in seiner Reinheit und mein Ich -leben in seiner
Reinheit" (S. 74). So hat die Kritik der mundanen Erfahrung die Funk-
tion, „die mir vordem verborgene transzendentale Subjektivität und ihr
transzendentales Leben erschaubar machen", „als eine von der Welt rein
abtrennbare Seinssphäre - und doch in keinem natürlichen Sinne getrennt,
als ob es sich um gesondert existierende Seinsreiche handelte. Das trans-
zendentale Sein ist in sich völlig abgeschlossen, und doch, gemäß dem eige-
nen Sinn der mundanen Erfahrung, also einer im transzendentalen Ich
sich vollziehenden Leistung, erfahrbar als Beseelung eines Leibes (S. 76 f.).
Diese Methode führt also zu der Erkenntnis, „daß ich in meiner letzten
und wahren Wirklichkeit ein absolut geschlossenes Eigenleben lebe, das
ein Leben ist in beständigem objektivierendem Leisten, ein Leben, das
mundane Erfahrungen bildend, in sich eine objektive Welt als sein Phä-
nomen bildet, also als Phänomen in dieser letzten Subjektivität (S. 78).
Damit ist zunächst das gesuchte Subjekt absoluter Erfahrung bestimmt,
und eine weitere Einsicht in den eigentümlichen Charakter seiner Erfah-
rung gewonnen. Sie ist eine reflektive Erfahrung, aber als solche von der
„ inneren Erfahrung" der Tradition grundsätzlich unterschieden. Denn, so
betont Husserl immer wieder, diese hätte das erfahrende Subjekt mit dem
Menschen-Ich gleichsetzt, mit dem Ich des Menschen in der Welt, und da-
mit die ganzen erkenntnistheoretischen Aporien heraufbeschworen, die das
Denken der Neuzeit beherrschen. Vielmehr ist diese reflektive Selbsterfah-
rung des transzendentalen Ich, des „Ur-Ich", von der psychologischen
reflektiven Erfahrung grundsätzlich zu unterscheiden, die niemals den
Charakter einer mundanen Erfahrung ablegt (S- 79). Das ist aber keines-
wegs ein Einwand, der sich nur auf die spezielle psychologische Analyse
und Theorie des Bewußtseins und insbesondere auf die erst im 19. Jahr-
hundert verselbständigte und von der Philosophie losgetrennte Psycholo-
gie bezieht. Vielmehr erstreckt er sich auf die gesamte neuzeitliche Pro-
blematik des Bewußtseins und nicht nur die Bewußtseins - und Seelenlehre,
sondern auf jede Fragerichtung nach dem Wesen des Menschen , die den
Menschen oder „ die Menschheit" zum Prinzip letzter Begründung erheben
will 9. Er richtet sich also, richtig verstanden, gegen jene ganze, mit Feuer-
bach einsetzende Bewegung des Anthropologismus , die das Denken der
späten Moderne in einem Maße beherrscht, das noch längst nicht durch-
schaut ist. Auch Kant hätte sich von diesem „Anthropologismus" nicht
freigemacht (vgl. VII, 354 ff., 357 ff.) und seine Transzendentalphiloso-
phie wäre nichts anderes als eine transzendentale Psychologie (VII, 401)-
Eine Auseinandersetzung mit den auf den ersten Blick als verwandt er-
scheinenden Unterscheidungen in den Systemen des Deutschen Idealismus
fehlt bei Husserl freilich 10. Schon diese Hinweise machen deutlich, daß die
Unterscheidung zwischen psychologischer und phänomenologischer Re-
flexion und Analyse des Bewußtseins, die von vielen Phänomenologen als
befremdlich, ja als überflüssig angesehen wurde, für das Verständnis der
Phänomenologie Husserls eine zentrale Bedeutung hat. Daher hat er ihr
auch in den dieser Vorlesung folgenden Jahren unablässige Bemühungen
gewidmet 11 .
