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Prof. Dr.

Peter Oestmann
Grundlinien und Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts
Wintersemester 2013/14
Aktualisiert von Björn Czeschick und Stefan Kirwitzke, Stand: 12. November 2013

Vorbemerkung: Der folgende Text fasst den wesentlichen Inhalt der Vorlesungsstunden
knapp zusammen. Er kann und will auf keinen Fall ein Lehrbuch ersetzen.

Inhalt
§ 1 - Einführung in das juristische Studium ............................................................................... 1
I. Was ist Recht?..................................................................................................................... 1
II. Die Methode der Rechtswissenschaft ................................................................................ 2
1. Wissenschaft und Recht ................................................................................................. 2
2. Methoden der juristischen Grundlagenfächer ................................................................ 3
3. Auslegungsmethoden ..................................................................................................... 3
4. Methode der Fallbearbeitung: Subsumtion .................................................................... 4
III. Was ist Bürgerliches Recht? ............................................................................................ 4
1. Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten ........................................................................ 4
2. Fallbearbeitung im Bürgerlichen Recht ......................................................................... 5
§ 2 - Rechtsquellenlehre ............................................................................................................. 7
I. Rechtsquellen des gesetzten Rechts .................................................................................... 7
II. Andere Entstehungsgründe von Recht .............................................................................. 8
§ 3 - Die Entstehung des BGB ................................................................................................... 9
§ 4 - Das BGB und seine Prinzipien ........................................................................................ 10
I. Die Privatautonomie ......................................................................................................... 10
1. Vertragsfreiheit ............................................................................................................. 10
2. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)............................................................ 10
3. Zurechnungsfreiheit ..................................................................................................... 11
4. Eigentumsfreiheit ......................................................................................................... 11
5. Ehe(schließungs)freiheit............................................................................................... 11
6. Testierfreiheit ............................................................................................................... 11
II. Die Problematik der rechtlichen Gleichheit .................................................................... 12
III. Das Abstraktionsprinzip ................................................................................................. 12
§ 5 - Die natürliche Person, Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ...................................... 12
I. Natürliche Personen .......................................................................................................... 13
1. Beginn der Rechtsfähigkeit .......................................................................................... 13
2. Ende der Rechtsfähigkeit ............................................................................................. 13
3. Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit ......................................................................... 14
4. Wohnsitz, §§ 7-11 BGB ............................................................................................... 14
Prof. Dr. Peter Oestmann, Skript zur Vorlesung Grundlinien und Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts
Wintersemester 2013/14

5. Namensrecht, § 12 BGB............................................................................................... 15
II. Juristische Personen ......................................................................................................... 15
1. Verein ........................................................................................................................... 16
2. Stiftung ......................................................................................................................... 17
III. Verbraucher und Unternehmer ....................................................................................... 17
§ 6 - Sachen .............................................................................................................................. 18
I. Der Begriff der Sache ....................................................................................................... 18
II. Arten von Sachen ............................................................................................................. 19
1. Bewegliche und unbewegliche Sachen ........................................................................ 19
III. Gesamtsachen ................................................................................................................. 19
1. Wesentliche Bestandteile ............................................................................................. 19
2. Unwesentliche Bestandteile ......................................................................................... 19
3. Scheinbestandteile ........................................................................................................ 20
IV. Nutzungen ...................................................................................................................... 20
§ 7 - Rechtsgeschäftslehre ........................................................................................................ 20
I. Voraussetzungen ............................................................................................................... 20
II. Abgrenzung ..................................................................................................................... 21
III. Arten von Rechtsgeschäften ........................................................................................... 21
IV. Willenserklärung ............................................................................................................ 22
1. Tatbestand der Willenserklärung ................................................................................. 22
2. Erklärung ...................................................................................................................... 22
3. Verhältnis von Wille und Erklärung ............................................................................ 23
4. Willensmängel .............................................................................................................. 23
V. Geschäftsfähigkeit ........................................................................................................... 23
1. Geschäftsunfähigkeit .................................................................................................... 23
2. Beschränkte Geschäftsfähigkeit ................................................................................... 24
VI. Willensmängel ............................................................................................................... 25
1. Mentalreservation ......................................................................................................... 25
2. Scheingeschäft .............................................................................................................. 26
3. Anfechtbarkeit wegen Irrtums ...................................................................................... 26
4. Anfechtbarkeit wegen falscher Übermittlung nach § 120 BGB .................................. 28
5. Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung und Drohung nach § 123 BGB ............. 29
6. Die Anfechtungserklärung ........................................................................................... 30
7. Die Rechtsfolgen der Anfechtung ................................................................................ 31
8. Bestätigung nach § 144 BGB ....................................................................................... 31
VII. Formbedürftigkeit von Willenserklärungen ................................................................. 31
1. Zwecke ......................................................................................................................... 31
2. Arten ............................................................................................................................. 32
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3. Umfang ......................................................................................................................... 32
4. Rechtsfolgen von Formverstößen................................................................................. 32
5. Schriftform nach § 126 BGB ....................................................................................... 33
6. Weitere Formen ............................................................................................................ 33
VIII. Wirksamwerden von Willenserklärungen ................................................................... 33
1. Abgabe ......................................................................................................................... 33
2. Zugang unter Anwesenden ........................................................................................... 34
3. Zugang unter Abwesenden ........................................................................................... 34
4. Zugangsvereitelung ...................................................................................................... 34
§ 8 - Gesetzes- und Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften ................................................... 35
I. Der Gesetzesverstoß nach § 134 BGB .............................................................................. 35
II. Das sittenwidrige Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB ............................................. 36
III. Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB .................................................................................... 37
§ 9 - Vertragsschluss ................................................................................................................ 37
I. Bindung an das Angebot ................................................................................................... 38
II. Annahmefrist ................................................................................................................... 38
III. Tod und Geschäftsunfähigkeit........................................................................................ 39
IV. Vertragsschluss durch Schweigen .................................................................................. 39
§ 10 - Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ............................................................................... 40
I. Auslegungsgrundsätze ...................................................................................................... 40
1. Allgemeine Regeln ....................................................................................................... 40
2. Besondere Erklärungsarten .......................................................................................... 40
3. Gegenstand der Auslegung........................................................................................... 41
4. Die Verkehrssitte .......................................................................................................... 41
II. Ergänzende Vertragsauslegung ....................................................................................... 41
§ 11 - Bedingung und Befristung ............................................................................................. 42
I. Bedingung ......................................................................................................................... 42
1. Anwartschaftsrecht ....................................................................................................... 42
2. Schutz des Berechtigten während der Schwebezeit ..................................................... 43
II. Befristung ........................................................................................................................ 43
§ 12 - Vertretung und Vollmacht ............................................................................................. 43
I. Zulässigkeit der Stellvertretung ........................................................................................ 43
II. Die eigene Willenserklärung ........................................................................................... 43
III. Offenkundigkeitsprinzip................................................................................................. 44
1. Grenzen des Offenkundigkeitsprinzips ........................................................................ 44
2. Versehentliches Handeln im eigenen Namen............................................................... 44
3. Mittelbare Stellvertretung ............................................................................................ 44
4. Handeln unter fremdem Namen ................................................................................... 45
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IV. Vertretungsmacht ........................................................................................................... 45


1. Innen- und Außenverhältnis ......................................................................................... 45
2. Gesetzliche Vertretung ................................................................................................. 45
3. Vollmacht ..................................................................................................................... 45
V. Rechtsfolgen der Vertretung............................................................................................ 46
VI. Missbrauch der Vertretungsmacht ................................................................................. 47
VII. Insichgeschäft ............................................................................................................... 47
VIII. Vertreter ohne Vertretungsmacht ................................................................................ 47
§ 13 - Einwilligung und Genehmigung .................................................................................... 48
§ 14 - Fristen, Termine, Verjährung ......................................................................................... 48
§ 15 - Verjährung ..................................................................................................................... 49
I. Abgrenzung zu anderen Folgen von Zeitablauf ................................................................ 49
II. Zwecke der Verjährung ................................................................................................... 49
III. Einrede ........................................................................................................................... 49
IV. Gegenstand der Verjährung ........................................................................................... 50
V. Dauer der Verjährung ...................................................................................................... 50
1. Verjährungsfristen ........................................................................................................ 50
2. Verjährungsbeginn ....................................................................................................... 50
3. Hemmung ..................................................................................................................... 50
VI. Rechtsfolgen der Verjährung ......................................................................................... 50
§ 16 - Ausübung der Rechte, Selbstverteidigung, Selbsthilfe .................................................. 51
I. Schikaneverbot .................................................................................................................. 51
II. Selbsthilfe ........................................................................................................................ 51
1. Gewaltmonopol des Staates ......................................................................................... 51
2. Selbsthilferecht ............................................................................................................. 51
3. Notwehr ........................................................................................................................ 51
4. Defensiver Notstand ..................................................................................................... 52
5. Aggressiver Notstand ................................................................................................... 52
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§ 1 - Einführung in das juristische Studium

I. Was ist Recht?

Juristen befassen sich „mit dem Recht“; aber worum handelt es sich dabei eigentlich?

Der Begriff „Recht“ kann definiert werden als eine Ordnung menschlichen
Zusammenlebens mit dem Anspruch auf Durchsetzbarkeit.
Die Definition eines Begriffes dient stets auch dazu, diesen von verwandten Begriffen
abzugrenzen. So bedeutet Ordnung: kein Chaos. Die Ordnung menschlichen
Zusammenlebens unterscheidet sich zum Beispiel von der Ordnung der Marktwirtschaft oder
den Regeln des Zusammenlebens von Tieren.

Zur guten Ordnung menschlichen Zusammenlebens gehört es aber auch, dass man ein
Geschenk zu einer Feier mitnimmt oder im Bus aufsteht, wenn eine Rentnerin stehen muss.
Dabei handelt es jedoch trotzdem nicht um Recht. Nicht alles, was der Gewohnheit, der Sitte
oder der Moral entspricht, ist auch Recht.

Beispiel: Obwohl es sittlich-moralisch gefordert ist, zu einer Geburtstagsfeier ein Geschenk


mitzubringen, ist der Eingeladene dazu nicht rechtlich verpflichtet. Wenn der Gastgeber den
Eingeladenen aus seiner Wohnung hinauswirft, weil dieser ihm kein Geschenk mitgebracht
hat, so mögen wir dieses Verhalten als unmoralisch bewerten. Als Inhaber des Hausrechts
darf der Gastgeber gleichwohl willkürlich darüber entscheiden, wem er den Aufenthalt in
seiner Wohnung erlaubt.

Die Trennung von Recht und Moral ist dabei weniger selbstverständlich, als es zunächst
scheinen mag. Betroffenheit oder „political correctness“ führen immer wieder zu der
Versuchung, diese Grenze zu überschreiten. So darf ein Gastwirt sich grundsätzlich weigern,
einen Ausländer zu bedienen. Ein Vermieter ist nicht verpflichtet, auch an Homosexuelle zu
vermieten.
Die Willkür, die im Privatleben die Grundlage unserer Rechtsordnung darstellt, ist im
staatlichen Bereich dagegen verboten. Zum Beispiel darf eine Stadt die Überlassung der
öffentlichen Stadthalle an eine rechtsradikale Partei nicht wegen deren politischer Ziele
verweigern.

Recht lässt sich von der Moral dadurch abgrenzen, dass es gegen den Willen des Betroffenen
erzwungen werden kann. Im Konflikt dürfen Zwang oder notfalls sogar Gewalt angewendet
werden, um das Recht – nicht dagegen Sitte oder Moral – durchzusetzen. Allerdings darf
jemand, dem z. B. der Anspruch auf die Übereignung einer Sache zusteht, dieses Recht nicht
durchsetzen, indem er dem Anspruchsgegner die Sache einfach wegnimmt. Die
eigenmächtige Selbsthilfe ist verboten, weil Recht friedlich durchgesetzt werden muss.
In unserer Rechtsordnung ist nur der Staat befugt, Streitigkeiten zu entscheiden und das Recht
ggf. zwangsweise durchzusetzen. Diese Befugnis bezeichnet man als staatliches
Gewaltmonopol.

Beispiele: Der Gerichtsvollzieher darf einem Schuldner etwas wegnehmen. Die Polizei darf
protestierend auf Bahnschienen sitzende Castor-Gegner wegtragen.

In den meisten Fällen wird das Recht allerdings freiwillig vollzogen. Der Kunde zahlt seine
Brötchen beim Bäcker für gewöhnlich, ohne dass der Gerichtsvollzieher ihm das Geld unter
Zwang aus seinem Portemonnaie nehmen muss.

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Entscheidend beim Recht ist somit nicht der Zwang, sondern nur die Möglichkeit, notfalls
Zwang anzuwenden. Deshalb versteht man unter „Recht“ die Ordnung menschlichen
Zusammenlebens mit dem Anspruch auf Durchsetzbarkeit.

II. Die Methode der Rechtswissenschaft

1. Wissenschaft und Recht

Unter Wissenschaft versteht man üblicherweise ein planmäßiges Forschen nach Wahrheit.
Dazu muss ein von den Regeln des Faches jeweils akzeptierter Gegenstand bearbeitet werden.
Die Planmäßigkeit des Forschens beruht dabei zumeist auf einer ebenfalls von den Regeln des
Fachs akzeptierten Methode. Typisch für wissenschaftliche Methoden ist, dass sie offen gelegt
werden und intersubjektiv überprüfbar sind.

Der Gegenstand der Rechtswissenschaft ist das Recht. Die für das Fach auch geläufige
Bezeichnung „Jura“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ebenfalls „die Rechte“. Die
Methoden der Rechtswissenschaft sind vielfältig.
Um ein rechtliches Problem zu untersuchen, kann der Jurist nicht mit der Frage arbeiten, die
sonst von allen Wissenschaften gestellt wird, nämlich ob eine Behauptung wahr oder falsch
ist. Die Rechtswissenschaft fragt danach, ob jemand im Recht ist. Um die Antwort auf eine
rechtliche Frage zu ermitteln, kann der Jurist keine Versuche oder ähnliches durchführen,
sondern er muss vorgegebene Normen anwenden, meistens staatliche Gesetze, und
anschließend feststellen, welche Aussage er damit im Einzelfall begründen kann. Um Recht
anwenden zu können, muss man zunächst wissen welchen Inhalt das Recht hat. Demzufolge
besteht die Jurisprudenz nicht nur aus Rechtsanwendung, sondern vor allem auch aus
Rechtsverständnis.

Das Recht wird allerdings größtenteils vom Staat vorgegeben, so dass durch eine
Gesetzesänderung auch der Gegenstand der Rechtswissenschaft verändert wird. Vor allem
wegen dieser Erkenntnis, aber auch wegen der bereits erwähnten Besonderheiten, die die
juristische Methode im Vergleich zu anderen Wissenschaften aufweist, wird seit über 150
Jahren darüber diskutiert, ob es sich beim Recht überhaupt um eine Wissenschaft handelt.

So hielt der preußische Staatsanwalt Kirchmann bereits im Jahr 1847 einen berühmten
Vortrag mit dem Titel „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“(veröffentlicht
Berlin 1848). Die bekannteste Aussage dieser Rede lautete: „Drei berichtigende Worte des
Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur“.

Die Diskussion ist jedoch im Ergebnis unergiebig. Natürlich gibt es keinen Wahr-Falsch-
Gegensatz, und der Gegenstand steht zur Disposition des Gesetzgebers. Dennoch hat die
Jurisprudenz den wichtigen Zweck, Berechenbarkeit der Rechtsanwendung herzustellen. Die
juristische Dogmatik bezweckt die Gewinnung einheitlicher Maßstäbe, damit gleiche
Probleme möglichst gleich behandelt werden. Diese Rechtsgleichheit ist ein ganz
wesentliches Element der Gerechtigkeit.
Nicht umsonst ist die im 12. Jahrhundert in Italien entstandene Rechtswissenschaft neben der
Theologie das älteste Universitätsfach.

Im Folgenden gilt es, die verschiedenen juristischen Methoden näher zu betrachten.

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Wintersemester 2013/14

2. Methoden der juristischen Grundlagenfächer

Die Grundlagenfächer sind den juristischen Fragen im engeren Sinne vorgelagert. Obwohl sie
von einem großen Methodenpluralismus beherrscht werden, nimmt keines der
Grundlagenfächer die Unterscheidung Recht – Unrecht vor.
Die Rechtsgeschichte befasst sich damit, welches Recht in der Vergangenheit gegolten hat.
Zum Beispiel die Frage, ob man früher rechtlich dazu gezwungen war, zu einer
Geburtstagsfeier ein Geschenk mitzubringen, kann man mit wahr oder falsch beantworten.
Soweit die Rechtssoziologie fragt, welche gesellschaftlichen Bedingungen mit welchem Recht
im Zusammenhang stehen, kann dies ebenfalls empirisch – mit der Codierung „wahr oder
falsch“ – geklärt werden. In der Rechtsphilosophie wird schließlich diskutiert, wie das Recht
sein sollte. Auch die Antworten auf Fragen dieses Faches können zumindest nicht „Recht“
oder „Unrecht“ lauten.

3. Auslegungsmethoden

Die Kenntnis der Grundlagen des Rechts kann für die weitere Arbeit mit dem Recht von
Nutzen sein. Um aber den Inhalt von Recht zu bestimmen, wendet der Jurist die Technik der
Auslegung an. Um Rechtsnormen auszulegen, kann der Jurist vier Methoden anwenden.

Es wird stets mit der wörtlichen (grammatischen) Auslegung begonnen. Dazu ermittelt man
die Bedeutung eines bestimmten Wortes. Existieren mehrere mögliche Bedeutungen, müssen
die anderen Auslegungsmethoden bemüht werden. Über den Wortsinn einer Norm darf die
weitere Auslegung allerdings nicht hinausgehen.

Die historische Auslegung fragt danach, was der Gesetzgeber regeln wollte, indem er die
bestimmte Norm erlassen hat. Dabei ist auch zu untersuchen, welche Bedeutung einem
bestimmten Wort früher beigemessen wurde.

Mit der systematischen Auslegung wird die Stellung einer Norm im Gesetz bzw. in der
gesamten Rechtsordnung berücksichtigt.
Beispiel: Taucht der Begriff „Eigentümer“ im Gesetz auf, dann kann man davon ausgehen,
dass immer dasselbe damit gemeint ist. Da der Inhalt des Eigentums in § 903 BGB bestimmt
wird, weiß man also, dass immer dann, wenn vom Eigentümer die Rede ist, jemand genau die
Rechte aus § 903 BGB hat.
In verschiedenen Rechtsbereichen kann dasselbe Wort allerdings auch eine andere Bedeutung
besitzen. Hierfür ist die teleologische Auslegung maßgeblich.
Beispiel: Im Grundgesetz ist Eigentum etwas anderes als im Bürgerlichen Gesetzbuch. Im
Strafgesetzbuch ist eine Sache etwas anderes als im Bürgerlichen Gesetzbuch.

Die teleologische Auslegung betrifft den Sinn und Zweck einer Vorschrift. Es ist danach zu
fragen, was das Gesetz heute objektiv bezweckt.
Beispiel: Nach § 90 a S. 1 BGB sind Tiere nunmehr keine Sachen. Bei wörtlicher Auslegung
des § 303 Abs. 1 StGB wäre die Tötung eines Tieres deshalb nicht als Sachbeschädigung
strafbar. Da durch den Straftatbestand aber gerade das Eigentum geschützt werden soll, ist
eine Sache im Sinne des Strafrechts jeder Gegenstand, an dem man Eigentum begründen
kann. Die Tötung eines fremden Tieres ist deswegen auch nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar.

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4. Methode der Fallbearbeitung: Subsumtion

In der Praxis hat es der Jurist aber nicht mit der abstrakten Auslegung von Gesetzen zu tun,
sondern mit konkreten Geschehnissen. Diese werden als Sachverhalt bezeichnet.
Bei einem Sachverhalt ergeben sich meist zahlreiche Anknüpfungspunkte für die juristische
Relevanz. Welches der entscheidende ist, ergibt sich aus der konkreten Fallfrage.

Beispiel: A nimmt einen Stein und wirft damit die Schaufensterscheibe des Geschäfts von B
ein. Es wird danach gefragt, ob A die zerstörte Scheibe bezahlen muss.

Um die Antwort auf eine Fallfrage zu finden, muss der Jurist zunächst eine Rechtsnorm
suchen, die eine dem Ziel der Fallfrage entsprechende Rechtsfolge enthält. Die Rechtsfolge
zeigt, welche Konsequenz ein rechtlich relevanter Sachverhalt nach sich zieht. Eine
Rechtsnorm besteht regelmäßig aus Tatbestand und Rechtsfolge. Voraussetzung für den
Eintritt der Rechtsfolge ist die Erfüllung des Tatbestands.
Im Rahmen einer Falllösung hat der Jurist zu prüfen, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt die
Tatbestandsvoraussetzungen einer Rechtsnorm erfüllt. Die dazu verwendete Technik nennt
man Subsumtion. Deren Ziel ist es, durch Rechtsanwendung zu ermitteln, „was Recht ist“.

Im oben dargestellten Beispiel enthält § 823 Abs. 1 BGB die von B gewünschte Rechtsfolge:
Schadensersatz. Zu prüfen ist also, ob die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB vom
Sachverhalt erfüllt werden, so dass die begehrte Rechtsfolge eintreten kann.
Tatbestand: Wer (A) vorsätzlich (A wollte das) oder fahrlässig […] das Eigentum
(Schaufensterscheibe gehört B) […] eines anderen (B) widerrechtlich (A durfte das nicht)
verletzt (Stein werfen) → Rechtsfolge: ist dem anderen (B) zum Ersatz des daraus (durch die
Zerstörung der Scheibe) entstehenden Schadens (Reparaturkosten) verpflichtet (A muss
zahlen).

III. Was ist Bürgerliches Recht?

1. Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten

Recht kann zunächst danach unterschieden werden, von wem der Durchsetzungsanspruch der
Ordnung des menschlichen Zusammenlebens garantiert wird. So existiert als selbständige
Rechtssphäre neben dem staatlichen das kirchliche Recht.

Das Recht auf die Teilnahme am Abendmahl und seine Durchsetzung ist eine Frage des
innerkirchlichen Rechts.

Innerhalb des weltlichen Rechts wird zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht
unterschieden.
Bereits das römische Recht differenzierte zwischen Regelungen, die dem öffentlichen und die
dem privaten Interesse dienen. Diese von Ulpian geprägte sog. Interessentheorie wird auch
heute noch bei der Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht zurate gezogen.
Daneben wird aber auf weitere Merkmale dieser Rechtsgebiete abgestellt. Im Privatrecht
herrscht etwa weitgehend die Gleichordnung von Rechtssubjekten vor, während das
öffentliche Recht im Wesentlichen von Verhältnissen der Über- und Unterordnung geprägt
ist.
Es geht somit im Privatrecht meist um Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern, im öffentlichen
Recht dagegen nur um Bürger-Staat- oder Staat-Staat-Beziehungen.

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Man definiert öffentliches Recht deshalb heute als das Recht, durch das ausschließlich
Hoheitsträger in dieser Funktion berechtigt oder verpflichtet werden (sog. Sonderrechtstheorie
bzw. modifizierte Subjektstheorie). Das übrige Recht, das nicht Hoheitsträger zum Adressaten
hat, ist das Privatrecht. Es sei noch bemerkt, dass es sich beim Strafrecht um einen
Teilbereich des öffentlichen Rechts handelt, auch wenn es ein eigenes Studienfach bildet.
Der Gestaltung des Privatlebens wird damit auch vom Recht als eigener Bereich anerkannt.
Charakteristisch ist, dass das Privatrecht – im Gegensatz zum gebundenen öffentlichen Recht
– grundsätzlich frei ist. Dem Bürger ist also in der Privatrechtsordnung alles erlaubt, was
nicht vom Staat ausdrücklich verboten worden ist. Dagegen ist im öffentlichen Recht dem
Staat alles verboten, was das Recht nicht ausdrücklich erlaubt. Durch beide Grundsätze lässt
sich die Freiheit des Bürgers sichern.

Das Privatrecht umfasst schließlich das Bürgerliche Recht und das Sonderprivatrecht. Das
Bürgerliche Recht gilt grundsätzlich für alle Personen. Es behandelt Regeln über Versprechen
und Verträge als Mittel des Güteraustauschs und über den Ausgleich von Eingriffen und
Schäden (Sollensordnung: Schuldrecht), Regeln über die Zuordnung von Sachen zu Personen
und den Gebrauch von Sachen (Habensordnung: Sachenrecht), die Familienordnung und die
Erbordnung.
Das Sonderprivatrecht gilt dagegen nur für manche Personen: Arbeitsrecht gilt z. B. für
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Handelsrecht für Kaufleute, Versicherungsrecht für
Versicherer und Versicherte.

2. Fallbearbeitung im Bürgerlichen Recht

Das Bürgerliche Recht denkt in Anspruchsbeziehungen. Der Anspruch wird in § 194 Abs.
1 BGB legaldefiniert als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu
verlangen.
Dabei ist der Begriff „Recht“ hier nicht als die Ordnung menschlichen Zusammenlebens
(objektives Recht), sondern als ein Recht, das dem einzelnen zusteht, also als subjektives
Recht, zu verstehen.

