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Teil
Liesenstraße – Bahnhof Friedrichstraße
1875
2017
Fünfundzwanzig Jahre früher, im Sommer 1835, wird er auf seinem Schulweg von
der Sommerwohnung seines Onkel August auf der noch unbefestigten Chausseestraße
bis zur Klödenschen Gewerbeschule die ersten Fabriken gesehen haben.
In den 1880er Jahren stellten einige Fabriken ihre Produktion ein bzw. suchten sich
andere Standorte. Borsig ging zunächst nach Moabit, später nach Tegel und 1892
verlagerte Schwartzkopff sein Unternehmen als „Berliner Maschinenbau Actien-
Gesellschaft“ nach Wildau. Er entwickelte sich zum drittgrößten Lokomotivhersteller
in Deutschland. Heute befindet sich in einem Teil der sanierten und
denkmalgeschützten Fabrikgebäude die Technische Hochschule Wildau.
Nicht weit von ihrer Wirkungsstätte, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof wurden
August Borsig und Louis Schwartzkopff beigesetzt und Johann Wöhlert auf dem
Invalidenfriedhof in der Scharnhorststraße.
Während auf unserer, der östlichen Seite der Chausseestraße die Schornsteine
rauchten, so exerzierte auf der gegenüberliegenden Seite das Militär. Auf dem
sandreichen Gelände des Invalidenhauses zwischen der heutigen Ida-von-Arnim- und
der Habersaathstraße wurde in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein
Exerzierplatz errichtet. Friedrich Engels, der hier 1841/1842 als Einjährig-
Freiwilliger Dienst verrichtete, schrieb seiner Mutter:
„Auch jetzt haben wir ein anmutiges Exerzieren auf dem sogenannten Grützmacher,
welcher ein sehr großer Platz ist, wo man bis über die Knie in den Sand versinkt und
welcher die sehr schöne Eigenschaft hat, das er elektrisch ist.“
Grützmacher war der ehemalige Grundstückspächter.
Dem Exerzieren unter diesen Bedingungen wurde 1851 mit der Fertigstellung der
Kaserne des Garde-Füsilier-Regiments ein Ende gesetzt. Nach dem 1. Weltkrieg
wurde das Polizeistadion errichtet und nach Kriegszerstörung, 1950 das Walter-
Ulbricht-Stadion. 1973 wurde es in Stadion der Weltjugend umbenannt.
Der bis 2018 errichtete gleichförmige Gebäudekomplex beherbergt heute die
Zentrale des Bundesnachrichtendienstes.
In Höhe des Titanic Hotels, Chausseestraße 30/31, verweilen wir wieder kurz.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befand sich an dieser Stelle, damals
Chausseestraße 25/26, der Garten der Gebrüder Hennig, ein Sommer- und
Wintergarten der Brüder Gottlieb Friedrich Louis und Andreas Gottlieb Hennig.
Der Jahreswechsel 1839/40 führte den jungen Fontane in diese Gegend. In seinen
Erinnerungen „Von Zwanzig bis Dreissig“ schreibt er :
„Der Sylvesterabend hatte mich, einer gesellschaftlichen Abmachung zu Liebe, nach
der ‚Henningschen Ressource‘ verschlagen und hier war ich einem jungen Maler,
Namens Flans, begegnet, der, weil er im ‚Figaro‘ Verschiedenes von mir gelesen,
mich aufforderte, doch einem litterarischen Verein, dem er angehöre, beizutreten.
Dies war der Platen-Klub.“
Im August 1876 nimmt Fontane den Weg durch die Chausseestraße, um an einer
Beerdigung in der Liesenstraße teilzunehmen. Er erinnert sich und schreibt an Emilie,
die bei ihrer Freundin Johanna Treutler in Neuhof weilt :
„Da war das Haus, in dem Du, glaub‘ ich, als Kind wohntest, dann Hennings Garten
(jetzt Woltersdorff) ruppig und bummsartig geworden.“
Er glaubte es, aber er wusste es nicht. Ich konnte einen Wohnort nicht ermitteln.