Fürs erste ist nur darauf hinzuweisen, daß die Schwierigkeiten dieser Unter-
scheidung sich bereits in der von Husserl immer wieder betonten Tatsache zeigen,
daß rein psychologische Analyse und Deskription - wenn sie keine Theorien über
den psychophysischen Zusammenhang zugrunde legt, sondern sich an das Bewußte
hält, so wie es wirklich Bewußtes ist - in der Analyse der einzelnen und verschie-
denen Weisen des Bewußtseins, der verschiedenen Aktarten, zu den gleichen Ergeb-
nissen führen muß wie die phänomenologische, so daß solche psychologischen Ana-
lysen durch eine einfache „Vorzeichenänderung" auch als phänomenologische „ge-
lesen" werden können. Auf dieses Verhältnis wurde bereits im 1. Teil der „Ideen"
(III, 175) hingewiesen, aber dort der Unterschied zwischen Psychologie und Phäno-
menologie als der einer induktiven Tatsachenwissenschaft einerseits und einer
Wesens Wissenschaft vom Bewußtsein andererseits verstanden (aaO III, 193 ff. u.
220 f.) - wenngleich auch die Möglichkeit einer richtig verstandenen „rationalen
Psychologie", d. i. einer Wesenswissenschaft vom Seelischen im 3. Teil der „Ideen"
offengelassen wird (V, 37 ff.). Das Problem verschärft sich nunmehr, nachdem die
phänomenologisch reduzierte Subjektivität als ein Feld transzendentaler Erfahrimg
dargestellt und die Eidetik des transzendentalen Bewußtseins als Werkzeug für die
transzendentale Tatsachenwissenschaft charakterisiert wurde (VII, 258), einer Wis-
senschaft, die eben auf „absoluten Erfahrungen" beruht. In den „Ideen" dagegen
In der Tat ist damit ein Problem berührt, das auch die meisten der heu-
tigen Entwürfe einer philosophischen Anthropologie betrifft. Sie machen
für ihre Aussagen über den Menschen, seine Unterscheidung vom Tier,
seinen Bereich der Innerlichkeit und dessen Genesis etc. den Anspruch auf
Allgemeingültigkeit und begründen andererseits und mit Recht ihre Aus-
sagen auf die Ergebnisse empirischer, z. T. experimenteller Forschung.
Sofern diese Allgemeingültigkeit nicht durch die metaphysische Bezug-
nahme auf eine Wertlehre und ein Reich von Werten begründet wird,
bleibt völlig in Schwebe, welches ihr Charakter ist, ob nur der einer empi-
rischen und präsumptiven Allgemeinheit oder der einer unbedingten und
damit apriorischen Allgemeinheit. Exemplarisch deutlich wird das an der
Anthropologie Gehl ens mit ihrer reichen Fülle wichtigen Materials . Erst das
Begreifen der Dimension letzter Begründung als einer solchen „absoluter
Erfahrung" wird mit einer Revision der Alternative von „empirisch" und
„apriori" dazu führen können, diese Schwierigkeit zu beheben.
III
Diese Lehre ist von zentraler Bedeutung, nicht nur weil erst in ihr der Begriff
der Welt im Husserlschen Sinne deutlich wird, sondern weil sie auch zeigt, daß
transzendentale Subjektivität als der Ort letzter Begründung nicht aufgeht in der
„Aktuosität" des Bewußtseins u, und nicht auf sie aller „Sinn" und alle „Bedeutung"
als nur konstituiert zurückgeführt wird. Dieser Anschein entsteht vielmehr durch
eine von Husserl nicht behobene Zweideutigkeit im Begriff der Konstitution und
des konstitutiven Leistens. Zu erörtern, welche Konsequenzen sich für die Frage
13 Vgl. dazu auch die aus späterem Rückblick stammenden Bemerkungen in VI,
157 f.
14 Vgl. dazu Henrich , aaO, S. 20.
nach der „Geltung" der logischen Relationen ergeben, wenn diese Zweideutigk
erst einmal durchschaut ist, würde hier zu weit führen.
vermeinte ist; und es zeigt sich, daß die reduktive Analyse des ei
Aktbewußtseins nicht bei diesem stehenbleiben kann, sondern da
das in jedem Aktbewußtsein schon immer implizierte Horizontbewuß
hineinführt. Soll also wirklich phänomenologische Reduktion vo
werden, in der alle vorausgesetzte Objektivität außer Geltung
wird, so kann sie sich nicht nur auf die einzelnen Akte beschränken
dern muß das in jedem Aktbewußtsein implizierte Horizontbewu
mit einbeziehen, das letztlich Bewußtsein von Welt als Gesamth
ist. Sie muß also diese verborgene, im einzelnen Akt implizierte
geltung der Welt vorweg außer Kraft setzen (S. 153). Daher erforder
Analyse des Bewußtseins der einzelnen Aktarten ein e Analyse des Hor
bewußtseins (S. 146-164). Mit ihr schließt der zunächst als Übe
bezeichnete Teil, und erst mit ihr ist das Reich der transzendentalen
fahrung in seinem vollen Umfang zugänglich geworden (S. 146).