Wird in einem Fall nach der Rechtslage gefragt, so sind alle möglichen
Anspruchsbeziehungen zwischen den beteiligten Personen in der Falllösung zu erörtern.
Deswegen lautet die Grundfrage, die der Bearbeiter des Falles sich stellen muss: „Wer will
was von wem woraus?“ Durch die W-Frage ermittelt man den Anspruchsteller (wer?), das
Anspruchsziel (was?), den Anspruchsgegner (von wem?) und die in Betracht kommende(n)
Anspruchsgrundlage(n) (woraus?).
Indem ermittelt wird, zwischen welchen Personen ein bestimmter Konflikt besteht, können
Anspruchsteller und –gegner identifiziert werden. Das Anspruchsziel muss dem Sachverhalt
entnommen werden (z. B. Herausgabe, Reparatur, Schadensersatz, etc.). Eine
Anspruchsgrundlage kommt schließlich immer dann in Betracht, wenn deren Rechtsfolge dem
Anspruchsziel des Anspruchstellers entspricht.

Der Jurist wählt eine Anspruchsgrundlage also nach der passenden Rechtsfolge aus. Die
anschließende Prüfung, ob die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, erfolgt im Gutachtenstil.
Das Ergebnis, ob jemandem ein Anspruch zusteht, kennt man immer erst am Ende der
Subsumtion. Man formuliert zunächst einen Obersatz, der auf die Rechtsfolge gerichtet ist.
Anschließend sind die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage aufzuzählen und bei Bedarf
zu definieren. Schließlich subsumiert man den Sachverhalt unter die Voraussetzungen und
gelangt zu einem Ergebnis.

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a) Anspruchsarten

In vielen Fällen, existieren mehrere Anspruchsgrundlagen, die die vom Anspruchsteller


gewünschte Rechtsfolge aufweisen. Im Gutachten sind stets sämtliche in Betracht
kommenden Ansprüche zu prüfen. Man beginnt dabei mit derjenigen Anspruchsgrundlage,
die rechtlich für den Anspruchsteller am günstigsten ist.
Demnach ergibt sich folgende Prüfungsreihenfolge für Anspruchsgrundlagen:
a) Vertragliche Ansprüche:
Sofern zwischen den Anspruchsgegnern ein Vertrag besteht, sind die
Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruchsteller günstiger als bei anderen
Ansprüchen. So muss z. B. beim vertraglichen Schadensersatz der Geschädigte das
Verschulden des Anspruchsgegners wegen der negativen Formulierung des § 280 Abs. 1
S. 2 BGB vor Gericht nicht darlegen und beweisen.
b) Dingliche Ansprüche: Ansprüche, die aus einem Recht an einer Sache herrühren
Bei ihnen profitiert der Anspruchsteller v.a. von der 30-jährigen Verjährungsfrist gem.
§ 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
c) Ansprüche aus unerlaubter Handlung: Deliktsrecht
Anders als bei den vertraglichen Ansprüchen muss der Anspruchsteller das Verschulden
des Schädigers darlegen und beweisen. Es gilt hier die Regelverjährung von drei Jahren,
§ 195 BGB.
d) Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung: Kondiktion
Das Bereicherungsrecht bietet wegen der Möglichkeit der Entreicherung in § 818 Abs.
3 BGB die ungünstigsten Ansprüche.

b) Der Anspruchsaufbau

Auch sofern sämtliche Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage erfüllt sind, kann dem
Anspruchsteller der Anspruch dennoch nicht zustehen, wenn er mit Schwächen allgemeiner
Art behaftet ist.
Aus diesem Grund bietet es sich an, die Prüfung des Bestehens eines Anspruches in drei
Schritten zu vollziehen. Dieser Aufbau gilt insbesondere für vertragliche
Erfüllungsansprüche. Es ist zu untersuchen, ob ein Anspruch entstanden, nicht erloschen und
durchsetzbar ist.

Der Anspruch ist entstanden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage


gegeben sind und keine rechtshindernden Einwendungen vorliegen. Solche Einwendungen
bestehen, wenn eine Willenserklärung oder ggf. ein ganzer Vertrag an einem Fehler leidet, der
ohne weiteres zur Nichtigkeit des entsprechenden Rechtsgeschäfts führt.
Beispiele: v. a. Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen (§§ 105 Abs. 1, 104 BGB) oder
schwere Mängel der Willenserklärung (i. S. d. §§ 116-118); Verstöße gegen ein gesetzliches
Verbot (§ 134 BGB) bzw. gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB); Wucher (§ 138 Abs.
2 BGB); Formnichtigkeit (§ 125 BGB)

Das Bestehen eines Anspruchs setzt ferner voraus, dass der einmal entstandene Anspruch
nicht später erloschen ist. Erlöschensgründe werden auch als rechtsvernichtende
Einwendungen bezeichnet. Vor Eintritt des Umstands, der zum Erlöschen führt hat, der
Anspruch bestanden.
Beispiele: Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB); Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB);
Bedingungseintritt (§ 158 Abs. 2 BGB); Kündigung, Rücktritt

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Der Anspruch muss aber auch durchsetzbar sein. Auch wenn ein Anspruch nicht erloschen
ist, kann es nämlich vorkommen, dass der Anspruchsgegner im Ergebnis nicht zu leisten
braucht. Das ist der Fall, wenn dem Anspruchsgegner ein Gegenrecht, eine sog. Einrede (auch
rechtshemmende Einwendungen genannt), zusteht, aufgrund dessen er die Leistung
verweigern darf.
Den Hauptanwendungsfall bietet dabei die Einrede der Verjährung gem. § 214 Abs. 1 BGB.
Andere Beispiele §§ 273 Abs. 1, 320 BGB.

c) Prozessuale Aspekte

Sollte ein Anspruch nicht durchsetzbar sein, so bedeutet das nicht, dass der Anspruch nicht
mehr bestünde. Deswegen wird auch zwischen Einreden und den übrigen Einwendungen
unterschieden. Auf Einreden muss man sich im Prozess ausdrücklich berufen.
Rechtshindernde und –vernichtende Einwendungen hat der Richter dagegen von Amts wegen
zu prüfen, sofern die Parteien die Tatsachengrundlage geliefert haben.

Beispiel: Wenn der Richter erfährt, dass jemand eine Schuld bereits bezahlt hat, weist er die
Zahlungsklage ab, da das Schuldverhältnis durch Erfüllung automatisch erloschen ist. Sollte
der Richter dagegen erfahren, dass eine im Klageweg geltend gemachte Forderung schon
vierzig Jahre alt ist, so darf er die Klage trotzdem erst wegen Verjährung abweisen, wenn der
Schuldner sich aus diesem Grund weigert zu zahlen.

Im Übrigen muss jede Partei im Prozess die tatsächlichen Voraussetzungen derjenigen


Rechtsnormen darlegen und ggf. beweisen, die für sie günstig sind. Dadurch wird auch der
Sinn der oben bereits erwähnten negativen Formulierungen im Gesetz deutlich. Es handelt
sich dabei um eine sog. Beweislastumkehr.
Während der Anspruchsteller zwar die Tatbestandsvoraussetzungen des § 280 Abs. 1 S.
1 BGB darlegen und beweisen muss, obliegt es dem Anspruchsgegner zu beweisen, dass er
die Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 S. 2 nicht zu vertreten hat.

§ 2 - Rechtsquellenlehre

In unserer Rechtsordnung entsteht Recht großenteils durch staatliche Rechtssetzung.


Daneben bilden aber beispielsweise auch Verträge Rechtsquellen. So können sich z. B.
Anspruchsgrundlagen insbesondere unmittelbar aus Verträgen ergeben.

I. Rechtsquellen des gesetzten Rechts

Gesetzgebung ist wesentliche Aufgabe der Staatsgewalt. Staatlichen Rechtsnormen ist


gemeinsam, dass sie abstrakt-generell formuliert sein müssen. Zwar sind Einzelfallgesetze
demzufolge verboten, jedoch müssen Normen eine derartige Bestimmtheit aufweisen, dass
sich ihr Inhalt exakt ermitteln lässt. Ein Hauptzweck staatlicher Gesetzgebung ist deshalb die
Gewährleistung von Rechtssicherheit.
Teilweise bedient sich der Gesetzgeber – oft als Konsequenz politischer Kompromisse – aber
auch unpräziser Formulierungen. In solchen Fällen resultiert Rechtsunsicherheit gerade
daraus, dass die Wertungen, die Gerichte bei der Anwendung mehrdeutiger Vorschriften
vorzunehmen haben, je nach Einzelfall unterschiedlich ausfallen.

Die staatliche Rechtssetzung ist demokratisch legitimiert. Demnach erfüllt das Recht
grundsätzlich den Mehrheitswillen, was insbesondere für seine Legitimation und Akzeptanz

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Wintersemester 2013/14

von großer Bedeutung ist. Ändert sich der Mehrheitswille, so können Gesetze nach Wahlen
entsprechend geändert werden.

Es existieren verschiedene Arten von Rechtsnormen. Diese Rechtsquellen des gesetzten


Rechts stehen zueinander in einem hierarchisch strukturierten Verhältnis.
Die Bestimmungen des Verfassungsrechts, die sich in Deutschland aus dem Grundgesetz
(GG) ergeben, bilden die Spitze der „Normenpyramide“. Sie gehen den übrigen
einfachgesetzlichen Vorschriften stets vor. Des Weiteren genießen EU-Verordnungen, die
unmittelbar in den Nationalstaaten Geltung erlangen, unterhalb des Verfassungsrechts
Vorrang vor dem einfachen Recht. Innerhalb der materiell-gesetzlichen Vorschriften des
einfachen Rechts werden weitere Differenzierungen vorgenommen. Formelle (Parlaments-)
Gesetze haben einen höheren Rang als Rechtsverordnungen, die von der Exekutive erlassen
werden, und als Satzungen, durch die Selbstverwaltungskörperschaften ihre eigenen
Angelegenheiten regeln können.
Durch formelle Gesetze werden häufig Vorgaben von EU-Richtlinien an die Gesetzgeber der
Mitgliedsstaaten umgesetzt, so z. B. das Verbraucherschutzrecht des BGB. Desweiteren
erhalten auch Völkerrechtliche Verträge durch sog. Transformation den Rang eines einfachen
Parlamentsgesetzes.

Die verschiedenen Rechtsquellen erfüllen durchaus unterschiedliche Funktionen. Da ein


Gesetz im Sinne des BGB aber gem. § 2 EGBGB jede Rechtsnorm ist, kommt es im
Zivilrecht (z. B. bei § 134 BGB) auf eine Differenzierung oft gar nicht an.

II. Andere Entstehungsgründe von Recht

In vielen Rechtsordnungen ist bzw. war Gott ein Entstehungsgrund von Recht. Heute ist dies
nur noch in den Staaten relevant, in denen es keine Trennung von Recht und Religion gibt,
zum Beispiel in Rechtsordnungen mit islamischem Recht.

Ein anderer Ansatz, die Naturrechtslehre, vertrat, dass das Recht aus der Natur des
Menschen selbst kommen kann. Man könne bereits durch Vernunftsanstrengung bestimmte
Rechtsregeln selbst erkennen. Eine solche Herleitung von Recht beruht jedoch zumeist auf
Zirkelschlüssen.

Ein heute noch anerkannter Entstehungsgrund von Recht liegt vor, wenn die Bevölkerung
selbst die Überzeugung hat, ein bestimmtes Verhalten sei rechtlich notwendig. Diese
Rechtsquelle nennt man Gewohnheitsrecht.
Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht sind das Bestehen einer
allgemeinen Rechtsüberzeugung (opinio necessitatis) und eine lange Übung (longa
consuetudo).
Es muss also zunächst eine allgemeine Überzeugung vorherrschen, dass ein Verhalten
rechtlich – nicht nur moralisch – zwingend geboten ist. Dieses Verhalten muss ferner über
eine gewisse Zeitdauer hinweg tatsächlich praktiziert worden sein.
Bei dieser dauerhaften Übung handelt es sich um eine Rechtserkenntnisquelle, weil man die
hinter der Übung stehende einheitliche Rechtsüberzeugung erkennen kann. Um diese
Überzeugung zu ermitteln muss auch der Jurist ausnahmsweise empirisch arbeiten.
Um Gewohnheitsrecht handelt es sich zum Beispiel bei den Vertragstypen Leasing und
Franchising oder im öffentlichen Recht bei den Rechtsfiguren der Aufopferung oder des
enteignenden Eingriffs.

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Problematisch ist, ob auch das sog. „Richterrecht“ als Rechtserkenntnisquelle eingestuft


werden darf. Mit dem Begriff Richterrecht ist die Erzeugung von Gewohnheitsrecht durch
eine sich über einen längeren Zeitraum erstreckende, gefestigte ständige Rechtsprechung
gemeint. Die Rechtsprechung soll aber gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz
gebunden sein. Würde sie gleichzeitig selbst Recht setzen, wäre sie an ihre eigenen
Präjudizien gebunden, was eine Rechtsprechungsänderung oft verhindern würde.
Im Übrigen handelt es sich beim „Richterrecht“ eben gerade meist nicht um eine allgemeine
Rechtsüberzeugung, weil es außer Juristen kaum jemandem bekannt ist.

§ 3 - Die Entstehung des BGB

Die Entstehung der Rechtswissenschaft geht auf das 12. Jahrhundert zurück. In Italien setzte
ab ca. 1100 mit der Wiederentdeckung der Digesten die sog. Rezeption des römischen Rechts
ein, womit man die Übernahme des römischen Rechts und römischen Rechtsdenkens in die
europäische Rechtsordnung bezeichnet. Als sog. „gemeines römisches Recht“ (Ius Commune)
galt es in beinahe allen europäischen Ländern und wurde jeweils durch einheimische
Rechtstraditionen und partikulare Gesetze und Verordnungen ergänzt.

Mit dem 18. Jahrhundert wurden die ersten Kodifikationen hervorgebracht. Eine
Kodifikation ist ein Gesetz, das den Anspruch erhebt, eine Materie vollständig und
systematisch zu regeln, und in einem Gesetzbuch (lat. Codex) enthalten ist. Zunächst
kodifizierten Bayern und Preußen (1794) ihr Recht, es folgten Österreich (1811) und schon
zuvor Frankreich (1804). Der französische Code Civil galt in großen, allerdings nicht in allen
Teilen Deutschlands, so dass sich nach dem Sieg über Napoleon die Frage stellte, ob man das
frz. Recht durch eine einheitliche, nationale Kodifikation ersetzen sollte. Ausgetragen wurde
diese Diskussion, der sog. Kodifikationsstreit (1814), insbesondere zwischen den beiden
deutschen Juristen Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840) und Friedrich Carl von
Savigny (1779-1861). Savignys berühmte Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung
und Rechtswissenschaft“ erschien 1814 und richtet sich in ihrem Inhalt gegen die Schrift
Thibauts. Savigny ging davon aus, dass es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sei, Recht zu
erzeugen, da das Recht im Volk selbst, durch Volksüberzeugung und Volksgeist entstehe.

Die Ausarbeitung des BGB begann, nachdem eine Verfassungsänderung 1873 (sog. lex
Miquel-Lasker) dem Reich die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Bürgerliche Recht
übertragen hatte. 1874 wurde eine Vorkommission eingesetzt, die sowohl Plan als auch
Methode der Kodifikation festlegen sollte. Während sich Preußen für die Ausarbeitung des
Gesetzes durch einen einzigen Redaktor ausgesprochen hatte, setzten sich die süddeutschen
Staaten durch, die getrennte Redaktoren für die einzelnen Rechtsgebiete vorgeschlagen hatte.
Somit wurde die Einsetzung einer Kommission erforderlich, die von 1874 bis 1888 unter dem
Vorsitzenden Heinrich Eduard von Pape (1816-1888), Präsident des
Reichsoberhandelsgerichts in Leipzig, den ersten Entwurf erarbeitete. Dieser wurde 1887
fertig gestellt und stieß insgesamt auf positive Resonanz. Bedeutende Kritik übten Otto von
Gierke (1841-1921) und Anton Menger (1841-1906). Sie bedauerten die mangelnde soziale
Ausrichtung des Privatrechts und den fehlenden Schutz für die wirtschaftlich Schwächeren.
Zwischen 1891 und 1896 führte die zweite Kommission unter Leitung von Gottlieb Planck
(1824-1910) eine Überarbeitung des 1. Entwurfs durch. Gegen die am 1. Entwurf geübte
Kritik wandte Planck ein, die soziale Frage würde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
durch den sich entwickelnden Interventionsstaat gelöst werden. 1895 legte die 2. Kommission
ihren Entwurf vor. Dieser blieb in seiner Substanz unangetastet, wurde jedoch an vielen
Stellen sprachlich geglättet und auch in einigen Regelungsbereichen verändert. Als 3. Entwurf
wurde das Gesetz dann dem Reichstag zugeleitet. Am 1.1.1900 trat das BGB schließlich in

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Kraft. Das BGB ist durch ein hohes Maß an Systematik gekennzeichnet. Bezeichnend ist
insbesondere der Aufbau vom Allgemeinen zum Speziellen mit allgemeinen, vorangestellten
Teilen. Auffällig ist die sprachliche Präzision, die ein hohes Maß an Rechtssicherheit
gewährleistet. Inhaltlich baut das BGB auf bürgerlich-liberalen Grundentscheidungen auf. Es
setzt die Grundsätze lediglich voraus und beschränkt sich auf subsumierbare Rechtssätze mit
bestimmten Rechtsfolgen. Demzufolge geht das BGB von einem eigenverantwortlichen
Bürger aus. Es betrachtet sich selbst nicht als endgültigen Abschluss der Rechtsentwicklung.
Bestimmte, von der Dogmatik entwickelte Institute (wie etwa die culpa in contrahendo, c.i.c.)
wurden ganz bewusst nicht in das Gesetz aufgenommen, um die Fortbildung durch
Wissenschaft und Rechtsprechung zu gewährleisten.

§ 4 - Das BGB und seine Prinzipien

I. Die Privatautonomie

Das Regelungsgefüge des BGB ist insbesondere durch das Bekenntnis zur Privatautonomie
– dem obersten Prinzip des freien Privatrechts - geprägt. Darunter versteht man die Befugnis
der Rechtssubjekte, ihre privatrechtlichen Angelegenheiten selbstständig und
eigenverantwortlich, ohne staatliche Vorgaben nach ihrem eigenen Willen zu gestalten.
Rechte und Pflichten gelten nicht durch den Zwang anderer, sondern weil sie gewollt sind.
Alle Rechtssubjekte sind demnach autonome, freie und verantwortliche Personen. Insgesamt
lassen sich fünf wesentliche Elemente der Privatautonomie herausarbeiten: Vertrags-,
Zurechnungs-, Eigentums-, Eheschließungs- und Testierfreiheit.

1. Vertragsfreiheit

Ausprägung der Privatautonomie für den Bereich der Rechtsgestaltung ist die
Vertragsfreiheit. Sie garantiert die Freiheit des Einzelnen zu entscheiden, ob
(Abschlussfreiheit) und mit wem (Partnerwahlfreiheit) er einen Vertrag abschließen will,
welchen Inhalt der Vertrag hat (Inhaltsfreiheit) und in welcher Form dieser abgeschlossen
wird (Formfreiheit). Die Vertragsfreiheit ist gesetzlich nicht ausdrücklich normiert, sondern
wird vom BGB als Ausfluss der Privatautonomie als selbstverständlich vorausgesetzt. Ohne
die Kenntnis dieser ungeschriebenen Prinzipien der Vertragsfreiheit lässt sich das Gesetz
nicht verstehen.
So besagt beispielsweise § 125 BGB in Bezug auf die Formfreiheit, dass ein Rechtsgeschäft,
welches der durch das Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt nichtig ist. Im
Umkehrschluss bedeutet dies, dass grundsätzlich Formfreiheit besteht und die Form
ausnahmsweise vom Gesetz vorgeschrieben werden muss.

2. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Wenn Privatautonomie die Freiheit umfasst, Verträge mit einem beliebigen Inhalt und mit
wem man will zu schließen, dann ist diese Freiheit notwendigerweise diskriminierend: Man
kann sein Auto eben verkaufen, seine Wohnung vermieten, das Ja-Wort geben (auch
Familienrecht ist Privatrecht!), an wen man will und auch nur einmal (wenn man sich nicht
Ansprüchen auf Schadensersatz aussetzen will). Massive Einschränkung findet diese Freiheit
durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006. Auf europäische
Richtlinien zurückgehend, ist Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse,
der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer
Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, vgl. § 1
AGG. Entsprechende Benachteiligungen im Anwendungsbereich des § 2 AGG sind demnach

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unzulässig. Im Einzelnen unterscheidet das Gesetz zwischen arbeitsrechtlichen Verträgen


(§§ 6-18) und dem sonstigen Zivilrechtsverkehr (§§ 19-21) und trifft in Bezug auf die
einzelnen Diskriminerungskriterien wiederum abgestufte Regeln. Die Rechtsfolgen reichen
von Unterlassungsansprüchen bis Schadensersatz und „Schmerzensgeld“. Was auf den ersten
Blick wie die konsequente Anwendung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG aussieht,
ist in Wirklichkeit die Abschaffung der Abschlussfreiheit im Anwendungsbereich des
Gesetzes: Öffentliches Recht und Privatrecht sind eben verschiedene Materien. Die „political
correctness“ wird zur Rechtspflicht; der Gesetzgeber diktiert, welches Verhalten zwischen
den Bürgern richtig ist.

3. Zurechnungsfreiheit

Die Zurechnungsfreiheit besteht darin, dass der Ausgleich für Schäden (Leistungsstörungen,
Delikte) grundsätzlich an frei verantwortliche Handlungen anknüpft. So ist zum Beispiel die
Leistungsstörung die freie Verletzung einer frei gewählten Vertragspflicht; weiterhin besteht
im Deliktsrecht kein allgemeiner Vermögensschadensersatz, sondern ist mögliche Folge von
Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Bezug auf eine zurechenbare Handlung.

4. Eigentumsfreiheit

Die Eigentumsfreiheit gewährleistet die Zuordnung aller Sachen und


Herrschaftsmöglichkeiten über Sachen durch freie Rechtssubjekte in ihrem freien Belieben.
Gemäß § 903 S. 1 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder
Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder
Einwirkung ausschließen.

5. Ehe(schließungs)freiheit

Die Entscheidung, ob man eine Ehe eingehen möchte, mit welcher Person man eine Ehe
schließen möchte, ob man sich für oder gegen Kinder entscheidet, welchen Güterstand man
wählt (Gütergemeinschaft, Gütertrennung, Zugewinngemeinschaft) und ob man sich
letztendlich wieder scheiden lassen möchte, ist prinzipiell Entscheidung der erwachsenen
Menschen. In den Details ist die Eheschließungsfreiheit allerdings durch verschiedenartige
Gleichheits- oder sonstige Schutzaspekte stark überformt. So beeinträchtigt etwa die
Schulpflicht – demnächst evtl. auch die Kindergartenpflicht - das Erziehungsrecht der Eltern.
Und auch die steuerliche Förderung berufstätiger Frauen kann ein bestimmtes Verhalten
einzelner lenken, da hier bestimmte staatliche Anreize geschaffen werden. So wird die
Ehefreiheit in einzelnen Aspekten eingeschränkt.

6. Testierfreiheit

Die Testierfreiheit ist die von Art. 14 Abs. 1 S.1 GG garantierte Freiheit des Erblassers,
durch Verfügung von Todes wegen zu bestimmen, wer nach seinem Tod in seine
vermögensrechtliche Stellung eintreten soll. Das Erbrecht gegen den Willen des Erblassers
besteht nur in sehr engen Grenzen. Beschränkt wird die Testierfreiheit durch das
Pflichtteilsrecht (§§ 2303 ff. BGB), durch gesetzliche Verbote (§§134 BGB) und durch das
Verbot sittenwidriger Rechtsgeschäfte (§ 138 BGB).

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II. Die Problematik der rechtlichen Gleichheit

Die rechtliche Gleichheit jedes Menschen lässt sich privatrechtlich aus § 1 BGB ableiten,
demzufolge alle Menschen rechtsfähig sind. Früher legte das BGB den Begriff des Bürgers
zugrunde. Hierunter verstand man, dem Konzept des nach der frz. Revolution entstandenen
Code Civil von 1804 folgend, den Bürger als Staatsbürger mit gleichen Rechten. Der Begriff
des Bürgers wurde inzwischen weitgehend durch den Begriff des Verbrauchers (§ 13 BGB)
ersetzt. Dies begründet man dadurch, dass die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen häufig vor
der Eigenverantwortung steht. Problematisch hieran ist, dass in der unterschiedlichen
Behandlung von Verbrauchern und Unternehmern eine teilweise Rückkehr der rechtlichen
Ungleichheit und somit eine Abkehr vom Grundgedanken des BGB gesehen werden kann.
Denn die Verbrauchervorschriften, die den Verbraucher vor Benachteiligung im
Wirtschaftsverkehr schützen und somit seine rechtliche Stellung gegenüber dem Unternehmer
stärken, sind genau genommen Ausnahmen von der rechtlichen Gleichheit.

III. Das Abstraktionsprinzip

Ein wichtiges, nicht ausdrücklich geregeltes Grundprinzip des BGB ist das
Abstraktionsprinzip. Das BGB unterscheidet im Vermögensrecht zwei ganz verschiedene
Arten von Verträgen. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet den Verkäufer, dem Käufer die
Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. § 929 S. 1 BGB regelt
die Übertragung des Eigentums selbst. Die Verpflichtung, das Eigentum zu übertragen, ist
folglich etwas anderes als die Übertragung selbst. § 433 Abs. 1 S.1 BGB spricht nicht von
einer Übereignung, § 929 S. 1 BGB hingegen nicht von einer Verpflichtung. Nach dem
Abstraktionsprinzip sind Verpflichtungsgeschäft und Verfügungsgeschäft in ihrer
Wirksamkeit voneinander unabhängig.