Das Gartenlokal der Brüder Hennig bot ab 1848 eine Sommertheaterbühne für Possen
und Schwänke an. Zunächst unter der Leitung von Carli Callenbach und ab 1859
wird es als Meysels Sommer-Theater bekannt. Nach nur sechs Jahren erwarb Arthur
Woltersdorff das Grundstück von Eduard Meysel, baute es um und eröffnete es als
Woltersdorff Theater. Er war aber eher Geschäfts- als Theatermann,
„wollte, wie er immer wieder sagte, “Bumshäuser“ erzielen“.
Fontane hatte mit seiner Beobachtung nicht ganz unrecht.
In den nächsten Jahrzehnten versuchten acht Direktoren vergeblich, es als ein
Volkstheater im Berliner Norden zu etablieren. Erst als 1883 Julius Fritzsche, der
ehemalige Direktor des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters in der
Schumannstraße die Nachfolge antrat, trat eine Wende ein. Fritzsche vergrößerte das
Haus, stattete es elegant aus und eröffnete es als Neues Friedrich-Wilhelmstädtisches
Theater. Der Premiere der Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“ war zwar
kein Erfolg beschieden, aber bis 1896 wurde das Theater zu einem bedeutenden
Operettenhaus in Berlin.
In den nächsten Jahrzehnten wechselten Intendanten, sowie der Name des Theaters.
Einige Jahre beherbergte es ein Kino, bevor es 1939 abgerissen wurde. Heute erinnert
nichts mehr an dieses in Vergessenheit geratene Volkstheater.
Erwähnenswert ist das nun folgende Haus Nr. 28. Die Familie Ravené erwarb um
1879 das damals noch unbebaute Grundstück. Die durch Eisenhandel vermögend
gewordenen Ravenés benötigten einen neuen Lagerplatz, den sie hier einrichteten.
Ein Mitglied dieser Familie, Louis Jacob (1823-1879), war Vorbild für Ezechiel van
der Straaten in Fontanes Roman „L‘Adultera“.
Auf der gegenüberliegende Straßenseite fällt ein mir Erkern und einem Spitzgiebel
verziertes Haus mit der Nummer 105 auf. Es wurde 1892 vom Architekten Alfred
Messel für die Berliner Volks-Kaffee- und Speisehallengesellschaft erbaut.
Bedürftige Menschen erhielten gegen ein geringes Entgelt Kaffee und kleine Speisen.
Daneben waren in dem Gebäude auch Wohnungen untergebracht.
Chausseestraße 105
Wir biegen nun links in die Zinnowitzer Straße ein, die nach einem kurzen Weg in
die Julie-Wolfthorn-Straße übergeht. 1998 gründete sich ein Julie-Wolfthorn-
Freundeskreis, der das Leben der bis dahin unbekannten jüdischen Künstlerin
erforschte. Am 8.1.1864 in Thorn/Westpreußen geboren, verstarb sie am 29.12.1944
in Theresienstadt.
Wir überqueren den Platz in südlicher Richtung, erreichen die Invalidenstraße und
folgen ihr westlich (oder rechts) zur Chausseestraße. An dieser lebhaften Kreuzung
Chaussee - / Invalidenstraße, finden wir einen weiteren Bezug zu Fontanes „Stine“.
Pauline Pittelkow schickt ihre 10-jährige Tochter Olga aus ihrer Wohnung,
Invalidenstraße 98 e in die Tieckstraße. Sie soll ihrer Freundin, der Schauspielerin
Wanda Grützmacher, eine Abendeinladung überbringen. Olga lief, dabei Schaufenster
betrachtend
„bis an die Chausseestraße, wo, wie gewöhnlich in dieser kirchhofreichen Gegend
ein großes Begräbnis die Straßenpassage hemmte.“
Um besser sehen zu können, stellt sie sich auf eine Steintreppe und wartet auf das
Ende des Trauerzuges.
