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Roma, 10. VII.

2022

Sehr geehrter Herr Weiss,

Nun ist doch etwas Zeit seit meinem letzten Brief ins Land gegangen, obwohl ich mir
vorgenommen hatte, mich bereits vor einigen Wochen bei Ihnen zu melden.

1. Mein Arbeitsfokus hat sich hier in Rom etwas verlagert und ich hatte einige Vorträge
vorzubereiten. Darunter einen Beitrag für die »Ezra Pound International Conference« über die
musikalische Rezeption von Ezra Pounds Bühnenstück The Women of Trachis nach Sophokles.
Interessanterweise erlebte das Stück seine szenische Welturaufführung im Mai 1959
ausgerechnet am Berliner Schillertheater unter Boleslaw Barlog, wobei Giselher Klebe die
Bühnenmusik erarbeitete. Aus dem Briefwechsel zwischen Barlog und Bernd Alois
Zimmermann weiß ich, dass beide anschließend gemeinsam ihre Sommerferien auf Sylt
verbrachten, sodass der Komponist sicherlich etwas über die Pound-Aufführung erfuhr. Im
selben Jahr kam das Stück auch noch in einer weiteren Inszenierung am Darmstädter
Landestheater unter Gustav Rudolf Sellner, in deren Kontext Hans Ulrich Engelmann – ein
weitere Bekannter Zimmermanns – seine »Ezra Pound Music« komponierte.

2. Außerdem bin ich während meines Aufenthalts in der Fondazione Cini in Venedig auf die
Three Miracle Plays von Niccolò Castiglioni aus dem Jahre 1968 gestoßen, in dem der
Komponist u.a. Ezra Pounds Adaption des japanische Noh-Spiels Hagoromo verarbeitet.
Kennen Sie sich mit dem japanischen Noh-Theater etwas aus? Bei der Beschäftigung mit
Castiglionis künstlerischem Denken bin ich auf den Umstand gestoßen, dass dieser sich in
seinen Werken der 1960er Jahre intensiv mit den verschiedenen Strömungen und Traditionen
der tonalen Musik auseinandergesetzt hat. Dazu zählen auch einfache volkstümliche Weisen
und Kinderlieder, die er auf der Suche nach »semplicità« in seine Musik einband. Viele seiner
Werke sind im Grunde genommen Collagen aus Imitationen historischer Musikstile- und
genre, in die auch einige »authentische« musikalische Zitate eingebunden sind. Besonders
bedeutsam für Castiglionis künstlerisches Schaffen war auch seine die Auseinandersetzung
mit Igor Strawinskys »neoklassizistischen« Werken. Diese Gedankengänge bringen mich zu
einer Frage, die sich mir beim Lesen Ihrer Kompositionen gestellt hat. Mir gefällt nicht nur der
volksliedhafte Melodiebau Ihrer „Exemplarischen Herbstnacht« nach Erich Kästner.Mich
fasziniert auch das in der Partitur angewendete Visualisierungskonzept, an das ich nicht
gewöhnt bin und das doch sehr strukturiert und übersichtlich auf mich wirkt. Können Sie mir
dazu mehr erklären? Orientieren sich dabei an Strawinskys Notationsformen in
Kompositionen wie Mouvements für Klavier und Orchester (1960), in denen dieser keine
Leertakte notiert, sodass sich die graphische Anlage der Partiturseite verändert?

Zu Ihrem letzten Brief:


- Zu 2): Besonders möchte Ihnen für Ihre Angaben zu den ehemaligen Schüler von Bernd Alois
Zimmermann danken. Ihrem Vorschlag, mich bezüglich dem etwaigen Verbleib weitere
Pound-Bücher aus dem Nachlass Zimmermanns an seine Schüler zu wenden, werde ich nach
meiner Rückkehr nach Berlin nachgehen. Das scheint mir eine sehr gute Idee zu sein. Mit
Georg Kröll stehe ich ja bereits im persönlichen Kontakt. Möglicherweise kann mir dieser noch
weitere Kontaktdaten besorgen.
- zu 3) und 4): Vielen Dank für den sehr praktischen Hinweis auf Herrn Michael Brüning. Sehr
interessant sind auch Ihre Einschätzungen zum geistigen Horizont von Prof. Alphons
Silbermann. Insbesondere solche Hinweise wie, dass er zu Anfang der 1960er Jahre schon
allein deswegen ausländische Zeitung gelesen hat, um »nicht auf die ehemaligen Nazis
hereinzufallen«, sind für Nachgeborene wie mich sehr wertvoll. Ihre »Broschüre zum
Nationalsozialismus an der Universität zu Köln« klingt auch vielversprechend. Ich habe mich
mit dieser Thematik vor ein paar Monaten durch die Lektüre von Studien wie »Zwischen
„Endsieg“ und „Examen“. Studieren an der Universität zu Köln 1943–45« (2007) oder Frank
Golczewskys »Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus« (1988) und Leo Haupts‘
»Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik (2007)
auseinandergesetzt. Mich interessierte dabei vor allem der Umgang mit der belasteten
Biographie des Autors und Hochschullehrers Ernst Bertram, vom dem Zimmermann Ende
1940er mehrere Lieder vertonte. Welchen Fokus hat Ihre Arbeit?
- Zu 5): Eva Hesse scheint eine sehr interessante Person gewesen zu sein. In der heutigen
englischsprachigen Ezra Pound-Forschungslandschaft ist sie allerdings etwas umstritten, da
sie mitunter korrigierend in die Werke des Dichters eingegriffen hat. Ich persönlich finde Ihre
Übersetzungen und ihre Text über Pound sehr inspirierend. Auch deshalb bin ich natürlich
gespannt, ob Sie in ihrer 100-jährigen Wohnung in Nordenham/Weser tatsächlich noch einen
Brief dieser außergewöhnlichen Frau ausfindig machen können.

Was Ihre Frage zu Ihrem Machiavelli-Buch angeht, kann ich Ihnen momentan nur etwas
eingeschränkt antworten, da ich die Materialien hier in Rom nicht bei mir habe. Ich erinnere
mich aber, dass mich Ihre kritischen Darstellungen und didaktisch gesinnten
Verbesserungsvorschlägen faszinert haben. Auch deshalb, weil ich es bis dato nicht gewohnt
war, einer solchen Form der Kritik im gedruckten Format zu begegnen – üblicherweise werden
solche Hinweise wohl mündlich bzw. inoffiziell weitergegeben. Ich könnte mir vorstellen, dass
Ihr Text dem angesprochenen Autor (dessen Namen mir momentan entfallen ist) nicht
besonders gefallen hat. Hat er auf Ihre Vorschläge in irgendeiner Weise reagiert? Vielleicht
können Sie mir bei Gelegenheit noch einmal den Hintergrund Ihrer Publikation erläutern.
Über das Programmheft des Musica Viva-Konzerts habe ich mich auch gefreut, wenngleich ich
dieses im Archiv der Akademie der Künste natürlich bereits einsehen konnte. Aber es ist doch
sehr nützlich, es nun auch in diesem Format verwenden zu können. Vielen Dank für die
weiteren aktuellen Programmhefte – das ist ebenfalls sehr nützlich. Auch Ihren Beitrag zu den
»Titeln moderner absoluter Musik« habe ich erhalten, aber noch nicht ausführlich studieren
können. Er scheint mir aber – wie viele ihrer Texte – einen vielversprechenden, weil
außergewöhnlichen Zugang zu der Thematik zu eröffnen. Wie hat denn Ihr Umfeld auf diese
Überlegungen reagiert?

Mit besten Grüßen aus Rom

Ihr

Felix Marzillier

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