§ 5 - Die natürliche Person, Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit

Der allgemeine Teil des BGB gliedert sich in insgesamt sieben Abschnitte. Von großer
Bedeutung sind dabei die ersten drei Abschnitte (§§ 1 bis 185 BGB), welche die Regelungen
über Personen, Sachen und Rechtsgeschäfte beinhalten. In Hinblick auf die gedankliche
Unterscheidung dieser geht es stets um die Frage, wer überhaupt Träger von Rechten sein
kann, was Gegenstand von Rechten sein kann und wie sich Rechte begründen oder
übertragen.

Man unterscheidet zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten. Rechtssubjekte


unterscheiden sich von den Rechtsobjekten dadurch, dass sie Träger von Rechten und
Pflichten sein können. Sie besitzen also Rechtsfähigkeit (z.B. Menschen als natürliche
Personen, aber auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften). Ein
Rechtsobjekt hingegen ist jedes Gut, auf das sich die rechtliche Herrschaftsmacht des
Rechtssubjekts erstrecken kann (z.B. Sachen, Immaterialgüter und Rechte). Diese
Unterscheidung stützt sich auf den Gedanken, dass das Recht eine Ordnung des menschlichen
Zusammenlebens ist und dass sich folglich alle Rechtsnormen an Menschen richten. Negativ
formuliert bedeutet dies einerseits, dass Sachen und Tiere niemals Träger von Rechten und
Pflichten sein können und dass andererseits der Mensch niemals Rechtsobjekt sein kann.
Menschen sind daher immer Rechtssubjekte. Dies ergibt sich im Verfassungsrecht aus
Art. 1 GG.

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I. Natürliche Personen

Das BGB beginnt in den ersten Vorschriften mit der Person und bekennt sich damit zu einem
sog. ethischen Personalismus. Schon bei den Vorsokratikern war „der Mensch das Maß aller
Dinge“. Der ethische Personalismus rückt den Menschen in den Vordergrund und blendet
gleichzeitig Gott aus. Mit der Ausnahme von § 1588 BGB, der von den kirchlichen
Verpflichtungen in Ansehung der Ehe spricht, enthält das BGB keine kirchliche Bezugnahme
mehr.

1. Beginn der Rechtsfähigkeit

Der Beginn des BGB besteht aus der technischen Aussage in § 1, dass die Rechtsfähigkeit des
Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt. Den Menschen bezeichnet das BGB als
sog. natürliche Person (vgl. Überschrift von Abschnitt 1 BGB). Zum einen enthält § 1 die
Aussage, dass die Rechtsfähigkeit unterschiedslos allen Menschen zukommt. Andererseits
geht die Vorschrift nicht davon aus, dass lediglich Menschen rechtsfähig sind. Das BGB
kennt neben den natürlichen auch sog. juristische Personen, die ebenfalls am Rechtsverkehr
teilnehmen (z.B. Vereine, Stiftungen, Aktiengesellschaften).

Unter Rechtsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.
Das BGB enthält diese Definition der Rechtsfähigkeit nicht und regelt lediglich deren Beginn
mit Vollendung der Geburt. Vollendung der Geburt ist der vollständige Austritt des
(lebenden) Kindes aus dem Mutterleib. So kann auch ein gerade erst geborener Säugling
Eigentum erwerben, etwa durch einen Erbfall.

Nasciturus
Grundsätzlich weist die Rechtsordnung lediglich rechtsfähigen, also geborenen Personen
Rechte und Pflichten zu. Allerdings bestehen Ausnahmen, denen zufolge auch dem
ungeborenen Leben Rechte zukommen. Den erzeugten, aber noch ungeborenen Menschen
nennt man nasciturus. Dieser kann etwa nach § 1923 Abs. 2 BGB Erbe sein; nach
§ 1923 Abs. 2 gilt als vor dem Erbfall geboren und damit rechtsfähig, wer zur Zeit des
Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits erzeugt war. Das Gesetz fingiert hier also nicht die
Erbfähigkeit des Ungeborenen, sondern durch die Gleichstellung mit einem geborenen
Menschen dessen Rechtsfähigkeit. Hieraus lässt sich schließen, dass das ungeborene Leben
bereits vor der Geburt partiell rechtsfähig ist.

2. Ende der Rechtsfähigkeit

Im Gegensatz zum Beginn der Rechtsfähigkeit enthält das Gesetz über deren Ende keine
ausdrückliche Bestimmung. Allerdings lässt sich aus § 1922 Abs. 1 BGB ableiten, dass die
Rechtsfähigkeit eines Menschen mit dessen Tod endet, wobei als Todeszeitpunkt nicht erst
das Ende der Herztätigkeit, sondern der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion
(Hirntod) anzusetzen ist. § 1922 Abs. 1 ordnet an, dass das gesamte Vermögen des
Verstorbenen im Moment des Todes automatisch auf den oder die Erben übergeht
(Universalsukzession) und somit einen neuen Rechtsträger bekommt. Der Leichnam ist
demnach nicht mehr rechtsfähig. Trotzdem wird der Leichnam auch nicht zum bloßen
Rechtsobjekt. Einerseits wird von einem Rest der Persönlichkeit gesprochen, andererseits
kann der Leichnam auch als Sache im rechtlichen Sinn verstanden werden, solange
klargestellt wird, dass es sich um eine sog. res extra commercium handelt, um eine Sache, die
vom Handel (Verkauf) ausgeschlossen ist.

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3. Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit

§ 2 BGB bestimmt, dass die Volljährigkeit mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres
eintritt. Die Volljährigkeit ist das Gegenteil der Minderjährigkeit, welche das Gesetz nicht
ausdrücklich normiert, aber voraussetzt (vgl. z.B. § 8 Abs. 2 BGB).
An das Erreichen der Volljährigkeit knüpft das Gesetz Rechtsfolgen, die im Gesetz an
verschiedenen Stellen geregelt sind, z.B. § 828, § 1303 Abs. 1, §§ 2247 Abs. 4, 2229 Abs.
1 BGB und § 52 Abs. 1 ZPO. Da der Mensch bereits mit Vollendung der Geburt
Rechtsfähigkeit erlangt, ist die Volljährigkeit hierfür irrelevant.

Allerdings wirkt sich die Volljährigkeit bedeutsam auf die Rechtsgeschäftslehre und somit auf
die Geschäftsfähigkeit aus. Ein Rechtsgeschäft ist eine Handlung, die aufgrund einer
Willenserklärung auf die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge abzielt (eine
Handlung, die hingegen lediglich auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolges abzielt,
nennt man Realakt). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Erklärende überhaupt zu
einem verantwortlichen, rechtsgeschäftlichen Handeln in der Lage ist. Die Fähigkeit, durch
Willenserklärungen Rechtsfolgen herbeizuführen, wird als Geschäftsfähigkeit bezeichnet. Das
BGB sieht grundsätzlich alle Menschen als geschäftsfähig an. Deshalb regeln die §§ 104
ff. BGB keine Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit, sondern nur die Ausnahmefälle der
Geschäftsunfähigkeit (§§ 104, 105 BGB) und der beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 106
ff. BGB).
Volljährige sind demnach grundsätzlich voll geschäftsfähig; eine Ausnahme zu diesem
Grundsatz stellt z.B. § 104 Nr. 2 BGB dar. Die wichtigste prozessuale Rechtsfolge, die das
Gesetz an die Volljährigkeit knüpft, ist die Prozessfähigkeit gem. § 52 ZPO. Die
Prozessfähigkeit besteht demnach insoweit, als sich eine Person durch Verträge verpflichten
kann. Im öffentlichen Recht tritt mit Erreichen der Volljährigkeit das Wahlrecht ein.

4. Wohnsitz, §§ 7-11 BGB

§ 7 BGB regelt den Wohnsitz einer Person. Unter Wohnsitz versteht man den Ort der
ständigen Niederlassung. Bedeutung erlangt diese Regelung unter anderem im Zivilprozess,
denn § 12 ZPO enthält die Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstands des Wohnsitzes.
Jeder hat demzufolge das Recht, dort verklagt zu werden, wo er wohnt. Im Bürgerlichen
Recht spielt der Wohnsitz vor allem für den Leistungsort gemäß § 269 BGB eine wichtige
Rolle. Bei Schuldverhältnissen erfolgt die Leistung grundsätzlich am Wohnsitz des
Schuldners. Somit besteht eine Holschuld des Gläubigers, der sich den Leistungsgegenstand
grundsätzlich beim Schuldner abholen muss, so dass der Schuldner an seinem Wohnsitz
leisten kann. Wichtig kann dies für die sog. Gefahrtragung sein, wenn etwa ein gekaufter
Gegenstand zerstört wird, bevor der Käufer ihn beim Verkäufer abgeholt hat, beim Transport
zerbricht oder beim Käufer zerbricht, dieser aber den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat. In
diesen Fällen ist jeweils der Leistungsort maßgeblich, der sich wiederum nach dem Wohnsitz
der Parteien richtet.

Geschäftsunfähige und beschränkt Geschäftsfähige haben ihren Wohnsitz gem. § 8 BGB bei
ihren gesetzlichen Vertretern, in der Regel folglich bei ihren Eltern. Für Kinder gilt ggf. noch
§ 11 BGB: falls nicht beiden Eltern gleichermaßen das Sorgerecht zusteht (etwas weil die
Eltern getrennt leben, nicht verheiratet oder geschieden sind), teilt das Kind nur den Wohnsitz
desjenigen Elternteils, dem das Sorgerecht zusteht.

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5. Namensrecht, § 12 BGB

Die Tatsache, dass Menschen Namen haben, setzt das Gesetz als selbstverständlich voraus;
ebenso die Tatsache, dass jedem Menschen das Recht zur Benutzung dieses Namens zusteht.
Der systematischen Stellung zufolge regelt die Vorschrift nur das Namensrecht natürlicher
Personen. Da das Gesetz die beiden oben genannten Tatsachen voraussetzt regelt es in
§ 12 BGB nur den Fall, dass das Recht zum Gebrauch des Namens eines Menschen
beeinträchtigt wird. Die Norm gebietet Schutz gegen Namensleugnung und
Namensanmaßung. Damit sind einerseits Fälle erfasst, in denen eine Person konsequent falsch
angeredet wird (z.B. mit dem Nachnamen des nichtehelichen Vaters), andererseits aber auch
die Konstellation, dass jemand selbst unter fremden Namen auftritt, um sich dadurch Vorteile
zu schaffen (z.B. Name eines Prominenten).
Denkbar sind aber weitere Problemfälle, wie etwa die Namensanmaßung oder
Namensleugnung von Wappen, Logos, Domain-Bezeichnungen von Homepages, Namen von
Gewerkschaften, Parteien oder auch Künstlernamen. In diesen Fällen greift § 12 BGB
zumindest nicht nach dessen Wortlaut; auch eine Auslegung hilft hier nicht weiter. Eine
ähnlich strukturierte Vorschrift findet sich in § 1004 Abs. 1 BGB. Aus beiden Vorschriften
lässt sich der Gedanke ableiten, dass die Rechtsordnung absolute Rechte (wie hier Namens-
und Eigentumsrecht) nicht nur gegen Verletzungen, die zu einem Schaden führen (§ 823 Abs.
1 BGB), sondern auch gegen sonstige Beeinträchtigungen schützen möchte. Folgt man dieser
Überlegung, so überschreitet man die Grenzen der Auslegung (möglicher Wortsinn) und
wendet eine Vorschrift analog an.
Dies bedeutet, dass man die Rechtsfolge einer Norm oder des einer Reihe von Regelungen
gemeinsamen Grundprinzips auf einen von deren Voraussetzungen nicht mehr erfassten Fall
anwendet. Voraussetzung ist das Bestehen einer unbeabsichtigten (d.h. planwidrigen)
Regelungslücke, die Vergleichbarkeit der Sach- und Interessenlage mit dem gesetzlich
geregelten Fall und schließlich die Notwendigkeit der Lückenschließung.

Kommt man vorliegend auf das Beispiel der Namensanmaßung einer Internet-Domain zurück,
so kann man feststellen, dass die Anmaßung eines Namens für den echten Namensträger
ebenso beeinträchtigend ist wie die Anmaßung eines Namens im zwischenmenschlichen
Umgang. Insbesondere Firmennamen verdienen im Geschäftsleben denselben Schutz wie
Namen von Privatpersonen.
Problematisch erscheint aber weiterhin, dass nach der wörtlichen Auslegung der Norm ein
Unterlassungsanspruch lediglich bei wiederholter Störung besteht. Dies würde voraussetzen,
dass der Berechtigte verpflichtet ist, eine erstmalige Verletzung zu dulden, obwohl deren
Rechtswidrigkeit bereits feststeht. Daher wendet man die Vorschrift wiederum analog an, so
dass auch vorbeugende Unterlassungsansprüche denkbar sind. Dies gilt auch für § 1004 Abs.
1 BGB.
Da sowohl § 1004 Abs. 1 als auch § 12 BGB absolute Rechte schützen, geht man davon aus,
dass diese Vorschriften (insbesondere § 1004 BGB) auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht
schützen. Sie gewährleisten demzufolge nicht nur Schutz gegen Missbrauch des Namens und
Eigentums, sondern auch gegen Ehrverletzungen. § 1004 BGB ist daher auch
Anspruchgrundlage zur Abwehr von Beleidigungen. Bei den Verletzungshandlungen iSd
§§ 12, 1004 BGB ist kein Verschulden erforderlich.

II. Juristische Personen

Neben den Menschen als natürlichen Personen werden auch juristische Personen als
Rechtsubjekte angesehen. Auch sie sind damit rechtsfähig. Juristische Personen werden
entweder durch Vertrag gegründet, bekomen die Rechtsfähigkeit verliehen oder besitzen

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Rechtsfähigkeit aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben. Juristische Personen ermöglichen


den Bestand eines Rechtssubjekts über einen größeren Zeitraum, unabhängig vom Bestand
seiner Mitglieder.

Beispiel:
Wenn ein Vereinsmitglied stirbt, erlischt seine Rechtsfähigkeit als natürliche Person.
Dagegen bleibt der Verein als juristische Person bestehen.

Das deutsche Recht kennt sowohl juristische Personen des Privatrechts als auch des
öffentlichen Rechts. Hierzu zählen u. a. der Verein (§§ 21 ff. BGB), die Stiftung (§§ 80
ff. BGB), die GmbH und die AG. Das öffentliche Recht kennt Körperschaften, Anstalten und
Stiftungen des öffentlichen Rechts.
1. Verein

Grundmodell der juristischen Person im BGB ist der Verein nach §§ 21 ff. BGB. Vereine
sind der freiwillige Zusammenschluss mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen
Zwecks.
Insoweit ähnelt er der BGB-Gesellschaft nach §§ 705 ff. BGB. Diese Ähnlichkeit erkennt
auch der Gesetzgeber, der das Gesellschaftsrecht gemäß § 54 BGB auf die nicht-rechtfähigen
Vereine anwenden will. Die Bestimmung des § 54 BGB ist aber nur vor ihrem historischen
Hintergrund zu verstehen. Da man im 19. Jahrhundert die Gewerkschaften, die als nicht-
rechtsfähige Vereine organisiert waren, der staatlichen Kontrolle bei der Anmeldung
unterwerfen wollte, wurde für sie das ungünstige Gesellschaftsrecht für anwendbar erklärt. Da
diese Regeln heute als unpassend empfunden werden, wird auf den nicht-rechtsfähigen Verein
heute ebenfalls Vereinsrecht angewendet. Dies widerspricht dem klaren Gesetzeswortlaut. Zur
Rechtfertigung werden mehrere Argumente vorgetragen: Teilweise werden die
Vereinsvorschriften analog angewendet. Hiergegen spricht aber, dass das Recht hier keine
planwidrige Regelungslücke enthält. Andererseits sind nach einer anderen Auffassung die
Vorschriften der § 705 BGB dispositiv, sodass sie abbedungen werden können. Die
Anwendung der §§ 21 ff. BGB entspricht in diesen Fällen oftmals dem Parteiwillen.
Schließlich wird auch angenommen, dass eine Auslegung gegen Wortlaut des § 54 BGB
ausnahmsweise zulässig sein soll (Auslegung contra legem). Bei einer contra-legem-
Konstruktion ist problematisch, dass das BGB aufgrund seiner zahlreichen Änderungen und
Neuverkündung zu einem nachkonstitutionellen Gesetz geworden ist und zur
Außerkraftsetzung solchen Rechts gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nur das
Bundesverfassungsgericht berechtigt ist.
Bei den rechtsfähigen Vereinen ist zwischen dem Idealverein nach § 21 BGB und dem
wirtschaftlichen Verein gemäß § 22 BGB zu differenzieren. Ein wirtschaftlicher Verein liegt
vor, wenn eine planmäßige, auf Dauer angelegte und nach außen gerichtete, d. h. über den
vereinsinternen Bereich hinausgehende, eigenunternehmerische Tätigkeit, die auf die
Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereins oder seiner Mitglieder abzielt,
stattfindet (BGHZ 85, 84, 92).

Beispiele
Die Taxizentrale ist ein wirtschaftlicher Verein, auch wenn der Gewinn ausschließlich bei den
Fahrern entsteht.
Der Sportverein, der auch eine Kantine betreibt, ist dagegen ein Idealverein. Etwas anderes
dürfte für einen Verein mit Profiabteilung gelten.

Ein Idealverein entsteht erst durch die Eintragung, die daher konstitutiv ist. Das Gegenteil zu
konstitutiven Handlungen sind die deklaratorischen Handlungen, die keine

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Gestaltungswirkung haben, sondern einen Zustand nur kundtun. Die Eintragung erfolgt in das
Vereinsregister. Das Vereinsregister ist ein öffentliches Register, in dem nach §§ 55 ff. BGB.
Mindestinformationen über den Verein verzeichnet sein müssen Jedermann hat gemäß
§ 79 BGB das Recht zur Einsichtnahme.
Der eingetragene Verein muss eine Satzung nach §§ 25, 57 BGB und einen Vorstand nach
§ 26 BGB haben. Die Satzung soll den Inhalt des § 58 BGB haben. Der Vorstand vertritt die
Gesellschaft im Außenverhältnis nach § 26 Abs. 2 BGB und ist gemäß § 27 BGB für die
Geschäftsführung im Innenverhältnis zuständig. Der Verein soll nach § 56 BGB mindestens
sieben Mitglieder haben. Jedes einzelne Mitglied ist nicht am Vermögen des Vereins beteiligt
und hat daher auch bei seinem Ausscheiden gemäß § 39 BGB keinen Anspruch auf eine
Abfindung. Das Vereinsrecht ist, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 40 BGB, der einige
vereinsrechtliche Vorschriften ausdrücklich für dispositiv erklärt, zwingend.
Die Haftung des Vereins ist in § 31 BGB geregelt. Der Verein haftet hiernach neben dem
Vorstand für dessen Fehlverhalten. Anders als bei der Haftung für den Verrichtungsgehilfen
nach § 831 BGB hat der Verein keine Möglichkeit, sich zu entlasten. Die Gläubiger werden
hierdurch bevorzugt, da sie zwei Schuldner erhalten, sodass das Insolvenzrisiko gesenkt wird.
§ 31 BGB gilt nach § 89 BGB auch für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts
entsprechend.

2. Stiftung

Die Stiftung nach §§ 80 ff. BGB ist die zweite juristische Person, die im BGB geregelt ist.
Bei der Stiftung wird ein Vermögen zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks eingesetzt und
verselbständigt. Eine Stiftung kann durch Erklärung des Stifters zu Lebzeiten nach § 81 BGB
oder durch eine Verfügung von Todes wegen gemäß § 83 BGB gegründet werden. Durch die
Fiktion des § 84 BGB wird eine Stiftung, die zum Zeitpunkt des Todes des Stifters noch nicht
bestand, so behalten, als habe sie bestanden. Hierdurch wird (vgl. § 1923 Abs. 2 BGB) die
Erbfähigkeit ermöglicht. Daneben kann die Stiftung schon zu Lebzeiten des Stifters
Vermögen erwerben.

III. Verbraucher und Unternehmer

Die Definitionen von Verbraucher und Unternehmer wurden im Jahr 2000 zur Umsetzung
einer EG-Richtlinie als §§ 13, 14 BGB in den ersten Titel des BGB eingefügt. Die Stellung ist
insoweit unglücklich, als Unternehmer nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen
sein können.
Durch die Begriffe des Unternehmers und Verbraucher wird der Grundsatz der rechtlichen
Gleichheit durchbrochen. Durch diese Differenzierung sollen Informationsasymmetrien und
wirtschaftlich ungleich verteilte Risiken ausgeglichen werden. Der Gesetzgeber bedient sich
hierzu einseitig-zwingenden Rechts, d. h. dass von den gesetzlichen Regeln nur zugunsten des
Verbrauchers abgewichen werden darf. Solche Ungleichgewichte finden sich typischerweise
bei einigen Vertragstypen wie Arbeitsverträgen und Mietverträgen über Wohnraum,
andererseits aber auch bei bestimmten Instrumenten wie Allgemeinen Geschäftsbedingungen
(AGB).
Nach § 13 BGB können nur natürliche Personen und BGB-Gesellschaften, sofern sie nur
natürliche Personen als Gesellschafter haben, Verbraucher sein. Ob jemand Verbraucher ist,
bestimmt sich danach, ob er mit dem konkreten Geschäft einen privaten Zweck, oder den
Zweck einer selbständigen oder gewerblichen Tätigkeit verfolgt. Auch der Existenzgründer,
der das Geschäft zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit vornimmt, ist daher nicht
Verbraucher. Die Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers beim Abschluss eines

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Arbeitsvertrags ist dagegen umstritten. Der Zweck des Geschäfts bestimmt sich nach der
objektiven Erkennbarkeit für den anderen Vertragsteil.
Nach § 14 BGB können neben natürlichen auch juristische Personen und rechtsfähige
Personengesellschaften Unternehmer sein. Gewerblich oder selbständig beruflich tätig ist, wer
am Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt anbietet. Die Tätigkeit muss
weder mit Gewinnerzielungsabsicht noch hauptberuflich erfolgen.
Das Verbraucherrecht findet sich u. a. in § 310 Abs. 1 BGB für AGB, in §§ 312 ff. BGB für
Fernabsatz- und Haustürgeschäfte, in §§ 474 ff BGB für den Verbrauchsgüterkaufvertrag, in
§§ 481 ff. BGB für den Teilzeitwohnrechtsvertrag, in §§ 491 ff. für den
Verbraucherdarlehensvertrag, in §§ 499 ff. für Finanzierungshilfen, in § 661 a BGB für
Gewinnzusagen und in § 241 a BGB für unbestellte Leistungen.

§ 6 - Sachen

Das Recht der Sachen wird im Abschnitt „Sachen und Tiere“ in den §§ 90-103 BGB geregelt.
Es handelt sich hierbei nicht um einen Teil des Sachenrechts, sondern um allgemeine Regeln
des Bürgerlichen Rechts, die auch in allen anderen Büchern des BGB Geltung finden.

I. Der Begriff der Sache

Nach § 90 BGB sind Sachen körperliche Gegenstände. Die Begriffe Gegenstand und
Rechtsobjekt sind identisch. Rechtsobjekte sind im Gegensatz zu den Rechtssubjekten
(Personen) alle Objekte, die Gegenstand von Rechten sein können. Zu den Gegenständen
gehören neben den Sachen auch Forderungen, das Vermögen oder ein Zeitungstitel. In der
Literatur wird teilweise angenommen, dass Gegenstände nur einzelne Gegenstände sein
können. Hiergegen spricht der § 311 b Abs. 3 BGB, wonach auch das Vermögen Gegenstand
eines Vertrages sein kann. Daher wäre es unsinnig, hier von mehreren Gegenständen zu
sprechen. Sowohl das Sachenrecht als auch die §§ 90 ff. BGB beschäftigen sich nur mit den
körperlichen Gegenständen, sprich den Sachen.
Körperlich ist ein Gegenstand, wenn er fest, flüssig oder gasförmig und von seiner Umwelt
abgrenzbar ist. Gegenstände können aus sich heraus, durch ein Behältnis oder durch eine
Markierung abgegrenzt werden. Allgemeingüter wie die Luft, das Meer oder fließende
Gewässer sind daher keine Sachen. Computerprogramme sind, ebenfalls keine Sachen, da sie
nicht fassbar sind, der Datenträger, auf dem sie abgespeichert sind, dagegen schon. Der
Körper eines Menschen ist keine Sache, sondern Teil eines Rechtssubjekts. Dagegen ist dies
für den Leichnam umstritten. Teilweise wird aufgrund des fortbestehenden
Persönlichkeitsrechts die Sacheigenschaft abgelehnt, teilweise wird nur die
Eigentumsfähigkeit verneint, weil die Wegnahme eines Leichnams nicht als Diebstahl,
sondern als Störung der Totenruhe nach § 168 StGB strafbar sei. Es ist wohl von einer
zeitlichen Grenze auszugehen, sodass alte Leichen (z.B. Mumien) Sachen sind, die Körper
gerade Verstorbener aber nicht. Einen Grenzfall stellen die präparierten Körper in der
Ausstellung „Körperwelten“ dar. Körperteile (z. B. Blutspenden), die vom Körper getrennt
wurden, sind nur dann Teile des Körpers, wenn sie mit ihm später wieder verbunden werden
sollen (BGHZ 124, 54). Der Begriff der Sache wird aber in der Rechtsordnung nicht
einheitlich verwendet. Vielmehr bedeutet Sache in § 119 Abs. 2 BGB Gegenstand und in
§ 265 ZPO streitiger Gegenstand.
Seit 1990 sind Tiere nach § 90 a BGB keine Sachen mehr. Allerdings ist dies unerheblich, da
auf Tiere die Regeln über Sachen grundsätzlich entsprechende Anwendung finden.