sich dabei gezeigt, daß auch der Versuch, die Reduktion zunächst
den einzelnen Akten durchzuführen, mit dem dieser Teil begann, er
als ein Weg zum transzendentalen Erfahrungsfeld angesehen w
kann, wenn nicht nur die Position des in ihnen jeweils als seiend Ge
außer Geltung gesetzt wird, sondern ihr Gesamthorizont, das S
Welt „eingeklammert" wird. So führt auch dieser Weg, zu Ende geg
zu dem gleichen Ergebnis wie der erste, nur daß auf ihm die Fra
antwortet werden können, die auf dem ersten offengeblieben waren
Im vorliegenden Text geht der Gedankengang freilich nicht diesen bru
Weg. Die Notwendigkeit, auch die Horizonte einzuklammern, um vom e
Akt zum transzendentalen Erfahrungsfeld zu gelangen, zeigt sich erst hint
sein Ergebnis und wird zunächst motiviert durch eine allerdings später wider
Erwägung, ob nicht die versuchte Reduktion an den einzelnen Akten mit ihr
thesen und Korrelaten eben die bloß psychologische Reduktion ist, und du
Frage, wie sich diese von der transzendental-phänomenologischen unter
(S. 142). Davon muß hier abgesehen werden.
Auf der anderen Seite bedeutet diese Entdeckung ein Motiv , das für
die weitere Entwicklung von Husserls Denken zum Spätwerk hin von
größter Bedeutung ist. Wird auch hier zunächst die Lehre von den Impli-
kationen an dem Bewußtsein der Wahrnehmung und des in ihr wesenhaft
implizierten Vergegenwärtigungsbewußtseins ausgeführt, so zeigt sich
doch schon, daß der Horizont der Welt nicht nur Horizont des aktuell
Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren ist, sondern als Horizont einer ge-
meinsamen Welt impliziert er in sich all die Meinungen und „Vorurteile",
Schemata des Auffassens und der Normierung, die auf sein geschichtlich -
gemeinschaftliches Gewordensein verweisen ; nicht minder auf das Gewor-
densein der in dieser Welt schon maßgeblichen Fragestellungen und
Fragerichtungen der Wissenschaften, die selbst zum Horizont dieser Welt
gehören, und durch die sie schon immer in einem bestimmten Lichte ver-
standen ist. So ist durch diese Einsicht eine doppelte Problemstellung moti-
viert , die von Husserl erst im Spätwerk in Angriff genommen wird 17, ein-
mal der Rückgang von dem schon wissenschaftlich interpretierten Welt-
horizont in die Bedingungen seiner Bildung aus der vorwissenschaftlichen
und außerwissenschaftlichen Auseinandersetzung der Subjektivität mit
17 Zur Interpretation des Spätwerkes vgl. A. Gurwitsch , The last work of E. Hus-
serl, Philosophy and phenomenological Research, XVI, 1956, S. 380 ff.
menden Prinzips. Denn der Entschluß zur Reduktion ist als Entschluß des „
fangenden Philosophen" ein Willensakt, und bedeutet in diesem Sinne eine „vö
personale Umwandlung". Diese Teleologie der Geschichte wird nur entdeckt, w
sie in den Willen des sich Besinnenden aufgenommen wird, der damit dieses
eigenes Dasein begründende Faktum übernimmt. Insofern ist die Teleologie
Idee, aber nicht eine in einem absoluten Bereich zu schauende, sondern eine d
die eigene Geschichte gestellte und im Entschluß ergriffene Aufgabe, so daß
Entschluß zu ihrer Übernahme als einer gegebenen jedes Moment der Willkür
geht. So stellt sich heraus, daß die „absolute Erfahrung", auf die sich alle Ver
wortung und Rechtfertigung des Lebens gründet, eine geschichtliche Erfahrung
Ihre Absolutheit und Endgültigkeit beruht nicht auf einer Erkenntnis einer an
seienden Wahrheit, nicht auf dem Ergreifen oder Uberwältigtwerden von e
„ewigen Wahrheit", sondern sie ist absolut im Sinne des Gestelltseins vor eine
übersteigliche und nur hinzunehmende Faktizität. Die Begründung ist eine
gültige in dem Sinne, in dem der Entschluß zu ihrer Übernahme „so soll es se
Abschluß von Erwägungen und damit endgültig ist. Dies allein kann der Sinn e
absoluten Begründung sein, nachdem sich das Ideal ihrer Apodiktizität als uner
bar erwiesen hat.
