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2022
Nun ist doch etwas Zeit seit meinem letzten Brief ins Land gegangen, obwohl ich mir
vorgenommen hatte, mich bereits vor einigen Wochen bei Ihnen zu melden.
1. Mein Arbeitsfokus hat sich hier in Rom etwas verlagert und ich hatte einige Vorträge
vorzubereiten. Darunter einen Beitrag für die »Ezra Pound International Conference« über die
musikalische Rezeption von Ezra Pounds Bühnenstück The Women of Trachis nach Sophokles.
Interessanterweise erlebte das Stück seine szenische Welturaufführung im Mai 1959
ausgerechnet am Berliner Schillertheater unter Boleslaw Barlog, wobei Giselher Klebe die
Bühnenmusik erarbeitete. Aus dem Briefwechsel zwischen Barlog und Bernd Alois
Zimmermann weiß ich, dass beide anschließend gemeinsam ihre Sommerferien auf Sylt
verbrachten, sodass der Komponist sicherlich etwas über die Pound-Aufführung erfuhr. Im
selben Jahr kam das Stück auch noch in einer weiteren Inszenierung am Darmstädter
Landestheater unter Gustav Rudolf Sellner, in deren Kontext Hans Ulrich Engelmann – ein
weitere Bekannter Zimmermanns – seine »Ezra Pound Music« komponierte.
2. Außerdem bin ich während meines Aufenthalts in der Fondazione Cini in Venedig auf die
Three Miracle Plays von Niccolò Castiglioni aus dem Jahre 1968 gestoßen, in dem der
Komponist u.a. Ezra Pounds Adaption des japanische Noh-Spiels Hagoromo verarbeitet.
Kennen Sie sich mit dem japanischen Noh-Theater etwas aus? Bei der Beschäftigung mit
Castiglionis künstlerischem Denken bin ich auf den Umstand gestoßen, dass dieser sich in
seinen Werken der 1960er Jahre intensiv mit den verschiedenen Strömungen und Traditionen
der tonalen Musik auseinandergesetzt hat. Dazu zählen auch einfache volkstümliche Weisen
und Kinderlieder, die er auf der Suche nach »semplicità« in seine Musik einband. Viele seiner
Werke sind im Grunde genommen Collagen aus Imitationen historischer Musikstile- und
genre, in die auch einige »authentische« musikalische Zitate eingebunden sind. Besonders
bedeutsam für Castiglionis künstlerisches Schaffen war auch seine die Auseinandersetzung
mit Igor Strawinskys »neoklassizistischen« Werken. Diese Gedankengänge bringen mich zu
einer Frage, die sich mir beim Lesen Ihrer Kompositionen gestellt hat. Mir gefällt nicht nur der
volksliedhafte Melodiebau Ihrer „Exemplarischen Herbstnacht« nach Erich Kästner.Mich
fasziniert auch das in der Partitur angewendete Visualisierungskonzept, an das ich nicht
gewöhnt bin und das doch sehr strukturiert und übersichtlich auf mich wirkt. Können Sie mir
dazu mehr erklären? Orientieren sich dabei an Strawinskys Notationsformen in
Kompositionen wie Mouvements für Klavier und Orchester (1960), in denen dieser keine
Leertakte notiert, sodass sich die graphische Anlage der Partiturseite verändert?
Was Ihre Frage zu Ihrem Machiavelli-Buch angeht, kann ich Ihnen momentan nur etwas
eingeschränkt antworten, da ich die Materialien hier in Rom nicht bei mir habe. Ich erinnere
mich aber, dass mich Ihre kritischen Darstellungen und didaktisch gesinnten
Verbesserungsvorschlägen faszinert haben. Auch deshalb, weil ich es bis dato nicht gewohnt
war, einer solchen Form der Kritik im gedruckten Format zu begegnen – üblicherweise werden
solche Hinweise wohl mündlich bzw. inoffiziell weitergegeben. Ich könnte mir vorstellen, dass
Ihr Text dem angesprochenen Autor (dessen Namen mir momentan entfallen ist) nicht
besonders gefallen hat. Hat er auf Ihre Vorschläge in irgendeiner Weise reagiert? Vielleicht
können Sie mir bei Gelegenheit noch einmal den Hintergrund Ihrer Publikation erläutern.
Über das Programmheft des Musica Viva-Konzerts habe ich mich auch gefreut, wenngleich ich
dieses im Archiv der Akademie der Künste natürlich bereits einsehen konnte. Aber es ist doch
sehr nützlich, es nun auch in diesem Format verwenden zu können. Vielen Dank für die
weiteren aktuellen Programmhefte – das ist ebenfalls sehr nützlich. Auch Ihren Beitrag zu den
»Titeln moderner absoluter Musik« habe ich erhalten, aber noch nicht ausführlich studieren
können. Er scheint mir aber – wie viele ihrer Texte – einen vielversprechenden, weil
außergewöhnlichen Zugang zu der Thematik zu eröffnen. Wie hat denn Ihr Umfeld auf diese
Überlegungen reagiert?
Ihr
Felix Marzillier