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II. Arten von Sachen

1. Bewegliche und unbewegliche Sachen

Die Unterscheidung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen ist im Sachenrecht


von erheblicher Bedeutung (vgl. §§ 929, 937, 946 für bewegliche Sachen, §§ 873, 925, 1113
unbewegliche Sachen). Unbewegliche Sachen sind Grundstücke und damit Teile der
Erdoberfläche, die im Grundbuch als Grundstücke geführt werden. Alle übrigen Sachen sind
bewegliche Sachen.

2. Vertretbare und unvertretbare Sachen

Weiterhin kann zwischen vertretbaren und unvertretbaren Sachen differenziert werden.


Nach § 91 BGB sind Sachen vertretbar, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht
bestimmt werden. So ist Mehl eine vertretbare und ein Gemälde eine unvertretbare Sache

III. Gesamtsachen

Sachen können miteinander derart verbunden sein, dass sie eine Funktionseinheit bilden (z. B.
Auto als Gesamtheit seiner Einzelteile). Wann diese Verbindung so eng ist, dass eine
Gesamtsache anzunehmen ist, wird durch die Regeln über wesentliche Bestandteile und
Zubehör (§§ 93-98 BGB) bestimmt.

1. Wesentliche Bestandteile

Wesentliche Bestandteile zeichnen sich nach § 93 BGB dadurch aus, dass sie nicht getrennt
werden können, ohne dass die Trennung zur Zerstörung, Beschädigung oder Unbrauchbarkeit
einzelner Teile führte. Unschädlich ist aber die Folge für die Gesamtsache, sodass ein Motor
kein wesentlicher Bestandteil eines Autos ist, weil er ausgebaut werden kann und beide Teile
bestehen bleiben (BGHZ 61, 80). Nach § 94 BGB sind Sachen, insbesondere Gebäude,
wesentliche Bestandteile eines Grundstücks, wenn sie mit dem Boden fest verbunden sind.
Gleiches gilt für die Erzeugnisse eines Grundstücks, wie noch nicht gefällte Bäume, und nach
§ 94 Abs. 2 BGB auch für die Sachen, die fest in ein Gebäude eingefügt sind. Das betrifft aber
nicht nur Steine oder Fliesen, sondern auch Waschbecken oder die Heizung. Rechtsfolge der
§§ 93, 94 BGB ist, dass die wesentlichen Bestandteile immer das rechtliche Schicksal der
Gesamtsache teilen. An ihnen können keine eigenen Rechte bestehen. Diese Regel ist
zwingend und kann nicht durch Vertrag abgeändert werden. Allerdings kann im Rahmen der
Vertragsfreiheit eine Regelung getroffen werden, die die gleichen Rechtsfolgen herbeiführt.
Eine Ausnahme zu § 93 BGB bildet insoweit die Eigentumswohnung, deren Recht aber
spezialgesetzlich im WEG geregelt ist.

2. Unwesentliche Bestandteile

Alle übrigen Bestandteile einer Sache, wie der Motor eines Autos, sind einfache oder
unwesentliche Bestandteile einer Sache. An ihnen kann selbständig Eigentum erworben
werden; doch ist bei Verträgen davon auszugehen, dass sich der Vertrag auch auf sie
erstreckt.

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3. Scheinbestandteile

Nach § 95 BGB werden Sachen nicht wesentliche Bestandteile, wenn sie von vorneherein mit
der Absicht verbunden werden, sie später wieder zu entfernen. Zu diesen sog.
Scheinbestandteilen gehören z. B. Garagen oder Gartenhäuser, die der Mieter aufstellt und
die bei seinem Auszug wieder entfernt werden sollen (BGH NJW 1987, 774).

4. Zubehör

Das Zubehör i.S.d. § 97 BGB zeichnet sich durch seine dienende Funktion aus. § 98 BGB
nennt als Beispiele Maschinen oder Gerätschaften bei gewerblichen oder landwirtschaftlichen
Betrieben. Der Zubehörbegriff ist nur eine Legaldefinition. An ihn knüpfen sich keine
Rechtsfolgen. Zubehör bleibt rechtlich selbständig. Allerdings werden an verschiedenen
Stellen im Gesetz Zweifelsregelungen aufgestellt. So erstreckt sich sowohl die Verpflichtung
zur Übereignung eines Grundstücks nach § 311 c BGB als auch die Übereignung selbst nach
§ 926 Abs. 1 S. 2 BGB im Zweifel auch auf das Zubehör. Gleiches gilt nach § 1120 BGB für
die Hypothek. Daher ist es möglich, das Eigentum an einem Huhn, wenn es Zubehör eines
Grundstücks ist, durch Eintragung im Grundbuch gemäß § 873 BGB zu übertragen.

IV. Nutzungen

Schließlich kennt das Gesetz noch Nutzungen und Früchte. Nutzungen sind insoweit der
Obergriff, der in § 100 BGB geregelt ist. Nutzungen sind Gebrauchsvorteile und umfassen
auch die Früchte. Gebrauchsvorteile ergeben sich nicht nur aus Sachen, sondern auch aus
Rechten, so etwa das Stimmrecht aus der Aktie. Sie müssen auch nicht materiell sein, sodass
auch der Gebrauch eines unter Naturschutz stehenden Gebäudes erfasst ist. Früchte nach
§ 99 BGB sind ein Unterfall der Nutzungen und lassen sich in unmittelbare Sachfrüchte (Abs.
1), unmittelbare Rechtsfrüchte (Abs. 2) und mittelbare Sach- oder Rechtsfrüchte (Abs. 3)
unterteilen. Unmittelbare Sachfrüchte sind z.B. Eier, Obst und Gemüse. Zu den unmittelbaren
Rechtsfrüchten zählen Kohle oder Jagdbeute als Ausfluss des Jagdrechts. Mittelbare
Sachfrüchte sind Miet- und Pachtzinsen. Zu den mittelbaren Rechtsfrüchten sind Sparzinsen
oder die Lizenzgebühren aus Urheberrechten zu rechnen.

§ 7 - Rechtsgeschäftslehre

Das Rechtsgeschäft ist ein zentrales Institut des BGB. Ihm ist der 3. Abschnitt des
Allgemeinen Teils, die §§ 104-185 BGB gewidmet. Dieser Abschnitt ist im Gesetz wiederum
unterteilt in Geschäftsfähigkeit, Willenserklärung, Vertrag, Bedingung und Befristung,
Vertretung und Vollmacht, Einwilligung und Genehmigung. Rechtsgeschäfte sind deshalb so
entscheidend, weil sie es dem Einzelnen im Rahmen seiner Privatautonomie ermöglichen,
Rechtsveränderungen herbeizuführen.
Ein Rechtsgeschäft ist eine Handlung, deren Zweck es ist, eine privatrechtliche Rechtsfolge
(=Änderung in den Rechtsbeziehungen Einzelner) herbeizuführen. Die Rechtsfolge tritt also
ein, weil der Einzelne sie will.

I. Voraussetzungen

Eine Willenserklärung liegt vor, wenn der Handelnde gegenüber einem Empfänger zu
erkennen gibt, dass die Rechtsfolge nach seinem Willen eintreten soll. Eine Willensbetätigung
liegt dagegen nach umstrittener Auffassung vor, wenn der Handelnde eine Rechtsfolge
herbeiführen will, dies aber durch die Herstellung eines entsprechenden Zustands erreichen

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möchte. Teilweise erfordern Rechtsgeschäfte die Einhaltung einer bestimmten Form oder das
Hinzutreten eines Vollzugsakts zur Willenserklärung (so § 929 S. 1 BGB die Übergabe zur
Übereignung einer beweglichen Sache).

II. Abgrenzung

Rechtsgeschäfte sind von verschiedenen anderen Handlungsformen abzugrenzen.


Geschäftsähnliche Handlungen (z. B. Mahnung nach § 286 BGB) sind Willensäußerungen,
bei denen die Rechtsfolge von Gesetzes wegen eintritt und nicht aufgrund des Willens des
Erklärenden. Die meisten Regeln über das Rechtsgeschäft finden aber auf sie analoge
Anwendung.
Realakte sind Handlungen ohne Mitteilungs- oder Kundgabezweck, deren Rechtsfolge ohne
Rücksicht auf den Willen des Handelnden eintritt (so beim Eigentumserwerb durch
Verbindung nach § 946 BGB).
Schließlich sind auch bloße Gefälligkeitshandlungen mangels Rechtsbindungswillen keine
Rechtsgeschäfte. Zur Abgrenzung der Gefälligkeit werden folgende Indizien herangezogen,
wobei die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein kann: Für die Annahme einer Gefälligkeit
spricht zunächst die Unentgeltlichkeit; doch ist zu beachten, dass es auch unentgeltliche
Verträge wie den Auftrag gibt. Weiterhin spricht es für eine Gefälligkeit, wenn der Gefällige
bei Annahme eines Vertrags unentgeltlich ein enormes finanzielles Risiko übernähme.
Schließlich kann die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für einen
Vertrag sprechen. Eine Mischform zwischen der alltäglichen Gefälligkeitshandlung und dem
Vertrag ist das Gefälligkeitsverhältnis, bei dem der Gefällige zwar keine Leistungs- aber
Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB übernimmt.

III. Arten von Rechtsgeschäften

Zu unterscheiden sind einseitige und mehrseitige Rechtsgeschäfte. Während bei ersteren


(z.B. Testament) nur eine Willenserklärung erforderlich ist, bedingen mehrseitige
Rechtsgeschäfte mindestens zwei Willenserklärungen, wie vor allem der Vertrag.
Der Vertrag verlangt zwei sich deckende (korrespondierende), im Bezug aufeinander
abgegebene Willenserklärungen, mithin einen Konsens über die Rechtsfolge. Der Vertrag
wirkt aber nach dem Grundsatz der Relativität nur zwischen den Vertragsparteien. An ihm
können auch mehr als zwei Parteien beteiligt sein, wie z.B. an einem Gesellschaftsvertrag
nach § 705 BGB.
Auch Beschlüsse, also zusammengefasste Willenserklärungen zur innerorganisatorischen
Willensbildung in Gesellschaften werden als Willenserklärungen angesehen. Bei ihnen muss
aber nicht nur die Rechtsfolge, sondern auch der Wortlaut der einzelnen Erklärungen gleich
sein.
Weiterhin können Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte unterschieden werden.
Verpflichtungsgeschäfte begründen nach § 241 Abs. 1 BGB eine Leistungspflicht. Dagegen
ist eine Verfügung ein Rechtsgeschäft, durch das die Rechtslage eines Gegenstandes
unmittelbar geändert, wird, wodurch also ein Recht übertragen, belastet, aufgehoben, oder
inhaltlich verändert wird. Während jedermann Verpflichtungsgeschäfte durchführen kann,
sind Verfügungsgeschäfte grundsätzlich dem Berechtigten vorbehalten. Grundsätzlich ist der
Rechtsinhaber zur Verfügung berechtigt. Etwas anderes gilt aber u.a. bei
Testamentsvollstreckung und Insolvenz. Dagegen kann nach § 137 BGB die
Verfügungsbefugnis nicht durch Vertrag ausgeschlossen werden. Insoweit wird also die
Verkehrsfähigkeit einzelner Rechtsobjekte über die Privatautonomie gestellt. Allerdings ist es
möglich, sich zu verpflichten, nicht über einen Gegenstand zu verfügen, sodass die

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Wirksamkeit der Verfügung über den Gegenstand unberührt bleibt, aber gegebenenfalls
Schadensersatzansprüche entstehen können.
Abgrenzungskriterium zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Rechtsgeschäften ist, dass
der Leistung des einen eine Gegenleistung des anderen gegenüberstehen muss, die von den
Parteien als Äquivalent angesehen werden muss. Wenn eine Leistung um der Gegenleistung
willen erbracht wird, spricht man von gegenseitigen Verträgen, vom Synallagma oder do ut
des. Verfügungen erfolgen, weil es nur um die Rechtsänderung des betroffenen Gegenstandes
geht, unentgeltlich. Bei unentgeltlichen Geschäften ist die Partei, die keine Gegenleistung
erbringt, in ihrem Vertrauen auf die ordnungsgemäße Durchführung nicht so schutzwürdig
wie bei Entgeltlichkeit. Daher wird die Haftungsübernahme des anderen bei vielen
unentgeltlichen Verträgen auf eigenübliche Sorgfalt oder grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Allerdings muss der Beauftragte auch für leichte Fahrlässigkeit einstehen, da im
Auftragsrecht eine entsprechende Regelung anders als bei Leihe, Verwahrung und Schenkung
fehlt.

IV. Willenserklärung

Zentral für die Herbeiführung von Rechtsfolgen in einem privatautonomen Zivilrecht ist die
Willenserklärung. Sie besteht in der Regel aus der Äußerung, die auf eine Rechtsfolge abzielt,
die ihrerseits vom Willen des Äußernden getragen ist.

1. Tatbestand der Willenserklärung

Die Willenserklärung lässt sich in den Willen (innerer Erklärungstatbestand) und die
Erklärung (äußerer Erklärungstatbestand) aufteilen. Der Wille setzt sich aus dem
Handlungswillen, dem Erklärungsbewusstsein und dem (bestimmten) Geschäftswillen
zusammen. Auch die Erklärung verlangt Handlungs- und Geschäftswillen. Das
Erklärungsbewusstsein wird hier in der Regel als Rechtsbindungswille bezeichnet
Handlungswille ist das bewusst gesteuerte Verhalten. Daher fehlt es am Handlungswillen bei
Bewegungen Schlafender, Bewusstloser oder bei unmittelbarem Zwang, der sog. vis absoluta.
Dagegen reicht allein psychologischer Zwang, die vis compulsiva, nicht für einen Ausschluss
des Handlungswillens. Dies ergibt sich daraus, dass Willenserklärungen, die durch eine
Drohung veranlasst wurden, wirksam und lediglich nach § 123 BGB anfechtbar sind.
Das Erklärungsbewusstsein verlangt das Bewusstsein des Handelnden im rechtlich
erheblichen Bereich tätig zu werden. Er muss aber keine Vorstellung von den konkreten
Rechtsfolgen seiner Erklärung haben.
Der Geschäftswille liegt vor, wenn der Erklärende bestimmte Rechtsfolgen herbeiführen will.

2. Erklärung

Die Erklärung kann ausdrücklich, konkludent und in Ausnahmefällen auch durch Schweigen
erfolgen. Eine ausdrückliche Erklärung liegt vor, wenn der Wille unmittelbar in Wort oder
Schrift zum Ausdruck gebracht wird. Konkludentes oder schlüssiges Verhalten reicht dann,
wenn aus ihm in Verbindung mit anderen Umständen ein bestimmter Sinn erschlossen werden
kann (z. B. Kopfnicken). Grundsätzlich kann Schweigen nicht als Willenserklärung
angesehen werden, da der Einzelne ansonsten gezwungen wäre, zur Abwendung von
Rechtsfolgen aktiv zu werden. Dies ist mit der Privatautonomie unvereinbar. Eine Ausnahme
wird für das kaufmännische Bestätigungsschreiben beim Vertragsschluss angenommen (dazu
später).

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3. Verhältnis von Wille und Erklärung

Zu klären ist schließlich, in welchem Verhältnis Wille und Erklärung stehen. Nach der
Willenstheorie, die im 19. Jahrhundert herrschend war, soll der Wille das maßgebliche
Element der Willenserklärung sein und die Erklärung nur das notwendige Erkenntnismittel
ebendieses Willens. Dass es beim Auseinanderfallen von Wille und Erklärung aber nicht nur
auf den Willen ankommt, wird dadurch deutlich, dass bei Willensmängeln dennoch eine
Willenserklärung besteht, die lediglich nach § 119 BGB anfechtbar ist.
Nach der Erklärungstheorie ist der Geltungsgrund der Willenserklärung das durch die
Erklärung geschaffene Vertrauen. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds der
Willenserklärung darf der Empfänger auf das Vorliegen von Handlungswillen,
Erklärungsbewusstsein und Geschäftswillen vertrauen. Das BGB folgt aber auch diesem
Modell nicht durchgehend. Vielmehr ist eine Scherzerklärung selbst dann nach § 118 BGB
nichtig, wenn der Empfänger auf ihre Ernstlichkeit vertraut hat.
Nach der Geltungstheorie, die eine Kombination aus der Willens- und Erklärungstheorie ist,
verwirklicht sich der Wille allein in der Erklärung (sog. Willensvollzug oder Vollzug des
Geschäftswillens). Geltungsgrund ist einerseits das Vertrauen des Empfängers in die
Erklärung und andererseits die Verantwortlichkeit des Erklärenden für die Erklärung. Das
Recht der Willenserklärung nach §§ 116 ff. BGB entspricht dieser Konzeption. Die
Verantwortung für die Erklärung ist die Kehrseite der Freiheit zur Abgabe der Erklärung.
Daher werden grundsätzlich nur eigene und keine fremden Willenserklärungen zugerechnet.

4. Willensmängel

Wenn der Handlungswille fehlt, liegt keine Willenserklärung vor. Das Fehlen des
Geschäftswillens führt dagegen nicht zur Nichtigkeit. Allerdings sind Willenserklärungen
immer noch fehlerhaft und können im Rahmen des § 119 BGB angefochten werden. Wenn
der Empfänger aber den Mangel erkennt, so sind die Erklärungen auch bei mangelndem
Geschäftswillen nach § 116 S. 2 nichtig oder nach § 108 Abs. 2 BGB schwebend unwirksam.

V. Geschäftsfähigkeit

Die Bildung eines Geschäftswillens und damit die wirksame Abgabe einer Willenserklärung
setzen voraus, dass der Erklärende geschäftsfähig ist. Daher beginnt der Abschnitt über die
Rechtsgeschäftslehre mit dem Titel über die Geschäftsfähigkeit. Grundsätzlich ist jeder
Mensch geschäftsfähig. Dies setzt das BGB voraus und nennt in den §§ 104 und 106 BGB nur
die Ausnahmen.

1. Geschäftsunfähigkeit

Geschäftsunfähig sind Kinder bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres nach § 104 Nr.
1 BGB. Bei ihnen wird aus Gründen des Minderjährigenschutzes generell angenommen, dass
sie nicht in der Lage sind, ihre Geschäfte selbst zu ordnen. Ihre Willenserklärungen sind nach
§ 105 Abs. 1 BGB nichtig. Ebenso wie Kinder sind auch diejenigen nach § 104 Nr. 2 BGB
geschäftsunfähig, die wegen einer Störung der Geistestätigkeit nicht zur Bildung eines
Geschäftswillens in der Lage sind. Wenn die Geistesstörung aber nur vorübergehender Natur
ist, bleibt die Geschäftsfähigkeit bestehen. Allerdings sind nach § 105 Abs. 2 BGB die in
diesem Zustand abgegebenen Willenserklärungen gleichwohl nichtig. Wenn die fehlende
Geschäftsfähigkeit unerkannt bleibt, so ist die Willenserklärung gleichwohl nichtig, da der
Schutz des Kranken Vorrang vor dem Schutz des Geschäftsverkehrs besitzt. Daher müssen
empfangene Leistungen nach Bereicherungsrecht rückabgewickelt werden.

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Wenn ein volljähriger Geschäftsunfähiger ein Geschäft des täglichen Lebens vornimmt, so
wird gemäß § 105 a BGB, wenn die Leistung und Gegenleistung bewirkt sind, fingiert, dass
Leistung und Gegenleistung wirksam sind. Auf diese Weise wird zwar nicht der Vertrag
wirksam, aber die empfangenen Leistungen können auch nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1.
Var. BGB zurückverlangt werden. So soll vor allem geistig behinderten Menschen die
Teilnahme am alltäglichen Geschäftsverkehr und Leben erleichtert werden, indem sie
beispielsweise selbständig Lebensmittel kaufen können. Fraglich ist, ob § 105 a BGB auch die
Fähigkeit begründet, Eigentum zu verschaffen. Dafür spricht, dass dies die logische
Konsequenz aus § 105 a BGB ist, der ansonsten weitgehend seines Sinnes beraubt wäre.
Dagegen spricht, dass der Geisteskranke einen Rechtsverlust erlitte und somit durch § 105
a BGB, der ihn schützen soll, schlechter gestellt wäre, als dies die §§ 104, 105 BGB vorsehen.

2. Beschränkte Geschäftsfähigkeit

Kinder, die das 7. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind in der
Geschäftsfähigkeit nach §§ 106-113 BGB beschränkt.

a) Das lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäft

Sie können Geschäfte, die für sie lediglich rechtlich vorteilhaft sind, selbständig gemäß
§ 107 BGB vornehmen. Bei der Frage, wann ein Rechtsgeschäft lediglich rechtlich vorteilhaft
ist, muss sorgfältig zwischen lediglich rechtlich und lediglich wirtschaftlich vorteilhaft
differenziert werden. Außerdem müssen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft getrennt
betrachtet werden. Verpflichtungsgeschäfte sind lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn den
Minderjährigen keine Verpflichtung trifft. Verfügungsgeschäfte sind lediglich rechtlich
vorteilhaft, wenn zugunsten des Minderjährigen ein Recht übertragen oder aufgehoben wird.
Der Eigentumserwerb an einem Grundstück ist für den Minderjährigen auch dann rechtlich
vorteilhaft, wenn das Grundstück mit öffentlichen Abgaben wie Steuern belastet ist. Auch die
Belastung mit dinglichen Rechten wie einer Hypothek ändert hieran nichts, da der
Minderjährige im schlimmsten Fall die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück gemäß
§ 1147 BGB dulden muss und somit keine Gefahr für sein Vermögen droht, die über den
Verlust des Grundstücks hinausgeht. Anders ist es, wenn das Grundstück vermietet ist. Hier
tritt der Erwerber nach § 566 BGB in den Mietvertrag ein. Ihn treffen daher auch persönliche
Verpflichtungen, so dass das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist.
Meistens liegt in der Verfügung die Erfüllung einer Verbindlichkeit nach § 362 BGB, so dass
der Minderjährige einen Anspruch verliert. Daher wird in diesen Fällen unterschieden. Die
Verfügung ist wirksam, weil sie lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Die Erfüllung tritt aber
nicht ein. Zwar ist die Erfüllung nach h.M. kein Vertrag, doch fehlt dem Minderjährigen die
Empfangszuständigkeit, so dass analog § 107 BGB die Erfüllungswirkung nicht eintritt.
Problematisch ist auch die Schenkung der Eltern an ihr minderjähriges Kind.
Unproblematisch ist der Schenkungsvertrag für das Kind lediglich rechtlich vorteilhaft.
Allerdings wird typischerweise die notarielle Form nach § 518 BGB nicht gewahrt sein. Der
Mangel der Form kann aber nach § 518 Abs. 2 BGB durch die Bewirkung geheilt werden. Die
Erfüllung ist aber analog § 107 BGB nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, so dass der
Minderjährige der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters bedarf. Dies ist, weil es
lediglich um die Erfüllung einer Verbindlichkeit geht, vor dem Hintergrund eines
Insichgeschäfts nach § 181, letzte Var. BGB zulässig. Um den Minderjährigen vor rechtlich
nachteiligen Schenkungen zu schützen, wird teilweise angenommen, dass das
Abstraktionsprinzip dahingehend zu durchbrechen sei, dass der rechtliche Nachteil des
Verfügungsgeschäfts auf das Verpflichtungsgeschäft durchschlagen soll. Dann müsste für den
Abschluss des Schenkungsvertrags ein Pfleger bestellt werden, wenn die Verfügung nicht

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lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Nach der Gegenansicht muss § 181 BGB dahingehend
teleologisch reduziert werden, dass auch die Erfüllung der Verbindlichkeit rechtlich
vorteilhaft sein muss.

b) Einwilligung und Genehmigung des gesetzlichen Vertreters

Wenn ein Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, bedarf der Minderjährige der
Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Die Einwilligung ist nach § 183 BGB die
vorherige Zustimmung, während Genehmigung i.S.v. § 184 BGB die nachträgliche
Zustimmung ist. Die Zustimmung nach § 182 BGB ist also der Oberbegriff. Die Einwilligung
kann sowohl einzelfallbezogen als auch als Generaleinwilligung für einen bestimmten
Rechtskreis erfolgen. Da die Generaleinwilligung mit dem Minderjährigenschutz kollidieren
kann, ist sie restriktiv auszulegen. Die Rechtsfolge der Einwilligung ist die volle Wirksamkeit
des Geschäfts des Minderjährigen. Allerdings kann er seine Haftung bei Eintritt der
Volljährigkeit gemäß § 1629 a BGB auf das Vermögen beschränken, das er zu diesem
Zeitpunkt hat.
Wenn der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte ohne die Einwilligung der Eltern
rechtsgeschäftlich tätig wird, so bedarf das Geschäft zu seiner Wirksamkeit der
Genehmigung des gesetzlichen Vertreters nach § 108 BGB. Bis zur Genehmigung ist das
Geschäft schwebend unwirksam, so dass sich hieraus keine Leistungspflichten ergeben. Erst
die Genehmigung sorgt gemäß § 184 Abs. 1 BGB dafür, dass das Geschäft ex tunc (von
Anfang an) wirksam ist. Sie kann sowohl gegenüber dem Minderjährigen als auch dem
Dritten erklärt werden. Nach § 108 Abs. 2 BGB kann der Geschäftspartner den gesetzlichen
Vertreter zur Genehmigung auffordern. Dann kann sie nur noch ihm gegenüber erklärt
werden. Wenn sie nicht binnen zwei Wochen erteilt wird, so gilt die unwiderlegliche
Vermutung, dass sie verweigert wurde. Bis die Genehmigung erteilt wird, kann der andere
Teil gemäß § 109 BGB seine Willenserklärung jederzeit widerrufen.
Nach § 111 BGB kann der Minderjährige nur mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters
einseitige Rechtsgeschäfte vornehmen. Eine Genehmigung ist nicht möglich. Der Dritte kann
die Erklärung zurückweisen, wenn der Minderjährige die Einwilligung nicht in schriftlicher
Form vorlegt.

c) Die Ermächtigungen

Nach § 110 BGB, dem sog. Taschengeldparagraphen, wird die generelle Einwilligung in ein
Rechtsgeschäft fingiert, wenn dem Minderjährigen zweckfrei Geld überlassen wird.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der Minderjährige über die Gegenstände, die er mit dem Geld
erworben hat, frei verfügen kann.
Die §§ 112, 113 BGB erlauben, dem Minderjährigen eine Ermächtigung zu erteilen, im
Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit, also bereichsspezifisch, unbeschränkt geschäftsfähig zu
sein.

