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Roland Züger

Analoge Architektur, heute?

Nicht nur in der Schweiz tragen junge Frauen intellektuelle Sicht Rossis auf die strukturellen ten Perspektiven, die die Stimmung von Däm- dem Weggang einiger Assistenten verstärkt mann, Valerio Olgiati oder Christian Kerez,
seit dem vergangenen Sommer wieder spitze Eigenarten der Stadt (Morphologie und Typo- merung und Morgengrauen einzufangen sich der Einfluss Šiks und die Entwicklung die ebenfalls durch die Schule der Analogen
Schuhe. Was heute für ein ausgeprägtes Mode- logie) transformierte sich zu unmittelbar-kon- versuchten. Damit konnte plötzlich die Wahl der analogen Bezüge. Šik nennt diese zweite Architektur gegangen sind, nicht berücksich-
bewusstsein spricht, war in den achtziger Jah- kreten Bildbezügen. Offen bleibt dabei, ob die der Fensterbeschläge für die erwünschte An- Phase, die „Zeit der Nachahmung“, wobei Klas- tigt.
ren Teil eines Kodierungsprogrammes einer Gedankenwelt Rossis als Erbschaft angenom- mutung des Entwurfs ausschlaggebend sein. siker der Reformarchitektur, des skandinavi- Die grundsätzliche Fragestellung für die hier
eigentümlichen Gruppe junger Architekturstu- men wurde oder ob eher von einem Vatermord Zuvor gingen diese Details noch in der Ab- schen Klassizismus und der Arts-and-Crafts- getroffene Auswahl war, inwieweit das Schaf-
denten an der ETH Zürich. Kurz geschorene geprochen werden muss. Die Abgrenzung und straktion der Projekte unter. Die Entwürfe der Bewegung variiert werden. Die dritte Phase fen der Architekten noch vom „Programm“
Haare, schwarze Kluft und eben das genannte Positionierung des Lehrstuhls Reinhart gegen- Schule der Analogen Architektur überwanden ist vom Regionalismus geprägt. Die Vorbilder der Analogen Architektur inspiriert ist? Natur-
Schuhwerk signalisierten die Zugehörigkeit über den anderen, beispielsweise denen der bis zu einem gewissen Grad die herkömmliche kommen aus der Schweiz, vor allem aus der gemäß fallen diese Bezüge sehr unterschied-
zum Lehrstuhl des damaligen Gastprofessors „Tendenza“ Entwachsenen (Mario Campi, Flora Hermetik der Hochschullehre. Zürcher Umgebung. Sie sind in der regionalis- lich aus, vom betonten Hinweis auf die Prä-
Auswahl „analoger“ Arbeiten:
Fabio Reinhart. Er und insbesondere sein As- Ruchat Roncati, Dolf Schnebli), war eine Reak- Eine weitere Besonderheit zeigte sich in den tischen Nachkriegsmoderne, dem Schweizer gung in der Schule der Analogen Architektur
Urs Füssler, Wohnungsbau, 1988/89
sistent Miroslav Šik prägten in den Jahren zwi- tion auf das Lehrumfeld an der ETH. Aufgabenstellungen. Kongresshäuser und See- „Landistil“, benannt nach dem moderat moder- wie bei Pablo Horváth bis zum gewachsenen Roberto Lüder, Tankstelle, 1990
schen 1983 und 1991 eine ganze Generation von Der Atelierbetrieb und die straffe Organisation grundstücke wurden durch Zivilschutzzentren nen Architekturstil der Landesausstellung von Abstand, der im Werk von Miller & Maranta Miroslav Šik, Wohnungsbau, 1987
Studenten und bildeten nach Aldo Rossi, der des Unterrichts mit strikten Präsenzzeiten trug und Stadtbrachen an der Peripherie ersetzt, 1939, zu finden. In der vierten Phase widmete ersichtlich wird. „Analoge Aspekte“ wie die Josef Smolenicky, Wohnungsbau,
1989
Anfang der siebziger Jahre an der ETH unter- dem Lehrstuhl von Fabio Reinhart den Ruf des das Unspektakuläre und Gewöhnliche geriet man sich der Peripherie und profaneren Auf- stilistische Offenheit und das Interesse für ei- Fortunat Dettli, Wohnungsbau, 1988
richtet hatte, erstmals wieder eine Schule in „beamteten Entwerfens“ ein. Die enge Betreu- ins Blickfeld der Analogen Architektur. gabenstellungen. Die Entdeckung der periphe- nen nicht abstrakten Konzeptionalismus sind Daniel Studer, Wohnungsbau,
der Schule: die Analoge Architektur. Der Rossi- ung der Studenten ermöglichte eine bessere Es waren also der Atelierbetrieb, die intensive ren Orte und ihre poetische Verfremdung geht am stärksten in der Arbeit von Grego & Smole- 1987/88