„Endlich aber war der Zug vorüber, und Olga passierte nun den Damm und bog
hundert Schritte weiter abwärts in die Tieckstraße ein.“
Noch heute kann man Olgas Weg von ihrer Wohnung in der Invalidenstraße 93
(heutige Nummerierung) in die Tieckstraße, benannt nach dem Schriftsteller Ludwig
Tieck, verfolgen. Die Straßenführung hat sich seit der Entstehungszeit (1880er Jahre)
des Romans nicht geändert.
Wir überqueren die Kreuzung nicht, biegen links in die Chauseestraße ab und gehen
in südlicher Richtung weiter, begleiten dabei Olga auf ihrem Weg. Die Schlegelstraße
überquerend fällt uns die Nummer 13 auf. Das unter Denkmalschutz stehende
Gebäude mit einer Neorenaissancefassade wurde 1899 als Kontorhaus der Berliner
Maschinenfabrik Borsig errichtet. Gut sichtbar ist in der Mitte des Hauses eine
Bronzeskulptur angebracht, die einen Schmied darstellt. Die Initialen AB weisen auf
August Borsig hin, den Gründer des Unternehmens.
Chausseestraße 13
Borsighaus
Nach ein paar weiteren Schritten erreichen wir die Tieckstraße, das Ziel von Olga,
die nun den Brief ihrer Mutter der Schauspielerin Wanda übergeben kann.
„Nummer 27 a war das dritte Haus von der Ecke: fünf Fenster Front, drei Stock und
eine kleine Mansarde. Der Wirt, ein Kupferschmied, hatte den Hof in eine halb offene
Werkstatt verwandelt, in der nun, den ganzen Tag über, auf oft zweimannshohen
Braukesseln herumgehämmert wurde, bei welchem Gedröhn und Gehämmere Wanda
ihre Rollen lernte.“
Auf dem Hof des heutigen Hauses Nr. 39 (es ist das 3. Haus auf der linken Seite)
hämmert kein Schmied mehr. Heute findet man dort einen grünen Innenhof.
Auf der anderen Straßenseite interessiert uns nun die Hausnummer 125. Im Jahre
1953 zogen Bertolt Brecht und Helene Weigel in das Hinterhaus mit Blick auf den
danebenliegenden Friedhof. Ihre Arbeitsstätten waren von dieser Wohnung fußläufig
zu erreichen. Heute befinden sich in dem Gebäude das Brecht-Weigel-Archiv und ein
Brecht-Weigel-Museum. Im Vorderhaus hat der Veranstaltungsraum des
Literaturforums seinen Sitz, das dort regelmäßig Buchvorstellungen und Lesungen
anbietet.
Am Haus ist eine schlecht lesbare Tafel angebracht, die auf die einstigen Bewohner
hinweist :
„In diesem Hause arbeiteten und wohnten Bertolt Brecht von 1953 bis 1956 und
Helene Weigel von 1953 bis 1971“
Brechthaus Innenhof mit Friedhofsmauer, Brecht
und Weigel wohnten im Quergebäude
1956 starb Brecht und 1971 Helene Weigel. Beide wurden auf dem
Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt,
Ab Ende des 18. Jahrhunderts wurden vor dem Oranienburger Tor mehrere Friedhöfe
angelegt : der evangelische Dorotheenstädtische, der später auch der
Friedrichwerderschen Gemeinde diente, der Französisch-reformierte Friedhof
und der katholische St. Hedwigs-Friedhof .
Wir betreten zunächst durch eine Pforte oder ein Tor die erstgenannte Ruhestätte,
gehen geradeaus, dann links und stehen bald darauf vor einer großen Grabanlage mit
mehreren Findlingen. Sie erinnern an Brecht, seine Frau Helene und seine Tochter
Hanne Hiob aus Brechts ersten Ehe.
Dieser Friedhof hat eine besondere Bedeutung, da viele Künstler, Gelehrte, Musiker,
Industrielle, Politiker, aber auch Architekten und Baumeister hier ihre letzte
Ruhestätte fanden.
Als ein Beispiel möchte ich nur die Grabstätte von Karl Friedrich Schinkel erwähnen.