Kehren wir nach diesem Ausblick auf die Perspektiven, die durch die
Entdeckung der Horizontstruktur des Bewußtseins eröffnet wurden, zum
Text der Vorlesung selbst zurück. Die Aufweisung der Horizontstruktur
diente in ihrem Zusammenhang dem Nachweis, daß es sich bei dem durch
die Reduktion gewonnenen „absoluten" Boden des Ich-bin nicht nur um
die punktuelle Evidenz des gerade vollzogenen Ichaktes handelt, sondern
daß mit ihm einFeld transzendentaler Erfahrung gewonnen ist. Das heißt,
die Forderung, die reduktive Einklammerung auch auf das im Horizont
eines jeden Aktes implizierte Weltbewußtsein zu erstrecken, bedeutet
nicht, daß nach dieser Einklammerung nur das punktuelle Jetzt des Ich-bin
übrigbliebe, sondern die im Horizontbewußtsein mitgegebene Welt bleibt
als vermeinte in der Klammer erhalten. Es bleibt das Ich-bin mit seinem
Bewußtsein von vermeinter Welt, es bleibt dieser Strom seines vermein-
ten Welterfahrens - wie immer es sich mit dem wahrhaften Sein der in
ihm vermeinten Welt verhalten mag. Auf dieses strömende Erfahren rich-
tet sich die phänomenologische reflektive Erfahrung, die also nicht einfach
Erfahrung von Welt ist, sondern reflektive Erfahrung des Weiter fahr ens,
und das sagt, der Konstitution von vermeinter Welt in meinen Erfahrungs-
leistungen. Sie ist das nach der Reduktion Verbleibende und absolut Ge-
gebene, und im Hinblick auf diese Leistungen kann allein über Sinn,
lichkeit und Grenzen jeder zu erlangenden Wahrheit von Seiende
schieden und sie verantwortet werden.
So verstanden kann die durch die Reduktion gewonnene transzendentale
Subjektivität im Sinne der Tradition eigentlich nicht mehr als Subjektivi-
tät bezeichnet werden . Sie ist vielmehr nichts anderes als die unzertrenn-
liche Einheit von Welterfahren und seinem intentionalen Korrelat , der in
ihm erfahrend vermeinten Welt, in der erst die Unterscheidung von „sub-
jektiv" und „objektiv", von „innen" und „außen" im herkömmlichen
Sinne den Grund ihrer Möglichkeit hat. So ist also das, was nach der Re-
duktion verbleibt, nicht nur die Gewißheit vom einzelnen in lebendiger
Gegenwart vollzogenen Ich- Akt, der allein unmittelbar gegebenen Lebens-
gegenwart (S. 175), sondern Gewißheit von dem Gesamthorizont als der
immer schon mitvermeinten Welt als vermeinter, und in diesem Sinne von
der „Allheit eines endlosen Lebenszusammenhangs" (S. 153). Dieses Ho-
rizontbewußtsein als ein Leerbewußtsein kann umgewandelt werden in
ein „umfassendes Gesamtbewußtsein".
Daher heißt in der Reduktion „mein Leben überschauen ... in eins damit und
in korrelativer Wendung: die Welt überschauen, die, in freilich vielfältiger Wand-
lung des Inhaltes in meiner Intentionalität, in meinen Urteilsgewißheiten und -Wahr-
scheinlichkeiten, in meinen Wertsetzungen und Handlungen gestaltete und immer
neu umgestaltete Welt" (S. 157). Freilich handelt es sich dabei „nicht ernstlich um
eine Schau, nicht um eine wirkliche Reproduktion des vergangenen Lebens in einer
Kontinuität expliziter Wiedererinnerungen . . . und . . . um eine explizite Aus-
malung der Vermutlichkeiten und Möglichkeiten meines zukünftigen Lebens .