Bezug kommt nicht von ungefähr. Reinhart war Kommunikation mit dem Lehrkörper wie auch Betreuung der Studenten, der Zwang zu Bild- einher mit der Begeisterung für die Kombina- nicky präsent. Die Bauten von Joos & Mathys aus: Ausstellungskatalog „Analoge Ar-
Rossis Assistent, Šik zu jener Zeit Student an unter den Studenten selbst: Es vermochte sich referenzen, die stimmungsreichen Perspekti- tion billiger Materialien. indes scheinen leicht modifizierte Exemplare chitektur“ Galerie Fragnera, Prag 1990

an diesem Lehrstuhl. Bereits der Begriff der eine Diskussionskultur zu etablieren. Zusätz- ven sowie die ungewöhnlichen Aufgabenstel- Diese Lesart der Analogen Architektur zeigt, aus der „schwarzen Kassette“ der publizierten
Analogen Architektur geht auf einen Aufsatz lich entstand eine Situation der Konkurrenz, lungen, die die Lehrmethode auszeichneten. dass es sich nicht um eine kontinuierliche Ent- Studentenentwürfe zu sein, ohne jedoch die all-
Rossis zurück, in dem er Bezug auf die Idee da die Studenten jederzeit über den Stand der Nicht stilistische Vorgaben waren entschei- wicklung handelte, sondern um eine Suche tägliche Sprache durch die Megalomanie des
der „città analoga“ nimmt, die er mit dem Hin- Entwürfe ihrer Kommilitonen informiert wa- dend, sondern die Herangehensweise an den ohne Ziel. Da Reinhart nicht als fester Profes- Seriellen kompensieren zu müssen. Clavuots
weis auf die collagierten Venedig-Veduten von ren. Sie besuchten die Universität nicht nur zu Entwurf. Heute erinnern eine schwarze Kas- sor berufen wurde, endet die Geschichte die- Wohnhaus in Felsberg scheint zunächst formal
Canaletto erläuterte. „Die Analogie“, schreibt den Kritiken, wie es damals an anderen Lehr- sette mit einer Sammlung von Perspektiven ses exotischen Stranges der Schweizer Post- vertraut und traditionell. Irritierende Details
Rossi, „ist eine Art und Weise, die Welt der stühlen üblich war, sondern arbeiteten täglich aus dem Jahr 1987 und ein schmales Büchlein moderne abrupt Anfang der neunziger Jahre. regen zum längeren Nachdenken an. Seine Au-
Formen und Dinge, in gewissem Sinne der Ge- im Atelier. Der Austausch über die Projekte von 1990 an jene fruchtbare Zeit. Die Studen- Inzwischen ist Miroslav Šik selbst Professor togarage ist zwar pragmatisch entworfen, lebt
genstände, so unmittelbar aufzufassen, dass wurde durch den systematischen Einsatz von tenprojekte wurden in einer Wanderausstel- und scheint mit seinem Lehrkonzept an der aber von ihrer gegensätzlichen Innenwelt wie
diese fast nur noch durch neue, andere Dinge bildlichen Referenzen unterstützt. Nebenbei lung gezeigt und sorgten an über zwanzig Aus- ETH gewisse Elemente von damals weiterzu- vom Gespür für den kruden Kontext, der den
ausgedrückt werden kann.“ Rossi erkennt im zeigte das auch einen autodidaktischen Effekt: stellungsorten für unterschiedlichste Reaktio- führen. Die Studenten von einst führen heute Eingriffsgebieten von damals verwandt ist.
Prinzip der Analogie eine Möglichkeit, „einen Die Studenten wurden zum Gang in die Biblio- nen zwischen Verheißung und Entrüstung. teilweise etablierte Architekturbüros. Auch Die Projekte, dem Traditionellen in der Archi-
anderen Sinn der Geschichte zu finden: nicht thek und zur Auseinandersetzung mit der Ge- Die Analoge Architektur kennt kein einheitli- in Deutschland sind einige Spuren zu finden, tektur nicht abgeneigt, machen in teilweise
als Zitat, sondern als eine Reihe von Dingen, schichte der Architektur gezwungen. Dieser ches Bild von sich selbst. Miroslav Šik selber zum Beispiel in München durch Andreas Hild konventioneller Formensprache aufmerksam
Gegenständen der Zuneigung, deren sich das Bezug zur Bildlichkeit ermöglichte eine Präzi- teilt sie in vier Phasen ein: Die erste Phase oder in Berlin durch Salomon Schindler und auf die gewöhnlichen, oft banalen Dinge. In
Entwerfen oder die Erinnerung bedient“. Die sierung des Diskurses und eine Vertiefung in (1983–1985) bezeichnet er als sehr heterogene Urs Füssler. Dieses Heft beschränkt sich dar- ihrer ambientalen Qualität, Materialisierung
Protagonisten der Analogen Architektur entwi- vernachlässigte Aspekte der modernen Archi- Zeit, auch wegen der bunt zusammengewürfel- auf, sechs Projekte von teilweise weniger be- und Detaillierung entsprechen sie den stim-
ckelten Rossis Gedanken weiter. Die Analyse tektur, wie den Aspekt der Atmosphäre. Am ten Assistentenschaft am Lehrstuhl Reinhart. kannten Büros zwischen Chur und Basel zu mungsgeladenen Perspektiven von einst und
zu Beginn eines Entwurfs wurde um die atmo- einprägsamsten manifestierte sich diese Beson- Neben Šik unterrichteten dort auch Santiago präsentieren. Bewusst wurden bekanntere Ar- lösen damit ein altes Versprechen des poeti-
sphärische Dimension ergänzt. Die abstrakt- derheit in den großformatigen handkolorier- Calatrava, Franco Pessina und Luca Ortelli. Mit chitekten wie Andrea Deplazes, Andreas Hag- schen Realismus ein.

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