„Auf dem Friedrich-Werderschen Kirchhof ragt sein [Schinkels] Denkmal auf, und
andre Denkmäler werden folgen.“
schreibt Fontane im Band „Die Grafschaft Ruppin“ - und er hatte recht.
An anderer Stelle heißt es :
„Am 12. Oktober wurde er auf dem Friedhofe der Dorotheenstädtischen oder
Friedrich-Werderschen Gemeinde (vor dem Oranienburger Tore) bestattet. Es ist
derselbe Friedhof, auf dem auch Fichte, Hegel, Franz Horn, Schadow, Beuth und
Borsig ihre Ruhestätte gefunden haben.“
Fontane beginnt das Kapitel „Karl Friedrich Schinkel“ in seinem Wanderungsband
„Die Grafschaft Ruppin“ :
„Unter allen bedeutenden Männern, die Ruppin, Stadt wie Grafschaft,
hervorgebracht, ist Karl Friedrich Schinkel der bedeutendste.“
Schinkelgrab und
Hitzig Mausoleum
Im Hintergrund ist das Mausoleum der Familie Hitzig zu erkennen. Zu erwähnen sei
an dieser Stelle nur Friedrich Georg Heinrich Hitzig. Er war Architekt (u.a.
Markthalle am Schiffbauerdamm) und als Präsident der Akademie der Künste im
Jahre 1876 Fontanes oberster Vorgesetzter.
Ravenébüste
Schräg gegenüber sehen wir eine monumentale von einem Gitter umschlossene
Grabanlage. Friedrich August Stüler entwarf sie für Pierre Louis Ravené (1793-
1861), dem Vater des o. g. Ravené. Er war Gründer der Berliner Eisengroßhandels.
Berühmtheit erlangte er auch durch seine Gemäldesammlung.
Louis Auguste Ravené, Sohn des Louis Friedrich Jacob Ravené kaufte 1892 Gut und
Schloss Marquardt bei Potsdam. Fontane besuchte das Schloss 1869 und schildert
seine Eindrücke im Band „Havelland“.
Wir verlassen nun diesen Friedhof. Am Ende der Friedhofsmauer erreichen wir die
Nr. 128/129 und sehen über dem Eingang den Schriftzug „Katholische Höfe“.
Mehrere Höfe bilden hier eine Verbindung zur Hannoverschen Straße. Wir betreten
den ersten Hof und gehen ein paar Schritte nach rechts. In einer kleinen Grünanlage
sehen wir einen verwitterten Grabstein. Er weist auf den ersten nachreformatorischen
(bereits erwähnten) katholischen Friedhof Berlins hin (1777-1878), der sich von der
Chaussee- bis zur Hannoverschen Straße erstreckte. Der Grabstein wurde 1805 für
die jung verstorbene Antoinette Weiß angefertigt, laut Vertrag für einhundert Jahre.
Folgende Inschrift ist zu lesen :
Bis zum Abriss der Akzisemauer, die den Verlauf der Hannoverschen Straße
einnahm, dehnte sich der Dorotheenstädtische und Friedrichwerdersche Friedhof bis
zur Hannoverschen Straße aus. Es war ein flächenmäßig großes Friedhofsareal vor
dem Oranienburger Tor.