(S. 155), vielmehr um die allgemeinen Wesensstrukturen dieses leistenden, welt-
bildenden Lebens, insbesondere um die „wesensmäßige Eigenart meines Lebens, daß
es in jeder Gegenwartsphase ein wenn auch leeres - Fernbewußtsein, ein Horizont-
bewußtsein hat und fortströmend immer neu erzeugt" (S. 161). Auf diese Weise
„gewinne ich das reine universale Leben , und das weltliche Universum verwandelt
sich in die universale intentionale Gegenständlichkeit als solche" (S. 162). In dieser
Weise eröffnet also die Reduktion „ein neues Reich der Erfahrung" (S. 165).
Damit schließt der zentrale Teil der Vorlesung. Auf ihren Abschluß
(S. 1 64 ff.) ist nur noch kurz einzugehen. Er hat den Charakter eines Rück-
blicks auf die gewonnenen Ergebnisse und bekräftigt zunächst die Not-
wendigkeit des egologischen Charakters der bisherigen Betrachtungen
durch eine weitergeführte Analyse der Fremdwahrnehmung, in der der
Andere niemals als Anderer „selbst da", sondern nur in seiner Leiblichkeit
als einem Objekt in der Welt indiziert ist. Aber es bleibt damit nicht bei
einem Solipsismus, der nur ein methodischer Durchgang ist. Denn gerade,
wenn nach der Wahrheit des Seins alles vermeintlich Seienden am Maß-
stabe des Selbst -daseins gefragt wird, und wenn der Andere als Anderer
IV
Eine erste Besinnung gilt der allgemeinen Struktur der Reflexion, die
wieder an dem „einfachen" Beispiel der äußeren Wahrnehmung dar-
gestellt wird. Wahrnehmend bin ich auf das Wahrgenommene gerichtet.
Das wahrnehmende Ich ist dabei im Zustand der „Selbstvergessenheit",
oder, wie sich Husserl korrigiert: es ist latent. Es kann sich aber jederzeit,
indem es noch weiter wahrnimmt, auf sein Wahrnehmen zurückwenden,
das es als Soeben- wahrgenommen- Haben noch retentional bewußt hat. Es
vollzieht damit das ausdrückliche reflektive Bewußtsein „ich nehme
11 *
trachtung und Bestimmung dieses rein Subjektiven und seiner rein imma
nenten Gehalte" (S. 97). In welchem Sinne hier von Subjektivität un
„subjektiv" die Rede ist, nämlich als der unauflösbaren Korrelation vo
Welterfahren und seinem intentionalen Korrelat, der „Welt", braucht
nicht noch einmal betont zu werden.
In Anbetracht dieses spezifischen Interesses, von dem die phänomeno-
logische Reflexion geleitet ist und das von allen in natürlicher Einstellung
und Reflexion mitvollzogenen weltlichen Interessen grundsätzlich unter-
schieden ist, ergibt sich also die Möglichkeit, „einen weitesten Begriff eines
mit sich selbst gleichsam sympathisierenden oder nicht sympathisierenden,
vielmehr sich aller Sympathie mit sich selbst sich entschlagenden Re-
flexions -Ich zu konzipieren, und damit die Idee . . . eines ganz allgemein
unbeteiligten theoretischen Selbstbetrachters und Selbsterkenners" (S. 99).
Er etabliert sich, frei von allen weltlichen Interessen, als der „unbeteiligte
Zuschauer" dieses in die Interessen der Welt verflochtenen mundanen Ich.