VI. Willensmängel

1. Mentalreservation

Nach § 116 S. 1 BGB ist eine Willenserklärung auch dann wirksam, wenn der Erklärende sich
insgeheim vorbehält, dass sie nicht wirksam sein soll. Nach § 116 S. 2 BGB ist eine
empfangsbedürftige Willenserklärung nichtig, wenn der Empfänger den geheimen Vorbehalt
kennt. Hier ist auf die konkrete Person des Empfängers abzustellen, weil dieser von dem

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mangelnden Willen des Erklärenden weiß und deshalb nicht schutzwürdig ist und dem
Erklärenden der Wille zur Abgabe einer Willenserklärung fehlt.

2. Scheingeschäft

Bei einem Scheingeschäft gemäß § 117 BGB halten beide Seiten gemeinsam den äußeren
Schein eines Rechtsgeschäfts aufrecht. Wenn ein Vertreter und ein Dritter kollusiv ein
Scheingeschäft abschließen, um dadurch den Vertretenen zu täuschen, ist das Geschäft
gleichwohl analog § 116 S. 1 BGB wirksam. Soll durch das Scheingeschäft ein anderes
Geschäft verdeckt werden, so gelten für das Geschäft die Regeln des verdeckten Geschäfts, so
dass beispielsweise dessen Form einzuhalten ist.

3. Anfechtbarkeit wegen Irrtums

Die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung nimmt eine Zwischenstellung zwischen ihrer


Wirksamkeit und Nichtigkeit ein. Die Erklärung ist voll wirksam, kann aber vom Erklärenden
durch eine weitere Willenserklärung wieder aus der Welt geschafft werden. Die Folgen der
Anfechtung und die Anfechtungserklärung sind in §§ 142, 143 BGB geregelt, während die
Anfechtungsgründe in §§ 119, 120 und 123 BGB aufgezählt sind.

a) Die Anfechtungsgründe des § 119 BGB

Die Anfechtungsgründe des § 119 BGB verlangen immer ein Auseinanderfallen von Wille
und Erklärung. Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Zunächst müssen
die Parteien bei einem Vertrag eine Einigung erzielt haben. Wenn dies der Fall ist, muss
ermittelt werden, ob nicht die Einigung dem Willen entspricht. So kann eine falsche
Bezeichnung, wenn beide mit ihr dasselbe meinen, als die richtige Bezeichnung ausgelegt
werden, so dass eine Anfechtung ausscheidet, weil Wille und Erklärung einander entsprechen
(falsa demonstratio non nocet). Ein Irrtum liegt nur dann vor, wenn Wille und Erklärung
unbewusst auseinanderfallen. Ein unbewusstes Auseinanderfallen liegt auch vor, wenn der
Erklärende nur potentielles Erklärungsbewusstsein hatte, für ihn also erkennbar war, dass
seine Willenserklärung nach § 157 BGB, sprich nach Treu und Glauben und der
Verkehrssitte, als Willenserklärung ausgelegt werden würde, obwohl er gar nicht
rechtsgeschäftlich tätig werden wollte. Die Annahme einer anfechtbaren aber nicht nichtigen
Willenserklärung in den Fällen des potentiellen, mithin fehlenden Erklärungsbewusstseins ist
durch den Schutz den Rechtsverkehrs, die Abgrenzung der Risikosphären und die Auslegung
nach dem Empfängerhorizont gerechtfertigt. Ferner erweitert die Anfechtbarkeit die
Handlungsmöglichkeiten des Erklärenden, der das Geschäft nun auch gegen sich gelten lassen
kann. Auch eine bereits angefochtene Willenserklärung kann nochmals angefochten werden,
wenn hierdurch die Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB beseitigt werden kann. Eine nach
§§ 119, 120 BGB angefochtene Willenserklärungen kann also nochmals nach § 123 BGB
angefochten werden. § 119 BGB zählt die rechtlich relevanten Irrtümer abschließend auf, so
dass nur aus den dort genannten Gründen wegen Irrtums angefochten werden kann. Daher ist
nur eine Anfechtung wegen Erklärungs-, Inhalts oder Eigenschaftsirrtums möglich.
Ausgeschlossen ist dagegen eine Anfechtung wegen Motivirrtums.

b) Erklärungsirrtum

Ein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1, 1. Var. BGB liegt vor, wenn sich der Erklärende
verschreibt, verspricht oder vertippt. Ebenso wird ein Übermittlungsfehler eines Boten nach
§ 120 BGB behandelt. Dem Boten wird insoweit auch die Übermittlung durch ein technisches

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Gerät, z.B. durch einen Computer, gleichgestellt (BGH NJW 2005, 976).Wenn der Erklärende
einem anderen ein unterschriebenes Blankett aushändigt, das dieser vervollständigen soll, so
kann er die Erklärung nicht deshalb anfechten, weil der Ausfüllende von der Absprache
abweicht. Der BGH wendet hier den Rechtsgedanken des § 172 Abs. 2 BGB an, wonach die
Vertretungsmacht als fortbestehend gilt, bis die Vollmachtsurkunde zurückgegeben wird.
Daher gilt die Willenserklärung als vom Erklärenden gewollt, soweit nicht der Dritte um die
Umstände der Ausfüllung des Blanketts weiß. Wer ein Blankett ausgibt, muss also das Risiko,
das er damit eingeht, selbst tragen.

c) Inhaltsirrtum

Ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1, 2. Var. BGB liegt vor, wenn der Erklärende das erklärt,
was er erklären will, aber nicht weiß, welche Folgen sich daran knüpfen. Faustformel: Der
Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt. Hierunter fallen auch die
Irrtümer über die Person des Vertragspartners (error in persona) und über den
Vertragsgegenstand (error in objecto).

d) Eigenschaftsirrtum

Der Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB wird als Inhaltsirrtum fingiert. Daher ist
fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um einen eigenen Anfechtungsgrund handelt.
Nach einer Auffassung ist der Eigenschaftsirrtum ein ausnahmsweise beachtlicher
Motivirrtum. Der Erklärende erklärt zwar genau das, was er erklären will; seine Erklärung ist
aber von einer ganz bestimmten Vorstellung geprägt. Eine Eigenschaft muss danach objektiv
verkehrswesentlich und subjektiv wie objektiv erheblich sein. Verkehrswesentlich sind nur
wertbildende Faktoren, nicht aber der Preis selbst.
Nach der zweiten Auffassung muss auf den Inhalt des konkreten Geschäfts abgestellt werden.
Beachtlich ist ein Eigenschaftsirrtum danach nur, wenn der Vertragsgegenstand oder die
Person des Vertragspartners nicht dem Inhalt des konkreten Rechtsgeschäfts entsprechen. Die
Verkehrswesentlichkeit wird hierdurch auf die Vertragswesentlichkeit beschränkt.
Die Rechtssprechung nimmt einen Eigenschaftsirrtum über eine Person an, wenn tatsächliche
und rechtliche Verhältnisse betroffen sind, die infolge ihrer Beschaffenheit und
vorausgesetzten Dauer nach der Anschauung des Verkehrs Einfluss auf die Wertschätzung der
Person in allen oder doch in gewissen Rechtsverhältnissen auszuüben pflegen. Ein
Eigenschaftsirrtum über eine Sache liegt vor, wenn physische, tatsächliche, wirtschaftliche,
soziale und rechtliche Beziehungen der Sache zu ihrer Umwelt erfasst sind, die für die
Brauchbarkeit und den Wert bedeutsam sind. Die Beziehungen müssen in der Beschaffenheit
der Sache selbst ihren Grund haben und ihr unmittelbar innewohnen. Verkehrswesentlich ist
die Eigenschaft dann, wenn der Erklärende sie in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag
zugrunde gelegt hat, ohne dass sie zum Inhalt der Erklärung geworden sein muss.
Eine Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums ist bei einem Kaufvertrag nach
Gefahrübergang ausgeschlossen, wenn der Irrtum in einem Mangel der Kaufsache besteht, da
anderenfalls die speziellen Gewährleistungsregeln des Kaufrechts unterlaufen werden
könnten. Ebenso verhält es sich bei der werkvertraglichen Gewährleistung.

e) Motivirrtum

Ein bloßer Motivirrtum ist unbeachtlich. Etwas anderes gilt im Erbrecht nach § 2078 Abs.
2 BGB. Im Erbrecht gibt es keinen Vertrauensschutz, so dass der Wille des Erblassers in
Kenntnis aller Umstände zur vollen Geltung gelangen soll. Außerdem ist ein Testament eine
nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, die zudem jederzeit widerrufen werden kann.

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Das Gleiche gilt nach § 2281 Abs. 1 BGB aber auch für den Erbvertrag. Der Motivirrtum
kann sich sowohl auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen beziehen.

f) Problemfälle

Rechtsfolgenirrtum
Umstritten ist, ob ein Irrtum über die Rechtsfolgen einer Willenserklärung ein beachtlicher
Inhaltsirrtum ist, weil der Eigentümer sich über die rechtlichen Folgen seiner
Willenserklärung irrt, oder ob lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt. Mehrheitlich
nimmt man einen unbeachtlichen Motivirrtum an.

Kalkulationsirrtum
Wenn sich der Erklärende verrechnet und dem Empfänger nur das darauf beruhende falsche
Ergebnis mitteilt, liegt lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. Umstritten ist die
Behandlung des offenen Kalkulationsirrtums, bei dem sich der Erklärende für den Empfänger
erkennbar verrechnet. Nach einer Mindermeinung kann der Erklärende hier anfechten, weil
der Empfänger nicht berechtigt auf den Bestand der Willenserklärung vertrauen darf. Nach
der Rspr. (BGHZ 139, 177) und h.M. liegt dagegen auch hier ein unbeachtlicher Motivirrtum
vor, weil es nicht auf die Kenntnis des Empfängers, sondern auf die Kenntnis des Erklärenden
ankommen müsse. Ferner sei eine große Unsicherheit über die Anfechtungsfrist die Folge.
Man gleicht dies aber mit Behelfskonstruktionen aus, indem man den Empfänger auf
Schadensersatz wegen Verletzung der Aufklärungspflicht nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs.
2 BGB haften lässt oder eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB annimmt.

g) Kausalität

§ 119 Abs. 1 BGB verlangt Kausalität zwischen dem Irrtum und der Erklärung. Daher ist
eine Anfechtung nur möglich, wenn die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger
Würdigung des Falles nicht abgegeben worden wäre. Hierdurch wird verhindert, dass der
Erklärende wegen ganz abwegiger Gründe anfechten kann. Die Anforderungen an die
Kausalität sind bei der Testamentsanfechtung nach § 2078 BGB weitaus geringer, da es hier
keiner verständigen Würdigung bedarf. Denn der Erblasser ist besonders frei; niemand kann
auf den Erhalt einer Erbschaft vertrauen.

h) Anfechtungsfrist

Die Anfechtung muss gemäß § 121 BGB unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern
erfolgen. Die Frist beginnt mit Kenntnis von dem Irrtum.

4. Anfechtbarkeit wegen falscher Übermittlung nach § 120 BGB

Eine Anfechtbarkeit nach § 120 BGB kommt bei der Einschaltung eines Boten oder
Dolmetschers in Betracht. Bote ist, wer eine fremde Willenserklärung übermittelt. Hierdurch
unterscheidet er sich vom Vertreter, der eine eigene Willenserklärung abgibt. Ob jemand Bote
oder Vertreter ist, muss nach dem Auftreten gegenüber dem Dritten ermittelt werden (BGHZ
12, 327). Bote kann daher auch ein Geschäftsunfähiger sein (Merksatz: Und ist das Kind auch
noch so klein, so kann es doch schon Bote sein.). Angefochten werden können unbewusst
unrichtig übermittelte Willenserklärungen. Eine bewusst falsch übermittelte Willenserklärung
ist für den vermeintlich Erklärenden ohnehin unverbindlich und braucht mithin nicht
angefochten werden.

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5. Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung und Drohung nach § 123 BGB

Bei der Anfechtung nach § 123 BGB geht es um den Schutz der Willensbildungsfreiheit vor
Beeinträchtigungen durch die Einwirkung Dritter. Die Fälle des § 123 BGB sind zwar oftmals
strafrechtlich auch Betrugs- oder Nötigungsfälle, doch die Anwendungsbereiche der Normen
sind nicht identisch, sodass beispielsweise bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung –
anders als beim Betrug nach § 263 StGB – keine Bereicherungsabsicht erforderlich ist.

a) Arglistige Täuschung nach § 123 Abs. 1, 1. Var. BGB

(1) Täuschung
Eine Täuschung ist die Vorspiegelung falscher oder die Unterdrückung wahrer Tatsachen.
Tatsachen sind beispielsweise Alter und Laufleistung eines Gebrauchtwagens. Bloße
Werturteile begründen keine Täuschung. Die unwahre Behauptung, der Kaufpreis einer
Eigentumswohnung werde sich durch die Mieteinnahmen finanzieren, ist eine Tatsache, weil
sie die gegenwärtigen Gewinnerwartungen betrifft. Die wahrheitswidrige Aussage, es handele
sich um eine „besondere Kaufgelegenheit“ ist ebenfalls eine Täuschung, da sie suggeriert, es
handele sich um ein Sonderangebot, bei dem die Marge des Verkäufers besonders gering sei.
Die wahrheitswidrige Feststellung von Rechtslagen durch einen Rechtsanwalt ist ebenfalls
eine Täuschung über Tatsachen, da Rechtstatsachen vorgespiegelt werden. Auch eine
Täuschung über innere Tatsachen ist möglich. So ist der Abschluss eines Kaufvertrages auf
Kredit mit der konkludenten Erklärung verbunden, den Kaufpreis auch bezahlen zu wollen.
Wer also einen finanzierten Kaufvertrag abschließt, obwohl er die Rechnung nicht zahlen will
oder kann, täuscht hierdurch über Tatsachen.
Die Unterdrückung wahrer Tatsachen ist nur dann eine Täuschung, wenn eine Pflicht zur
Aufklärung besteht. Grundsätzlich ist im Verkehr jeder für seine eigenen Interessen
verantwortlich und muss den anderen nicht aufklären. Allerdings kann sich im Einzelfall eine
Verpflichtung aus Treu und Glauben unter Heranziehung der im Verkehr herrschenden
Auffassung ergeben, über bestimmte Tatsachen aufzuklären. Davon kann nur beim Vorliegen
von Informationsasymmetrien ausgegangen werden. Fragen müssen jedenfalls
wahrheitsgemäß beantwortet werden. Dies gilt nicht nur bei positiver Kenntnis sondern auch
bei starkem Verdacht. Umstände, die für die Willensbildung des anderen ausschlaggebend
sind, müssen ebenfalls offenbart werden. Insbesondere muss dies gelten, wenn sie geeignet
sind, den Vertragszweck zu vereiteln oder zu gefährden. Bei zukünftig fällig werdenden
Verbindlichkeiten muss deshalb auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hingewiesen werden.
Schließlich kann sich aus einem besonderen Vertrauensverhältnis wie bei
Familienangehörigen oder anderen persönlich verbundenen Menschen eine besondere
Aufklärungspflicht ergeben. Im Arbeitsrecht ist die Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers
besonders schwierig. So muss er nicht über seine persönlichen Umstände, wie eine
Schwangerschaft, aufklären, aber über Umstände, die seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen.
Wenn ein Dritter täuscht, so kann der Erklärende gegenüber dem Erklärungsempfänger die
Erklärung gemäß § 123 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann anfechten, wenn der Empfänger die
Täuschung kannte oder kennen musste. Kennenmüssen liegt nach der Legaldefinition des
§ 122 Abs. 2 BGB bei fahrlässiger Unkenntnis vor. Da die Anfechtung also schwerer ist,
wenn ein Dritter täuscht, ist es wichtig, abzugrenzen, wann eine Person ein Dritter im Sinne
dieser Vorschrift ist. Als Faustformel gilt, dass der derjenige, der eine Vertrauensperson des
Erklärungsempfängers ist, nicht Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB ist. Daher kann eine
auf seiner Täuschung beruhende Willenserklärung nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten
werden.

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(2) Kausalität
Die Täuschung muss den Erklärenden „zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt“ haben.
Es muss also ein Kausalitätsverhältnis zwischen der Täuschung und der Willenserklärung
bestanden haben, das darin besteht, dass die Täuschung bei dem Erklärenden einen Irrtum
ausgelöst hat, der ihn zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst hat. Bei einer unterlassenen
Aufklärung kommt es auf die hypothetische Kausalität an. Es ist also zu fragen, ob die
Willenserklärung bei Aufklärung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht
abgegeben worden wäre.

(3) Arglist
Der Täuschende muss arglistig gehandelt haben. Er muss also Täuschungswillen gehabt
haben. Hierfür genügt Eventualvorsatz. Es reicht also aus, wenn der Täuschende weiß, dass
der Getäuschte bei Kenntnis der Tatsachen die Willenserklärung möglicherweise nicht
abgegeben hätte. Auch die Erklärung ins Blaue hinein ist insoweit ausreichend. Wer also eine
Tatsache behauptet, obwohl er nicht weiß, ob sie wahr ist, handelt arglistig.

(4) Anfechtungsfrist nach § 124 BGB


Anders als bei der Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB gilt bei der Anfechtung nach
§ 123 BGB die Jahresfrist des § 124 BGB. Diese längere Anfechtungsfrist ist damit zu
begründen, dass der Täuschende in keiner Weise schutzbedürftig ist.

b) Drohung

Eine Drohung nach § 123 Abs. 1, 2. Var. BGB ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen
Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Das Übel muss für den Fall
angedroht werden, dass die Willenserklärung nicht abgegeben wird. Auch die Drohung eines
Dritten führt zur Anfechtbarkeit. Die Einschränkung des § 123 Abs. 2 BGB gilt nur für die
Täuschung.
Die Drohung muss widerrechtlich sein. Die Drohung kann widerrechtlich sein, weil sie zu
einem widerrechtlichen Zweck abgegeben wird. Sie kann sich eines widerrechtlichen Mittels
bedienen oder die Relation von Zweck und Mittel kann widerrechtlich sein. Ein
widerrechtliches Mittel liegt beispielsweise bei Gewaltandrohung vor. Bei der
widerrechtlichen Zweck-Mittel-Relation ist zwar sowohl das Mittel als auch der Zweck
rechtmäßig, doch verstößt gerade ihre Verknüpfung gegen das Anstandsgefühl aller billig und
gerecht Denkenden. Wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, ist die Drohung nicht
widerrechtlich.
Die Drohung muss ebenso wie die Täuschung für die Abgabe der Willenserklärung kausal
sein. Für die Anfechtung gilt ebenfalls die Frist des § 124 BGB.

6. Die Anfechtungserklärung

Die Anfechtung erfolgt nach § 143 Abs. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem
Anfechtungsgegner. Sie ist ein Gestaltungsrecht und bietet damit dem Erklärenden die
Möglichkeit, die Rechtslage durch eine einseitige Willenserklärung zu verändern. Die
Erklärung muss nicht das Wort Anfechtung enthalten. Aus ihr muss nur hervorgehen, dass der
Erklärende seine frühere Erklärung wegen eines Willensmangels nicht mehr gegen sich gelten
lassen will.

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7. Die Rechtsfolgen der Anfechtung

Die Anfechtung führt dazu, dass das Rechtsgeschäft ex tunc, also von Anfang an, nichtig ist
gem. § 142 Abs. 1 BGB. Die Anfechtung aufgrund der §§ 119 und 120 BGB bezieht sich in
aller Regel nur auf das Verpflichtungsgeschäft, während die Anfechtung nach § 123 BGB
sich auch auf das Verfügungsgeschäft bezieht. Während bei den anderen Anfechtungsgründen
der Mangel des Verpflichtungsgeschäfts lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum hinsichtlich
des Verfügungsgeschäfts ist, sind Motivirrtümer bei einer Anfechtung nach § 123 BGB
beachtlich und erlauben daher die Anfechtung. Dies ist auch durch den Sanktionscharakter der
Norm gerechtfertigt. Die bereits aufgrund des Rechtsgeschäfts empfangenen Leistungen sind
nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB
rückabzuwickeln. Während die h.M. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Var. BGB heranzieht, weil nie ein
rechtlicher Grund bestanden habe, nehmen andere an, es handele sich um einen
nachträglichen Wegfall des rechtlichen Grundes und greifen deshalb auf § 812 Abs. 1 S. 2, 1.
Var. BGB zurück. Da dies sowohl bei Arbeits- als auch bei Gesellschaftsverträgen mit
immensen Schwierigkeiten verbunden ist, wird hier eine Nichtigkeit ex nunc, sprich erst mit
Abgabe der Erklärung angenommen. Dies wird teilweise als Schritt contra legem, teilweise
aber auch als teleologische Reduktion des § 142 BGB verstanden. Wer um die Anfechtbarkeit
einer Willenserklärung wusste, wird nach § 142 Abs. 2 BGB so behandelt, als habe er die
Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts gekannt. Daher ist ihm die Einwendung der Entreicherung
nach § 818 Abs. 3 BGB abgeschnitten.
Wer eine Willenserklärung aufgrund der §§ 119, 120 BGB anficht, muss dem anderen Teil
gem. § 122 Abs. 1 BGB den Schaden ersetzen, den er dadurch erleidet, dass er auf die
Gültigkeit des Rechtsgeschäfts vertraut hat (negatives Interesse, Vertrauensschaden). Dieser
Schadensersatzanspruch ist aber der Höhe nach durch den Betrag begrenzt, den er bei
Gültigkeit der Erklärung erhalten hätte (positives Interesse, Erfüllungsinteresse). Wenn der
Anfechtungsgegner den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder hätte kennen müssen, entfällt
gem. § 122 Abs. 2 BGB die Schadensersatzpflicht.

8. Bestätigung nach § 144 BGB

Wenn der Anfechtungsberechtigte in Kenntnis seiner Anfechtungsmöglichkeit das


anfechtbare Rechtsgeschäft bestätigt, verzichtet er auf sein Anfechtungsrecht. Die Bestätigung
ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Wegen der weit reichenden
Rechtsfolgen der Bestätigung sind an ihre Annahme strenge Anforderungen zu stellen, so dass
sie zwar konkludent vorgenommen, in der Regel aber nicht bei bloßer Entgegennahme der
Leistung angenommen werden kann.

VII. Formbedürftigkeit von Willenserklärungen

Für Rechtsgeschäfte nach dem BGB gilt der Grundsatz der Formfreiheit. Dies ergibt sich aus
einem Umkehrschluss zu § 125 BGB. Nach § 125 S. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig,
wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Form nicht beachtet wird. Gleiches gilt nach § 125 S.
2 BGB auch für die Verletzung der rechtsgeschäftlich vereinbarten Form.

1. Zwecke

Die Formvorschriften sind zunächst aus der Warnfunktion zu erklären. Vorschnelle


Bindungen sollen vermeiden werden. Die Formalien sollen die Ernsthaftigkeit der Folgen
einer Handlung unterstreichen. Das Bedürfnis zur Warnung wird beispielsweise bei der
Bürgschaft gesehen, so dass sie gemäß § 766 BGB in Schriftform vereinbart werden muss.

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Dieses Bedürfnis wird aber nur für den Laien gesehen, so dass Formerleichterungen für
Kaufleute im HGB vorgesehen sind. Daher kann sich der Kaufmann nach § 350 HGB
formfrei verbürgen. Diese Warnfunktion ist aber nur dann sinnvoll, wenn der Handelnde die
Form als Warnung empfindet. Da man aber die Erfahrung gemacht hat, dass gerade die
Schriftform dieser Warnfunktion nicht gerecht wird, wurde bei vielen Verbraucherverträgen
ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeführt, so dass sich der Verbraucher binnen einer
vorgesehenen Frist von dem Geschäft wieder lösen kann. Allerdings führt diese
Widerrufsmöglichkeit zu einer weiteren Unterminierung der Warnfunktion, da nun
schriftliche Rechtsgeschäfte ohne Grund wieder beseitigt werden können.
Die Klarstellungs- und Beweisfunktion soll die Darlegung erleichtern, ob und mit welchem
Inhalt ein Rechtsgeschäft geschlossen wurde. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die
Hinzuziehung von Zeugen ist nur noch beim Dreizeugentestament nach § 2250 BGB
vorgesehen. Daneben kommt aber auch die Abgabe von Willenserklärungen vor einer
Behörde wie bei der Eheschließung oder vor einem Notar wie bei einem Grundstücksvertrag
in Betracht. Die eigenhändige Unterschrift verfolgt mehrere weitere Zwecke. Wegen der
Identitätsfunktion wird die Zuordnung von Aussteller und Urkunde ermöglicht. Die
Echtheitsfunktion gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt.
Die Überprüfbarkeit der Ausstellereigenschaft und die Echtheit der Erklärung lassen sich
aufgrund der Verifikationsmöglichkeit der Unterschrift überprüfen.
Schließlich erfüllt die Form unter Umständen auch noch eine Beratungsfunktion. So
ermöglicht die notarielle Beurkundung bei Grundstücksverträgen eine vorherige Beratung
durch den Notar.