Wir haben nun das Oranienburger Tor und damit das Ende der Chausseestraße
erreicht. Hier fällt, an der Ecke zur Torstraße, ein großes, um 1890 errichtetes
repräsentatives Eckgebäude auf. An dieser Stelle befand sich zwischen 1837 und
dem Ende der 1880er Jahre die Maschinenbauanstalt von Johann Friedrich August
Borsig. Eine Tafel ist am Haus angebracht :
Borsighaus Tafel
In einigen Romanen von Fontane findet man dezente Hinweise auf die
Industrialisierung Berlins. So z.B. in „Stine“:
Die Liebesgeschichte zwischen Stine und Waldemar von Haldern spielt im Sommer
1878. Bei einer Rast in einem Sommerlokal beobachtet Waldemar von Haldern die
Moabiter Fabrikanlagen.:
„Waldemar hatte seine Freude daran, diese kleine Neugier zu beobachten und las
aus den Mienen der Kellner den Gang ihrer Unterhaltung mit einer Sicherheit
heraus, als ob er sie vom nächsten Baum her hätte belauschen können. Überhaupt
entging ihm nichts und wenn er eine Zeitlang die Qualmwolken aus dem gerade
gegenübergelegenen Borsigschen Eisenwerke hatte hervorquellen und nach der
Jungfernheide hin abziehen sehen,….“
Auch Botho von Rienecker in „Irrungen, Wirrungen“ nimmt Lärm und Qualm
eines „großen Etablissements“ wahr, beobachtet die Arbeiter bei ihrer Mittagspause,
sah deren Frauen, die das Essen brachten und
„...war entzückt von dem Bilde, das sich ihm bot,..“
Beides sind Schlüsselszenen, die das Ende der nicht standesgemäßen Beziehungen
einleiten.
Die Enkel des Firmengründers August Borsig verlegten die Produktion in den 90er
Jahren des 19. Jahrhunderts nach Tegel. In den alten Fabrikhallen befindet sich heute
ein Einkaufszentrum.
Eingangstor Groß-
Behnitz
Am 8.4.1881 besuchte Fontane Groß Rietz, wie wir seinem Tagebuch entnehmen.
Im Kapitel „Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow“ schildert er eine
Kutschfahrt mit dem Original Moll. Fontane erfährt vom Kantorenehepaar des
Dorfes:
„Ja, zwei Wöllner-Bilder, eines als Minister und eines aus seiner Hauslehrerzeit, als
er noch in Groß Behnitz war. Ach du lieber Himmel, Groß Behnitz! Wie sich doch
alles ändert im Leben. Das war das Itzenplitzische Lieblingsgut, und nun hat es
Borsig, und der hat es auch nicht mehr, und ist bloß noch Sommersitz und Villa für
seine Witwe. Kennen Sie Groß Behnitz? Ich nickte.“
Viele Gebäude des ehemaligen landwirtschaftlichen Gutes wurden inzwischen
denkmalgerecht saniert und werden als Tagungs- und Hotelanlage mit mehreren
Gaststätten genutzt. Das in Landgut Stober umbenannte Landgut Borsig liegt
malerisch am Groß Behnitzer See.
Unsere letzte Etappe führt uns die Friedrichstraße entlang bis zum Bahnhof. Sie
erhielt ihren Namen 1705 nach König Friedrich I. Bis zum Abriss der Akzisemauer
stellte sie eine Verbindung zwischen der nördlichen Stadtgrenze (Oranienburger Tor)
und der südlichen Grenze (Belle-Allianz-Platz) dar. 1947 wurde er in Mehringplatz
umbenannt. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die Friedrichstraße zu einer
lebhaften Straße mit zahlreichen Gaststätten, Hotels, Geschäften und Wohnungen.
Im 19. Jahrhundert wurden mehrere Kasernen errichtet und zum Ende des
Jahrhunderts machte sich die Straße als Amüsier- und Geschäftsmeile einen Namen.
Berühmt wurde sie auch für ihr Nachtleben. In „Frau Jenny Treibel“ stellt Treibel
die Frage :
„… wird die Panke zugeschüttet, oder was so ziemlich dasselbe sagen will, wird die
Friedrichstraße sittlich gereinigt“ Offen gestanden, ich fürchte, daß unsre pikanteste
Verkehrsader nicht allzuviel dabei gewinnen wird; sie wird um ein geringeres
moralischer und um ein beträchtlicher langweiliger werden“
Eine erste Kaserne, für die Reitende Artillerie, wurde Anfang des 19. Jahrhunderts an
der Ecke Hannoversche Straße errichtet. Über diese schrieb der Arzt und Journalist
Isidor Kastan in seinem Buch „Berlin wie es war“ (1919) :
„Hart am Nordausgange der Friedrichstraße breitete sich ein riesiges, über die
Maßen häßliches eingeschössiges Gebäude aus, die durch ihre wahrhaft klassische
Aufschrift berühmt gewordene ‘Reitende Artillerie-Kaserne‘. Das war innerhalb der
Stadtmauer. Einen Schritt darüber hinaus, und man las es anders. ‚A. Borsig‘ stand
in Buchstaben aus gebranntem Ton über dem Eingang zum Verwaltungsgebäude, das
durch eine schmucke Säulenhalle gegen die Flucht der ‚Chaussee-Straße‘
abgeschlossen war“.