Wenn Husserl sein Interesse als „theoretisches" bezeichnet, so ist damit
dieses Moment des Unbeteiligtseins, des nicht Mitsympathisierens mit den
mundanen Interessen gemeint. Das theoretische Thema des Ich der phäno-
menologischen Reflexion ist das Feld der reflektiven Erfahrung des Ablaufs
des mundanen Interessenspiels als eines „subjektiven" Spiels, das in der
universalen phänomenologischen Reflexion aufgedeckt wird. Ihr Interesse
„ist reines Interesse am subjektiven Sein" (S. 108), den „reinen Akterleb-
nissen". Sie definieren sich „als das, was in Erfahrung setzbar und jeder-
zeit setzbar und erkennbar ist, wenn ich als Reflektierender alles geradehin
Geltende außer Geltung setze" (S. 110). In einer Beilage (S.417) fügt
Husserl hinzu : „Vorher ist die transzendentale Subjektivität für sich selbst
absolut anonym - und nicht nur unbemerkt da, außerthematisch; und
offen, erfahrungsmäßig da, vorgegeben da ist nur Weltliches und darunter
das Ich als Ich-Mensch, als „Weltkind". Nach dieser Bemerkung wird man
also unterscheiden müssen die Latenz des mundanen Ich , das in der mun-
danen Reflexion patent werden kann und vorher schon, wenn auch unbe-
merkt und außerthematisch da ist, von der schlechthinnigen Anonymität
des transzendentalen Ich , die nicht einfach durch eine jederzeit mögliche
thematische Zuwendung aufgehoben werden kann. Das mundane Ich ist
jederzeit auch in der „geraden" Richtung auf seine Gegenstände „mit da"
in einer Weise, die freilich von Husserl nicht näher charakterisiert wird,
und kann in der Reflexion thematisch werden. Daher hat er auch den Aus-
druck „Selbstvergessenheit" für dieses Mitdasein in den der Latenz modi-
fiziert. Das transzendentale Ich zu entdecken, bedarf es eines besonderen
Entschlusses. Es ist der Entschluß des „anfangenden Philosophen" zu ab-
soluter Rechtfertigung und Verantwortung.
deres ist das „ transzendentale Ich". Es ist das sittliche Ich , das Geric
über seine sämtlichen weltlichen Interessen hält .
Aber das freie Ich ist nicht schlechthin frei als Ich einer „Tathandlung": es ist
Subjekt absoluter Erfahrung und als das zunächst je meine Subjektivität, mein Be-
wußtsein. Es ist nicht wie in Hegels „Phänomenologie des Geistes" die Selbsterfah-
rung des absoluten Geistes, der auf dem Wege seiner Erfahrung erfährt, was er
schon an sich ôvvá ļiei war und damit vom Ansichsein zum Fürsichsein und An-
und-für-sich-Sein aufsteigt. Die Faktizität der absoluten Erfahrung des transzen-
dentalen Ego geht vielmehr jeder Möglichkeit voran, die als solche erst in ihm kon-
stituierte ist22, und daher ist die Interpretation der Absolutheit der absoluten Sub-
jektivität im Sinne des absoluten Idealismus ausgeschlossen. So verstanden wäre sie
keine Erfahrung vom „strömenden transzendentalen Leben" mit seinem unbestimmt
offenen Horizont von Erfahrung. In dieser Offenheit gründet die Möglichkeit seiner
Freiheit zur Verantwortung des Erfahrenen.
Weil Husserl also nicht zum letzten Grunde der absoluten Selbstge
heit des Ich vordringen kann als einem solchen, der sich nicht eine
gegenständlichenden Reflexion erschließt, bleibt nicht nur der Begr
transzendentalen Subjektivität in jener Schwebe, sondern auch a
ren „operativen Begriffe", wie „Konstitution", „Leistung", „transze
tales Leben", mit denen das Wesen der transzendentalen Subjektivit
gelegt werden soll.
V
Es kann nur noch kurz das Ergebnis dieser kritischen Analyse angedeu-
tet werden. Es hat sich in ihr gezeigt, daß Husserls Terminus der „ trans-
zendentalen Subjektivität" nicht eindeutig ist, sondern daß zweierlei in
ihm unterschieden werden muß :
28 Diese Stelle findet sich in dem für diese Problematik sehr wichtigen Abs
„ Natürliche und transzendentale Reflexion und der Untergrund der lntention
der Kant-Abhandlung (VII, 259 ff., insbes. 266).
dem den Horizont der Fragen, die sich nach dem Ausgang der neuzeit-
lichen Metaphysik als unabweisliche mit der Aussicht auf einen Weg
ihrer Beantwortung stellen.
Ludwig Landgrebe (Köln)