2. Arten

Das BGB kennt die folgenden Formen. Es gibt die Schriftform nach § 126 BGB, die
elektronische Form gemäß § 126 a BGB, die Textform des § 126 b BGB, die notarielle
Beurkundung nach § 128 BGB, bei der teilweise die gleichzeitige Anwesenheit der Parteien
verlangt wird, und die öffentliche Beglaubigung gemäß § 129 BGB. Neben diesen Formen
wird an einigen anderen Stellen im BGB eine spezielle Form angeordnet, so etwa für die
Eheschließung, die Testamentserrichtung oder die Auflassung.

3. Umfang

Von der Formvorschrift ist das gesamte Rechtsgeschäft erfasst. Daher sind nicht nur die
essentialia negotii sondern auch alle accidentialia negotii, insbesondere also auch alle
Nebenabreden, in der vorgeschriebenen Form zu vereinbaren. Von der Formbedürftigkeit
eines Geschäfts sind andere mit ihm rechtlich verbundene Geschäfte miterfasst. Auch müssen
Änderungen stets in der Form des Rechtsgeschäfts vereinbart werden. Dagegen ist die
Aufhebung eines formbedürftigen Geschäfts grundsätzlich formfrei möglich.

4. Rechtsfolgen von Formverstößen

Nach § 125 BGB sind Rechtsgeschäfte nichtig, wenn sie nicht der gesetzlichen oder
rechtsgeschäftlichen Form entsprechend geschlossen werden. An einigen Stellen sieht das
Gesetz allerdings Heilungsmöglichkeiten vor. So kann ein formnichtiger
Grundstückskaufvertrag nach § 311 b Abs. 3 BGB durch Erfüllung geheilt werden. Hieraus
lässt sich aber kein allgemeiner Grundsatz der Heilung von Formverstößen herleiten.
Ein Formmangel kann grundsätzlich nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach
§ 242 BGB überwunden werden. Der Nachteil, der durch die Nichtigkeit für eine Partei
entsteht, darf nicht nur hart, sondern muss für sie schlechthin untragbar sein (BGHZ 138,

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339), um eine Gültigkeit trotz Formverstoßes zu rechtfertigen. Voraussetzungen der


Überwindung sind die Bestimmtheit des Geschäfts, das schutzwürdige Vertrauen einer Partei
und die Erforderlichkeit wegen anderenfalls drohender schlechthin untragbarer Ergebnisse.
Dieses wird angenommen, wenn eine Partei die andere über die Formbedürftigkeit arglistig
täuscht, um sich nachher auf den Formmangel berufen zu können. Ferner wird eine
Anwendung bei besonders treuwidrigem Verhalten und bei existenzgefährdenden Folgen
angenommen.

5. Schriftform nach § 126 BGB

Eine schriftliche Urkunde muss unterschrieben werden. Eine „Überschrift“ genügt nicht, da
die Unterschrift auch eine Abschlussfunktion hat. Wenn ein Vertrag unterschrieben werden
soll, müssen beide Parteien auf derselben Urkunde unterzeichnen. Bei mehrseitigen
Vertragsurkunden genügt eine Unterschrift auf der letzten Seite, sofern die Seiten aufeinander
Bezug nehmen. Die Unterschrift muss individualisierbar sein, so dass durch sie der Aussteller
erkennbar wird.

6. Weitere Formen

Die elektronische Form nach § 126 a BGB ist in der Praxis bisher ohne große Bedeutung
geblieben. Bei der Textform nach § 126 b BGB wird auf die individuelle Unterschrift
verzichtet, da es hier ausschließlich um die Dokumentation der Erklärung geht. Die
eigenhändige Unterschrift ist dagegen bei der notariellen Beurkundung nach § 128 BGB
sowohl durch die Parteien als auch durch den Notar erforderlich. Bei der öffentlichen
Beglaubigung nach § 129 Abs. 1 S. 1 BGB bezieht sich die Beglaubigung demgegenüber nur
auf die Echtheit der abgegebenen Unterschrift nicht auch auf den Inhalt der Erklärung.

VIII. Wirksamwerden von Willenserklärungen

Da eine Willenserklärung rechtliche Wirkungen herbeiführen soll, muss sie zu ihrer


Wirksamkeit nach außen treten. Es sind hier insoweit vier Möglichkeiten denkbar. Nach der
Äußerungstheorie wird eine Willenserklärung mit der Abgabe wirksam, nach der
Übermittlungstheorie mit dem Verlassen des Machtbereichs des Erklärenden, nach der
Empfangstheorie damit, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt und
nach der Vernehmungstheorie mit der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Empfänger.
Das BGB hat sich für die Empfangstheorie entschieden. Die Regeln über das
Wirksamwerden von Willenserklärungen finden sich in den §§ 130-132 BGB.
Willenserklärungen sind danach zu unterteilen, ob sie zu ihrer Wirksamkeit einem anderen
gegenüber abzugeben sind oder nicht. Nur für erstere sind die §§ 130 ff. BGB anwendbar.
Man bezeichnet sie als die empfangsbedürftigen Willenserklärungen und unterscheidet sie
von den nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Die meisten Willenserklärungen wie
Angebot, Annahme, Anfechtung oder Kündigung sind empfangsbedürftig. Nicht
empfangsbedürftig ist dagegen beispielsweise das Testament. Nicht empfangsbedürftige
Willenserklärunge werden bereits mit ihrer Abgabe wirksam. Die §§ 130 ff. BGB regeln aber
auch nur die Wirksamkeit empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Abwesenden.

1. Abgabe

Eine Willenserklärung ist dann abgegeben, wenn der Erklärende sie in Richtung auf den
Empfänger entäußert. Allerdings hat die Rechtsprechung insoweit Erweiterungen
vorgenommen, die denen beim potentiellen Erklärungsbewusstsein entsprechen. Daher ist der

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Erklärende auch dann an eine Erklärung gebunden, wenn er ihre Abgabe fahrlässig verursacht
hat. Wenn er schuldlos eine Erklärung abgegeben hat, kann der Empfänger gleichwohl Ersatz
des Vertrauensschadens analog § 122 BGB verlangen.

2. Zugang unter Anwesenden

Der Zugang von Willenserklärungen unter Anwesenden ist im Gesetz nicht geregelt. Eine
verkörperte Willenserklärung, etwa ein Brief, geht mit seiner Übergabe an den Empfänger
zu. Dem steht die Übergabe an ein im Haushalt lebendes Familienmitglied oder einen
Hausangestellten gleich. Eine nicht verkörperte Willenserklärung, sprich eine mündliche oder
fernmündliche Willenserklärung, geht dem Empfänger zu, wenn jener sie – akustisch richtig –
wahrgenommen hat.

3. Zugang unter Abwesenden

Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit dem
Zugang wirksam. Dies gilt nicht, wenn sie vor oder gleichzeitig mit dem Zugang widerrufen
wird. Zugang setzt nur voraus, dass die Willenserklärung in den Machtbereich des
Erklärungsempfängers gelangt und der Empfänger sie zur Kenntnis nehmen kann. Nicht
erforderlich ist dagegen, dass er sie auch tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Wenn der
Erklärende den sicheren Zugang gewährleisten will, muss er die Willenserklärung zustellen
lassen. Denn nach der Zugangsfiktion des § 132 S. 1 BGB wird eine Willenserklärung mit der
Zustellung wirksam, unabhängig davon, ob der Empfänger sie tatsächlich zur Kenntnis
nehmen kann. Eine Willenserklärung bleibt gemäß § 130 Abs. 2 BGB wirksam, wenn der
Erklärende nach Abgabe der Erklärung stirbt oder geschäftsunfähig wird. Dagegen wird eine
Erklärung, die gegenüber einem in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten abzugeben ist, nach
§ 131 BGB erst mit dem Zugang beim gesetzlichen Vertreter wirksam. Eng hiermit
verbunden ist die Regel des § 193 BGB, wonach eine Frist nicht an einem Sonn- oder Feiertag
endet. Denn niemand soll gezwungen werden, eine Willenserklärung an einem Sonn- oder
Feiertag abzugeben oder zur Kenntnis zu nehmen.
Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn der Empfänger die tatsächlich
Verfügungsgewalt über die Verkörperung der Erklärung erhalten hat und ihm die
Kenntnisnahme möglich ist. Beim Einwerfen eines Briefes in einen Empfangsbriefkasten
erfolgt der Zugang im Zeitpunkt der nächsten regulären Leerung. Der Grundsatz des BGB,
nach dem eine Willenserklärung zugegangen ist, wenn abstrakt-generell eine Kenntnisnahme
möglich ist, wird im Arbeitsrecht teilweise durchbrochen. Danach soll eine Willenserklärung
wirksam werden, wenn nach den individuellen Verhältnissen des Arbeitnehmers mit einer
Kenntnisnahme zu rechnen ist. Diese Regelung gilt aber nur zugunsten des Arbeitnehmers,
was einer generellen Entscheidung im Arbeitsrecht entspricht, den Arbeitsnehmer besonders
zu schützen.

4. Zugangsvereitelung

Es ist umstritten, wie mit der Vereitelung des Zugangs einer Willenserklärung umzugehen ist.
Eine Zugangsvereitelung liegt vor, wenn der Empfänger bewusst verhindert, dass ihm die
Willenserklärung zugeht, indem er beispielsweise das Namensschild auf seinem Briefkasten
entfernt. Vorgeschlagen wird, § 162 Abs. 1 BGB analog anzuwenden und den Zugang zu
fingieren, wenn der Empfänger ihn wider Treu und Glauben verhindert hat. Das gleiche
Ergebnis wird teilweise über § 242 BGB erzielt. Andere ziehen einen Schadensersatzanspruch
vor. Dieser setzt eine Pflicht voraus. Eine Pflicht zur Angabe einer ordnungsgemäßen Adresse
kann bei Dauerschuldverhältnissen angenommen werden. Allerdings kann der

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Schadensersatzanspruch nur bei einer schuldhaften Verletzung bestehen, so dass diese


Ansicht zu einer Beschränkung führt. Teilweise wird auch angenommen, dass die Regeln über
den Gläubigerverzug nach §§ 293 ff. BGB analog heranzuziehen sind. Dann muss der
Empfänger eine verspätet zugegangene Willenserklärung als rechtzeitig gegen sich gelten
lassen. Der BGH hat sich früher für die Anwendung des § 242 BGB entschieden.
Vor dem Hintergrund der im BGB festgelegten Risikoverteilung zwischen Absender und
Empfänger sowie der mit dem Zugangserfordernis verbundenen Beweisprobleme empfiehlt es
sich, die Probleme der Zugangsvereitelung erheblich einzugrenzen. So sind die Versuche,
§ 162 Abs. 2 oder §§ 293 ff. BGB analog anzuwenden, klar abzulehnen. Die
Analogievoraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke liegt nicht vor. Das BGB hat die
Zugangsvereitelung zwar nicht ausdrücklich geregelt, die Lücke entstand jedoch nicht
planwidrig, sondern aufgrund der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten des
§ 132 BGB. In der neueren Literatur wird § 132 im Zusammenhang mit der
Zugangsvereitelung eher verschämt angeführt. Doch zieht § 132 gerade die Konsequenz aus
der vom BGB gewollten Risikoverteilung nach Einflussbereichen. Der Absender kann die
Wirksamkeit seiner Erklärung in jedem Fall durch förmliche Zustellung herbeiführen. Dann
kommt es auf den Zugang nicht mehr an, er wird vielmehr fingiert. Die Zugangsvereitelung
als Problem stellt sich hierbei damit nicht. Die Zustellung als förmliche Mitteilung einer
Willenserklärung verursacht zwar höhere Transaktionskosten als schlichte Briefsendungen.
Diese Kosten fallen aber nur für den Absender an, niemals für den Empfänger, der außerhalb
bereits bestehender Sonderverbindungen keine Verpflichtungen gegenüber dem Erklärenden
erfüllen muss. Außerdem werden bei ökonomischer Betrachtung die gelegentlichen
Zustellungskosten erheblich geringer sein als die Kosten der Prozesse, die wegen angeblicher
Zugangsvereitelung angestrengt werden. Die Rechtsprechung hat in Einzelfällen
Rechtsanwälte im Sinne dieser Ansicht für verpflichtet gehalten, Willenserklärungen förmlich
zuzustellen, wenn zu befürchten war, der Gegner werde den Zugang vereiteln. Zudem kann
hiernach die Zugangsvereitelung prinzipiengerecht auf dem Boden der Empfangstheorie
lösen. So erweist sich eine objektive Risikoabgrenzung allen Versuchen überlegen, im Gesetz
nicht vorgesehene Treuepflichten des Empfängers zu konstruieren, deren Ausfüllung den
schwankenden rechtsethischen Vorstellungen der Richter vorbehalten bleibt.

§ 8 - Gesetzes- und Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften

Die Gesetzes- und Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften führt zu deren Nichtigkeit. Sie stellt
insoweit eine Einschränkung des Grundsatzes der Privatautonomie dar. Sowohl die Gesetzes-
als auch die Sittenwidrigkeit sind in der Klausur als rechtshindernde Einwendungen
unmittelbar nach der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage zu
prüfen.

I. Der Gesetzesverstoß nach § 134 BGB

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nach § 134 BGB nichtig.
Zunächst gilt § 134 BGB für alle Arten von Rechtsgeschäften.
Weiterhin muss ein Verbotsgesetz betroffen sein. Ein Verbotsgesetz ist eine Rechtsnorm, die
ein Rechtsgeschäft, das seiner allgemeinen Natur nach möglich ist, mit Rücksicht auf seinen
Inhalt, seinen von der Rechtsordnung missbilligten Erfolg oder im Hinblick auf besondere
Umstände gerade für bestimmte Fälle verbietet. Verbotsgesetze finden sich typischerweise
außerhalb des BGB. Zwingende Normen des BGB führen dagegen zu einer generellen
rechtlichen Unwirksamkeit der Vereinbarung, während hier nur im Einzelfall Nichtigkeit
angeordnet wird. Ein Beispiel für ein Verbotsgesetz ist beispielsweise der § 212 StGB.

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Danach ist es verboten, einen anderen Menschen zu töten. Es ist daher auch ein Verbotsgesetz
verletzt, wenn ein Auftragskiller beauftragt wird.
Ob das Verbotsgesetz verletzt ist, muss durch Subsumtion unter das Verbotsgesetz ermittelt
werden.
Rechtsfolge des § 134 BGB ist die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, soweit sich aus dem
verletzten Gesetz nicht ein anderes ergibt. Die Nichtigkeit ist also die Regel und die
Wirksamkeit die Ausnahme. Wenn sich das Verbot an beide Vertragsparteien richtet, also ein
sog. beiderseitiges Verbotsgesetz vorliegt, ist von der Nichtigkeit auszugehen, während bei
einem einseitigen Verbotsgesetz die Gültigkeit anzunehmen ist. Die Verletzung bloßer
Ordnungsvorschriften wie des Ladensschlussgesetzes führt ebenfalls nicht zur Nichtigkeit;
denn es entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Norm, zivilrechtliche Verträge zu
unterbinden. Stattdessen soll nur die Ordnung des Zusammenlebens gesichert werden, was
durch Straf- oder Bußgeldandrohungen bewehrt ist.

II. Das sittenwidrige Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB

Nach § 138 Abs. 1 BGB sind Rechtsgeschäfte nichtig, die gegen die guten Sitten verstoßen.
Damit entscheidet sich das BGB dafür, Rechtsgeschäfte nicht anzuerkennen, die die
überwiegende Mehrheit für ethisch verwerflich hält. Bei dem Begriff der Sittenwidrigkeit
handelt es sich um eine Generalklausel, die der Konkretisierung bedarf. Nach der
klassischen, bereits vom Reichsgericht verwendeten Formel ist ein Rechtsgeschäft
sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt
(RGZ 80, 221; BGHZ 10, 232; 69, 297). Damit orientiert sich die Sittenwidrigkeit an der
jeweils herrschenden Rechts- und Sozialmoral und ist somit einem stetigen Wandel
unterworfen. Ein Rechtsgeschäft kann sowohl wegen seines Inhalts als auch wegen der
Gesamtumstände seines Zustandekommens sittenwidrig sein. Während es bei der
Inhaltssittenwidrigkeit auf die Beweggründe der Handelnden nicht ankommt, ist bei den
sittenwidrigen Gesamtumständen auf das Zusammenspiel von Inhalt, Zweck und Beweggrund
abzustellen.
Es gibt bestimmte Fallgruppen, bei denen die Sittenwidrigkeit besonders häufig auftritt.
Kreditverträge sind häufig dann sittenwidrig, wenn mehr als das Doppelte des gewöhnlichen
Zinssatzsatzes vereinbart wird. Die anfängliche Übersicherung von Forderungen führt
ebenfalls zur Sittenwidrigkeit. Wenn sich beispielsweise die Bank zur Sicherung ihrer
Darlehensforderung Sicherheiten geben lässt, die ein Vielfaches des Darlehensvertrags
umfassen, dann ist diese Sicherungsabrede sittenwidrig.
Bürgschaften sollen sittenwidrig sein, wenn der Bürge durch die Bürgschaft krass überfordert
wird, zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner eine besonders enge emotionale
Verbundenheit besteht und der Gläubiger diese Verbundenheit ausnutzt. Eine krasse
finanzielle Überforderung wird angenommen, wenn der Bürge aus seinem pfändbaren
Einkommen nicht einmal in der Lage ist, die Zinsen zu leisten. Von ihm kann allerdings
erwartet werden, dass er vorhandenes Vermögen einsetzt. Eine enge emotionale
Verbundenheit wird insbesondere bei Familienangehörigen angenommen. Das Ausnutzen
wird primär dann angenommen, wenn der Gläubiger das Risiko der Bürgschaft verharmlost.
Allerdings wird das Ausnutzen bei Vorliegen der objektiven Umstände oftmals vermutet.
Der Wandel der Sitten hat sich besonders in der Sexualsphäre niedergeschlagen. Während
früher Mietverträge über Bordelle sittenwidrig waren, sind sie nach der Legalisierung der
Prostitution in der Regel wirksam. Zwar ist der Vertrag zwischen der Prostituierten und dem
Freier weiterhin nichtig, da aus ihm nicht auf Erfüllung der Dienstleistung geklagt werden
kann. Gleichwohl ist der Freier seit dem ProstG von 2000 zur Zahlung des Dirnenlohns
verpflichtet.

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Früher war man der Auffassung, dass außereheliche Beziehungen verwerflich seien und
erklärte daher Testamente zugunsten der Geliebten für sittenwidrig. Dagegen sind diese sog.
Mätressentestamente heute angesichts der gewandelten Sozialmoral wirksam, sofern sie nicht
als Bezahlung für die sexuelle Hingabe gewährt werden.
Beim sog. Behindertentestament erhält das behinderte Kind einen Erbteil, der nur
unwesentlich über dem Pflichtteil liegt. Hinsichtlich dieses Erbteils ist es allerdings nur
Vorerbe und daher in seiner Verfügungsmacht beschränkt. Das Geschwisterkind, das als
Nacherbe eingesetzt ist, wird zudem zum Testamentsvollstrecker mit der Maßgabe bestellt,
dass das Vermögen nicht anstelle von Sozialleistungen eingesetzt werden darf. Auf diese
Weise muss der Staat die Kosten für die Sorge des Behinderten tragen. So wird der Grundsatz
der Subsidiarität der Sozialleistungen umgangen. Dieses Testament wird vom BGH nicht für
sittenwidrig gehalten, da es nicht verwerflich sei, Sozialleistungen im Rahmen der
gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen.
Sog. Potestativbedingungen in Testamenten sind in Extremfällen wegen Knebelung der
Nachkommen für sittenwidrig erklärt worden. Daher ist es unzulässig, die Erbschaft unter die
Bedingung einer standesgemäßen Heirat zu stellen, da auf diese Weise unzulässig in die
Lebensplanung des Erben eingewirkt wird (so das BVerfG, aber streitig).

III. Wucher nach § 138 Abs. 2 BGB

Nach § 138 Abs. 2 BGB sind wucherische Rechtsgeschäfte nichtig. Da der Wucher ein
auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraussetzt, kommt die
Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB nur bei gegenseitigen Verträgen in Betracht. Ein
auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung wird angenommen, wenn der Preis
das Doppelte des üblichen Marktpreises übersteigt.
Weiterhin muss sich der benachteiligte Vertragspartner in einer Schwächposition befunden
haben. Hier kommt eine Zwangslage in Betracht. Diese ist beispielsweise anzunehmen, wenn
jemand einen Wasserrohrbruch an einem Sonntag erleidet. Ein weiterer Fall ist die
Unerfahrenheit im Geschäftsverkehr, die beispielsweise bei Aussiedlern oder DDR-Bürgern
unmittelbar nach der Wende angenommen wurde. Weiterhin nennt das Gesetz den Mangel
des Urteilsvermögens und die Willensschwäche.
Der Wucherer muss diese Schwäche ausgebeutet haben. Hierfür genügt die Kenntnis der
Umstände, die er sich zunutze macht. Dagegen muss er keine Ausbeutungsabsicht besessen
haben.
Die Rechtsfolge des Wuchers ist nach § 138 Abs. 2 BGB die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.
Wenn die Nichtigkeit für den Bewucherten aber mit einem unangemessenen Nachteil
verbunden ist, kann der Preis auch auf den marktüblichen reduziert werden. Eine solche
Situation wird beim Mietwucher angenommen, da der Mieter anderenfalls die Mietwohnung
unverzüglich zurückgeben müsste und ihm damit in vielen Fällen nicht geholfen wäre.

§ 9 - Vertragsschluss

Ein Vertrag setzt zwei inhaltlich übereinstimmende, im Bezug aufeinander abgegebene


Willenserklärungen voraus. Der Vertragsschluss ist im BGB in den §§ 145-156 BGB geregelt.
Verträge kommen nach der Konzeption des BGB durch Angebot und Annahme zustande. Das
Angebot wird in der Terminologie des Gesetzes als Antrag bezeichnet. Der Grundsatz, dass
Verträge durch Angebot und Annahme zustande kommen, wird im Gesetz nicht ausdrücklich
genannt, sondern vorausgesetzt. Es genügt aber auch eine einfache Einigung zwischen den
Parteien.

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I. Bindung an das Angebot

Nach § 145 BGB ist der Antragende an sein Angebot gebunden. Er kann das Angebot nur
nach der allgemeinen Regel des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB bis zu dessen Zugang widerrufen. Ein
Widerruf des Angebots ist also nur bis zum Zugang der Angebotserklärung beim Empfänger
möglich. Sowohl § 130 als auch § 145 BGB schützen somit das Vertrauen des Empfängers in
die Wirksamkeit der Erklärung.
Allerdings erkennt die Rechtssprechung die Abgabe unverbindlicher Angebote nach § 145
Hs. 2 BGB an. So sollen Angebote mit Anmerkungen wie „freibleibend“ oder „ohne obligo“
möglich sein. Bei diesen Anmerkungen handelt es sich um einseitige, empfangsbedürftige
Willenserklärungen, die spätestens gleichzeitig mit dem Angebot zugehen müssen.
Mittlerweile ist man sogar dazu gelangt, dass Angebote aus wichtigem Grund auch nach
Zugang widerrufen werden können.
Eine weitere Durchbrechung stellt das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 355 BGB
dar. Hiernach kann ein Verbraucher eine Willenserklärung innerhalb einer Zwei-Wochen-
Frist widerrufen. Dies gilt für Vertragsschlüsse, bei denen davon ausgegangen wird, dass der
Verbraucher strukturell unterlegen ist. Eine solche Unterlegenheit kann sich sowohl aus dem
Vertragsinhalt als auch aus den Umständen des Vertragsschlusses ergeben. So soll der
Verbraucher beim Abschluss von Darlehensverträgen dem Darlehensgeber strukturell
unterlegen sein. Auch soll sich eine strukturelle Unterlegenheit ergeben, wenn der
Verbraucher den Vertrag an seinem Arbeitsplatz oder in seiner Wohnung schließt.
Ein Angebot muss inhaltlich so hinreichend bestimmt sein, dass es durch ein bloßes „ja“
angenommen werden kann. Aus dem Angebot müssen also die essentialia negotii
hervorgehen. Es muss sich ergeben, wer Vertragspartner ist und worin die Leistungen
bestehen. Hierdurch unterscheidet es sich von der invitatio ad offerendum. Sie ist nur eine
bloße Aufforderung zur Abgabe von Vertragsangeboten. So will beispielsweise derjenige, der
eine Anzeige schaltet, nicht mit jedem, der auf diese Anzeige antwortet, einen Vertrag
schließen. Vielmehr sollen die Interessenten Angebote abgeben, von denen der Inserent eines
auswählt und annimmt. Anderenfalls könnte er sich seinen Vertragspartner nicht aussuchen
und müsste gegenüber jedem, der auf die Anzeige antwortet, erfüllen. Gleiches gilt für die im
Schaufenster oder Supermarkt ausgelegte Ware.
Dagegen will derjenige, der einen Warenautomaten aufstellt, mit jedem kontrahieren, der
bezahlt, ohne dass er bei Aufstellung des Automaten weiß, wer das sein wird. In diesem Fall
spricht man von einer Offerte ad incertas personas, einem Angebot an einem unbestimmten
Personenkreis.
Die Regelung einzelner Teilfragen, ohne dass bereits insgesamt eine Einigung erzielt wäre,
die sog. Punktation, führt ebenfalls nicht zu einem Vertragsschluss. Denn hier wollen sich die
Parteien noch nicht insgesamt binden, vielmehr werden für den Fall eines späteren
Vertragsschlusses einzelne Punkte schon im Voraus geregelt.
Der Vorvertrag, bei dem sich die Parteien zum späteren Abschluss eines bestimmten
Hauptvertrags verpflichten, ist dagegen ein regulärer Vertragsschluss, mit dem speziellen
Inhalt der späteren Abschlussverpflichtung.