Es ist derselbe Kastan, der bei der Uraufführung von Gerhard Hauptmanns „Vor
Sonnenaufgang“ im Lessing-Theater für einen Skandal sorgte. Als auf der Bühne
nach einer Hebamme gerufen wurde, holte Kastan eine Geburtszange hervor,
schwang sie umher. Später verzieh er Hauptmann das, nach seiner Ansicht, unsittliche
Stück.
Fontane hat natürlich davon Kenntnis genommen, erwähnt es am 8.10.1894 in einem
Brief an seine Tochter Mete.
Die Kaserne wurde 1889 abgebrochen. Zwischen 1974 und 1990 hatte dort, unter der
Adresse Hannoverschen Straße 28-30 die Ständige Vertretung der Bundesrepublik
Deutschland ihren Sitz.
Auf der gegenüberliegenden östlichen Seite der Friedrichstraße zweigen zwei Straßen
V–förmig ab, in deren Mitte uns ein terrakottafarbenes Haus auffällt. Es wurde um
1886 als herrschaftliches Mietshaus errichtet. Links sehen wir die Linienstraße und
rechts die Oranienburger Straße.
„Wir gingen [mit dem Stabsarzt Hermann Müller] also zunächst über die
Weidendammerbrücke fort, auf das Oranienburgerthor zu, … und gingen ruhig auf
die Linienstraße zu, die hier die Nordhälfte der Stadt in weitem Bogen umspannt und
etwa da ausmündet, wo ich hinwollte.“ - in die Königsstraße am Georgenkirchplatz.
Vom Oktober 1847 bis September 1848 arbeitete Fontane als 1. Apotheker in der
Jungschen Apotheke „Zum schwarzen Adler“ Neue Königsstraße 50 /
Georgenkirchstraße. Heute entspricht dies etwa der Alexanderstraße / Otto-Braun-
Straße.
Die Oranienburger Straße ist auch noch aus anderen Gründen für diesen Spaziergang
von Bedeutung. Am 8.12.1845, dem Tag seiner Verlobung bog Fontane mit Emilie
von der Weidendammer Brücke kommend in die Oranienburger Straße ein und
brachte sie nach Haus
„wo die junge Dame in einem ziemlich hübschen, dem großen Posthof
gegenübergelegenen Hause wohnte“,
wie er in „Von Zwanzig bis Dreissig“ erinnert.
1703 wurde das Lustschloss Monbijou auf dem damaligen Spandauer Heerweg
errichtet, etwa 700 m von unserem Standpunkt. Es erstreckte sich bis zur Spree,
wurde im Krieg zerstört, 1959 abgetragen und auf dem einstigen Gelände eine große
Parkanlage errichtet.
Monbijou war bevorzugtes Schloss Preussischer Königinnen. Pierre Barthélemy
Fontane, der Großvater Theodors, diente dort als Zeichenlehrers der Königin
Friederike Luise, der Gemahlin Friedrich Wilhelms II. und später der Königin
Luise, der Gemahlin Friedrich Wilhelms III, als Kabinettssekretär. Königin Sophie
Dorothea zog bis zu ihrem Tod 1757 das Schloss Monbijou in den Sommermonaten
dem Schloss Königs Wusterhausen vor. Dort musste sie mit ihrem Gemahl, Friedrich
Wilhelm I. und ihren Kindern den Herbst verbringen, während der König der Jagd
nachging.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurden im Schloss Monbijou erste Sammlungen für ein
späteres Hohenzollernmuseum angelegt. In Briefen an Mathilde von Rohr im Jahre
1868 beklagt Fontane die chaotischen Aufstellungen, unterbreitet ihr einen Plan und
bittet um Fürsprache für eine Einstellung als Museumsdirektor. Ein anderer bekam
den Posten. Gut für Fontanes kommende Leserschaft.
Im Jahre 1888, anlässlich seines 50. Todestages, wurde eine Marmorbüste von
Adelbert von Chamisso im Schlosspark aufgestellt. Sie erinnert an seine Tätigkeit
als Page bei Königin Friederike Luise am Ende des 18. Jahrhunderts.
Chamisso verlebte 1813 einen Sommer im Schloss Kunersdorf, beschäftigte sich mit
Botanik und schrieb seinen „Peter Schlemihl“, wie Fontane im Kapitel „Kunersdorf“
des Bandes „Oderland“ schreibt „… am offenen Fenster und den Blick auf den
schönen Park gerichtet...“.
In „Irrungen, Wirrungen“ erinnert Botho von Rienäcker die alte Wasch- und
Plättefrau Frau Nimptsch an „… einen berühmten Dichter, ... der ein Gedicht auf
seine alte Waschfrau gemacht hat. 1838 schrieb Adelbert von Chamisso das Gedicht
„Die alte Waschfrau“.
Wir widmen uns nun wieder dem weiteren Verlauf der Friedrichstraße, laufen in
südlicher Richtung weiter und verweilen kurz an der Nummer 126. Im Jahre 1850
wurde an dieser Stelle das Friedrich-Gymnasium und – Realschule als höhere Schule
errichtet. Nach dem 2. Weltkrieg diente das Gebäude weiterhin Ausbildungszwecken
und seit 2003 beherbergt das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude die Ullstein
Buchverlage, wie der Schriftzug am Haus verrät.
Wir schauen nun auf die andere, die östliche Seite der Friedrichstraße. Ein großes
Gebäude fällt ins Auge. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier eine für die damalige
Zeit sehr moderne Einkaufspassage errichtet. Sie verband die Friedrichstraße mit der
Oranienburger Straße und hatte in beiden Straßen die gleiche Fassade. In der Mitte
des Durchganges beeindruckte ein prächtiger Kuppelraum den Besucher. Dem
Kaufhaus, als ein Spekulationsobjekt errichtet, war kein Erfolg beschieden. Der
Konkurs folgte 1912. Verschiedene Nutzung, Zerstörung und langsamer Verfall
folgten.
Zwischen 1990 und 2012 erlangte dann das Gebäude als Kunsthaus Tacheles
Berühmtheit.
Geplant sind Büros, Wohnungen und Kulturbereiche und nach Fertigstellung (geplant
2022) wird es wieder einen Durchgang zur Oranienburger Straße geben.
Wir setzen unseren Weg fort und erreichen nach wenigen Schritten die Haus-Nr. 129
A-F. Im Jahre 1672 gründeten erste geflohene Protestanten aus Frankreich eine
französische Gemeinde in Berlin. Wenige Jahre später erhielten sie von der
Kurfürstin Sophie Charlotte das Gelände der heutigen Friedrichstraße 129 zur
Errichtung eines Hospital. Es folgten Vergrößerungen durch weitere Schenkungen,
die sich bald bis zur Akzisemauer am Oranienburger Tor erstreckten. Ermöglicht
wurden nun das Anlegen eines Friedhofs, die Errichtung eines Waisenhauses und
einer Schule. Später folgten weitere sozialen Projekte. Alle sozialen Aktivitäten
mussten aber 1926 aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten vonseiten der Kirche
aufgegeben werden. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand auf dem
Gelände Wohnhäuser, die Hugenottensiedlung. Nach Kriegszerstörungen und
teilweisen Wiederaufbau zog die Wohnanlage viele Kultur- und Kunstschaffende der
DDR an. Erhalten ist nur der Westflügel des ehemaligen neuen Hospitalgebäudes,
erbaut 1877-1878, der heute von einem Kindergarten genutzt wird.