II. Annahmefrist

Die zeitliche Bindung des Antragenden an das Angebot ist im Gesetz sehr differenziert
geregelt. Nach § 146 BGB erlischt ein Angebot, wenn es gegenüber dem Antragenden
abgelehnt ist oder die Annahmefrist verstrichen ist.
Die Länge der Annahmefrist bestimmt sich gemäß § 148 BGB nach dem Willen des
Antragenden. Er kann im Rahmen seiner Privatautonomie bestimmen, wie lange er an sein

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Angebot gebunden sein will. Diese Bestimmung kann er sowohl ausdrücklich als auch
konkludent treffen.
Wenn der Antragende keine Frist gesetzt hat, bestimmt sich die Bindungsdauer nach
§ 147 BGB.
Unter Anwesenden kann gemäß § 147 Abs. 1 S. 1 BGB ein Angebot nur sofort angenommen
werden. Als Angebot unter Anwesenden gilt nach § 147 Abs. 1 S. 2 BGB auch das
telefonische Angebot.
Für Angebote an Abwesende, sog. Distanzangebote, gilt nach § 147 Abs. 2 BGB die Frist,
binnen derer der Antragende eine Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Die
Annahmefrist setzt sich aus der Beförderungszeit des Antrags, der Überlegungs- und
Erklärungszeit der Annahme sowie deren Beförderungszeit zusammen. Die Annahme wird
erst mit dem Zugang beim Antragenden wirksam. Das Risiko der rechtszeitigen Annahme
trägt der Annehmende, da die Annahme und deren Beförderung in seiner Risikosphäre liegen.
Die Länge dieser Frist steht in der Praxis im richterlichen Ermessen und variiert je nach
Vertragsgegenstand und Komplexität sehr stark. So kann eine Annahme innerhalb von drei
Tagen im Einzelfall schon zu spät sein, während bei komplexen Fragen auch eine
zweimonatige Frist angenommen werden kann.
Wenn eine Annahme wegen einer verzögerten Beförderung der Erklärung erst nach Ablauf
der Annahmefrist zugeht, so trifft den Antragenden nach § 149 BGB die Obliegenheit, dies
dem Annehmenden anzuzeigen. Dies gilt aber nur, wenn für den Antragenden erkennbar ist,
dass die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesendet worden ist. Unterlässt er diese Anzeige,
gilt nach der Fiktion des § 149 S. 2 BGB die verspätete Annahme als rechtzeitig erfolgt. Die
Verletzung dieser Anzeigeobliegenheit führt also zu einem Vertragsschluss auch nach Ende
der Annahmefrist.
Nach § 151 BGB ist der Zugang der Annahme entbehrlich, wenn der Antragende auf ihn
verzichtet oder dies der Verkehrssitte entspricht. Hiernach wird nicht auf die
Annahmeerklärung sondern lediglich auf ihren Zugang verzichtet. Eine entsprechende
Verkehrssitte ist zum Beispiel bei Hotelreservierungen anerkannt.
Wenn ein Angebot dagegen erst nach Ablauf der Frist oder mit Änderungen „angenommen“
wird, so handelt es sich nicht um eine Annahme sondern nach der Fiktion des § 150 BGB um
ein neues Angebot.

III. Tod und Geschäftsunfähigkeit

Das Angebot bleibt nach § 153 BGB wirksam, auch wenn der Antragende stirbt oder
geschäftsunfähig wird. Dies gilt aber dann nicht, wenn ein anderer Wille des Antragenden
anzunehmen ist.

IV. Vertragsschluss durch Schweigen

Nach der Konzeption des BGB ist Schweigen keine Willenserklärung und damit keine
Annahme, da derjenige, dem ein Angebot gemacht wird, nicht zum Handeln gezwungen
werden soll.
Demgegenüber wird das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als
Annahme aufgefasst. Dieses wird zumeist auf die Handelsbräuche nach § 346 HGB
zurückgeführt. Ein solches kaufmännisches Bestätigungsschreiben liegt vor, wenn zwischen
den Parteien Vertragsverhandlungen geführt wurden, eine Partei die Ergebnisse dieser
Verhandlungen zusammenfasst und diese Partei den Vertrag für geschlossen hält. Diese Form
des Vertragsschlusses, die ursprünglich nur für Kaufleute galt, wurde von der Rechtsprechung
gewohnheitsrechtlich immer weiter ausgedehnt und auf Personen erweitert, die in ähnlicher
Weise wie Kaufleute am Rechtsverkehr teilnehmen. Daher kann auch mit einem Rechtsanwalt

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oder Gutsbesitzer ein Vertrag durch Schweigen auf ein kaufmännisches


Bestätigungsschreiben zustande kommen. Allerdings muss diese Eigenschaft auf beide
Parteien zutreffen.
Die Ausdehnung der Anwendung der Regeln über das kaufmännische Bestätigungsschreiben
muss allerdings auf Bedenken stoßen. So liegt in der Ausdehnung dieses Grundsatzes ein
klarer Verstoß gegen den Willen des Gesetzgebers, der die Regeln über das Schweigen
bewusst nicht in das BGB aufgenommen hat. Es fehlt daher an einer Lücke, die die
Rechtsprechung durch die Anwendung jener Regeln schließen kann. Auch auf § 242 BGB
kann nicht zurückgegriffen werden. Denn der Grundsatz von Treu und Glauben gilt nur
innerhalb von Schuldverhältnissen, jedoch nicht für ihr Zustandekommen. Weiterhin führt
die Ausdehnung auf Personen, die sich wie Kaufleute behandeln lassen müssen, zu
Abgrenzungsschwierigkeiten. Schließlich wird auf diese Weise auch die Privatautonomie
zurückgedrängt, da ein Vertragsschluss nun nicht mehr vom Willen des Handelnden abhängt.

§ 10 - Auslegung nach §§ 133, 157 BGB

Auslegung ist die Ermittlung des rechtlich maßgebenden Sinnes und damit eine wichtige
Methode der Rechtsanwendung. Das BGB stellt in § 133 und § 157 Auslegungsregeln auf.
Dem Wortlaut nach gilt § 133 BGB für alle Willenserklärungen und § 157 BGB für Verträge.
Nach h.M. ist jedoch bei der Vertragsauslegung § 133 BGB und bei der Auslegung von
Willenserklärungen § 157 BGB zu berücksichtigen. Daher werden beide Normen in aller
Regel gemeinsam behandelt.
Die §§ 133, 157 BGB gelten aber nur für die Auslegung von Willenserklärungen. Gesetze
werden dagegen wörtlich, systematisch, historisch und teleologisch ausgelegt.
§ 133 BGB bestimmt entsprechend der Willenstheorie, dass Willenserklärungen nach dem
tatsächlichen Willen des Erklärenden auszulegen sind und nicht am Wortlaut der Erklärung zu
haften ist. Dagegen bestimmt § 157 BGB als Ausdruck der Erklärungstheorie, dass Verträge
nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auszulegen sind. Daraus ergibt
sich, dass nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen wie ein Testament nur nach dem
Willen des Erklärenden nach § 133 BGB auszulegen sind.

I. Auslegungsgrundsätze

1. Allgemeine Regeln

Eine Willenserklärung ist primär nach dem Willen des Erklärenden auszulegen, wenn dies
auch dem Willen des Empfängers entspricht. Wenn sich also beide Vertragsparteien über die
Auslegung einer bestimmten Erklärung einig sind, kommt es nicht darauf an, wie die
Erklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu verstehen ist. Der Grundsatz, dass eine
Falschbezeichnung unbeachtlich ist (falsa demonstratio non nocet), leitet sich beispielsweise
aus diesem Grundsatz nach § 133 BGB her. Nur wenn es diesen übereinstimmenden Willen
nicht gibt, kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont nach §§ 133, 157 BGB an. Bei
der Auslegung einer Willenserklärung ist darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger
die Erklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen
musste.

2. Besondere Erklärungsarten

Wenn eine Erklärung an die Allgemeinheit abgegeben wird, so ist sie nach dem
Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Beteiligten bzw. eines Angehörigen des
angesprochenen Verkehrskreises auszulegen. Es können nur die Teile zur Auslegung

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herangezogen werden, die jedermann erkennbar sind, da es nicht nur einen Empfänger gibt,
aus dessen Sicht die Erklärung auszulegen ist.
Eine konkludente Willenserklärung kann nur angenommen werden, wenn der Erklärende
weiß oder wissen muss, dass eine Willenserklärung möglicherweise erforderlich ist (BGH
NJW 1995, 953). Insoweit reicht wiederum potentielles Erklärungsbewusstsein. Daher kann
eine konkludente Bestätigung eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts nach § 144 BGB nur
angenommen werden, wenn der Handelnde die Anfechtbarkeit kennt oder mit ihr rechnen
muss.

3. Gegenstand der Auslegung

Bei der Auslegung nach dem Empfängerhorizont ist zunächst der Wortlaut heranzuziehen.
Hierbei ist sowohl der sprachliche Zusammenhang (Grammatik) als auch textliche
Gesamtzusammenhang (Systematik) zu berücksichtigen. Daneben sind die Begleitumstände
des Vertragsschlusses in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den
Sinngehalt der Erklärung zulassen. Dies gilt auch für formbedürftige Willenserklärungen nach
h.M., soweit die Auslegung in der formgültigen Erklärung angedeutet ist
(Andeutungstheorie). Dies spielt insbesondere bei der Auslegung von Testamenten im
Erbrecht eine große Rolle. Ferner muss die Auslegung interessengerecht, also an den
Interessen der am Rechtsverhältnis Beteiligten orientiert, erfolgen. Der mit dem
Rechtsgeschäft verfolgte Zweck findet bei der Auslegung ebenfalls Berücksichtigung.

4. Die Verkehrssitte

Ferner sind bei der Auslegung nach § 157 BGB Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte
zu berücksichtigen. Die Verkehrssitte ist die im Verkehr der beteiligten Kreise herrschende
tatsächliche Übung. Es wird also angenommen, dass Parteien ebenso verfahren, wie das bei
solchen Geschäften in ihren Verkehrskreisen üblich ist. Voraussetzung ist dazu, dass die
Praxis sich in gewissem Umfang verfestigt hat. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die
Parteien die Verkehrssitte kennen. Die Verkehrssitte ist im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht
nicht mit der Überzeugung der Rechtsverbindlichkeit versehen und damit keine Rechtsquelle.
Die Verkehrssitte ist damit Ausdruck kollektiver Privatautonomie.
Diesem Konzept widerspricht die Annahme der h.M., die behauptet, dass eine Verkehrssitte,
die gegen Treu und Glauben verstößt, unbeachtlich sei und bei der Auslegung nicht
berücksichtigt werden darf. Dadurch aber werden richterliche Billigkeitsentscheidungen zum
Bewertungsmaßstab für das Verhalten der Mehrheit. Das Konzept der durch die Verkehrssitte
greifbaren kollektiven Privatautonomie wird dadurch unterlaufen. Denn wenn eine
Verkehrssitte wirklich allgemein üblich ist und von allen beteiligten Kreisen als üblich
angesehen wird, gibt es keinen Grund, sie als treuwidrig anzusehen. Bei der Redaktion des
BGB ging man davon aus, dass die Verkehrssitte dazu diene, Treu und Glauben zu
konkretisieren. Heute vertritt man umgekehrt, dass Treu und Glauben über die Geltung der
Verkehrssitte entscheiden. Daher ist die h. M. abzulehnen. Allgemeine Geschäftsbedingungen
sind in aller Regel keine Verkehrssitte und sind daher in den Vertrag einzubeziehen.

II. Ergänzende Vertragsauslegung

Verträge können auch ergänzend ausgelegt werden. Zunächst ist dafür eine Regelungslücke
erforderlich. Eine Regelungslücke liegt bei planwidriger Unvollständigkeit vor. Diese kann
sich einerseits daraus ergeben, dass eine Vertragsklausel unwirksam ist oder dass die Parteien
eine Regelung vergessen haben. Grundsätzlich ist dann das dispositive Recht heranzuziehen.
Denn es ist gerade seine Aufgabe. Lücken in Verträgen zu schließen. Von dieser Regel gibt es

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allerdings Ausnahmen. So werden diese Regeln nicht herangezogen, wenn der Parteiwille
oder die Interessen der Parteien dem entgegenstehen sowie wenn das geltende Recht veraltet
ist und in der Regel in der Praxis abbedungen wird. Gleiches gilt, wenn das Gesetz, was oft
vorkommt, keine Regelung für bestimmte Fälle vorsieht. Danach ist der hypothetische
Parteiwille zu ermitteln. Es ist also zu fragen, was die Parteien bei angemessener Abwägung
ihrer Interessen redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie diesen Fall bedacht hätten. Zur
Ermittlung dieses hypothetischen Parteiwillens sind die übrigen vertraglichen Regelungen,
Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte heranzuziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der
Vertragsschluss. Die ergänzende Vertragsauslegung findet ihre Schranken im Willen der
Parteien und im Vertragszweck. Beidem darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht
widersprechen, da die Auslegung der Privatautonomie und dem Vertragszweck verbunden ist
und keine freie richterliche Rechtsschöpfung erlaubt. Schließlich darf sie weder zur
Nichtigkeit des Vertrags noch zu einer Ausdehnung des Vertragsgegenstands führen.

§ 11 - Bedingung und Befristung

Bedingung und Befristung sind in §§ 158-163 BGB geregelt. Grundsätzlich kann jedes
Rechtsgeschäft bedingt oder befristet werden. Allerdings sind manche Rechtsgeschäfte, wie
die Auflassung nach § 925 Abs. 2 BGB und die Eheschließung nach § 1311 S. 2 BGB,
bedingungsfeindlich. Auch Gestaltungserklärungen wie Anfechtung und Rücktritt sind
bedingungsfeindlich, da hier wegen der Gestaltungswirkung Rechtsklarheit erforderlich ist.
Zulässig sind allerdings Potestativ- und Rechtsbedingungen bei den Gestaltungsrechten.
Potestativbedingungen sind Bedingungen, die ausschließlich vom Willen des
Erklärungsempfängers abhängen. Er kann also den Eintritt der Bedingung durch sein
Verhalten herbeiführen. Bei Rechtsbedingungen werden lediglich die ohnehin vorhandenen
rechtlichen Voraussetzungen wiederholt.

I. Bedingung

Eine Bedingung ist ein zukünftiges ungewisses Ereignis. Vertrags- und Allgemeine
Geschäftsbedingungen sind dagegen keine Bedingungen im technischen Sinn sondern nur
Vereinbarungen.
Bei einer aufschiebenden Bedingung nach § 158 Abs. 1 BGB knüpft die Wirksamkeit des
Rechtsgeschäfts an den Bedingungseintritt an. Gemäß § 158 Abs. 2 BGB endet
demgegenüber die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bei der auflösenden Bedingung mit
dem Bedingungseintritt.

1. Anwartschaftsrecht

Vielfach wird bei einer aufschiebenden Bedingung ein Anwartschaftsrecht angenommen.


Nach der Rechtsprechung ist ein Anwartschaftsrecht ein wesensgleiches Minus zum
Vollrecht. Dagegen soll es nach anderer Ansicht eine Vorstufe des zu erwartenden Rechts
sein. Wieder andere halten es für ein Erwerbsrecht eigener Art. Ein Anwartschaftsrecht liegt
dann vor, wenn die Rechtsstellung des Berechtigten diesem nicht mehr einseitig entzogen
oder verändert werden kann. Das Anwartschaftsrecht ist grundsätzlich vererblich, übertragbar
und pfändbar. Wichtigster Fall ist der Kauf unter Eigentumsvorbehalt, bei dem die
Übereignung der Kaufsache von der Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung abhängig
gemacht wird.

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2. Schutz des Berechtigten während der Schwebezeit

Der Berechtigte ist während der Schwebezeit, also der Zeit bis zum Bedingungseintritt,
schutzbedürftig. Daher ordnet § 161 Abs. 1 BGB an, dass eine Verfügung während der
Schwebezeit, durch die der Erfolg des Rechtsgeschäfts bei Bedingungseintritt vereitelt wird,
dem Berechtigten gegenüber, also relativ, unwirksam ist. Dies gilt allerdings nach § 161 Abs.
3 BGB i. V. m. §§ 932 ff. BGB nicht zulasten desjenigen, der in gutem Glauben ist. In gutem
Glauben ist, wer an die Berechtigung des Verfügenden glaubt und glauben darf. Wenn eine
Partei den Eintritt der Bedingung zu ihren Gunsten wider Treu und Glauben vereitelt, wird der
Eintritt der Bedingung gemäß § 162 Abs. 1 BGB fingiert. Gleiches gilt nach § 162 Abs.
2 BGB, wenn eine Partei den Eintritt der Bedingung zu ihren Gunsten wider Treu und
Glauben herbeiführt § 160 BGB stellt klar, dass derjenige, dessen Interessen durch die
schuldhafte Herbeiführung des Bedingungseintritts durch den anderen Teil verletzt sind,
Schadensersatz verlangen kann. Dieser richtet sich aber nach den allgemeinen Regeln, also
§§ 280 Abs. 1, 3, 283, 275 BGB. § 160 BGB ist daher nur deklaratorisch.

II. Befristung

Nach § 163 BGB können die Parteien ein Rechtsgeschäft befristen. Bei der Befristung wird
die Wirksamkeit von einem zukünftigen gewissen Ereignis abhängig gemacht. Während eine
aufschiebend befristete Forderung noch nicht besteht, ist eine betagte Forderung nur noch
nicht fällig, d. h. der Schuldner ist noch nicht zur jetzigen Leistung verpflichtet. Daher kann
das erlangte Etwas bei vorzeitiger Erfüllung einer betagten Forderung nach § 813 Abs. 2 BGB
nicht zurückgefordert werden, weil bereits ein Rechtsgrund besteht.

§ 12 - Vertretung und Vollmacht

Unter Vertretung versteht das Gesetz nach § 164 Abs. 1 BGB die Abgabe einer eigenen
Willenserklärung in fremdem Namen mit Vertretungsmacht. Bei der Vertretung treten die
Rechtsfolgen nicht bei dem handelnden Vertreter, sondern bei dem Vertretenen ein.

I. Zulässigkeit der Stellvertretung

Grundsätzlich kann jedes Rechtsgeschäft auch durch einen Vertreter vorgenommen werden,
wenn das Gesetz nicht ein anderes bestimmt. So ist nach § 1311 Abs. 1 BGB die
Eheschließung durch einen Vertreter unzulässig. Gleiches gilt für die Anfechtung der
Vaterschaft nach § 1600 a Abs. 1 BGB, die Errichtung eines Testaments nach § 2064 und den
Abschluss eines Erbvertrags nach § 2274 BGB.

II. Die eigene Willenserklärung

Voraussetzung der Stellvertretung ist die Abgabe einer eigenen Willenserklärung. Dagegen
übermittelt der Bote lediglich eine fremde Willenserklärung. Ob jemand Bote oder Vertreter
ist, bestimmt sich nach seinem erkennbaren Auftreten und hängt damit nicht vom
Innenverhältnis ab. Bote kann auch sein, wer geschäftsunfähig ist, dagegen muss der Vertreter
gemäß § 165 BGB zumindest beschränkt geschäftsfähig sein. Diese Möglichkeit, ohne
Einwilligung des gesetzlichen Vertreters über § 107 BGB hinaus tätig zu werden, ist damit zu
erklären, dass durch die Willenserklärung ein anderer verpflichtet wird. Das Geschäft ist für
den Minderjährigen daher neutral, sodass er nicht schutzwürdig ist.

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III. Offenkundigkeitsprinzip

Grundsätzlich muss der Vertreter im Namen des Vertretenen tätig werden. Nach dem
Offenkundigkeitsgrundsatz muss für den Dritten erkennbar sein, mit wem kontrahiert. Nach
§ 164 Abs. 1 S. 2 BGB muss dies nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch
aus den Umständen ergeben.

1. Grenzen des Offenkundigkeitsprinzips

Aus den Umständen ergibt sich das Handeln in fremdem Namen bei den betriebsbezogenen
Geschäften. Hier gilt die Vermutung, dass das Handeln von Angestellten und Organen von
Betrieben den Betrieb verpflichten soll.
Bei dem Geschäft für den, den es angeht, ist dem Vertragspartner gleichgültig, mit wem er
kontrahiert. Dieses wird insbesondere bei Bargeschäften des täglichen Lebens angenommen.
Primär gilt dies für das dingliche Erfüllungsgeschäft. Wenn aber die Gegenleistung sofort
erbracht wird, erstreckt sich die Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip auch auf das
Verpflichtungsgeschäft. Wer dann Vertragspartner wird, kann sich wegen des mangelnden
Interesses des Vertragspartners nach dem Innenverhältnis zwischen Vertreter und
Vertretenem richten.

2. Versehentliches Handeln im eigenen Namen

Wenn eine Person als Vertreter auftreten will, dieses aber nicht erkennbar ist, kann sie sich
nach § 164 Abs. 2 BGB nicht darauf berufen, als Vertreter auftreten zu wollen. Die Vorschrift
stellt klar, dass dieser Irrtum unbeachtlich ist und nicht zu einer Anfechtung berechtigt. Der
BGH wendet § 164 Abs. 2 BGB analog auf den Fall an, dass eine Person, die im eigenen
Namen handeln wollte, als Vertreter aufgetreten ist. Dies stößt in der Literatur auf Bedenken,
da es sich bei § 164 Abs. 2 BGB um eine Ausnahmevorschrift handelt, die grundsätzlich eng
auszulegen ist. Zudem wird eingewandt, dass es an einer Regelungslücke fehle, weil
§ 119 BGB diesen Fall regele und hier eine Anfechtung erlaube.

3. Mittelbare Stellvertretung

Bei der mittelbaren Stellvertretung wird der Vertreter im eigenen Namen tätig. Hier wird er
daher auch aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet, da die Vertretung für den
Vertragspartner nicht erkennbar ist. Der Ausgleich findet dann lediglich im Innenverhältnis
zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen statt. Regelungen zur mittelbaren
Stellvertretung finden sich im BGB nicht. Das HGB sieht solche in den §§ 383 ff. und 453 für
das Kommissions- und Speditionsgeschäft vor.

a) Das Strohmann-Geschäft

Das Strohmann-Geschäft ist ein Sonderfall der mittelbaren Stellvertretung. Hier wird der
Strohmann tätig, weil der Hintermann das Geschäft selbst nicht vornehmen kann oder will.

b) Treuhand

Bei der Treuhand erhält der Treuhänder vom Treugeber eine Rechtsposition, die er aufgrund
einer internen Absprache nur zu bestimmten Zwecken verwenden darf. Ein Beispiel für die
Treuhand ist die Sicherungsübereignung. Hier wird eine Sache an die Bank als Sicherheit für
ein Darlehen übereignet. Diese überlässt die Sache aber als Treugeberin dem

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Darlehensnehmer als Treuhänder solange zum Gebrauch, wie dieser pünktlich seine Raten
zahlt.

4. Handeln unter fremdem Namen

Beim Handeln unter fremdem Namen tritt der Handelnde mit einem anderen Namen auf.
Hierbei ist zwischen der Namens- und der Identitätstäuschung zu differenzieren. Bei der
bloßen Namenstäuschung soll der Vertrag mit der handelnden Person zustande kommen. Der
Name ist für den Vertrag gleichgültig. Daher kommt ein Vertrag zwischen dem Handelnden
und dem Dritten zustande. Bei der Identitätstäuschung kommt es dem Vertragspartner
gerade darauf an, mit dem Namensträger zu kontrahieren. In diesem Fall liegt Stellvertretung
vor. Ob eine Namens- oder Identitätstäuschung vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln.

IV. Vertretungsmacht

Vertretungsmacht ist die Rechtsmacht, eine andere Person rechtsgeschäftlich zu verpflichten


und zu berechtigen. Sie kann sich sowohl aus Gesetz als auch aus Rechtsgeschäft ergeben. In
letzterem Fall wird sie nach § 166 Abs. 2 S. 1 BGB als Vollmacht bezeichnet.

1. Innen- und Außenverhältnis

Von der Vertretungsmacht ist das Grund- oder Innenverhältnis zu unterscheiden. Während
das Außenverhältnis mit der Vertretungsmacht regelt, inwieweit der Vertreter den Vertretenen
gegenüber einem Dritten rechtsgeschäftlich verpflichten kann, bestimmt sich nach dem
Innenverhältnis, inwieweit er es gegenüber seinem Geschäftsherrn darf. Innen- und
Außenverhältnis sind nach dem Abstraktionsprinzip in ihrer Wirkung rechtlich unabhängig.
So kann beispielsweise eine Vollmacht wirksam und der ihr zugrunde liegende Auftrag
nichtig sein und andersherum.