Fontanes Vorfahren sind bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Berlin
nachgewiesen, gehörten zu den ersten Einwanderern. Wie viele andere, werden sie
die sozialen Einrichtungen dieser Gemeinde genutzt haben.
Wir erreichen dieses Areal, indem wir am Ende dieses Gebäudekomplexes in die
Claire-Waldorf-Straße einbiegen. Bevor wir den weiträumigen Innenhof betreten,
fällt ein großer Pelikan auf. Die Stele wurde 1994 aufgestellt, in Erinnerung an die
Unterzeichnung des Ediktes von Potsdam am 29.10.1685.
Durch den folgenden Torbogen gelangen wir nun in den Innenhof. Man kann schon
jetzt, trotz noch stattfindender Bauarbeiten, eine ruhige Insel abseits der
verkehrsreichen Friedrichstraße erahnen.
Wir kehren zur Friedrichstraße zurück, und verweilen an der kurz darauf
abzweigenden Reinhardstraße. Der gegenüberliegende Friedrichstadtpalast wird
seitlich von der Ziegelstraße und der Johannisstraße begrenzt. Es ist dies ein
geschichtsträchtiger Ort. 1706 wurde an dieser Stelle der Dorotheenstädtische
Friedhof Johannisstraße angelegt, auch Kirchhof über dem Weidendamm genannt.
Auf Beschluss Friedrich II. wurde er bereits 1762 für den Bau einer Kaserne für das
2. Garde-Regiment zu Fuß, geschlossen. Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Gebäude
vom Finanzamt genutzt und nach Zerstörung im 2. Weltkrieg fand auf dem freien
Platz der Zirkus Barley für einige Jahre eine Heimstatt. Der Bau des
Friedrichstadtpalastes folgte dann in den 1980er Jahren.
Wir nähern uns nun dem Schiffbauerdamm. Im 18. Jahrhundert stand an der Stelle
des heutigen Eckhauses das Wohnhaus von Antoine Pesne. König Friedrich I. hat
den Maler 1711 an den Berliner Hof geholt. Auf seinen Wanderungen durch
Brandenburg und dem Besuch von Schlössern und Herrenhäusern sah Fontane Bilder
und auch Deckengemälde von Pesne, die er schätzte.
Erinnern möchte ich an dieser Stelle an ein Theatergebäude, das nur vierzig Jahre,
von 1904 – 1944 an der Friedrichstraße / Weidendamm stand. Es nannte sich
Komische Oper, spielte Operetten und Revuen. Nach Kriegszerstörung wurde es
1952 abgetragen.
Wir sind nun am Ende dieses letzten Spazierganges angekommen und erinnern uns an
den Beginn auf der Weidendammer Brücke. Bereits 1685 gab eine hölzerne
Zugbrücke. Im Laufe der Jahrhunderte sah die darunter fließende Spree mehrere Um-
und Neubauten. 1895, fünfzig Jahre nach Theodor und Emilies spontaner Verlobung,
wurden Teile der Brückenkonstruktion demontiert und 1913 an einem Seitenarm des
Finowkanals bei Eberswalde wieder aufgebaut. Vorbei an leerstehenden
Industriebauten gelangt man, vom Bahnhof Eberswalde kommend, nach 7 km Rad-
und Wanderweg zur Teufelsbrücke, die nun „Verlobungsbrücke“ heißt. Sie ist
(noch) nicht zu begehen. Ein Rastplatz läd zu einer Pause ein und auf einer
Informationstafel kann man sich über die Industriebauten informieren.
Damit ist der Rundweg vom Bahnhof Friedrichstraße über die Luisenstraße,
Scharnhorststraße, Ida-von-Arnim-Straße, Chausseestraße, Friedrichstraße zum
Bahnhof zurück geschlossen.
Auf dem Weg wurden viele Entdeckungen gemacht, die immer wieder auf Weiteres
neugierig machten. Viel Freude beim Lesen und vielleicht eine Anregung, einen
Abschnitt nachlaufen
Literatur
Barbara Münzer
Juni 2022