2. Gesetzliche Vertretung

Gesetzlich Vertretungsmacht steht beispielsweise den Organen juristischer Personen und nach
§ 1629 BGB den Eltern des Minderjährigen zu.

3. Vollmacht

a) Erteilung

Nach § 167 Abs. 1, 1. Var. BGB kann die Vollmacht gegenüber dem Vertreter erteilt werden.
Dann handelt es sich um eine Innenvollmacht. Wenn sie aber gemäß § 167 Abs. 1, 2.
Var. BGB gegenüber dem Dritten, mit dem das Rechtsgeschäft vorgenommen werden soll,
erteilt wird, bezeichnet man sie als Außenvollmacht. Grundsätzlich sind alle Vollmachten
beschränkbar. Etwas anderes gilt, wenn das Gesetz den Umfang der Vollmacht festlegt, wie
bei der Prokura nach § 50 HGB.

b) Widerruf

Der Widerruf der Vollmacht erfolgt nach § 168 S. 3 BGB spiegelbildlich zu ihrer Erteilung.
Daher bleibt die Außenvollmacht so lange bestehen, bis dem Dritten nach § 170 BGB ihr
Widerruf angezeigt wird. Nach § 168 S. 1 BGB erlischt die Innenvollmacht zusammen mit
dem ihr zugrunde legenden Rechtsverhältnis. Wenn also jemand also in einer Firma als

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Einkäufer angestellt ist, so erlischt seine Vollmacht, für das Unternehmen tätig zu werden, mit
dem Arbeitsverhältnis als Einkäufer. Gleichwohl ist die Vollmacht grundsätzlich jederzeit
gemäß § 168 S. 2 BGB widerruflich.

c) Anfechtung

Da es sich bei der Vollmachtserteilung um eine Willenserklärung handelt, kann sie auch unter
Willensmängeln leiden. Daher ist sie grundsätzlich anfechtbar. Dies soll nach überwiegender
Meinung auch für die Vollmacht gelten, von der bereits Gebrauch gemacht worden ist.
Dagegen wird zwar das Schutzbedürfnis des Dritten eingewandt. Doch ist dem
entgegenzuhalten, dass der Dritte über den Schadensersatzanspruch des § 122 BGB
ausreichend geschützt ist. Allerdings muss die Vollmacht auch gegenüber dem Dritten
angefochten werden, da auch in seinen Vertrag eingegriffen wird. Denn durch die Anfechtung
wird der Vertreter ex tunc zu einem Vertreter ohne Vertretungsmacht,

d) Kundgemachte Vollmacht

Wenn das Bestehen einer Innenvollmacht nach § 171 BGB dem anderen mitgeteilt oder
veröffentlicht wird, so spricht man von einer kundgemachten Vollmacht. Die Kundgabe ist
keine Willenserklärung sondern nur eine Wissenserklärung. Diese gilt als Vollmacht kraft
Rechtsscheins trotz Widerrufs solange fort, bis ihr Widerruf auf gleiche Weise mitgeteilt
wird. Wenn eine Vollmachtsurkunde ausgestellt wird, so muss der Vertretene nach
§ 172 BGB das Geschäft auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er die Vollmacht
widerrufen hat, der Vertreter aber unter Vorlage der Vollmachtsurkunde mit einem Dritten
kontrahiert hat. In beiden Fällen hat der Vertretene den Rechtsschein der Bevollmächtigung
gegenüber dem Dritten durch sein Verhalten gesetzt. Diesen Rechtsschein muss er nun gegen
sich gelten lassen, weil der Dritte auf ihn vertrauen durfte und schutzwürdig ist. Daher gelten
diese Regeln nach § 173 BGB nicht, wenn der Dritte den Widerruf kennt oder kennen muss.

e) Duldungsvollmacht

Bei der Duldungsvollmacht tritt eine Person im Namen einer anderen auf. Dieses Auftreten
muss eine gewisse Dauer und Häufigkeit haben und der voll geschäftsfähige Geschäftsherr
muss das Verhalten kennen und dulden. Schließlich muss der Dritte nach dem
Rechtsgedanken des § 173 BGB an die Vertretungsmacht glauben. Streitig ist insoweit, ob die
Duldungsvollmacht eine stillschweigend erteilte Vollmacht ist oder lediglich eine Zurechnung
kraft Rechtsscheins begründet. Dieses ist für die Frage der Anfechtbarkeit relevant, da die
Anfechtung eine Willenserklärung verlangt, die bei der Zurechnung kraft Rechtsscheins fehlt.

f) Anscheinsvollmacht

Der Duldungs- ist die Anscheinsvollmacht verwandt. Auch hier tritt jemand im
Rechtsverkehr mit einer gewissen Dauer und Häufigkeit im Namen eines anderen auf.
Allerdings kennt und duldet der Geschäftsherr hier das Tätigwerden nicht. Der Vertretene
hätte allerdings das Handeln erkennen und verhindern können. Nach h.M. erfolgt eine
Zurechnung kraft Rechtsscheins.

V. Rechtsfolgen der Vertretung

Nach § 164 Abs. 1 BGB treffen die Rechtsfolgen des Handelns des Vertreter den Vertretenen.

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Bei der Frage nach der Kenntnis oder Willensmängeln ist gerade auf die Person des Vertreters
nach § 166 Abs. 1 BGB abzustellen. Dies ist damit zu erklären, dass der Vertreter das
Geschäft vornimmt und die Entscheidung trifft. Wenn der Vertreter aber auf Weisung des
Vertretenen handelt, kommt es nach § 166 Abs. 2 BGB insoweit auf die Kenntnis des
Vertretenen an, da er es hier ist, der die Entscheidungen trifft. Die Vorschrift des § 166 Abs.
2 BGB wird über ihren Wortlaut hinaus analog auf Willensmängel des Vertretenen
angewendet.

VI. Missbrauch der Vertretungsmacht

Wegen der Abstraktheit von Grund- bzw. Innenverhältnis und Außenverhältnis kann es
vorkommen, dass der Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht die Grenzen, die ihm das
Innenverhältnis setzt, überschreitet. Der Vertreter handelt dann im Rahmen des rechtlichen
Könnens aber außerhalb des rechtlichen Dürfens. Grundsätzlich wird der Vertretene auch in
einem solchen Fall rechtlich gebunden.
Diese Überschreitung findet aber ihre Grenzen in § 138 Abs. 1 und § 242 BGB. Ein
Vertragspartner kann sich gem. § 138 Abs. 1 nicht auf das Bestehen der Vollmacht berufen,
wenn der Vertreter und der Dritte bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken.
Dieses bezeichnet man dann als Kollusion.
Ist der Missbrauch der Vertretungsmacht in den Fällen, in denen nicht von einem kollusivem
Zusammenwirken des Vertreters und des Dritten ausgegangen werden kann, offensichtlich
bzw. evident, so kann sich der Dritte der h.M. zufolge nach Treu und Glauben (§ 242) nicht
auf die Vollmacht berufen. Eine Gegenmeinung ordnet diese Fälle der Evidenz anders ein: es
liege gerade keine Vollmacht vor, sondern der Vertreter überschreite seine Vollmacht,
weshalb der evidente Missbrauch der Vertretungsmacht nach den §§ 177 ff. BGB zu
beurteilen sei. Auf das Ergebnis hat diese unterschiedliche dogmatische Einordnung keine
Auswirkungen: bei Anwendung des § 242 BGB ist es dem Dritten verwehrt, sich auf die
Vollmacht zu berufen, d.h. der Vertretene haftet nicht und der Vertreter handelte gerade mit
Vertretungsmacht. Ordnet man diese Fälle des evidenten Missbrauchs dagegen als Handeln
ohne Vertretungsmacht ein, so haftet der Vertreter gem. § 179 Abs. 3 S. 1 BGB i.d.R. nicht,
da der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht hätte kennen müssen.
Beruht der Missbrauch der Vertretungsmacht allerdings auf mangelnder Kontrolle durch den
Vertretenen, so muss sich jener sein Mitverschulden an dem Missbrauch entsprechend
§ 254 BGB anrechnen lassen.

VII. Insichgeschäft

§ 181 BGB regelt einen typischen Fall der Interessenkollision. Ein Vertreter kann
grundsätzlich nicht im Interesse des Vertretenen ein Geschäft mit sich abschließen. Etwas
anderes gilt, wenn das Geschäft lediglich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht.
§ 181 BGB wird über seinen Wortlaut hinaus teleologisch reduziert und soll daher auch nicht
auf Geschäfte anwendbar sein, die für den Vertretenen lediglich rechtlich vorteilhaft sind.
Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 181 BGB ist entgegen seinem Wortlaut nicht die
Nichtigkeit sondern die schwebende Unwirksamkeit. Daher kann der Vertretene das Geschäft
noch genehmigen.

VIII. Vertreter ohne Vertretungsmacht

Die §§ 177-179 BGB enthalten Regelungen für den Vertreter ohne Vertretungsmacht (falsus
procurator). Eine solcher ist jemand, der eine eigene Willenserklärung im fremden Namen
abgibt, ohne dass er Vertretungsmacht besitzt.

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Da der Dritte hier einen Vertrag mit dem vermeintlich Vertretenen schließen möchte, ist die
Rechtsfolge gemäß § 177 Abs. 1 BGB grundsätzlich die schwebende Unwirksamkeit. Daher
kann der Vertretene das Rechtsgeschäft genehmigen und ihm so zu seiner Wirksamkeit
verhelfen. Die Genehmigung kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen. Bei
einer konkludenten Genehmigung ist erforderlich, dass sich der Genehmigende der
schwebenden Unwirksamkeit bewusst ist. Die Genehmigung kann einerseits gegenüber dem
Vertreter und andererseits gegenüber dem Dritten erklärt werden. Wenn aber der Dritte den
Vertretenen zur Genehmigung nach § 177 Abs. 2 BGB auffordert, kann die Genehmigung,
wie bei § 108 Abs. 2 BGB, nur ihm gegenüber erteilt werden. Eine Genehmigung gegenüber
dem Vertreter wird durch die Aufforderung unwirksam. Die Verweigerung der Genehmigung
wird fingiert, sofern der Vertretene nicht binnen zwei Wochen genehmigt.
Nach § 178 BGB, der § 109 BGB entspricht, kann der Dritte das Rechtsgeschäft während der
Schwebezeit widerrufen. Diese Unsicherheit ist ihm grundsätzlich nicht zuzumuten. Etwas
anderes gilt nur dann, wenn er die fehlende Vertretungsmacht kannte. Dann kann er nach
§ 178 S. 1 Hs. 2 BGB nicht widerrufen.
Sofern der Vertreter seine Vollmacht nicht nachweist und der Vertretene das Geschäft nicht
genehmigt, kann ihn der Dritte nach seiner Wahl auf Schadensersatz oder Erfüllung gemäß
§ 179 Abs. 1 BGB in Anspruch nehmen. Hier haftet der Vertreter ohne Vertretungsmacht
nach Wahl des Dritten auf das Erfüllungs- oder Vertrauensinteresse. Allerdings ist die Höhe
des Vertrauensschadens auch hier durch die Höhe des Erfüllungsschadens begrenzt. Kannte
der Vertreter seine fehlende Vertretungsmacht nicht, so haftet er nach § 179 Abs. 2 BGB nur
auf den Vertrauensschaden (wie bei § 122 BGB). Die Haftung ist nach § 179 Abs. 3 BGB
ausgeschlossen, wenn der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder der Vertreter
ohne Vertretungsmacht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.

§ 13 - Einwilligung und Genehmigung

In den §§ 182-184 BGB ist die Zustimmung geregelt. Die vorherige Zustimmung wird nach
§ 183 S. 1 BGB als Einwilligung und die nachträgliche wird nach § 184 Abs. 1 BGB als
Genehmigung bezeichnet. Es handelt sich hierbei um einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärungen. Im Übrigen kann auf die Ausführungen im Minderjährigenrecht
verwiesen werden.

§ 185 BGB regelt die Verfügung durch einen Nichtberechtigten. Eine Verfügung ist ein
Rechtsgeschäft, das die Rechtslage eines Gegenstandes unmittelbar ändert, indem ein Recht
übertragen, aufgehoben, belastet oder inhaltlich verändert wird. Die Norm ist auf
Verpflichtungen nicht anwendbar und damit Ausdruck des Abstraktionsprinzips. Die
Einwilligung zu einer Verfügung nach § 185 Abs. 1 BGB wird als Ermächtigung bezeichnet.
Auch nach Vornahme des Rechtsgeschäfts durch den Nichtberechtigten kann der Berechtigte
das Geschäft noch nach § 185 Abs. 2 S. 1 BGB genehmigen mit der Folge, dass es ex tunc
wirksam wird.

§ 14 - Fristen, Termine, Verjährung

In den §§ 186-193 BGB ist die Berechnung von Fristen geregelt. Diese Regelungen gelten
nach § 186 BGB auch außerhalb des BGB in der gesamten Rechtsordnung, sofern sich dort
keine Spezialregelungen befinden. Zweck der Regelung ist die Schaffung von
Rechtssicherheit bei der Berechnung von Fristen. Die Vorschriften sind aber dispositiv und
können daher von den Parteien eines Rechtsgeschäfts abbedungen werden.
Der Tag, auf den das Anknüpfungsereignis fällt, wird nach § 187 BGB beim Fristbeginn nicht
mitgezählt. Nach § 188 BGB endet die Frist mit dem Ende des letzten Tages der Frist. Sofern

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innerhalb einer Frist Willenserklärungen abgegeben werden sollen, deren letzter Tag ein
Sonnabend, Sonn- oder Feiertag ist, endet die Frist nach § 193 BGB am nächsten Werktag.
Wenn also der letzte Tag einer Frist der 01.01. ist, sprich ein Feiertag, ist, endet die Frist erst
am 02.01, da niemand gezwungen werden soll, an einem Sonn- oder Feiertag eine
Willenserklärung abzugeben.

§ 15 - Verjährung

Die Verjährung ist in den §§ 194-218 BGB geregelt. Sie ist ein Zeitablauf, der den
Schuldner nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern. Der Verjährung
unterliegen nach § 194 Abs. 1 BGB nur Ansprüche, wobei der Begriff des Anspruchs an
dieser Stelle legaldefiniert ist.

I. Abgrenzung zu anderen Folgen von Zeitablauf

Die Verjährung berechtigt dazu, einen fremden Anspruch nicht erfüllen zu müssen. Daneben
kann durch Zeitablauf aber auch ein eigenes Recht erworben werden. Dann spricht man
allerdings von Ersitzung. Sie ist für bewegliche Sachen in § 937 Abs. 1 BGB und für
Grundstücke in § 900 BGB geregelt. Auch andere Rechtstitel können durch Zeitablauf
erworben werden. Dies nennt man unvordenkliche Verjährung. Nach BGHZ 16, 238 setzt dies
voraus, dass das Recht seit vierzig Jahren besessen wurde und für weitere vierzig Jahre keine
Erinnerung an einen anderen Rechtszustand besteht. Bei bestimmten nicht schriftlich fixierten
Rechten wie Jagd- oder Fischereirechten kann dies eine Rolle spielen.

II. Zwecke der Verjährung

Die Verjährung verfolgt verschiedene Zwecke.


So soll ein vermeintlicher Schuldner vor fälschlicher Inanspruchnahme geschützt werden.
Denn der Schuldner muss in einem Prozess die Erfüllung eines Anspruchs beweisen. Dies
wird durch Zeitablauf massiv erschwert. Dem trägt die Verjährung Rechnung.
Ferner ermöglicht die Verjährung dem echten Schuldner, den Leistungsgegenstand nicht
länger vorhalten zu müssen. Hierdurch soll der Schuldner davor geschützt werden, auf ewig
Ansprüchen des Schuldners ausgesetzt zu sein.
Desweiteren sollen durch die Verjährung im öffentlichen Interesse Rechtsfrieden und
Rechtssicherheit hergestellt werden. Es entspricht dem Interesse der Rechtsordnung, den
aktuellen Zustand als Recht ansehen zu können.
Die Verjährung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Gläubiger zuvor die Möglichkeit
hatte, den Anspruch geltend zu machen. Auf diese Chance der Geltendmachung nimmt das
Gesetz in der Regel Rücksicht.
Schließlich dient die Verjährung der Entlastung der Gerichte und der Beschleunigung der
Abwicklung von Rechtsgeschäften im Wirtschaftsverkehr.

III. Einrede

Die Verjährung ist eine Einrede. Daher wird sie vom Gericht nur berücksichtigt, wenn der
Schuldner sich auf sie beruft. Hierbei muss er aber, ähnlich wie bei der
Anfechtungserklärung, das Wort Verjährung nicht verwenden. Vielmehr genügt es, wenn er
die Leistung verweigert und sich dabei auf die verstrichene Zeit beruft. Der Grund dafür, dass
sich der Schuldner auf die Verjährung berufen muss, liegt darin, dass es früher als anstößig
galt, die Erfüllung eines bestehenden Anspruchs zu verweigern. Ferner werden hierdurch die
Möglichkeiten des Schuldners lediglich erweitert.

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IV. Gegenstand der Verjährung

Gegenstand der Verjährung sind nur Ansprüche nach § 194 Abs. 1 BGB. Bestimmte
familienrechtliche Ansprüche wie die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft
unterliegen der Verjährung gemäß § 194 Abs. 2 BGB nicht. Rechte unterliegen der
Verjährung ebenfalls nicht. So kann das Eigentum als absolutes Recht nicht verjähren. Auch
Gestaltungsrechte unterliegen nicht der Verjährung. Für sie gelten Ausschlussfristen. Eine
Ausschlussfrist wird vom Gericht von Amts wegen berücksichtigt, ohne dass sich eine Partei
hierauf berufen muss. Eine solche Ausschlussfrist ist etwa die Anfechtungsfrist nach
§ 121 BGB.

V. Dauer der Verjährung

1. Verjährungsfristen

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Für Ansprüche aus
Grundstücksgeschäften verlängert sie sich gemäß § 196 BGB auf zehn Jahre und für die in
§ 197 Abs. 1 BGB genannten Ansprüche auf dreißig Jahre.

2. Verjährungsbeginn

Die Verjährung beginnt nach der Regel des § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ende des Jahres, in
dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von seiner Entstehung und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen konnte. Damit ist der
Verjährungsbeginn subjektiv formuliert; die Möglichkeit der Geltendmachung ist
Voraussetzung der Verjährung. Da aber auch dies nicht zu unendlichen Verjährungsfirsten
führen darf, regeln § 199 Abs. 2-4 BGB Höchstzeiten, nach deren Ablauf der Anspruch ohne
Rücksicht auf die Kenntnis verjährt. Diese Frist beträgt für Schadensersatzansprüche aus der
Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit dreißig und ansonsten zehn Jahre.
Nach zehn Jahren verjähren auch die übrigen Ansprüche gemäß § 199 Abs. 4 BGB.
Unabhängig vom Schadenseintritt verjähren Schadensersatzansprüche dreißig Jahre nach der
dem Schaden zugrunde liegenden Pflichtverletzung gemäß § 199 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

3. Hemmung

Nach § 209 BGB kann die Verjährung gehemmt sein. Die Zeiten der Hemmung werden bei
der Verjährungsfrist nicht berücksichtigt. Die Verjährung wird unter anderem durch
Verhandlungen über den Anspruch nach § 203 BGB, die Klageerhebung nach § 204 Abs. 1
Nr. 1 BGB und die Zustellung eines Mahnbescheids nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
Die Klage ist nach § 253 Abs. 1 ZPO mit der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten
erhoben. Da aber der Kläger keinen Einfluss darauf hat, wie schnell das Gericht die Klage
zustellt, bestimmt § 167 ZPO, dass die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung
der Klageschrift eintritt, wenn demnächst zugestellt wird.

VI. Rechtsfolgen der Verjährung

Die Folge des Eintritts der Verjährung ist das Recht des Schuldners, die Leistung zu
verweigern. Wenn er aber irrtümlich dennoch leistet, kann er die Leistung nach §§ 214 Abs.
2, 813 Abs. 2 BGB nicht zurückfordern. Die Verjährung lässt nicht den Rechtsgrund, sondern
lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruchs entfallen.

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§ 16 - Ausübung der Rechte, Selbstverteidigung, Selbsthilfe

Die §§ 226-231 BGB regeln, wie der einzelne seine Rechte ausüben darf. Grundsätzlich darf
jeder seine Rechte jederzeit gegenüber jedermann geltend machen.

I. Schikaneverbot

Dies gilt jedoch nur bis zur Grenze des Schikaneverbots nach § 226 BGB. Der
Anwendungsbereich des § 226 BGB ist nur sehr beschränkt. Danach ist eine Rechtsausübung
unzulässig, wenn ihr einziger Zweck die Schädigung eines anderen ist. Daneben findet die
Rechtsausübung ihre Grenzen in dem Grundsatz von Treu und Glauben. Nach § 242 BGB
kann ein Anspruch wegen Rechtsmissbrauchs oder Verwirkung ausgeschlossen sein.

II. Selbsthilfe

1. Gewaltmonopol des Staates

Grundsätzlich darf kein Bürger einen anderen zwingen, seine Pflichten zu erfüllen. Vielmehr
ist dies wegen des staatlichen Gewaltmonopols allein dem Staat überlassen. Wenn also ein
Bürger die Rechte, die er gegenüber einem anderen Bürger hat, durchsetzen will, muss er sich
an die Gerichte wenden und den titulierten Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung
durch den Staat durchsetzen lassen. Ausnahmen hiervon finden sich in den
Rechtfertigungsgründen der §§ 227-229 BGB.

2. Selbsthilferecht

So kann auf der Basis des § 229 BGB Selbsthilfe geübt, wenn hoheitliche Hilfe nicht
rechtzeitig zu erreichen ist und anderenfalls die Durchsetzung des Anspruchs vereitelt oder
wesentlich erschwert wird.

3. Notwehr

Ferner kennt das BGB die Notwehr nach § 227 BGB.


Dieser setzt zunächst wie im Strafrecht eine Notwehrlage voraus. Danach ist ein
gegenwärtiger rechtswidriger Angriff erforderlich. Ein Angriff ist die von einem Menschen
drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Unterlassen kann hier keinen Angriff
darstellen. Schutzfähig durch Notwehr sind nur Individualrechtsgüter, nicht aber
Kollektivrechtsgüter wie die öffentliche Sicherheit. Daher darf der Nichtraucher das
Rauchverbot in einem Zugabteil nicht gewaltsam durchsetzten, oder der Verkauf verbotener
pornographischer Videofilme darf nicht gewaltsam von jedermann unterbunden werden. Der
Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, noch andauert oder noch nicht
beendet ist. Der Angriff muss rechtswidrig sein, sodass er seinerseits nicht gerechtfertigt sein
darf.
Das Mittel der Notwehr muss geeignet und erforderlich sein. Erforderlich ist ein Mittel, wenn
es kein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt. Der Angegriffene muss aber nicht auf
unsichere Mittel zurückgreifen oder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen. Auch
kann ihm weder ein Ausweichen noch die Flucht abverlangt werden. Allerdings sind einige
sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts, vor allem bei erkennbar schuldlos
Handelnden und Bagatellfällen geboten. Ferner muss der Handelnde mit Notwehrwillen
agieren.

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Die Notwehr rechtfertigt nur den Eingriff in Rechtsgüter des Angegriffenen. Diesem stehen
gegen den gerechtfertigt Handelnden weder Abwehrrechte noch Schadensersatzansprüche zu.

4. Defensiver Notstand

Ferner kennt das Gesetz in § 228 BGB den defensiven Notstand. Dieser setzt zunächst eine
Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut voraus. Diese Gefahr muss durch eine fremde
Sache, etwa einen bissigen Hund, drohen.
Der Notstand berechtigt zur Beschädigung und Zerstörung der gefährlichen Sache. Dies muss
erforderlich sein. Allerdings kann hier anders als bei der Notwehr auch ein Ausweichen und
die Flucht als milderes Mittel in Betracht kommen. Die Beschädigung bzw. Zerstörung der
Sache muss verhältnismäßig sein. Sie ist solange verhältnismäßig, wie der Schaden nicht
außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Daher kann der Schaden auch höher sein als der
potentielle Schaden, der bei Realisierung der Gefahr droht. Schließlich muss der der
Handelnde mit Abwehrwillen agieren.
Durch den Notstand wird der Handelnde gerechtfertigt. Wenn er die Gefahr jedoch selbst
verursacht hat, muss er dem Eigentümer der Sache nach § 228 S. 2 BGB Schadensersatz
zahlen.

5. Aggressiver Notstand

Daneben kennt das BGB in § 904 den Aggressivnotstand. Hiernach darf der Handelnde zur
Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut auf eine fremde Sache
einwirken. Dies setzt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Einwirkung voraus.
Allerdings muss hier die Gefahr den Schaden deutlich überwiegen. Die Abwägung erfolgt
also genau entgegengesetzt zu § 228 BGB, da hier das Eigentum verkürzt wird und die Gefahr
nicht von der Sache ausgeht.
Der Eigentümer muss diese Verkürzung seines Eigentums dulden. Ihm schuldet der
Handelnde Schadensersatz unabhängig von seinem Verschulden nach § 904 S. 2 BGB.

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